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Pathologische Mediennutzung bei Erwachsenen mit Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung

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Academic year: 2022

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Aus der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie

Pathologische Mediennutzung bei Erwachsenen mit

Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung

Dissertation

zur Erlangung des Doktorgrades der Medizin in der Medizinischen Hochschule Hannover

Vorgelegt von Marion Drews aus Westerstede

Hannover 2011

(2)

Angenommen vom Senat der Medizinischen Hochschule Hannover am: 06.12.2011 Gedruckt mit Genehmigung der Medizinischen Hochschule Hannover

Präsident: Prof. Dr. med. Dieter Bitter-Suermann

Betreuer: PD Dr. med. Bert Theodor te Wildt

Referent: Prof. Dr. phil. Hans-Werner Künsebeck

Korreferent: Prof. Dr. rer. Nat. Karin Lange

Tag der mündlichen Prüfung: 06.12.2011

Promotionsausschussmitglieder:

Prof. Dr. med. Hermann Müller-Vahl Prof. Dr. med. Marc Ziegenbein Prof. Dr. med. Frank Schuppert

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Meiner Familie voller Dankbarkeit gewidmet

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung... 7

1.1. Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes- und Erwachsenenalter... 8

1.1.1. Definition und Diagnostik der ADHS... 8

1.1.2. Ätiologie der ADHS... 15

1.1.3. Therapeutische Möglichkeiten bei ADHS im Kindes- und Erwachsenenalter... 19

1.1.4. Prognose der ADHS... 25

1.1.5. Komorbiditäten und soziale Folgen einer ADHS... 26

1.2. Störungen der Impulskontrolle... 29

1.2.1. Definition und Diagnostik von Impulskontrollstörungen... 31

1.2.2. Ätiologie der Impulskontrollstörungen... 33

1.2.3. Therapeutische Möglichkeiten bei Störungen der Impulskontrolle... 34

1.2.4. Gestörte Impulskontrolle als Komorbidität... 35

1.2.5. Impulskontrollstörung, Verhaltenssucht oder Zwangsstörung: Überlegungen zur Operationalisierung... 36

1.2.6. Störungen der Impulskontrolle im Zusammenhang mit Medienkonsum... 41

1.3. Das Abhängigkeitspotential der Medien... 42

1.3.1. Entwicklung der heutigen Medienlandschaft... 42

1.3.2. Digitale Medien: Neue Möglichkeiten und Risiken... 44

1.3.3. Spielen im Internet: Real Life meets Second Life... 45

1.4. Internet- und Computerspielabhängigkeit: Zur Begrifflichkeit pathologischen Mediennutzungsverhaltens... 48

1.4.1. Definition und Diagnostik von abhängigem Mediennutzungsverhalten... 49

1.4.2. Ätiologie abhängigen Mediennutzungsverhaltens... 53

1.4.3. Komorbiditäten einer abhängigen Mediennutzung... 56

1.4.4. Therapeutische Ansätze bei abhängigem Mediennutzungsverhalten... 57

1.5. Abhängiges Mediennutzungsverhalten und ADHS... 59

1.5.1. Aktueller Forschungsstand und eigene Überlegungen zum Zusammenhang von pathologischer Mediennutzung und einer Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung im Erwachsenenalter... 59

1.5.2. Studienziel und Hypothesen... 63

(5)

2. Methodik... 64

2.1. Studienkollektiv... 64

2.2. Erhebung soziodemographischer Daten... 65

2.3. Psychometrische Instrumente... 66

2.3.1. Barratt-Impulsiveness-Scale (BIS)... 67

2.3.2. Internetsuchtskala nach Hahn und Jerusalem (ISS)... 68

2.3.3. Wender-Utah-Rating-Scale (WURS-k)... 68

2.3.4. Conners’ Adult ADHD Rating Scales (CAARS)... 69

2.3.5. Beck-Depressions-Inventar (BDI)... 70

2.3.6. Mehrfachwahl-Wortschatz-Intelligenztest (MWT-B)... 71

2.4. Statistische Verfahren... 72

3. Ergebnisse... 74

3.1. Soziodemographische Stichprobenmerkmale... 74

3.2. Selbsteinschätzung zum Vorhandensein von Abhängigkeitserkrankungen und Störungen der Impulskontrolle... 83

3.2.1. Selbsteinschätzung zur allgemeinen Suchtgefährdung... 83

3.2.2. Selbsteinschätzung zum Alkoholkonsum... 84

3.2.3. Selbsteinschätzung zum Thema Nikotinabusus und zum Gebrauch sonstiger Suchtmittel... 85

3.2.4. Selbsteinschätzung zum Bestehen von Störungen im Bereich der Impulskontrolle... 87

3.3. Mediennutzungsverhalten... 92

3.3.1. Fernsehkonsum... 94

3.3.2. Computerspiele... 97

3.3.3. Internetnutzung... 104

(6)

3.4. Auswertung der psychometrischen Testverfahren... 114

3.4.1. Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung... 114

3.4.2. Impulsivität... 120

3.4.3. Depressivität... 122

3.4.4. Internetabhängigkeit... 125

3.5. Ausprägung der Internetabhängigkeit im Kontext mit anderen psychischen Symptomen... 135

3.5.1. Zusammenhang von Internetabhängigkeit und Depressivität... 135

3.5.2. Zusammenhang von Internetabhängigkeit und ADHS... 137

3.5.3. Zusammenhang von Internetabhängigkeit und Impulsivität... 143

3.5.4. Zusammenhang von Internetabhängigkeit und allgemeinem Mediennutzungsverhalten... 146

4. Diskussion... 149

4.1. Methodenkritik... 149

4.2. Diskussion der Ergebnisse zur pathologischen Mediennutzung bei adulten ADHS-Patienten... 150

4.2.1. Diskussion der soziodemographischen Daten... 150

4.2.2. Diskussion der Selbsteinschätzungen zum Vorhandensein von Abhängigkeitserkrankungen und Impulskontrollstörungen... 152

4.2.3. Diskussion zum Mediennutzungsverhalten... 154

4.2.4. Diskussion der Ergebnisse der psychometrischen Testverfahren... 160

4.2.5. Diskussion zum Zusammenhang der Internetabhängigkeit mit der Ausprägung weiterer psychiatrischer Erkrankungen... 162

4.3. Abschließende Diskussion und Fazit... 167

4.3.1. Diskussion der Hypothesen... 167

4.3.2. Schlussfolgerungen... 171

4.3.3. Ausblick... 172

5. Zusammenfassung... 173

(7)

6. Anhang... 175

6.1. Abkürzungen... 175

6.2. Abbildungsverzeichnis... 177

6.2.1. Abbildungen... 177

6.2.2. Tabellen... 178

6.3. Literaturverzeichnis... 181

Danksagung... 209

Lebenslauf...

Erklärung nach § 2 Abs. 2 Nrn. 5 und 6...

(8)

1. Einleitung

Bereits 1902 beschrieb der englische Pädiater Sir George Frederic Still (1868 – 1941) einen Verlust an „Moralkontrolle“ in Kombination mit Überaktivität, Aufmerksamkeitsstörung und weiteren Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern mit normalem Intelligenzniveau1,2,3. In seiner Schrift äußert er die Vermutung, dass es sich hierbei um eine bis ins Erwachsenenalter persistierende und die Gesellschaft betreffende Erkrankung handele und spricht sich für weitere wissenschaftliche Forschung in diesem Gebiet aus.

Nach jahrezehntelangen Diskussionen über die Existenz, Diagnostik und Therapie von Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen (im Folgenden als „ADHS“

abgekürzt) im Kindes- und Erwachsenenalter, stehen nun seit einiger Zeit Leitlinien zur Verfügung. Nicht zuletzt durch diese und über die Bekanntmachung der Störung durch die Medien, haben sich in den vergangenen Jahren viele Menschen, die sich selbst in den Grundzügen dieser psychischen Störung wiedererkannten, ratsuchend an Ärzte und Psychiater gewandt. Vielerorts wurden Spezialsprechstunden für Patienten mit ADHS sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter eingerichtet.

Es hat sich gezeigt, dass die ADHS häufig in Kombination mit anderen psychischen Störungen auftritt, was zu der Frage geführt hat: Welche Komorbiditäten gibt es und inwieweit sind diese phänomenologisch von der ADHS abzugrenzen? Bislang gibt es Untersuchungen zu verschiedenen psychischen Erkrankungen und deren Zusammenhang mit ADHS. Dies sind insbesondere Abhängigkeitserkrankungen, Zwangsstörungen, Angsterkrankungen sowie Störungen mit gehäuftem Auftreten delinquenten Verhaltens.

In dieser Studie wird versucht, einen Zusammenhang zwischen pathologischem Mediennutzungsverhalten und einer ADHS darzustellen. Dies soll auf der Grundlage einer Befragung von adulten ADHS-Patienten zum individuellen Mediennutzungsverhalten in Bezug auf Art, Inhalt und Dauer des Medienkonsums sowie zu Abhängigkeitssymptomen im Zusammenhang mit der Nutzung von Medien geschehen.

(9)

1.1. Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Kindes- und Erwachsenenalter

Die unter dem Zappelphillip-Syndrom bekannte Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung gehört zu den häufigsten Verhaltensstörungen im Kindes- und Jugendalter. Definiert ist das auch als Hyperkinetisches Syndrom (HKS) bezeichnete Krankheitsbild über die Kardinalsymptome Hypermotorik, Störungen der Aufmerksamkeit mit erhöhter Ablenkbarkeit, Impulsivität und Störungen der psychosozialen Anpassung.

