Skript
„Stereotypien und Zwangsverhalten beim Hund“
von Ralph Brandt
Inhalt
Abnormal-repetitives Verhalten (ARV)...2
ARV beim Hund, typische Beispiele...2
Definitionen...3
Ätiologie...3
Pathophysiologie...4
Diagnose...5
Verhaltenstherapie...5
Zusätzliche Therapien...5
Abnormal-repetitives Verhalten (ARV)
Abnormal-repetitive Verhalten (ARV) umfassen verschiedene Verhaltensstörungen, deren auffälligstes Merkmal die abnormal häufige Wiederholung von Verhaltensweisen ist.
ARV umfassen Verhaltensweisen, die unangemessen wiederholt auftreten und invariabel im Ablauf und/oder in ihrer Orientierung sind.
ARV erscheinen funktionslos und sind oft sonderbar in ihrer Erscheinung Auch obsessive-compulsive-disorders (OCD) oder compulsive-disorders (CD)
ARV beim Hund, typische Beispiele
Aggressive ARV:
– Angreifen des Futternapfes
– Angreifen von imaginären Objekten od. Feinden – Autoaggression
Halluzinatorische ARV:
– Aufschrecken – Schatten anstarren Vokalisierende ARV:
– Anhaltendes Jaulen – Rhythmisches Bellen Lokomotorische ARV:
– Auf- und Ablaufen – Erstarren
– Kreiseln
– Lichtreflexe jagen – Rute jagen
Orale ARV:
– An Gliedmaßen kauen – Flanke saugen
– Objekte ablecken oder ankauen – Pica (ungenießbares Fressen) – Polydipsie (übermäßiges Trinken) – Polyphagie (übermäßiges Fressen) – sich selbst Lecken (Leckdermatitis)
Definitionen
Abnormal-Repetitives-Verhalten (ARV), auch abnormal-repetitive-behaviour (ARB) als Überbegriff von Zwangsverhalten (compulsive behaviours) und Stereotypie , auch Stereotype
Bewegungsstörungen oder stereotype motorische Störung
Unterscheidung von ARV in Stereotypien und Zwangsverhalten (impulsive / compulsive
behaviours) sinnvoll, da unterschiedliche kausale Prozesse und unterschiedliche Beeinträchtigungen im ZNS zugrunde liegen.
Stereotypien sind definiert als repetitive, unveränderliche Verhaltensmuster ohne erkennbare Funktion und zeichnen sich demnach durch Invarianz im Verhaltensablauf aus.
Zwangsstörungen sind übertrieben wiederholte, zielgerichtete und beabsichtigte Verhaltensweisen, die zwar ritualisiert ausgeführt werden, in der Ausführung des Verhaltens (z. B. der
Geschwindigkeit) aber variieren können.
Stereotypien beinhalten „das abnormale Wiederholen bestimmter motorischer Reaktionen“.
Zwangsverhalten beinhalten „das abnormale Wiederholen bestimmter Verhaltensziele“.
Ätiologie
In der Humanpsychiatrie werden bei Zwangsstörungen neurologische, psychologische und lerntheoretische Faktoren diskutiert => multifaktorielle Genese.
Zwangsverhalten tritt hauptsächlich bei zwangsgestörten Patienten, auch in Zusammenhang mit Trichotillomanie,Tourette-Syndrom und anderen psychischen Störungen auf.
Stereotypien sind u. a. als Symptome bei Menschen mit Schizophrenie und Autismus sowie im Zusammenhang mit verschiedenen Formen geistiger Zurückgebliebenheit zu finden.
Bei Tieren entstehen Stereotypien hauptsächlich unter reizarmen, restriktiven Haltungsbedingungen, die die Ausübung von hochmotivierten Verhaltensweisen wiederholt oder permanent verhindern.
Tiere, mit einer hohen Motivation für ein instinktives Verhalten, welches ihnen aber nicht ermöglicht wird (z. B. Nahrungssuche), zeigen auf der Suche nach Auslösenden Reizen meist Intentions- oder Appetenzverhalten. Fehlen solche auslösenden Reize permanent, wird das Verhalten auf Ersatzobjekte umgerichtet oder als Vakuumaktivität geäußert.
Tiere mit großen Territoriumsansprüchen, wozu auch der Hund zählt, neigen bei eingeschränktem Platzangebot häufiger zu Stereotypien als solche mit geringen Raumansprüchen.
