Der Stand der Yüan-ch*ao-pi-shi=Forschung
Von Erich Haenisch, Berlin
Seit dem Erscheinen der Textrekonstruktion des Yüan-
ch'ao pi-shi^) sind nunmehr 6 (8), seit dem des Wörterbuchs*)
4 Jahre verstrichen. Man kann nach dem Widerhall, den sie
gefunden hat, nicht sagen, daß die Publikation, auf die die
Orientalistik seit 75 Jahren wartete, großen Erfolg ver¬
zeichnet hätte. Bei den meisten zuständigen Zeitschriften
blieb sie unbeachtet, wurde auch nicht angezeigt. Bespre¬
chungen brachten : Toung Pao 1936 (P. Pblliot), Befeo 1937/8
(G. CöBDÄs), JRAS (G. L. M. Clafson), ZDMG 1940 (K. Gbon-
bbch), diese für Text und Wörterbuch. Die deutsche Über¬
setzung vom Jahre 1941') hat natürlich weiteres Interesse
geweckt. Eine neuerliche Besprechung in der Histor. Ztschr.
Bd 165,1943 (A. v. Gabain) behandelt alle dreiTeile. Die ersten
Besprechungen atmen starke Zurückhaltung, begreiflicher¬
weise. Denn eigentlich wurde Pelliots große Ausgabe erhoflEt.
So konnte man aus ihnen Enttäuschimg herauslesen, ja, auch
Zweifel an der Kompetenz. Handelt es sich docb um einen
schwierigen Stoff, dessen Bearbeitung schon einen Sino-
Mongolisten erforderte oder eines Mongolo-Sinologen. Deren
gibt es wenige. — Wenn ich auch selbst meine Arbeiten vor
vierzig Jahren gerade auf diesem Gebiet, mit einer beschei¬
denen Studie*), begonnen habe, so war doch meine spätere
1) Manghol un Niuca tobca'an (Yüan-ch'ao pi-stii) die Ge¬
heime Geschichte der Mongolen, Leipzig Asia Major 1935, Har¬
rassowitz 1937.
2) Wörterbuch zu Manghol un Niuca tobca'an, Leipzig 1939.
3) Die Geheime Geschichte der Mongolen, Leipzig 1941.
4) Die Chinesische Redaktion des Sanang Setsen im Ver¬
gleich mit dem mongolischen Urtext, Berlin 1904.
110 E. Haenisch, Der Stand der Yüan-ch'ao-pi-shisForschung
mongolistische Produktion gering. — Die Textausgabe (auf
die das Fach wie gesagt seit einem Dreivierteljahrhundert
wartet) wurde als verfrüht bezeichnet. Im JRAS heißt es von
einer Ausgabe 'in transcription with a few notes' (etwa 1500),
ohne eine Erwähnung der in der Arbeit steckenden Schwierig¬
keiten, so daß der Leser den Eindruck gewinnen muß, es han¬
dele sich um eine einfache Umschreibung chinesischer Zeichen
in Wadesche Umschrift, und sich gewiß fragt, warum solche
Arbeit nicht lange geleistet sei. Alle Besprecher bestätigen
emphatisch meine Erklärung, daß es sich noch nicht um eine
endgültige Ausgabe handele. Beanstandet wird mit Nachdruck,
daß sie nur auf Grund einer Fassung hergestellt sei, woraus
ein Vorwurf der Unsorgfältigkeit klingen möchte. Es wird aber
nicht von den Hindernissen gesprochen, die ich erwälmt hatte :
Daß ich mich in Urga und in Petersburg vergeblich um die
Benützimg der Handschriften bemüht habe. In Urga (1928),
wo'ich über einen Monat im Wissenschaftsamt wohnte, fast
täglich in der Bibliothek saß, jeden Druck und jedes Manu¬
skript in der Hand gehalten und vor allem eben nach der 'Ge¬
heimgeschichte' gefahndet habe, hat man mir den kurz vorher
gemachten Fund einer mongolisch geschriebenen Handschrift
verschweigen zu müssen geglaubt, wohl aus einem Loyaütäts-
gefuhl gegen den Pariser Kollegen, dem man sogleich eine
Photokopie übersandt hatte. Und in Petersburg, bald danach,
koimte mir Professor B. Ya. Vladimiezov meinen Wunsch
nach Einsicht in Palladitts' Handschrift auch nicht erfüllen,
weil er sie mitsamt dem übrigen Material ebenfalls schon nach
Paris gegeben hatte. Aber weder die Handschrift Urga noch
die Handschrift Palladius wurde herausgegeben, so wenig
virie die Handschrift Naitö in Japan, nach der der japanische
Orientalist Naka im Jahre 1907 seine japanische Übersetzung
angefertigt hatte. Man gewann den Eindruck, als werde mehr
