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Im Gespräch

Universität im Wandel?

Veronika Wöhrer und Beate Krais im Gespräch.

Über die Transformationsprozesse, welche die Hochschulen – weltweit in un- terschiedlichem Maße – seit gut 20 Jahren durchlaufen, ist bereits viel geschrie- ben worden. Formeln wie akademischer Kapitalismus (Münch), unternehmerische Universität (Clark) oder große Transformation (Hark in Anlehnung an Polanyi) sol- len Dynamiken und Effekte des Wandels erfassen. Wie diese Veränderungen jedoch im akademischen Alltagsgeschäft erlebt, wie die Bedingungen wissen- schaftlicher Arbeit erfahren werden und was Leistungsdruck mit Wissenschafts- subjekten macht, wird in der Forschung über die Universität im Wandel jedoch weitestgehend ausgeblendet. Rosalind Gill (in diesem Heft) ist eine der weni- gen, die das persönliche Erleben von Wissenschaftler_innen zum Ausgangs- punkt der kritischen Reflektion der »neoliberalen Akademie« machen. Wir ha- ben zwei Wissenschaftler_innen gebeten, sich ebenfalls vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen zu den Veränderungen an den Hochschulen zu äußern. Mit Veronika Wöhrer und Beate Krais konnten wir Personen gewinnen, die sich an unterschiedlichen Momenten ihrer akademischen Lauf bahn befinden. Wäh- rend Veronika Wöhrer als so genannter wissenschaftlicher Nachwuchs1 mit den Arbeits- und Lebensbedingungen der neuen Universität konfrontiert ist, blickt Beate Krais auf die Institution zurück, in der sie lange Jahre als Professorin tätig war. Wir haben beide gefragt: Was passiert gerade in und mit den Universi- täten? Und: was passiert mit Ihnen als Wissenschaftler_in?

Veronika Wöhrer: Persönlich habe ich die Veränderungen an den Univer- sitäten in den Sozialwissenschaften erlebt. Während meines Studiums in den 1990er Jahren waren die hohen Studierendenzahlen und der schlechte Betreu- ungsschlüssel ein großes Thema, auch der Umstand, dass zwar mehr Frauen als Männer Sozialwissenschaften studieren und das Studium abschließen, es aber kaum Professorinnen gab. Ich entschied mich relativ bald, mich auf feminis-

1 Anmerkung der Herausgeber_innen: Veronika Wöhrer hat diese Bezeichnung wie folgt kommentiert: »Ich bin mir nicht sicher, ob ich eigentlich noch unter diese Definition falle.

Ich bin 40, in der Habilitationsphase und habe bereits mehrere Forschungsprojekte gelei- tet. Stimmt das dann?« Diese Unsicherheit in Bezug auf den eigenen Status verweist auf die Absurdität eines Hochschulsystems, das Wissenschaftler_innen lange in abhängigen und unsicheren Beschäftigungsverhältnissen hält – bis sie eventuell »durch den magischen Akt der Erstberufung« in den Kreis der »Auserwählten« aufrücken, so Beate Krais in diesem Ge- spräch.

Feministische Studien (© 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin / Boston) 1 / 16

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tische Theorie und Genderforschung zu konzentrieren und in diesem Bereich auch meine Diplomarbeit zu schreiben. Als ich nach dem Ende der Diplomar- beit von mehreren feministischen Magazinen gefragt wurde, ob ich meine Er- gebnisse veröffentlichen möchte, war ich sehr erfreut, so früh schon meine For- schungen publizieren zu dürfen. Zudem erschien mir die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen auch in lokalen, nicht-wissenschaftlichen Medien zu den wichtigen Aufgaben von Wissenschaftler_innen zu gehören. Erst später habe ich gemerkt, dass diese Publikationen in wissenschaftlichen Lebensläufen gar nicht (mehr) viel »wert« sind.

Gegen Ende meines Diplom- und während des Doktoratstudiums Anfang bis Mitte der 2000er Jahre arbeitete ich als freie Mitarbeiterin an außeruniversitären Institutionen zu sehr unterschiedlichen Themen der Geschlechterforschung. In dieser Zeit begannen sich die Anforderungen an Sozialwissenschaftler_innen für mich merkbar zu verändern: Grundlagenforschung, die durch Projektgelder fi- nanziert wird, schien nicht nur wichtiger zu werden, sondern eigentlich die ein- zige Möglichkeit für Nachwuchswissenschaftler_innen, weiter wissenschaftlich tätig zu sein, da es feste Stellen nicht mehr gab.2 Mit der Kettenvertragsregelung bzw. deren Auslegung durch die meisten österreichischen Universitäten war es sogar dezidiert unmöglich geworden, an einer Universität länger als sechs Jahre angestellt zu sein – selbst wenn Projektgelder vorhanden gewesen wären oder das Institut Interesse gehabt hätte, die betreffende Person als Assistent_in weiter zu beschäftigen. Diese Situation erhöhte den Druck für alle meine Bekannten und für mich. Viele beschlossen, andere Berufsoptionen zu ergreifen, die mehr soziale Sicherheit und Planbarkeit ermöglichten. Ich ging nach einer Anstellung an der Universität wieder an eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung und dann an eine Universität im Ausland. So war ich zwar der Kettenvertragsrege- lung zuvorgekommen, aber ich verlor zunächst die Kontakte zu meiner Hei- matuniversität (die ich derzeit mit einem Stipendium wieder knüpfen kann) und wechselte mit jedem neuen Projekt meinen Forschungsschwerpunkt.

