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Ueber die Entstehung der Schrift.
Von L. Geiger»).
Wenn ich einer Versammlung hochgeehrter Fachgenossen das
Problem der Schriftentstehung zu erneuter Untersuchung vorzulegen
unternehme, so ist es nicht meine Absicht die Entstehung der Buch¬
stabenschrift oder eines anderen ausgebildeten Systems hier vor
Ihnen aufs Neue zu besprechen. Es handelt sich mir hier vielmehr
um die vorgeschichtlichen Anfilnge der Schrift, soweit sie aus dem
Gange, den ihre Entwickelung seit ihrem geschichtlichen Auftreten
genommen hat, und aus anderen Analogien zu erschliessen sind.
Nur in diesem Sinne bitte ich Sie, mir einen kurzen Ueberblick
über das, was uns durch historische Entdeckungen über den Ur¬
sprung der gegenwärtig bestehenden Schriftsysteme bekannt ist, zu
gestatten. Die eigentlichen Alphabete gehen bekanntlich in aller
ihrer Mannigfaltigkeit von wenigen Mittelpnncten aus. Wir wissen
nicht nur im Allgemeinen, dass unsere europäischen Schriften alle
der griechischen und in zweiter Linie einer semitischen entsprungen
sind, sondern wir kennen durch Mommsen's Untersuchungen auch
genau den Weg, auf dem sich die italischen Alphabete entwickelt
haben. Nicht weniger als das cyrillische der Slaven ist das gothische
Alphabet des Ulfilas griechischen Ursprungs, ja auch die Runen
sind ohne Zweifel eine wahrscheinlich schon in früher Zeit über
Massilia zu den Galliern und von da zu den Germanen gekommene
Entwickelungslörm aus derselben Quelle i). Einen semitischen Ur¬
sprung auch der indischen Devanagari hat Albr. Weber sehr wahr¬
scheinlich gemacht, und hiermit ist ein gewaltiger Theil von Asien
auf die gleiche Quelle zurückgebracht, da nicht nur die einheimi¬
schen Schriftarten Vorder- und Hinterindiens wie Bengali, Urija,
•) Vorgetragen in der Generalversaimnlung der D. M. 6. zu Würzburg am 3. October 1368.
1) Lautb nimmt einen umgekehrten Uebergang der germanischen Runen zu den Galliern an , und gibt zugleich von der Stelle des TtfCitus , die auf Un¬
bekanntschaft der Germanen mit der Buchstabenschrift gedeutet worden ist, eine treffende anderweitige Erklärung, iudem er sie auf blossen Briefwechsel bezieht.
160 Geiger, üher die Entstehung der Schrift.
Telinga, Tamil, lerner das Birmanische und Javanische, sondern auch
das Tibetanische Tochter- oder Schwestersysteme der Devanagari
sind. Die Schriften der Mongolen, Tungusen und Mandschu sind,
wie schon Klaproth bemerkt hat, aus der syrischen gebildet, und
zwar durch Umdrehung und Annahme der scheitelrechten Columneu-
richtung der Chinesen. Rechnen wir hierzu die noch erhaltenen
Schriftcbaractere des semitischen Grundalphabets selbst in seinen
hebräischen , äthiopischen , samaritanischen , Zend oder mittelper¬
sischen, syrischen und arabischen Zweigen ; bedenken wir ferner,
dass der letztere Zweig von den Türken, Persern, Malaien, dem
Hindostani adoptirt worden ist, so müssen wir über die Verbrei¬
tungsfähigkeit eiuer solchen Entdeckung von einem Puncte aus stau¬
nen. Lassen Sie mich nur noch der Vollständigkeit wegen die bei¬
den jüngsten und nicht am wenigsten merkwürdigen Ausläufer unseres
Alphabetes erwähnen, welche ihm nicht entlehnt, sondern bloss in
Folge unbestimmter Kunde ihm nacherfunden sind : nämlich die
Schrift der Tschiroki's erfunden von Sequojah um d. J. 1823, und
die des Negervolkes der Vei, 10 Jahre später von Doalu Bukere.
Die beiden Erfindungen bieten interessante Uebereinstimmungen dar:
sowohl der indianische als der afrikanische Erfinder wurden durch
den Briefverkehr der Europäer zum Nachdenken über die Möglich¬
keit angeregt, ihre Muttersprache zu schreiben. Beide hatten eine
unvollkommene Kenntniss von dem englischen ABC; Beide stell¬
ten nicht eine Buchstaben- sondern eine Silbenschrift auf, und
zwar hatte Sequojah, ebenso wie die Veischrift, Anfangs gegen
200 Schriftzeichen aufgestellt, reducirte sie jedoch in der Folge
bis auf 85. Wenn wir von diesen psychologisch interessanten
Erscheinungen der jüngsten Zeit absehen, so sind von sämmt¬
licben im Gebrauche befindlichen Schriftarten auf der ganzen
Erde nur die chinesische und die ans ihr gebildete Silbenschrift der
Japanesen von dem allgemeinen Ursprünge aus einera einzigen
semitischen Alphabete mit Sicherheit auszunehmen. Aber die ewig
denkwürdigen Entdeckungen des gegenwärtigen Jahrhunderts haben
uns in der ägyptis.chen Hieroglyphensehrift eine überaus merkwürdige alterthümliche Parallele zu der chinesischen, in verschiedenen Arten der Keilschrift ferner sehr vollendete Alphabete, in der assyrischen
eine die wichtigsten Aufldärungen versprechende Mittelstufe zwi¬
schen Wort- und Silbenschrift kennen gelehrt; und daneben steht
als ein noch ungelöstes , aber nicht unlösbares Räthsel die Hiero¬
glyphensehrift der Uramerikaner. Sind wir hiermit auf eine letzte,
radikale Verschiedenheit gelangt? Haben wir in dem dreifachen
Bilderschrift system der Aegypter, Chinesen und Amerikaner, in dem
gemischten Systeme der Assyrer und endlich in den Buchstaben¬
schriften dor Perser und Semiten mindestens sechs selbstständige
Lösungen der gigantischen Aufgabe der Vereinigung des Gedanken¬
ausdruckes für das .\uge vor uns? Obschon die Zeit für die bün¬
dige Entscheidung dieser Frage noch nicht gekomraen ist, so kann
Geiger, iii/er die Kntstehnng der Schrift. 161
icli micli (loch nicht enthalten, die bestimmte Ueberzeugung auszu¬
sprechen, ilass ein solcher sechsfächer Ursprung der wunderbarsten
Kunst, die dem Menschen zu schaffen überhaupt möglich gewesen,
mir undenkbar scheint; ja dass was sich mir sonst über einen ur¬
alten Verkehrszusammenliang der ganzen Menschheit als wahrschein¬
lich aufgedrängt hat, sogar die Verbreitung von einem einzigen
Centrum nicht als unmöglich erscheiuen lässt. Das Vaterland des
zu so grosser Verbreitung bestimmten Alphabets ist ohne Zweifel
Babylon, das wir seit Böckh als deu Ausgangspunkt des durch das
Alterthum verbreiteten und bis auf uns gekommenen Mass- und
Gewichtssystems kennen, und dessen Bedeutung für Astronomie und
Mathematik vielleicbt noch immer nicht genügend gewürdigt ist.
