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Rezensionen Deutschland, im zweiten Weltkrieg. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von Wolfgang Schumann und Gerhart Hass. Akademie der Wissenschaften der D D R , Zentralinstitut f ü r Geschichte in Zusammenarbeit mit dem Militärgeschichtlichen In- stitut der D D R . Berlin: Akademie-Verlag.

Bd 1: Vorbereitung, Entfesselung und Verlauf des Krieges bis zum 22. Juni 1941.

Leitung: Gerhart Hass. 1974. 644 S.

Bd 2: V o m Überfall auf die Sowjetunion bis zur sowjetischen Gegenoffensive bei Stalingrad (Juni 1941 bis November 1942). Leitung: Karl Drechsler. 31983.

616 S.

Bd 3: D e r grundlegende Umschwung im Kriegsverlauf (November 1942 bis Septem- ber 1943). Leitung: W o l f g a n g Schumann. 21982. 670 S.

Bd 4: Das Scheitern der faschistischen Defensivstrategie an der deutsch-sowjetischen Front (August bis Ende 1943). Leitung: W o l f g a n g Schumann. 21984. 617 S.

Bd 5: D e r Zusammenbruch der Defensivstrategie des Hitlerfaschismus an allen Fronten (Januar bis August 1944). Leitung: W o l f g a n g Schumann. 21986. 702 S.

Bd 6: Die Zerschlagung des Hitlerfaschismus und die Befreiung des deutschen Vol- kes (Juni 1944 bis zum 8. Mai 1945). Leitung: W o l f g a n g Schumann und Olaf Groehler. 1985. 823 S.

Eine gemeinsame nationale Vergangenheit in kontroverser Deutung — auch mit diesem Faktum deutscher Zweistaatlichkeit müssen wir Historiker uns als ständige H e r a u s f o r d e - r u n g an unser eigenes Selbstverständnis auseinandersetzen. Dabei wird offenbar die deutsch-deutsche Verständigung schwieriger, je mehr wir uns der Zeitgeschichte und hier insbesondere dem Dritten Reich und dem Zweiten Weltkrieg nähern. Gibt es hier über- haupt noch eine tragfähige Brücke des fruchtbaren fachlichen Dialogs? D e r Zufall oder vielleicht auch die inzwischen erreichte zeitliche Distanz haben es gefügt, daß renommierte historische Institutionen in West und Ost — hier die persönlich f ü r ihre Beiträge verantwort- lich zeichnenden Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Freiburg, dort ein Autorenkollektiv unter Federführung des Zentralinstituts f ü r Geschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R , Wissenschaftsbereich Deutsche Geschichte 1917—1945, un- ter Mitarbeit des Militärgeschichtlichen Instituts der D D R und des Instituts f ü r Marxismus- Leninismus beim Z K der SED, Abteilung Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung von den Anfängen 1945 — etwa parallel zwei gewichtige Gesamtdarstellungen zum Zweiten Weltkrieg vorlegen. Sie vermitteln jede f ü r sich und in sehr unterschiedlicher Form so etwas wie eine umfassende Zwischenbilanz westlicher und östlicher Forschung: das auf zehn Bän- de angelegte, aber erst bis Band 5/1 erschienene W e r k »Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg« aus Freiburg und die seit 1985 vollständig vorliegende und gleichsam D D R - offizielle Darstellung »Deutschland im Zweiten Weltkrieg«.

Soweit es überhaupt der beschränkte Rahmen einer Rezension zuläßt, erscheint es reizvoll, hier einmal aus D D R - S i c h t den gegenwärtigen Stand des deutsch-deutschen Dialogs über den Zweiten Weltkrieg, seine Ursachen, seinen Verlauf und seine Folgen vergleichend zu bilanzieren und besonders markante Konfliktpunkte unterschiedlicher D e u t u n g herauszu- stellen.

Dabei springt zunächst eine konzeptionelle Gemeinsamkeit ins Auge: In beiden V e r ö f f e n t - lichungen wird moderne Militär- und Kriegsgeschichte als eine Geschichte der Gesellschaft im Kriege verstanden; als integraler Bestandteil der allgemeinen Geschichte, untrennbar verwoben in die Aspektvielfalt von Wirtschaftsplanung, Rüstungsabläufen u n d Kriegsfinan- zierung, von Innen- und Außenpolitik, von Sozialentwicklung, Herrschafts- und M a c h t - strukturen, von Massenpsychologie, Propaganda, Ideologie, Alltagsgeschichte und Stim- mungsbildern, von Besatzungspolitik, NS-Verbrechen, Ausplünderung und Widerstands- kampf. Z w a r steht Europa im Mittelpunkt der Darstellung, aber der fernöstliche Kriegs- schauplatz wird doch mehrfach eingeblendet.

W o allerdings die bisher veröffentlichten fünf Freiburger Bände nach westlich-pluralisti- schem Wissenschaftsverständnis gerade aus den sehr unterschiedlichen geistigen Profilen ihrer Mitarbeiter und aus o f t tiefgreifenden Kontroversen in den jeweiligen »Autoren- 163 M G M 1 / 8 9 teams« ihre anregende und nicht selten provozierende innere Spannung schöpfen, erscheint

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in den DDR-Bänden doch alles mehr oder weniger orthodox und gleichförmig über den von Lenin und Dimitroff vorgegebenen sowjetmarxistischen Leisten verbindlicher Imperia- lismus- und Faschismustheorie geschlagen. Die rote Brille in Moskau ist für alles richtung- weisend. Sieht man aber einmal von diesem offenbar unvermeidlichen ideologischen Inter- pretationskorsett ab, so verbirgt sich dahinter eine Fülle recht solide recherchierter und fun- dierter Fakten und Informationen, die einer Quellenkritik standhalten, sich mit den Befun- den der sogenannten »bürgerlichen« Weltkriegsforschung weitgehend decken bzw. sie sinnvoll ergänzen und dem sechsbändigen Werk deshalb auch bei uns Aufmerksamkeit si- chern sollte.

Dies gilt zunächst einmal für die in aller Ausführlichkeit beschriebenen militärischen Abläu- fe vor allem an der Ostfront, die naturgemäß und auch mit gutem Grund im Mittelpunkt stehen, aber auch für die anderen Kriegsschauplätze in Nord-, Südost- und Osteuropa, im Westen, in Nordafrika und — mehr kursorisch — im Pazifik. Detailliert und mit Kartenma- terial veranschaulicht werden Strategie und Taktik der jeweiligen militärischen Kontrahen- ten, operative Planung und Durchführung von Feldzügen an allen Frontabschnitten sowie Entscheidungshandeln der Militärs oft bis auf Divisionsebene hinunter nachgezeichnet und aus gegensätzlichen Perspektiven miteinander verglichen. Neben dem Landkrieg nehmen Luft- und Seekriegführung einen umfangreichen Raum ein. Rüstungskapazitäten und -aus- stoß werden im Zusammenhang gesehen mit der Rohstofflage, der Infrastruktur des Nach- schubs und dem Arbeitskräftereservoir, mit den Verlusten und dem operativen Bedarf, aber auch mit dem jeweiligen Stand der wissenschaftlich-technologischen Forschung und Rü- stungsentwicklung sowie den einzelnen Waffensystemen und Typen und ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit, ihrer Qualität und Quantität zu Lande, zu Wasser und in der Luft.

Das menschenverachtende Terrorsystem des Nationalsozialismus im Inland und in den ok- kupierten Gebieten, Konzentrations- und Vernichtungslager, die oft uferlosen Kriegsziele, die grausame Ausbeutung von KZ-Insassen, Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern und die wirtschaftliche Ausplünderung der besetzten Räume im Zusammenspiel von Wehr- macht, Privatwirtschaft, staatlichen Behörden, Partei, SS und Sicherheitsdienst und der da- durch ausgelöste unvorstellbare Leidensdruck für die Betroffenen erhalten ebenso die ihnen gebührende breite Aufmerksamkeit wie die vielen individuellen und kollektiven Formen des Widerstands in Deutschland, wie die Resistance und die gewaltsame Auflehnung gegen die Besatzungsherrschaft in Nord- und Westeuropa oder der Partisanenkampf in Ost- und Südosteuropa. Dabei wird freilich mit bald ermüdender Gleichförmigkeit der Argumente nichts unversucht gelassen, die überall führende Rolle der Kommunisten im antifaschisti- schen Widerstand mit Übertreibung hervorzukehren und demgegenüber in der schon aus den dreißiger Jahren hinlänglich bekannten haßerfüllten Parteilichkeit die Sozialdemokra- ten und hier insbesondere ihre in der Emigration weilenden Führungskräfte, Männer also wie Ollenhauer, Heine, Vogel oder Brauer, als Verräter an der antifaschistischen Einheits- front zu denunzieren; sei es ihnen doch letztendlich wie schon einmal 1918/19 nur um die Rettung der eigenen Haut und der bürgerlich-imperialistischen Machtstrukturen in Deutschland aus der Konkursmasse des NS-Regimes gegangen.

Facettenreich und anschaulich wird der deutsche Alltag im Kriege, werden Stimmung und Haltung der Bevölkerung in den verschiedenen Schichten und Altersstufen unter den Bela- stungen der Bombenangriffe und der Kriegszwangswirtschaft aus den SD-Lagemeldungen, aus allgemeinen Stimmungsberichten von kommunalen und Regierungsbehörden, von Poli- zei· und Parteidienststellen sowie aus Feldpostbriefen rekonstruiert. Überzeugend werden die systemimmanenten Grenzen für die Erfassung und Mobilisierung der deutschen Bevöl- kerung und hier vor allem der deutschen Frauen und Mädchen zum totalen Kriegseinsatz aufgezeigt. Es war die Angst Hitlers und der Parteiführung vor einem drohenden rapiden Stimmungsabfall an der »Heimatfront« und einem neuen »November 1918«, wenn man die Schraube der Zwangsverpflichtung und der allgemeinen Entbehrungen überdrehen sollte.