ARV entstehen z.B. aus:
– Ersatzhandlungen für hochmotiviertes Verhalten – Chronischer Frustration
– anhaltend hohen Erregungslagen durch dauerhafte Stressoren, Ängste, Konfliktsituationen Das kann dazu führen, dass das gezeigte Verhalten in der Frequenz, Dauer und Gleichförmigkeit zunimmt und sich mit der Zeit zu stereotypem Verhalten weiterentwickelt
Mit der Zeit kann das Auftreten des stereotypen Verhaltens zunehmend unabhängig von den ursprünglich auslösenden Bedingungen werden (Emanzipation)
Hauptursachen der ARV:
– Deprivation
– Rassedispositionen (Flankenlecken bei Dobermännern, Anstarren von Schatten oder Lichtreflexen bei Border Collies)
– Infektionskrankheiten Borreliose oder Ehrlichiose, Staupe, Tetanus, Aujeszky-Krankheit, Tollwut
– Dauerbefall mit Ektoparasiten (selbstverletzendes Verhalten durch Lecken) – beeinträchtigte Blutzirkulation in Extremitäten (Kribbeln)
– Neurologischen Erkrankungen wie Epilepsie, Neoplasien des zentralen Nervensystems, zerebellare (das Kleinhirn betreffende) Dysfunktion oder Nervenentzündungen (Neuritiden).
– Angeborene sensorische Neuropathie(herabgesetztes Schmerzempfinden) – (English Pointer, Deutsch Kurzhaar, Dackel)
– Schwanzjagen als Folge von Bandscheibenerkrankungen, physikalischem Trauma oder Operationen
– Schwanzjagen, -beißen oder Automutilation im Schwanz- und Perinealbereich sowie am Penis und den Hintergliedmaßen als Folge von Cauda-Equina-Kompression oder
Sakralmarksensibilitätsstörungen
Pathophysiologie
Gerade bei jungen Tieren kann durch suboptimale Umweltbedingungen oder fehlende Sozialisation die Gehirnentwicklung beeinträchtigt werden, was zu irreversiblen Veränderungen des ZNS führen kann.
Stereotypien: Veränderungen im Dopaminstoffwechsel
(Überproduktion von Dopamin, Fehlfunktionen im Rückkopplungsmechanismus oder Veränderungen in der Dichte bzw. in der Sensitivität von Dopamin-Rezeptoren) Zwangsstörungen:Veränderungen des Serotoninstoffwechsels
Stereotypien: Störungen im Bereich der Basalganglien
Zwangsstörungen: Beeinträchtigungen des präfrontalen Kortex
Beide Gehirnareale sind für bestimmte Aspekte der Verhaltenssteuerung zuständig:
Basalganglien u.a. motorische Reaktionen
Präfrontaler Kortex verarbeitet Verhaltensplanungen, die Auswahl der Verhaltensweisen, Verhaltenskorrekturen
Diagnose
Unterscheidung in
– pathologisches Verhalten (krankhaft)
=>biologische Funktionen (z. B. Nahrungsaufnahme) beeinträchtigt, das Wohlbefinden eingeschränkt (z.B. Leiden) oder körperliche Schäden (z. B. Entzündungen)
– nicht-pathologisches Verhalten (Marotte, Macke) Schweregrade:
– Grad 1 Hund beginnt das Verhalten und hört auch selbstständig wieder auf.
– Grad 2 Hund beendet das Verhalten nur noch durch Einschreiten, z. B. Abrufen oder Ablenken
– Grad 3 Hund beendet da Verhalten nicht mehr oder nur durch massives Unterbinden, z. B.
Festhalten
Verhaltenstherapie
– Haltungsbedingungen verändern (Enrichment, Platzangebot)
– Anti-Stress-Programm (Bewegung z.B. Reizangeltraining, Apportieren) – Sozialkontakt zu Artgenossen
– Hund-Halter-Beziehung verbessern (Führung, Respekt, Orientierung, Kommunikation) – Rituale etablieren (Vorhersehbarkeit => Sicherheit => Stressreduktion)
– Typische Stress-Situationen identifizieren, habituieren, Alternativverhalten – Konsequenter Abbruch des ARV, Alternativverhalten
Zusätzliche Therapien
– Medikamente zur Regulierung des Serotonin- bzw. Dopaminstoffwechsels => TA – Ernährungsumstellung (z.B. L-Tryptophan, Vorstufe von Serotonin)