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Neujahrsrede 2015 Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz

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Neujahrsrede 2015

Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz 11. Januar 2015

- Es gilt das gesprochene Wort. -

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Sehr geehrte Damen und Herren,

ein Jahr ging zu Ende, ein neues Jahr liegt vor uns, in dem weiter gilt:

"Gießen muss sein“, „Ohne Gießen geht nichts“, „Gießen macht Spaß“ oder "Wenn´s blühen soll, Gießen!"

Auch drei Monate nach dem Ende der Landesgartenschau passen diese Überschriften und Sympathiebekundungen, die Ihnen bestimmt bekannt vorkommen und Karten zur Landesgartenschau betitelten, gut zu uns; zu uns - den Gießenerinnen und Gießenern.

Sie treffen mein und hoffentlich auch Ihr Lebensgefühl - auch nach der Landesgartenschau.

Denn auch nach der Landesgartenschau wird uns – neben dem Imagegewinn, neben der Chance, dass wir unseren vielen Gästen ein neues, ein selbstbewusstes Gießen zeigen konnten - vieles bleiben, was im Zuge der großen Veranstaltung geschaffen wurde:

Die Lahn ist erfahrbarer in unserer Stadt, der Christoph-Rübsamen-Steg verbindet unsere Stadtteile West und Nord, der neue Bahnhofsvorplatz, das Wohnen an der Lahn, neue Kinderspielplätze sind entstanden, unser Bürgerpark, die Wieseckaue mit dem Schwanenteich, ist neugestaltet und damit um Erholungs- und Aufenthaltsqualität erweitert worden. Wir können uns künftig näher an unseren Gewässern aufhalten, Spiel-, Freizeit- und Ruheplätze nutzen oder Sport treiben auf der Skaterbahn, dem Bolzplatz, Tennisplatz oder dem Sportplatz von Blau-Weiß.

Gießen, d.h. die Gießener BürgerInnen, haben sich als guteGastgeber erwiesen.

Dafür möchte ich Danke sagen. Danke an alle, die dazu beigetragen haben. Es waren viele.

Besonders hervorheben möchte ich heute aber eine Gruppe, die nie im Fokus, aber auch für den Erfolg und die Atmosphäre der Landesgartenschau, für das „Wohlfühlen“

der Gäste stand und steht:

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Die Gruppe „Wegerich“, benannt nach der Pflanze, die am Wegesrand, eben immer am Rand steht: Während der ganzen Landesgartenschau haben 21 Arbeitssuchende in dieser Gruppe - vom Team 50 plus des Jobcenters betreut - ältere sowie behinderte Gäste und Kinder beim Besuch der LGS begleitet. Sie haben Rollatoren, Bollerwagen, Rollstühle ausgeliehen, aber auch den Gang durch das weitläufige Gelände

unterstützt.

Sie haben dieses Projekt von A-Z eigenständig durchgeführt und sich und anderen damit bewiesen, dass sie etwas einbringen können für unsere Gesellschaft, wenn man ihnen die Chance dazu gibt. Eine Ausstellung und einen Dokumentarfilm über dieses außergewöhnliche Projekt haben wir im Rathaus gezeigt.

Ich wünschte mir sehr, dass solche Beispiele Schule machen und insbesondere ältere, von Arbeitslosigkeit betroffene Menschen erfahren dürfen, dass gerade ihre

Schaffenskraft und besondere Erfahrung sehr wohl gebraucht wird.

Gute Gastgeber sind die Gießenerinnen und Gießener aber nicht nur im Rahmen der Landesgartenschau gewesen.

Sie sind es dauerhaft, denn sie geben seit jeher vielen Menschen, die in Deutschland Zuflucht vor Krieg, Gewalt, Not und Hunger suchen, eine erste sichere neue Heimat. In der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung sind derzeit rund 3.800 Flüchtlinge

untergebracht.

