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Gustav Schickedanz KG gegen Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main (Ersuchen um Vorabentscheidung, vorgelegt vom Bundesfinanzhof)

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V O M 5. APRIL 1984 1

Gustav Schickedanz KG

gegen Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main (Ersuchen um Vorabentscheidung,

vorgelegt vom Bundesfinanzhof)

„Gemeinsamer Zolltarif — ,Sportschuhe' "

Rechtssache 298/82

Leitsätze

Gemeinsamer Zolltarif— Tarifpositionen — Sportschuhe mit Laitfsohlen aus Kautschuk und Oberteil aus Spinnstoff— Tarifterung in Tarifstelle 64.02 Β

Sportschuhe mit Laufsohlen aus Kaut­

schuk, deren Oberteil ganz aus Spinn­

stoff besteht, mit dem im Bereich des Vorderblattes, der Hinterkappe, der Öseneinfassung sowie des Außen- und Innenristes und als Zierstreifen durch Nähte Lederstücke verbunden sind, die zu etwa 70 % das Spinnstoffgewebe bedecken, wertmäßig gegenüber dem

Spinnstoff vorherrschen und sowohl we- gen ihrer Schutz- und Stützwirkung als auch wegen der besonderen Art der Ver- bindung mit der Brandsohle für die Ver- wendung der Ware als Sportschuhe von wesentlicher Bedeutung sind, sind der Tarifstelle 64.02 Β des Gemeinsamen Zolltarifs zuzuweisen.

In der Rechtssache 298/82

betreffend das dem Gerichtshof nach Artikel 177 EWG-Vertrag vom Bun­

desfinanzhof in dem vor diesem anhängigen Rechtsstreit GUSTAV SCHICKEDANZ KG, Fürth,

gegen OBERFINANZDIREKTION FRANKFURT AM MAIN 1 — Verfahrenssprache: Deutsch.

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vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung und die Gültigkeit der Verordnung Nr. 1074/80 der Kommission vom 29. April 1980 über die Einreihung von Waren in die Tarifstelle 64.02 Β des Gemeinsamen Zolltarifs (ABl. L 113, S. 54) und die Auslegung der Tarifnummer 64.02 des Gemeinsamen Zolltarifs in Verbindung mit der Allgemeinen Tarifierungsvor- schrift 3 zum Schema des Gemeinsamen Zolltarifs — „Sportschuhe"

erläßt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. Koopmans, der Richter A. O'Keeffe und G. Bosco,

Generalanwalt: S. Rozès Kanzler: P. Heim folgendes

URTEIL

Tatbestand

Der Sachverhalt, der Verfahrensablauf und die gemäß Artikel 20 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofes der EWG abgegebenen Erklärungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:

I — Sachverhalt und schriftliches Verfahren

Die Firma Schickedanz führte im Jahr 1981 Sportschuhe aus der Volksrepublik China ein. Sie beantragte bei der Ober- finanzdirektion Frankfurt am Main die Erteilung einer verbindlichen Zolltarif- auskunft über eine als „Turnschuhe" be-

zeichnete Ware. In der am 14. April 1981 erteilten Auskunft wurde die Ware als „Sportschuhe (Trainingsschuhe) mit Laufsohle aus Kautschuk und Oberteil aus Spinnstoff" der Tarifstelle 64.02 B des Gemeinsamen Zolltarifs (GZT) zu- gewiesen, für die ein Zollsatz von 20 % gilt.

Die Firma Schickedanz legte daraufhin Einspruch mit der Begründung ein, die Ware gehöre als „Sportschuhe mit Lauf- sohle aus Kautschuk und Oberteil aus Leder" zur Tarifstelle 64.02 A GZT (Zollsatz 8 %).