Die Namen der Buchstabeu des hebräischen Alphabets sind chal¬
däisch; das Vorkommen des Kameels als Name des dritten Buch¬
staben schliesst wenigstens das eigentliche Palästina aus. Die
Phönizier können sehr wohl die Verbreiter, aber nicht die Erfinder
des Alphabets gewesen sein. Man wird, wenn auch die Mittelglie¬
der noch nicht aufgefunden sind , nach allen Analogien schwerlich
geneigt sein , au eine zweite selbstständige Entstehung der altpersi¬
schen Buchstabenschrift in räumlich so grosser Nähe zu glauben. 1st
nun aber diese persische Schrift vou den mit ihr zusammenhängen¬
den Varietäten der Keilschrift, insbesondere von der assyrischen
unabhängig entstanden? Sollte Aegypten auf die assyrische Schrift
nicht ebensowohl scbon iu der frühesten Zeit haben einwirken kön¬
uen, wie in einer späteren Zeit assyrischer Einfiuss auf die Hiero¬
glyphen bemerklich wird? Die .\ehnliclikcit des Princips der semi¬
tischen Schrift mit denjenigen Hieroglyphen, die uur den anlauten¬
den Consonauten des im Bilde dargestellten Wortes ausdrücken, ist
schon früh von Cbaniiiollion bemerkt worden^). Auf der andern
Seite haben die nach Oppert einem scythischen oder turanischen
Volke angehörigen ältesten Bilder, die den Keilschriftformen zum
Grunde liegen , etwas , was wenigstens dem allgemeinen Eindrucke
nach an die alte Tschuen-Schrift der Chinesen erinnert. Es liegt,
im Ganzen betrachtet. Nichts vor, was eine Uebertragung einfacher
Anfänge eines Schriftsystems von einem Volke und Erdtheile zum
anderen in einer sehr frühen Zeit unmöglich maclite. Ja, die von
Ale.xander von Humboldt aufgefundenen Spuren eines einstigen Ver¬
kehrs zwischeu Mexico und Ostasien scbliessen sogar einen Ueber¬
gang der Bilderschrift bis dorthin nicht ganz aus. Ua aber dies
1) Cliampollion spriclit sich schon in seiner lettre .'i Mr. Dacier klar hierüber aus. Er sagt: J'oserai dire plus: il serait possible de retrouver, dans cette ancienne ecriture pbonetique egyptienne, quelque iminirfaite qu'elle soit en elle- meme, sinon rurigine, du moins le modMe sur lequel jieuvent avoir ete caiques les .alphabets des peuples de l'Asie occidentale etc. Nach Ausluhrung der Aebnlicbkeit heider Systeme kommt er zu dem Schlüsse: „c'est dire enfin que l'Europe. qui rei;ut de l.i vieille Egypte les elements des sciences et des arts, lui devrait encore riiijiiqireciable bienfait de I'ecriture alphabetique".
Bd. XXUI. 11
162 Geiger, üher die Entstehung der Schrift.
Alles einstweilen lediglich Hypothese bleibeu rauss, so können wir
uns indessen sehr wohl au der inneren Einheit genügen lassen,
welche, soweit überhaupt eiue Scbriftart eine natürliche Entwicke¬
lung gehabt hat, überall hervortritt. Es darf wohl als eine aner¬
kannte, und nur aus Mangel an Quellen uicht iraraer nachweisbare
Tbatsacbe angesehen werden, dass jede Lautbeziehung aus bildlicher
Darstellung entspringt. Wie jedes Eleraent der Sprache, auch gegen¬
wärtig gauz abgeblasste Ableitungssilben, ursprünglich bedeutungs¬
voll, so ist jedes Schriftzeicheu ursprünglich Bild. Aber diese That¬
sache darf nicht so aufgefasst werden, als sei die Schrift aus einer
Art von Malerei hervorgegangen, als seien die ersten Darstellungen
Gemälde gewesen. Auch wenn wir alle secundären Anwendungen
chinesischer und ägyptischer Schriftbilder hinwegdenken, und eine
Zeit annehmen, wo die Schrift nur aus den sinnlichen Abbildungen
von Dingen, wie Mensch, Sonne, Vogel bestand, so wird sie darum
doch nicht, was Missverstaud uoch zum Theil bis auf diesen Tag
aus den mexicanischen gemacht hat, näralich auf die Anschauuug
anstatt auf den Begriff berechnete Gesammtdarstellung eines Ereig¬
nisses. Schrift ist ein Zeichen für die Sprache, sagt sclion Aristo¬
teles, und diese Definition bewährt sich an den Hieroglyphen bis
in ihren ersten Ursprung. Auch da, wo Wort und Sache zusam¬
menfallen , ist das Bild doch nur Zeichen des Wortes ; es soll
Sprache wecken, au einen Laut, nicht an ein Ding erinnern, durch
das Auge für das Ohr, nicht für die Vernunft unmittelbar sprechen.
Die Schrift ist nicht zum stummen Betrachten da; sie will gelesen,
laut gelesen sein. Die Bilder raüssen, wie die Worte zu Sätzen,
nicht wie Figuren eines Gemäldes zu einer Gesammthandlung zu¬
sammengeordnet werden. Sie stellen auch das verbildlichte Wort
in seinem ganzen Begrift'sumfange , nicht aber nur vou seiner ver¬
bildlichten Seite dar. Oder denkt man, das chiuesische Bild für
Sonne habe jemals das Wort shi nur iu der Bedeutung Sonne, und
nicht auch in der von Tag bedeutet? Dies ist ganz unmöglich. Die
Meuseben standen gerade iu der ältesten Zeit mit ihrer ganzen
Vernunft so völlig unter der Herrschaft des Wortes, dass nothweudig
ein Bild eben das, was es hiess, auch bezeicbnen, und wie es ge¬
lesen klang, auch verstanden werden musste.