Eifer auf die Verteidigung des Materials verwandt als auf
seine Herausgabe. Demgegenüber war ich hilflos. Wollte ich
nicht noch auf die angekündigte Ausgabe der Handschrift
aus dem Besitz der Commercial Press in Schanghai warten,
die meines Wissens bis heute noch nicht erschienen ist, so
E. Haenisch, Der Stand der Yüan-ch'ao-pi-shi=Forschung III
blieb mir nichts übrig, als mit der allein zugänglichen Druck¬
ausgabe Ye Te-hui von 1908 zu arbeiten und aus ihr den
Text zu erstellen. Jedoch wollte ich noch versuchen, in China
selbst andere Handschriften einzusehen, was mir in dem be¬
wegten Jahr 1928 nicht möglich gewesen war. Zu diesem
Zweck unternahm ich die Reise im Jahre 1936. Daß ich mit
der Herausgabe der Rekonstruktion nicht bis zu meiner
Rückkehr wartete, beruhte auf einer inneren Warnung : In
China hat man das Büd des 'Vorderen Wagens'. Es heißt:
"SÜ^S^^?® ,,wenn der vordere Wagen umgestürzt ist, ist
der spätere Wagen gewarnt". Man weiß nicht, ob man von
einer weiten Reise zurückkehrt. Es sollte meiner Arbeit nicht
gehen wie der meines Vorgängers P at.t.ah tits — Meine Text¬
ausgabe hatte nun auch ihr besonderes Schicksal. Von. der
Ausgabe 1935 konnten nur die Autorenexemplare, an Facb-
vertreter, Bibliotheken und einige Zeitschriften, verschickt
werden, denn der Verlag Asia Major wurde eingestellt. Der
Verlag Harrassowitz, der das Werk übernahm, brachte es
dann im Jahre 1937 heraus, mit der Nachlieferung der etwa
1000 Variantenstellen, die nicht mehr in den Text hinein¬
gearbeitet werden konnten, sondem als Anhang gegeben sind.
Immerhin sind doch damit drei andere Handschriften berück¬
sichtigt worden, und ist also der kritische Wert der Ausgabe
erhöht. Die Billigkeit erfordert, daß heute nur die Ausgabe
1937, mit der Variantenliste zitiert wird, nicht die nur in
10 Exemplaren erschienene Vorausgabe. Der Nachtrag ist im
Toung Pao, das nur die Ausgabe 1935 besprochen hatte, nicht
mehr erwähnt worden.
In Peking erfuhr ich in der Nationalbibliothek und bei
Professor Ch'en Yxjan weitestes Entgegenkonomen. Der
Vergleich meiner Vorlage, der Drackausgabe Ye Teh-hui, mit
dem alten Dmckfiragment, der Handschrift Commercial Press
und der Handschrift Palladius, die ich nun doch in der Bi¬
bliothek in einer von Prof. PeiüOT geschenkten sekimdären
Photokopie vorfand, erwies die Güte des Dmckes, der mit
dem alten Dmckfragment und der Handschrift Commercial
Press ziemlich zusammengeht, während die Handschrift Pal-
112 E. Haenisch, Der Stand der Yüan-ch'ao-pi-shi=Forschung
ladius für sich allein steht. Daß ich die Vergleichung 'hastig'
(rapidement) durchgeführt hätte, ist übrigens ein Zusatz des
Besprechers im Befeo. Ich hatte davon in meinem Bericht
mchts gesagt. Soviel über das von mir benutzte Material. Ein
weiterer Einspruch, auf den ich gefaßt sein mußte, gilt der
Umschrift : daß ich die heutigen chinesischen Lautwerte ein¬
gesetzt hätte, nicht die des 13. Jahrhunderts. Nun erscheint
mir die Lautforschung gerade für diese Zeit als ein Glatteis,
auf das ich mieh nicht begeben möchte. Hier sind noch ein¬
gehende Vorarbeiten nötig, für die übrigens eben unser Text
reichen Stoff bieten dürfte. Kablobens Tabellen führen uns bis
zur Tang-Dynastie, das sind immer noch 4—5 Jahrhunderte
vor dem Text. So habe ich mich lieber für den Gebrauch
der nördlichen Gegenwartsaussprache entschieden, natür¬
lich ohne die Palatalisierung der Anlaute, die zwar im 17. Jahr¬
himdert im Nordchinesischen schon durchgeführt war, aber
in der Mongolenzeit sicher noch nicht. Im Punkte des Laut¬
bestands ist also meine Arbeit, das sei zugegeben, nicht ab¬
schließend und läßt dem Phonetiker noch eine schöne Aufgabe.