Die Arbeitsbedingungen veränderten sich zum einen durch die chronische Unterfinanzierung der Institute und die Streichung kleinerer Fördertöpfe – z. B.

für Konferenzreisen, wissenschaftliche Zeitschriften, Buchpublikationen etc. –, die besonders die Geistes- und Sozialwissenschaften mit ihren vielen »externen«

Wissenschaftler_innen trafen.3 Zum anderen wandelten sich die Arbeitsanfor-

2 Anmerkung der Herausgeber_innen: Mit den radikalen Reformen Anfang der 2000er Jahre wurden in Österreich sämtliche Möglichkeiten auf ein entfristetes Anstellungsverhältnis abseits der Professuren abgeschafft, erst seit 2009 gibt es mit so genannten Lauf bahnstellen wieder eine Personalkategorie unterhalb der Professur mit Aussicht auf Entfristung.

3 Anmerkung der Herausgeber_innen: In Österreich wird ein großer Teil der universitären Lehre von sogenannten externen Lektor_innen erbracht, die freiberuf lich tätig sind. Für das externe Lehrpersonal gibt es jedoch keine eigene Budgetkategorie, die Lehraufträge werden vielmehr aus dem Posten ›Sachmittel und Lehre‹ finanziert. Sparauf lagen und Bud- getkürzungen im Bereich der ›Sachmittel‹ treffen somit auch das externe Lehrpersonal.

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derungen und Tätigkeitsfelder und damit das wissenschaftliche Arbeiten selbst:

durch den steigenden Druck, Drittmittel zu akquirieren, in internationalen, peer-reviewed und in Datenbanken möglichst gut gelisteten Zeitschriften zu publizieren, mit renommierten Forschungsinstitutionen im Ausland vernetzt zu sein und ganz generell »exzellent« zu forschen.

Beate Krais: Ich möchte zunächst darauf hinweisen, dass ich aus einer ganz an- deren persönlichen Situation heraus auf die Frage reagiere als Veronika Wöhrer:

Ich bin seit 2009 im Ruhestand und habe seitdem nur noch gelegentlich als Gutachterin oder als Hochschulrätin Aufgaben übernommen, die man im en- geren Sinne als zur Wissenschaft gehörig betrachten kann. D. h. ich blicke heute von außen auf das, was an den Hochschulen vorgeht, und ich blicke darauf aus einer Lebenssituation des Alters und am Ende einer zumindest nach formalen Kriterien »erfolgreichen« beruflichen Lauf bahn. Ich hatte das Ziel einer akade- mischen Karriere, die Professur, erreicht, und im Rückblick würde ich sagen, dass ich als Professorin das machen konnte, was ich in meinem Fach Soziologie, an meiner Universität, als akademische Lehrerin und Mentorin und als enga- gierte Wissenschaftlerin für sinnvoll hielt. Ich habe also allen Grund, freundlich gestimmt auf diese Institution zu blicken.

Aber nicht nur diese Lebenssituation unterscheidet mich von Veronika Wöh- rer. Diese Situation bedeutet auch, dass ich zu einer ganz anderen Zeit studiert und die Unwägbarkeiten einer Position als »wissenschaftlicher Nachwuchs« er- fahren habe als sie: Ich habe in den 1960er Jahren an der Freien Universität Ber- lin Soziologie studiert, also in den Hoch-Zeiten der Studentenbewegung, und ich habe von 1970 – 1975 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für So- ziologie der FU und danach am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin gearbeitet – in einer Vielzahl unterschiedlich befristeter und mit unter- schiedlichem Arbeitsumfang versehenen Zeitverträgen. Wegen dieser Ketten- verträge bin ich schließlich vor Gericht gezogen, was in den 1980er Jahren nicht ganz aussichtslos war. Meiner Klage auf ein unbefristetes Beschäftigungsverhält- nis am Max-Planck-Institut wurde stattgegeben – aber gut angesehen war man mit so einer Klage nicht.

Ich war oft in Sorge darüber, was wohl aus mir werden würde, ob ich in der Wissenschaft weiter arbeiten könnte; ich war auch oft mutlos. Ich habe aber die Jahre der Studentenbewegung und die davon geprägten frühen 1970er Jahre als eine Zeit des Auf bruchs, der Umwälzung einer verknöcherten Gesellschaft und einer verschlafenen Universität erfahren, als eine Zeit, in der man – ich, wir – etwas verändern konnte. Die oft schwierige Zeit als Mitarbeiterin am Max- Planck-Institut war schließlich zugleich eine Zeit anregender wissenschaftlicher Diskussionen, eine Zeit, in der ich mich mit einer Soziologie vertraut machen konnte, bei der es bei mir richtig »gefunkt« hatte, eine Art, Soziologie zu ma- chen, wie ich sie vorher nie erfahren hatte: die Soziologie Pierre Bourdieus.

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Das war damals nicht einfach; als Verfechterin dieser unorthodoxen, auch noch theoretisch anspruchsvollen Soziologie aus Frankreich wurde man auf den Ta- gungen der soziologischen Community regelmäßig verbal verdroschen.