Dazu hat unser Jugendamt etwa 400 unbegleitete, minderjährige Flüchtlinge in seiner Obhut; über 4.000 Menschen aus Krisengebieten dieser Erde.

Und hinter jedem einzelnen Menschen steht ein Schicksal; eine Flucht; ein Hoffen auf Überleben und ein besseres Leben:

Der Junge aus Afghanistan, dessen Vater von den Taliban entführt wurde und die Familie befürchtete, dass er der nächste wäre;

Die Familie aus dem Nahen Osten, die mit ihrem Neugeborenen nach Ägypten floh, dort aber keine Sicherheit fand und sich dann in die Hände von skrupellosen und immer skrupelloser werdenden Schleppern begab und als eine der wenigen Überlebenden in Lampedusa strandete.

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Einzelschicksale von insgesamt 56,7 Millionen Menschen, die laut UN- Flüchtlingshilfswerk auf der Flucht vor Krieg, Gewalt, Verfolgung und

Menschenrechtsverletzungen sind, die größte Zahl seit Ende des 2. Weltkriegs.

Wir tun viel dafür, dass Gießen für diese Menschen eine erste Anlaufstelle ist und sein kann, an der sie neben Sicherheit, auch Mitgefühl und Mitmenschlichkeit erfahren können.

Denn dies, da bin ich sicher, werden sie trotz - leider - zu langen Wartens auf die weiteren Schritte in die persönliche Freiheit und Zukunft sicher bemerken:

dass sich in unserer Stadt eine unendlich große Zahl professioneller, aber auch ehrenamtlicher HelferInnen bis an den Rand der eigenen Kräfte und manchmal darüber hinaus darum bemüht, für das Nötigste zu sorgen:

Seit Monaten kümmern sie sich um die Flüchtlinge; betreuen, klären den rechtlichen Status, versuchen stets offene Ohren für Sorgen und Nöte zu haben; Ehrenamtliche unterrichten Deutsch, sorgen für die Kinder, bringen zu Weihnachten Geschenke oder laden wie z.B. Pfarrer Leschhorn in die Petrusgemeinde zur Fußballweltmeisterschaft ein.

Und jeden Tag erreichen uns weitere Anfragen von Menschen, die helfen wollen – ein großartiges Engagement und Hilfsbereitschaft unserer Bevölkerung!

Bundespräsident Gauck sieht ein deutliches Zeichen der Menschlichkeit darin, dass es so viel Bereitschaft gebe, Flüchtlinge aufzunehmen und zu helfen:

„Dass wir mitfühlend reagieren auf die Not um uns herum, dass die Allermeisten von uns nicht denen folgen, die Deutschland abschotten wollen, das ist für mich eine wahrhaft ermutigende Erfahrung dieses Jahres.“, sagt er.

Für das vor uns liegende neue Jahr wünsche ich mir deshalb vor allem, dass es gelingen möge, den vielen Flüchtlingen, die angesichts der weiterhin bestehenden Brandherde in der Welt, nach Europa, auch zu uns nach Deutschland, auch weiter zu uns nach Gießen kommen werden, das Mitgefühl und die Hilfsbereitschaft unserer

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Bevölkerung spür- und erfahrbar zu machen und damit die lange und gute Tradition der Offenheit, Toleranz und Humanität Fremden gegenüber, die seit der

Nachkriegszeit in Gießen gelebt wird, fortzusetzen.

Als Grundlage dafür benötigen wir eine lebendige, lebenswerte, soziale, vielfältige und weltoffene Stadt, die für Menschen unterschiedlichster Herkunft und Voraussetzungen Heimat ist;

eine Stadt „nach Menschenmaß“, wie es der Präsident des Dt. Städtetags, Dr. Ulrich Maly ausdrückt;

eine Stadt, die die Daseinsvorsorge, das heißt das „Da-Sein “ für die Menschen sicherstellt;

eine Stadt, die in Bildung, Kultur, Sport und die soziale Infrastruktur investiert, um damit Lebensqualität zu sichern, soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen und allen Menschen die Chance auf Teilhabe an unserer Gesellschaft zu ermöglichen;

eine Stadt, die unterstützt und wertschätzt, die das Gemeinwesen stärkt.

