• Keine Ergebnisse gefunden

Stellungnahme zur Mitteilung der Europäischen Kommission„Industriepolitik in einem erweiterten Europa“(KOM (2002) 714)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Stellungnahme zur Mitteilung der Europäischen Kommission„Industriepolitik in einem erweiterten Europa“(KOM (2002) 714)"

Copied!
11
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Stellungnahme zur Mitteilung der Europäischen Kommission

„Industriepolitik in einem erweiterten Europa“

(KOM (2002) 714)

Berlin, 22.04.03

(2)

Stellungnahme zur Mitteilung der Europäischen Kommission

„Industriepolitik in einem erweiterten Europa“ (KOM (2002) 714) Grundsatz

Der Deutsche Gewerkschaftsbund teilt die Auffassung der

Europäischen Kommission, dass Europa eine vitale Industrie braucht, um seinen Wohlstand zu erhalten und zu mehren und um seine sozial- und umweltpolitischen sowie seine internationalen Ziele zu verwirklichen. Wir begrüßen die Absicht der Europäischen Kommis- sion, der europäischen Industrie neue Dynamik zu verleihen, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern und damit für

Produktivitätswachstum zu sorgen. Die Kommission bemerkt zu recht, dass „die Politik, geleitet von dem verbreiteten, doch irrigen Glauben, in einer wissensbasierten Wirtschaft und Informations- und Dienstleistungsgesellschaft spiele das verarbeitende Gewerbe keine Schlüsselrolle mehr“ (S. 9), der Industrie zuwenig Aufmerksamkeit gewidmet hat. Allein in Deutschland arbeiten mehr als 10 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im industriellen Sektor, d.h.

dem Wertschöpfungsverbund von Industrie und industrienahen Dienstleistungen.

Begriff der Industriepolitik

Anders als die Europäische Kommission reduzieren wir jedoch nicht den Begriff der Industriepolitik auf die „Anwendung des un-

ternehmenspolitischen Instrumentariums auf die Industrie“ und auf das Ziel, jedem, der eine tragfähige Geschäftsidee hat, die

Möglichkeit zu deren Umsetzung zu verschaffen. Ebensowenig ver- stehen wir darunter eine Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit, die mit ständigem Beschäftigungsabbau einhergeht.

Vielmehr verstehen wir Industriepolitik als eine umfassendende poli- tische Strategie, um Steigerung von Produktivität und

Wertzuwächsen nach den Kriterien der Nachhaltigkeit zu erreichen.

Diese Strategie umfasst auch die Verwirklichung der wirtschaftlichen Demokratie in einem erweiterten Europa. Denn eine

menschenwürdige Gestaltung der Industriepolitik beinhaltet die Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen an

Unternehmensentscheidungen.

Ziel muss es insbesondere sein, gesellschaftspolitische Bedarfsfelder für industrielle Produktion und die Beschäftigungspotenziale der In- dustrie zu erschließen. Gesetzgeberische Maßnahmen und förderpoli- tische Instrumentarien müssen sich hierbei ergänzen; auch müssen verschiedene Politikbereiche wie Finanz- und Handelspolitik,

Technologie, Regional- und Umweltpolitik sowie Infrastruktur- und Qualifizierungspolitik dafür kohärent ineinander greifen. Insbesondere müssen die makroökonomischen und die strukturpolitischen Rah-

(3)

menbedingungen koordiniert werden; strukturpolitische Maßnahmen allein werden nicht wachstumsfördernd wirken, wenn kein

wachstumsfördernder makroökonomischer Rahmen gesetzt wird.