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Die Firma Schickedanz argumentierte, das Leder habe insofern eine besondere Bedeutung, als es aus Gründen der Fe- stigkeit und Haltbarkeit besonders weit in den sogenannten Zwickeinschlag hin- eingeführt und dadurch mit der Brand- sohle verbunden sei, während die dar- unter liegende, im Schuhinnenschaft als Futter dienende Spinnstoffschicht kürzer ausgearbeitet sei. Das Verhältnis des Wertes des Lederanteils zum Wert des Spinnstoffanteils betrage 80 zu 20. Die Firma Schickedanz ist deshalb der Mei- nung, nur mit einem Schaft aus Spinn- stoff und ohne den Lederanteil seien die Schuhe für den vorgesehenen Ver- wendungszweck als Sportschuhe nicht brauchbar.

Die Oberfinanzdirektion wies den Ein- spruch als unbegründet zurück, und die Firma Schickedanz griff diese Entschei- dung vor dem Bundesfinanzhof an, der durch Beschluß vom 19. Oktober 1982 das Verfahren ausgesetzt und dem Ge- richtshof gemäß Artikel 177 des Vertra- ges die folgenden Fragen zur Vorabent- scheidung vorgelegt hat:

,,a) Ist die Verordnung (EWG) Nr.

1074/80 der Kommission vom 29.

April 1980 dahin auszulegen, daß sie auch Sportschuhe mit Laufsohlen aus Kautschuk umfaßt, deren Ober- teil ganz aus Spinnstoff besteht, mit dem im Bereich des Vorderblatts, der Hinterkappe, der Öseneinfas- sung sowie des Außen- und Innenri- stes und als Zierstreifen durch Nähte Lederstücke verbunden sind, die zu etwa 70 % das Spinnstoff- gewebe bedecken, wertmäßig ge- genüber dem Spinnstoff vorherr- schen und sowohl wegen ihrer Schutz- und Stützwirkung als auch wegen der besonderen Art der Ver- bindung mit der Brandsohle für die Verwendung der Ware als Sport- schuh von wesentlicher Bedeutung sind?

b) Bei Bejahung der ersten Frage: Ist die Verordnung Nr. 1074/80 gültig?

c) Bei Verneinung der ersten oder der zweiten Frage: Ist die Tarifnummer 64.02 des Gemeinsamen Zolltarifs in Verbindung mit der Allgemeinen Tarifierungsvorschrift 3 dahin auszu- legen, daß Sportschuhe der in der Frage 1 beschriebenen Beschaffen- heit der Tarifstelle 64.02 Β des Ge­

meinsamen Zolltarifs zuzuweisen sind?"

Die Tarifierung der betreffenden Schuhe, die alle eine Laufsohle aus Kaut­

schuk oder Kunststoff haben, hängt also davon ab, ob das Oberteil als aus Kunst- stoff (64.01), aus Leder (64.02 A) oder aus Spinnstoff (64.02 B) bestehend anzu- sehen ist.

Aus den Akten ergibt sich, daß das Oberteil der fraglichen Schuhe aus einem dreitagigen Material (zwei Spinnstoffla- gen umgeben eine Schaumstoffzwischen- schicht) besteht. Mit diesem Material sind durch Nähte unterschiedlich ge- formte Lederstücke verbunden. Diese Stücke erfüllen im Bereich der Vorder- kappe, der Hinterkappe, der Öseneinfas- sung sowie des Außen- und Innenristes eine gewisse Schutz- und Stützfunktion.

Aus Leder besteht auch eine seitlich auf- genähte Zierleiste. Die Gesamtfläche des Schafts aus Spinnstoffgewebe (einschließ- lich Zunge und der mit der Brandsohle verbundenen Teile des Gewebes) beträgt 1 105 qcm, die Gesamtfläche der Leder- anteile 751 qcm, wovon 98 qcm auf den Zierstreifen entfallen. Spinnstoffgewebe und Leder sind durch einen sogenannten Zwickeinschlag mit der Brandsohle ver- bunden.