Dimensionen des Wandels

Beate Krais: Wenn ich mir nun überlege, was ich zu der uns gestellten Frage beisteuern könnte, fällt mir als Erstes auf, was ich sehr vermisse: eine gute, so- ziologisch informierte Darstellung der Geschichte der deutschen Universität in den letzten hundert Jahren, die für eine vernünftige Diskussion dessen notwen- dig wäre, was wir jetzt unter dem Stichwort »unternehmerische Hochschule«

erleben und was im Kontext eines langfristigen Veränderungsprozesses der deutschen Universität zu sehen ist. Eine solche »Geschichte« wäre nötig, um überhaupt sinnvoll über Veränderungen in einer Vorher-Nachher-Perspektive argumentieren zu können. Da wir über eine solche Geschichte nicht verfügen, will ich nur grob auf einige Dimensionen des institutionellen Wandels verwei- sen. Und obwohl ich meine, dass es zahlreiche Ähnlichkeiten zur Struktur und Entwicklung der Hochschulen in Österreich und der Schweiz gibt, beschränke ich mich dabei ausdrücklich auf die Hochschulen in Deutschland:

• Was vor hundert Jahren noch ganz gut im Singular als »die deutsche Univer- sität« bezeichnet werden konnte, ist mittlerweile zu einer differenzierten Hoch- schul-Landschaft geworden, die Fachhochschulen, Integrierte Hochschulen, Universitäten und neben staatlichen Hochschulen auch einige private Hoch- schulen und verwaltungsinterne Hochschulen wie z. B. die Hochschule der Bundesagentur für Arbeit umfasst.

• Eine weitere Linie der Differenzierung ist im Laufe des letzten Jahrzehnts mit der Herausbildung eines mit dem Prädikat »Elite« versehenen Universitäts- Segments eingezogen worden; diese Differenzierung ist neu in der deutschen Hochschul-Landschaft, und sie macht sich mittlerweile auch in einer deut- lichen sozialen Selektion der Studierenden zwischen den sog. »Elite«- und den übrigen Universitäten bemerkbar (vgl. Hartmann 2010).

• Dazu kommt ein stark erweiterter Sektor außer-universitärer Forschungsinstitute, die allerdings vielfältig verflochten sind mit den Universitäten (Stichworte wären: die Institutsleiter sind meist zugleich Professoren an einer Universität;

die Qualifikationsarbeiten des wissenschaftlichen Nachwuchses bedürfen der Legitimierung durch die üblichen Verfahren der Universität)

• Es hat eine enorme quantitative Expansion sowohl der Studierenden- und Ab- solventenzahlen als auch des wissenschaftlichen Personals gegeben.

• Unter dem Stichwort »Autonomie« sind den Hochschulen z. T. weitreichende Entscheidungsbefugnisse in Dingen übertragen worden, die zuvor in der Kompetenz des Staates, d. h. der für die staatlichen Hochschulen zuständi-

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gen Landesregierungen, lagen: Dies gilt etwa für das Berufungsrecht, das in vielen Ländern mittlerweile den Universitäten zugestanden wurde, und für Finanz-Angelegenheiten.

Akademische Karriere, akademisches Leben

Veronika Wöhrer: Diese Veränderungen haben meines Erachtens Auswir- kungen auf zwei Ebenen: auf der Ebene der Karriereplanung und Arbeitsplatz- sicherheit und auf der Ebene der Wissensproduktion. Auf der ersten Ebene be- stehen für Nachwuchswissenschaftler_innen eine Menge Unklarheiten. Wurde mir z. B. an der einen Universität gesagt, eigentlich sei ein Buch die zwingende, weil besser angesehene Form der Habilitation, so vertraten Professor_innen an einem anderen Institut die These, eine Sammelhabilitation sei wohl das zeit- gemäßere Format. Während für eine solche Sammelhabilitation an einer Uni- versität vier peer-reviewed Zeitschriftenartikel reichen, von denen zwei im Social Science Citation Index (SSCI) gereiht sein sollen, sind es an einer anderen acht Artikel, von denen vier gereiht sein sollen. Die Anforderungen an eine Disser- tation oder eine Habilitation waren wohl nie gleich, es kommt aber derzeit eine Fülle möglicher Formate hinzu.

Auch wenn man eine Professur erlangen möchte – die als einziges unbefriste- tes Dienstverhältnis auch von vielen angestrebt wird, die eigentlich »nur« gerne weiter forschen möchten, ohne zugleich die Verantwortung und den Lehrum- fang einer Professur übernehmen zu müssen – ist unklar, ob es nun die Summe an eingeworbenen Drittmitteln, die Anzahl der Artikel in renommierten Fach- zeitschriften, die Zahl an absolvierten Universitätsstellen oder die persönlichen Netzwerke sind, auf deren »Produktion« wir uns konzentrieren soll(t)en. Meine bereits früh getroffene Entscheidung, im Bereich der Gender Studies zu for- schen und zu lehren, stellte sich nicht unbedingt als karrierefördernd heraus.

Mir wurde immer wieder geraten, mich nicht mit dieser Spezialisierung zu ha- bilitieren und / oder mich nicht auf Stellen in diesem Bereich zu bewerben, da sie schlecht ausgestattet und oft mit zusätzlichen Aufgaben (z. B. Frauenförde- rung, Gleichstellung) verbunden seien.

So schwierig diese Unsicherheiten zu bewältigen sind, viele davon sind nicht neu oder anders. Zugenommen hat vermutlich die Internationalität, die Härte der Konkurrenz und die Höhe der Anforderungen an eine_n post-doc Wissen- schaftler_in.