Industriepolitik muss unserer Auffassung nach mit einer langfristig wertorientierten Unternehmensführung einhergehen: Effektive Wachstumsförderung wird nur dann erreicht, wenn Interessen der

„shareholder“ und der „stakeholder“ miteinander in Einklang ge- bracht werden. Eine einseitige Orientierung industrieller Produktion am „shareholder value“ halten wir für kontraproduktiv, da steigende Börsenkurse nicht notwendigerweise realen Wertzuwächsen

entsprechen. Vielmehr sind sie nur durch eine tragfähige Balance zwischen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen erreich- bar. Die Kommission erwähnt Arbeitszufriedenheit, Corporate Social Responsibility, gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen und den Sozialen Dialog, doch sollte die grundlegende Bedeutung dieser Aspekte für nachhaltiges Wachstum mit Nachdruck

unterstrichen und entsprechend operationalisiert werden. In der Wahrnehmung sozialer und ökologischer Verantwortung, der Wahrung und Stärkung von Arbeitnehmerrechten und des Sozialen Dialoges auch in den Unternehmen, insbesondere durch die

Europäischen Betriebsräte, sehen wir mehr noch als die Europäische Kommission Faktoren, die wachstumsfördernd wirken.

Verbesserung der Rahmenbedingungen für die europäische Industrie

Es ist zu begrüßen, wenn die Europäische Kommission die Rahmen- bedingungen für die europäische Industrie durch ein systematisches Vorgehen verbessern will. Wir warnen jedoch davor, die Neuorien- tierung der Rahmenbedingungen für die Industrie in Europa als Argument für verstärkte Deregulierung einzusetzen. Weder Struktur- reformen auf dem Arbeitsmarkt, noch Einschränkungen des Arbeits- rechts oder der Mitbestimmung in Unternehmen würden den

erhofften Wachstumszuwachs herbeiführen. Die Reform der Rah- menbedingungen muss vielmehr auf europaweite Standortsicherung und Vermeidung von Umwelt- Sozial- und Steuerdumping aus- gerichtet sein. Insofern ist es zu bedauern, dass in der Mitteilung im Zusammenhang mit der Reform der Rahmenbedingungen weder Steuerharmonisierung noch soziale und ökologische

Mindeststandards erwähnt werden. Ebenso wenig werden Rolle und Bedeutung der Beteiligung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in einer zukünftigen europäischen Industriepolitik angesprochen.

Eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für die europäische Industrie muss unserer Auffassung nach an folgenden Zielen aus- gerichtet werden:

(4)

- Maßnahmen und Instrumente der verschiedenen Politikfelder der EU müssen permanent auf positive und etwaige negative Rück- wirkungen auf die Industrie überprüft werden, um eine Schwer- punktverlagerung zugunsten der Industrie und der mit ihr verbun- denen Dienstleistungen zu erreichen.

- In einer nachhaltigen Industriepolitik müssen ökonomische, ökolo- gische und soziale Ziele gleichwertig beachtet werden. Der

europäische Gesetzgeber muss sich bemühen, einen echten Aus- gleich von ökonomischen, sozialen und ökologischen Interessen zu verwirklichen

- Die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen in einer europäischen Wirtschaftsordnung angemessen berücksichtigt und deren Vertretungen angemessen beteiligt werden

- Zureichende Ausbildungsmöglichkeiten, die Qualität in der Ausbildung, die Verknüpfung von Aus- und Weiterbildung und die Weiterentwicklung der Voraussetzungen für lebenslanges Lernen müssen im Rahmen einer nachhaltigen Industriepolitik gewährleistet sein und gefördert werden.

- Wirtschaftspolitik muss der Förderung von Wachstum und Beschäftigung dienen, die Geldpolitik muss ihrer Verantwortung dafür gerecht werden

- der Anteil qualitativ hochwertiger Dienstleistungen wird nur auf der Basis einer starken Industrie zunehmen können

- die Verfestigung und weitere Institutionalisierung des sozialen Dialogs in Europa sowie Einbindung und Konsultationen der Industrie und ihrer Sozialpartner bei Regulierung und Ausgestaltung von industrierelevanten Politikfeldern sind unabdingbar

- durch fortlaufende Evaluierung (Benchmarking) der Wettbewerbsfähigkeit und der Beschäftigungschancen der europäischen Industrie (einschließlich der industrienotwendigen Dienstleistungen) im Vergleich mit den wichtigen Wettbewerbsre- gionen wie USA oder Asien, muss die internationale Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit sichergestellt werden; dabei muss

allerdings eine echte Vergleichbarkeit durch Nutzung gleichartiger statistischer Daten geschaffen werden