Die ADHS gehört mit ca. 5% Prävalenz zu den häufigsten psychischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter4. Zwar weichen die Angaben verschiedener Studien und unterschiedlicher Länder hier mit Werten zwischen 0,3% und bis zu 7,5%5,6,7 deutlich voneinander ab, dies wird aber am ehesten den unterschiedlichen Diagnosekriterien und weniger einer stark variablen Prävalenz zugeschrieben8. Auch in Hinblick auf die Angaben zur Remission bzw. zur Persistenz der Erkrankung bis ins Erwachsenenalter, scheint die Variationsbreite der Angaben durch unterschiedliche diagnostische Kriterien und einen stark variierenden Bekanntheitsgrad des Fortbestehens der ADHS begründet zu liegen. Hier wurden in unterschiedlichen Studien Persistenzraten zwischen 31 - 70%83-89 ermittelt. Die Häufigkeit einer ADHS bei einem adulten Patienten wird bezogen auf die Gesamtpopulation mit Werten zwischen 1 und 6% angegeben9,10.

1.1.1. Definition und Diagnostik der ADHS

Die Einordnung der ADHS in den Bereich der psychiatrischen Erkrankungen ist heute fest etabliert. Dennoch legen frühere Bezeichnungen dieser Störung zum Beispiel als „minimale cerebrale Dysfunktion (MCD)“ oder „psychoorganisches Syndrom (POS)“ nah, eine hirnorganische Genese zu vermuten. Bislang fand sich aber kein labortechnisches, radiologisches oder sonstiges körperliches Untersuchungsverfahren zur sicheren und schnellen Diagnosefindung.

Da der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung beim Kind nach heutigem Erkenntnisstand wahrscheinlich eine multifaktorielle Genese zugrunde liegt, sollte eine gesicherte Diagnose nur auf Grundlage einer mehrdimensionalen Abklärung im Sinne einer multiaxialen Diagnostik gestellt werden11. Hierbei sollten die biologischen, psychischen und

(10)

bilden die Diagnostischen Kriterien für die Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung nach DSM-IV12 (Tabelle 1):

A. Entweder Punkt (1) oder Punkt (2) müssen zutreffen:

(1) sechs (oder mehr) der folgenden Symptome von Unaufmerksamkeit sind während der letzten sechs Monate beständig in einem mit dem

Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorhanden gewesen:

Unaufmerksamkeit:

o Einzelheiten / Flüchtigkeitsfehler: Beachtet häufig Einzelheiten nicht oder macht Flüchtigkeitsfehler bei den Schularbeiten, bei der Arbeit oder anderen Tätigkeiten.

o Aufmerksamkeit aufrechterhalten: Hat oft Schwierigkeiten, längere Zeit die Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder beim Spielen aufrechtzu- erhalten.

o Zuhören: Scheint häufig nicht zuzuhören, wenn andere ihn / sie ansprechen.

o Anweisungen befolgen / Arbeiten beenden: Führt häufig Anweisungen anderer nicht vollständig durch und kann Schularbeiten, andere Arbeiten oder Pflichten am Arbeitsplatz nicht zu Ende bringen (nicht aufgrund oppositionellen Verhaltens oder Verständnisschwierigkeiten).

o Vermeidung / Abneigung: Vermeidet häufig, hat eine Abneigung gegen oder beschäftigt sich häufig nur widerwillig mit Aufgaben, die längerandauernde geistige Anstrengungen erfordern (wie Mitarbeit im Unterricht oder Hausaufgaben).

o Verlust von Gegenständen: Verliert häufig Gegenstände, die für Aufgaben oder Aktivitäten benötigt werden (z.B. Spielsachen, Hausaufgabenhefte, Stifte, Bücher oder Werkzeug).

o Ablenkung: Läßt sich oft durch äußere Reize leicht ablenken.

o Vergesslichkeit: Ist bei Alltagstätigkeiten häufig vergesslich.

(2) sechs (oder mehr) der folgenden Symptome von Hyperaktivität und Impulsivität sind während der letzten sechs Monate beständig in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorhanden gewesen:

(11)

Hyperaktivität:

o Zappeln: Zappelt häufig mit Händen oder Füßen oder rutscht auf dem Stuhl herum.

o Stehen: Steht in der Klasse oder in anderen Situationen, in denen Sitzenbleiben erwartet wird, häufig auf.

o Laufen / klettern: Läuft häufig herum oder klettert exzessiv in Situationen, in denen dies unpassend ist (bei Jugendlichen oder Erwachsenen kann dies auf ein subjektives Unruhegefühl beschränkt bleiben).

o Ruhe: Hat häufig Schwierigkeiten, ruhig zu spielen oder sich mit Freizeitaktivitäten ruhig zu beschäftigen.

o Ruhelosigkeit: Ist häufig „auf Achse“ oder handelt oftmals, als wäre er / sie „getrieben“.

o Reden: Redet häufig übermäßig viel.

Impulsivität:

o Herausplatzen: Platzt häufig mit den Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt ist.

o Warten: Kann nur schwer warten, bis er / sie an der Reihe ist.

o Unterbrechen / Stören: Unterbricht und stört andere häufig (platzt z.B. in Gespräche oder in Spiele anderer hinein).

B. Einige Symptome der Hyperaktivität-Impulsivität oder Unaufmerksamkeit, die Beeinträchtigungen verursachen, treten bereits vor dem Alter von sieben Jahren auf.

C. Beeinträchtigungen durch diese Symptome zeigen sich in zwei oder mehr Bereichen (z.B. in der Schule bzw. am Arbeitsplatz und zu Hause).

D. Es müssen deutliche Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen vorhanden sein.

E. Die Symptome treten nicht ausschließlich im Verlauf einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung, Schizophrenie oder einer anderen Psychotischen Störung auf und können auch nicht durch eine andere psychische Störung besser erklärt werden (z.B. Affektive Störung, Angststörung, Dissoziative Störung oder eine Persönlichkeitsstörung).

(12)

Zudem wird im DSM-IV eine Klassifizierung nach Subtypen vorgenommen:

o Mischtypus: liegt vor, wenn die Kriterien A (1) und A (2) während der letzten sechs Monate erfüllt waren

o Vorwiegend Unaufmerksamer Typ: Liegt vor, wenn Kriterium A (1), nicht aber Kriterium A (2) während der letzten sechs Monate erfüllt war.

o Vorwiegend Hyperaktiv-Impulsiver Typ: Liegt vor, wenn Kriterium A (2), nicht aber Kriterium A (1) während der letzten sechs Monate erfüllt war.

Tabelle 2: Subtypen der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung nach DSM-IV12

Diese Einteilung der Patienten in diagnostische Untergruppe, welche nach DSM-IV nun möglich ist, führte zu einer Relativierung der bisher vermuteten, deutlichen Androtropie13,, da der „vorwiegend unaufmerksame Typus“ häufiger bei weiblichen Kindern zu beobachten ist14.

Die Grundlage der Diagnostik einer ADHS im Kindesalter bildet somit die Anamnese, die sowohl mit den Eltern als auch mit dem Kind erhoben wird. Hierbei werden neben aktuellen Beschwerden und dem Grund der Konsultation auch Entwicklungs-, Familien- und Sozialanamnese erhoben. Mit Einverständnis der Erziehungsberechtigten können auch Fremdbeurteilungen von Lehrern, Großeltern und anderen Bezugspersonen Eingang in die Diagnostik finden11.

Ferner sind diverse Untersuchungen nötig, z.B. pädiatrisch-internistisch, kinder- und jugendpsychiatrisch, entwicklungspsychologisch, um die Vielzahl der Differentialdiagnosen sicher auszuschließen und eventuell bestehende Komorbiditäten zu erkennen. Außerdem finden Verhaltensbeobachtungen des Kindes allein oder der Interaktion des Kindes mit seinen Eltern oder Gleichaltrigen Anwendung. Auch sollte die Lebenswelt des Kindes in dieses ganzheitliche diagnostische Konzept mit einbezogen werden, wie z.B. der Erziehungsstil, das pädagogische Umfeld und situative Einflüsse. Bei Bedarf sollten ergotherapeutische und / oder logopädische Begutachtungen ebenso herangezogen werden, wie Überprüfungen der Sinnesfunktionen, medizinisch-apparative Untersuchungen oder Labordiagnostik11,15.

(13)

Anamnese, Begutachtungen und Verhaltensbeobachtung können zusammen genommen auch zu einer Einschätzung des Schweregrades einer ADHS führen: Beurteilt wird dazu neben der Intensität der Symptomatik auch der Grad der Generalisierung in den verschiedenen Lebensbereichen. Ein hoher Stellenwert wird dabei dem Auftreten von Symptomen auch in selbstbestimmten Situation wie dem kindlichen Spiel beigemessen, was im Gegensatz zum Auftreten von Symptomen in fremdbestimmten Situationen wie Kindergarten oder Schule für eine stärkere Ausprägung der ADHS spricht16.

Differentialdiagnostisch ist an eine Hyper- oder Hypothyreose zu denken sowie an Anfallsleiden, Tic-Störungen, tiefgreifende Entwicklungsstörungen, milieubedingte und erlebnisreaktive Verhaltensstörungen, psychische Störungen wie Störungen des Sozialverhaltens, oppositionelles Verhalten, affektive Störungen oder auch Angst- oder Zwangstörungen. Auch kann ein altersentsprechendes hohes Aktivitätsniveau vor allem bei Kleinkindern eine ADHS-Symptomatik vortäuschen. Außerdem kann sowohl eine geistige Behinderung bzw. Minderbegabung mit Überforderungsproblematik als auch eine Hochbegabung mit unterstimulierendem Umfeld zu einer scheinbar vorliegenden ADHS führen11.