Es besteht zudem nach wie vor ein großer Druck, einem wissenschaftlichen

»Ideal-Lebenslauf« zu entsprechen, der an einer Lebensform ausgerichtet ist, in der der / die Wissenschaftler_in frei von Reproduktionsarbeit, flexibel und jederzeit einsatzbereit für die Wissenschaft ist. Viele Kolleg_innen, vor allem Frauen, wissen nicht, wie sie diese Anforderungen mit ihrem Wunsch nach

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einem erfüllten Privatleben vereinbaren sollen und verzichten entweder auf die Realisierung dieses Wunsches oder auf die Wissenschaft. In meinem persön- lichen Bekanntenkreis haben nur wenige versucht, beides zu vereinbaren. Eine meiner Bekannten hat ihr »Scheitern« daran zu einem Artikel verarbeitet (Vit- torelli 2016).

Akademische Arbeit: die Produktion von Wissen

Veronika Wöhrer: Ich denke, dass das, was manche eine »Professionalisierung«

in den Sozialwissenschaften nennen, d. h. die stärkere Hinwendung zu einem wissenschaftlichen statt zu einem öffentlichen Publikum, die internationale Ori- entierung in Fachpublikationen, vor allem das Erfüllen von »Leistungsbilanzen«

der Hochschulleitungen und Förderinstitutionen, spürbare Veränderungen in der Produktion des wissenschaftlichen Wissens erzeugt. Diese Veränderungen haben meines Erachtens auch schwerwiegende Nachteile. Über einige Aspekte wurde bereits geschrieben: So werden immer kleinere Erkenntniseinheiten zu Artikeln verarbeitet, damit mehr Publikationen produziert werden können (vgl.

Blawat 2012). Es wurde auch gezeigt, dass Ausschreibungen und Förderschwer- punkte die Anzahl und Art von Forschungsprojekten beeinflussen (vgl. Laudel 2006). Was ich als durchweg problematisch einschätze, ist die Verringerung der Publikationsforen, die als »wichtig« gelten. Die Konzentration auf internationale, wissenschaftliche Zeitschriften hat zur Folge, dass nicht-wissenschaftliche Me- dien, die aber von vielen Menschen gelesen werden, als Publikationsforen nicht mehr in Betracht gezogen werden. Dabei wäre es meines Erachtens nicht nur für die Genderforschung, sondern auch für die Geistes- und Sozialwissenschaften insgesamt wichtig, nicht nur Fachkolleg_innen, sondern auch Politiker_innen, lokale Communities etc. zu erreichen. Der Anachronismus darin ist augenfällig:

Während im englischen Sprachraum Michael Burawoy (2005; 2007; 2015) mit seinem Plädoyer für die Public Sociology eine Abkehr von der Konzentration auf ein rein wissenschaftliches Publikum fordert, wird genau diese Konzentration im deutschen Sprachraum verstärkt – obwohl viele Sozialwissenschaftler_innen sie gar nicht als erstrebenswert erachten (vgl. Felt et al. 2008).

Das hohe Ansehen internationaler Ratings und Rankings von Zeitschriften führt dazu, dass viele Wissenschaftler_innen in einigen wenigen Zeitschriften publizieren wollen bzw. meinen, dies zu tun zu müssen. Dies erzeugt wiede- rum starke Hierarchien innerhalb der Fachzeitschriften und in letzter Konse- quenz ein Streamlining von Darstellungsformen und Inhalten. Die gut gereihten Zeitschriften stammen zu einem hohen Prozentsatz aus den USA und Großbri- tannien. Deutsch- oder französischsprachige Zeitschriften sind in den Daten- banken immerhin noch vorhanden, solche aus Ländern des Südens oder Ostens kommen de facto nicht vor. Dementsprechend sind auch Theorieansätze und

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Forschungskontexte aus diesen Regionen stark unterrepräsentiert. Das trägt zu einer Angleichung von Forschungen bei. Meines Erachtens wäre es wichtig, al- ternative Denktraditionen und Darstellungsformen, Mehrsprachigkeit, andere Metaphern oder Argumentationsmuster zuzulassen, um international sinnvoll und gleichberechtigt kommunizieren zu können. Derzeit geht die Tendenz aber genau in die andere Richtung. Die großen Verlage wollen ihre Gewinne ma- ximieren und auf großen akademischen Märkten gut verkaufen – das sind vor allem die USA und andere englischsprachige akademische Systeme. Dement- sprechend wird oft verlangt, dass Literaturlisten vorwiegend aus englischspra- chigen Werken bestehen sollen.

Auch in den Gender Studies wird die an sich gewünschte Heterogenität nicht erreicht. Die meisten Publikationen beziehen sich auf eine sehr kleine Gruppe von »Pionier_innen« und »Klassiker_innen«, die immer wieder zitiert werden und die mehrheitlich an Universitäten in den USA, Großbritannien, Frankreich und Deutschland verankert waren und sind. Während Vielschichtigkeit, Viel- stimmigkeit und Komplexität in der feministischen Wissensproduktion gefragt sind, erzeugen die gegenwärtigen, neoliberal ausgerichteten Veränderungen in der Hochschul- und Forschungslandschaft mehr Gleichförmigkeit und Ein- sprachigkeit. Ich denke, dass dieser Widerspruch eine der großen Herausforde- rungen ist, für die wir Umgangsformen und Strategien entwickeln müssen.