Dabei denke ich besonders an die vielen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer in den sozialen Projekten, den Kirchengemeinden, den Sportvereinen, den

Rettungsdiensten und Feuerwehren, den kulturellen Initiativen. Ich denke auch an diejenigen, die - ohne einer Organisation anzugehören - für ihre Nachbarn sorgen und nicht wegschauen, wenn sie gebraucht werden. Ich denke an die, die in den vielen Verbänden, Vereinen und Initiativen, in den Agenda Gruppen aktiv sind, sich um Umwelt- und Naturschutz oder um nachhaltige Entwicklung kümmern oder an die, die für ihr Viertel, für ihren Stadtteil aktiv werden und ihr Umfeld mitgestalten oder für ein soziales Gemeinschafts-Leben sorgen wollen.

Ich will Ihnen dafür einige eindrucksvolle Beispiele aus dem vergangenen Jahr nennen:

- die Eröffnung des Hospizes Haus Samaria, das nur durch die ehrenamtliche Tätigkeit und viele Spenden ermöglicht wurde;

- die Eröffnung des Wiesecker Heimatmuseums und die Herrichtung des Saalbau Schepers durch die Interessengemeinschaft Wieseck und viele sehr engagierte Ehrenamtliche - dies nenne ich auch stellvertretend für viele Projekte in unseren

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Stadtteilen, die die Besonderheit und Einzigartigkeit dieser kleinen

Gemeinwesen betonen und die Stadtteil-Gemeinschaften zu kostbaren Perlen werden lassen;

- die Eröffnung des Bildungszentrums Nordstadt, das ohne das Engagement der Nordstadt-Bewohnerinnen und -Bewohner undenkbar wäre;

- der1. Freiwilligentag (organisiert von Freiwillig- sozial- aktiv), der gezeigt hat, wie viele Menschen sich für eine gute Sache engagieren wollen und dass es richtig und gut ist, Menschen die Möglichkeit zu geben, sich fernab von traditionellen Formen des Ehrenamtes für ihr Wunsch-Projekt einzusetzen;

- das 100jährige Jubiläum der Berufsfeuerwehr, das eindrucksvoll gezeigt hat, in welcher funktionierenden Partnerschaft freiwillige Feuerwehren und ihre

Kollegen im Hauptamt stehen und damit garantieren, dass wir uns sicher und geschützt fühlen können in unserer Stadt

- das glücklich begonnene Projekt der Planungsinsel Gummiinsel, einer Initiative der Wohnbau, die es sich zum Ziel gesetzt hat, mit den Bewohnerinnen und Bewohnern gemeinsam zum Erhalt und der sozialen Entwicklung des

Kulturdenkmals Gummiinsel zu kommen;

- das Engagement der Türkisch-Deutschen Gesundheitsstiftung, das gerade mit dem Titel „Unsere Moscheen in der Mitte unserer Stadt“ ausgezeichnet wurde und das dazu beiträgt, Moscheen nicht nur als Orte der Religionsausübung, sondern auch als wichtige soziale und kulturelle Treffpunkte für die

Gemeindemitglieder zu entwickeln;

- das 40jährige Jubiläum der Gemeinwesenarbeit am Eulenkopf, das als außergewöhnliches Gießener Pionier-Projekt gestartet ist, um das Leben in einem sozialen Brennpunkt zu verbessern und bis heute auch durch die

Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner Großartiges und Mustergültiges in Sozialer Arbeit leistet;

- und letztlich sind es auch die Bürgerinitiativen des Jahres 2014, die in einer besonderen Art Arbeit in unserem Gemeinwesen betreiben;

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Zusammenschlüsse, die sich vermeintlich nur gegen etwas richten; die sich aber im Kern meistens genauso für ein Ziel engagieren: für den Erhalt oder die Bewahrung ihres Umfeldes; für ihre Auffassung von Lebensqualität und damit letztlich auch für lokales Engagement und eine lebendige Demokratie, die uns immer wieder auch vor neue Herausforderungen stellen.

