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Der Schmerzfreiheit auf der Spur

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ARS MEDICI 6 ■ 2007 B E R I C H T

C L AU D I A R E I N K E

Die Vorstellungen, die der Zehnjährige regelmässig bei Strassentheaterauffüh- rungen im nördlichen Pakistan bot, wer- den seinen Zuschauern sicher unver- gesslich bleiben: Der Junge lief über glü- hende Kohlen und stiess ohne zu zögern Messer durch seine Arme – Schmerzen kannte er nicht. Seinem Organismus

fehlte offensichtlich dieses überlebens- wichtige Signal. Seinen Wagemut musste er schliesslich mit dem Tod bezahlen: Er starb, als er an seinem 14. Geburtstag von einem Hausdach sprang – schmerz- los vermutlich. Wissenschaftler, die sich für die ungewöhnlichen Fähigkeiten des Jungen interessierten, untersuchten sein Umfeld und entdeckten in drei miteinan- der verwandten pakistanischen Familien fünf weitere Personen, die noch nie im Leben Schmerzen empfunden hatten, sich sonst aber als völlig gesund erwiesen.

Genmutation legt Ionenkanal lahm

Diese Story fand kürzlich Eingang in das Fachblatt «Nature», nachdem Forscher um den Humangenetiker Geoffrey Woods

von der Universität Cambridge heraus- gefunden hatten, dass es sich bei diesem ausserordentlich seltenen Phänomen der fehlenden Schmerzwahrnehmung um einen Gendefekt handelt. Betroffen ist das Gen SCN9A mit Sitz auf dem Chro- mosom 2, das eine spezifische Protein- untereinheit des spannungsabhängigen Natrium-Ionenkanals Naν1.7 kodiert.

Ionenkanäle sind porenähnlich aufge- baute Proteine, die in den Zellmembra- nen eingebettet sind und für die Erzeu- gung und Weiterleitung elektrischer Impulse (Signaltransduktion) verant- wortlich sind. Diese Membranproteine bilden eine polare Pore, durch die – ähnlich einer Schleuse – bestimmte ge- ladene Ionen, wie Na+, K+, Ca 2+oder Cl, ins Zellinnere gelangen können.

Der Schmerzfreiheit auf der Spur

Ein neu entdeckter Gendefekt beflügelt die Suche nach effizienteren Analgetika

Schmerzen sind untrennbar mit dem Leben verbunden. Als Warnsignale des Körpers dienen sie dem Schutz der Gesundheit und erfüllen damit lebenswichtige Aufgaben. Werden sie da- gegen chronisch, wird das Leben für die Betroffenen zur Qual.

Während sich plötzliche, vorübergehende Schmerzen durch die Gabe eines Analgetikums in der Regel erfolgreich behandeln lassen, ist der chronische Schmerz häufig nur schwer therapier- bar. Die Entdeckung eines für das Schmerzempfinden verant- wortlichen Gens hat der Suche nach einem potenten Wirkstoff zur Schmerzbekämpfung neuen Auftrieb gegeben. Die For- schung läuft bereits auf Hochtouren.

Science Writers Forum (Pfizer Global Research &

Development in collaboration with King’s College Hospital &

King’s College London), London, 11. Dezember 2006

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D E R S C H M E R Z F R E I H E I T A U F D E R S P U R D E R S C H M E R Z F R E I H E I T A U F D E R S P U R

ARS MEDICI 6 ■2007

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Spannungsabhängige Ionenkanäle wer- den durch das Membranpotenzial regu- liert. Bei Depolarisierung der Membra- nen fällt die Spannung ab, sodass der Ioneneinstrom erfolgen und ein Aktions- potenzial entstehen kann. Ionenkanäle spielen eine wichtige Rolle bei der Er- regungsleitung – sie sind sozusagen chemische Kommunikatoren zwischen Peripherie und ZNS.

