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Archiv "Schutz von Kindern vor Misshandlung und Vernachlässigung: Frühe Hilfen und Familienhebammen" (18.11.2011)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 108

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Heft 46

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18. November 2011 A 2461

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ls „Meilenstein für einen bes- seren Kinderschutz“ lobte Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) das Bundeskinder- schutzgesetz, für das sie sich in ih- rer Amtszeit engagiert hat. „Wir wollen ein schützendes Gewölbe aufbauen für die Kinder, die auf der Schattenseite des Lebens stehen“, sagte sie im Deutschen Bundestag, wo das neue Gesetz (Bundestags- drucksache 17/6256) Ende Oktober verabschiedet wurde.

Die Oppositionsparteien haben sich bei der Abstimmung allerdings enthalten. Ihnen erscheint das Ge- setz vor allem hinsichtlich der Finan- zierung nicht ganz durchdacht. So soll das Kernstück, der Einsatz soge- nannter Familienhebammen, weiter als vom Bund finanziertes Modell- projekt geführt werden. Konsequent wäre es nach Auffassung der Oppo- sition jedoch gewesen, diese Be - treuung in die Regelversorgung nach

SGB V zu überführen und die ge- setzlichen Krankenkassen heranzu- ziehen. Die Kommunen fürchten, dass sie die Umsetzung der neuen Regelungen vor allem selbst finan- zieren müssen. Die oppositionsre- gierten Bundesländer haben des- halb erklärt, dem Gesetz nicht zu- stimmen zu wollen und den Ver- mittlungsausschuss anzurufen.

Schröder will mit dem neuen Ge- setz den Schutz von Kindern in fol- genden Bereichen verbessern:

Auf lokaler Ebene werden Netzwerke eingeführt, in denen alle wichtigen Akteure im Kinderschutz – wie Jugend- und Gesundheitsäm- ter, Krankenhäuser, Ärzte, Hebam- men, Schwangerschaftsberatungs- stellen, Schulen, Kindergärten und Polizei kooperieren sollen.

Familien mit besonderem Un- terstützungsbedarf erhalten leicht zugängliche „frühe Hilfen“ zur Stär- kung der elterlichen Erziehungs-

kompetenz, während der Schwan- gerschaft und in den ersten Lebens- jahren eines Kindes.

Zu den frühen Hilfen gehören auch speziell qualifizierte Famili- enhebammen, deren Einsatz das Bundesfamilienministerium in ei- nem vierjährigen Modellprojekt mit insgesamt 120 Millionen Euro för- dern will.

Eine bundeseinheitliche „Be- fugnisnorm für Berufsgeheimnis - träger“ zur Weitergabe von Infor- mationen an das Jugendamt soll un- ter anderem Ärzten bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung Rechtssi- cherheit geben. Bisher wird der Bruch der Schweigepflicht in sol- chen Fällen in 16 Landesgesetzen unterschiedlich geregelt, weshalb viele Ärzte unsicher sind, was sie unternehmen können und was nicht.

Die Zusammenarbeit der Ju- gendämter soll verbessert werden, damit Eltern sich nicht mehr so SCHUTZ VON KINDERN VOR MISSHANDLUNG UND VERNACHLÄSSIGUNG

Frühe Hilfen und Familienhebammen

Das Bundeskinderschutzgesetz wurde kürzlich im Bundestag verabschiedet.

In trockenen Tüchern sind die Hilfen jedoch noch nicht. Denn die nachhaltige Finanzierung zum Beispiel von Familienhebammen ist nicht gesichert.

Vor dem Land - gericht Bremen:

Prozessauftakt ge- gen den drogenab- hängigen Ziehvater

des zweijährigen Kevin, der im Okto-

ber 2006 tot im Kühlschrank gefun- den wurde.

Foto: dapd

P O L I T I K

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18. November 2011 leicht durch einen Wohnungswech-

sel der Kontaktaufnahme und damit der Kontrolle entziehen können.

Einschlägig Vorbestrafte wer- den von Tätigkeiten in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe ausge- schlossen. Darum müssen alle haupt- amtlichen Mitarbeiter der Einrich- tungen künftig ein erweitertes Füh - rungszeugnis vorlegen. Ehrenamtli- che vereinbaren mit den Trägern, für welche Tätigkeiten dies nötig ist.

Der Hausbesuch eines Jugend- amtsmitarbeiters soll zur Pflicht werden, wenn er nach fachlicher Einschätzung erforderlich ist und der Schutz des Kindes dadurch nicht gefährdet ist.

Die Träger der öffentlichen Ju- gendhilfe müssen sich verpflichten, Qualitätsstandards zu entwickeln, um die Rechte von Kindern und Jugend- lichen in Einrichtungen zu sichern und sie vor Gewalt zu schützen. Von solchen Qualitätsstandards wird in der freien Jugendhilfe künftig die Fi- nanzierung abhängig gemacht.

„Das Bundeskinderschutzgesetz ist ein gelungenes Gesetz“, bekräf-

tigte die jugendpolitische Spreche- rin der CDU/CSU-Fraktion, Doro- thee Bär, bei der Debatte im Bun- destag. Auf Kritikpunkte, die bei der öffentlichen Anhörung im Sep- tember von Experten vorgetragen wurden, habe man reagiert und nachgebessert. Im Übrigen werde man die neuen Regelungen bis 2015 evaluieren. Gelungen sei vor allem die Möglichkeit für Kinderärzte, So- zialpädagogen oder Psychologen, bei Kindeswohlgefährdung die Schwei- gepflicht zu durchbrechen und „wie eine kleine Eingreiftruppe“ sofort handeln zu können. Die Kinderärzte sehen das allerdings anders (siehe Kurzinterview).