Beate Krais: Veronika Wöhrer weist darauf hin, dass Hand in Hand mit dem institutionellen Wandel auch die wissenschaftliche Arbeit selbst, die Kriterien für »gute Wissenschaft« und damit die Kriterien für die Beurteilung der wis- senschaftlichen Leistung einer Wissenschaftlerin, eines Wissenschaftlers, einen tiefgreifenden Wandel erfahren haben, der sich in den Sozial- und Geistes- wissenschaften in sehr problematischer Weise spürbar macht: Wenn es um die Bewertung der wissenschaftlichen Leistung geht, sei es bei der Besetzung von Professuren, sei es bei der Zuteilung von Finanzmitteln und Mitarbeiterstellen, ersetzen mittlerweile die quantifizierbaren und von der wissenschaftlichen Leis- tung im eigentlichen Sinn ablösbaren »Sekundär«-Kriterien (wie die Höhe der eingeworbenen Drittmittel, die Zahl der Aufsätze in bestimmten Zeitschriften etc.) die Frage nach dem Verstehen des Sozialen, nach der präzisen Erfassung bestimmter sozialer Tatbestände, nach dem neuen Blick auf ein soziales Phä- nomen, nach der Erweiterung unseres Verständnisses der Welt – alles Krite- rien, die üblicherweise bei der Beurteilung einer wissenschaftlichen Publikation eine Rolle spielen, oder auch die Frage nach guter Lehre. Diese Entwicklung ist hoch problematisch, und sie löst nicht einmal das Problem, das sie lösen soll, nämlich die »Objektivierung« der Beurteilung wissenschaftlicher Leistungen:

Wie etwa am Jonglieren mit diesen Kriterien in den Berufungskommissionen deutlich wird, können die vorgeblich »hieb- und stichfesten«, quantifizierbaren Kriterien beliebig erweitert, differenziert und ausgetauscht werden. Lediglich

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die Unsicherheiten bei den Nachwuchs-Wissenschaftler_innen werden vergrö- ßert. Ich sehe aber im Übrigen in der Soziologie, zumindest in der fachinternen Debatte, auch eine gegenläufige Entwicklung, indem »interessante«, »weiterfüh- rende« Ansätze und Analysen wieder ein größeres Gewicht erhalten.

Was der institutionelle Wandel, den ich hier nur in Stichworten benannt habe, für das Funktionieren von Forschung und Lehre bedeutet, darüber wis- sen wir nur wenig. Wie sieht mittlerweile die akademische Lehre aus? Wer lehrt überhaupt, in welchen Fächern setzen sich Professor_innen mit den Stu- dierenden auseinander, in welchen Lern-Kontexten? Werden in den Instituten die eigenen Forschungsergebnisse diskutiert; wenn ja, mit wem? Wer fragt wen um Rat? Wie wird Kontinuität in Forschungsthemen einer Hochschule, eines Fachgebiets hergestellt? Wie und über welche Personalkategorien erneuert sich ein Fachgebiet, ein Institut; wie sieht das im internationalen Vergleich aus?

Kurzum, der Fragen sind viele, aber es ist schwer, sie zu beantworten. Die dis- parate, im Wesentlichen von den eher kurzfristig konzipierten Aufträgen aus der Politik angetriebene Hochschulforschung hierzulande hilft dabei auch nicht weiter, obwohl dort zweifellos einiges Material zur Verfügung stünde, um eine soziologisch informierte »Geschichte der deutschen Universität« zu erarbeiten.

Ich will im Folgenden auf zwei Dimensionen des institutionellen Wandels näher eingehen, der vor allem im letzten Jahrzehnt auch die innere Funktions- weise der Universitäten in Lehre und Forschung sehr stark verändert hat – ich verweise hier insbesondere auf die Untersuchungen von Richard Münch (2011) zum »akademischen Kapitalismus«. Zum einen will ich das Thema von Vero- nika Wöhrer aufgreifen, die problematische Situation der Nachwuchs-Wissen- schaftlerin und des Nachwuchs-Wissenschaftlers, zum andern will ich wenig- stens kurz auf die Frage der Autonomie der Hochschulen eingehen.

Der »wilde Hasard« der Universitätslaufbahn

Beate Krais: Veronika Wöhrer nennt zum einen die Schwierigkeit der »Kar- riereplanung«, wobei man von einer »Planung« eben gerade nicht sprechen kann, zum andern aber weist sie darauf hin, dass mit dieser Situation auch große Unsicherheiten über die Art der geforderten wissenschaftlichen Leistungen ver- bunden sind, wenn man in der Welt der Wissenschaft bleiben und seinen Le- bensunterhalt durch wissenschaftliche Arbeit sichern will. Dass diese Art der Unsicherheit ein wesentliches Element der problematischen Situation des wis- senschaftlichen Nachwuchses ausmacht, wird selten erwähnt, vielleicht ist es auch charakteristisch für ein Fach wie die Soziologie oder die Kulturwissen- schaften insgesamt, aber ich denke, dass es wichtig ist, auch diese Komponente der fundamentalen Unsicherheit der akademischen »Karriere« zu berücksichti- gen.