Dabei führten eine 60- bis 72-Stunden-Woche, Mangelernährung, ungenügende Beklei-

dung, ausgebombte Wohnungen, Sorgen um die Angehörigen an der Front, allgemeine

Apathie und Mutlosigkeit, wie eindringlich aus den Quellen aufgezeigt wird, die Arbeiter

immer mehr an die Grenzen ihrer Leistungskraft, lange bevor der Krieg beendet war. Den-

noch nahm sich ihr Schicksal geradezu als Privilegien aus, sobald man es mit dem der aus-

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ländischen Sklavenarbeiter nebenan an der Werkbank oder in der Kohlengrube verglich.

Auch die ganze Verlogenheit der Volksgemeinschaftsideologie wird wieder evident, wenn man sie mit der bevorzugten Stellung konfrontiert, die viele Angehörige der braunen Machteliten mit ihren Ehefrauen, aber auch Kreise des gehobenen Bürgertums über Krieg und Niederlage hinweg retten konnten. Mit diesen wenigen Hinweisen auf eine Alltagsge- schichte des Zweiten Weltkrieges sei nur angedeutet, daß es auch bei diesem durchaus aktu- ellen Themenfeld zahlreiche Berührungspunkte — nehmen wir etwa das Buch von M. G.

Steinert über »Hitlers Krieg und die Deutschen«

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— zwischen unserer westlichen und der östlichen Forschung gibt.

Eine Brücke läßt sich auch schlagen von L. Herbsts grundlegendem und im übrigen auch zi- tierten Buch »Der totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft«

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hin zu den im 5. Band re- lativ eingehend behandelten Nachkriegsplanungen der führenden Wirtschaftskreise ab En- de 1943/Anfang 1944 und der Rolle L. Erhards damals. Überzeugend wird das vielbe- schworene »Rüstungswunder« von 1944 entzaubert, als zwar der unmittelbare Rüstungs- ausstoß auf Grund umfangreicher Vorfertigungen und Vorratsbestände noch einmal einen überraschenden Höhepunkt erreichte, die langfristigen Grundlagen einer leistungsfähigen Kriegs- und Rüstungswirtschaft mit der Zerstörung der Hydrierwerke und des Verkehrs- netzes, dem allgemeinen Rohstoffmangel und dem Verlust des Erdölgebietes in Rumänien längst vernichtet waren.

Recht eingehend und mit guten Gründen setzen sich die Autoren auch mit den am Ende wohl unlösbaren Schwierigkeiten der deutschen militärischen Führung auseinander, nach der Niederlage von Stalingrad ab Frühjahr 1943 »einen praktikablen Weg« für den »Über- gang von der Offensivstrategie zur strategischen Defensive zu finden« (Bd 3, S. 519), sich Schritt für Schritt von einer verkürzten inneren Linie aus in der »Festung Europa« einzu- igein und von hier aus noch längere Zeit hinhaltenden Widerstand zu leisten. Denn dies wä- re nach den propagandistisch hochgespannten Erwartungen der vorhergehenden Jahre

»dem Eingeständnis einer strategischen Niederlage gleichgekommen und hätte auch den Durchhaltewillen des deutschen Volkes beeinträchtigt« (Bd 3, S. 523). Politische, militäri- sche und psychologische Strategie, allgemeine Wirtschaftslage und die innere Kohärenz des deutschen Satellitenblockes in Europa standen in einem unaufhebbaren Wechselbezug. Je- der Gebietsverlust, jede weitere militärische Niederlage und jede Einbuße an politischem Prestige mußten nicht nur »die ökonomischen Grundlagen der Kriegführung weiter unter- graben« (Bd 4, S. 86), sondern bei den zunehmend zum Absprung bereiten verbündeten Re- gierungen die letzten Illusionen über die militärische Unbezwingbarkeit Deutschlands aus- räumen und sie zur Aufkündigung der Zusammenarbeit veranlassen. So verwahrte sich denn auch der Chef des OKW, Keitel, am 10. Mai 1943 gegen alle Zweifel am Sinn der Operation »Zitadelle« mit den bezeichnenden Worten: »Wir müssen aus politischen Grün- den angreifen.«

Über alle ideologischen Grenzen hinweg dürfte wohl Einigkeit in dem von den DDR-Auto-

ren herausgearbeiteten Fazit über den von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg be-

stehen: Die seit Kriegsbeginn vorhandene, mit dem Überfall auf die Sowjetunion, den

Rückschlägen vor Moskau im Herbst 1941, dem Kriegseintritt der USA und dem Einsetzen

eines materialverschlingenden Abnutzungskrieges im Osten unüberbrückbar gewordene

Kluft zwischen weitgespannten imperialistischen Weltherrschaftsplänen des NS-Regimes

einerseits und den nur beschränkten wirtschaftlichen, militärischen, technischen und politi-

schen Mitteln zu ihrer Durchsetzung andererseits, eine aus ideologischer Verblendung ge-

speiste Unterschätzung der militärischen, ökonomischen und psychologischen Wider-

standskraft der Sowjetunion und der operativen Führungsqualitäten ihrer Militärs, eigener

Herrenmenschendünkel, realitätsblindes Wunschdenken bis in die militärischen und politi-

schen Führungsspitzen hinauf und eine immer illusionärer werdende Einschätzung der

schwindenden eigenen und der wachsenden gegnerischen Möglichkeiten ließen den Krieg

spätestens 1941 zu einem Hasardspiel werden. Er riß in einer permanenten und immer hek-

tischeren »Flucht nach vorn« Militärs und Politiker in immer neue Abenteuer und schließ-

lich unausweichlich in den Sog der militärischen Niederlage. Für die politisch und militä-

risch Verantwortlichen in Deutschland engte sich damit der Spielraum ihres Handelns,

wollten sie sich nicht rechtzeitig auf einen Kompromißfrieden einlassen oder kam es nicht

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doch noch zu dem bis zuletzt unter Verkennung aller Realitäten erhofften neuen »Wunder des Hauses Brandenburg« mit dem Zerbrechen der alliierten Kriegskoalition, mehr und mehr ein. Einem Fachmann wie dem Generalstabschef des Heeres, H a l d e r , w a r schon im Frühjahr 1942 klar, daß die Deutschen keine volle strategische Entschlußfreiheit mehr hat- ten und die allgemeine Lage auf dem scheinbaren Zenit der Macht im G r u n d e bereits aus- weglos geworden w a r : »Lassen wir den Russen zu Atem kommen und nimmt die Bedro- hung durch Amerika zu, dann geben wir die Initiative an die Feinde ab und werden sie nie wiedergewinnen. So bleibt uns nichts anderes übrig, als noch einmal den Versuch zu wagen, trotz aller Bedenken.« Am 23. Juli 1942 vertraute derselbe M a n n angesichts des Vabanques einer Überdehnung der Südfront zwischen Woronesch und dem Kaukasus innerhalb weni- ger W o c h e n von 600 auf 2300 km ohne ausreichende Flankensicherung verzweifelt seinem Tagebuch an: »Die immer schon vorhandene Unterschätzung der feindlichen Möglichkei- ten nimmt allmählich groteske Formen an und wird gefährlich. Es wird immer unerträgli- cher. V o n ernster Arbeit kann nicht mehr die Rede sein« — eine Bankrotterklärung der

»Kriegskunst« von höchster Stelle, allerdings ohne den Protestschritt eines demonstrativen Rücktrittes!

M a n wird also der DDR-Darstellung über weite Strecken einen erheblichen Informations- wert zusprechen müssen, und zwar immer dort, w o sie auf dem Boden empirischer und quellenmäßig genau überprüfbarer Faktizität steht: etwa bei den militärisch-operativen Ab- läufen, bei der differenzierten Analyse des Rüstungsstandes, der Kriegswirtschaft und der Finanzierungsengpässe, bei militärtechnischen Fragen, bei den Auswirkungen des totalen Krieges und des Terrorregimes auf die Bevölkerung im Inland und in den Okkupationsge- bieten, im Bereich von Außenpolitik und Diplomatie oder auch bei den früh einsetzenden Europa- und Nachkriegsplanungen der deutschen Privatwirtschaft und Wirtschaftsbüro- kratie, bei denen man nach Aussage des finnischen Gesandten freilich überall »den Mangel an einer leitenden Idee, die geeignet wäre als Parole f ü r unsere Freunde und f ü r die N e u t r a - len in Europa«, verspürte (Bd 3, S. 427). Dagegen verengt sich die Perspektive immer dort ideologisch, w o es gilt, sich mit aller Eindeutigkeit gegen die »Verfälschungen« der bürger- lich-reaktionären Historiographie abzugrenzen und einen Kernbestand verbindlicher und seit langem kanonisierter Geschichtsdeutungen und Theoriepositionen zu verteidigen. Dies f ü h r t nicht selten zu interpretatorischen Verkrampfungen, sobald der empirische Quellen- befund ganz offensichtlich quer zur marxistisch-leninistischen Orthodoxie und ihren lieb- gewonnenen Klischees steht oder das eigene Lager bei historisch besonders neuralgischen T h e m e n um jeden Preis gegen Aufweichungstendenzen einer kritischen Diskussion von in- nen heraus abgeschouet werden muß.

