T H E M E N D E R Z E I T
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A3162 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 4719. November 2004
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und 30 so genannte Suizid-Foren, in denen sich Menschen mit Suizid- gedanken austauschen, gibt es im deutschsprachigen Internet.Die öffentliche und fachliche Diskussion über die Aus- wirkungen dieser Kommunikationsplatt- formen wurde durch Medienberichte ange- facht. Berichtet wurde, dass vor allem junge Menschen diese Foren nutzen, um sich zum gemeinschaftlichen Suizid zu verabreden.Es folgten Forderungen, diese Foren zu schließen, um gefürchtete „Suizidepide- mien“ zu verhindern. Die Gefährlichkeit wird damit begründet, dass „Suizidforen“
insbesondere junge und psychisch labile Menschen durch gegenseitiges Hineinstei- gern und Imitation und die Verbreitung von
Suizidmethoden sowie Hinweise auf Be- schaffungsmöglichkeiten von Suizidmitteln in den Tod treiben würden.
Eine Studie am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Uni- versität Köln hat die Inhalte, Funktionen und Effekte der Foren untersucht, um die- se Schädlichkeitszuschreibungen zu prü- fen. Eine Online-Befragung von Teilneh- mern des meistfrequentierten „Suizidfo- rums“ im deutschsprachigen Netz ergab, dass diese Diskussionsgruppen nicht pau- schal ein Gefährdungspotenzial darstel- len. Vielmehr wurden drei Nutzertypen identifiziert, die sich hinsichtlich ih- res Nutzungsprofils sowie in den klinisch relevanten Auswirkungen
der Teilnahme an einer solchen Commu- nity unterscheiden. Die größte Gruppe der User sucht und erfährt konstruktive Hilfe in einer als ausweglos empfundenen Situation durch Kommunikation mit Menschen, von denen sie sich verstanden fühlt. Weder die Inhalte noch die Motive der Teilnehmer und die resultierenden Ef- fekte ließen sich als destruktiv einstufen.
Eine Dämonisierung dieser Plattformen könnte zu bedenklichen Maßnahmen füh- ren, die auch die konstruktiven, suizidprä- ventiven und möglicherweise sogar kura- tiven Funktionen der Foren beseitigen würden. Die Selbsthilfeaktivität suizidaler Internetnutzer mit professioneller On- line- und Offline-Hilfe zu vernetzen scheint daher sinnvoller, als diese Plattfor- men zu beseitigen. Christiane Eichenberg E-Mail: eichenberg@uni-koeln.de
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eit Sommer 2001 finanzieren die Spitzenverbände der Krankenkassen 30 Modelle zur unabhängigen und neutralen Patientenberatung. Grundlage ist die gesetzliche Regelung im § 65 b So- zialgesetzbuch V. Bis 2005 wird die Pati- entenberatung Herdecke als ein Modell gefördert, in dem die persönliche Bera- tung im Vordergrund steht.Das Spektrum der Anfragen an die Pa- tientenberatung Herdecke reicht von der Suche nach Spezialisten und spezialisier- ten Kliniken, zusätzlichen Informationen über Krankheitsbilder und gesundheitli- ches Verhalten über Fragen zur Patien- tenverfügung bis hin zu Informationen zu Kassen- und IGeL-Leistungen, Wider- spruchsverfahren und Adressen erfahre- ner Anwälte. Weitere Beratungsthemen sind Beschwerden über ärztliches Verhal- ten in der Arzt-Patienten-Kommunikati-
on und die Unterstützung in der Entscheidung bei verschiede- nen Behandlungsmöglichkei- ten. Hier sind vor allem Ko- sten-Nutzen-Aspekte nachgefragt.
Als Baustein im Modell der Integrier- ten Versorgung Medizinische Qualitäts- gemeinschaft Modell Herdecke ist die Aufgabe der Patientenberatung, zur Ver- besserung und Stärkung der Patienten- orientierung der ambulanten und sta- tionären regionalen Versorgungsstruktur durch Rückmeldungen der Erfahrungen aus der Beratung in die Qualitätsgemein- schaft beizutragen.
Im Vordergrund stehen Unterstüt- zungsleistungen, die die Selbstmanage- mentkräfte von Ratsuchenden stärken.
Gleichzeitig wird insbesondere bei Nach- fragern mit chronischen Erkrankungen das Phasenmodell von Juliet M. Corbin und Anselm L. Strauss für das Beratungs- vorgehen zugrunde gelegt. Die Patienten werden darin unterstützt, vorhandene In- formationen einordnen zu können, Be- wältigungsstrategien im Umgang mit Krankheit zu entwickeln und ihre Patien- tenrechte aktiv wahrnehmen zu können.
Die Beratungsstelle wird im Monat zur-
zeit von rund 120 Bürge-
rinnen und Bürgern telefonisch, im per- sönlichen Gespräch oder per Internet an- gefragt.Stärkste Gruppe der Nachfragen- den sind Frauen zwischen 40 und 59 Jah- ren mit chronischen Erkrankungen.Män- ner suchen etwa ab Mitte 50 und älter nach Informationen und Beratung. Im Vordergrund stehen hier die Männerer- krankungen und orthopädische Proble- me. Mit 23 Prozent der Nachfragenden erreicht die Patientenberatung Menschen aus unteren sozialen Schichten, die mit Fragen zu Versorgungsleistungen kom- men. Patienten suchen die Beratungsstel- le auf mit dem Wunsch nach unabhängi- ger, neutraler Information und Beratung.
Katja Bakarinow E-Mail: katja.bakarinow@patientenberatung-herdecke.de
Suizidforen im Internet
Nicht generell zu verurteilen
Eine Studie an der Universität Köln hat die klinisch relevanten Auswirkungen von Suizid-Diskussionsgruppen untersucht.
Patientenberatung
Modell Herdecke
Bis 2005 von Kassen gefördert
Die Langfassung ist abrufbar unter www.aerzteblatt.de/
aufsaetze/0406.
Die Langfassung ist abrufbar unter www.aerzteblatt.de/
aufsaetze/0405.