Es ist bekannt, auf welchem Wege die Hieroglyphe zu einem
Lautzeichen, ja zu einera Buchstaben heruntersiuken kounte. Aber
in ibrer frühesten tiestalt bezeichnet sie iraraer ein Wort, niemals mclir. Das Grundgesetz der Schriftentwickelung ist das allmähliche
Selbstständigwerden des Lautes, während im Anfange Laut und Be¬
griff ungeschicden dargestellt werden. Es ist selbstverständlich,
dass uicht jedes Wort sogleich zur Darstellung gelaugt; zuerst sind
es diejenigen, deren Begriff zur Darstelluug auffordert, weil er Ge¬
staltetem entspricht. An die Wortbilder schliesst sich schon früh
ein grösserer Inlinll , als in ihrer Zeichnung gemeint sein konnte,
welche \(iii einem weit beschränkteren Objecte als dem Begriffs-
Creiger. ühcv die Knlstelmng dfv Schrift. 163
umfange des Wortes ausgehen muss. Dieser Vorgang ist eine Er¬
oberung des Bedeutungsgebietes für ein Zeichen. Es greift inner-
lialb des gleichen Lautes nach Begriffen bin um sicli, die mit dem
ursprünglich Bezeichneten zusammenzufallen schienen. Die erste
Vermehrung der Zeichen hingegen durch Darstellung solcher
Wörter, welche nach Abscbluss der Erfindung von Wortbildern, die für
die Schrift sind , was die Wurzeln für die Sprache, sich au keiues der
vorhandenen angeschlossen hatten, ist Zusammeusetzung zu Gesammt-
bildern. Die chinesischen einfacheu Bilder 3 shi, Sonne, und
^ yxv., Moud, bezeichnen nebeueiiiandergestellt, das Wort ming,
Glanz ( ). Schwerlich liegt hier eine .Abstraction des Glanzes
als Eigenschaft beider Ilimmelsköriier zum Grunde; sondern die
zunächst dargestellte Bedeutung des VVortes war wohl Morgen, die
Zeit wo die Sonne neben dem Monde zugleich am Himmel steht,
das Zusammeutreffen von Tag uud Nacht; deun so heisst der Mor¬
genstern'ki-ming {.B^ Schi king II. .O, 9) eigeutlich den
Morgen eröffnend, ming-(,'i der morgende Tag, und der Gebrauch
des Wortes für das Zukünftige geht gleichfalls von dieser Bedeu¬
tung aus. Eine andere Zeichnung des Begriffes Morgen ist das
Bild des Wortes tän, Morgen, Tag, EJ , die Sonne über dem
Horizonte darstellend. Steht unterhalb dieses Zeichens nocb das
des Mondes , so dass dieser als unter , die Sonne als über dem
^
Horizonte abgebildet ist, so entsteht Jas Bild des Wortes
jäiig, Sonnenaufgang, heller Himmel, Helle. Die Sonne über dem
Monde aber, .^j. , bezeiehnet das Wort i'i, Wechsel, das sich
zum Beispiel in dem Namen des Buches I-King findet ; das Zeichen
stellt offenbar den Mond dar, der mit der Sonne wechselt, das ist
der Wechsel von Tag und Nacht. Aus einem erweiterten Gebrauche
der Bilder für gleichlautende, dem Begrift'e nacb ähnliclie, aber
dennoch unterscheidbarc Wörter scheinen die ersten Lautzeiclicn
hervorgegangen zu sein '). Das Zeichen für zins, die blaue
und grüne Farbe bezeichnend , verbunden mit dem Zeichen
1) Auch Stehiihnl ^„ilic Ihitwickduug der Schrift'-, .S. 94) liuilct die llriieke
■/.wischen Begriffs- und l.aut^ellri|■l <la , „wo die Gleicliheit des Lautes zneiei Wörter mit einer verwiMiiltseliiiftiiehen Beziehung ilner Hedeutuut;en zusammen¬
trifft". Die Darstellung ih'S |di..netisclien Klementes der iigypliselii-M nnd chiue¬
sischen Sclirift und seiner Kiitwiekelung ist wohl der schönste und nach meiner reberzeugung w:ibr>te Theil iler geistreichen Abhaudinng.
11*
164 Geiger, vier die Entstehung der Schrift.
für thsao Gewächs bildet das fast gleichlautende Wort zing blühend,
wuchernd (Schi II 3, 2), und mit dem für mi Reis, Naii-
rung, das ^ für 'zing reif, ausgewachsen, vollendet, tüchtig.
Niemals haben die Bilder für Gewächs oder für Reis diese Wörter
zing, 'zing bezeichnet; wohl aber ist es wahrscheinlich, dass das
die Farbe darstellende Zeichen dereinst auch für sie gebraucht
wurde und erst in der Folge den erläuternden und begriifbestim-
«yr^ c
menden Zusatz erhielt. Dasselbe gilt von / pc^ zing lauter, von
Flüssigkeiten (Schi U 5, 10. Ü, 6. III -1, 5. IV 3, 2), das mit
dem Begriffszeichen JX lür Wasser verbunden ist. Wir dürfen
nicht glauben, dass ein Schriftzeichen jemals von eiuem Begriffe
ohne Rücksicht auf den Laut ausgegangen sei, da in je älterer Zeit
um so mehr jener nur in dieser für die Vorstellung vorhanden und
der Geist an das Wort gekettet war; nicht die Bezeichnung des
Lautes, sondern seine selhstständige Bezeichnung, losgetrennt von
dem Begriffe, macht das Wesen der höheren Schriftstufe aus.
Alles, was wir von der Natur der mexicanischen Schrift wissen,
zeigt uns, dass es sich mit derselben ganz ebenso verhält. Der¬
selbe Unterschied, welcher zwischen deu ägyptischen Gemälden und
den sie begleitenden Hieroglyphen stattfindet, wiederholt sich ganz
ebenso bei den Mexicanern. Es dauerte selbst bei den chinesischen
Schriftzeicheu lange, bis man sich iu Europa zur Erkenntniss des
Masses, in welchem sie Lautschrift sind, erhob. Die französischen
Missionäre, die diese Zeichen mit Leichtigkeit lasen, die Sprache,
in der sie geschrieben sind, verstanden, und in dem Lande lebten,
wo man sie bestäudig anwandte und das Princip ihrer Zusammen¬
setzung recht gut begriffen, hatten dennoch die irrigsten Vorstellungen
von ihrer bildlichen Bedeutung. Es war erst Abel Remusat vor¬
behalten, die richtige Anschauung hierüber zu verbreiten. Welch
eine Mühe es gekostet, sich in Betreff der ägyptischen Schrift vou
dem phonetischen Gehalte der Bilder zu überzeugen, wie vereinzelt
und unklar die Aeusserungen der älteren Schriftsteller bis auf Cham¬
pollion in dieser Hinsicht sind, die seinerseits wieder durch die
Aufklärung der chinesischen Schrift gefördert worden ist und sich
auf diese mit Recht häufig bezieht, ist bekannt. Wir dürfen uns
also gewiss nicht über spanische Berichterstatter wundern, welche
die mexicanische Bilderschrift so darstellen, als wenn sie geradezu
aus Gemälden bestünde. Es verhält sich aber mit dieser ganz so
wie mit den beiden ihr verwandten. Wenn wir diesen Schrifteu
uäher treten, so fiuden wir bei ihnen allen, dass der Gegensatz
gegen die unsre zwar innnerhiu gross , aber doch nirht so unbe¬
dingt ist, wie der erste Eindruck ibu uns erscheinen liess. Wir
Oeiger, iiber die Entstehnng der Schrift. 165
finden, dass der wahre und unlösliche Gegensatz zwischen Schrift
und Malerei in ihr keineswegs aufgehoben ist: das Gemälde stellt
die Sache, die Schrift aber das Wort dar, und in diesem Sinne
sind die Hieroglyphen der Mexicaner sowohl als die der Aegypter
und Chinesen allerdings Schrift, und nicht Gemälde. Was wir so¬
mit als eigentliche Erfindung der Schrift bezeichnen könnten, das
würde die Sammlung eines kleineu Kreises von Bildern anschau¬
licher Gegenstände gewesen sein, von denen ein jeder gleich¬
mässig an das Wort , den Namen des Gegenstandes erinnert. Hier
Tällt das Schreiben nun allerdings mit dem Zeichen zusammen,
aber doch nicht so, dass wir glauben müssten, es habe eine
selbstständige, nicht symbolische Verwendung der Malerei vorher
existirt. Die Sprache deutet auf*einen umgekehrten Weg: unser
malen bedeutet in dem Gothischen meljan zuerst schreiben; von
ygdtptü gilt dasselbe; das slavische pisatj, auf dessen Verwandt¬
schaft mit dem nipis tam der persischen Inschriften Herr Pro¬
fessor Spiegel, aufmerksam gemacht hat, bedeutet schon bei bei¬
den indogermanischen Völkern schreiben, während das grie¬
chische noixi'kog und die bekannten entsprechenden Sanskritwör¬
ter sich auf Farbe beziehen. Aber welchen Zweck, welche Ver¬
anlassung hatten diese ältesten Zeichnungen? Man sieht leicht,
dass diese Frage von der nach der frühesten Verwendung der Schrift,
dem Inhalte des Geschriebenen, und sogar dem Material, worauf
geschrieben ward, unzertrennlich ist. Und hier bietet uns die
Sprache wieder einen wichtigen Fingerzeig. Es ist bekannt, dass
die Wörter, welche schreiben bedeuten, in grosser Anzahl nach¬
weisbar von der Bedeutung ritzen ausgehen. Fgafpu und scribo,
das englische write, das nordische rista runir, Runen ritzen, unser
reissen, Riss sind naheliegende Beispiele. Von der Sanskritwurzel
likh gilt dasselbe. Die älteste Schrift war geritzt. Aber worauf?
