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Archiv "Patientenbezogene Determinanten der prähospitalen Verzögerung beim akuten Myokardinfarkt: Gut funktionierendes Laiensystem" (10.10.2008)

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Academic year: 2022

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 4110. Oktober 2008 705

M E D I Z I N

Gut funktionierendes Laiensystem

Die Autoren beklagen, dass Menschen mit Herzinfarkt zu spät den Rettungsdienst alarmieren, dass sie Sympto- me ignorieren oder verleugnen und von „falscher“ Seite Hilfe ersuchen (Angehörige, Hausarzt). Diese Klage ist ubiquitär, und angesichts der Erfolglosigkeit bisheriger Bemühungen sollten wir überlegen, ob das Problem richtig formuliert ist.

Wir alle nehmen Signale aus unserem Körper war; da- zu gehören Schmerzreize, für die es keine eindeutige Er- klärung gibt. Wir ignorieren diese Reize, versehen sie mit plausiblen Erklärungen, gegebenenfalls behandeln wir mit Hausmitteln oder Selbstmedikation. Vielleicht spre- chen wir mit Partnern oder Freunden, deren Rat uns bei der Bewältigung hilft. In diesem Laiensystem werden die meisten Gesundheitsstörungen erfolgreich behandelt.

Wenn wir das Alter erreichen, in dem die koronare Herzkrankheit häufig wird, haben wir diese Strategien jahrzehntelang erfolgreich eingesetzt, auch bei Brust- schmerzen. Auch ohne (Not-)Arzt sind sie verschwun- den. Was die Autoren beklagen, ist also eine extrem be- grenzte Zahl von Fällen, in denen das eigentlich gut funktionierende Laiensystem durch Fehleinschätzung versagt. Wenn wir die Schwelle zur Inanspruchnahme des professionellen Systems senken wollen, werden wir dies – wenn überhaupt – auch bei den Nicht-Kranken tun; wir sollten uns dies genau überlegen (die Autorin- nen sind mit dem Problem der Somatisierung vertraut).

Die vorhandenen Daten erlauben nicht die Schluss- folgerung, dass durch das Ansprechen von Angehörigen und Hausarzt die Entscheidung verzögert wird. Viel- mehr handelt es sich um „confounding-by-indication“, das heißt Menschen wählen diesen Weg gerade bei Un- sicherheit. Da sie die Alarmierung des Rettungsdienstes scheuen und offenbar durch alle Kampagnen dieser Welt nicht dazu zu bringen sind, wird der Anruf beim Hausarzt die Alarmierung im Ernstfall eher beschleuni-

gen. DOI: 10.3238/arztebl.2008.0705a

Prof. Dr. med. Norbert Donner-Banzhoff, M.H.Sc.

Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin Philipps-Universität Marburg

35032 Marburg

E-Mail: Norbert@med.uni-marburg.de

Schlusswort

Prof. Donner-Banzhoff hat recht: Patienten im akuten Frühstadium eines Myokardinfarktes scheuen die „Alar- mierung des Rettungsdienstes“ und sind „offenbar durch alle Kampagnen dieser Welt nicht dazu zu bringen“, dar-

an etwas zu ändern. Zwar führen die bevölkerungsweiten Kampagnen durchaus zu messbaren Erfolgen, doch sind die Effekte häufig enttäuschend gering und nicht von langer Dauer. Die Vorstellung, dass die betroffenen Pati- enten sich ihrer unmittelbaren Bedrohung durch Wahr- nehmung der Infarkt-Kernsymptome bewusst werden und entsprechende Maßnahmen ergreifen, scheint also zu kurz gegriffen zu sein. Um den Patienten in der akut lebensbedrohlichen Krisensituation angemessen helfen zu können, plädieren wir dafür, den psychologischen Aspekten des Entscheidungsverhaltens, der kognitiven und emotionalen Verarbeitung der aversiven Akut-Sym- ptomatik, mehr Aufmerksamkeit zu widmen (1). Hier führen viele Wege nach Rom. Sicher ist aber, dass dem Hausarzt in einer strukturierten Beratung seiner Hoch- Risikopatienten – lange bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist – eine ganz zentrale Rolle zufällt (Welche Symptome treten auf, wie verhalte ich mich richtig, wie lautet die Rufnummer des Rettungsdienstes, welche ty- pischen Fehler werden gemacht und welche „falschen Gedanken“ werden gedacht?). Dies wäre ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem „shared-decision-making- process“, der ja ganz entscheidend die Patientenzufrie- denheit und damit auch wohl adäquates Risikovermei- dungsverhalten fördert (2).

Der Verdacht, dass mit einer Sensibilisierung der Be- troffenen, Herzangstneurotiker herangezogen werden, mag auf den ersten Blick nahe liegend sein – einer psy- choneurotischen Entwicklung in eine somatoforme Störung liegt aber in der Regel ein für den Patienten un- lösbarer Konflikt in seiner Lebenswirklichkeit und nicht das Wissen über Krankheitssymptome oder ähnliches zugrunde. Entsprechend zeigen Untersuchungen über den Kosten-Nutzen-Effekt von Kampagnen, dass der Nutzen durch eine Zunahme zeitgerechter Krankenhaus- einweisungen von richtig-positiven Koronarpatienten, den Nachteil falsch-positiver Notarzteinsätze deutlich überwiegt (3). DOI: 10.3238/arztebl.2008.0705b

LITERATUR

1. Leslie WS, Urie A, Hooper J and Morrison CE: Delay in calling for help during myocardial infarction: reasons for the delay and subsequent pattern of accessing care. Heart 2000; 84: 137–41.

2. Krones T, Keller H, Sönnichsen A et al.: Absolute cardiovascular disease risk and shared decision making in primary care: a randomized controlled trial. Ann Fam Med 2008; 6: 218–27.

3. Gaspoz JM, Unger PF, Urban Pet al.: Impact of a public campaign on pre-hospital delay in patients reporting chest pain. Heart 1996; 76:

150–5.

Prof. Dr. Karl Heinz Ladwig HelmholtzZentrum München

Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt Institut für Epidemiologie

Ingolstädter Landstraße 1 85764 Neuherberg, Germany E-Mail: ladwig@helmholtz-muenchen.de

Interessenkonflikt

Die Autoren beider Diskussionsbeiträge erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.

zu dem Beitrag

Patientenbezogene Determinanten der prähospitalen Verzögerung beim akuten Myokardinfarkt

von Cornelia Gärtner, Linda Walz, Eva Bauernschmitt, Prof. Dr. Karl-Heinz Ladwig in Heft 15/2008

DISKUSSION

Referenzen

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