Die Tarifstellen 64.02 A und Β lauten folgendermaßen:

„64.02 Schuhe mit Laufsohlen aus Leder oder Kunstleder; Schuhe mit Laufsohlen aus Kautschuk oder

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Kunststoff (ausgenommen Schuhe der Tarifnummer 64.01):

A. Schuhe mit Oberteil aus Le- der

B. andere."

In den Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 1074/80 wird unter- schieden zwischen Sportschuhen, bei de- nen „charakterbestimmender Stoff des Oberteils . . . der Spinnstoff [ist], da er diesen Schuhen die für die Ausübung des Sports notwendige Elastizität und Leich- tigkeit verleiht, während die Streifen oder Stücke aus Leder und/oder aus mit Kunststoff überzogenem Spinnstoff lediglich als Zubehör oder Verstärkung anzusehen sind" und solchen, bei denen

„auf dem Oberteil dieser Sportschuhe Streifen oder Stücke aus Leder und/oder aus mit Kunststoff überzogenem Spinn- stoff . . . in solch einer Menge angebracht [sind], daß sie nicht mehr als einfaches Zubehör oder als Verstärkung gelten können, sondern Bestandteil der Schuh- oberteile sind".

Artikel 1 dieser Verordnung lautet:

„Sportschuhe (Trainingsschuhe) mit Pro- fil-Laufsohle aus Kautschuk oder Kunst- stoff und mit Oberteil aus Spinnstoff, auf das in verschiedenen Kombinationen Streifen oder Stücke aus Leder und/oder aus mit Kunststoff überzogenem Spinn- stoff aufgenäht sind, welche einen mehr oder weniger großen Teil der Oberfläche bedecken, gehören im Gemeinsamen Zolltarif zur Tarifstelle 64.02 . . . :

B. andere."

Diese Verordnung wurde verabschiedet, nachdem die Kommission dem Ausschuß für das Schema des Gemeinsamen Zoll- tarifs einen Entwurf vorgelegt hatte, der nach einigen redaktionellen Änderungen mehrheitlich vom Ausschuß angenom- men wurde, wobei allerdings die Ver- treter von zwei Mitgliedstaaten die Auf-

fassung vertreten hatten, die betroffenen Schuhe müßten in die Tarifstelle 64.02 A eingereiht werden.

Die Allgemeinen Tarifierungsvorschrift 3c zum Schema des Gemeinsamen Zoll- tarifs lautet folgendermaßen:

„Ist die Tarifierung nach den Vorschrif- ten 3a oder 3b nicht möglich, so ist die Ware der von den in Betracht kommen- den Tarifnummern im Zolltarifschema zuletzt genannten Tarifnummer zuzu- weisen."

Der Vorlagebeschluß ist am 25. Novem- ber 1982 bei der Kanzlei des Gerichtsho- fes eingegangen.

Gemäß Artikel 20 des Protokolls über die Satzung des Gerichtshofes der EWG haben die Firma Schickedanz, vertreten durch Rechtsanwalt D. Ehle, Köln, und die Kommission der Europäischen Ge- meinschaften, vertreten durch die Mit- glieder ihres Juristischen Dienstes Ch.

Bail und X. Yataganas als Bevollmäch- tigte, schriftliche Erklärungen einge- reicht.

Der Gerichtshof hat auf Bericht des Be- richterstatters nach Anhörung des Gene- ralanwalts die Eröffnung der mündlichen Verhandlung ohne vorherige Beweisauf- nahme angeordnet. Mit Beschluß vom 4. Mai 1983 hat der Gerichtshof die Rechtssache gemäß Artikel 95 §§ 1 und 2 der Verfahrensordnung an die Erste Kammer verwiesen.

I I — Beim G e r i c h t s h o f e i n g e - r e i c h t e E r k l ä r u n g e n

a) Erklärungen der Klägerin im Ausgangs- verfahren

Die Firma Schickedanz erklärt zur ersten Vorlagefrage, die charakteristischen Merkmale der von der Verordnung Nr.