Wir sehen sie im fernsten Alterthum auf Felseu gegraben, wir
sehen sie heiligen, monumentalen Zwecken zugewandt. Aber auch
das Ritzen in Holz ist vielfältig bezeugt, und dies scheint für die
primitiven Zeiten, in denen die allerersten Anfänge der Schrift
entstanden, sich schon eher denken zu lassen. Ich erinnere an die
chinesischen Holztafeln, die in dem Schi-king (II, 8) vorkommen,
wo ein Krieger klagt: „wie sollte ich nicht auf Heimkehr denken?
Doch ich fürchte die Schrift auf dieser Tafel", d. h. den auf eine
Holztafel geschriebenen Befehl. Noch einfacher und ebenfalls viel
bezeugt ist das Verfahren, in die Rinde der Bäume, besouders der
Birke zu schreiben. Plinius (XVI, 13) berichtet von dem Ver¬
fahren der Spione, in die frische Rinde der Bäume Buchstaben zu
schneiden, die anfangs nicht sichtbar sind. In unserm deutschen
Lache haben wir ein eigenes Wort für ein in einen Baum ge¬
schnittenes Zeichen : es ist wahrscheinlich verwandt mit der Sanskrit¬
wurzel likh. In Vikramorvasi findet sich eine von Max Müller in
seiner history of ancient sanserif literature besprochene Stelle, wo
166 Geiger, über die Entstehunn der Schrift.
Urvasi einen Liebesbrief auf ein Birlieublatt , d. h. ein Blatt aus
Birkenrinde sehreibt. Noch im Simplicissimus ist von einem Buch
auf Birkenrinde die Rede. Wenn man aber die Frage scharf ins
Auge fasst, welche Gründe die Urzeit so bestimmt darauf verweisen
mochten, die so einfache Auftragung der Farbe gegen das Einritzen
mit solcher Consequenz zurückzusetzen, wie wenigstens die Etymo¬
logie CS wahrscheinlich macht, uud überhaupt, wenu wir uns ernst
lich fragen, was sie zura Schreiben oder Zeichnen zunächst veran¬
lassen konute, so werden wir uns vielleicht bestiraraen lassen, an
der Hand der Sprache noch eineu Schritt weiter zu gehen. Eine
geuaue Betrachtuug fast aller für den Begriff schreiben verwendeter
Wörter scheint es zu einera bedeutenden Grade von Evidenz zu
erheben, dass das Schreibraaterial , welches der Sprache bei iliren
Benennungen vorschwebt, kein anderes als der raenscbliche Körper
geweseu ist, rait anderen Worten, dass das Schreiben sich aus dem
Tättowiren entwickelt hat. Uie specielle Richtung, die die Bedeu-
tungsentwickluiig in jedem Falle eingeschlagen hat, ist ein Gegen¬
stand, der bei der Entwickelung der geschichtlichen Wurzel eines
Wortbegriifes niemals vernachlässigt werden darf So würde es z. B.
ungenügend sein, in ygacfw schreiben eine allgemeine Grundbedeu¬
tung ..graben" aufgestellt zu haben, und sogar geiadezu falsch, wenn wir die Vei inittlung zwischen beiden Begriften in Steiu- oder IIolz-
schril't suchen wollteu. Ueiiii das griechische Wort hat seine be¬
stimrate Geschichte ; es hat vor der Specialisirung zu der Bedeutuug
schreiben bereits eine specielle Bedeutung gehabt, und diese ist
nicht die des Meisseliis und Behauens von Stein und Holz, sondern
ganz bestimmt das lützen der Haut. Es hängt begrifflich nicht
sowohl mit seulpo , ykvqjoi, als mit scaliio und y}.ctrf (u znnächst
zusammen. Homer braucht das Wort mit seinen Ableitungen sieben¬
mal von leichter Verwundung durch Wurfgeschosse, von Verletzung
der Haut, Streifen oder Schinden, auch Ritzen durch Dornen; ein¬
mal kommt ausserdem ijitygd(foj in der Ilias vou dem Zeichen,
das auf das Loos ;;eritzt wird, einmal ygdif w in der vielbesproelie-
nen Siellc (VI, 161 ff) vor, wo Proitos den Belleropbon .,zu tödten
zwar scheut, aber ihn nach Lykien schickt, und ihra traurige Zei¬
chen gibt, iiaclideiii er auf eine zusammengelegte Tafel viel Tödt¬
liches gerjtzt hatte, nnd ihm befiehlt, sie seinera Schwiegervater zu zeigen, damit er zu Gruude ginge". Ausserdem ist iu dem späteren
Worte ygdmiig runzelig, noch die Beziehung auf die Haut vor¬
handen. Dera W orte ygi(fäaQca. welches Benfey sehr richtig mit
scribo schreiben zusammenstellt, gibt Hesych ausser der Bedeutung
schreiben, noch die laconisch-dialectischen schaben und rupfen {^iisiv,
(jxvkhiv). Das hebräische sefer Sediiift erklärt sich ebenso aus
dem elialdäischeu sappar scheeren. niispera Scheere, wofür wir naeh
allen Analogien das J^ehaben der Haut als Grundbegriff voraussetzen
dürfen. Das allgemeine semitische Wort katab konirat in eiuer so
alten Zeit als überhaupt von seraitischer Schrift die Rede ist (3 M.
Geif/er, über ilie Euluteliaii'/ der Schrift. 167
i9, 28), iu lieni Verbote vor, tättowirte Schriften auf dem Korper
anzubringen, und dabei scbeint ketobet eine ausdrücklicii für das
Tättowiren bestimuite Ableitung zu sein, welches mithin zugleich
als ein allem Anscheine nach bei den seniitischen Völkern in reli¬
giöser Uebung befindlicher Brauch angedeutet ist
1) Herr l'ruf. Fleisclier liat, aiikiiüpfciid an den ubigen \'urtrag, aus dem Hercicli des Ar a b i s c b e ii weitere Ueispiele des Hegriffsiiberganges von ritzen zu schreiben in betiiielitlielier AnzabI hinzugefügt, sich in Betreff von kataba jedoch gegen die .\bleitiiiig von dem gleichen firundbogritVe ausgesprocben, und für denselhen vielmehr, unter Vergleichung vou katibatiui, Heerschaar, kattaba, eine solebe sammeln, aiiweibeii — wobei doch wohl schwerlich sclion an ein Cou- seribireii zu denken sei ■- die Bedeutung verbinden, a ii c in an d e r r ei h en angenommen. Ich will eine solche Bedeutung der betreffenden Wurzel durchaus nicht iibsprecben , und gestehe gern, dass die von Herrn Prüf. Fleischer ange¬
führte Vergleicbung höchst beachtenswertb ist. Doch scheinen mir, abgesehen davon, dass man die angeführten VN'örter von der Wurzel , die ,, schreiben" be¬
deutet, gänzlich trennen könnte, da eine Wurzel von doppelter, ganz geschie¬
dener Bedeutung in semitiscben Sprachen bekanntlich nichts Seltenes ist, noch zwei Krkliirungen zulässig. Erstens könnte die Bedeutung Schar, ebenso wie in dem deutschen Worte, vom Treiiiieii cbeiisowolil als vum Verbinden abgelei¬
tet sein , und damit auf die für kataba genommene Grnnilbedeutung des
Uitzciis zurückgehen, die mit qa^ab, spalten, scbeeren, ehasab, ausbauen, z. B.
