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Archiv "Ärztekammern: Notfall Menschenrechte" (02.02.2001)

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etroffenheit allein reicht nicht aus, konstatierte der Vorstand der Ber- liner Ärztekammer vor gut fünf Jahren, als er beschloss, Beauftragte für Menschenrechte zu ernennen. Ob es um die Verfolgung gewissenhafter Ärz- te durch repressive Regierungen geht, um die Behandlung und Begutachtung traumatisierter Flüchtlinge in Deutsch- land oder um Sanktionen gegen Ärzte, die berufsethische Grundsätze verlet- zen: Hier sind die ärztlichen Standesor- ganisationen gefordert. Mittlerweile haben 12 Ärztekammern Menschen- rechtsbeauftragte benannt. Welche Bi- lanz lässt sich nach fünf Jahren ziehen?

„Wenn ich das niederschreibe, tut sich die Hölle für mich auf“, wird ein Arzt im Ausland zitiert, der sich nach der Autopsie eines Häftlings ent- schloss, statt des geforderten „Herz- versagens“ wahrheitsgemäß „Spuren äußerer Gewalt durch Fremdeinwir- kung“ zu dokumentieren. Ihre Schlüs- selrolle bei der Aufdeckung von Miss- handlungen und Folter bringt Ärzte selbst in Gefahr. Überlebende von Fol- ter sitzen als Patienten in unseren War- tezimmern und liegen in deutschen Krankenhäusern – meist ohne das Un- aussprechliche mitzuteilen. Vielfach er- halten sie nicht die erforderliche Be- handlung, weil das Asylbewerberlei- stungsgesetz ihr Recht auf Gesundheit in Abhängigkeit vom Aufenthaltsstatus rationiert.

Das Spektrum, mit dem sich die Menschenrechtsbeauftragten beschäf- tigen, ist breit: In einem Fall geht es um eine Verurteilung zur chirurgischen Enukleation eines Auges im Iran, in an- deren Fällen um die ärztliche Beteili- gung an Hinrichtungen durch tödliche Injektionen (siehe DÄ, Heft 18/1999) und die anschließende Organentnahme zu Transplantationszwecken, um die

Zwangsamputation gesunder Glied- maßen oder die Genitalverstümme- lung.

Das Faxgerät summt: Der türkische Arzt Alp Ayan wurde bei der Beerdi- gung eines gewaltsam zu Tode gekom- menen Häftlings festgenommen. Er wurde misshandelt und inhaftiert. Ayan ist Mitarbeiter der Türkischen Men- schenrechtsstiftung in Izmir. Als Psych-

iater behandelt er Folterüberlebende und dokumentiert das Grauen. Wer das im Verfolgerstaat tut, wird selbst zur Zielscheibe. Wir gehen wie üblich vor:

recherchieren, Informationen abglei- chen, Protestbriefe und Pressemittei- lungen verfassen. Als effektivste Strate- gie erweist sich zumeist die Kombinati- on von „stiller Diplomatie“ und dem Schaffen von Öffentlichkeit. Da es sich offenbar wieder um ein konzertiertes

Vorgehen handelt – auch der Gynäko- loge Dr. Uzun und der Traumatologe Prof. Lök stehen mit fadenscheinigen Begründungen vor Gericht –, geht die Pressemitteilung mit Anschreiben an den Bundesaußenminister und die zu- ständige Botschaft. Dann gilt es, die Prozessbeobachtung zu organisieren.

In der Vergangenheit war die Ärzte- kammer Berlin bei der Organisation, Finanzierung und Öffentlichkeitsarbeit stets auf sich allein gestellt. Ob es dies- mal anders wird?

Das Telefon klingelt: Der Polizei- ärztliche Dienst (PÄD) in Berlin hat einen traumatisierten Flüchtling in Handschellen zur Gegenbegutachtung vorführen lassen. Der Innensenator un- terstellt niedergelassenen Fachärzten, in großem Umfang „Gefälligkeitsgut- achten“ auszustellen, um drohende Abschiebungen zu verhindern. Kriegs- flüchtlinge werden nun pauschal zur Zweitbegutachtung gezwungen. Die Si- tuation verschärft sich: Der PÄD wi- derspricht den psychiatrischen Diagno- sen ohne sorgfältige Anamnese und Untersuchung. Eine Studie belegt die katastrophale Qualität der PÄD-Gut- achten. Das Thema ist bundesweit Ge- genstand der Medienberichterstattung.