- die Anpassung an die Bedingungen der Globalisierung darf nicht bedeuten, dass Ausgleichs- und Steuerungsmechanismen zu

Gunsten eines immer härteren Wettbewerbs aufgegeben werden, der letztlich nachhaltige Entwicklung verhindert

(5)

Diese Ziele lassen sich durch folgende Maßnahmen in den einzelnen Politikfeldern erreichen:

Dienstleistungsmärkte

Anders als die Europäische Kommission sehen wir in einer überstürzten weiteren Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte keine der wesentlichen Rahmenbedingungen, die verändert werden müssen, um industrielles Wachstum zu gewährleisten. So sehr effiziente Dienstleistungen dem industriellen Wachstum nützen, so wenig sollte sich diese Effizienz ausschließlich am Preis der

Dienstleistung messen. Im globalen Wettbewerb kommt es für Europa in erster Linie auf die Qualität der Dienstleistung und auf ihre sozialverträgliche Erbringung an. Es darf bei den Verhandlungen zum GATS-Abkommen im Rahmen der WTO nicht darum gehen, eine neue globale soziale Ordnung vorzuzeichnen, die tief in die bisher vorhandenen politischen, sozialen und kulturellen Wertvorstellungen und Ordnungssysteme der meisten Staaten eingreift und ihre Hand- lungsspielräume für politische Gestaltung erheblich einschränken kann.

Das Beispiel des Telekommunikationssektors zeigt, welche Schwierigkeiten Unternehmen in liberalisierten

Dienstleistungsmärkten haben und welche sozialen Folgen dies mit sich bringen kann. Wirtschaftliche Zusammenbrüche in

Dienstleistungsbereichen sind für industrielle Produktion kontrapro- duktiv. Die öffentliche Verantwortung insbesondere für die gemein- wohlorientierten Dienste „im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse“

darf nicht aufgegeben werden.

Finanzmärkte

Ähnliches gilt für die Liberalisierung der Finanzmärkte. Ihre Auswirkungen auf die Produktionsbedingungen in der Industrie müssen genauestens beobachtet werden. Zugang zu Kapital ist für Industrieunternehmen eine der wesentlichen Voraussetzungen für Wettbewerbsfähigkeit. Einheitliche Finanzmärkte können Kapital- zugänge erleichtern. Die Kapitalmarktliberalisierung darf jedoch nicht nur im Interesse der Banken, sondern muss im Interesse von

Industrieunternehmen betrieben werden. Wenn die Anpassung an die Bedingungen der Globalisierung dazu führt, dass Risikokapital verteuert wird, kann dies wachstumsmindernd wirken. Besonders im Bereich der Kleinen und Mittleren Unternehmen kann die

Liberalisierung zu Schwierigkeiten führen. Es ist fraglich, ob ein ein- heitlicher EU-Finanzmarkt unter den Bedingungen der Globalisierung für KMU Risikokapital zu erschwinglichen Bedingungen zur Ver- fügung stellen kann, wie die Kommission in der Mitteilung zur Industriepolitik meint. Wir unterstützen daher die von der Kommis- sion in der Mitteilung zu Förderung des unternehmerischen Geistes vertretene Auffassung, dass insbesondere für KMU alternative Finanzierungsquellen erschlossen werden müssen, wenn der Zugang

(6)

zu Bankkrediten verteuert wird. Diese Überlegungen müssen

Bestandteil des industriepolitischen Konzepts werden, zumal um die gewünschte Schaffung neuer Arbeitsplätze und Innovationsfähigkeit in den KMU zu unterstützen.