Aufgrund der Erkenntnisse aus Längsschnittuntersuchungen, welche belegen, dass bei einer Vielzahl der Erkrankten die Symptome einer ADHS bis ins Erwachsenenalter hinein persistieren bzw. andere psychische Störungen aus ihr hervorgehen können1,9,18,19, wird beim Erwachsenen mit Verdacht auf eine ADHS versucht, die Diagnose einer kindlichen ADHS retrospektiv zu stellen. Erste Anhaltspunkte dazu kann neben der Anamnese beispielsweise die Wender-Utah-Rating-Scale (WURS) geben, welche auch in dieser Studie Anwendung findet und später genauer erläutert wird. Zusätzlich zu dieser Beurteilung zurückliegender Symptome, werden in der Conners’ Adult ADHD Rating Scale (CAARS) aktuelle Beschwerden und Verhaltensmuster erfasst. Auch dieser Fragebogen wird später näher erläutert.

Neben dieser Selbstbeurteilung, welche für die Erkrankten häufig erschwert ist, werden auch Fremdeinschätzungen von Eltern, Lehrern, Vorgesetzten, Bekannten oder Freunden eingeholt.

Sowohl die WURS als auch die CAARS liegen ebenfalls in einer Version zur Fremdbeurteilung vor und können zur Unterstützung der Diagnostik herangezogen werden.

(14)

Neben Fragebögen stellt natürlich auch beim Erwachsenen die Anamnese den wichtigsten Teil der Diagnosefindung dar17. Die Erhebung der aktuellen Beschwerden in einem semistrukturierten Interview in Anlehnung an die ADHS-Kriterien des DSM-IV, eine retrospektive Erfassung der Symptome im Kindesalter und die Erhebung einer Familienanamnese vor dem Hintergrund einer genetischen Disposition sollten anamnestisch genau erörtert werden18,19.

Gleichwohl beim Erwachsenen auch die diagnostischen Kriterien von DSM-IV oder ICD-10 Anwendung finden können, wird kritisiert, dass diese nicht speziell auf das Erwachsenenalter abgestimmt sind17,19. Zu diesem Zweck wurden die Wender-Utah-Kriterien der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung im Erwachsenenalter definiert13(Tabelle 3):

Zutreffen müssen Punkt 1 Aufmerksamkeitsstörung und Punkt 2 Hyperaktivität, sowie zwei der Punkte 3 bis 7:

Punkt 1: Aufmerksamkeitsstörung

o Zuhören: Unvermögen, Gesprächen aufmerksam zu folgen.

o Erhöhte Ablenkbarkeit: andere Stimuli können nicht herausgefiltert werden.

o Konzentration: Schwierigkeiten, sich auf schriftliche Dinge oder Aufgaben zu konzentrieren.

o Vergeßlichkeit

o Verlieren / Verlegen: Verlieren oder Verlegen von Gegenständen.

Punkt 2: Motorische Hyperaktivität

o Innere Unruhe: Gefühl der inneren Unruhe, Unfähigkeit zu entspannen, Nervosität.

o Bewegung: Unfähigkeit, sitzende Tätigkeiten durchzuhalten; stets auf dem Sprung sein.

o Dysphorie: Dysphorische Stimmungslage bei Inaktivität.

Punkt 3: Affektlabilität

o Stimmungsstörung: Wechsel zwischen normaler und niedergeschlagener Stimmung sowie leichtgradiger Erregung.

(15)

Punkt 4: Desorganisiertes Verhalten

o Planung / Organisation: Unzureichende Planung und Organisation von Aktivitäten, Aufgaben nicht zu Ende gebracht, unsystematische Problemlösungsstrategien, Probleme in der zeitlichen Organisation.

Punkt 5: Gestörte Affektkontrolle

o Reizbarkeit: mit Auswirkung auf soziales Umfeld.

o Verminderte Frustrationstoleranz: mit Wutausbrüchen.

Punkt 6: Impulsivität

o Unterbrechen: Dazwischenreden im Gespräch.

o Ungeduld

o Impulsive Handlungen: impulsiv ablaufende Einkäufe.

Punkt 7: Emotionale Überreagibilität

o Umgang mit Stressoren: überschießende oder ängstliche Reaktion auf alltägliche Stressoren.

Tabelle 3: Wender-Utah-Kriterien der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung im Erwachsenenalter13

Äquivalent zur Diagnosesicherung beim Kind kann auch beim Erwachsenen die Differentialdiagnose zu anderen psychischen Erkrankungen oder auch Normvarianten schwierig sein. So muss z.B. die erhöhte motorische Aktivität von stereotypen Bewegungsstörungen im Rahmen von Tics getrennt werten. Ebenso wird gefordert, die aufgetretenen Symptome nicht als ADHS zu diagnostizieren, wenn sie durch eine andere psychische Störung, wie z.B. eine Affektive Störung, eine Angststörung, dissoziative Störungen oder auch Persönlichkeitsstörungen besser erklärt werden können. Gleichfalls sollte das Auftreten von ADHS-Symptomen im Verlauf von psychotischen Störungen oder im Zusammenhang mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen nicht zur ADHS-Diagnose führen12.

Als weitere Differentialdiagnosen gelten beim Erwachsenen, zum Teil überlappend mit denen im Kindesalter, die Schilddrüsen-Dysfunktion, Schädel-Hirn-Traumata, Gehirntumoren, Anfallsleiden, Schlafapnoe-Syndrom, Restless-Legs-Syndrom20 und Medikamenten-

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Bronchospasmolytika, Isoniazid, Neuroleptika, Benzodiazepinen, Antiepileptika, Antihistaminika18 ADHS-ähnliche Symptome beobachtet worden.

Insgesamt stellt die Diagnostik einer ADHS also eine differentialdiagnostische Herausforderung dar, da zum einen eine sehr ausführliche Anamnese erforderlich ist und zum anderen viele Differentialdiagnosen ausgeschlossen werden müssen.

1.1.2. Ätiologie der ADHS

Obwohl bis heute eine genaue Erklärung zur Entstehung einer ADHS aussteht, deuten verschiedene Untersuchungen auf eine Kombination aus genetischen und umweltbedingten Ursachen hin15. Dabei wird der genetisch bedingte Anteil auf der Grundlage von Zwillings-, Adoptions- und Familienstudien auf 70 bis 90% geschätzt und Umweltfaktoren spielen somit eine eher untergeordnete und modifizierende Rolle21,22,23,24

.

Untersuchungen zu formalgenetischen Faktoren zeigten, dass monozygote Zwillingspaare mit Konkordanzraten von 50 - 80% deutlich über denen von heterozygoten Zwillingen mit 34%

liegen. Ebenso bestehen höhere Konkordanzraten für leibliche Geschwister, die getrennt aufwuchsen, als für Halbgeschwister, welche in einer gemeinsamen Familie lebten. Auch waren leibliche Eltern von Kindern mit ADHS häufiger selbst betroffen, als Adoptiveltern erkrankter Kinder. Verwandte von Kindern mit ADHS haben nicht nur ein erhöhtes Risiko für die Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (10 – 35%), sondern auch für andere psychische Erkrankungen25.

Erkenntnisse zur Ätiologie einer ADHS auf molekulargenetischer Ebene führten zur Identifizierung von Polymorphismen bei Genen für Dopaminrezeptoren (DRD2-, DRD4- und DRD5-Gen) und bei einem Dopamintransporter (DAT1-Gen)15,26,27,28

. Auch bildgebende Verfahren wie PET- und SPECT-Untersuchungen lieferten bei Erwachsenen mit ADHS erste Hinweise auf Besonderheiten in der Aktivität vom Dopamintransporter und der präsynaptischen Dopamindecarboxylase29.

Die Pathologie der ADHS im Katecholamin-System und dort vor allem im Dopamin- Regelkreis zu suchen, liegt nicht zuletzt auch in der pharmakologischen Wirksamkeit der Stimulanzien begründet, welche in dieses System modulierend eingreifen. Erste Erkenntnisse

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zu dieser „Katecholaminhypothese4,23“ wurden bereits 1937 im Rahmen einer Beobachtungsstudie von Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten veröffentlicht30.

Das ubiquitär im Gehirn vorkommende Noradrenalin, scheint seine größte Dichte in primären visuellen, auditiven, somatosensorischen und motorischen Regionen zu haben.

Noradrenalinabhängige Neurone zeigen im Schlaf und bei verminderter Aufmerksamkeit geringere Entladungen als im Wachzustand. Noradrenalin besitzt einen positiven kognitiven Effekt18.

Die Dopamin-Konzentration im Gehirn ist in den Bereichen des präfrontalen Kortex und des Striatum, sowie in den Bahnen zum Temporal- und Parietallappen am größten. Das mesokortikolimbische System (Bahnen vom Tegmentum zum Nucleus accumbens mit Verknüpfung zum limbischen System) ist zuständig für motorische Aktivität, Neugierverhalten und Entwicklung von Handlungsstrategien. Der Nucleus accumbens scheint eine essentielle Rolle im Motivations- und Belohnungssystem zu spielen und weist enge Verknüpfungen mit dem limbischen System auf. Er spielt auch in der Entstehung von Abhängigkeitserkrankungen eine wichtige Rolle. Das mesostriatale System (Bahnen von der Substantia nigra zum Striatum) koordiniert stereotype Verhaltensweisen, Zuwendung von Aufmerksamkeit sowie deren Aufrechterhaltung18.