1074/80 erfaßten Sportschuhe seien fol- gende: Oberteil aus Spinnstoff und auf-

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genähte Streifen oder Stücke aus Leder.

Beide Merkmale seien bei den Sport- schuhen der Klägerin jedoch nicht er- füllt.

Die sichtbaren Oberflächenmaterialien der fraglichen Schuhe bestünden nicht aus Spinnstoff, sondern setzten sich aus zwei Materialien zusammen, da der Schuhschaft aus Leder und Spinnstoff gefertigt sei. Die Verordnung Nr.

1074/80 beziehe sich nur auf Schuhober- teile aus Spinnstoff.

Gegen eine Tarifierung nach Maßgabe der Verordnung Nr. 1074/80 spreche weiterhin, daß die bei der Schuhschaft- fertigung verwendeten Lederstücke mit Ausnahme der seitlichen Zierstreifen und der Öseneinfassungen nicht „aufgenäht“

seien. Die für die Schutz- und Stabilitäts- funktion sowie für die Haltbarkeit und Verschleißfestigkeit der Sportschuhe im besonderen Maße maßgeblichen Leder- teile seien im Bereich der Vorder- und Hinterkappe, des Außen- und Innenristes sowie des Zierstreifens mit dem darunter liegenden Spinnstoffgewebe „aufeinan- dergenäht“.

Die Allgemeine Tarifierungsvorschrift 3 des Gemeinsamen Zolltarifs sehe drei verschiedene Tarifierungsstufen vor, nämlich:

— Tarifierung nach der genaueren Wa- renbezeichnung;

— Tarifierung nach dem charakterbe- stimmenden Stoff oder Bestandteil;

— wenn eine Tarifierung nach den bei- den vorgenannten Möglichkeiten nicht möglich ist, nach der im Ge- meinsamen Zolltarif zuletztgenannten Tarifnummer.

Die Verordnung Nr. 1074/80 betreffe al- lein den letzten der zitierten Fälle, so daß die fraglichen Sportschuhe nicht nach Maßgabe dieser Verordnung tari- fiert werden könnten. Bei Sportschuhen,

bei denen das Leder im Oberteil der Sportschuhe flächenmäßig überwiege (70 %) und bei denen das Leder an be- sonders neuralgischen Punkten des Schuh- schafts verarbeitet worden sei (Vorder- und Hinterkappe, Außen- und Innen- rist), sei das Leder nämlich als charakter- bestimmend anzusehen. Darüber hinaus sei auch der Handelswert der verarbeite- ten Materialien als charakterbestimmen- des Kriterium zu berücksichtigen.

In bezug auf die zweite Vorlagefrage ist die Firma Schickedanz der Ansicht, daß die Verordnung Nr. 1074/80 eine inhalts- ändernde Wirkung gegenüber der Allge- meinen Tarifierungsvorschrift 3 habe und daß die Kommission damit die ihr einge- räumte Ermächtigung eindeutig über- schritten habe. Übrigens sei in den Be- gründungserwägungen nicht erläutert, warum es in den Fällen, in denen auf dem Oberteil von Sportschuhen Streifen oder Stücke aus Leder angebracht seien, unmöglich sein solle, den charakterbe- stimmenden Stoff zu bestimmen, da nur selten ein Mengenanteil von 50 zu 50 ge- geben sei. Der Grundsatz der Rechts- sicherheit, der den Gemeinschaftsgesetz- geber verpflichte, klare und eindeutige Bestimmungen zu erlassen (Urteil Rechtssache 169/80, Gondrand, Slg.