Es gibt noch viele weitere Aktivitäten, die ich leider nicht alle aufführen kann, die aber alle gesehen und gewertschätzt werden. Das ehrenamtliche Engagement trägt unser gesellschaftliches Leben in Gießen. Ich habe höchsten Respekt davor und möchte den vielen, vielen Engagierten ein herzliches Dankeschön sagen.

Kern-Aufgabe von uns Verantwortungsträgern in Politik und Verwaltung ist es, unsere Stadt zu stärken, zukunftsfähig zu machen und auch Nachteile oder gar Schaden von unserer Stadt abzuwenden.

Tatsächlich gab es 2014 für all das Beispiele:

Eine Debatte mit unserer Nachbarstadt Wetzlar hatte uns gleich zu Beginn des Jahres sehr beansprucht:

Sie ging nicht, wie ein „Gießen-Quiz“ vorschlug, um „Goethes Vergangenheit“, „ den Umzug der HSG Wetzlar“ oder die „Umleitung der Lahn“, sondern um die Ansiedlung eines schwedischen Möbelhauses (dies war natürlich auch eine Antwort-Alternative).

Aber: Spaß beiseite: Die Entscheidung der Stadt Wetzlar – leider geduldet vom Regierungspräsidenten - ohne Raumordnungsverfahren und Bauleitplanung und damit ohne Abstimmung mit der Stadt Gießen anzusiedeln, war nicht akzeptabel.

Wir haben in dieser Situation für unsere Interessen gekämpft.

Und wir haben unsere Interessen gewahrt: durch klare Regeln, durch einen

interkommunalen Vertrag mit unserer Nachbarstadt, der uns weiterhin ermöglicht, uns auf Augenhöhe und in Respekt zu begegnen; aber der auch sichert, dass unsere

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Innenstadt, unser Handel, dass wir als Einkaufsstadt Gießen nicht ins Hintertreffen geraten.

Die gerade entbrannte Debatte um den Verkauf der Gießener Wohnungen des Bauvereins Darmstadt, immerhin über 1000 in unserer Stadt, - ohne unsere Mitwirkungsmöglichkeit und Kenntnis - ist dagegen noch an keinem solchen Punkt gelandet.

Die Stadt Darmstadt hat - im Gegensatz zu unserem Nachbarn Wetzlar - offenbar wenig Verständnis für meine Grundüberzeugung, dass wir Städte untereinander anders miteinander umgehen sollten als konkurrierende Wirtschaftsbetriebe. Über diese Art der Politikgestaltung bin ich sehr befremdet.

Wir werden nun alles daran setzen, in Gesprächen mit dem künftigen Eigentümer die Position der Gießener Mieterinnen und Mieter zu klären, um Gießen als Ort des sozialen und bezahlbaren Wohnens zu erhalten und zu sichern.

Dafür, und das ist eines der wichtigsten Vorhaben der kommenden Jahre, haben wir gemeinsam mit der Wohnbau Gießen den Prozess begonnen, ein Konzept der sozialen Wohnraumversorgung mit allen dafür notwendigen Maßnahmen auf den Weg zu bringen.

Konträr war und ist auch die Debatte um verkaufsoffene Sonntage in unserer Stadt.

(Die unterschiedlichen Positionen sind dabei legitim und nachvollziehbar: Die der Gewerkschaften und Kirchen einerseits, die die Sonntagsruhe vertreten, die des Handels andererseits, der gegenüber den anderen mittelhessischen Städten nicht ins Hintertreffen geraten darf und dadurch eine Schwächung des Einzelhandelsstandorts Gießen befürchtet).