Wenn ich mich nun für den gegenwärtigen Lautbestand ent¬
schieden hatte, mußte ich um der Folgerichtigkeit willen an
der einen oder anderen Stelle gegen das Herkommen verstoßen.
So bei der (Jenitivpartikel, die stets nu gelesen wurde und
auch in den Phagspa-Texten des 13. Jahrhunderts diesen
Laut aufweist. Aber das Zeichen der chinesischen Glosse
in Kablobens Tabellen nicht aufgeführt, heute in den beiden
Aussprachen nu und no vorkommend, wird sonst in Umschrei¬
bungen nur für die Silbe no, nö, ne mit offenem o oder ö
verwandt, z. B. im Namen des Flusses Erguwe. Nach einer
Korrespondenz mit P. A. Most a ebt habe ich mich bereit ge¬
funden, wenigstens im Wörterbuch noch die Schreibung ng
einzusetzen. K. Gbsnbbchs Einwendung richtet sich gegen
die Silbenliste im Wörterbuch, die einem nicht viel helfe, da
bei einer Mehrheit von Umschreibungszeichen für dieselbe
Silbe man im Einzelfalle nicbt wissen könne, welches der
verschiedenen Zeichen gebraucht sei. Solche Zweifel können
allerdings hinsichtlich des auslautenden -m bestehen. Sonst
E. Haenisch, Der Stand der Yüan-ch'ao-pi-shi=Forschiing 113
aber sind eben die verschiedenen Zeichen für eine Silbe laut¬
lich gleichwertig und mehr nach dem immer durchscheinenden
BegrifEswert gewählt, wie ich in meiner vorausgeschickten
Studie^) dargetan habe. Alle strittigen Fragen sollen noch in
einem Band IV meines Werkes soweit möglich ihre Erörte¬
rung finden. Größere Untersuchungen müssen den Spezialisten
überlassen bleiben. Manche Fragen haben sich inzwischen
schon geklärt, manche Fehler sich herausgestellt, von denen
einige, aber nicht alle, in einer nachgelieferten Liste ihre
Verbesserung gefunden haben. (Man notiere noch teo'u für
too'zt, in der Silbenliste neben gun auch die Aussprache gum.)
Es wäre möglich, schon heute eine stark verbesserte Neu¬
ausgabe zu schaffen. (Die noch ausstehenden Handschriften
werden wahrscheinlich nicht mehr viel Aufklärung geben.)
Aber trotzdem scheint es doch besser, erst weitere Veröffent¬
lichungen abzuwarten. Zu solcher Mitarbeit aufzufordern,
war der eigentliche Sinn meiner Arbeiten.
Was ist nun inzwischen von anderer Seite beigesteuert
worden ? Es war zu hoffen und zu erwarten, daß die Be¬
sitzer der weiteren Handschriften diese anmelden oder gar
publizieren würden. Das ist bisher leider noch nicht geschehen.
Auch Pelliots Werk ist noch nicht herausgekommen. Immer¬
hin sind einige Neuerscheinungen zu verzeichnen, von japa¬
nischer, mongolischer und russischer Seite.