1981, 1931), erfordere auch, daß die Be- gründungserwägungen einer gemein- schaftsrechtlichen Vorschrift klar und eindeutig abgefaßt seien. Schließlich sei im Lichte der gefestigten Rechtsprechung zum fundamentalen Gleichbehandlungs- grundsatz festzuhalten, daß Sportschuhe, bei denen an besonders belasteten Stellen Leder verarbeitet worden sei, in gleicher Weise zu Sportzwecken geeignet seien wie Sportschuhe, deren Oberteil 100 % aus Leder gefertigt sei; es handele sich somit um vergleichbare Sachverhalte.

Nach Ansicht der Firma Schickedanz ist die Verordnung Nr. 1074/80 deshalb unwirksam.

(6)

Im Zusammenhang mit der dritten Vor- lagefrage ist die Firma Schickedanz der Ansicht, daß es für die Bestimmung des charakterbestimmenden Stoffs auf die folgenden Kriterien ankomme:

— überwiegendes Oberflächenmaterial des Schuhs,

— Verarbeitungsweise der Materialien,

— Funktion der Materialien,

— Wertanteile der Materialien und

— Verwendungszweck der Ware.

Aus diesen verschiedenen Kriterien er- gebe sich, daß das Leder den Spinnstoff im Hinblick auf die dem Schuh vom Hersteller zugedachte Funktion bzw. den ihm zugedachten Verwendungszweck überwiege. Im besonderen ergebe sich klar aus dem Gutachten des Prüf- und Forschungsinstituts für Schuhherstellung PFI, daß der fragliche Schuh ohne die verarbeiteten Lederteile „nicht mehr dem zugedachten Verwendungszweck" ent- sprechen würde. Somit sei die dritte Vor- lagefrage mit Nein zu beantworten.

b) Erklärung der Kommission

Die Kommission erklärt, trotz des hohen Flächen- und Wertprozentsatzes des Lederanteils der fraglichen Schuhe sprä- chen folgende Argumente für die Ein- reihung der betreffenden Ware in die Tarifstelle 64.02 Β des Gemeinsamen Zolltarifs.

Es handele sich um Schuhe, deren ge­

samter Schaft aus Spinnstoffgewebe be­

stehe, und dieses Material spiele für die Verwendung des Artikels eine vorrangige Rolle, da es diesen Schuhen die für die Ausübung des Sports notwendige Elasti- zität und Leichtigkeit verleihe. Bei dem

— wenngleich zum großen Teil mit Le- der überzogenen — Spinnstoffgewebe handele es sich nicht um ein einfaches Futter oder eine innere Verstärkung, die auf die Einreihung keinen Einfluß hät-

ten, sondern der Spinnstoff umschließe

— und zwar mehrlagig — die gesamte Innen- und Außenfläche des Schuhs.

Selbst wenn sich vertreten ließe, daß die Lederteile als das Oberteil bildende Stoffe anzusehen seien, würden nach Ansicht der Kommission allenfalls ange- sichts der Unmöglichkeit, eindeutig fest- zustellen, welcher Stoff charakterbestim- mend sei, die Allgemeinen Tarifierungs- vorschriften 3c und 5 zur Anwendung kommen.

Zu diesen drei sachlichen Argumenten kämen noch Erwägungen der Praktikabi- lität und Zweckmäßigkeit, da es auf dem Weltmarkt eine Vielzahl von Schuhen der fraglichen Art gebe und die Einrei- hung aller dieser Schuhe in die Tarif- stelle 64.02 Β eine wünschenswerte Ver- einfachung darstellen würde. Es sei im übrigen darauf hinzuweisen, daß bei der Prüfung des Entwurfs des Kapitels 64 des Harmonisierten Systems durch den Nomenklaturausschuß des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens eine neue Vorschrift 4a einst- weilig angenommen worden sei, wonach der Spinnstoff charakterbestimmend für die Ware sei, da aus ihm das gesamte Oberteil bestehe, während das Leder nur einen Teil der Fläche bedecke. Auch wenn diese Vorschrift noch nicht in Kraft sei, so sei doch davon auszugehen, daß sie für die Beurteilung der Art des Oberteils richtunggebend sein dürfte.