Reform des Unternehmensrechts

Ebenso muss der Aktionsplan zur Reform des Unternehmensrechts daraufhin überprüft werden, ob er zu realen Wertsteigerungen führt oder einseitig dem Interessen von Kapitaleignern dient und in Arbeit- nehmerrechte eingreift. So sinnvoll einheitliche Bedingungen für Unternehmen sind, kann es nicht darum gehen, im Wege der Harmonisierung des Unternehmensrechts ein einheitliches

Unternehmensverständnis durchzusetzen, das nicht mehr auf dem Gedanken des Unternehmens als einer Einheit von Arbeit und Kapital beruht. Auch die europäische Fusionspolitik und die Neuformulierung des Rechtes der Unternehmensübernahmen dürfen nicht einseitig auf die Interessen der Kapitaleigner ausgerichtet sein, da

Erfahrungswerte zeigen, dass wirtschaftliche Effizienz und volkswirtschaftlicher Nutzen vieler Übernahmen zweifelhaft sind.

Insbesondere bei feindlichen Übernahmen ist das der Fall, die zu sozialen Verwerfungen führen. Umso wichtiger ist die Einbeziehung beschäftigungspolitischer Erwägungen in Fusions- und

Übernahmeverfahren. Bei einer einseitigen „shareholder-value“- Orientierung besteht oftmals die Gefahr einer Fokussierung auf Kostensenkungen mit negativen arbeitsmarktpolitischen Folgen, wie etwa durch Rationalisierung oder Arbeitsplatzabbau mittels

Outsourcing. Übernahmeprozesse müssen sich an demokratischen Grundsätzen orientieren. Die Arbeitnehmer brauchen als unmittelbar Betroffene in Übernahmeverfahren umfassende Mitwirkungsrechte.

Die Erfahrungen des deutschen Mitbestimmungsrechtes zeigen, dass innerbetriebliche Demokratie sehr wohl mit hohen Exportquoten ein- hergehen kann. Ferner gilt es, historische und kulturelle

Unterschiede bei einer Rechtsvereinheitlichung zu berücksichtigen.

Die Harmonisierung der nationalen Unternehmensrechte muss grundsätzlich auch deren Besonderheiten einbeziehen, trotz

Angleichung geht es darum, mit der Vielfalt zu leben. Das gilt auch für die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Vertretungen in grenzüberschreitenden Unternehmen.

Diese sind nicht losgelöst von Unternehmensinteressen, sondern fest mit diesen verzahnt.

Innovation, Bildung und Forschung

Mit der Europäischen Kommission sehen wir in der Förderung der Innovationsfähigkeit einen wesentlichen Bestandteil einer

nachhaltigen Industriepolitik. Dies ist eng mit der Förderung von For- schung, Bildung und Qualifizierung verbunden: Um die

Beschäftigungspotenziale der Industrie zu nutzen, muss diese sich

(7)

auf zukunftsfähige, qualitativ hochwertige neue Produkte ausrichten und hierfür das entsprechende Personal aus- und weiterbilden.

Investitionen in Bildung von Menschen sind deswegen vordringlich.

Im Forschungsbereich müssen Synergieeffekte zwischen

Hochschulen und Unternehmen hergestellt und genutzt werden.

Wissen und Informationen entscheiden zunehmend über wirtschaftli- chen Erfolg der Unternehmen und die beruflichen Perspektiven der Beschäftigten. Diese Veränderungen erfordern einen Wandel der traditionellen Arbeitsformen. Wie die Erfolge insbesondere der skandinavischen Länder zeigen, müssen auch die organisatorischen und unternehmenskulturellen Voraussetzungen von Innovation wie- der Gegenstand europäischer Initiativen werden, wenn die fort- bestehenden Innovationsdefizite der Union gegenüber ihren

wichtigsten Konkurrenten behoben werden sollen. Bereits mit dem Grünbuch „Eine neue Arbeitsorganisation im Geiste der Partner- schaft“ konnten hierfür wichtige Impulse gegeben werden. Wir ver- weisen außerdem auf die von der Europäischen Kommission in ihrer Mitteilung „Innovationspolitik“ (KOM(2003)112) aufgezeigten Maßnahmen zur Stärkung der Innovationsfähigkeit in der EU. Dazu gehört insbesondere die regionale Dimension der Innovationspolitik und die Förderung von Kooperationsstrukturen zwischen

Unternehmen und Hochschulen in den Regionen.