1. Zunächst erschien im Jahre 1939 unter dem Titel
Monggol un niguca tobciyan ^^jitW^lSt von dem japa¬
nischen Orientalisten Hattobi Shiro und dem
Mongolen Duo 'ab Jab ?15P$MtL^ in Gemeinschaftsarbeit
in Tokio beim Verlag in neumongolische Schrift um¬
geschrieben und in Faksimiledruck, das erste Kapitel des
Werkes, mit durchgezählten Abschnitten. Bisher ist mir nur
dieses eine Heft bekannt geworden. Sollte es nicht fortgesetzt
werden, dann bedeutete es als Fragment nicht mehr als Poz-
DNEJEVs Arbeit von 1880, bis auf die Noten: Einige Wörter,
Namen, sind in Parenthese gegeben ; die Eigennamen zur ge-
1) Untersuchungen über das Yüan-ch'ao pi-shi Bd. XLI
Nr. IV der AbhdL d. S. A. d. W. Leipzig 1931. S. 513.
Zeltschrift d. DUG Bd. 98 (Kene Folge Bd. 23) g
114 E. Haenisch, Der Stand der Yüan-eh'ao-pi-shi=Forschung
nauen Lesung in mandschurischer Schrift. Für alte Formen
und ungewönliche oder zweifelhafte Wörter ist die Erklärung^
oder Konjektur in Klammer dazugesetzt, z. B. 21 caogen
{=cagan?), garurun (= garhu dur iyen!), uhat- (=uhamui!)
je; 7 edugui (=edui); 5 ayisuhu (=ireku) u. dergl. Die
Lautschreibung ist schon zur neuen Sprache entwickelt,
Vokalharmonie und Assimilation durchgeführt: für toreksen
der Vorlage — törügsen, für bolek — bölük, für ko'un —
köbegün, gu'un — kümün, ke'e — kerne usw. In der Einführung
heißt es S. 5: für die Romanisation des Textes gebe es zwei
Methoden, nämlich a) die mechanische Transkription, bei der
einem chinesischen Zeichen ein bestimmter lateinischer Laut-
komplex entspreche. Diese Transkription habe den Wert
eines Hilfsmittels für jemand, der beginne, sich mit der
Sache zu beschäftigen, und an die chinesische Schrift nicht
gewöhnt sei. Zu dieser Art gehörig betrachte der Verfasser
meine Arbeit, b) der Versuch, die Aussprache zur Zeit der
Entstehung des Originals oder der chinesischen Übersetzung
(Umschreibung?) darzustellen. Dabei könnten je nach den
Ansichten der Gelehrten Abweichungen herauskommen. Er
Hattori) habe sich der mongolischen Schrift bedient, um den
Mongolen den Text zur Lektüre zu liefern und dem Anfänger
das Studium dee Yüan-ch'ao pi-shi zu erleichtern. Eigentlich
habe er vorgehabt, mit seinem mongolischen Helfer das Werk
von Naka (d. h. die japanische Übersetzung des Textes) ins
Mongolische zu(rückzu)übersetzen, sich aber dann entschlos¬
sen, von Nakas Vorlage (derHandschrift Naitö) unmittelbar
den Mongolischen Text herzustellen. Da ihn nach Vergleich
mit Nakas und meiner Arbeit seine eigene noch nicht be-
firiedige, habe er die Weiterführung fürs erste zurückgestellt.
PozDNEJEVs Vorarbeit habe er nicht gesehen.
Drei weitere Textherstellungen in mongolischer Schrift, in
vollständigem Umfang, wurden mir durch Herm Dr. Heissig,
Sinking, freundlichst übersandt. Sie sind von Mongolen der
Inneren Mongolei, c ffenbar unter japanischer Ägide, geschaffen.