Nach ihrem Wortlaut erfasse die Ver- ordnung Nr. 1074/80 die genannten Sportschuhe unabhängig davon, wie groß der Anteil der Lederstücke, die auf den Spinnstoff genäht sind, flächen- oder wertmäßig sei, welche Funktion dieses Leder im Hinblick auf den Verwen- dungszweck des Schuhs habe und in wel- cher Weise Leder und Spinnstoff mit der Brandsohle verbunden seien. Die Ver- ordnung sei auch nicht generell ein- engend dahin gehend auszulegen, daß sie

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solche Sportschuhe nicht erfasse, deren Lederanteil mengen- oder wertmäßig vorherrsche. Es könne hier dahingestellt bleiben, ob in einem Grenzfall die auf- genähten Lederteile in einer Weise cha- rakterbestimmend seien, daß insofern in Anwendung der Allgemeinen Tarifie- rungsvorschrift 3b eine Einreihung in die Tarifstelle 64.02 A vertretbar sei. Dies sei aber nicht schon deshalb der Fall, weil die Lederstücke mehr als 70 % des Spinnstoffgewebes bedeckten oder wert- mäßig gegenüber dem Spinnstoff vor- herrschten. Es komme vielmehr entschei- dend, auch im Hinblick auf die behaup- tete Schutz- und Stützwirkung der Lederstücke, darauf an, welcher Stoff derjenige sei, der den Schuhen die für die Ausübung des Sports erforderliche Elastizität verleihe und damit für den Verwendungszweck ausschlaggebend sei.

Dies sei bei den Sportschuhen des Aus- gangsverfahrens nicht der Lederanteil, sondern der Anteil des Spinnstoffs.

Die Gültigkeit der Verordnung Nr.

1074/80 unterliege nach diesen Ausfüh- rungen keinem Zweifel. Sie beruhe auf der Verordnung Nr. 97/69 des Rates

und sei im Einklang mit den Verfahrens- vorschriften ihres Artikels 3 zustande ge- kommen. Sie diene auch lediglich der Klärung einer Zweifelsfrage im Hinblick auf die Auslegung der Tarifstellen 64.02 A und Β des Gemeinsamen Zoll­

tarifs in Übereinstimmung mit den All- gemeinen Tarifierungsvorschriften, ins- besondere mit Vorschrift 3b.

Nach Auffassung der Kommission be- steht somit kein Anlaß für eine Beant- wortung der dritten Vorlagefrage.

III — Mündliche Verhandlung In der Sitzung vom 14. Juli 1983 haben die Firma Schickedanz, vertreten durch die Rechtsanwälte Schiller und Nehm, Köln, und die Kommission der Eu- ropäischen Gemeinschaften, vertreten durch das Mitglied ihres Juristischen Dienstes Bail als Bevollmächtigten, mündliche Ausführungen gemacht.

Der Generalanwalt hat seine Schlußan- träge in der Sitzung vom 6. Oktober 1983 vorgetragen.

Entscheidungsgründe

1 Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 19. Oktober 1982, beim Ge- richtshof eingegangen am 25. November 1982, gemäß Artikel 177 EWG- Vertrag Fragen nach der Auslegung und der Gültigkeit der Verordnung Nr. 1074/80 der Kommission vom 29. April 1980 über die Einreihung von

Waren in die Tarifstelle 64.02 Β des Gemeinsamen Zolltarifs (ABl. L 113, S. 54) sowie nach der Auslegung der Tarifnummer 64.02 des Gemeinsamen Zolltarifs in Verbindung mit der Allgemeinen Tarifierungsvorschrift 3 zum Schema des Gemeinsamen Zolltarifs („Sportschuhe") zur Vorabentscheidung vorgelegt.