Und wenn die Debatte auch noch nicht am Ende ist, so sehe ich doch eine tragfähige Annäherung der Positionen.

Verhandeln und tragfähige Kompromisse finden, zahlt sich langfristig immer aus.

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Diese Einsicht möge sich bei allen Mitwirkenden und Partnern, besonders auch in den möglichen Interessenkollisionen zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Stadt durchsetzen!

Die Bürgerbeteiligungssatzung, die ich in den Geschäftsgang gebracht habe und die nunmehr öffentlich diskutiert wird, soll dazu beitragen.

Sie soll mehr Transparenz, mehr Beteiligung und damit breiter getragene Entscheidungen ermöglichen.

Ich hoffe sehr, dass wir durch diese neuen Rechte auch lernen, wie wir künftig besser miteinander umgehen; dass wir einander mehr respektieren, die Sichtweisen des anderen besser verstehen und uns weniger schlechte Motive unterstellen.

Denn das ist die Grundvoraussetzung im diplomatischen Umgang mit berechtigten Konflikten.

Ich verstehe, dass Bürgerinnen und Bürger zunehmend Angst vor der dynamischen Entwicklung, Wachstum, vor Verdichtung des Wohnraums haben, weil Wachstum natürlich auch bedeutet, dass mehr Menschen auf dem gleichen Raum zusammen leben und dies Konflikte produzieren kann.

Das ist übrigens in allen wachsenden Städten und Wachstumsregionen der Fall.

Aber wir müssen Bürgerinnen und Bürger auch erklären, dass Bürgerbeteiligung eine Ergänzung zur repräsentativen Demokratie bedeutet, d.h. nicht direkte Demokratie meint; und die Erhebung eines Einwands noch nicht bedeutet, dass diesem auch gefolgt wird.

Denn es ist und wird auch weiterhin die Aufgabe der Stadt und ihrer gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten sein, diese Interessen Einzelner, Betroffener gegen das Gesamtinteresse abzuwägen.

(Bürgerbeteiligung meint nicht, dass sich Beteiligte gegen Nicht-Beteiligte durchsetzen.

Wir wissen heute bereits, dass sich nicht alle Bürgerinnen und Bürger an

Sachdebatten beteiligen können und wollen - egal, wie sehr wir auch dafür werben.

Viele, und es waren in unserer Bürgerbefragung tatsächlich die Hälfte aller

repräsentativ Befragten, sind zufrieden, so wie es ist und/oder vertrauen schlicht auf

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unsere Entscheidungen. Auch sie gilt es nicht zu enttäuschen, auch sie gehören repräsentiert. )

Deshalb haben wir, meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere repräsentative Demokratie, die sich dennoch - auch davon bin ich überzeugt - nicht nur zu

Wahlzeiten der Beratung der Bürgerinnen und Bürger stellen sollte.

Wie in allen Konflikten, die es gibt und geben muss, gilt deshalb auch hier:

Vertrauen aufbauen, für Verständnis eintreten, respektvoll miteinander umgehen und - wenn keine Einigung in Sicht ist - auch Position beziehen und entscheiden.

Die Grundlage, um unsere lebenswerte, vielfältige und soziale Stadt zu erhalten und gestalten, ist eine solide finanzielle Basis und Ausstattung.

Der Schutzschirmvertrag stellt uns dabei täglich vor große Herausforderungen.

Bei 32 Mio. € Defizit sind wir 2013 gestartet und müssen nach Schutzschirmvertrag bis zum Jahr 2021 auf Null gekommen sein.

Dabei ist eines klar: Auch wenn wir aufgrund eigener Anstrengungen dabei sind, uns langsam aus dem Tal des finanziellen Engpasses herauszuarbeiten:

Der Schutzschirm - und das habe ich von Anbeginn an gesagt - löst unser strukturelles Problem, d.h. die Ursachen unseres Defizits, nicht.