2. Die eine von 1941 (8. Jahr Engke-Erdemtu=Kangteh)
in Kleinquartformat, 297 Seiten, Druckort Hailu, Verlag
E. Haekisch, Der Stand der Yüan-ch'ao-pi-shisForschung 115
Monggol uthayin surgal un Ijural, Autor Bügegestk^), Schrei¬
ber Sain Biliktu, ist ein Steindruck mit dem ganzen Text in
10 Kapiteln und 2 Supplementkapiteln, die Abschnitte in
den einzelnen Kapiteln durchgezählt. Es sind hier und da
Zitate aus der chinesischen Glosse eingestreut, wobei der
Zweck nicht immer recht ersichtlich ist, wenn nicht einfach
die Fähigkeit des Autors dargetan werden soll. Chinesisch
zu lesen, und damit der Beweis, daß er selbständig aus der
Vorlage gearbeitet habe. Es werden ganz bekannte Wörter in
chinesischer Lautschreibung und Bedeutung aufgeführt, wie
etwa esuk Jl|j5|^ Pferdemilch. Oder es wird der Name
Hubilai noch einmal in chinesischer Schreibung mit dein
Zusatz 'Peirsonenname' geboten. Der Text ist an vielen
Stellen verändert in die neuen Formen z. B. tede für mvi,
üge für kele, keisgeksen ügei für keyiaum^er (56), wobei dann,
aber nur in chinesischer Schrift, die Schreibung der Vorlage
angegeben wird. Besonders verzeichnet sei die Schreibung köt
für ko'ut (köbegüt). Oft unterbrechen die Parenthesen zweck¬
los den Textzusammenhang. Aber solche Ungereimtheiten
finden sich auch bei Naka, z. B. § 46 (ißSl noyan). Auf
den vier Seiten seines Vorworts spricht sich der Autor über
den Text und seine Arbeit aus, nennt aber weder die Vor¬
arbeiten noch aucb seine Vorlage. Nach den chinesischen
Zitaten könnte es die Druckausgabe von Ye Tbh-htjt sein.
3. Die andere Ausgabe ist ein Druck in Oktavformat von
195 Seiten, gesetzt in den bekannten kleinen und schwer les¬
baren Typen der mongolischen Druckerei in Kaigan, früher
Peking. Sie ist mongolisch datiert mit Jahr 736 von Cinggis
Hagan d. i. 1942. Der Autor ist Altanwacib. Das Buch zeigt
den reinen Text, ohne Vorwort und ohne Noten, nur mit dem
kurzen Kolophon: orcigvluksan jokiyakaan kümün Harcin
baragun hosigun u Altanwacir yin Yung-cang, Übersetzer und
Bearbeiter Altanwacib, Yung-cang, vom rechten Banner der
Karcin. Der Text weicht an vielen Stellen beträchtlich von
den bekannten Handschriften ab, enthält also offenbar
1) Sprich Biih^ik. Der Autor hat mir sein Werls freundlichst geschenkt.
8*
116 E. Haenisch, Der Stand der Yüan-ch'ao-pi-8hi=Forschung
eigenmächtige Konjekturen gleich der Ausgabe von BtiGE-
GESiK, nur daß er nicht wie jene bei seinen Abweichungen die
Schreibung der chinesischen Vorlage angibt. In den beiden
Supplementkapiteln sind den Namen der chinesischen Orte
die chinesischen Zeichen in Klammern beigegeben. Bei der
mongolischen Schreibung dieser Namen finden sich manche
Besonderheiten z. B. Yargai für Erihaya und Urahai
§265, 267, Eri joo für Erije'u 265, Doromgai für Dor-
megai, Cabcil für Cabciyal 247 u. a. 0. Im Abschnitt 247,
XI, fol. 2 r. ist das Wort juying unterdrückt. Der Satz läuft
(S. 162, Z. 9): „Cinggis hagan gool cerik lüge ece! kitad i ködel-
geju kitad un jurced (^Ä) ww erekun omoh un cerig vd i
daruju . . ." Vgl. dazu die Schreibung auf S. 20, Z. 7 (75)
„ereken nomohan". Die Druckausgabe Ye Teh-hui hat an
beiden Stellen die gleiche Schreibung erekun omohun mit der
Glosse und fSc^ÄA'fäSS d. i. wagemutig und streit¬
bar. Das Wort' nomohan, fromm, das wohl überhaupt erst
mit dem Buddhismus seinen Weg in die mongolische Sprache
gefunden hat, würde auch dem Sinne nach nicht gut in den
Text passen. ■
4. Ein weiteres Buch vom gleichen Datum, Druck und
Format wie das vorige, 178 Seiten stark, ohne Einteilung in
Kapitel und Abschnitte, ohne Vorwort und irgendwelche
Noten nennt sich das von Kesikbatu übersetzte Yuwan
ulus un niguca tobciya, die Geheime Geschichte der
Mongolen. Es besteht in einer freien Nacherzählung, inter¬
essiert uns also hier weniger.