Die Verminderung von Dopamin im Gehirn und dort vor allem im frontostriatalen System, welches zuständig ist für koordinierte Bewegung, emotionale Steuerung und zielgerichtete Aufmerksamkeit, führt zu einer „Reizoffenheit“. Das bedeutet, dass Reize ungefiltert auf die betroffenen Personen einwirken können und nicht adäquat verarbeitet werden. Daraus folgt ein unbändiger Bewegungsdrang in Kombination mit schwer kontrollierbaren Gefühlsausbrüchen und einer nicht steuerbaren Aufmerksamkeit. Insgesamt resultiert daraus eine verminderte Fähigkeit zur Selbststeuerung31.

Patienten mit Hirnschädigungen im Bereich des Frontalhirns zeigten häufig Symptome, die denen einer ADHS ähneln32. Dies führte zu vielen Untersuchungen, mit dem Ziel ein organisches Korrelat zur ADHS darzustellen. Dabei gibt es Hinweise auf Gehirnareale mit weniger grauer und weißer Substanz sowie geringerer metabolischer Aktivität: Dies gilt für den Lobus frontalis, die Verbindung zu den Basalganglien sowie deren Beziehung zum Kleinhirn. Insgesamt gab es Anzeichen für eine Minderung des Gesamthirnvolumens, hierbei

(18)

Kleinhirns, insbesondere des Vermix. Auch eine Zwillingsstudie mit monozygoten Geschwistern, von denen ein Kind an ADHS erkrankt, das andere hingegen gesund war, zeigte mittels MRT eine Volumenminderung beim betroffenen Zwilling vor allem vom Nucleus caudatus und vom Putamen33. Ebenso zeigte sich eine vergrößerte Substantia nigra bei Kindern mit ADHS, es fand sich aber keine Korrelation zum Grad der Ausprägung klinischer Symptome34

Die Forschungsergebnisse aus den Bereichen Molekulargenetik, Neurobiologie, Neurochemie und Radiologie zusammenfassend, geht man zur Zeit von einer vermehrten Expression des Dopamintransporter-Gens (DAT1) aus, welches zu einer quantitativen Erhöhung dieser Dopamintransporter führt, welche Dopamin aus dem synaptischen Spalt in den präsynaptischen Bereich zurück transportieren. Somit steht für die dopaminergen Neurone vor allem im Striatum weniger Dopamin zur Verfügung, was zu einer Funktionseinschränkung dieser striatalen Neurone führt. Hieraus erklärt sich, warum in diesen gestörten Stoffwechsel durch Methylphenidat modulierend eingegriffen werden kann, indem durch die Stimulanzientherapie eine deutliche Reduktion der Dopamintransporter-Dichte erreicht und auch bildlich dargestellt werden konnte26,35,36,37,38,39

.

Neben genetischen Ursachen wurde vor allem die Rolle von Umweltfaktoren diskutiert. Die rasant ansteigende Zahl von diagnostizierten ADHS-Patienten führte zu Spekulationen über den Einfluß der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung, von medialer Reizüberflutung, verminderter körperlicher Bewegung der Kinder sowie Ernährungsgewohnheiten, hier unter anderem Lebensmittelzusätze23,40, und nicht zuletzt den richtigen Erziehungsstil.

Im Bereich Ernährung konnten Kausalzusammenhänge zwischen der Entstehung einer ADHS und verschiedenen Lebensmitteln wie Zucker41, Milch, Eiern und Phosphat ausgeschlossen werden18. Bereits Mitte der siebziger Jahre begann eine Diskussion über Lebensmittelzusatzstoffe wie künstliche Farbstoffe und Aromen, Konservierungsmittel und Süßstoffe als Auslöser der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung, welche bis heute nicht zufriedenstellend abgeschlossen werden konnte. Der Pädiater Ben F. Feingold42 proklamierte 1975 einen Zusammenhang zwischen Lebensmittelzusätzen und gesteigerter Hyperaktivität und sprach die als „Feingold-Diät“ bekannten Richtlinien aus, eben solche Zusatzstoffe aus der Kinderernähung zu streichen. Nachfolgende Studien sprachen sich gegen das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs aus43, doch 2007 konnten Mc Cann et al.40 in

(19)

einer plazebokontrollierten, doppelblinden, randomisierten Studie bei jeweils ca. 150 Dreijährigen und acht bis neun Jahre alten Kindern eine insgesamt gesteigerte Hyperaktivität im Zusammenhang mit künstlichen Farbstoffen, dem Konservierungsstoff Natriumbenzoat oder einer Kombination aus beidem feststellen. Dieser Zusammenhang zeigte sich bei allen untersuchten Kindern, unabhängig von einer vordiagnostizierten ADHS.

Als Risikofaktoren für die Entstehung einer ADHS wurden neben den bisher genannten Faktoren auch prä-, peri- und postnatale Komplikationen herausgestellt. Dazu zählen zum Beispiel der fetale Kontakt zu Alkohol und / oder Nikotin, Frühgeburtlichkeit, Blutungen während der Schwangerschaft sowie eine emotionale Instabilität der Mutter15. Eine chronische Nikotin-Exposition in utero gehe dabei mit einem 2- bis 2,7-fach erhöhtem Risiko für eine spätere ADH-Störung einher44.

Insgesamt gilt die ADHS aus heutiger Sicht als Störungsbild über die Lebensspanne, wobei sich Symptome und Komorbiditäten im Verlauf der verschienen Lebensabschnitte verändern können. Als Besondere Eckdaten sind dabei das Vorschulalter und die Pubertät zu nennen, die mit den meisten qualitativen Veränderungen im Krankheitsverlauf einhergehen45.

(20)

1.1.3. Therapeutische Möglichkeiten bei ADHS im Kindes- und Erwachsenenalter

In Anlehnung an den ganzheitlichen diagnostischen Ansatz, sollte auch in der Therapie die Mehrdimensionalität der Erkrankung berücksichtigt werden. Zwar steht bislang keine kausale Therapie zur Verfügung, doch kann auf gut wirksame symptomatische Therapiemaßnahmen zurückgegriffen werden. Dies sind zum einen nichtmedikamentöse Maßnahmen wie Psychotherapie und Verhaltenstherapie und zum anderen spezielle Medikamente.

Als primäre Therapie sind bei den meisten betroffenen Kindern nichtmedikamentöse Maßnahmen indiziert und als Methode der ersten Wahl ausreichend11,15,46. Eine medikamentöse Therapie kann jedoch im zweiten Schritt angeboten werden, wenn sich kein Behandlungserfolg einstellt, alterstypische Entwicklungsaufgaben nicht mehr zu bewältigen sind oder Ausnahmesituationen vorliegen. Letzteres könnte beispielsweise eine hohe Belastungssituation für das Kind, wie etwa der drohende Wechsel auf eine Sonderschule sein.

Der mehrdimensionale, nicht-medikamentöse Therapieansatz beinhaltet neben der Information der Eltern über die Erkrankung und die Therapieoptionen auch die eingehende Beratung und Aufklärung von Eltern, weiteren Bezugspersonen, dem pädagogischem Umfeld und natürlich dem Kind selbst. Die Behandlung des Kindes zum Beispiel mit psychodynamischer Psychotherapie, einzeln oder in der Gruppe, diene dann der Verbesserung der sozialen Regulationsfähigkeit und der Selbststeuerung11. Im Alltag profitieren die Kinder von klaren, überschaubaren und berechenbaren Strukturen und Regeln sowie von verlässlichen und liebevollen Bindungen31

Als Pharmakotherapie der ersten Wahl steht seit über 50 Jahren das Medikament Ritalin® mit dem Wirkstoff Methylphenidat zur Verfügung, welches 1944 von Leandro Panizzon synthetisiert wurde. Es wurde als Nachfolger des bisher eingesetzten Benzedrin geschaffen und sollte ein deutlich geringeres Missbrauchspotential und weniger Nebenwirkungen haben als das Amphetamin47. Erste kontrollierte Einsätze bei hyperkinetischen Kindern in Deutschland begannen in den siebziger Jahren durch G. Nissen48,49. Heute gilt die Therapie mit Methylphenidat besonders in der retardierten Form der 2. Generation in Kombination mit einer Verhaltenstherapie als Goldstandard in der Behandlung der kindlichen ADHS.

Hierdurch kann neben einer Verbesserung der Kernsymptome wie Hypermotorik, Impulsivität

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und Unaufmerksamkeit auch ein Fortschritt im sozialen Bereich erlangt werden. Dies betrifft vor allem das Arbeitsverhalten, die Schulleistung und den Umgang mit Menschen.

Methylphenidat gehört pharmakologisch zur Gruppe der zentral wirksamen Stimulanzien und unterliegt seit Ende der achtziger Jahre dem Betäubungsmittelgesetz, auch wenn es in der heutzutage ausschließlich erhältlichen oralen Darreichungsform weniger Abhängigkeitssymptome verursachen soll47. Untersuchungen zum Missbrauchspotential von Stimulanzien ergaben einen interessanten Effekt: Die Entstehung einer Abhängigkeit wird dadurch begünstigt, dass Stimulanzien intravenös verabreicht werden. Dadurch wird ein schnelles Anfluten des Wirkstoffs im Gehirn mit rascher Erhöhung der Dopaminkonzentration erreicht, was einer Anflutung von Kokain oder Metamphetamin, den gebräuchlichsten als Drogen verwendeten Stimulanzien, ähnelt. Bei einer oralen Verabreichung flutet Methylphenidat langsamer an, was den therapeutischen Effekt auslöst.