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2 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die Firma Gustav Schickedanz, führte aus der Volksrepublik China Sportschuhe ein, die in dem Antrag auf Er- teilung einer verbindlichen Zolltarifauskunft als „Turnschuhe" bezeichnet wurden.

3 Die Oberfinanzdirektion wies die Ware als „Sportschuhe (Trainingsschuhe) mit Laufsohle aus Kautschuk und Oberteil aus Spinnstoff" der Tarifstelle 64.02 Β zu, für die ein Zollsatz von 20 % gilt.

4 Die Klägerin legte daraufhin Einspruch mit der Begründung ein, die Ware gehöre als „Sportschuhe mit Laufsohle aus Kautschuk und Oberteil aus Le- der" zur Tarifstelle 64.02 A, für die ein Zollsatz von 8 % gilt.

5 Nachdem dieser Einspruch als unbegründet zurückgewiesen worden war, focht die Firma Schickedanz die Entscheidung der Oberfinanzdirektion vor dem Bundesfinanzhof an, der dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

,,a) Ist die Verordnung (EWG) Nr. 1074/80 der Kommission vom 29. April 1980 dahin auszulegen, daß sie auch Sportschuhe mit Lauf sohlen aus Kautschuk umfaßt, deren Oberteil ganz aus Spinnstoff besteht, mit dem im Bereich des Vorderblatts, der Hinterkappe, der Öseneinfassung sowie des Außen- und Innenristes und als Zierstreifen durch Nähte Leder- stücke verbunden sind, die zu etwa 70 % das Spinnstoffgewebe be- decken, wertmäßig gegenüber dem Spinnstoff vorherrschen und sowohl wegen ihrer Schutz- und Stützwirkung als auch wegen der besonderen Art der Verbindung mit der Brandsohle für die Verwendung der Ware als Sportschuh von wesentlicher Bedeutung sind?

b) Bei Bejahung der ersten Frage: Ist die Verordnung Nr. 1074/80 gültig?

c) Bei Verneinung der ersten oder der zweiten Frage: Ist die Tarifnummer 64.02 des Gemeinsamen Zolltarifs in Verbindung mit der Allgemeinen Tarifierungsvorschrift 3 dahin auszulegen, daß Sportschuhe der in der Frage 1 beschriebenen Beschaffenheit der Tarifstelle 64.02 Β des Ge­

meinsamen Zolltarifs zuzuweisen sind?"

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6 Aus den Akten ergibt sich, daß die streitigen Schuhe Laufsohlen aus Kaut- schuk haben und daß ihr Oberteil aus einem dreilagigen Material besteht, wobei zwei Spinnstofflagen eine Schaumstoffzwischenschicht umgeben. Die Lederstücke, auf die sich das vorlegende Gericht bezieht, sind damit im Bereich der Vorderkappe, der Hinterkappe, der Öseneinfassung sowie des Außen- und Innenristes durch Nähte verbunden. Sie bedecken etwa 70 % des Spinnstoffgewebes. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts herrschen diese Stücke wertmäßig gegenüber dem Spinnstoffanteil vor und sind sowohl wegen ihrer Schutz- und Stützwirkung als auch wegen der besonderen Art der Verbindung mit der Brandsohle für die Verwendung der Ware als Sport- schuh von wesentlicher Bedeutung.

7 Die Tarif nummer 64.02 lautet folgendermaßen:

„64.02 Schuhe mit Laufsohlen aus Leder oder Kunstleder; Schuhe mit Lauf- sohlen aus Kautschuk oder Kunststoff (ausgenommen Schuhe der Tarifnummer 64.01):

A. Schuhe mit Oberteil aus Leder B. andere."

8 Für die Tarifierung der betreffenden Schuhe in die Tarifstelle A oder Β wird also auf das Material des Oberteils abgestellt.