Es ist als sicher anzunehmen, daß die Wissenschaftsämter
(Utschkom) im Mongolenstaat d. h. in Ulanbator (Urga)
und in der Burjatischen Republik d. h. in Degedu Üte
(Verchne Udinsk), denen beiden ich meine Rekonstruktion
zugesandt hatte, sich mit Ausgaben beteiligt haben. Es sind
mir solche nicht zu Gesicht gekommen. Aber Professor Poppe
erzählt, daß man in Urga die eingangs erwähnte, im Utschkom
gefundene mongolische Handschrift jetzt herausgegeben habe,
hoffentlich auch in Faksimile oder, wenn gesetzt, unter
kompetenter Leitung.
E. Haenisch, Der Stand der Yüan-ch'ao-pi-shisForschung 117
5. Nun ist als größte und beachtenswerteste Ausgabe im
Jahre 1941 in Rußland im Auftrage der A. d. W. erschienen
ein 617 Seiten starkes Werk von S. A. Kozm, bekannt u. a.
durch seine Übersetzung des Heldenepos von Gesser Han
vom Jahre 1935. Das neue Werk wird noch mehr als die vier
vorerwähnten eine eingehende Beachtung und Besprechung
erfordern. In einem Einführungswort weist N. Poppe auf die
Bedeutung des Textes hin, für die Völker der Steppe soviel
wie ein Nibeltmgenlied. Für die Mongolistik leitet es zweifellos
eine neue Epoche ein. Kozms Leistung wird mit den Worten
gewürdigt, daß es nicht jedem gegeben sei, einen solchen Plan
durchzuführen.
Das Werk, das mit einem längeren Vorwort des Autors
eingeführt wird, besteht aus der Textwiederherstellung
in Romanisation, und zwar in zweifacher Ausführung,
dem eigenen System und dem des verstorbenen Mon¬
golisten B. Ya. Vladjmirzov. Diese doppelte Wiedergabe
ist nicht recht verständlich. Die Schreibung berücksichtigt
die Vokalharmonie, ist also schon eine Redaktion. Es folgt
die russische Übersetzung, danach ein neuer Text des Altan
tobci mit Übersetzung, das ja auf ganze Strecken mit der
'Geheimen Geschichte' parallel läuft. Es sind Wörterverzeich¬
nisse beigegeben und auch Anmerkungen. Aber — das ist das
Erstaunliche — in dem ganzen großen Werk, das der Wieder¬
herstellung eines chinesisch umschriebenen mongolischen
Textes gilt, findet sich nicht ein einziges chinesisches Zeichen !
Wir haben gesehen, daß selbst die mongolische Ausgabe von
Bttgeoesik nicht ohne chinesische Zeichen auszukommen ge¬
glaubt hat. Allerdings verweist KoziN auf zwei spätere Bände.