Schrift in Felsen u. a. zusamineuliäiigeii würde. Zweitens aber giebt es einige sichere Fiille, wo der Begriff zählen von schreiben ausgebt, und zwar in dem Sinne von ..Striche niachen". .So bedeutet das Kafirwurt bala: schrei¬
ben, zählen und rechnen, und endlicb aueh cr/.älilen; und doeh zeigen hier die von der Wurzel gebildeten A\'örter mit den Bedeutungen ,, Zeichen, Flecken, Farbe", ilass Schreiben die Grundbedeutung ist. üöline in dem Zulu-Kafir dictionary (Capetown IS')?) spricht sicb hierüber, im Ganzen sehr richtig, folgenderniasseii aus: ,,'1'he uriginal idea uf writing and numbering with tbc Kalir was that of representing things by a simple figure, and coincides with those of otber nations. If a deseriptioii uf a thing was to be given, u certain shape, form, stroke, ur line was made in the sand, ur in the ground. These were the signs for both writing and numbering, uvery new number being repre¬
sented by an other stroke or mark. Or, if this practice was not convenient for counting, one liiiger of the hand was raised instead of a stroke in the ground. Tbe sense of writing is , therefore , primary , and that of counting, secondary". Man vergleiche hiermit auch die schon erwähnten Bedeutungen rechnen, zeichnen in dem Worte tatau der Marquiseninsclii. — Uie hier aus ganz ciitlcgeiicii Sprachgebieten angeführte B e g r i f f s a ii al o g i o — über deren allgemeines V\'eseii ich den ersten Band meines Buches , .Ursprung und Kiit- wieiicluiig der inensebliehcn Sprache und Vernunft" (Stuttgart, ,1. (i. Cotta 1S68) zu vergleichen bitte (der obige Vortrag ist ein um viele Einzelheiten verkürzter Auszug aus einem Kapitel des noch ungedruekten zweiteu üaiides^ — sebeint mir bi.'soiiders nuch für die Geschichte der bebräiscben Wurzel safar wichtig zu sein, von welcher Fürst mit Recht drei llaiiptbedeutiiiigen in folgender Ord- luiiig aufstellt: 11 einschneiden, .schreiben; 2) ziihleii, eig. Eiiisebiiitle , Merke maehen. .S' erzählen. Während niimlicb safnr nur zählen, und sipper (im l'iel) zählen und erziililcn ;spät aucli sprechen, z. B. .,Ad;uii sprach aramäisch".
Sanb. o b) heisst, und hieran sieh die SulistiiHtiviibleitiiiig mispar und einige welliger gcbräuchliebe sehliessen, beileuti't sefer meist Bueh. uft aueh Schrift¬
stück, Brief, an einigen Stellen das Selireibmaterial , wuriiuf gv-elii iebeii ward, ausserdem aber aueb geradezu ,. Schrift", rü yoii/ifinTn . z. B. : ..Schrift und
1 4
168 Geiger, über tlie Entslehung tier Schriß.
Das Wort Tättowiren ist dein auf den Marquiseniuseln ge¬
sprochenen Dialect des oceanischen Sprachstammes entlehnt; es
Sprache der Chaldäer lehren" (Dan. 1, 4); der Prophet Jesaia drückt (29, 11.
12) „lesen können" durch jada sefer aus. Die Bedeutung „Verzeichniss", wie dns VVort etwa 1. Mos. 5, 1 aufgefasst werden kann, steht in der Mitte zwi¬
schen zählen und schreibcu ; und dasselbe gilt von dem merkwürdigen Worte sofer. Dieses bezeichnete offenbar den Würdenträger, den wir auf ägyptischen uud assyrischen Denkmälern mit der Scbreibtafel oder KoUe verzeichnend dar¬
gestellt fiuden , und könnte also ebensogut durch Scbi-eiber , als dureb Zähler, Verzeichner übersetzt werden. In der nachbibliscben Sprache tritt jedoch eine gauz andere Bedeutung des Wortes auf, nämlicb Gelehrter. Nur iu Bezie¬
hung auf Esra finden wir diese Bedeutuug uucb an mebreren Stellen der Bibel.
Sollle es hier nur eiue im Geiste der Zeit mit dem Titel Esra's vorgenommene L'mdeutung seiu, den er vielleicht in einem ganz anderen Sinne aus Babel mit¬
gebracht hatte':' Uebrigens scheint an den betreffenden Stellen mit dem Ehren¬
titel nur gesagt werden zu sollen, dnss Esra gut lesen konnte (s. bes. Neh.
Cap. 8 und Esr. 7, ()); höchstens vielleicht, dass cr belesen (litteratus) war, in dem Gesetze u.ändich; und ich möchte es hier eher mit ,, Leser" als mit ..Schreiber" übersetzen. Die Bedeutung ,, Gelehrter" geht ohne Zweifel von .sefer im Sinne von Schrift, Lesekunst aus; gelehrt ist ursprünglich, wer leseu uud sclireiben kann, denn dieser älteste Inbegriff der Grammatik und des Gram¬
matikers {-/(iixiiiimixri , y('(ifi/iiirtx6^) war eine Zeit lang der nller Gelehrsam¬
keil überhaupt. Mit der Verwandlung der Zustünde nahm sofer nicht nur den Begriff Gelehrter (Schriftgelehrter, yiia/ifirtTn'i) in sich nuf. sondern es stellte sich auch die in vixiuftnTtmve enthaltene Verwendung für Elenientarlehrer ein; ja, da die einst seltene Gelehrsamkeit auf die Kinder übergegangen war, so findet sich sogar eine talmudiscbe Stelle (des 3. Jahrb.), wo die ABC-Sehülcr soferim geuannt werden (Kidd. IV, 13). l^inc .andere Talmudstelle (Kidd. 301 leitet diese (für die Gegenwart damals veraltete) Benennung der ,, früheren" Ge¬
lehrten von der Bedeutung ,, zählen" ah, als Solcber, die die Buchstabeu des Gesetzes gezählt bntteii. In dem spätesten Hehräiseb beisst sofer: Schreiber (scriba, iiotarius), Abscbreiber (des Gesetzes, religiöser Documente u. s. w.).
Wns nun katub betrifft, so findet sicb die Wurzel iu der Genesis nicht, wie denn bezeichnenderweise vor dem Auszug aus Aegypten vom Schreihen in der Bibel nicht die Kode ist, und auch sefer nur nn der oben angeführten Stelle (1. Mos. 5, 1) in dem Sinuc vini Verzeicbniss vorkommt. In der Folge ist katnb liekaiintlich die gewöhnliche Vcibahvurzel für scbreilicii, mit weleher das Substantiv sefer sehr häufig verbunden ist. Es finden sicb aber auch einige wenige Stellen, wo dns Zeitwort nichts als zählen bedeutet; besonders Jcs.
10, 19 ,,die übrig hleibenden Wnldhäumc weiden wenige sein, ein Knabe wird sie zählen (verzeiebnen) können" ; wobei jn auch mispar in der ersten Hülfte des Verses eig. so viel heisst als „was m.au zählen kann". Ferner: ,,Gott wird zählen (jispor), wenn er die Völker verzeichnet: Dieser ist dort geboren". Ein Sidchcr Gebrauch von katab gebt gewiss uur vom Zäblen durcli Striche machen, nicht von einem coiqplicirtcrcn Zabicnschreihen aus. Wenn an der zuerst an¬
geführten Stelle das Sohreiben der Zahl etwa durch hebräische Buchstaben ver¬
standen werden sollte , so ist zu bedenken , dass danach 400 leichter als 11, und nicht viel schwerei' als 1 zu schreiben ist. Es könnte demnach aueh das arabiscbe katibatun wohl auf eine solche primitive schriftliche Zählung zurück¬
gehn und einfach „Zabl" bedeuten, umsomebr als ja auch der sofer der all- hebräiseben Schriften vorzugsweise das Heer zn verzeichnen hatte (s. bes. Jes.