Auch hier können aus einer Fülle von interessanten Belegen nur wenige besonders aussage- kräftige Beispiele angeführt werden: D e r Zweite Weltkrieg, heißt es gleich einleitend rich- tungweisend, »im imperialistischen System herangereift« und in ihm ausgebrochen, w a r

»eine gesetzmäßige Erscheinung der kapitalistischen Klassengesellschaft und bildete keine Ausnahme in ihrer Geschichte« (Bd 1, S. 23). Er stand eindeutig in der Kontinuität des Kai- serreiches, des wilhelminischen Imperialismus und der ihn bestimmenden herrschenden Klassen des Monopolkapitals und der Finanzoligarchie und w a r insofern ein zweiter, wenn auch wesentlich radikalerer Anlauf Deutschlands zur Weltherrschaft. Erst mit dem Uberfall auf die Sowjetunion wandelte er seinen Charakter von einem »Bruderkrieg« der imperiali- stischen Mächte in einen Aggressionskrieg gegen die Sowjetunion« (Bd 1, S. 243) oder aus entgegengesetzter Perspektive »aus einer imperialistischen Auseinandersetzung in einen ge- rechten, antifaschistischen Befreiungskrieg für die gegen Hitlerdeutschland und die faschi- stische Koalition kämpfende Seite« (Bd 2, S. 31). Diese interpretatorische Leitperspektive aller sechs Bände, mit der man sich bei uns seit der »Fischer-Kontroverse« noch am ehesten unter dem Aspekt wirtschaftsimperialistischer und geostrategischer Kontinuitätslinien vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg wird identifizieren können, bleibt f ü r den G a n g der Darstel- lung nicht folgenlos: Die Weimarer Innen- und Außenpolitik wird im G r u n d e determini- stisch reduziert auf eine kurzfristige Regenerations- und Vorbereitungsphase des deutschen Imperialismus und Militarismus nach der Niederlage von 1918 auf einen neuen Raubkrieg mit frischen Kräften und nach der Weltwirtschaftskrise dann im „organischen Zusammen- hang zwischen Faschismus und Monopolkapital, der von reaktionären bürgerlichen Histo-

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rikern noch immer hartnäckig abgestritten wird« (Bd 1, S. 375). Dies f ü h r t u. a. nicht nur zu einer krassen antisowjetischen Verzeichnung der Stresemannschen Sicherheitspolitik, son- dern auch zu einer Unterbelichtung oder gar (wie bei der geheimen Zusammenarbeit zwi- schen Reichswehr und Roter Armee) schlichten Negierung der »Rapallo-Linie« einer engen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kooperation zwischen dem kapitalistischen Deutschland und der sozialistischen Sowjetunion zum Vorteil beider Staaten. Sie hat konti- nuierlich bis 1941 in Wirtschaftskreisen, in der Wirtschaftsbürokratie, im Auswärtigen Amt (Ribbentrop!) und sogar in der W e h r m a c h t einen festen Rückhalt gehabt und auch in Mos- kau selbst auf dem einseitig durch Berlin verschuldeten Tiefstand der beiderseitigen Bezie- hungen nach 1933 stets Resonanz gefunden. U n t e r der sowjetmarxistischen Perspektive verwundert es dann auch nicht, wenn im ersten Band der Weimarer Republik gerade 65 mehr oder weniger oberflächliche Seiten und der Kriegsvorbereitung nach 1933 weitere 95 Seiten eingeräumt werden, während das Freiburger W e r k der Zwischenkriegszeit und den

»Ursachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik« bis 1939 einen thematisch reich und vielschichtig differenzierten ganzen Einleitungsband widmet.

Weiterhin ihre Schwierigkeiten hat die marxistisch-leninistische Position offenkundig mit der zentralen weltanschaulich-programmatischen Dimension nationalsozialistischer H e r r - schaft, Kriegführung und Okkupationspolitik. Sie hat dem Zweiten Weltkrieg weit über seine wirtschaftsimperialistischen und raumpolitischen Traditionslinien hinaus doch eine neue und in dieser radikal sich kumulierenden Vernichtungsdynamik eine bisher unbekann- te ideologische Qualität gegeben. Rassenideologie, sozialdarwinistischer Höherwertig- keitsanspruch und germanisches Herrenmenschendenken mit all ihren grausamen Konse- quenzen bis hin zur »Endlösung« der europäischen Judenfrage fügen sich eben nicht naht- los in die Verwertungsmaximen und Rationalität überkommener monopolkapitalistischer Ausbeutungs- und Ausplünderungspolitik. Mit H . Mommsen und anderen Historikern wird man also nach wie vor darauf bestehen müssen, »daß die Mordaktionen gegen die Ju- den der irrealen Vorstellung vom >Weltfeind< entsprachen, der gegenüber interessenpoliti- schen Motiven, so sehr sie im ursprünglichen Antisemitismus und auch der Judenverfolgung vor 1938 mitschwangen, völlig untergeordnete Bedeutung beizumessen ist«.

Dies festzustellen heißt nicht, wie dann o f t ganz zu Unrecht unterstellt wird, die deutsche Privatwirtschaft von ihrer Komplizenschaft mit dem nationalsozialistischen Herrschaftsap- parat oder von ihrer Mitverantwortung f ü r die kapitalistische Ausbeutung und die Vernich- tung eines Heeres von vielen Millionen Sklavenarbeitern in deutschen Industriebetrieben zu entlasten. So werden Bracher und andere bürgerliche Historiker völlig grundlos f ü r »das einseitige Uberbetonen der sogenannten ideologischen und rassentheoretischen Faktoren des Faschismus« getadelt, »das alle klassenmäßigen Grundlagen der faschistischen H e r r - schaft ignoriert« (Bd 1, S. 174).

Wenig später aber können auch die D D R - A u t o r e n nicht umhin, als Besonderheit und

»Unterschied zum Ersten Weltkrieg« ausdrücklich hervorzuheben, d a ß im entscheidenden Gegensatz zu den »Absichten des anglo-amerikanisch-französischen Blocks« die »faschi- stisch-imperialistische Macht« in Deutschland »die nationale Unterdrückung, die Liquidie- rung der Selbständigkeit anderer Staaten, die physische Vernichtung ganzer Völker sowie die Errichtung ihrer eigenen politischen Herrschaft über sie zu ihren Zielen erklärt« habe und daß ein Sieg Hitlerdeutschlands »die barbarische Fremdherrschaft über alle besetzten, auch über hochindustrialisierte kapitalistische Länder, die Liquidierung der letzten Reste bürgerlich-demokratischer Freiheiten und eine tödliche Gefahr f ü r die Existenz dieser Völ- ker bedeutet« hätte (Bd 1, S. 175). Also offenbar doch ein entscheidender qualitativer U n - terschied zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg, zwischen bürgerlich-westlichem und faschistischem Imperialismus, ihren Zielen und ihren Ausdrucksformen, aber auch zwi- schen westlichem und östlichem Kriegsschauplatz und Okkupationsregime (vgl. Bd 3, S. 348) — ein Unterschied, f ü r den allerdings durch die ständigen Hinweise auf den bürger- lich-reaktionären kapitalistischen Klassencharakter des »Faschismus« keine schlüssige historische Begründung geliefert wird!

Die verschiedenen Stufen zum planmäßigen Völkermord in den Vernichtungslagern ab Winter 1941/42 werden in der D D R nicht annähernd mit einer so kontroversen Intensität diskutiert wie in der westlichen Historiographie; können es wohl auch gar nicht, wenn es

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schlicht heißt, es habe damals gegolten, »mit Hilfe von Kommunisten« zu erkennen, »daß der Antisemitismus keine Rassen-, sondern eine Klassenfrage ist« (Bd 2, S. 224). Aus der engen Verbindung von politischer und ökonomischer Strategie des deutschen Imperialis- mus »und nicht aus subjektiv-willkürlichen, irrationalen Beweggründen faschistischer Ras- senideologen ergaben sich auch die ungeheuerlichen, langfristigen Pläne des Massenmor- des und der Massenvertreibungen, von denen Millionen Menschen betroffen werden soll- ten« (Bd 2, S. 118). W a r u m dann, so f r a g t man sich, radikalisierte sich gerade der deutsche Imperialismus durch diese unheilvolle Verbindung mit der physischen Vernichtung von

»rassisch« und nicht nur »rassisch Minderwertigen« und nicht der britische oder amerikani- sche, wenn Antisemitismus angeblich primär eine »Klassenfrage« war? Auch sollte der H i n - weis bitte nicht als kleinliche Beckmesserei des Rezensenten ausgelegt werden, d a ß im Bd 2, S. 117, der berühmt-berüchtigte Auftrag Görings an Heydrich vom 31. Juli 1941 als Kopie abgebildet erscheint, »alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen f ü r eine Gesamtlösung der J u d e n f r a g e im deutschen Einflußgebiet in Europa«, und dann auf der nächsten Seite eben diese zentrale Stelle zitiert wird mit der entscheidenden Abweichung »für eine Endlösung der Judenfrage«.

Schließlich hat die östliche Geschichtsschreibung — damit kommen wir zu einer weiteren Konsequenz der marxistisch-leninistischen Imperialismustheorie und des Periodisierungs- schemas vom »imperialistischen Bruderkrieg« 1939/41 zum »antifaschistischen Befreiungs- kampf« ab 22. Juni 1941 — bis heute offenbar sichtlich Schwierigkeiten, überzeugend und widerspruchsfrei mit der unbequemen Tatsache fertig zu werden, bzw. sich zum Einge- ständnis durchzuringen, daß der Hitler-Stalin-Pakt (sein »geheimes Zusatzprotokoll« wird nach wie vor geleugnet) nicht nur den antifaschistischen Widerstandskampf der kommuni- stischen Parteien f ü r lange Zeit bis hin zur Auslieferung von deutschen Antifaschisten durch Moskau an die Gestapo völllig desorientiert und demoralisiert und dem »faschistischen Ag- gressor« für knapp zwei wertvolle Jahre wichtige materielle Unterstützung und die notwen- dige Rückenfreiheit f ü r die U n t e r w e r f u n g N o r d - und Westeuropas verschafft hat; die Komplizenschaft zwischen Hitler und Stalin hat auch viele Millionen in Polen und in den Baltischen Staaten unter Verletzung des nationalen Selbstbestimmungsrechts bis heute die Freiheit und oft das Leben (Katyn wird nach wie vor im Osten den Deutschen angelastet;

vgl. Bd 3, S. 209, Bd 4, S. 264) gekostet.

Sicher lassen sich, wie B. Pietrow in ihrem Buch »Stalinismus, Sicherheit, Offensive«3 nach- gewiesen hat, überzeugende macht- und sicherheitspolitische, militärische und wirtschaftli- che Gründe dafür aufweisen, daß Stalin die Sowjetunion im Interesse der Verwirklichung ehrgeiziger Industrialisierungspläne solange wie möglich aus dem europäischen Konflikt heraushalten wollte und versucht hat, Zeit zu gewinnen. D a ß dieser Schritt jedoch dem Ziel gegolten und es auch erreicht habe, »das Doppelspiel der westlichen Politik zu entlarven«

und — wie es in einem kommunistischen deutschen Flugblatt von Ende August 1939 heißt — die »Appeasers« um Chamberlain daran zu hindern, »die faschistischen Angreifer gegen die Sowjetunion zu hetzen« (Bd 1, S. 158), findet in den Quellen ebensowenig eine Bestäti- gung, wie es der Realität bis 1941 entsprochen hat, daß »die Sowjetunion [. . .] auch nach Kriegsbeginn die entschiedenste Friedensmacht und der zuverlässigste Verbündete im Be- freiungskampf der Völker« w a r und blieb (Bd 1, S. 275). Immerhin hat der Nichtangriffs- vertrag »zeitweilig selbst in den Reihen der Antifaschisten Unverständnis und auch Verwir- r u n g hervorgerufen« (Bd 1, S. 275), ein Eingeständnis, das dann aber sofort anschließend unter Berufung auf ein zeitgenössisches Flugblatt der KPD-Emigration in Schweden durch die heldenhafte Stilisierung der Sowjetunion als »der stärkste H e l f e r im Kampf gegen die faschistischen Kriegstreiber, das stärkste Bollwerk der Völker f ü r den Frieden, der w a h r e Freund aller vom Faschismus Unterdrückten und Bedrohten« relativiert wird (Bd 1, S. 276).