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Die grundsätzliche Unsicherheit der akademischen »Karriere« allerdings ist nicht neu; bemerkenswert ist vielmehr, dass sie sich so unbeschadet über alle poli- tischen und gesellschaftlichen Veränderungen in unserem Land, unbeschadet auch des tiefgreifenden Wandels der deutschen Universität über mehr als hun- dert Jahre erhalten hat. Man muss sie als ein Strukturprinzip der deutschen Univer- sität bezeichnen. Schon Max Weber verwies auf die fundamentale Unsicherheit der akademischen Karriere; in einem Vortrag von 1919 sprach er vom »wil- den Hasard« der Universitätslauf bahn (Weber 1985, 588). Damals gab es den

»wissenschaftlichen Nachwuchs« in unserem heutigen Verständnis nicht. Die

»Nachwuchs«-Position existierte lediglich in Gestalt des Privatdozenten, einem Personenkreis, dessen Tätigkeit an der Universität über die Kolleg-Gelder ent- lohnt wurde, die die Studierenden für ihre Lehrveranstaltungen bei den jewei- ligen Privatdozenten aufzubringen hatten. So waren die Privatdozenten zur Siche rung ihres Lebensunterhalts auf ein elterliches oder angeheiratetes Vermö- gen angewiesen. Ganz neu und noch in geringer Zahl fanden sich darüber hi- naus seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in den experimentellen Bereichen der Naturwissenschaften und in den Ingenieurwissenschaften auch »Assistenten«, bei denen noch keineswegs klar war, dass sie einmal die enorm vergrößerte Gruppe des »wissenschaftlichen Nachwuchses« bilden würden. Und bis in die Weimarer Republik hinein waren Professoren ebenso wie Privatdozenten ausschließlich in der männlichen Variante vorgesehen, obgleich Frauen bereits vereinzelt in den Instituten wie auch an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten auftauchten.

Der »wilde Hasard« der akademischen Karriere ist jedoch nicht nur ein Phäno- men, das die subjektive Perspektive der auf eine ordentliche Anstellung hoffenden Nachwuchs-Wissenschaftler – und mittlerweile auch Nachwuchs-Wissenschaft- lerinnen – beschreibt. Auch in der Perspektive der Institution, der Universität, ist der Zufall »ein der Universitätslauf bahn eigenes Moment«, und ich will an die- ser Stelle Max Weber ausführlich zitieren:

Gewiß: nicht nur der Zufall herrscht, aber er herrscht doch in ungewöhnlich hohem Grade. Ich kenne kaum eine Laufbahn auf Erden, wo er eine solche Rolle spielt. Ich darf das um so mehr sagen, als ich persönlich es einigen absoluten Zufälligkeiten zu verdanken habe, daß ich seinerzeit in sehr jungen Jahren in eine ordentliche Professur eines Fachs berufen wurde, in welchem damals Altersgenossen unzweifelhaft mehr als ich geleistet hatten.

Und Weber führt weiter aus: Daß nun der Hasard und nicht die Tüchtigkeit als solche eine so große Rolle spielt, liegt nicht allein und nicht einmal vorzugsweise an den Menschlichkeiten, die natürlich bei dieser Auslese ganz ebenso vorkommen wie bei jeder anderen. (…) Sondern das liegt an den Gesetzen menschlichen Zusam- menwirkens« (Weber 1985, 585).

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Was man unter diesen »Gesetzen menschlichen Zusammenwirkens« verstehen könnte, lässt Max Weber allerdings offen. Wichtig scheint mir an dieser Stelle, dass auch aus der Perspektive der Institution das Ergebnis der ja immer sehr auf- wendigen, langwierigen, konfliktträchtigen Verfahren der Besetzung einer Pro- fessur ein zufälliges ist: Man hätte, betrachtet man den Pool an qualifizierten Kandidaten und Kandidatinnen, genauso gut würfeln können. Und vielleicht kann man sagen, gerade weil man Professuren, vom Ergebnis her gesehen, auch durch Würfeln oder durch die Lottofee besetzen könnte, sind die Verfahren so aufwendig: Irgendeine Art der Legitimation, und sei es eine Schein-Legitima- tion, muss her.

Nun haben die Entwicklungen der Hochschul-Landschaft in den letzten hundert und insbesondere in den letzten zwanzig Jahren die Universität auch in ihrem Inneren nicht unberührt gelassen, auch nicht in dem Punkt, der hier vor allem interessiert, nämlich bei der Personalstruktur: Es gibt mittlerweile eine starke Differenzierung beim wissenschaftlichen Personal – allerdings ausschließ- lich unterhalb der Professur. Das zentrale Element der Differenzierung ist der zeit- liche Umfang und die Dauer der Befristung der Stelle. Es gibt halbe Stellen, Viertel-Stellen, Zwei-Drittel-Stellen, es gibt Stellen für ein halbes Jahr, für ein Jahr, für zwei Jahre usw., es gibt schließlich Stipendien, die nicht einmal den üblichen, mittlerweile sehr schwachen arbeitsrechtlichen Regelungen unterlie- gen, es gibt Stellen mit einem hohen Lehrdeputat, die explizit keine Zeitanteile für wissenschaftliche Qualifizierung vorsehen, es gibt Stellen ohne Lehrver- pflichtung usw. – es gibt eigentlich alles, was man sich gerade vorstellen kann.

Aber es gibt extrem wenige Professuren, und auf der Ebene der Professuren ist die (personal- und korporationsrechtliche) Differenzierung nach wie vor sehr wenig ausgeprägt. Und so gibt es heute in Deutschland eine im internationalen Vergleich völlig einzigartige, geradezu exotisch zu nennende Personalstruktur, wie an der folgenden Graphik zu sehen ist (vgl. dazu ausführlich Kreckel 2008).

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Quelle: Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013 (82).

Bemerkenswert ist nicht nur das in Deutschland extrem unausgewogene quantitative Verhältnis von Professoren und Angehörigen des wissenschaftlichen Nachwuchses. Wie eine Art »ehernes Gesetz« der deutschen Universität ist auch die eigentümliche Struktur der akademischen »Karriere« über alle politischen Verwerfungen der letzten hundert Jahre hinweg erhalten geblieben: Der Weg in die Professur ist nicht als »Lauf bahn« zu beschreiben, die Erstberufung ist vielmehr als Sprung aus einer Position der Abhängigkeit in einen Kreis der

»Auserwählten« zu sehen, die über die Aufnahme in ihren Kreis entscheiden.