Also wird man das Urteil über sein Werk wohl zurückstellen
müssen, bis diese erschienen sind. Denn erst dann wird man
erkennen, wie er zu seinen Lösungen gekommen ist. Man
erfährt auch nicht, ob Koztn die Arbeit ganz selbständig ge¬
leistet hat oder in Zusammenarbeit mit einem Sinologen. Er
selbst ist unseres Wissens kein solcher. — In einem Aufsatz,
betitelt 'Quelques mots encore sur les lettres des il-
khans de Perse' in Nr. 10 der Collectanea Orientalia, Wilna
9
118 E. Haenisch, Der Stand der Yüan-ch'ao-pi-shi=Forschung
1936, auf S. 9 zitiert W. Kotwicz eine Lesung Kozms aus
der Geheimen Geschichte § 209 initio '^VMlLMM (cho-li-um
-lo-chou—jori'ulju (-jeo) ile'esu 'zeigen lassend' ...), als jigür
e ayulzu ilebesü, ,,quand j'envoyais avec mes ordres". Kot¬
wicz bemerkt zwar, daß Koznr, in einem neuerlichen Brief
vom Juli 1936 (also nach dem Erscheinen meiner Text¬
rekonstruktion) auf diese Lesung verzichtet habe. Aber man
gewinnt daraus den Eindruck, als habe er damals vielleicht
mehr nach einer Transkription, etwa der von Palladitts,
gearbeitet als unmittelbar aus dem chinesischen Umschrei¬
bungstext. Denn die Glosse daneben schreibt ja klar ^^h^
'zeigen lassend'. — Kozm gibt in seinem Vorwort folgende
Unterlagen an: 1. Palladius' ms (doch wohl auch seine
Bearbeitung?). 2. chin, lithogr. Ausgabe von Li Wen-t'ien
(die chin. Paraphrase). 3. Druckausgabe (Kuan-ku t'ang) von
Ye Teh-hui 1908. 4—7. Drei Pekinger mss und das Druck¬
fragment. 8. Nakas Kopie. 9. ms der Commercial Press in
Shanghai. 10. Pelliots ms. 11. Altan tobci. Das ist eine statt¬
liche Reihe von benützten Vorlagen, deren Benutzung aber,
wie gesagt, in dem vorliegenden Band nicht zum Ausdruck
kommt. Es wird nirgendwo auf die Handschriften einge¬
gangen, es fehlen ja überhaupt alle chinesischen Zeichen.
Meine eigene Ausgabe, die 'nur mit einer Handschrift ge¬
arbeitet habe und jedweder Erläuterung entbehre', fällt sehr
gegen das neue Werk ab. Ich könnte einwenden, daß ich von
den 11 Vorlagen wenigstens 5 benutzt habe : Nr. 2, die chin.
Paraphrase von Li Wen-t'ien (von der ich, wie ich in
meinem Vorwort erwähne, schon vor mehr als zwanzig Jahren
eine vollständige Übersetzung angefertigt hatte), und neben
Nr. 3, eben meiner Vorlage, noch Nr. 1, ms Palladius, Nr. 7,
das Druckfragment, und Nr. 9, ms CJommercial Press, in der
Anführung von etwa 1000 Variantenstellen, weiter in den,
doch vorhandenen, etwa 1500 Anmerkungen natürlich weit¬
gehend von chin. Umschreibungstext und Glosse unter Ver¬
wendung chinesischer Zeichen Gebrauch gemacht habe, auch
mein Wörterbuch nicht wie Kozrsrs Wörterlisten sich mit den
Bedeutungen in russischer bzw. deutscher Sprache begnügt.
E. Habnisch, Der Stand der Yüan-ch'ao-pi-shi=For8chung 119
sondern für jedes Wort die Werte in chinesischen Zeichen
bringt, aus Glosse und Paraphrase, tatsächlich aus diesen
heraus gearbeitet ist. Zu erwähnen wäre u. a., daß Kozin
für die Genitivpartikel auch meine Schreibung no ge¬
braucht hat. Durch seine literarhistorischen Ausführungen
und auch durch die Hervorhebung der poetischen Stellen,
der Verse in Stabreim, zeichnet sich Kozms Werk vor den
Vorarbeiten aus.
Alle diese fünf, mit meiner eigenen, sechs Ausgaben wer¬
den bei einer späteren großen kritischen Edition zu berück¬
sichtigen sein. Ein Wunsch allerdings wäre bei einer solchen
vordringlich, nämlich die Bekanntgabe von Palladius' Mate¬
rial d. h. von seiner Ausarbeitung^). Diese Forderung hätte
schon die russische Ausgabe erfüllen müssen, mit dem Ab¬
druck von Palladius' Nachlaß, etwa an Stelle der zweiten
Transkriptionsfassung. Unseres Erachtens ist es eine Ehren¬
pflicht gegenüber der Leistung des großen Forschers, nach
dem Schicksal, das sein Nachlaß erfahren hat. Es darf
nicht sein, daß die vor 60—70 Jahren dargebotenen Früchte
seiner Arbeit heute unvermerkt in neue Arbeiten aufgehen.