Recht gewunden wird in diesem Zusammenhang auch die offenbar heute noch heikle Frage behandelt, inwieweit Stalin sich trotz mehrfacher Warnungen am 22. Juni 1941 von dem deutschen Überfall hat überraschen und es dementsprechend in krasser Fehleinschätzung der Situation an entsprechend hinreichenden Vorbereitungen zur Abwehr hat fehlen lassen (Bd 1, S. 568 f., 572 ff., Bd 2, S. 25, 35). Als erschwerende Faktoren f ü r einen rechtzeitigen Höchststand der Verteidigungsbereitschaft werden die erforderliche Steigerung der R ü -

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stungsproduktion und die notwendige Verlagerung von besonders bedrohten Industrien jenseits des Urals, die Modernisierungsdefizite der Roten Armee besonders bei Panzern und Flugzeugen, ihr Ausbildungsstand und ihre Dislozierung, die Angst vor den Japanern im Rücken, das Bemühen, die deutsche Führung nicht zu provozieren, sowie — als Argu- ment wenig überzeugend — die angebliche Gefahr erwähnt, Meldungen von einer sowjeti- schen Truppenmobilisierung hätten den immer noch sprungbereiten »Appeasers« in den westlichen Hauptstädten Auftrieb geben können, nun gerade auf der Grundlage dieser Ent- wicklung den antisowjetischen Ausgleich mit Hitlerdeutschland zu suchen, während Chur- chill auf der anderen Seite einen Krieg zwischen Deutschland und der Sowjetunion zum mi- litärischen Überleben damals geradezu gebraucht habe. Wieder erscheint das Interessante sehr versteckt gleichsam zwischen den Zeilen. Einmal der indirekte Hinweis auf die »Säube- rungen« : »Die stürmische technische Entwicklung, die vor allem die Fliegerkräfte und die Panzer betraf, und die Tatsache, daß die seit 1938 neu ernannten Oberbefehlshaber und Kommandeure noch über wenig Erfahrung verfügten, erschwerten diesen komplizierten Prozeß der Umstellung in der Sowjetarmee« (Bd 1, S. 273), und dann die kritische Bemer- kung, die TASS-Erklärung vom 14. Juni 1941, nach der die Sowjetunion den deutsch-so- wjetischen Nichtangriffspakt erfülle und auch zu erfüllen beabsichtige, sei im Lande viel- fach als eine »Entwarnung« aufgefaßt worden und habe »deshalb zum Teil desorientierend«

gewirkt (Bd 1, S. 576). Sonst wird in allen sechs Bänden an Stalin keine Kritik geübt.

Noch ein besonders markantes Beispiel für die verkrampfte dialektische Eloquenz, mit der unbequeme Widersprüchlichkeiten aus der historischen Realität wegdiskutiert werden und der KPD damals gegen »die von imperialistischen und rechtssozialistischen Historikern in der BRD und in anderen imperialistischen Staaten verbreiteten Legenden über die Partei der Arbeiterklasse« geradlinige und folgerichtige Konsequenz in ihrem Handeln an der Sei- te der mit Hitler verbündeten Sowjetunion attestiert wird: »Durch die konsequente Unter- stützung der Außenpolitik der Sowjetunion, durch die unermüdliche Aufklärung des deut- schen Volkes über die Lebensnotwendigkeit freundschaftlicher Beziehungen zur Sowjet- union und durch die Verteidigung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspaktes suchte die KPD der Ausweitung der faschistischen Gefahr entgegenzuwirken. Sie stellte sich gemein- sam mit ihren Verbündeten an die Seite der vom Hitlerfaschismus Überfallenen und bedroh- ten Völker und verteidigte deren Recht auf Selbstbestimmung und nationale Unabhängig- keit«. (Bd 1, S. 297)

In dem Abschnitt über die »Befreiung der Westukraine und Westbelorußlands durch die UdSSR«, »als Mitte September die militärische Niederlage Polens besiegelt war«, verwah- ren sich die Autoren mit Nachdruck gegen »bürgerliche Historiker wie Jacobsen und Gruchmann« und deren These von einer »vierten historischen Teilung Polens«. Dann un- terläuft ihnen jedoch ein verräterischer Satz: »Die gefangengenommenen Soldaten ukraini- scher und belorussischer Nationalität wurden sofort entlassen.« (Bd 1, S. 184 f.) Fragt sich nur: Was geschah mit den anderen polnischen Gefangenen, und warum wurden sie über- haupt bei dieser doch offenbar friedlichen »Befreiungsmission« gemacht, obwohl die UdSSR doch nicht den Status einer kriegführenden Partei hatte, sondern schon früh die führende Rolle »für den Befreiungskampf des polnischen Volkes« (Bd 1, S. 511) für sich be- anspruchte?

Diesem »Befreiungskampf« der sowjetischen Armeen für das demokratische und nationale

Selbstbestimmungsrecht der vom Faschismus unterdrückten Völker Ostmittel- und Südost-

europas wird in den letzten drei Bänden ein umfangreicher Raum gewidmet. Die erzwunge-

ne Einsetzung von prosowjetischen Kollaborationsregimes wird als Ausdruck demokrati-

scher Selbstbestimmung der Befreiten gefeiert. Von der »westlich-reaktionären Historio-

graphie« geäußerte Zweifel, ob es sich bei diesen Staaten — etwa in Polen, im Baltikum, in

Rumänien oder Ungarn — nicht eher um eine neue Unterwerfung diesmal unter die Vor-

mundschaft der siegreichen Sowjetunion und um eine von außen diktierte innere Sowjeti-

sierung vielfach gegen den Willen der befreiten Völker gehandelt habe, werden besonders

im Falle Polens zum einen durch eine fortgesetzte Diffamierung der westlich orientierten

und mit der Londoner Exilregierung zusammenarbeitenden »reaktionär-bürgerlichen Wi-

derstandskräfte« im okkupierten Gebiet und eine entsprechende Herauskehrung der füh-

renden Rolle des kommunistischen Widerstandes und zum anderen durch den Hinweis ent-

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kräftet, es sei das gute Recht jeder kriegführenden Macht gewesen, in den von ihr befreiten Räumen antifaschistische Kräfte ihres Vertrauens in die führenden Positionen einzusetzen.

Dies hätten die Westmächte ja in Italien ab 1943 durch ihre Kooperation mit der (im übri- gen kurz zuvor noch faschistischen!) Badoglio-Regierung vorexerziert. Im übrigen — so die offizielle Lesart immer noch trotz zunehmender Proteste in den Baltischen Staaten gegen diese durchsichtige Geschichtsklitterung — sei es den Westmächten seit der K o n f e r e n z von Teheran 1943 nur darum gegangen, »Grenzprobleme erneut in Frage zu stellen, die 1939/

40 in Übereinstimmung mit dem Nationalitätenprinzip und dem Selbstbestimmungrecht der Völker im Osten Europas gerecht gelöst worden waren« (Bd 3, S. 480).

Aber auch in diesem Zusammenhang drängt sich naturgemäß f ü r die östliche Geschichts- schreibung wieder ein heikles T h e m a auf, das die sowjetisch-polnischen Beziehungen bis heute belastet. Seine ehrliche Aufarbeitung klagen die Polen gegenwärtig bei Gorbatschow als Prüfstein f ü r die Aufrichtigkeit seiner Reformbemühungen ebenso unverhohlen ein wie die der erwähnten umfangreichen Deportationen polnischer Staatsbürger 1939, die der Kremlchef anläßlich seines offiziellen Besuches in Polen im Juli 1988 immerhin schon als ei- ne »Verletzung der sozialistischen Rechtsstaatlichkeit« kritisiert haben soll: gemeint ist der Warschauer Aufstand der im Untergrund operierenden nationalpolnischen »Armee im Lan- de« unter ihrem Oberbefehlshaber Graf T . Komorowski im August/September 1944 gegen die deutsche Besatzungsmacht. Ihm sind gleich mehrere Passagen in unterschiedlichen Zu- sammenhängen gewidmet (Bd 5, S. 580, Bd 6, S. 60 f., 407 ff., 410, 485). Auch hier zeigt sich in den Formulierungen, daß seine geläufige offizielle Charakterisierung als reaktionäre Provokation und als antisowjetisch offenbar nicht ganz widerspruchsfrei ist.