Der Ionenkanal Naν1.7 befindet sich vor allem in den Zellmembranen peripherer Schmerzrezeptoren sowie in den ablei- tenden Neuronen und ist für die Weiter- leitung von Schmerzreizen unentbehr- lich. Bei Sequenzanalysen des SCN9A- Gens der schmerztoleranten Personen fanden sich drei spezifische homozygote Nonsense-Mutationen, die einen Funk- tionsverlust des Naν1.7-Ionenkanals be- wirken – der Kanal öffnet sich nicht mehr, die Leitung ist tot.

Mäuse ohne Schmerzempfinden sterben früh

Bereits vor einiger Zeit wurden andere Defekte des SCN9A-Gens bekannt, die nicht zu einer Blockade, sondern zu einer Überaktivität des Naν1.7-Kanals führen. Menschen mit solchen Mutatio- nen leiden unter der sogenannten Ery- thromyalgie. Dabei treten unter dem Einfluss milder Wärme oder moderater körperlicher Aktivität episodisch unan- genehme Schmerzen in den Extremi-

täten auf. Ein vollständiger Funktions- verlust des Naν1.7 wurde bei Menschen bisher noch nie beobachtet. Von tier- experimentellen Untersuchungen mit Mäusen, denen der Kanal in den nozi- zeptiven Neuronen fehlt, ist jedoch be- kannt, dass er an der Schmerzempfin- dung beteiligt ist. Allerdings geht diese Mutation bei den betroffenen Mäusen mit gesundheitlichen Beeinträchtigun- gen einher – die Tiere sterben kurz nach der Geburt. Dass die fünf pakistanischen Kinder jedoch offensichtlich gesund sind, erstaunt die Wissenschaftler eben- so wie die Tatsache, dass die Entstehung und Weiterleitung von Schmerzsignalen durch Mutationen in einem einzigen Gen beziehungsweise durch den Ausfall eines einzigen Ionenkanals bereits blockiert werden. Es wäre durchaus vorstellbar gewesen, dass die Kommunikation (bei- spielsweise über bekannte Isoformen des Naν1.7-Kanals) mindestens teilweise andere Wege findet.

SCN9A – der Ansatzpunkt für neue Analgetika

Die Entdeckung der Schlüsselrolle, die dem SCN9A-Gen bei der Schmerzentste- hung zukommt, bietet nun die einmalige Gelegenheit, neue spezifischere Analge- tika zu entwickeln, die es erlauben könnten, durch die gezielte Blockade des Ionenkanals Naν1.7 Schmerzen effi- zienter zu bekämpfen. Die Hoffnungen

scheinen berechtigt, insbesondere, da die Träger der Mutation ausser der feh- lenden Schmerzwahrnehmung völlig ge- sund erscheinen.

Wie bei einer Mitte Dezember 2006 in London abgehaltenen Schmerztagung zu hören war, läuft die Wirkstoffent- wicklung bei Pfizer (das Unternehmen war unter anderen als Sponsor bei der

«Nature»-Studie beteiligt) bereits auf Hochtouren. In einer Forschungskoope- ration mit dem King’s College Hospital wird darüber hinaus intensiv nach ge- eigneten Biomarkern gefahndet, die es Schmerzspezialisten in Zukunft erlau- ben sollen, Schmerzempfinden und -in- tensität besser und objektiv beurteilen zu können. Dies könnte die wirksame Behandlung chronischer Schmerzen er- leichtern, die ihre Funktion als Warnsig- nale oft schon lange verloren haben. Für die betroffenen Patienten wäre auch dies ein wichtiger Fortschritt. ■

Literatur:

Cox JJ, Reimann F, Nicholas AK et al. An SCN9A channe- lopathy causes congenital inability to experience pain.

Nature 2006; 444: 894–898. doi:10.1038/nature05413.

Claudia Reinke

Interessenlage: Die Autorin wurde zum Sciences Writers Forum von Pfizer (Schweiz) AG eingeladen. Auf den Bericht nahm die Firma keinen Einfluss – weder finanziell noch inhaltlich.

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