Die Berliner Ärztekammer verurteilt die Praxis des Innensenats „aufs Schärf- ste“ und ruft die Ärzteschaft auf, sich nicht an Abschiebungen oder der Be- gutachtung reduzierter Fragestellungen zur so genannten Reisefähigkeit von Flüchtlingen zu beteiligen. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen zwei Mitarbeiterinnen des PÄD wegen des Bruchs der ärztlichen Schweige- pflicht. Das Berliner Abgeordneten- haus und der Menschenrechtsausschuss des Bundestages befassen sich ebenfalls mit dem Thema, während sich eine Mit- arbeiterin des PÄD, die einen Großteil der Gegengutachten erstellt hat, ge- genüber der Kriminalpolizei in Wider- sprüche verstrickt. Kein schlechter Kri- mi – Berlin im Jahr 2000 (siehe DÄ, Heft 23/2000; Lancet, 21. Oktober 2000;

Ärztezeitung, 3. April 2000).

Um zu recherchieren, was Interven- tionen der Menschenrechtsbeauftrag- ten in jedem Einzelfall bewirken, feh- len die Mittel. Im Fall von Dr. Ayan führte eine kontinuierliche Prozessbe- obachtung auch durch deutsche Diplo- T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 5½½½½2. Februar 2001 AA231

Ärztekammern

Notfall Menschenrechte

Die Berliner wagten 1995 ein standespolitisches Novum. Als erste deutsche Ärztekammer ernannten sie Menschenrechtsbe- auftragte. Inzwischen sind 12 Kammern ihrem Beispiel gefolgt.

Therapie für die Opfer: Das Bild malte eine junge Frau aus Sri Lanka im Psychosozialen Zentrum für ausländische Flüchtlinge in Köln.

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maten dazu, dass sich das Auftreten der Justiz gegenüber den Angeklagten verbessert hat. Nicht immer kann, wie bei Dr. Uzun, dessen Prozess die „Ärz- te in sozialer Verantwortung“ (IPP- NW) beobachteten, ein Freispruch er- reicht werden; oft kommt es, wie im Fall von Prof. Lök, zur formellen Ver- urteilung auf Bewährung oder zu einer Geldstrafe. Vielfach konnte öffentli- cher Druck Freilassungen bewirken, wie bei Dr. Nguyen Dan Que (Viet- nam), Dr. Desi Mendoza (Cuba), Dr.

Beko Ransome-Kuti, Dr. Frederik Fa- sehoun (beide Nigeria) und Dr. Flora Brovina (Kosovo).

Auch in Berlin zeigte der öffentliche Druck Wirkung. Der Innensenator will künftig auf eine Begutachtung trauma- tisierter Flüchtlinge durch den Poli- zeiärztlichen Dienst verzichten. Er hat die Ärztekammer um Hilfe bei der Er- stellung einer Liste von kompetenten Gutachtern gebeten. Gefordert wird al- lerdings noch, sämtliche polizeiärztli- che Stellungnahmen zu überprüfen, vor allem, wenn sie bereits zu Abschiebun- gen geführt haben. Nach Angaben des Berliner Verwaltungsgerichts haben ge- richtlich eingeholte Drittgutachten in keinem der bisher 80 Fälle das poli- zeiärztliche Gutachten bestätigt.

Allmählich entwickelt sich eine Zusammenarbeit

Während die Berliner Ärztekammer anfangs allein stand, setzt sich seit 1996 die Auffassung durch, dass ärztliche Standesorganisationen auf dem Gebiet

„Medizin und Menschenrechte“ nicht länger abseits stehen sollten. So hat der 103. Deutsche Ärztetag wichtige An- träge zur Menschrechtsarbeit einstim- mig angenommen. Auch unter den Menschenrechtsbeauftragten entwik- kelt sich eine bundesweite Zusammen- arbeit. Die Ärztekammern Baden-Würt- temberg, Bayern, Berlin, Hessen und Westfalen-Lippe sowie der Kreis- und Bezirksverband München haben den Austausch maßgeblich vorangetrieben.