Zur Verhinderung eines Missbrauchs wurden die parenteralen Darreichungsformen vom Markt genommen50.

Pharmakologisch wirken die Stimulanzien dopaminagonistisch und entfalten ihre Wirkung vor allem durch Verbesserung der striatofrontalen Dysfunktion. Diese Schleifensysteme zwischen dem Striatum, teilweise mit den Basalganglien in Verbindung stehend, und dem Frontalhirn profitieren von einem größeren Angebot an Dopamin und können ihre Aufgaben wie Planung und Handlungssteuerung effektiver erfüllen64. Die initial erhöhte Dichte der Dopamintransporter im Striatum bei adulten ADHS-Patienten konnte durch die Anwendung von Methylphenidat reduziert und diese Reduktion im SPECT sichtbar gemacht werden37.

Bei der ursprünglich synthetisierten Form des Methylphenidats (Ritalin®) profitierten die Patienten zwar von einer schnellen Anflutung des Wirkstoffs im Gehirn und erste Effekte setzten schon nach ca. 20 Minuten ein, doch die mittlere Wirkdauer lag bei 4 bis 5 Stunden, so dass eine vier- bis fünfmalige Gabe des Präparates am Tag notwendig war. Mit Einführung der ersten retardierten Formen (Ritalin SR®) stieg zwar die Compliance der Patienten, doch zeigten Studien einen geringeren therapeutischen Effekt und eine Gewöhnung an den Wirkstoff. Die Retardpräparate der 2. Generation (Concerta®, Medikinet retard®) bestehen aus einer Mischung aus sofort verfügbarem und retardiertem Methylphenidat. Für diese Präparate wird eine geringe Nebenwirkungsrate, eine gute Wirksamkeit und eine nur einmalige Gabe

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Die unerwünschten Arzneimittelwirkungen von Methylphenidat sind häufig dosisabhängig und meist von vorübergehender Dauer zu Beginn einer Therapie. Dazu gehören neben abdominellen Beschwerden eine milde Erhöhung des Blutdrucks und der Herzfrequenz sowie Schlafstörungen oder Kopfschmerzen. Eine häufig persistierende Nebenwirkung ist die Appetitminderung, oft gekoppelt an einen leichten Gewichtsverlust. Auch eine Verminderung des Höhenwachstums wurde vermutet und sollte regelmäßig kontrolliert werden. Bei einer Überdosierung von Methylphenidat kann es zu depressiven Verstimmungen oder auch Erregungszuständen mit psychotischen Symptomen wie optischen oder akustischen Halluzinationen kommen64.

Als Kontraindikationen für die Einnahme von Stimulanzien gelten das Vorhandensein einer Hyperthyreose oder eines Glaukoms, eine bestehende manifeste Psychose, Tic-Störungen, das Tourette-Syndrom und Abhängigkeitserkrankungen. Die Kombination von Methylphenidat mit MAO-Hemmern wird mit der Auslösung hypertensiver Krisen in Verbindung gebracht und sollte daher vermieden werden64.

Beim Erwachsenen stellt die Diagnose einer ADHS nicht zwingend die Indikation zur Therapie19. Abhängig gemacht werden sollte eine Entscheidung zu einer Therapie und die Wahl der Therapieform von der Ausprägung der Symptomatik, sowie von den psychischen und sozialen Beeinträchtigungen. Insgesamt sollte diese Entscheidung vor dem Hintergrund der Relevanz der Symptome im Kontext mit den vorhandenen Ressourcen getroffen werden.

Als medikamentöse Therapie der 1. Wahl gilt nach Metaanalyse publizierter Therapiestudien auch bei den Erwachsenen die Stimulanzienbehandlung mit Methylphenidat18,19. Diese in den USA bereits etablierte pharmakologische Therapie stößt in Deutschland an ihre Grenzen, da hierzulande bisher kein Stimulanz zur Therapie einer ADHS beim Erwachsenen zugelassen ist und Verordnungen somit als „Off-Label-Use“ gehandhabt werden müssen. Hieraus resultieren häufig Unsicherheiten in Bezug auf die Abrechnung mit den Krankenkassen auf Seiten der Ärzte und Patienten, welche sich häufig noch dadurch verschärfen, dass Stimulanzien dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen.

Aber auch Atomoxetin (Strattera®), ein nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegender Wirkstoff, der als selektiver Noradrenalin Wiederaufnahmehemmer primär zur Behandlung von Depressionen entwickelt wurde, zeigt gute Wirksamkeit. Im Jahre 2008 konnten Adler et

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al. in der ersten Langzeit-Studie, welche über 6 Monate mit Atomoxetin versus Plazebo durchgeführt wurde, signifikante Verbesserungen bei den ADHS-spezifischen Symptomen belegen54. Aufgrund der Metabolisierung über das Cytochrom-450 in der Leber, einem Enzym mit interindividuell sehr variabler Metabolisierungsaktivität, wird über stark unterschiedliches Ansprechen der einzelnen Patienten berichtet47. Atomoxetin gilt nach aktuellen Leitlinien bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen als Medikament der zweiten Wahl.

Weitere Antidepressiva besitzen zwar keine Zulassung für die alleinige Therapie einer Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung und mindern die typischen Symptome auch in einem geringeren Ausmaß als das zum Beispiel Stimulanzien erreichen55, können aber auf eine depressive Verstimmung als Komorbidität zur Gesamtverbesserung der psychischen Verfassung des Patienten beitragen18,56,64.

Eine medikamentöse Therapie mit Amphetaminen und / oder Antidepressiva konnte bei bis zu 70% der Erwachsenen mit ADHS bei denen gestörte Aufmerksamkeit, motorische Hyperaktivität, Affektlabilität, Impulsivität und emotionale Überreagibilität vorlagen, eine Besserung der Symptomatik erzielen57. Auch in Bereichen des sozialen Lebens und der Arbeitswelt konnten positive Effekte verzeichnet werden58. Bei sehr großer Varianz in den Angaben zur Responderquote in verschiedenen Studien, führten Wilens et al.59 eine Metaanalyse zur Pharmakotherapie der ADHS durch und kamen hierbei auf eine Responderrate von 57%.

In randomisierten und / oder placebokontrollierten doppelt verblindeten Studien18,60,61 wurden den Patienten mittlere Tagesdosen von ca. 30mg bis 50mg Methylphenidat oral verabreicht.

Eine auf Metaanalysen basierende Empfehlung bezüglich der optimalen Dosis wurde zuletzt 2009 von Kösters et al.62 kritisch hinterfragt, doch Adler et al.63 verifizierten oben genannte Dosis Methylphenidat als wirksam und sicher in der Langzeittherapie adulter ADHS- Patienten. Insgesamt gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Patienten mit psychiatrischer Komorbidität trotz höherer Dosierung schlechter auf eine Therapie mit Methylphenidat ansprechen als ADHS-Patienten ohne Komorbidität55.

Obwohl dazu noch weitere kontrollierte Studien fehlen, wird eine Empfehlung zur

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psychoedukativen Maßnahmen ausgesprochen, da aufgrund von Erfahrungswerten aus dem klinischen Alltag und der Behandlung von Kindern und Adoleszenten die verschiedenen Symptome den Therapieansätzen unterschiedlich gut zugänglich sind19,64,65. Laut einer Studie der MTA Cooperative Group* liegt der Hauptanteil der Fortschritte in der Therapie zwar auf dem medikamentösen Part, doch die Verbesserungen, die im sozialen Bereich erreicht werden konnten, rechtfertigen die Empfehlung zur multimodalen Therapie mit medikamentösem und verhaltenstherapeutischem Anteil trotz der höheren Kosten bei relativ geringem Unterschied in der Verbesserung der ADHS-spezifischen Symptome im Vergleich zur reinen Pharmakotherapie66.

Im Rahmen der Psychotherapie sollen Hilfestellungen für den Alltag vermittelt werden.

Hierzu zählen die Vermittlung von Fertigkeiten (Skills) und die Stabilisierung des emotionalen Befindens und die langfristige Etablierung von Verhaltensänderungen. Mit Hilfe psychotherapeutischer Maßnahmen werden Verbesserungen in den Bereichen Lernen, Arbeiten, Zeitmanagement, Finanzen, Parter- und Familienbeziehungen sowie eine Stabilisierung des Selbstwertgefühls erreicht56. Positive Studienergebnisse gibt es zum einen im Bereich des „störungsspezifischen Gruppentherapieprogramms“ nach Hesslinger67 und zum anderen für die „kognitive Einzeltherapie“, publiziert durch Safren et al.68.