Wir erfahren mit der entsprechenden Polemik gegen abweichende Ansichten wieder die of- fizielle kommunistische Lesart: D e r Aufstand, »ein unüberlegtes, furchtbares Abenteuer«, sei geplant gewesen als letzter rettender Ausweg der bürgerlichen Führungszentren im na- tionalpolnischen Widerstand, »den P r o z e ß des Zerfalls im eigenen Lager aufzuhalten und die divergierenden Interessen auf ein gemeinsames Ziel zu richten«, damit zugleich noch vor dem Einmarsch der sowjetischen Truppen einer bürgerlich-reaktionären »Gegen- macht« in Warschau gegen die massenhaft anwachsende demokratische »Volksmacht« für die Nachkriegsentwicklung Polens zum Sieg zu verhelfen; seinen Führern werden man- gelnde Vorbereitung und unterlassene Absprache mit den anderen Widerstandszentren und der sowjetischen Militärführung vorgeworfen, die, wenn sie denn rechtzeitig erfolgt wäre, doch noch alles hätte zum Besseren wenden können; der ungenügende Bewegungsspiel- raum der in eine schwere Abwehrschlacht verwickelten, östlich von Warschau stehenden Sowjetdivisionen f ü r eine erfolgreiche Hilfeleistung sei falsch eingeschätzt w o r d e n , den- noch habe trotz dieser Brüskierungen grundsätzliche Bereitschaft zum helfenden Eingrei- fen bestanden. Die weitgehend fehlgeschlagenen amerikanischen Versorgungsflüge f ü r die Aufständischen werden bagatellisiert, die Verweigerung von Landerechten auf sowjeti- schen Flugplätzen bleibt unerwähnt. N a c h diesem ideologischen Verdammungsurteil wird der Warschauer Aufstand am Ende dennoch f ü r das Traditionserbe Volkspolens verein- nahmt, an das heute noch ein vielbesuchtes Nationaldenkmal erinnert: »Ungeachtet der verurteilenswerten politischen Zielsetzung der Führer des Aufstandes beteiligten sich nach seinem Ausbruch aufopferungsvoll alle progressiven, patriotischen Kräfte am Kampf, voran die P P R [Polnische Arbeiterpartei, d. Verf.] und die Armia Ludowa; der Warschauer Auf- stand verwandelte sich bald in einen Volksaufstand gegen die O k k u p a n t e n u n d stellte einen H ö h e p u n k t des Befreiungskampfes des polnischen Volkes dar.« (Bd 6, S. 409, vgl. auch S. 511)

Bei der Analyse kollektiver »Fremd-« oder auch »Feindbilder« stellt sich o f t der — von der Wahrnehmungspsychologie als »kognitive Dissonanz« bezeichnete — V o r g a n g ein, daß sich der realhistorische Befund nicht mehr oder nur noch schwer mit überkommenen und liebgewordenen, o f t klischeehaften Deutungsmustern in Einklang bringen läßt. Ein kriti- sches Überdenken der Interpretationsschemata und theoretischen Konstrukte und ihre Überprüfung, gegebenenfalls auch Korrektur an der Empirie fällt stets dann besonders schwer, wenn diese Muster oder Theorien politisch verordnet, durch die M a c h t der T r a d i - tion und der »Klassiker« des Marxismus-Leninismus kanonisiert oder ideologisch verstei- nert und dementsprechend kaum mehr korrekturfähig sind. In einem schwierigen und kei-

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neswegs konfliktfreien Lernprozeß hat sich die NS-Forschung bei uns inzwischen von der traditionellen totalitarismus-theoretischen Vorstellung der 40er und 50er Jahre weitgehend gelöst, als habe es sich bei dem NS-Herrschafts- und Machtapparat um eine in sich monoli- thisch gefügte und streng von oben nach unten durchorganisierte Einheit gehandelt, allein dem Willen eines allzuständigen Diktators unterworfen. Die durch eine gewisse theoreti- sche Flexibilität und einen heilsamen Methodenpluralismus in der westlichen Historiogra- phie in Gang gesetzte Diskussion um den mehr »monokratischen« oder den mehr »polykra- tischen« und »polyzentrischen« Charakter des NS-Herrschaftssystems hat längst den Blick f ü r eine Vielzahl miteinander und sogar gegen Hitler relativ autonom konkurrierender Macht- und Entscheidungszentren, auf den vielfach improvisatorischen Charakter ihres Handelns, auf ein — wie es ein hoher Beamter der Reichskanzlei einmal beschrieb — »vor- läufig wohlgeordnetes Chaos« geschärft; den Blick f ü r einen Prozeß, in dem sich »das Prin- zip der >Allzuständigkeit< der jeweiligen Funktionsträger [. . .] in einer zunehmenden Zer- setzung des Staatswesens und Auflösung der inneren Geschlossenheit des nur propagandi- stischen integrierten politischen Systems zugunsten partikularer Machthaber« auswirkte (H. Mommsen).

Besonders W. Deist und M . Messerschmidt haben im ersten Freiburger Band über die »Ur- sachen und Voraussetzungen der deutschen Kriegspolitik« diese Erkenntnisse in anregen- der Weise in ihre empirischen Detailforschungen zur Aufrüstung und zur außenpolitischen Kriegsvorbereitung einfließen lassen und ihre Aussagekraft und Reichweite am konkreten Befund immer wieder kritisch überprüft. Wie verhalten sich hier — dieser vergleichende Blick auf das Freiburger und das Berliner Geschichtswerk bietet sich geradezu an — die D D R - A u t o r e n gegenüber diesen westlichen Impulsen einer sozialhistorisch ausgerichteten Strukturgeschichte des NS-Herrschaftsapparates? W e r d e n sie überhaupt registriert und, wenn ja, wie weit zeigen sich gewisse Aufweichungstendenzen im überkommenen starren Schema des staatsmonopolistischen Kapitalismus mit der Vereinigung bzw. sogar Ver- schmelzung der M a c h t der Monopole mit der des bürgerlichen Staatsapparates zu einem unauflösbaren und einheitlich handelnden Machtkartell und der Verwandlung des Staates, hier des besonders reaktionären und gewalttätigen faschistischen Staates, zu einer Art ge- schäftsführenden Ausschuß der Monopolgruppen? Wie weit wird auch in der D D R die Theorie kritisch an der Realität gemessen und überprüft?

Zunächst einmal produzieren offenkundige Berührungs- oder Konvergenzängste Polemik.

Zwar werden »innere Gegensätze des faschistischen Regimes«, ein »Konkurrenzkampf [. . . ] als Kampf um die Schalthebel der Macht, um staatsmonopolistische Regulierungsvoll- machten« und von Hitler und seiner Umgebung »in gewissem Grade« ausgenutzte »Rivali- täten in der Auseinandersetzung um die Formen der Leitung« durchaus zugegeben (Bd 1, S. 231), wird auch mit vollem Recht f ü r den Verlauf des Krieges konstatiert und nachgewie- sen, daß sich infolge eines fortlaufenden Konkurrenzkampfes innerhalb des staatsmonopo- listischen Gefüges »weder eine einheitliche Rüstungskonzeption noch eine einheitliche staatsmonopolistische Leitung in der Kriegswirtschaft« durchgesetzt habe (Bd 1, S. 535).

D a n n aber erfolgt sogleich die polemische Abgrenzung nach Westen: »Die Versuche bür- gerlicher Historiker in der BRD, ζ. B. von Mommsen und Broszat, diese systembedingten Erscheinungen zum Wesen der faschistischen Staatsführung zu erklären und gar zu be- haupten, eine einheitliche politische Führung sei verlorengegangen, das Staatswesen habe sich in seine Einzelbestandteile aufgelöst, und man könne somit nicht von einer faschisti- schen oder gar staatsmonopolistischen Politik sprechen«, stünden jedoch »im Widerspruch zu den Tatsachen«. »Der Führungsmechanismus in Hitlerdeutschland entwickelte sich während des Krieges dergestalt, daß die Leitung von Staats- und Monopolgeschäften insti- tutionell und personell in zunehmendem M a ß e verschmolz. W e n n auch infolge der inneren Widersprüche des Kapitalismus keine völlige Interesseneinheit bestand, so verlief die Ent- wicklung des staatsmonopolistischen Macht- und Regulierungsapparates im wesentlichen doch in Richtung auf eine weitgehenden Vertretung des Gesamtinteresses der herrschenden Klasse« (Bd 1, S. 231). Auch Fraenkels Modell vom »Doppelstaat« erhält eine schroffe Ab- sage: Versuche der bürgerlichen Geschichtsschreibung der BRD, den »Prozeß der K o n z e n - tration der Staatsmacht in den H ä n d e n einer kleinen Clique faschistischer Machthaber als einen >Machtkampf< zwischen Partei und Staat, als einen persönlichen Kleinkrieg zwischen

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Funktionären der N S D A P und Repräsentanten der allgemeinen inneren Staatsverwaltung darzustellen«, negierten, daß sich »dieser Konzentrationsprozeß aus dem Klassencharakter des Faschismus im allgemeinen sowie aus dem Wesen und Mechanismus des faschistischen Staates im besonderen ergab« (Bd 1, S. 554).

D a d u r c h , daß sie auf diesem W e g e die ideologische Front immer wieder grundsätzlich und schroff gegen mögliche Einbrüche bürgerlicher Sozialhistoriker abschotten, können es sich dann die Autoren offenbar leisten, in allen sechs Bänden f ü r alle Bereiche von Macht, K o m - petenz und Entscheidung sowohl in der W e h r m a c h t f ü h r u n g , in der Rüstungsplanung und -Produktion und in der Großwirtschaft, als auch im Staatsapparat, bei den mittleren und unteren Administrativinstanzen und in den Parteicliquen und -satrapien ein eindrucksvol- les, gut belegtes und realitätsnahes Bild des rivalisierenden Mit- und Gegeneinanders von alten und neuen Herrschaftseliten, von konkurrierenden Machtegoismen und Befehlszen- tralen, von Eifersüchteleien und Eitelkeiten, von unterschiedlichen Konzeptionen und Pro- grammen zu entwerfen, von auseinanderstrebenden Kräften, die sich nicht selten gegenseitig selbst blockierten und mit diesen strukturimmanenten Reibungsverlusten einheitliche und präzi- se gebündelte Entscheidungen auf jeden Fall unendlich erschwerten, wenn nicht ganz unmög- lich machten; kurz: hier wird unterhalb der Theorieebene empirisch ein facettenreiches Bild präsentiert, das sich mit westlichen Forschungsergebnissen im wesentlichen deckt.

