Zukunftsfähige Umgestaltung des Hochwasserschutzes an der Gera nördlich von Erfurt

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Conference Paper, Published Version

Scholz, Rosmarie; Nischik, Christian; Andraczek, Ines; Noack, Torsten

Zukunftsfähige Umgestaltung des Hochwasserschutzes an der Gera nördlich von Erfurt

Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen

Zur Verfügung gestellt in Kooperation mit/Provided in Cooperation with:

Technische Universität Dresden, Institut für Wasserbau und technische Hydromechanik

Verfügbar unter/Available at: https://hdl.handle.net/20.500.11970/110921 Vorgeschlagene Zitierweise/Suggested citation:

Scholz, Rosmarie; Nischik, Christian; Andraczek, Ines; Noack, Torsten (2023):

Zukunftsfähige Umgestaltung des Hochwasserschutzes an der Gera nördlich von Erfurt. In:

Technische Universität Dresden, Institut für Wasserbau und technische Hydromechanik (Hg.): Wasserbau und Wasserwirtschaft im 'Stresstest'. Dresdner Wasserbauliche Mitteilungen 69. Dresden: Technische Universität Dresden, Institut für Wasserbau und technische Hydromechanik. S. 53-57.

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46. Dresdner Wasserbaukolloquium 2023

„Wasserbau und Wasserwirtschaft im `Stresstest`“

A4-03

Zukunftsfähige Umgestaltung des Hoch- wasserschutzes an der Gera nördlich von

Erfurt

Rosmarie Scholz Christian Nischik Ines Andraczek

Torsten Noack

Stichworte: Deichrückverlegung, Gewässerentwicklung

1 Einführung

Vor mehr als 200 Jahren wurde die Gera zwischen Erfurt und ihrer Mündung in die Unstrut eingedeicht und begradigt, um Ackerflächen und Ortslagen vor Überschwemmungen zu schützen. Bei Hochwasser herrschen hohe Wasser- stände, eine Retention kann nur beim Versagen des Schutzsystems auf Kos- ten der Überschwemmung von Ortslagen stattfinden. Das System kam be- reits mehrfach an seine Belastungsgrenze und Deichbrüche konnten nur knapp verhindert werden. Gewässerökologisch bestehen erhebliche Defi- zite.

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Zukunftsfähige Umgestaltung des Hochwasserschutzes an der Gera nördlich von Erfurt

Typisches Erscheinungsbild der Gera nördlich von Erfurt (Quelle: PGSL) Aufbauend auf einem Konzept von 2013 soll der Hochwasserschutz nun so umgestaltet werden, dass das Retentionspotenzial der Aue aktiviert, die Hö- hen und Längen der Schutzanlagen reduziert und die Resilienz des Systems gestärkt werden. Das Gewässer soll ökologisch aufgewertet und die Fluss- landschaft attraktiver gestaltet werden.

Das Vorhaben wird im Auftrag des Thüringer Landesamtes für Umwelt, Berg- bau und Naturschutz (TLUBN), vertreten durch die Thüringer Landgesell- schaft mbH (ThLG) bearbeitet und zu großen Teilen aus Mitteln des Sonder- rahmenplans zur Umsetzung des nationalen Hochwasserschutzprogramms der Bundesrepublik Deutschland finanziert. Die Genehmigungsunterlage wurde im Frühjahr 2021 zur Planfeststellung eingereicht.

2 Grundsätzliche Lösung

Die Hochwasserschutzanlagen sollen näher an die Ortschaften verlegt wer- den. Es ist geplant, die flussnahen Deiche rückzubauen und ihre Aufstands- flächen abzusenken, um über weite Strecken Sekundärauen zu schaffen.

Acker- und Grünland bleibt bis HQ(10) vor Überflutungen geschützt. Bei sel- teneren Ereignissen führen weiträumige Überschwemmungen zu geringe- ren Abflusstiefen und Strömungsgeschwindigkeiten sowie einer höheren Si- cherheit im Überlastfall. Die Hochwasserscheitel werden gedämpft.

Von Beginn an wurde das Ziel verfolgt, die Anforderungen der EU-WRRL bei der Umsetzung des Hochwasserschutzvorhabens zu berücksichtigen. Nach

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dem Strahlwirkungs- und Trittsteinkonzept wurden Anforderungen zur Aus- bildung von Strahlursprüngen, Aufwertungs- und Durchgangsstrahlwegen definiert und Bereiche herausgearbeitet, die sich zur Ausbildung eines Strahlursprungs eignen. Die Gewässerabschnitte mit den angelegten Sekun- därauen stellen im zukünftigen Gewässerverlauf Aufwertungsstrahlwege dar.

Mit der zur Planfeststellung eingereichten Lösung können die Wasserstände in der Gera bei HQ(100) um bis zu 160 cm abgesenkt werden. Die Gesamt- länge der Hochwasserschutzanlagen wird von aktuell 25,4 km auf 19,5 km verkürzt. Damit verringern sich auch die Aufwendungen zur Verteidigung der Anlagen im Hochwasserfall und zu ihrer Unterhaltung.

Während heute bei Ereignissen bis HQ(10) praktisch keine Retention stattfin- det, kommt sie bei selteneren Ereignissen durch das unkontrollierte Über- laufen der Deiche nur mit hohen Gefährdungen für Siedlungen, Industriean- lagen und Verkehrswege sowie dem Risiko eines Deichbruchs zustande.