Öffentliche Investitionen

Nachhaltige Industriepolitik ist nicht ohne öffentliche Investitionen denkbar. Dies betrifft Forschungs- und Unternehmensförderung ebenso wie den Ausbau von gesellschaftlichen und physischen Infrastrukturen, durch die Produktivitätsfortschritte in den Branchen erleichtert werden. Diese Aufgaben sind ohne finanziell hand- lungsfähige Kommunen nicht zu erfüllen. Vorhandene Förderinstru- mente der EU wie das 6. Forschungsrahmenprogramm und die Strukturfonds müssen mit Blick auf diese Ziele eingesetzt werden.

Insbesondere sollte in der Regionalförderung der Bildung von Un- ternehmensclustern und der Bildung von Netzwerkstrukturen

Priorität gegeben werden. Die europäische Wettbewerbspolitik muss den Investitionsbedarf der europäischen Industrie anerkennen und damit ihren Beitrag zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie leisten. Als ergänzende Finanzierungsformen können öf- fentlich-private Partnerschaften (PPP) entwickelt werden. Einen wichtigen Beitrag zum nachhaltigen Wachstum würde außerdem die Einführung eines gerechten, d.h. an den externen Kosten orientierten Preissystems für die Nutzung der Verkehrsinfrastrukturen leisten.

Regulierungsformen

Die Pläne der Europäischen Kommission für bessere und einfachere Regulierungsformen auf europäischer Ebene werden begrüßt, ebenso wie die Absicht, Gesetzgebungsverfahren durch eine Folgenab- schätzung zu ergänzen. In eine solche Folgenabschätzung müssen

(8)

soziale und ökologische Kriterien einbezogen werden. Soll

Gesetzgebung durch alternative Regelungsformen ersetzt werden, so ist hier in besonderem Maße auf eine umfassende Beteiligung aller relevanter gesellschaftlicher Gruppen und auf ausreichende

demokratische Kontrolle zu achten. Die Möglichkeiten des Sozialen Dialogs müssen stärker genutzt werden. Der Trend zu unverbindli- chen Absprachen muss gebrochen werden. Ein Automatismus von nicht eingehaltenen Selbstverpflichtungen zum Inkrafttreten

gesetzlicher Regeln kann das „winning time for doing nothing“ ver- hindern. Auch die Methode der offenen Koordinierung sollte nur ergänzend herangezogen werden und bestehende Verfahren zur ver- bindlichen Rechtsetzung nicht ersetzen.

Ethische Verantwortung

Industriepolitik muss sich schließlich auch ihrer ethischen Verant- wortung stellen. Besonders sensible Sektoren sind die

Biotechnologie und die Rüstungsindustrie. Wachstumsförderung darf nicht bedeuten, dass Produktion ohne Rücksicht auf deren gesell- schaftliche und moralische Implikationen gefördert wird. Gerade im Kontext der Debatte über die europäische Verfassung muss sich die EU ihren Bürgern gegenüber auch in ethischen Fragen glaubwürdig zeigen.

Die Industrie in den Beitrittsstaaten

Die Feststellung in der Mitteilung der Kommission, dass „die

Industrie in künftigen Mitgliedsstaaten im großen und ganzen für den Wettbewerb in einer erweiterten EU gerüstet ist“ (S.14), ist zu hin- terfragen. Die noch notwendigen Anpassungs- und

Umstrukturierungsprozesse in einzelnen Branchen, sowohl in den Beitrittsländern, als auch in alten EU-Ländern, sind nicht zu unter- schätzen: Der EU treten zehn neue Mitgliedstaaten bei, deren BIP zum Teil deutlich unter 50% des durchschnittlichen BIP der EU-15 liegen. Die Beitrittsländer bedürfen einer gezielten sozialen,

qualifikatorischen, struktur- und regionalpolitischen Begleitung durch die EU und der Mitgliedsstaaten. Weiter ist sicherzustellen, dass die EU-weit gültigen Normen im Arbeits- und Umweltschutz in den Unternehmen der Beitrittsländer zum Wohle der Beschäftigten

angewandt und umgesetzt werden, damit zugleich keine nachteiligen Wettbewerbsdingungen für Unternehmen in den alten

Mitgliedsstaaten entstehen und soziales und ökologisches Dumping vermieden werden.