Vielmehr brauchen wir Kommunen eine adäquate Ausstattung durch das Land.

Es geht hierbei um eine Ausstattung als Basis für unsere Demokratie.

Diese Basis ist zurzeit nicht gesichert und - wie die vorliegenden Berechnungen des neuen KFA zeigen - ist diese auch in Zukunft gefährdet.

Denn das Land kommt seinem Auftrag, den der Staatsgerichtshof ihm erteilt hat,

nämlich die Kommunen bedarfsgerecht auszustatten, auch mit dem neuen Kommunalen Finanzausgleich nicht nach. Einige Kommunen überlegen deshalb, erneut eine Klage gegen das Land Hessen anzustrengen.

Die Landesregierung hat in einem Kunstgriff die Bedarfe heruntergerechnet mit dem Ergebnis, dass eine strukturschwache Stadt wie Gießen nun auch noch zu den Verlierern dieser Reform gehören wird.

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Als Oberbürgermeisterin, als Stadtkämmerin und als Vizepräsidentin des Hessischen Städtetags werde ich, meine Damen und Herren, mit aller Kraft im Sinne Gießens, im Sinne der Städte verhandeln für eine andere Finanzpolitik in Hessen, die die

Kommunen und ihre Rolle für das Leben der Menschen berücksichtigt und dafür, dass die Stadt Gießen mit ihren oberzentralen Aufgaben, ihren besonderen sozialen Anforderungen und Aufgaben, die ich heute schon genannt habe, dafür endlich auskömmliche Finanzzuweisungen des Landes erhält.

Denn trotz Schutzschirm, trotz eigener Sparbemühungen und trotz erheblicher Lasten, die wir unseren Bürgerinnen und Bürgern auferlegen müssen, wird Gießen ohne eine gerechte Finanzpolitik des Landes nicht gesunden. Und das, meine Damen und Herren, ist keine „Litanei“.

Daseinsvorsorge, Investitionen in soziale Infrastruktur, Bildung, Kultur, Sport - alles das gehört zur Lebensgrundlage und Lebensqualität unserer Stadt, einer Stadt, in der wir gerne leben wollen. Und diese gilt es zu erhalten.

(Im Zusammenhang mit Sparmaßnahmen wird immer wieder von

"Generationengerechtigkeit" gesprochen. Ich antworte dazu mit Albert Schweitzer:

" Keine Zukunft vermag gutzumachen, was in der Gegenwart versäumt wird.")

Trotz aller dieser beschriebenen großen und kleinen Konflikte und

Auseinandersetzungen waren wir im vergangenen Jahr in erster Linie gestaltend aktiv.

Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich meinen Magistratskolleginnen Bürgermeisterin Gerda Weigel-Greilich und Stadträtin Astrid Eibelshäuser, mit denen ich stets

gemeinsam und in Vertrautheit an dieser Aufgabe der Gestaltung unserer Stadt arbeite.

Und ich danke auch den Führungskräften der städtischen Gesellschaften und ihren engagierten MitarbeiterInnen, dass sie diesen Weg mit uns gemeinsam und in Unterstützung unserer Bemühungen gehen.

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Ohne sie wäre eine Daseinsvorsorge nicht möglich - gerade wenn ich an das große Thema der Zukunft wie die Energiewende vor Ort oder die wichtige Aufgabe der Wohnraumversorgung denke.

Ich danke aber auch den Belegschaften unserer Verwaltungen und der Betriebe, die angesichts erheblicher Sparzwänge einerseits und gleichzeitig erhöhter Anforderungen an Transparenz und Leistung andererseits allzu oft an die Grenzen der Belastbarkeit stoßen.