Insgesamt finden allgemeine psychotherapeutische Behandlungen wie tiefenpsychologische, verhaltenstherapeutische und systemische Behandlungsformen Anwendung in der Therapie der ADHS69. Hierbei kann insbesondere im Kindesalter mit einer Vielfalt von therapeutischen Ansätzen auf vielen Ebenen der Symptomkonstellation positiver Einfluss genommen werden:

Hier kommt zum Beispiel die direktive Spieltherapie zum Einsatz, bei der unter Leitung eines Therapeuten auf spielerischer Ebene erlebte Situationen neu erlebt werden. Eine Förderung der Psychomotorik beeinflußt über einen positiven Effekt auf die Grob- und Feinmotorik das Verhalten der Kinder und schult ebenso deren Selbst- und Fremdwahrnehmung. Eine Einbeziehung der Bezugspersonen erfolgt sowohl in der Familientherapie als auch im Elterntraining. Hier werden Kompetenzen im Umgang mit an ADHS erkrankten Kindern vermittelt und Ratschläge zur Bewältigung von Konflikten im Alltag erteilt69.

Eine weitere Therapieoption sowohl für jüngere als auch ältere Patienten ist in der Beschäftigungs- oder Ergotherapie zu sehen. Hier werden Konzentration, Gedächtnis und

* MTA Cooperative Group: National Institute for Mental Health Multimodal Treatment Study of ADHD

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Ausdauer durch Einsatz verschiedener Elemente aus Musiktherapie, kreativem Arbeiten, kognitivem Training und durch das Erlernen von Entspannungstechniken gefördert. Durch die Möglichkeit der Gruppentherapie kann auch die Kommunikationsfähigkeit und die Teamarbeit trainiert werden. Der Kritik, dass eine allgemeine Ergotherapie nicht die individuelle Bedürfnisse von ADHS-Patienten berücksichtige wurde mit der Entwicklung spezieller Therapiekonzepte entgegengewirkt70,71,72,73,74,75

. Trotzdem fehlen bis dato valide Studien, welche einen Nutzen dieser Therapien belegen.

Für Erwachsene stehen derzeit Einzeltherapiekonzepte sowie Gruppenkonzepte zur Verfügung. Die Einzeltherapieprogramme bilden die kognitiv behaviorale Therapie68,76,77 und die problemfokussierende Therapie78. Als Gruppentherapiekonzepte wurden die Psychoedukation79, das kognitive Remediationsprogramm80 und die kognitiv-behaviorale Therapie81 untersucht. Neben dem Achtsamkeitstraining von Zylowska et al.82 steht das Gruppenfertigkeitentraining nach Hesslinger et al.67 zur Verfügung, welches besser unter dem Namen „Freiburger Konzept“ bekannt ist. Aussagekräftige Studien zur Wirksamkeit psychotherapeutischer Maßnahmen überhaupt und zum Vergleich der verschiedenen Therapiekonzepte stehen bislang noch aus.

Es bleibt noch zu erwähnen, dass auch eine erfolgreiche Therapie von den Betroffenen selbst nicht immer vorbehaltlos als positiv bewertet wird. Sie berichteten über pharmokologisch bedingte Einbußen im Bereich ihrer vorher mit dem Krankheitsbild assoziierten Stärken, wie zum Beispiel ihrer Kreativität. Ferner bestünden Probleme mit der Akzeptanz ihres neuen Selbst- und Fremdbildes in ihrem sozialen Umfeld64.

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1.1.4. Prognose der ADHS

Der Verlauf einer kindlichen ADHS kann individuell sehr unterschiedlich sein. Es ist zum einen möglich, dass mit Beginn der Adoleszenz, die Symptome vollständig abklingen. Neben einer Vollremission existieren auch Fallberichte von teilremittierten Patienten, bei denen einzelne Beschwerden auch im Erwachsenenalter bestehen bleiben. Die Persistenz der Symptome scheint mit 31 - 70% ein häufig eintretender Fall zu sein83,84,85,86,87,88,89.

Im Gegensatz zu diesen hohen Persistenzraten kommen Mannuzza et al. in ihren Längsschnittuntersuchungen auf wesentlich niedrigere Werte von 11% beziehungsweise 4%90,91. Dieser deutliche Unterschied zu oben erwähnten Studien mag in einer sehr restriktiven Anwendung der Diagnosekriterien des DSM III ohne Berücksichtigung des Symptomwandels im Verlauf der Entwicklung begründet liegen. Der ungünstigste Verlauf mit Persistenz der ADHS-Symptomatik kann dann schlimmstenfalls mit der Entwicklung von Dissozialität, Impulsivität und häufig auch Substanzmissbrauch einhergehen92.

Für die Chronifizierung der Symptome wurden folgende Risikofaktoren herausgearbeitet:

Neben niedriger allgemeiner Intelligenz, niedrigem sozioökonomischem Status und früh einsetzenden, schweren und hartnäckigen oppositionellen und aggressiven Verhaltensstörungen spielen auch eine schlechte soziale Beziehung zu Gleichaltrigen oder eine familiäre Instabilität eine wichtige Rolle. Auch ein strafender oder inkonsistenter Erziehungsstil begünstigen ein Persistieren der Symptome15.

Eine frühzeitige und adäquate Therapie scheint besonders in Hinblick auf den Verlauf einer infantilen ADHS entscheidend zu sein. Zwar ist die Datenlage für eine generelle Aussage diesbezüglich noch nicht ausreichend, doch sprechen aktuelle Untersuchungen für ein vermindertes Risiko von späteren Abhängigkeitserkrankungen bei optimierter Stimulanzientherapie93. Ob der Beginn einer Behandlung im frühen Erwachsenenalter noch die Ausbildung anderer komorbider psychischer Störungen verhindern oder verringern kann, ist zur Zeit noch nicht ausreichend untersucht19

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1.1.5. Komorbiditäten und soziale Folgen einer ADHS

Neben den eigentlichen ADHS-Symptomen sind die Patienten häufig durch Komorbiditäten aus dem psychiatrischen Formenkreis belastet. Studien geben eine Prävalenz von bis zu 90%

für eine und von bis zu 20% für zwei oder drei weitere Diagnosen an. Hier treten vor allem depressive Störungen, Angststörungen, antisoziale Persönlichkeitsstörungen, Borderline- Persönlichkeitsstörungen, Alkohol- und Drogenabhängigkeit sowie Tic-Störungen in den auf94.

Das Bestehen einer ADHS stellt einen Vulnerabilitätsfaktor für verschiedene psychische Erkrankungen, wie Persönlichkeitsstörungen, affektive Störungen und Angststörungen sowie Abhängigkeitserkrankungen95 dar. Dabei scheint die Neigung zu abhängigem Verhalten besonders stark ausgeprägt zu sein, welches sich dann sowohl als stoffgebundene Abhängigkeit96,97 zeigen kann, als auch im Bereich der stoffungebundenen Abhängigkeiten98,99 wie z.B. der Internet- und Computerspielabhängigkeit wiederzufinden ist.

Eine Besonderheit in diesem Zusammenhang stellt der Nikotinabusus dar, da Nikotin den Dopamin-Rezeptor im Striatum herunter reguliert und über diesen Wirkmechanismus statt der üblichen Euphorie und Agitiertheit eine bessere Konzentrationsfähigkeit und eine nachlassende motorische Unruhe bei einem ADHS-Patienten bewirkt100,101. ADHS wird dabei mit dem frühen kindlichen Nikotinabusus in Verbindung gebracht und auch mit späteren Schwierigkeiten in der Nikotinentwöhnung. Diese Risiko scheint durch den frühen Beginn mit einer Stimulanzientherapie reduziert werden zu können101.

Die auffällige und überzufällige Häufung von späterem Substanzmissbrauch bei Jugendlichen mit ADHS warf die Frage auf, ob diese Komorbidität Folge der ADHS oder der ADHS- Therapie mit Stimulanzien sei. Den Grund für diese Überlegungen lieferte unter anderem eine Studie aus dem Bereich der Suchtforschung, welche belegte, dass der frühe kindliche Kontakt zu abhängigkeitsauslösenden Substanzen wie Nikotin oder Drogen die spätere Ausbildung einer Missbrauchs- bzw. Abhängigkeitserkrankung begünstigt102. Mannuzza et al. konnten in Anlehnung an diese These keinen Zusammenhang zwischen einer im jungen Kindesalter begonnenen Methylphenidat-Therapie und im Verhältnis dazu vermehrten Ausbildung von Substanzanhängigkeiten eruieren103. Wilens et al. fanden 2003 in einer Metaanalyse Hinweise

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Drogenabhängigkeit, bei jungen Erwachsenen, welche in ihrer Kindheit mit Methylphenidat therapiert worden waren104. In nachfolgenden Studien konnte diese Vermutung jedoch nicht bestätigt werden und es ergab sich kein Zusammenhang zwischen einer erfolgten Stimulanzientherapie und einer späteren Abhängigkeitserkrankung105.

Bei der häufig anzutreffenden Komorbidität mit Verhaltensstörungen scheint es Gemeinsamkeiten auf genetischer Ebene zu geben, welche ein gleichzeitiges Auftreten beider Psychopathologien erklärt22. Eine prospektive Verlaufsstudie von Biederman et al. 2009106 über 10 Jahre kam zu dem Ergebnis, dass eine Stimulanzientherapie im Kindesalter vor der Ausbildung einer späteren Verhaltensstörung, wie z.B. einer depressiven Störung oder einer Angststörung schützt. Außerdem sei ein positiver Effekt in Bezug auf die Schulleistungen und störendes Verhalten zu verzeichnen gewesen. Auch gibt es erste Hinweise darauf, dass das Risiko für die Entwicklung einer Major Depression durch die medikamentöse Therapie der ADHS reduziert werden könne107.