Bis heute wird man Professor / in in Deutschland nicht etwa im Verlaufe einer nach dem »System rationaler Regeln« der bürokratischen Struktur gestalteten Karriere; es kommt vielmehr in erster Linie darauf an, dass die

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bereits Etablierten die Einlass begehrende Person aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs als Gleiche anerkennen, dass sie jemanden für »professorabel«

halten, wie es einmal ein Professor zu mir sagte, als ich mich auf den Weg zur Professur begab. Und dieser Akt der Anerkennung der jungen Frau, des jungen Mannes aus der Menge derer, die als »wissenschaftlicher Nachwuchs«

firmieren, die bislang die Zuarbeit, um nicht zu sagen »die Kärrnerarbeit«, der Forschung und mittlerweile auch der Lehre gemacht haben, ist eher als eine Art magischer Akt zu werten denn als ein vernünftig begründendes Verfahren, das die Bewährung der Kandidatin / des Kandidaten in der wissenschaftlichen Arbeit in nachvollziehbarer Weise feststellt. Max Weber erfasst, was ich hier als »magischen Akt« bei der Erstberufung bezeichnet habe, treffend in seinen Ausführungen zur charismatischen Struktur:

Im Gegensatz gegen jede Art bürokratischer Amtsorganisation kennt die charisma- tische Struktur weder eine Form oder ein geordnetes Verfahren der Anstellung oder Absetzung, noch der ›Karriere‹ oder des ›Avancements‹ […] Erkennen diejenigen, an die er [das ist hier das um Aufnahme in den Kreis der Etablierten sich bemü- hende Individuum – B. K.] sich gesandt fühlt, seine Sendung nicht an, so bricht sein Anspruch zusammen (Weber 1964, 832).

Vielleicht ist ja, was Max Weber hier als »charismatische Struktur« (vgl. dazu auch Schmeiser 1994) beschreibt, eines der »Gesetze menschlichen Zusammen- wirkens«, auf die er in seinen Ausführungen zur akademischen Karriere ver- weist?

Autonomie der Hochschulen und Demokratie?

Beate Krais: Ich hatte gesagt, die problematische Konstruktion der akade- mischen »Karriere«– die eben keine Karriere in dem Sinne ist, dass sie die wis- senschaftlichen Leistungen und die Bewährung des Kandidaten / der Kandidatin in der Arbeit an einer Hochschule in einer nachvollziehbaren Weise in Bezie- hung zu den Stufen auf einer Karriere-Leiter setzt – sei nicht neu, sondern ein Strukturprinzip der modernen deutschen Universität. Das Problem der akade- mischen Karriere zieht sich wie ein roter Faden durch alle Phasen der Hoch- schul-Reform und des Auf begehrens der jeweiligen Generation von Nach- wuchs-Wissenschaftler / innen. Es war auch nach dem Zweiten Weltkrieg ein zentrales Problem aller Denkschriften und Diskussionsbeiträge zur Hochschul- reform, die sich damals mit der Situation der Universitäten auseinander setzten.

Wichtig erscheint mir, dass die Bemühungen um eine Hochschulreform, die nach dem Zweiten Weltkrieg noch unter den Besatzungsmächten einsetzten, bis weit in die 1970er Jahre unter einer ganz anderen Leitidee standen als heute: Es

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ging um die »Hochschule in der Demokratie«.4 Ich denke, es ist einsichtig, dass dies nach den Jahren des Nationalsozialismus ein zentraler Leitgedanke für alle Überlegungen zu einer Reform der Universität war; und es ist nachvollzieh- bar, dass diese Überlegungen für die Wirklichkeit der westdeutschen Universi- täten lange Zeit völlig irrelevant blieben. Erst die Studentenbewegung brachte etwas Bewegung in die Institution Universität – von heute aus gesehen kann man sagen, dass sie dem Leitgedanken, dass auch die Universität Teil einer de- mokratischen Gesellschaft sei und sich daher auch in ihrer inneren Gestalt und in ihrem Selbstverständnis als »Hochschule in der Demokratie« zu entwickeln habe, gesellschaftliche Akzeptanz und eine gewisse politische Durchschlagskraft verlieh. Mit der gesellschaftlichen Diskreditierung der Studentenbewegung im weiteren Verlauf der Entwicklung trat allerdings auch die Forderung nach

»mehr Demokratie« in und mit der Hochschule wieder in den Hintergrund.

Man kann aber festhalten, dass dieser – im Vergleich zu heute ganz andere – ge- sellschaftliche Kontext zur Folge hatte, dass es ernsthafte Reformbemühungen in Richtung einer »Modernisierung« der Personalstruktur gab: So wurde u. a.

eine neue Personalkategorie eingeführt, die »Assistenzprofessur«. Diese Katego- rie des wissenschaftlichen Personals sollte, anders als die bis dahin zum wissen- schaftlichen Nachwuchs Zählenden oder das mit besonderen Aufgaben betraute wissenschaftliche Personal wie z. B. die Akademischen Räte, nicht gegenüber einem Professor weisungsgebunden sein. Es sieht jedoch ganz so aus als wäre dieser Schritt der deutschen Universität in die westliche Moderne, weg von der charismatischen Struktur der akademischen »Karriere«, irgendwie als fremdar- tiges Element im Machtgefüge der Institution Universität empfunden worden:

Die Kategorie »Assistenzprofessur« ist bald wieder verschwunden.

