Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
INDIEN
DR. LARS PETER SCHMIDT DR. MALTE GAIER
9. Dezember 2013 www.kas.de/indien
L Ä N D E R B E R I C H T
Regionalwahlen in Delhi und weiteren Bundesstaaten
WEGWEISER FÜR DIE PARLAMENTSWAHL 2014?
In Delhi, welches als National Capitol Ter- ritory of India laut indischer Verfassung einen Sonderverwaltungsstatus als Uni- onsterritorium einnimmt, waren am 4.
Dezember rund 12 Millionen Bürger, da- runter ca. 450.000 Erstwähler, zur Wahl der Kandidaten für die 70 Parlamentssitze aufgerufen. Mit deutlichem Stimmenge- winn (31 Sitze) konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) erstmals - nach drei Wahlen und 15 Jahren ununterbrochener Regierung durch die Chief Ministerin Sheila Diskhit des Indian National Con- gress (INC) - eine Zäsur einleiten.
Die Chief Ministerin reichte noch am Sonn- tagvormittag vor Abschluss der Stimmen- auszählung ihren Rücktritt ein, nachdem die Kongresspartei mit nur acht Sitzen ihr bis- lang schlechtestes Ergebnis einfuhr.
1Die BJP wird damit voraussichtlich in den nächs- ten Wochen mit ihrem Spitzenkandidaten Harsh Vardhan den neuen Chief Minister von Delhi stellen. Der 58-jährige Mediziner Vardhan war bereits Gesundheits-, Justiz- und Bildungsminister von Delhi im BJP- geführten Kabinett von 1993 bis 1998. Sein Eintritt in die BJP erfolgte über seine frühe Mitgliedschaft im hindu-nationalistischen Verband RSS („Rashtriya Swayamsevak Sangh), welcher noch immer ein ungebro- chen großes Mitspracherecht in Entschei- dungsfragen innerhalb der BJP hat. Die ei- gentliche Überraschung der Delhi-Wahlen ist jedoch das mit 28 Sitzen starke Abschnei-
1
http://timesofindia.indiatimes.com/india/Assembly-
elections-2013-Its-advantage-Narendra-Modi-as-Rahul- Gandhi-flops-yet-again/articleshow/27099931.cms.
den der erst 2012 gegründeten Aam Aadmi Party („Partei des einfachen Mannes“, AAP) unter ihrer Gallionsfigur Arvind Kejriwal, ei- nem prominenten Sozialarbeiter, ehemali- gen Abteilungsleiter der indischen Steuer- behörde und früheren politischen Wegge- fährten des Protestführers Anna Hazare.
Dieser formulierte öffentlichkeitswirksam mit seinen zivilgesellschaftlichen Massen- demonstrationen die Idee einer „Non- Establishment“- und Antikorruptionsbewe- gung wie kein zweiter. Jedoch war es Kejri- wal, der die sozialen Proteste des Jahres 2011 in Form einer Partei – der AAP, welche als Symbol bezeichnenderweise einen Besen wählte – erfolgreich politisch transformierte.
Über die Korruptions- und Armutsbekämp- fung hinaus spricht sich Kejriwal im Kern für die machtpolitische Emanzipation des Vol- kes beginnend auf Graswurzelebene nach dem Vorbild von Mahatma Gandhis Konzept von „Selbstherrschaft“ und Selbstbestim- mungsrecht des einfachen Volkes (Swaraj).
Erstmals verlängerte die Wahlkommission die Möglichkeit der Stimmabgabe bis in den späten Abend. Bis zur Schließung der Wahl- lokale zeichnete sich eine Wahlbeteiligung von rund 67 Prozent ab, ein Ergebnis, das weit über der historischen „Wahl des Vol- kes“ in Delhi 1993 (61,75 Prozent) liegt.
Einen Rekord stellt zudem die von der NRO Janaagraha ermittelte Zahl der „Phantom- wähler“ auf: Laut Untersuchungsergebnis- sen der NRO seien gut 20 Prozent aller re- gistrierten Wähler in Delhi entweder ver- storben, verzogen oder nicht auffindbar.
Wie zu erwarten, hatten die um die Regie-
rungsmehrheit in Delhi konkurrierenden
Parteien die jüngsten drastischen Preisstei-
2
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
INDIEN
DR. LARS PETER SCHMIDT DR. MALTE GAIER
9. Dezember 2013 www.kas.de/indien
gerungen von Lebensmitteln sowie das Dauerproblem der anhaltenden Energiekrise in den Mittelpunkt ihrer Wahlkampfkampag- nen gestellt. So forderte etwa die BJP in ih- rem Manifest die Reduzierung der Energie- preise um 30 Prozent und einen Ausbau des Stromnetzes. Zudem hatten mehrere Par- teien die Zusprechung des vollen Bundes- staat-Status für Delhi, zu dem auch die Hauptstadt Neu-Delhi zählt, gefordert. Das Thema Sicherheit für Frauen in der Öffent- lichkeit fand dagegen zwar eine klare Reso- nanz im Wahlkampf, dennoch fiel diese weit geringer aus, als allgemein erwartet worden war.
Besonders die AAP konnte mit dem Thema Korruption und ihrem selbsterklärten Kampf gegen die bestehenden Verhältnisse beim Wähler punkten. Im Vorfeld der Wahlen hatten Medien Statistiken über anhängige Verfahren gegen Wahlkandidaten in Delhi veröffentlicht. Demnach laufen gegen 46 Prozent der Kandidaten der BJP, gegen 21 Prozent der INC-Kandidaten und gegen sie- ben Prozent der AAP Ermittlungen. Als AAP- Führer hatte Kejriwal im Vorfeld erklärt, dass seine Partei nicht mit BJP oder INC ko- alieren werde. Diese Festlegung könnte für die AAP in den kommenden Tagen, wenn es um die Aufstellung einer neuen Regie- rungsmehrheit geht, verhängnisvoll sein und der Partei maximal eine machtvolle Op- positionsrolle im Parlament von Delhi ver- schaffen.
Die Möglichkeit von Neuwahlen, die im Falle einer Pattsituation zwischen INC, BJP und AAP diskutiert worden war, wird angesichts des dramatischen Stimmverlusts für den INC nun unwahrscheinlicher. Wichtig könnte die Koalitionswilligkeit der Abgeordneten von Kleinparteien sowie unhabhängiger Kandidaten sein. Trotz ihrer insgesamt nur drei errungenen Parlamentssitze, könnten sie sowohl der BJP als auch der AAP eine Mehrheit in Aussicht stellen.
22