Das Bestehen einer Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung beeinflusst beim Erwachsenen beinahe alle Lebensbereiche: Schwierigkeiten beim Befolgen gesellschaftlicher Regeln und Normen führen zu negativer Beeinträchtigung in Partnerschaft und Familie. Für Kinder werden die Defizite durch ihre Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung vor allem im schulischen Bereich sehr deutlich. Sie können den Anforderungen oft nicht entsprechen und müssen nicht selten eine Jahrgangsstufe wiederholen. Auch der Wechsel auf eine Sonderschule wird nicht selten von Seiten der Lehrkräfte empfohlen. Im Berufs- und Arbeitsleben setzt sich diese Problematik fort und die Patienten leiden unter den Folgen ihrer Symptome, was über häufige Fehlzeiten und Streitigkeiten mit den Vorgesetzten zu Problemen in der wirtschaftlichen Unabhängigkeit von Patienten führen kann15,21.

Rösler et al.93 untersuchten Patienten mit ADHS aus sozialmedizinischer Sicht und fanden Hinweise auf erhöhte Raten für frühe ungeplante Schwangerschaften unter ADHS- Patientinnen, eine erhöhte Scheidungsrate, höhere Raten an Verkehrsunfällen, insgesamt niedrigere Schulabschlüsse und eine höhere Tendenz zu häufigeren Arbeitsplatzwechseln oder auch Arbeitslosigkeit. Eine Untersuchung unter jungen erwachsenen Gefängnisinsassen durch Rösler et al. 2004 ergab eine deutlich erhöhte Prävalenz einer ADHS von ca. 45%, gehäuft in Kombination mit psychiatrischen Begleiterkrankungen.

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Zusammenfassend kann man von der Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung von einer vielgestaltigen Erkrankung vorwiegend genetischer Ursache sprechen, welche die Patienten oft ihr Leben lang durch alle Bereiche des Alltags begleitet und diesen erschwert.

Tiefgreifende Probleme entstehen durch die häufig ausgebildeten Komorbiditäten, welche die Situation für die Patienten noch verschärfen. Bei frühzeitiger Erkennung des Störungsbildes stehen effiziente Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, welche sich neben einer Besserung der Kardinalsymptome der ADHS auch positiv auf die Vermeidung von Komorbiditäten auswirken können.

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1.2. Störungen der Impulskontrolle

Eine erste Beschreibung einer Impulskontrollstörung findet sich 1887 in einem Lehrbuch von Emil Kraepelin, dem Begründer der systematischen Klassifizierung psychischer Störungen und der Psychopharmakologie: Er beschreibt „jene […] Form des angeborenen Schwachsinns, die man als impulsives Irresein zu bezeichnen pflegt. […] Die Schwäche documentiert sich dabei hauptsächlich in der geringen Widerstandsfähigkeit gegenüber plötzlich aufsteigenden Antrieben. Wir sind diesem Charakterzuge auch in den übrigen Krankheitsbildern der Imbecillität bereits wiederholt begegnet. Was denselben aber beim impulsiven Irresein durchaus in den Vordergrund stellt, ist der Mangel irgend eines intellectuell erfassten Beweggrundes der krankhaften Handlungen, eben die impulsive, triebartige Ausführung desselben.“108 Kraepelin beschreibt somit einige Details, die bis heute Gültigkeit haben. Neben einer Darstellung der Symptome, vermutet er eine genetische Komponente in der Ätiologie und weist auf die Komorbidität mit verschiedenen anderen psychiatrischen Erkrankungen hin.

Buss und Plonin109 entwickelten in den siebziger Jahren ein zweigliedriges Konzept zur Definition der Impulsivität: Dabei steht „ein schnelles und heftiges Antworten auf Reize“

einem „Zurücklehnen und Planen vor dem Handeln“ ebenso gegenüber wie „Widerstand leisten“ dem „Nachgeben gegenüber Trieben, Impulsen und Motivation“. Sie veranschaulichen den Begriff Impulsivität mit dem Satz: „Impulsivity is the tendency to respond quickly rather than inhibiting the response“116.

Auch Barratt beschreibt Impulsivität als Disposition zu schnellen Reaktionen und Handeln ohne zu denken. Ferner berichtet er über eine hohe Risikobereitschaft von impulsiven Personen und die Unfähigkeit zur vorausschauenden Planung. Hierbei wird Impulsivität als andauerndes Persönlichkeitsmerkmal verstanden110,111,112,116

. Unter dem Aspekt der Verhaltensaktivierung konstruierte Barratt eine Selbstbeurteilungsskala, die im folgenden erläuterte Barratt-Impulsiveness-Scale (BIS), welche verschiede Teilaspekte der Impulsivität herausarbeitet (Tabelle 4).

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o Motorische Impulsivität: überdauernde Neigung zu handeln, ohne nachzudenken und mögliche Konsequenzen abzuwägen.

o Kognitive Impulsivität: schnelles kognitives Tempo mit schneller Entscheidungsbereitschaft.

o Nichtplanende Impulsivität: Mangel an zukunftsorientierter Problemlösung.

Tabelle 4: Aspekte der Impulsivität nach Barratt111,263

Barratt vermutet als Ursache für die motorische und kognitive Impulsivität eine Fehlleistung des Gehirns in der Wahrnehmung und Kontrolle der Zeitdimension, also einer Fehlregulation im Informationsprozess zeitlicher Regulierung und Rhythmisierung von Handlungen. Diese scheint auch mit biochemischen und psychobiologischen Korrelaten einherzugehen, welche sich in optisch und akustisch evozierten Potentialen zeigen können. Diese Erkenntnisse lieferten erste Hinweise auf eine sensorische Überstimulation des Organismus als Ursache für impulsives Handeln110,111,116

. Die nichtplanende Impulsivität sieht Barratt eher als Lebensstil und Ausdruck sozialer Lernprozesse, die sich in starker Gegenwartsbezogenheit und mangelnder Zukunfts- oder auch Vergangenheitsorientierung zeigen. Hierbei führt die ausschließliche Fixierung auf kurzfristige Ziele zu einer Vernachlässigung der Beachtung von mittel- oder langfristigen Konsequenzen, was auch mit einer erhöhten Delinquenz einhergehen kann111,116,113

.

Herpertz und Saß resümieren Impulsivität als ein Konstrukt aus zwei Dimensionen, welche in ständiger, unauflösbarer Wechselbeziehung zueinander stehen. Dies sind zum einen der impulsive Antrieb und zum anderen die Impulskontrolle. Hierbei ist der impulsive Antrieb eine eng mit dem Temperament eines Individuums verbundene Eigenschaft und äußert sich in raschen und beziehungsweise oder heftigen Reaktionen auf den Ebenen der Kognition, Emotion und des Verhaltens. Die Impulskontrolle ist somit als emotional-kognitiver Hemmungs- und Kontrollmechanismen zu verstehen, welche darüber entscheidet, ob ein impulsiver Antrieb sich als reale Handlung äußert, oder psychisch abgefangen und bewältigt werden kann. Sowohl der impulsive Antrieb als auch die Impulskontrolle werden dabei affektiv und kognitiv moduliert116.

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Verfügung, insgesamt werden sie aber als selten vorkommend eingeschätzt. Auffällig ist jedoch eine unterschiedliche Geschlechterverteilung bei den einzelnen Entitäten der Impulskontrollstörungen: Beim pathologischen Spielen und der Pyromanie dominieren Männer, wohingegen Frauen eher zu Kleptomanie und Trichotillomanie neigen115. Letzter Störung beginnt dabei häufig schon in der Kindheit, die anderen Störungen der Impulskontrolle zeigen sich vermehrt in der Adoleszenz114.

1.2.1. Definition und Diagnostik von Impulskontrollstörungen

Als Störung der Impulskontrolle gilt das wiederholte, vollständige oder teilweise Versagen der willentlichen Beherrschung eines Wunsches oder inneren Antriebes (Impuls). Durch das daraus resultierende Verhalten kommt es meist zu Schädigung der eigenen oder anderer Personen. Den Störungen der Impulskontrolle werden auch die „nicht stoffgebundenen Abhängigkeiten“ zugeordnet. Die Klassifizierung erfolgt nach DSM-IV12 oder ICD-10200 nach den diagnostischen Kriterien für „abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle“92,115 (Tabelle 5).

Eine Zusammenfassung dieser psychischen Störungen zu einer Gruppe wurde bereits 1980 in den DSM-III-Kriterien vorgenommen und setzt sich im DSM-IV und im ICD-10 bis heute durch. Allerdings besteht nach DSM-IV12 noch die Möglichkeit der Diagnose einer

„intermittierenden explosiven Störung“. Solch eine Persönlichkeitsstörung lässt sich nach ICD-10 als „emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus“

klassifizieren92,115,116.

Gemeinsam ist dieser heterogen wirkenden Gruppe von Störungen, dass die betroffene Person in den meisten Fällen vor der Handlung eine zunehmende innere Anspannung verspürt, welche sich während und nach der Handlung in Entspannung mit Lust und Vergnügen wandelt. Diese Kurve kann rasch und steil verlaufen oder langsam und flach.

Impulskontrollgestörte Patienten sind nicht in der Lage, sich von diesen selbst- oder fremdschädigenden Verhaltensweisen zu distanzieren und abzuhalten. Die spannungslösende Funktion der Handlung begünstigt zudem eine Habituierung. Nach dem Akt tritt in manchen Fällen das Gefühl von Reue oder Schuld auf, was mit Selbstvorwürfen einhergeht115,116.