In Stuttgart, Berlin und München arbei- ten die Menschenrechtsbeauftragten eng mit den dortigen Beratungsstellen für Flüchtlinge und den Behandlungs- zentren für Folteropfer zusammen. In

Frankfurt und Berlin steht derzeit der Missbrauch von Ärzten bei der Begut- achtung und „Abschiebung“ von Asyl- suchenden und Flüchtlingen im Vorder- grund. In Münster ist die gesundheitli- che Versorgung von Flüchtlingskin- dern ein Kernthema. Die Ärztekam- mern Hamburg, Nordrhein, Rheinland- Pfalz, Schleswig-Holstein, Sachsen und Thüringen haben ebenfalls Menschen- rechtsbeauftragte berufen. Dass auch Ärztekammern ohne Beauftragte Maß- stäbe setzen können, zeigt das Bei- spiel Niedersachsen. Unter dem Motto

„Menschenwürde ist unteilbar – Ge- sundheit für alle“ haben dort mithilfe der Ärztekammer Ärztinnen und Ärzte ein landesweites Netz geknüpft, das auch ohne gültigen Aufenthaltsstatus in Deutschland lebende Patienten medizi- nisch versorgt. In anderen Kammerbe- reichen werden Projekte zur Betreuung von Obdachlosen, Drogenabhängigen und anderen sozialen Randgruppen so- wie Leitfäden zu Themen wie „Gewalt gegen Kinder“ oder „Gewalt gegen alte Menschen“ angeboten.

Zu den Aufgaben des Menschen- rechtsbeauftragten der Bundesärzte- kammer gehört die Beratung und Infor- mation der Bundesregierung und der Öffentlichkeit in menschenrechtsrele- vanten medizinischen Fragen, die Ab- stimmung mit internationalen ärztli- chen Gremien wie dem Weltärztebund, die Unterstützung verfolgter Ärzte und das Einschreiten gegen Vergehen von Ärzten im Ausland. Bislang hat sich der Beauftragte schwerpunktmäßig gegen das Asylbewerberleistungsgesetz, die Beteiligung von Ärzten an Abschie- bungen sowie gegen die Abschiebung einzelner Patienten mit kritischem Ge- sundheitszustand ausgesprochen. An- lässlich ihrer 3. Tagung im letzten No- vember in Bonn formulierten die Be- auftragten der Landesärztekammern jedoch den Wunsch, der Menschen- rechtsbeauftragte der Bundesärzte- kammer möge sich in die beginnende Kooperation stärker einbringen. Die 4. Tagung der Menschenrechtsbeauf- tragten soll im Frühjahr 2001 in Stutt- gart stattfinden, wobei das Thema „Ge- walt gegen Randgruppen“ vertieft wer- den soll.

Aktuell bereitet ein Vorfall in der Berliner Therapieeinrichtung „Xeni-

on“ Sorge. Ende November hat Xenion zufolge ein Einsatzkommando der Poli- zei die Einrichtung für Folteropfer oh- ne Vorlage eines Durchsuchungs- oder Haftbefehls und mit gezogenen Schuss- waffen gestürmt. Daraufhin habe sich der 17-jährige in der Türkei durch Fol- ter schwer traumatisierte Flüchtling Davut K. in panischer Angst vor seiner Abschiebung aus dem Fenster gestürzt und lebensgefährlich verletzt. Ein sol- ches Vorgehen ist gerade aus ärztlicher Sicht nicht hinnehmbar: Das ohnehin schwer erschütterte Vertrauen von traumatisierten Patienten, das Voraus- setzung für eine Therapie ist, droht voll- ends zerstört zu werden. Das über- fallartige Eindringen in eine Therapie- einrichtung macht Behandlungserfolge auch für andere Patienten zunichte und birgt die Gefahr einer Retraumatisie- rung.

Es geht um das ärztliche Selbstverständnis

Wo sollten künftig Akzente gesetzt werden? Traumatisierte Flüchtlinge brauchen ein Bleiberecht. Die Ärzte- kammern müssen gegen die Instrumen- talisierung deutscher Ärzte für auslän- derpolitische Ziele vorgehen. Dies be- trifft auch die Rolle von Ärzten bei er- zwungenen Altersfeststellungen bei un- begleiteten minderjährigen Flüchtlin- gen, die medizinische Versorgung von Patienten ohne gültigen Aufenthalts- status oder von Häftlingen in der Ab- schiebehaft. Wenn Ärzte sich staatli- chen Anforderungen an die Medizin kritiklos beugen, zerbricht das Vertrau- ensverhältnis zu ihren Patienten. Die Erforschung von „Health and Human Rights“ und die Umsetzung medizini- scher Ethik in diesem Bereich sollten kein Privileg amerikanischer Eliteuni- versitäten und ärztlicher Menschen- rechtsorganisationen bleiben. Letztlich geht es um die Frage des ärztli- chen Selbstverständnisses jenseits von Punktwerten und DRGs.

Torsten A. Lucas Menschenrechtsbeauftragter Ärztekammer Berlin Flottenstraße 28–42 13407 Berlin

E-Mail: torstenlucas@aol.com T H E M E N D E R Z E I T

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