So wurde die staatliche Organisation zur Durchsetzung der Kriegsverordnungen von der Ebene des Ministerrates f ü r die Reichsverteidigung über die Mittelinstanz der »Reichsver- teidigungskommissare« bis hinunter auf die der Wirtschafts- und Ernährungsämter trotz der damit angeblich erreichten neuen »Stufe der staatsmonopolistischen Regulierung« mit

»entsprechender Monopolisierung und Konzentration von M a c h t auf den verschiedenen Ebenen« in ihrer Wirksamkeit erheblich eingeschränkt durch »eine Vielzahl von Uber- schneidungen in den Kompetenzen und die dadurch bewirkten Rivalitäten und Reibungen zwischen Zentralbehörden und Mittelinstanzen« (Bd 1, S. 206); General T h o m a s , Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes, beklagte im August 1940 die K o n k u r r e n z um Kapa- zitäten, Rohstoffe und Arbeitskräfte beim Anlaufen der zweiten »Umrüstung« als »Kampf aller gegen alle« (Bd 1, S. 350); die Auseinandersetzungen zwischen den zuständigen Insti- tutionen »um Ausmaß und Form der wirtschaftlichen Mobilmachung waren ein Spiegelbild der Meinungsverschiedenheiten um die Strategie und um den Grad der >Totalisierung< des Krieges« (Bd 1, S. 227); auf der Mittelinstanz bildeten sich ab November 1942 mit den Reichsverteidigungskommissaren »eigenständige Strukturen [. . .], die imstande waren, sich dem bürokratischen Dirigismus des Staatsapparates nachhaltig zu widersetzen« (Bd 3, S. 174 f., vgl. auch S. 207); die Gauleiter, ab 1943 alle identisch mit den Reichsverteidi- gungskommissaren, verfolgten im Angesicht der Niederlage ab 1943 »immer mehr ihre ter- ritorialen Eigeninteressen« (Bd 3, S. 179), bis die allgemeine »Territorialisierung« und

»Regionalisierung« von Herrschaft und Verwaltung auf den Mittelinstanzen ab 1944 am Ende zur schrittweisen Auflösung einer einheitlichen Reichsgewalt und zum Zusammen- bruch der »zentralisierte^] staatsmonopolistische^] deutsche[n] Wirtschaftsorganisation«

führten (Bd 3, S. 179, Bd 6, S. 622 und 643); Goebbels beklagte am 16. M ä r z 1943 in sei- nem Tagebuch als größte Schwäche der innenpolitischen Entwicklung sehr unklare Kom- petenzverteilungen, Zwistigkeiten unter führenden Personen und Behörden und als Folge davon »eine völlige Direktionslosigkeit in der deutschen Innenpolitik« (Bd 3, S. 202); die D D R - A u t o r e n attestieren der mittleren Führungsebene des staatlichen Wirtschaftsappara- tes »Leitungswirrwarr« (Bd 3, S. 232); ununterbrochen und ohne sichtbaren Erfolg liefen die Bemühungen des Regimes, »das vor allem durch die Berufung aller Gauleiter zu Reichs- verteidigungskommissaren verstärkte Nebenregiment des Parteiapparates einzudämmen und die Autorität des Staatsapparates wieder herauszustellen« (Bd 4, S. 387) — ein Satz, der auch von Fraenkel hätte stammen können! Unübersehbar sind auch die Bemühungen, das ideologisch fixierte Bild von der aggressiven Geschlossenheit des staatsmonopolistischen Machtkartells in Deutschland und seiner letztendlich doch einheitlichen kapitalistischen In- teressendurchsetzung auf die globale Ebene der »Achse« zu transponieren. In polemischer Abgrenzung gegen die »imperialistische Historiographie« im allgemeinen und T h . Sommer mit seiner These von der »Allianz ohne Rückgrat« zwischen Berlin und T o k i o sowie B.

Martin im besonderen sollen auch hier »die Gemeinsamkeiten der M ä c h t e des faschisti-

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sehen Blocks, das die Aggressoren Verbindende«, die imperialistische Komplizenschaft bei der »Neuaufteilung der Welt« insbesondere zwischen dem Dritten Reich und Japan hervor- gekehrt und demgegenüber die tiefen Widersprüche im Dreimächtepakt, mangelnde Koor- dination der politischen, militärischen und ökonomischen Maßnahmen sowie das Fehlen ei- ner verbindlichen globalen Gesamtstrategie als mehr sekundär heruntergespielt werden (Bd 2, S. 489 f.). Derartige Versuche stehen ebenfalls im offenkundigen Widerspruch zum konkreten historischen Befund (vgl. Bd 2, S. 500; Bd 3, S. 425, 448 f., 455).

Neben der These vom Verrat der rechten sozialdemokratischen Führung am antifaschisti- schen Widerstandskampf und in enger Verbindung mit ihr bestimmt ein zweites Leitthema durchgängig die gesamte Darstellung: Das »Appeasement« und die antisowjetische Kom- plizenschaft der Westmächte, allen voran Großbritanniens, mit Hitlerdeutschland zur Ver- nichtung der Sowjetunion als Bollwerk des Friedens und als Mittelpunkt des internationa- len Weltkommunismus. Heftet sich diese massive Anklage zunächst an die Deutschlandpo- litik der Regierung Chamberlain und an die Münchener Konferenz 1938, so werden nach dem Kriegseintritt der Westmächte am 3. September 1939 nacheinander der »Sitzkrieg« im Westen, in Aussicht genommene Unterstützungsmaßnahmen für Finnland und Bombardie- rungen sowjetischer Olfelder im Kaukasusgebiet, die zahlreichen Kontakte des deutschen Widerstandes nach London auch noch während des Krieges, Sonderfriedensbemühungen und vor allem das Ausbleiben der in Teheran 1943 zwar fest vereinbarten, dann aber doch noch bis zum Juni 1944 hinausgezogenen »Zweiten Front« in Frankreich als unwiderlegba- re Indizien dafür gewertet, daß der Gedanke an eine gemeinsame imperialistische Front ge- gen den Osten auch im Kriege in politischen Kreisen Londons und Washingtons niemals ganz aufgegeben worden sei, selbst wenn sich die führenden Kräfte um Churchill und Roo- sevelt loyal an die Kriegsallianz gebunden gefühlt hätten. Dabei wird die »nach dem zwei- ten Weltkrieg in zahlreichen Varianten ständig wiederholte Aussage von Historikern und Publizisten kapitalistischer Länder, insbesondere der USA und der BRD, die Antihitlerkoa- lition sei eigentlich ein widernatürliches Bündnis< gewesen«, entschieden als »böswillige Verleumdung und als Versuch« zurückgewiesen, »die auch für die Gegenwart gültigen hi- storischen Erfahrungen zu verunglimpfen, die die Völker im Kampf gegen den Faschismus gewonnen haben und die in der Erinnerung von Millionen Menschen wach geblieben sind«

(Bd 2, S. 33).

Nun wird niemand abstreiten können, daß das »Appeasement« mit seiner Aufgipfelung während der Sudetenkrise und in München sowie das Verhalten der britischen und franzö- sischen Staatsmänner davor und danach und dann auch das aus Moskauer Sicht recht un- durchsichtige anglo-amerikanische Zögern gegenüber einer als Entlastung dringend benö- tigten »Zweiten Front« im Westen in der sowjetischen Führung, die immerhin bis Sommer

1944 unter millionenfachen Opfern weitaus die Hauptlast der Antihitlerkoalition trug, erhebliche Irritationen auslösen und tiefsitzende Bedrohungstraumata aus der Zeit der In- terventionskriege 1918— 1920 wiederbeleben mußten. Dies sollte aber kein Anlaß sein, die Substanz des Protokolls der Unterredung zwischen Hitler und Halifax im November 1937 dahingehend zu verfälschen, die Kreise um Chamberlain und Halifax seien bereit gewesen, der Beseitigung Österreichs und der Tschechoslowakei zuzusehen, »wenn Hitlerdeutsch- land zu erkennen gäbe, seine Aggression würde sich in erster Linie gegen den Osten, gegen die Sowjetunion, richten« (Bd 1, S. 108). »Appeasement« — man kann dies gegenüber den ständigen Verdächtigungen der kommunistischen Historiographie von damals bis heute gar nicht oft genug wiederholen — lebte zwar mit aus dem Geist eines bürgerlich-westlichen Antikommunismus, war aber in keiner Phase und unter keinen Bedingungen so etwas wie eine gemeinsame imperialistische Angriffsstrategie gegen die Sowjetunion.

Gar nicht abzustreitende Sonderfriedenssondierungen nach Westen sollten auch nicht An-

laß sein, entsprechende indirekte Fühlungnahmen auch nach Osten zwischen Berlin und

Moskau 1942/43 mit überzogener und gereizter Polemik gegen A. Fischer und B. Martin

als »Legende« und mit einer Formulierung abzutun, die nun wirklich mehr verhüllt und vom

Thema ablenkt als etwas zu seiner Klärung beizutragen: »Die von der bürgerlichen Histo-

riographie erfundenen bzw. maßlos aufgebauschten Begebenheiten, die diese Thesen stüt-

zen sollen, widerlegen insgesamt nicht die Tatsachen, die beweisen, daß bereits zu dieser

Zeit starke Kräfte in den USA und in Großbritannien am Werk waren, um über Kontakte

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zu bestimmten Kreisen in Deutschland die Weichen für eine gegen die Sowjetunion gerich- tete Nachkriegspolitik zu stellen.« (Bd 4, S. 306)

Besonders wortreich und polemisch argumentieren die Autoren immer dort, w o es offenbar um »heiße Eisen« interner ideologischer Konflikte, Diskussionen und Orientierungen im kommunistischen Lager und im historisch-politischen Selbstverständnis der D D R geht, um Zusammenhänge auch, die ihre Schatten bereits auf die sowjetische Besatzungspolitik und die Ziele und Perspektiven der antifaschistischen Bündnispolitik im Rahmen der Entste- hungsgeschichte der D D R vorauswerfen. Die Behandlung des kommunistischen Wider- standes in Deutschland und in anderen Ländern, das »Nationalkomitee Freies Deutsch- land«, die Bewegung »Freies Deutschland« und der »Bund deutscher Offiziere« nehmen ei- nen gewichtigen Raum in allen Bänden ein, nach unserem Verständnis angesichts des nur mehr sporadisch möglichen Widerstandes unter dem Terrorregime nach der Zerschlagung der Arbeiterbewegung und angesichts der nur begrenzten W i r k u n g e n der antifaschistischen Massenpropaganda in Deutschland und in der deutschen W e h r m a c h t sicher einen allzu ge- wichtigen Raum. Immerhin erhalten wir hier zahlreiche Informationen zur antifaschisti- schen Basisarbeit, die in der westlichen Widerstandsforschung aus durchsichtigen politi- schen Gründen allzu lange verdrängt und vergessen w o r d e n sind.