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o [F63.0] Pathologisches Glücksspiel: wiederholtes, episodenhaftes Glücksspiel, welches die Lebensführung des Patienten beherrscht mit Verfall sozialer, beruflicher, materieller und familiärer Werte und Verpflichtungen.

o [F63.1] Pathologische Brandstiftung / Pyromanie: häufige tatsächliche oder versuchte Brandstiftung ohne verständliches Motiv bei anhaltender Beschäftigung mit Feuer und Brand.

o [F63.2] Pathologisches Stehlen / Kleptomanie: wiederholte Impulse, Dinge zu stehlen, die meist nicht zum persönlichen Gebrauch oder zur Bereicherung dienen, begleitet von wachsender innerer Anspannung vor der Handlung und einem Gefühl der Befriedigung während oder nach der Tat.

o [F63.3] Pathologisches Haarezupfen / Trichotillomanie: beachtlicher Haarverlust durch nicht kontrollierbare Impulse, sich die Haare auszureißen, begleitet von wachsender innerer Anspannung und anschließender Befriedigung.

o [F63.8] Sonstige abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle: z.B. pathologisches Kaufen, pathologischer Internetgebrauch, sexuelles Zwangsverhalten, Selbstverletzungen

Tabelle 5: Diagnostische Kriterien für abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle nach ICD-10200

Aktuellste Überlegungen zur diagnostischen Einordnung der Impulskontrollstörungen kritisieren die Heterogenität der Gruppe und die Zusammenfassung als „Rest-Kategorie“ und fordern die Einführung des Begriffs „Verhaltenssucht“ in das DSM-IV117 (siehe dazu auch Kapitel 1.2.5).

Auch gibt es Überlegungen, die Impulskontrollstörungen in die Gruppe der Zwangsstörungen einzuordnen, da es hier in Bezug auf die Symptomatik, die Komorbiditäten, die familiären Zusammenhänge und den Erfolg bei der Anwendung der gleichen pharmakologischen und psychotherapeutischen Interventionen zahlreiche Übereinstimmungen gibt. Als Beispiel sei

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mit einer Zwangsstörung zeigt als beispielsweise mit dem pathologischen Spielen118,119,120

(weiteres dazu in Kapitel 1.2.5).

Insgesamt muss hier angemerkt werden, dass es zur eindeutigen diagnostischen Klassifikation von Impulskontrollstörungen an einem operationalisierten Konstrukt, welches auf validen empirischen Erkenntnissen aufgebaut ist, deutlich mangelt. Dies wäre nicht zuletzt zur Optimierung und Vereinheitlichung der therapeutischen Optionen wünschenswert.

1.2.2. Ätiologie der Impulskontrollstörungen

Grundsätzlich gibt es verschiedene Überlegungen zur Entstehung von Impulskontrollstörungen, wobei evidente Studien noch ausstehen. Dabei wird zum einen versucht, diese Störung in die Persönlichkeitsstörungen einzuordnen und auch psychobiologisch anhand eines Modells zu Transmitterfehlfunktionen im serotonergen System psychobiologisch zu erklären. Andererseits gibt es Erklärungsansätze aus der Psychodynamik, welche Impulskontrollstörungen als Reaktionen auf unbewußte Schuldgefühle, Triebe oder Wünsche zurückführen oder sie als Ausdruck von Persönlichkeitsstörungen insbesondere narzisstischer Ausprägung zu erklären versuchen115.

Als ergänzenden Ansatz wird die gestörte Impulskontrolle als ein Defekt des zentralnervösen Prozesses der Umsetzung von Stimuli in Handlungen gesehen, wobei die Regulationsstörung im Bereich erregender und hemmender Komponenten der Verhaltens- und Bewegungssteuerung liege128. Hierbei gibt es Hinweise auf den rechten präfrontalen Cortex als Hirnregion mit großem Einfluß auf die Inhibition einer Reaktion121,122.

Impulsives Verhalten tritt oft in Belastungssituationen auf, wie zum Bespiel bei Trennungen vom Partner, beruflichem Stress oder auch bei Prüfungsversagen sein können. Auch Alkohol kann einen Auslöser darstellen115. Insgesamt kann impulsives Verhalten Teil beinahe jeder psychiatrischen Erkrankung sein oder als stabiles Persönlichkeitsmerkmal vorhanden sein111,128.

Zwar gibt es erste Hinweise auf ein gehäuftes Auftreten verschiedener Impulskontrollstörungen in den Familien der Betroffenen, doch besteht auch hier noch Untersuchungsbedarf. Auch aufgrund der vielfachen Komorbidität mit Erkrankungen wie der

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ADHS, denen eine hereditäre Genese zugesprochen wird, kommt man zu Vermutungen bezüglich einer genetischen Komponente in der Ätiologie der Impulskontrollstörungen.

1.2.3. Therapeutische Möglichkeiten bei Störungen der Impulskontrolle

Als Gemeinsamkeit aller Impulskontrollstörungen wird eine Selbst- oder Fremdgefährdung oder -verletzung gesehen. Aus diesem Grund, kann es in Abhängigkeit von der Schwere der Ausprägung dieser Verhaltensstörung notwendig sein, als Krisenintervention eine stationäre Behandlung anzustreben, um die Situation zu deeskalieren. Dabei sollte ein Abbau der Spannung und Erregung erzielt werden, um das impulsive Verhalten zu vermeiden115.

Zwar stehen für die Therapie der Impulskontrollstörungen insgesamt noch sehr wenige Daten zur Verfügung, doch schient sich auch hier eine Kombination aus Pharmakotherapie und Psychotherapie zu bewähren.

Die Pharmakotherapie dient dabei am ehesten als Rezidivprophylaxe, da die zu erwartende Wirkung meist erst mittelfristig einsetzt. Hinweise auf einen positiven Effekt lieferten bisher die Einsätze von Lithium, Serotoninwiederaufnahmehemmern, Antikonvulsiva und atypischen Neuroleptika. Zur Anwendung von Methylphenidat gibt es in plazebokontrollierten Studien sowohl Hinweise auf eine positive Wirkung als auch auf eine Wirkungsgleichheit mit Plazebo123. Insgesamt scheint die Wirkung bei ausgeprägten Komorbiditäten wie Depressionen oder Angststörungen am deutlichsten zu sein, wie Grant und Potenza124 in einem Überblick über die bisherige Literatur zum Thema proklamieren.

Auch gibt es Ansätze, welche die Therapie mit Opioid-Antagonisten, Stimmungsstabilisatoren, Dopamin-Wiederaufnahmehemmern sowie mit atypischen Neuroleptika. Letztere, wie zum Bespiel Risperidon, finden auch bei der Behandlung von Impulskontrollstörungen im Kindesalter Anwendung und bessern die Symptomatik dort auch langfristig125.

Im Bereich der Psychotherapie fehlt es zwar noch an systematischer Forschung zur Wirksamkeit verschiedener Therapieansätze, doch werden bislang vor allem verhaltenstherapeutische Techniken nach Leitlinien angewandt. Hierbei scheinen die

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sein wie kognitive Methoden der Selbstkontrolle. Auch die Behandlung von Stereotypien durch Techniken der Reaktionsumkehr und Überkorrektur sowie Techniken im aus dem Bereich der operanten Konditionierung mit Verstärkung werden genutzt126,127.

1.2.4. Gestörte Impulskontrolle als Komorbidität

Impulsivität kann als stetiges Merkmal einer Persönlichkeit vorhanden sein, doch kann impulsives Verhalten auch im Verlauf nahezu jeder psychiatrischen Erkrankung auftreten. Als Erkrankungen aus dem psychiatrischen Formenkreis mit besonders ausgeprägter Impulsivität sind die antisozialen und Borderline-Persönlichkeitsstörungen, mono- und bipolare affektive Störungen, Essstörungen, Abhängigkeitserkrankungen sowie die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung hervorzuheben116,128,129,130

.

Abhängigkeitserkrankungen scheinen dabei besonders häufig im Zusammenhang mit Impulsivität aufgefallen zu sein, was eine Fülle von Studien hervorbrachte. Der Charakterzug der Impulsivität spielt vor allem in den frühen Stadien der Entstehung einer Abhängigkeitserkrankung, wie zum Beispiel in der Experimentierphase mit Drogen, und in der Aufrechterhaltung der Abhängigkeitserkrankung eine wichtige Rolle131,132,133,134

. Patienten mit gestörter Impulskontrolle weisen ebenso wie Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen höhere Werte im Bereich „sensation seeking“ auf131,135,136

, was der Aufrechterhaltung der Sucht dienen und die erhöhte Rückfallrate erklären könnte.

Impulsivität gilt sowohl als Risikofaktor als auch als Folge von Substanzabhängigkeit132. Die Erkenntnisse bezüglich des Risikofaktors „Impulsivität“ bei der Entwicklung von Abhängigkeitserkrankungen gehen dabei aus Studien zu kinder- und jugendpsychiatrischen Erkrankungen hervor, die mit einem hohen Maß an impulsivem Verhalten einhergehen. Hier sind vor allem die Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung und die Zwangserkrankungen hervorzuheben137,138,139

. Eine Störung der Impulskontrolle kann aber auch Folge einer Abhängigkeit von psychotropen Substanzen sein, die modulierend in den Hirnstoffwechsel eingreifen und als Kurzzeit- oder Langzeitfolge über eine Störung im serotonergen System gesteigerte Impulsivität hervorrufen. Dies ist zur Zeit für den Missbrauch von Alkohol140,141,142

, Kokain143,144,145,146

und Ecstasy147,148 belegt.

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