Die Entwicklungen hingegen, die mit den Stichworten »Autonomie« und

»unternehmerische Hochschule« bezeichnet werden, scheinen mit der herge- brachten Personalstruktur gut verträglich zu sein: Es gibt eine Vervielfältigung des akademischen Hilfspersonals, das zentrale Aufgaben in Lehre, Forschung und Organisation übernimmt, dabei jedoch formell unselbstständig und ohne geregelte Entwicklungsperspektive in der Institution bleibt. Die »Autonomie«, von der hier gesprochen werden könnte, ist eine Autonomie des einzelnen Pro- fessors, der einzelnen Professorin im Verhältnis zum »wissenschaftlichen Nach- wuchs« und dessen Beschäftigungsbedingungen. Veronika Wöhrer hat dies ein- dringlich dargestellt.

Ich will allerdings noch auf einen anderen Aspekt der neueren Entwicklung dessen eingehen, was unter dem Stichwort »unternehmerische Hochschule« dis- kutiert wird. Eine ziemlich grundsätzliche Frage ist für mich, inwieweit das, was als »Autonomie« der Hochschule bezeichnet wird, Demokratie verträglich

4 So der Titel einer Denkschrift des SDS von 1961 und ebenso einer bis heute lesenswerten Studie über die deutsche Universität (Nitsch u. a. 1965), deren Verfasser an der Abfassung der Denkschrift von 1961 beteiligt waren.

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gestaltet werden kann. Damit meine ich, dass jede Hochschule Teil einer Gesell- schaft ist, von der sie auch finanziert wird, und die Annahme ist, dass die Hoch- schule irgendwie zum Gedeihen und zur guten Entwicklung dieser Gesellschaft (und der Welt) beiträgt. Als staatliche Einrichtungen sind die Hochschulen bis- lang den (Landes-)Regierungen unterstellt gewesen, was keineswegs unproble- matisch war, wie die deutsche Geschichte zeigt. Und doch ist zu fragen, wie denn unter den Bedingungen der Autonomie so etwas wie die »Hochschule in der Demokratie« gelingen kann? Wie kann gewährleistet werden, dass diese Institution nicht Partikular-Interessen ausgeliefert wird oder sich völlig verselb- ständigt und in ihrer eigenen, abgeschotteten Welt existiert?

Eine andere Frage ist, wie weit diese Autonomie, die bislang vor allem unter dem Gesichtspunkt der Finanz-Autonomie gegenüber der zuständigen Regie- rung diskutiert wird, mittlerweile entwickelt ist. Nach meiner Kenntnis ist das, was als »Autonomie« der einzelnen Hochschule in ihrem Finanzgebaren be- zeichnet wird, bislang an den einzelnen Hochschulen sehr unterschiedlich reali- siert – sowohl was die Entwicklung eines funktionierenden Rechnungswesens, als auch, was die Transparenz des Geschehens an der Universität und die Ent- scheidungsstrukturen angeht. Im Grunde sollte die Autonomie der Hochschule in Finanzangelegenheiten der »demokratischen Hochschule«, d. h. der gemein- schaftlichen, transparenten und vernünftigen Entscheidungsfindung über ihre Belange förderlich sein – aber ich weiß nicht, wie die Realität aussieht.

Umgangsweisen mit den neuen Spielregeln

Veronika Wöhrer: Ich finde die Frage der Demokratisierung der Universitäten bzw. danach, was Universitäten für die Gesellschaft leisten sollen, ebenfalls sehr wichtig. Neben der inneren Verfasstheit der Hochschulen betrifft diese Frage auch unsere Tätigkeit als Wissenschaftler_innen. Wie produzieren und kommu- nizieren wir Wissen? Daher möchte ich abschließend Möglichkeiten aufzeigen, sich zu den neuen Spielregeln zu verhalten.

Ich denke, dass wir in Bezug auf manche davon durchaus kritisch und wi- derständig sein sollten. Gerade die angesprochene Fokussierung auf ein aus- schließlich wissenschaftliches Publikum oder die Tendenz zur Einsprachigkeit und Einförmigkeit von Theorien und Konzepten können wir selbst (mit) ver- ändern. Denkbar wäre, sich weniger um die in Leistungsbilanzen vorgegebenen Kategorien zu kümmern oder auch aktiv neue Rubriken darin einzufordern.

Damit meine ich zum Beispiel, dass Aktionsforschungsprojekte, Öffentlichkeits- arbeit oder politische Arbeit als wesentliche Punkte einer wissenschaftlichen Karriere berücksichtigt und honoriert werden, dass Vernetzungen mit lokalen Communities, mit nicht-wissenschaftlichen Organisationen oder solchen im glo- balen Süden oder Osten anerkannt werden, oder dass Publikationen in anderen

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Sprachräumen wie dem Englischen und dem Deutschen gezählt werden. Unter Anwendung solcher Kriterien könnten auch andere, dem akademischen Main- stream weniger verpflichtete Personen wissenschaftliche Stellen und Förderung für Projekte und Publikationen erhalten. Gleichzeitig müssten wir dieses Wissen verstärkt in unsere Lehre einbauen, denn nur so kann sich das Feld entwickeln und Pluralität lernen.

Literatur

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Studienausgabe, Tübingen.

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Referenzen

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