Sektorale Anforderungen Chemische Industrie

Um den Beitrag der chemischen Industrie zum "Lissabon-Prozess"

industriepolitisch zu optimieren, bedarf es neben einer Schwer-

(9)

punktverlagerung in der Politik der EU zugunsten der Industrie und der mit ihr verbundenen Dienstleistungen und einer nachhaltigen Industriepolitik, in der ökonomische, ökologische und soziale Ziele gleichwertig beachtet werden, einer entscheidenden Verbesserung des „regulatorischen Umfelds“ und einer hohen Akzeptanz für nachhaltige industrielle Produktion in der Bevölkerung, für die alle Verantwortlichen eintreten sollten.

Chemikalien-Politik ist weit mehr als eine Politik zur Regulierung der Chemikalien-Produktion innerhalb der chemischen Industrie, dies ist inzwischen auch in das Bewusstsein der Öffentlichkeit und der anderen betroffenen Industriezweige gedrungen. Gerade deshalb ist es notwendig, im Bereich der Chemikalien-Politik die

chemiepolitische wie auch die allgemein industriepolitische und die Nachhaltigkeitsdimension genau einzuhalten. Da die Chemieindustrie der wichtigste Produzent von „Vorprodukten“ für fast alle anderen Industriezweige ist und damit besondere ökonomische, ökologische und soziale Bedeutung hat, müssen die Folgen einer neuen Chemika- lienpolitik, für alle Industriebereiche genauestens geprüft werden.

Insbesondere muss folgendes gewährleistet sein:

- Keine übermäßigen Anforderungen an die Chemische Industrie, vor allen Dingen an kleine und mittlere Unternehmen, durch bürokratische, überdimensionierte Registrier- und Prüfverfahren.

- Die Registrier- und Prüfverfahren für Stoffe unterhalb einer Jahrestonne müssen so ausgerichtet sein, dass Innovationen nicht behindert und Produktionsprozesse nicht in Länder außerhalb der EU verlagert werden.

- Das REACH – System darf die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Konkurrenz aus Japan und den USA nicht verschlechtern.

Biotechnologie-Politik

Die Anstrengungen der Europäischen Kommission, die Forschungs- und Entwicklungsbasis der Industrie zu fördern, werden unterstützt, denn nur eine große europäische Forschungs- und

Entwicklungsbasis, dies zeigt gerade die Chemische - und die Pharma-Industrie, sichert langfristig Wettbewerbsfähigkeit,

Rentabilität, Beschäftigung und Nachhaltigkeit in diesen und anderen Industriezweigen. Hinzukommen müssen verstärkte Anstrengungen zur Qualifizierung der Beschäftigten und die Entwicklung neuer Berufs- und Ausbildungsprofile.

Das Potential der Biotechnologie in Europa ist ständig angewachsen.

Das verantwortbare Potential kann weiter ausgebaut werden. Dafür bedarf es sowohl einer leistungsfähigen biotechnologischen Industrie als auch einer engen Verknüpfung mit den Industriezweigen, in denen Biotechnologie genutzt werden kann (Pharma, Pflanzenbau, Landwirtschaft, Ernährungs-Industrie, industrielle Verfahren etc.).

(10)

Das Europäische Aktionsprogramm zur Förderung der Biotechnologie muss alsbald verstärkt in Angriff genommen bzw. fortgesetzt

werden.

Voraussetzung ist jedoch die Wahrung ethischer Normen und Abwägung wirtschaftlicher gegen gesellschaftliche und moralische Interessen.

Energiesektor

Sichere, preisgünstige und umweltverträgliche Energie ist für Europa unverzichtbar. Deshalb betrachten wir mit Sorge die zunehmende Importabhängigkeit der Europäischen Union, der durch Energie aus heimischen Quellen und einen Energieträger-Mix gegengesteuert werden muss.