Ohne vorherige Erfüllung dieser Pflicht sollte die große
Ausgabe nicht geschaffen werden. Und es sollte jetzt auch
der Zeitpunkt gekommen sein für alle beati possidentes,
ihr Material bekanntzugeben. Es genügte dazu wohl, daß
die Besitzer der Handschriften deren Varianten zur Druck¬
ausgabe Ye verzeichneten, wie ich es in meinem Nachtrag
getan habe.
Zum Schluß eine Tabelle: Der Text der 'Geheimen Ge¬
schichte', d. h. der chinesische Umschreibungstext, ist be¬
kannt: a) in Rußland seit 1878, b) in Japan seit 1901, c) in
der Mongolei sicher, wie in China, seit 1908, d) in Frankreich
sicher seit 1918, e) in Deutschland seit 1929. Die Rekonstruk¬
tionen erschienen: 1. in Deutschland 1935 (37), 2. in Japan
1939, 3. in der (Inneren, japanischen) Mongolei 1941 und 1942,
4. in Rußland 1941. Alle Ausgaben sind 'selbständig'. Aber
1) S. Dazu John C. Ferguson, Palladius in The China Jour¬
nal vol. XI 1929 p. 174
120 E. Haenisch, Der Stand der Yäan-eh'ao-pi-shi=For8chung
man kann sich fragen, warum die fremden nicht vor sondern
nach der deutschen herausgekommen sind.
Immerhin das Wesentliche bleibt schon, daß sie überhaupt
erschienen sind. Der Zweck meiner Arbeit ist damit erreicht r
Das Eis ist gebrochen, die Yüan-ch'ao-pi-shi=For8chung
schwimmt und kann ihre Fahrt antreten. Alle Fachwissen¬
schaftler sind zur Teilnahme aufgerufen: Mongolisten und
Sinologen, Philologen, Phonetiker, Historiker und Ethnologen.
Unter welcher Flagge das Schiff segelt, ist schließlich gleich¬
gültig. Wollte man es schon benennen, so müßte es den Dop¬
pelnamen tragen Pa~Ye, Palladius~Ye Teh-hui.
W. Barthold
Zur Geschichte des persischen Epos
Deutsch von Hans Heinrich Schaeder, Berlin
1.
Das iranische Volk besaß, ebenso wie das ihm verwandte¬
indische, in vorislamischer Zeit fast nichts von glaubwürdiger
geschriebener Geschichte. Aber gerade aus diesem Grunde
dauerte die Periode des epischen Schaffens in Iran länger
als in den meisten anderen Ländem und fand das nationale
Epos größere Beachtung bei den Gebildeten. Die literarische
Bearbeitung des Epos erreichte ihren Abschluß in der
Schöpfung eines Epos, wie es kein Volk außer den Iraniem
besitzt 1).
Vorbemerkung dea Überaetzera. Dieser Aufsatz ist unter dem
Titel K iatorii peraidakago epoaa in den Zapiski Vostoönago Otde¬
lenija Imp. Russk. Archeol. ObSftestva 22 (1913/14) 257—282
erschienen und trotz der Bedeutung und Stichhaltigkeit seiner
Ergebnisse von der westeuropäischen Forschung nicht berück¬
sichtigt worden. Die große Arbeit Kurt Hansens über den Aufbau
des Schahname (Berliner Dissertation 1943), die zum ersten Male,
über Nöldeke hinausfülirend, Firdosis Epos nach literaturwissen¬
schaftlichem Verfahren behandelt und nach der Heimkehr des
Verfassers aus dem Kriegsdienst gedruckt werden soll, verspricht
die Schahnameforschung neu in Gang zu bringen. Da mu&
Bartholds Aufsatz allgemein zugänglich sein, damit auf ihn
Bezug genommen werden kann. Die Übersetzung weicht von der
Vorlage nur in dem einen Punkte ab, daß sie auf die maßgebende
Schahnameausgabe von Vullers — die Kiu-t Hansen, wie zu hofien
steht, weiterfüiiren und vollenden wird — und, wo sie aussetzt,
auf die zehnbändige Ausgabe^yon Sa'id Nafisi, Teheran 1314,
anstatt auf den von Barthold angeführten Bombayer Steindruck
von 1864 bzw. neben ihm verweist.
1) So Nöldeke, Tabari XIV: ein Nationalepos, wie es in der
Weise kein andres Volk besitzt.
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