.52. 25. 2. Kön. 25, 19. 2. Chr. 2ü, 11). Ist doeh Zählung durcb Striche .so früh nacbweisbar, als Schrift überhaupt, und .sogar die Verwendung der Buch¬
staben des Alphubets als Zahlzeichen schon mit ihm selbst nach Europa ge¬
kommen.
1 t,
Geiffcr, über die Entstehung der Schrift. 169
lautet dort tatu. In der Sprache der Sandwichinseln wird das
fehlende t durch k vertreten ; das derselben angehörige Wort kakan
schreiben, ist also nicht wesentlich von jenem tatu verschieden.
Auch heisst in der Marquisensprache selbst tatau lesen, rechnen,
zeichnen. Ein anderes, beiden Dialecten mit geringer Verschieden¬
heit gemeinsames Wort ist tiki, auf den Sandwichinseln kiki, tätto¬
wiren, malen, schreiben; es heisst ferner Schnitzbild, in welchem
Sinne es von „Zeichen" ausgeht, wie signum. Auch ein neuseelän¬
disches Grabdenkmal, in Hochstetter's Neuseeland (S. 201) abge-
gebildet, wurde ihm von den Eingeborenen als Tiki bezeichnet.
Was die ursprünglichere Bedeutung von tiki betrifft, so ersehen
wir sie aus tikao stechen, reizen, tikaue Mücke, tikao und
tiko-tiko Sinnenreiz. Nach Wilhelm von Humboldt's Mittheilung
(über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus S. 4()()) bat
Jacquet bemerkt, „dass bei diesen Völkern die Begriffe des Schrei¬
bens und Tättowirens in enger Verbiudung stehen".
In Zimmermann's Wörterbuch der Gangsprache, welche vou
einem Volke der Goldküste von Westafrika gesprochen wird, ist die
Wurzel nma erklärt: kratzen, z. B. das Gesicht, Striche oder Zei¬
cheu machen, schreiben. Im Birmanischen ist koh (uach Schleier¬
maeher) kratzen , wie die Kinder thun , und schreiben. Derselbe
Uebergang findet sich iu dem Kaürworte loba.
Um eine ähnliche Verbindung beider Begriffe bei den allen
Culturvölkern wahrscheinlich zu finden, müssen wir uns erinnern,
wie frühzeitig uiul verbreitet auch in der alten Welt die Gewohn¬
heit bezeugt ist , den Körper mit eingeritzten Zeichen zu beschrei¬
ben. Das Tättowiren selbst kommt bei den wilden Völkern in Europa
und Asien ebenso wie in den neuentdeckten Erdtheilen vor. Vou
den Kabylen \\'ird berichtet, dass sie zur Unterscheidung der Stämme tbierische Abbildungen auf der Stirne, der Nase , den Schläfen, oder
auf einer der Wangen tragen; diese Tättowiruugeu werden durch
Punctirungen mit feinen in eine ätzende P'lüssigkeit getauchten Na¬
deln gebildet. Ein ähnliches Verfahren zeigt sich überall iu Mittel¬
afrika sowohl, als auch auf dem Karolinenarchipcl. „Das Tättowi¬
ren, sagt schon Herodot (■'), ü) von den Thraziern, gilt für vor¬
nehm, der nicht Tättowirte für unedel;" etwas genauer schildert
dasselbe Xenophon von den Mosynöken (An. 5, 4, 32): „es wur¬
den uns gemästete Kinder vornehmer Eltern gezeigt, die mit ge¬
kochten Kastanien gefüttert worden wareu. Sic waren sehr zart
und weiss, und fast gauz ebenso dick als lang, bunt auf dem Kücken
uud vorn überall blumeiiartig tättowirt." Auch auf deu ägyptischen
Denkmälern von Biban el-moluk finden sich tättowirte Mensclien
dargestellt. Bei Griechen und liüniern war, wie wir aus Petronius
(Sat. cap. 103 S(iq.) sehen, der Gebrauch gewöhnlich, Verbrecher,
und was die ursprüngliche Anwendung gewesen zu seiu scheint,
Sclaven zu brandmarken, und ebenso bei den Perseni, von denen
z. B. Herodot erzählt, dass sie die tbebanischen Ueberläufer bei
170 Geiger, Uher die KiUntcJiuag der Schrift.
Thermopylä auf Xerxes llefelil mit dem küiiigliclieii Male gebraud-
markt hätten (7, ■2'63). Dieser Gebranch, dem nur die Absiebt
des Kennzeielinens zu Grunde liegt, ist aus dem Tättowireu hervor¬
gegangen. Jedenfalls tragen wir mit Unrecht etwas anderes, nament¬
lich ein eigentliches Einbrennen des Zeichens in das griechische
Wort. Es ist eben das an deu angelührlen Stellen für Tättowiren
gebrauchte ffr/Jw ; die entspreebende Strafe der Chinesen ist dieser
Grundform treu gehlieben: sie besteht darin, dass dem Schuldigen
mit der Nadel Zeichen eingestochen und dann durch schwarze Earbe
dauerhaft gemaeht werden. Dieses Verfahren , welches dem Tätto-
lentz „brandmarken, tättowiren, uud eine Arbeit mit der Nadel".
Vielleicht schreibt sich der Gedanke der Acupuuctur, welche die
Chinesen in unvordenklicher Zeit uls Heilmittel anwendeten, aus
demselben Vorbilde des Tättowirens her, sofern es für heilig uud
heilsam gelten mochte. Pferde wurden bekanntlich bei den Grie¬
chen zur Kennzeichnung ihrer Race mit in den Schenkel gebrann¬
ten Zeichen versehen. Hierzu wurden Buchstaben verwendet, und
wahrscheinlich ist diese Verwendung bei deu Griechen so alt wie
die Buchstabenschrift selbst; wenigstens ist der aus dem Schriftge-
braucb früh verschwundene Buchstabe Koppa unter diesen Zeichen.
Die Kaukasier haben noch jetzt ein ganzes reiches Zeichenalphabet,
welcbes zu keinem andern Zwecke dient, als zu einer eben solchen
Unterscheidung ihrer Pferde.