Wir begrüßen die im letzten Jahr durch die EU getroffene Nachfol- geregelung für die EGKS. Die Entscheidung bringt

Versorgungssicherheit und gewährleistet langfristig einen nationalen Energiesockel.

Grundsätzlich wird der weiteren Marktöffnung im Binnenmarkt für Strom und Gas zugestimmt, wenn sie sozialverträglich gestaltet wird, aber deutliche Ungleichgewichte der Marktöffnung in einzelnen nationalen Märkten müssen alsbald beseitigt werden.

Regenerative Energien müssen künftig einen stärkeren Anteil am Energieträger-Mix einnehmen. Dabei ist zu beachten, dass die energieintensiven Branchen in der EU eine zentrale

volkswirtschaftliche Bedeutung einnehmen. Maßnahmen und Instrumente auf dem europäischen Energiesektor haben dieser Bedeutung Rechnung zu tragen. Die internationale

Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Branchen muss auch zukünftig durch eine sichere, wirtschaftliche und umweltfreundliche Energieversorgung sichergestellt werden.

Die Gewerkschaften bekennen sich zum Klimaschutz gemäss Kyoto- Protokoll.

Nicht nur die energieerzeugenden und energieintensiven Industrien, sondern auch Verkehr und Haushalt müssen zur weiteren CO2- Minderung beitragen. Emissionshandel innerhalb der Industrie ist keine Allzweckwaffe für die Klima-Politik. Ein europaweiter Emis- sionshandel kann weitreichende Auswirkungen auf die weltweite Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigung der Industrie haben.

Der EU-Richtlinien-Entwurf zum Emissionshandel konnte durch den Einsatz der Sozialpartner verbessert werden.

(11)

Fazit

Europäische Industriepolitik muss einem kohärenten Konzept ent- sprechen, bei dem Beschäftigungsförderung und nachhaltiges

Wachstum im Vordergrund stehen. Nachhaltiges Wachstum entsteht dabei nicht durch Deregulierung und Liberalisierung, sondern durch den gezielten Einsatz makroökonomischer und strukturpolitischer Steuerungsmittel sowie durch die Integration ökologischer und sozialer Ziele.

Industriepolitik muss in Zusammenarbeit mit den Wirtschafts- und Sozialpartnern im sozialen Dialog entstehen.

Gewerkschaften wollen in Zukunft gemeinsam und stärker

europäische Industriepolitik mitgestalten. Sie sind bereit, Verantwor- tung für die industrielle Entwicklung zu übernehmen,

- indem sie verantwortbare Innovationen und Investitionen vorantreiben

- für die Akzeptanz der Industrie innerhalb der EU und in den jeweiligen Ländern werben

- indem sie im Industriebereich sozial verantwortungsbewusst handeln und Verpflichtungen eingehen, wie beim Global Compact oder durch Beiträge zur regionalen Entwicklung, und

- indem sie der Verantwortung für Beschäftigung und Ausbildung gerecht werden.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

 Bei onward transfers zu Agents von selbstzertifizierten Organisationen, die bereits selbst als Agents agieren, sollte darauf hingewiesen werden, dass der Vertrag, der

Seit dieser Zeit findet sich eine Neubewer- tung von Industriepolitik, immer wieder auch mit einer intensiven Diskussion um die gesellschaftliche Bedeutung der Industrie

Das erste Paradigma der europäischen Wettbewerbspolitik als Integrationspolitik und dem da- mit verbundenen Postulat nach Marktöffuung und des unbeschränkten Handels zwischen den

Auch dieses Modell ist gekennzeichnet durch (positive) Externalitäten, die dazu führen, daß im Laissez-Faire-Gleichgewicht sowohl im GPT- als auch im Anwendungssektor zu

Diese Forderungen der IG Metall sind in der Politik angekommen, werden aber noch nicht in der Praxis gelebt.. Das Klimaprogramm 2030 beinhaltet aus IG Metall-Perspektive

Umso wichtiger ist es für die IG Metall, sich in den nächsten Monaten in diese Verhandlun- gen aktiv einzuschalten, damit Deutschland als Produktionsstandort eine Zukunft