Auch in diesem Zusammenhang wird wieder, leider ohne N a m e n zu nennen, heftig gegen

»bürgerliche und rechtssozialdemokratische Historiker« polemisiert: Sie seien »eifrig be- müht, entgegen den unwiderlegbaren Tatsachen nachzuweisen, daß die von der Führung der K P D auf die Sammlung aller antifaschistischen Kräfte gerichtete Politik mit ihren Lo- sungen unter den führenden Kadern der Partei und in den Widerstandsorganisationen kei- nen Widerhall fand«, und beabsichtigten, »nachträglich eine Kluft zwischen dem Z K der K P D [in Moskau, d. Verf.] und dem von den illegalen Parteiorganisationen organisierten Widerstand zu konstruieren« (Bd 4, S. 537). Was hier in den Bänden 4 (S. 535—537), 5 (S. 244, 246, 250 f., 2 6 5 - 2 7 6 , 2 9 2 - 2 9 4 ) und 6 (S. 297, 301 305) relativ eingehend abgehan- delt wird und in der Retroperspektive verklärender Heroisierung und Idealisierung nach dem M o t t o , daß sich das Z K der K P D niemals habe irren können, geglättet und harmoni- siert erscheint, war f ü r die antifaschistische Volksfrontpolitik und auch f ü r die ostdeutsche Nachkriegsgeschichte ein schwieriger und umstrittener Sachverhalt: Ab 1943, als sich der militärische Sieg deutlicher abzuzeichnen begann, liefen die Bemühungen der deutschen K P - F ü h r u n g in Moskau, auf der Grundlage der Bewegung »Freies Deutschland« als

»Treibriemen zwischen dem Proletariat und allen bündnisfähigen nichtproletarischen Mas- sen in Deutschland«, aber doch »bei strikter W a h r u n g der politisch-ideologischen und or- ganisatorischen Selbständigkeit der Partei« eine breite klassenübergreifende antifaschisti- sche K a m p f f r o n t aus unterschiedlichen progressiven politischen, gesellschaftlichen, religiö- sen und militärischen Gruppen, aus Arbeiterschaft, Mittelstand, Landbevölkerung und In- telligenz zu mobilisieren, um das Regime doch noch aus eigener Kraft von innen heraus zu stürzen und die Voraussetzungen f ü r eine kommende demokratische Republik auf soziali- stischer Grundlage zu schaffen, in der es kein Zurück zu Weimar geben könne. Diese Be- mühungen des Z K der K P D in enger Zusammenarbeit mit der politischen und militärischen Führung in Moskau waren offenbar den illegalen Kadergruppen in Deutschland nur schwer zu vermitteln und stießen hier hinsichtlich ihrer Zukunftsperspektive und Tragweite f ü r die Zeit nach Hitler auf erhebliches Mißtrauen. Es herrschte, so wird zugegeben, »über die Per- spektiven dieser spezifischen Form der Bündnispolitik der Partei in ihrer ganzen Vielfalt und Tragweite« nicht sofort überall »volle Klarheit« und »bedurfte großer politisch-ideolo- gischer Arbeit, bei allen illegalen Kadern der Partei darüber Einmütigkeit zu erzielen«

(Bd 5, S. 267).

Soweit wir das überhaupt bei der desolaten Quellenlage heute noch rekonstruieren können, wurden Befürchtungen an der Widerstandsbasis in Deutschland laut, in der Bündnispolitik werde »die entscheidende strategische Aufgabe der Partei, den Kampf f ü r die Errichtung der Diktatur des Proletariats zu führen, nicht genügend stark herausgearbeitet« (Bd 4, S. 535), mit der Gefahr, am Ende die proletarische Weltrevolution zu verpassen. Zweiflern und Kleinmütigen wurden und werden jedoch unter ausschnittweiser Zitierung und der be- rühmten »Plattform« der illegalen operativen Inlandleitung der K P D »Wir Kommunisten und das >Nationalkomitee Freies D e u t s c h l a n d s vom April 1944 und des Dokumentes »Am

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Beginn der letzten Phase des Krieges« aus demselben Jahr »radikalistische Kinderei« und

»sektiererische Enge« ins Stammbuch geschrieben, wenn sie glaubten, auf dem W e g e zur proletarischen Diktatur und zum Sozialismus könnten wichtige Etappen des Kampfes im zeitweiligen Bündnis auch mit progressiven antifaschistischen Kräften des Bürgertums und der W e h r m a c h t einfach übersprungen und könnte statt dessen nach dem Sturz des Faschis- mus direkt auf das revolutionäre Endziel losgesteuert werden.

Nachdenklichkeit im Blick auf die Entwicklung danach weckt auch die im erwähnten D o - kument 1944 formulierte Perspektive der »Demokratie neuen Typs«: zu ihr gehöre als

»Angelpunkt« die »Verlagerung der M a c h t nach unten, in Betriebe, auf Volksausschüsse in D ö r f e r n und Städten«. »Keine beschlußfassende Körperschaft der Arbeiterklasse in Betrie- ben, Organisationen und Volksausschüssen ohne bewaffnete Kräfte zur D u r c h f ü h r u n g ih- rer Beschlüsse, das sind die Formen der Demokratie, die wir anstreben und die wir in der ersten Etappe bereits vorbereiten.« (Bd 5, S. 275)

W e n n wir weiterverfolgen, mit welcher Entschlossenheit ein Jahr später bereits die sich kurz vor oder nach Einmarsch der Alliierten vielerorts spontan von unten bildenden »Antifaschi- stischen Ausschüsse« (»Antifas«) aus Kommunisten, Sozialdemokraten und vielfach auch aus linksbürgerlichen Kräften dann mit ihren antifaschistischen Selbstverwaltungsaktivitä- ten in Städten und Gemeinden nicht nur in den Westzonen, sondern auch in der SBZ durch die »Gruppe Ulbricht« im Gefolge der Roten Armee im Mai 1945 entmachtet und zurecht- gestutzt wurden, wenn sie sich nicht den Direktiven von oben fügten, so wird deutlich, wie von Anfang an bei der sozialistisch-revolutionären »Demokratie neuen Typs« Anspruch und Realität auseinanderklafften (zu den Antifaschistischen Ausschüssen vgl. Bd 6, S. 656, 662, 674, 682, 685). Aber auch ein zweites wird in den Bänden überall greifbar und auch von den Autoren zugegeben: der nur vorübergehende und taktische Charakter der antifa- schistischen Volksfrontpolitik mit bürgerlichen Kräften im »Nationalkomitee Freies Deutschland« und im »Bund deutscher Offiziere«, bis der Sturz des Hitlerregimes erreicht und die unangefochtene Führungsrolle der K P D fest in Deutschland verankert sein würden.

Dieses Fehlen einer wirklichen Basis f ü r ein gemeinsames Zukunftshandeln haben viele Wehrmachtangehörige und viele bürgerliche Antifaschisten schon damals im Kriege reali- stisch gesehen und diskutiert, und es hat die Bereitschaft zum Massenwiderstand an der Seite der Kommunisten nicht eben beflügelt (vgl. das aufschlußreiche Dokument Bd 5, S. 260).

Neben diesen wenigen ließen sich noch zahlreiche weitere Beispiele aufzeigen, w o die Dia- log- und Konsensmöglichkeiten mit D D R - H i s t o r i k e r n nach Ausweis des vorliegenden Werkes offenbar ideologisch und politisch begrenzt sind. So wird bei den Millionen Flücht- lingen vor den Russen 1945 nur von »Zwangsevakuierung« (Bd 6, S. 618) und »Zwangseva- kuierten« (Bd 6, S. 633), von »sogenannten Ostflüchtlingen« (Bd 6, S. 637) sowie davon ge- sprochen, seit Januar 1945 habe »das Regime weitere Millionen Menschen aus den östli- chen Gebieten auf die Straße« gejagt (Bd 6, S. 635).

Die von den Autoren mit Recht in der militärischen Pattsituation des Sommers 1940 heraus- gestellten »verschiedenen Varianten und zum Teil widersprüchlichen Pläne dieses Zeitrau- mes« hinsichtlich einer weiteren Kriegführung (Bd 1, S. 335; vgl. auch S. 342 ff., 388 f., 413) müßten doch wohl unter der Frage nach einem »konzeptionellen Pluralismus« intensi- ver — wie dies etwa bei Hillgruber oder auch in den Bänden 3 und 4 des Freiburger Werkes geschieht — in ihrem Eigengewicht, ihrer Tragweite, ihren Realisierungschancen und in ih- rer institutionellen und personellen Verankerung im politischen und militärischen M a c h t - apparat des Dritten Reiches überprüft werden. Dabei wäre dann auch gründlich zu erör- tern, inwieweit die Entscheidungssituation damals f ü r Deutschland offen w a r und mit wel- chen Chancen Alternativen zum Uberfall auf die Sowjetunion oder nur zusätzliche imperia- listische Ergänzungen zu ihm von den zuständigen Ressorts entwickelt wurden, bevor dann die Weichen im Dezember 1941 endgültig f ü r den »Fall Barbarossa« gestellt worden sind.

Ausdrücklich zuzustimmen ist den D D R - H i s t o r i k e r n in der energischen Zurückweisung der unhaltbaren und entlastenden alten Propagandathese vom deutschen »Präventivschlag«

gegen eine angebliche sowjetische »Bedrohung« am 22. Juni 1941 (Bd 1, S. 367), die leider bei uns im sogenannten »kleinen Historikerstreit« gerade wieder aufgewärmt wird.

Niemand wird angesichts der erdrückenden Beweislast heute mehr ernsthaft in Abrede stel- len wollen, daß sich führende Kreise der deutschen Großwirtschaft schon früh in die impe-

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rialistischen »Neuordnungsplanungen« f ü r die besetzten Gebiete eingeschaltet und dann auch ohne Skrupel an der Ausbeutung Polens, der Sowjetunion und anderer Okkupations- gebiete bereichert haben. D e r gegenwärtige Forschungsstand bei uns und nicht zuletzt auch der vierte Freiburger Band lassen den polemischen Vorwurf ins Leere stoßen, von — hier wieder nicht namhaft gemachten — »bürgerlichen Autoren« würden die deutschen Verbre- chen im Machtbereich der Zivilverwaltung Gauleitern und SS-Führern angelastet, »Wehr- macht und andere staatliche Behörden sowie Einrichtungen der Wirtschaft aber entlastet werden« (Bd 2, S. 123). Etwas anderes aber ist es, über die immer wieder konstatierte und auch gar nicht abzustreitende Komplizenschaft oder gar partielle personelle Verschmel- zung von faschistischem Staat und Privatindustrie hinaus nun konkret nachzuweisen, bis zu welchem Grade diese Wirtschaftskreise nicht nur Nutznießer der O k k u p a t i o n gewesen sind, sondern auch bei der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges und bei der Vorbereitung des Uberfalles auf die Sowjetunion unmittelbar und aktiv in die politischen und militäri- schen Entscheidungsprozesse eingebunden waren. Diese Frage stellen heißt nicht, nach- träglich »Mohrenwäsche« zu betreiben, sondern ist eine Sache historischer Redlichkeit. Lei- der belassen es die Autoren in ihren Entscheidungsanalysen bei allgemeinen Behauptungen oder indirekten Beweisketten (vgl. Bd 1, S. 388 ff., 396 ff., 403 ff., 409 ff., 555).