Durch die geplanten Gewässeraufweitungen und Strahlursprünge erhöht sich der Rückhalt bei häufigen Hochwassern bis HQ(10), wovon auch das Rückhaltebecken (RHB) Straußfurt in der Unstrut kurz nach der Gera-Mün- dung profitiert. Bei Ereignissen über HQ(10) kann künftig ein Retentions- raum von bis zu 10,3 Mio. m³ bei HQ(100) in Anspruch genommen werden, ohne dass Ortslagen und wichtige Infrastruktur überschwemmt werden.

3 Besondere Herausforderungen

Die Besonderheit und der hohe Anspruch des Vorhabens liegen in seiner Komplexität und der Vielzahl der zu berücksichtigenden Aspekte. In Abstim- mung mit den Betroffenen wurden abschnittsweise Lösungen entwickelt, die sowohl die Anforderungen des Hochwasserschutzes und der Gewässerent- wicklung als auch die vielfältigen Nutzungsinteressen weitgehend berück- sichtigen. Der im Schutzkonzept von 2013 verfolgte Ansatz einer grundhaf- ten Umgestaltung des Hochwasserschutzes konnte letztlich auch durch eine beiderseitige Kompromissbereitschaft umgesetzt werden.

So wurden seitens der Landwirtschaft vielfach Zugeständnisse hinsichtlich des Flächenbedarfs für neu zu errichtende Schutzanlagen und die Gewässer- entwicklung gemacht. Der Problematik einer häufigeren Überflutung wird im

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Zukunftsfähige Umgestaltung des Hochwasserschutzes an der Gera nördlich von Erfurt

Freistaat Thüringen bei Deichrückverlegungen durch einen Entschädigungs- anspruch für den Bewirtschafter der Flächen nach den gesetzlichen Regelun- gen begegnet. Außerdem wurde ein künftiges Monitoring der stofflichen Be- lastung von Ackerböden vereinbart. Die Entwässerung der landwirtschaftli- chen Flächen nach einer Überflutung wird mit dem vorhandenen Grabensys- tem, neuen Sielen und Entleerungsbauwerken gesichert.

Bei den Maßnahmenplanungen zum örtlichen Hochwasserschutz war die Problematik der Grundwassergefährdung zu beachten. In der Ortslage Walschleben konnten aufwändige Maßnahmen zur Binnenentwässerung durch eine Änderung der Trassierung des Deichs vermieden werden. Für die gewässernah in der Aue befindliche Ortslage Ringleben erfolgten umfangrei- che Untersuchungen zur Optimierung der Trassenführung des erforderli- chen Ringdeichs und zur Binnenentwässerung. Dabei war die hier vorhan- dene Wasserkraftanlage zu berücksichtigen. Teilweise mussten Trassenfüh- rungen wegen fehlender Zustimmung der betroffenen Eigentümer mehrfach angepasst werden.

Die Bahnlinie Erfurt – Nordhausen am östlichen Rand der Aue ist heute ab HQ(50) überflutungsgefährdet. Für die Bahnlinie ist nun ein Schutz bis HQ(100) durch eine parallel verlaufende Schutzanlage bzw. die deutlich ab- gesenkten Wasserspiegel möglich. Bei Extremereignissen soll an zwei Über- laufstrecken eine gezielte Ableitung in das „Große Ried“ erfolgen.

Aufgrund der Ausdehnung des Vorhabens, der Vielzahl an sich gegenseitig beeinflussenden Einzelmaßnahmen sowie der umfangreichen Massenbewe- gungen war es notwendig, ein Konzept zum Bauablauf zu erstellen. Insge- samt ist der Aushub von 662 Tsd. m³ Boden vorgesehen. Für Deichneubau- ten und Geländemodellierungen werden 467 Tsd. m³ Erdbaustoffe benötigt, von denen mehr als 300 Tsd. m³ durch den Wiedereinbau geeigneten Ab- tragsmaterials gewonnen werden sollen. Zu entsorgen sind 338 Tsd. m³. Die Maßnahmenumsetzung kann nur schrittweise und in gegenseitiger Abstim- mung erfolgen, wobei keine hydraulisch ungünstigen Zwischenzustände ent- stehen dürfen und durchgehend ein bauzeitlicher Hochwasserschutz ≥ HQ(10) gewährleistet werden soll.

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4 Ausblick

Im Zuge des laufenden Planfeststellungsverfahrens waren 50 Stellungnah- men von Privatpersonen, Unternehmen und Trägern öffentlicher Belange zu bearbeiten. An einem Ausgleich verschiedener Interessen wurde seither wei- ter intensiv gearbeitet, so dass mit der Genehmigung des Vorhabens gerech- net werden kann und ein Beginn der Realisierung in absehbarer Zeit möglich erscheint. Erste vorgezogene Teilmaßnahmen konnten schon umgesetzt werden. So wurde 2020 das Gewässer bei Walschleben in einen Strahlur- sprung umgestaltet. Nach kurzer Zeit war dort eine Besiedlung mit teils sel- tenen und gefährdeten Pflanzen und Tieren zu beobachten. Der Ort vermit- telt heute einen starken Eindruck von den Entwicklungen, die mit dem Vor- haben für den Fluss und seine Anlieger möglich werden.

Vorgezogen gestalteter Strahlursprung bei Walschleben (Quelle: BRGL) Autoren:

Dr. Rosmarie Scholz Dipl.-Ing. Christian Nischik Dipl.-Ing. Torsten Noack Planungsgesellschaft Scholz + Lewis mbH (PGSL) An der Pikardie 8

01277 Dresden

Tel.: +49 351 21683-30 E-Mail: info@pgs-dresden.de

Dipl.-Ing. Ines Andraczek

Büro für Grün- und Landschaftsplanung (BRGL) Ziegeleistraße 1

99931 Am Creuzburg OT Mihla Tel.: +49 36924 31019 E-Mail: andraczek@brgl.de

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