9 Die Erläuterungen zum Gemeinsamen Zolltarif enthalten folgende Präzisie- rung:

„Bisweilen bestehen die Oberteile aus einer Verbindung von Leder und an- deren Stoffen. In diesem Fall sind die Allgemeinen Tarifierungsvorschriften 3 und 5 anzuwenden, wobei die Innenteile, wie Futter und innere Verstärkun- gen, auf die Tarifierung keinen Einfluß haben."

10 Die Allgemeine Tarifierungsvorschrift 3 bestimmt:

„Kommen für die Tarifierung von Waren . . . zwei oder mehr Tarifnummern in Betracht, so ist wie folgt zu verfahren:

a) . . .

(10)

b) Gemische (Mischungen), Waren, die aus verschiedenen Stoffen oder Be- standteilen bestehen, und Warenzusammenstellungen, die nach der Vor- schrift 3 a nicht tarifiert werden können, werden nach dem charakterbe- stimmenden Stoff oder Bestandteil tarifiert, wenn dieser Stoff oder Be- standteil ermittelt werden kann."

1 1 Nach der Allgemeinen Tarifierungsvorschrift 5 gelten die Allgemeinen Tari- fierungsvorschriften sinngemäß auch zur Bestimmung der Tarifstellen inner- halb einer Tarifnummer.

12 Besteht bei einem Schuh die äußere Schicht des Oberteils vollständig aus Spinnstoffgewebe, mit dem an verschiedenen Stellen Lederstücke verbunden sind, und bedecken diese Lederstücke nur etwa 70 % des Spinnstoffgewebes, so daß die äußere Schicht im übrigen offenliegt, so ist nach Auffassung des Gerichtshofes das Spinnstoffgewebe für das Oberteil charakterbestimmend.

Der höhere Eigenwert der Lederstücke im Vergleich zu dem Spinnstoff- gewebe erlaubt nicht die Feststellung, daß das Leder für das Oberteil charakterbestimmend ist.

1 3 Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, die Lederstücke seien sowohl wegen ihrer Schutz- und Stützwirkung als auch wegen der besonderen Art der Ver- bindung mit der Brandsohle für die Verwendung der Schuhe als Sportschuhe von wesentlicher Bedeutung. Hierzu ist zu bemerken, daß die streitige Ware, auch wenn die Lederstücke eine Bedeutung für die Verwendung der Schuhe haben, nach dem charakterbestimmenden Stoff des Oberteils und nicht nach dem ihr zugedachten Verwendungszweck tarifiert werden muß.

1 4 Sonach ist die dritte Vorlagefrage dahin gehend zu beantworten, daß eine Ware mit der vom nationalen Gericht beschriebenen Beschaffenheit der Tarifstelle 64.02 Β zuzuweisen ist.

15 Im Hinblick auf die Beantwortung der dritten Vorlagefrage sind die beiden ersten Fragen gegenstandslos.

1838

(11)

K o s t e n

16 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig; für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechts- streit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Aus diesen Gründen hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluß vom 19. Oktober 1982 vor- gelegten Fragen für Recht erkannt:

Sportschuhe mit Laufsohlen aus Kautschuk, deren Oberteil ganz aus Spinnstoff besteht, mit dem im Bereich des Vorderblatts, der Hinter- kappe, der Öseneinfassung sowie des Außen- und Innenristes und als Zierstreifen durch Nähte Lederstücke verbunden sind, die zu etwa 70 % das Spinnstoffgewebe bedecken, wertmäßig gegenüber dem Spinnstoff vorherrschen und sowohl wegen ihrer Schutz- und Stützwirkung als auch wegen der besonderen Art der Verbindung mit der Brandsohle für die Verwendung der Ware als Sportschuhe von wesentlicher Bedeutung sind, sind der Tarifstelle 64.02 Β des Gemeinsamen Zolltarifs zuzuweisen.

Koopmans O'Keeffe Bosco

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 5. April 1984.

Für den Kanzler

J. A. Pompe

Hilfskanzler

Der Präsident der Ersten Kammer T. Koopmans

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