Der biblische Ausdruck: „ich werde dich (Zion) nicht verges¬
sen, ich habe dich auf die Hände gezeichnet, deine Mauern sind
mir innner gegenwärtig" — (Jes. 49, 15. 16) bat die Darstellung
des Tättowirens nur vielleicht zum Hintergründe, sowie auch die
bekannte Erzählung Herodots (5, 35) dass Histiäus, um den Arista¬
goras verstohlen zur Empörung aufzufordern, einen Sklaven gescho¬
ren, den Brief auf dessen Kopf geschrieben uud nachdem die Haare
darauf gewachsen, den Sklaven abgeschickt habe, auf einen Ideen¬
kreis deutet, dem es noch nicht ferne liegt, den menschlichen Kör¬
per als Schreibmaterial anzusehen. Es verdient imr noch bemerkt
zu werden, dass Herodot sicb in dieser PJrzälilung desselbeu vom
Tättowiren nnd Punctiren ausgehenden Wortes earths bedient. In
formeller Hinsicht steht die Schrift mit der Tättowiruug nicht im
Gegensatze. Manehe Völker zeichnen sich Tbierfiguren der verschie¬
densten Art auf die Haut. Solche Malereien sind also der Form
nach wahre Bilder, wie die ülteste Schrift. Meistens aber siud die
cingcritzteu Zeichen linear, llochstetter sagt von den Grabdenk¬
mälern der Maori, der Eingeborenen .N'euseulands („Neuseeland",
S. -299): sind aus Holz geschnitzte Figuren von 4 Fnss Höhe,
welchen Kleidungsstücke oder Tücher umgehängt sind, und au denen
Geiger, Uher tlie Entslchiini/ tlcr Schrift. 171
tiie gcticiiü Kaclialiiiiuiig Ucr tiUtuwirten Gcsiclitsliuicn des Verstor-
licnen das Bemerkeiiswertheste ist. Daran erkennt der Maori, wem
das Denkmal gesetzt ist. Gewisse Linien bezeichnen den Namen,
andere die Familie, welcher der Verstorbene angehörte, und wieder
andere die Person selber. Genaue Nachahmung der Tättowiruug
im Gesichte ist daher für den Maori soviel als Portraitähnlicbkeit,
und es bedarf für ihn keiner weiteren Inschrift, um zu erkeinicn,
welcher Häuptling hier gestorben'". Die Art der Zeichnung ist hier
linear, und es ist beraerkenswerth, dass die Wörter für schreiben
ebenfalls zunächst die Grundbedeutung Striche raachen zu haben
pflegen. Aus dem Griechischen ygdcpoj z.B. entwickelt sich ebenso un¬
mittelbar der Begrifl' Linie, Strich - ygdfiuv/ — als Schrift und Bild.
Ein seltsamer Ueberrest wahrer Tättowirung hat sich mitten
in unserer Civilisation noch erhalten. Unter den europäischen Matro¬
sen, zum Theil auch unter den Soldaten, ist eine förmliche, vou
eigenen Kunstverständigen mittels eines Instrunientes, das, dem \on
Cook geschilderten dnrehans ähnlich, aus aufgesteckten Nadeln zu-
sanunengcsetzl ist , geübte farbige Tättowiruug gebräuchlich. Sic
zeicbnen sich so Sinnbilder ihies Standes, anch wohl förmliche
Sclirift auf Anne und Brust. Es ist dies ohne Zweifel Nachaluming der Wilden.
In manchen dem Begrift'e „schreihen" dienenden Wörtern be¬
gegnen wir einem gewissen Schwanken zwischen der Grundbedeu¬
tung einkratzen nnd färben. Ks ci'klürt sieh dies vielleicht eben
daraus, dass das Tättowiren beides zugleich, uud sogar durch das
aus der Wunde Hiessende Blut , beides schon in seinem rohesten
Ursjirungc zugleich war. Von dem eigenen Körper wurden die
Schriftzeicbcn vermuthlich zunächst auf Gegenstände übertragen,
denen sie als Zeichen dienen sollten. Es wird sogar erzählt, dass
nianelic Indianer die sogenannten Totem , das beisst symbolische
Bilder ilirei' Stämme, wozu Tbierbilder wie Bär, Büft'el u. dgl. dien-
Icn. zur liewahrung dei' Stanimhäume in Bäume, üiuler, Kähne und
Waft'en nach der Ordnung einschnitten. Dies ist schon Schrift zu
blosser Erinnerung, ohne Beziehung auf den tiegcnstaiid , worauf
geschrieben wird. Man hat die iigyiitischcu Teiniiel und Palasl-
wande, wcficii der Masse der Scbriltzeichen , mit welchen sic über
und iilier bedeckt sind, mit Bnelicrn verglichen; die mächtigen bc-
si'lirii'licnen Felsen zu Perseiiolis und Bisitun enthalten ganze tic- schielitsweike ; waiiiin sollten in einfaehcreii \'ei h;lltiiissen nicht liäiniie oder auch l'hierc einem ähnlichen Trielie dienen':' Die Lösung
der Hiiule von einem beseliricbcnen Baume, des I'elles von einem
mit /eiehcii versehenen Tbicrc würde zugleicli der erste Schritt zur
Sclbstständiginaehung der Schrift, gleichsam die Krfiiidung des ersten liuclies ,i;e\vesen sein. Bei den Neuseidäiideni, welebe ein Aliiliubcl von I i liuelistaheu von den Kiigläiideiii angeiiomnien haben, herrscht trcgcnwartijj: die Sitte, auf die Blätter von Flaclishiischeii mit Muschel¬
schalen ihre Namen oder Grusse an ihre Freunde zu schreihen.
1
172 Geiger, über die Entstehung dev Schrift.
„Uie Uinka-Neger", so erzählt Mitterrutzner, „ritzen oder schneiden
oft die rohen Umrisse von Mensclien, Krokodilen, Schildkröten und
anderem Gethier mit einem Dorn oder spitzigen Eisen in weiche
Kiirbisschalen. Dieses Eingraben nennen sie gor. Sabeu sie nun
eineu Missionär schreiben, so hiess es jen a gor, er gräbt ein, ritzt ein, zeichnet". Die ältesteu erhaltenen chinesischen Schriftreste sind Aufschriften auf Weiligefässen, und iusofern die Aufschrift jedenfalls
ein Zeichen sein sollte, und ein möglichst bleibendes, so erklärt es
sich schon hieraus, warum sic anfänglich nicht aufgetragen, sondern
eingeritzt werden mochten. Eine verwandte Vorstellung scheint
sich von jeher mit dem Begriffe „Zeichen" verbunden zu baben.
Signum z. B. ist, wie G. Curtius treffend aus sigillum geschlossen
hat, zunächst ein eingegrabenes Zeichen; Ebel bat Signum aus sti-
guum erklärt, und, mit Unrecht, wie ich glaube, diese schöne Er¬
klärung später zurückgezogen. Signum tritt dadurch nicht nur mit
goth. taikns, dem englischen token, unserem Zeichen zusammen, son¬
dern auch mit stechen und ari^w, der besprochenen ächt griechi¬
schen Bezeichnung des Tättowirens. Dass von Zeichen zeich¬
nen, von Signum dessiner abgeleitet wurde, führt uns aufs Neue
auf den symbolischen Zweck, der mit dem Zeichnen zuerst verbun¬
den war. Ein Gegenstand, ein Thier, ein Mensch wurde gezeich¬
net, mit einem Zeichen versehen, welches kenntlich machte, als
Besitz bezeichnete, oder auch weihte. Es giebt eine solcbe Weihung
durch Aufdrückuug eines Zeichens, welche noch primitiver, als die
bisher geschilderte und zugleich in ihrem Zwecke sehr durchsichtig
ist. Ich meine die sogenannte rothe Hand der Indianer. School¬
craft hat dieselbe auf Kinde , auf Tliierfelleii , auf Holztafelii , aber auch auf dem Köriier von Tänzern als heiliges Sinnbild dargestellt
gefunden. In dem letzten Falle wurde das Bild durch Abdruck
einer mit Thon beschmierten Hand auf der Brust, der Schulter und
andern Körpertheilen hervorgebracht. Was diese bei den Indianer-
stämmen sehr allgemein verbreitete Hand bedeuten mag, wird dem¬
jenigen, welcher die strahlenden Hände des Sonnengottes auf ägyp¬
tischen Darstellungen gesehen, oder iu deu vedischen Liedern vom
güldhändigen Savitri geleseu hat, kaum zweifelhaft bleiben. Die
rothe, oder auch wohl weisse Hand, mit welcher ein Gegenstand und
selbst der Körper eines Menschen auf die einfachste Weise bemalt
und geweiht wird, ist schwerlich etwas Anderes als die Sonne.