Als „gute Grundlage, um Kinder- schutz zu entwickeln“, bezeichnete Diana Golze, Kinder- und Jugendpo- litische Sprecherin der Fraktion Die Linke, den Gesetzentwurf. Sie kriti- sierte jedoch, dass „der ganze Be- reich SGB V komplett außen vor ist“. Eine Regelfinanzierung der Fa- milienhebammen wäre notwendig gewesen. Ein weiteres Modellpro- jekt werde nicht gebraucht, ergänzte

Caren Marks, Sprecherin der Ar- beitsgruppe Familie, Senioren, Frau- en und Jugend der SPD. Die Modell- projekte aus Bayern und Rheinland- Pfalz lieferten ausreichende Infor- mationen. Daniel Bahr (FDP) habe allerdings keine Vorschläge zur Überführung der Familienhebam- men in die Regelversorgung ge- macht, kritisierte sie: „Der Bundes- gesundheitsminister hat sich bisher weggeduckt.“ „Die Familienminis- terin hätte sich darum kümmern müssen, das BMG mit in die Verant- wortung zu nehmen“, sagte Ekin Deligöz, Bündnis 90/Die Grünen.

„Guten Kinderschutz gibt es nicht zum Nulltarif“, betonte Marks wei- ter. Die neuen Regelungen müssten von den Kommunen und freien Trä- gern in den Ländern umgesetzt wer- den. Dafür müsse Geld zur Verfü- gung stehen, und deshalb sollten die Regierungsparteien auf weitere Steuersenkungsvorschläge verzich- ten: „Das schadet den Kommunen und damit auch dem Kinderschutz.“

„Kinderschutz steht und fällt mit der strukturellen und finanziellen Situation der Jugendämter“, fügte Golze hinzu. Die neuen Regelun- gen erforderten mehr und gut ge- schultes Personal. Eine Lücke im Anschluss an die frühen Hilfen sieht die Linken-Abgeordnete auch beim Schutz von älteren Kindern und Jugendlichen vor Misshand- lung. Die Grüne Deligöz vermisst einen Rechtsanspruch auf die Bera- tungsleistungen für Eltern. Zusätz- lich zur Betreuung durch Familien- hebammen hätte sich Marlene Rupp- recht, Kinderbeauftragte der SPD, die Ausdehnung der 26 Hebammen- besuche nach der Geburt von der- zeit acht Wochen auf sechs Monate gewünscht.

Konsens bestand in der Debatte darin, dass ein Bundeskinderschutz- gesetz trotz aller Lücken wichtig sei. Deshalb haben sich die Opposi- tionsparteien enthalten und nicht da- gegen gestimmt. Kristina Schröder erklärte denn auch, sie habe „keiner- lei Verständnis, wenn das Gesetz im Vermittlungsausschuss zerpflückt wird und sich das Inkrafttreten ver- zögert“. Geplant ist die Umsetzung zum 1. Januar 2012.

Petra Bühring Das neue Gesetz soll die

Schweigepflicht von Ärzten bei Verdacht auf Kindeswohl- gefährdung gegenüber dem Jugendamt aufheben. Ein Fortschritt?

Hartmann: Nein. Gegenüber der jetzigen Rechtslage bringt das neue Gesetz für Ärzte keine we- sentliche Änderung. Wir sind schon verpflichtet, bei begrün- detem Verdacht auf Kindes- wohlgefährdung entsprechend zu handeln.

Wir hätten uns gewünscht, dass wir uns mit allen, die Kin- der betreuen, austauschen kön- nen, ohne rechtlich belangt zu werden. Das gilt für Hebam- men, für Erzieherinnen und auch für Ärzte untereinander.

Die Einschaltung des Ju- gendamtes ist nicht unbedingt

ein Garant dafür, dass Kinder in Deutschland nicht mehr miss- handelt werden.

Ist der Einsatz von Familien- hebammen ein großer Fortschritt zum Schutz von Kindern?

Hartmann: Ein Bundeskinder- schutzgesetz soll das Kind schützen. Die Hebammen sind aber in erster Linie ausgerich- tet auf die Mutter. Wir müss- ten vielmehr Familienkinder- krankenschwestern zum Wohl des Kindes einsetzen, denn sie sind wesentlich besser qualifi- ziert. Die Modellversuche zei- gen nicht, dass Familienheb - ammen allein in der Lage sind, die komplexen Probleme der gefährdeten Familien zu lösen. Insbesondere bei Dro-

genabhängigen sind sie über- fordert.

Kritisiert wird, dass das Bun- desgesundheitsministerium sich nicht sonderlich für das Gesetz eingesetzt hat.

Stimmt das?

Es ist unzureichend eingebunden gewesen – die Federführung lag beim Familienministerium. Da die Gesundheitsberufe aber im Rah- men des Gesetzes wesentliche Aufgaben übernehmen müssen, hätten sie besser eingebunden werden müssen. Vor allem der öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) ist nicht angemessen ab- gebildet. In den Fällen, in denen Mitarbeiter des Jugendamtes die Familien aufsuchen, müsste je- mand vom ÖGD mitgehen. Vier Augen sehen mehr als zwei.

3 FRAGEN AN . . .

Dr. med. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte

Foto: BVKJ

P O L I T I K

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