Bilanzierende Gesamtdarstellungen sind ein sehr aufwendiges und langfristiges Unterneh- men, vor allem, wenn sie nicht nur so etwas wie eine vorläufige Quersumme aus vielen Ein- zelforschungen geben, diese kritisch diskutieren und in einen umfassenderen Rahmen ein- ordnen wollen, sondern darüber hinaus noch — wie die D D R - V e r ö f f e n t l i c h u n g — gleich- sam offiziösen und verbindlichen Charakter tragen. So hat also sicher nicht zufällig die Edi- tion der sechs Bände »Deutschland im Zweiten Weltkrieg« mehr als zehn Jahre gedauert, und das Freiburger Militärgeschichtliche Forschungsamt hat nach fast zehn Jahren erst fünf von den geplanten zehn Bänden präsentiert. Damit soll nur eines deutlich gemacht w e r d e n : Die politischen und geistigen Reformimpulse, die gegenwärtig von der M o s k a u e r Führung aus nicht nur auf die sowjetische Historiographie und hier insbesondere auch auf eine kriti- sche Neubewertung der Stalinzeit und des Zweiten Weltkrieges ausstrahlen, sondern be- reits auch in anderen sozialistischen Staaten wie Ungarn und Polen deutlich Zeichen einer vertieften Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte ohne ideologische Scheuklappen hin- terlassen, dürften in den nächsten Jahren wahrscheinlich zunächst in Einzelforschungen ih- ren Niederschlag finden. Eine neue Gesamtbilanz mit einem mehr pluralistischen Duktus der kritischen Selbstbesinnung auf das eigene T u n wird wohl noch Jahre, wenn nicht J a h r - zehnte, auf sich warten lassen. Bernd-Jürgen Wendt

1 M. G. Steinert: Hitlers Krieg und die Deutschen. Stimmung und Haltung der deutschen Bevölke- rung im Zweiten Weltkrieg. Düsseldorf, Wien 1970 ( = Veröffentlichung des Institut Universitaire de Hautes Etudes, Genf.)

2 L. Herbst: Der totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft. Die Kriegswirtschaft im Spannungs- feld von Politik, Ideologie und Propaganda 1939—1945. Stuttgart 1982 ( = Studien zur Zeitge- schichte. Bd 21.)

3 B. Pietrow: Stalinismus, Sicherheit, Offensive. Das »Dritte Reich« in der Konzeption der sowjeti- schen Außenpolitik 1933—1941. Melsungen 1983 ( = Kasseler Forschungen zur Zeitgeschichte.

Bd 2.) Vgl. M G M 37 (1985), S. 258 f.

Ernst Nolte: D e r europäische Bürgerkrieg 1917—1945. Nationalsozialismus und Bol- schewismus. F r a n k f u r t / M . , Berlin: Propyläen 1987. VII, 616 S.

Anlaß zu dem »Historikerstreit« w a r der Presseartikel, in dem Ernst Nolte im Sommer 1986 einige Thesen des hier zu besprechenden Buches veröffentlichte. Wie sehr diese Auseinan- dersetzung politisch begründet ist, spiegelt sich in der Schärfe der Ablehnung wider, die dem Erscheinen des Bandes in mehreren Zeitungs- und Zeitschriftenbeiträgen folgte. Pole- mische Hinweise auf sachliche Irrtümer oder auf nichtbenutzte Literatur werden diesem W e r k jedoch nicht gerecht, da hierin vor allem die Ursachen des Geschehens und eine Ver- k n ü p f u n g der Ereignisse angesprochen werden. Deshalb kommt es zunächst darauf an, die Ausgangspunkte und den Inhalt des Bandes zu würdigen.

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Nolte hatte seine früheren Arbeiten »Der Faschismus in seiner Epoche« (1963), »Deutsch- land und der Kalte Krieg« (1974) sowie »Marxismus und Industrielle Revolution« (1983) als »Trilogie zur Geschichte der modernen Ideologien« aufgefaßt, gelangte dann aber zu der Überlegung, daß die Geschichte der Sowjetunion und ihrer Staatspartei noch stärker zu berücksichtigen sei, wenn mehr als eine »bloße Ideengeschichte« geschrieben werden sollte.

Sein zweiter Ausgangspunkt f ü r den Band war die Auffassung, die zeitliche Distanz zum Nationalsozialismus und zum Zeitalter der Weltkriege ermögliche jetzt eine Historisie- rung: »Die Weltsituation hat sich mithin so sehr verändert, daß die A n n a h m e einer [ . . .]

Gleichartigkeit der Verhältnisse, welche allein die Furcht vor der Wiederholung bestimmter Ereignisse rechtfertigen kann, keine Grundlage mehr hat. Die V e r m u t u n g , daß in Deutsch- land eines Tages ein neuer Hitler große Massen auf gefährliche W e g e locken und am Ende gar eine neue Version von Auschwitz ins W e r k setzen werde, w a r von jeher unbegründet und ist heute nur noch töricht«. (S. 15). Deshalb sieht Nolte »volkspädagogische Besorgnisse«

— offensichtlich ein Hauptmotiv seiner Gegner — als überflüssig an und meint, die N S - V e r - gangenheit nicht zentral im Antisemitismus und im Verbrechen, sondern vor allem in ihrem Verhältnis zum sowjetischen Kommunismus erkennen zu können. In einem V o r w o r t und einer Einleitung »Perspektiven f ü r die Weltkriegsepoche« stellt er ausführlich diese Überle- gungen vor und begründet die W a h l der Begriffe für seinen Band.

Das I. Kapitel, »Schlußpunkte und Vorspiel 1933«, stellt die Angst vor der K P D als stärk- ster Partei in Berlin im H e r b s t / W i n t e r 1932/33 heraus, um damit die Resignation der da- mals verantwortlichen Persönlichkeiten gegenüber Hitler zu erklären. Das II. Kapitel bietet einen sehr kenntnisreichen »Rückblick auf die Jahre 1917—1932« unter dem Gesichtspunkt

»Kommunisten, Nationalsozialisten, Sowjetrußland«. Die hierzu aufgeführten Ereignisse und Zusammenhänge wurden bisher noch nie so ausführlich dargestellt. Das anschließende III. Kapitel über die beiden »Ideologiestaaten im Frieden 1933—1941« f ü h r t dagegen durch eine weitgehend erforschte Thematik und bietet insofern kaum neue Aufschlüsse. Zu der ungelösten Frage nach dem Hintergrund der von Stalin angeordneten Schauprozesse der Jahre 1936—1938 stellt Nolte die bisherigen Erklärungsversuche nebeneinander. Die wirkli- chen Ursachen f ü r die Dezimierung der sowjetischen Führungsschicht werden vermutlich auch dann nicht nachzuweisen sein, wenn die Moskauer Archive zugänglich wären.

In dem sehr eindrucksvollen IV. Kapitel, »Strukturen zweier Einparteistaaten«, wird das Ergebnis der zuvor dargestellten Entwicklung unter dem Blickwinkel der Staatsparteien und ihrer Führer, des Polizeiterrors, der Jugendverbände, der Propaganda, Literatur und Kultur sowie des Rechtswesens und der Rüstung zusammengefaßt. W ä h r e n d die politikwis- senschaftlich orientierte Totalitarismustheorie die Identitäten der Systeme hervorgehoben hat, werden hier systematisch die historischen Unterschiede zwischen Sowjetunion und NS-Staat dargestellt. Daran sollten insbesondere die bisherigen Kritiker der Totalitarismus- thesen nichts auszusetzen haben. Außerdem dürften einem Hervorheben negativer Seiten der Politik Lenins und Stalins gerade diejenigen nicht widersprechen, die den seitherigen Wandel der Sowjetunion anerkennen. Auch bestätigt Nolte mit seiner Darstellung der ge- genseitigen Eskalation sowie angeblicher oder wirklicher Sachzwänge die Ergebnisse der Konfliktforschung — eine Zustimmung zu weiten Teilen seiner Arbeit müßte auch deshalb möglich sein. D a ß die Gegenüberstellung der Systeme vorwiegend zugunsten des Dritten Reiches ausgeht, wird überzeugend mit dem Nachwirken älterer deutscher Traditionen und Institutionen nachgewiesen, die auf russischer Seite, ζ. B. im Rechtswesen, fehlten.

Das V. (letzte) Kapitel behandelt den deutsch-sowjetischen Krieg 1941—1945. Im Ver- gleich zu den vorhergehenden Ausführungen wird hier der Leser enttäuscht, weil einige — noch zu nennende — überholte Thesen vertreten werden und mehreren Urteilen oder Ver- gleichen nur mühsam zu folgen ist.

Damit zur Kritik an Noltes W e r k übergehend, ist zunächst der Vorwurf einer Verharmlo- sung von Faschismus und Nationalsozialismus auszuschließen; auch hat N o l t e wiederholt eindeutig den Krieg im Osten als Vernichtungskrieg und den nationalsozialistischen Völ- kermord als einzigartig charakterisiert. Viele relativierende Teilaussagen k ö n n e n nur dann als verharmlosend bezeichnet werden, wenn man sie aus dem Z u s a m m e n h a n g herausreißt.

Aber: Nolte setzt sich mit manchen Formulierungen überflüssigerweise einer Mißdeutung aus. Für den Nachweis seiner Hauptthese vom zentralen Gegensatz des Nationalsozialis-

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