So gewaltig der Weg von einem solchen fast wie durch eine
zufällige tbierische Spur aufgedrückten Zeichen bis zu unserem
Alpbabete von '24 Buchstaben ist , in welcbem der schwache Rest
einer Hand nicht mehr und uicht weniger, als den Laut i oder j
bezeichnet, so glaube ich doch, dass der Ursprung der Schrift sich
ohne allzugrosse Lücken auf diesem Wi'gc erklären lässt. Die f.;in-
ritzuiig der Zeichen zum Zwecke der Dauer, ihre Vervielfältigung,
ihre mehr inonumentalc .Anwendung, ihre erweiterte Geltung als
Lautzeichen, ihre Anordnung zu einer Art System bei einem oder
1 4 *
(reiinT, iilier die ICiit.itelimuj der Schri/'t. 173
mehreren genialen Völkern, das Alles entliält einen zwar bewnn-
dernswertheu, aber nicht mehr geradezu wunderbaren Furtsdiritt.
Ebenso ist der Uebergang von einem ägyiitiscben llierogl.viilieii- systeme zur wirklicben liiiclistabenschrift gewiss nichts weniger als
undenkbar. Die späteste Gestaltung der ägyiitiscben Schrift, die
sogenannte demotiscbe, obwohl nur ihre letzte cursivisehc Verkiirzung,
macht äusserlicli den Eindruck einer Buchstahenschiift und wurde
für eine solche geliaUcn, che man in den Hieroglyphen ein lautlielies
Princip zu suchen wagte. Wir haben zunächst diesem Eindruck
uud der unter seiner Herrscliaft versuchten Entzifferung von de Sacy
uud Akerblad die Entzifferung auch der Hieroglyphen und die Wie¬
dererweckung der ägyptischen Sprache und Urgcscbichte iiberbaupt
zu danken. Vyas das Wesen, die Anwendung der liierogl.v]iliisehcn Zeichen betrifl't, so müssen wir bedenken, dass die der liiielistaben-
schrift nächste Verwendung der Hieroglyphcu , nämlieh die mit der
ticltiing des Anfangslautes, grade in frenuisprachlielicn Namen un¬
bestritten gebiäuchlich ist, und dass die .\egypter, wenn sie ihn:
Schrift auf eine semitische Sprache liätten aiiwciulcii wollen , di(\s
gewiss nach jenem Princip getban haben würden. Der grosse Schritt
bis zu einer wirklichen Buchstabenschrift besteht darin, dass diese
für einen Laut nur ein einziges Zeichen hat, wogegen der Hiero¬
glyphensehrift, auch wenu sio streng alphabetisch verfährt, doch
immer eine Auswahl zwischen den verscbiedenen Bildern übrig bleibt.
Ohne die Keduciruiig phonetiscbei' llierogly)dien auf die möglichst
geringe Anzahl würde also das Alphabet anstatt 22 viele Hunderte
von Buchstaben gehabt haben, und diese Keducirung würde also
dasjenige sein, was wir als Erfindung der Buehstabeiischrif't gelten
lassen könnten Kenner der ägyptisihen Schrift wissen, dass zu
einer solchen Vereinfachung innerhalb der hieioglypliischen Ortho¬
graphie selbst .'Vnhaltspuncte gegeben sind, welche übrigens, weit ent¬
fernt eine bewusste Wahl gewesen zu sein, vielleicht das Product einer im Laufe von vielen Jahrhunderten vollzogenen Eiitwickelniif; sein kann.
Wenn wir, anstatt von einer gänzlich instinetivcu , ihrer letzten
Ziele völlig unbewussten Entstehung der Schrift auszugehen, dem
menschlichen Verstände die Aufgabe stellen wollten , diese wunder¬
bare Kunst zu Schäften, so würden wir in dieselbe Unm(if;lielikcit
gerathen, als wollten wir die Spraclie der menschlichen Vernniift
und Heflexion entstammen lassen. Wenn die Sprache Erfindung
wäre, so müsste die Weisheit der Menschen vor Erftiiilung der
Siu'aelie unendlich grösser als die gegenwärtige gewesen sein. Wie
iu der Spraclie, so können wir auch in der Schritt, obsebon sie
noch in fast geschichtlicher Zeit ihre Ausbilduug erlangt, mit allem
in ibr liegenden \'erstande niclit selbst ein VN'eik des A'erstandcs, sondern nur eine jener instiiuti\en Scliöiifungen des meusehliehen
(ieistes erkennen, welche, uh zwar Producte einer vcrnunftloseii
Entwickelung, ilocIi die höchste, bewundeniswnrdigste V'eninnfl, eben
wie die Wunder der Natnr um uns, in sich beigen.
174
Nouo Krniittelunoen auf byzantinisch-arahisehon
liildiniinzon, mit einem Anhano-e
von l>r. Stickel.
Nebst einer Tafel.
Bekanntlicli liat sich de Saulcy in seiner zweiten Lettre sur
(juehiues points de la uumisinatique arabe das bleibende Verdienst
erworben, den byzantiniscb-arabiscbeu bilinguen Bildinünzen ilire
Stelle zu Anfang der niosleinischeu Münzprägung vor der Mllnz-
relorin 'Abdulmalik's angewiesen und die im Jahre 183i) habhaften
Kxemplare dieser Art beschrieben zu haben. Sein Wunsch aber,
duss was sonst noch davon in den Sammlungeu vorhanden sei, an
das Licht gebracht werden möge, ist in den inzwischen verfiosseuen
dreissig Jahren niclit erfüllt worden. Wenigstens bat sich uichts
Förderndes ergeben. Fräbn's üpp. postuma führen einige schon
bekannte Tyiien als aueh in l'etersburg vorhanden auf. In Marchaut's
Lettres sur la uuinisinati(iuc et Tbistoire, Paris, 1851 und in Del-
gtido's mir freundlichst zugesendeten herrlichen Münztafeln zu einem
in Madrid vorbereiteten Werke über spanisch-arabische Münzen
sind etliche Exemplare de Saulcy's reproducirt. Neu bekannt wird
uns unr durch Herrn Karabacek (die rutiscbcn Münzen des Jolian-
iieuuis in Graz. Wien IHöS S. 4) eine Varietal der llinisser Alün-
zen mit einem Punkie statt des Sternes hinter ^^vj».^.i, und noeh
gedenkt dersidbe beiläufig S. ii dreier unbekannter Stücke dieser
Classe in seiner eigenen Sammlung. Eines derselbeu, über das ich
nacliher weiter berichte, trägt den Namen eines neuen Prägeortes
Ma'arat Misriii. — Mag diese Leere in dem wirklichen Mangel der¬
artiger Prägen in den Cabinetten, woran ich kaum glauben kann,
oder in anderen Ursachen begründet sein, sic veranlasst mich um¬
somehr, einige Stücke vorzuführen, die, zumal das erste, in ganz
ausserordentlicher Weise die .Aufmerksamkeit des Nuniismatikers ei-
regeii. Durch dieses erste Slück, das icb so glücklich bin, an das
Licht zu Ziehen, wird niclits Geringeres als die Tliatsache consta¬
tirt, dass wirklich schnn der zweile rechtmässige Khalife 'Omar in
Syrien hat Münzen sidilagen lassen, uud dass uns jetzt ciiu' Präge