Wir haben in diesen letzten 12 Monaten gemeinsam viel erreicht:

- Wir haben trotz Schutzschirm und rigiden Sparvorgaben daran festgehalten, Sport-, - Kultur- und soziale Vereine zu unterstützen und das Ehrenamt zu fördern.

- Wir haben sogar weitere Kultur- und Freizeitattraktionen eröffnen oder einen

Startschuss zum Bau geben können: das neue Theaterstudio am Berliner Platz und das Kinopolis bereichern unsere neue Stadtmitte, das neue Kletterzentrum des Alpenvereins wird gebaut.

- Wir haben die Schaffung von seniorengerechten, barrierefreien Wohnungen bei der AWO im Tannenweg und von bei der Cloos´schen Stiftung unterstützt.

- Wir haben den Ausbau der Kitas in Familienzentren weiter vorangetrieben und auch bedarfsgerecht neue Betreuungsformen - neben dem Waldkindergarten gibt es nun auch einen Bauernhofkindergarten - entwickelt und die Schulsozialarbeit sowie die Schülerbetreuung ausgebaut.

- Um auf unterschiedliche individuelle Wünsche selbst nach dem Tod eingehen zu können und aus Respekt vor anderen Kulturen, haben wir einen Friedwald angelegt und die Sargpflicht in Teilen des Friedhofes aufgehoben.

- Wir haben den planerischen Weg dafür geebnet bzw. die Vorarbeiten dazu geleistet, damit sich aus Industrie-, Gewerbe- und Militärbrachen wieder städtische, belebbare Fläche zum Wohnen, Arbeiten und Erholen entwickeln können; eine Mammutaufgabe.

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Ich nenne nur den Güterbahnhof, den Schlachthof, das ehemalige Kaufhof-Gelände, das Poppe-Gelände, die Bergkaserne, das RKH-Gelände, das riesige Gebiet des US- Depots.

Hinter diesen Entwicklungen stehen viel Arbeit, zahlreiche Gespräche und

Verhandlungen, manch ein Konflikt, aber immer der feste Wille, die Stadt in ihrer Entwicklung voranzubringen.

Und dazu gehören auch immer diejenigen, die wir in dieser Stadt dafür auch Willkommen heißen, weil sie Ideen, Mut und finanzielle Mittel einsetzen: die Investoren.

(In der öffentlichen Diskussion werden bisweilen private Investitionen in Wohnraum gegen das Argument gestellt, dass zu wenig für bezahlbaren öffentlichen Wohnraum getan werde.

Dies ist, meine Damen und Herren, aber keineswegs als Alternative zu sehen, im Gegenteil:

Das eine tun und das andere nicht lassen. Keine private Investition wird eine Öffentliche verhindern, da es sich weder um städtische Grundstücke handelt noch städtische Mittel fließen.)

Unsere Zukunft ist auch davon abhängig, denn wir können uns nur dann sozial, familienfreundlich, altersgerecht und kulturell und bedarfsgerecht vielfältig weiter entwickeln und unsere Stadt lebenswert erhalten, wenn wir dazu einerseits die eigene Steuerkraft, also das Geld haben, und andererseits auch die räumliche Chance wahrnehmen, neues anzusiedeln. (Stillstand ist Rückschritt.)

Die umfassendsten Investitionen, meine Damen und Herren, sind die in unsere

Hochschulen; eine Entwicklung, die das Jahr 2014 bestimmte und die nächsten Jahre fortdauern wird.

Dank des Heureka-Programms des Landes Hessen finden wichtige Investitionen in die Zukunft statt: Das in die Jahre gekommene Philosophikum wird umgestaltet; das renommierte Fraunhofer-Institut siedelt in Gießen an; der Medizinstandort Gießen ist

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mittlerweile der drittgrößte der ganzen Bundesrepublik und wird sich dank großer Vorhaben wie dem Umbau der Alten Chirurgie, dem Medizinischen

Forschungszentrum und weiteren Instituten am Seltersberg gut positionieren können.

Es erfüllt mich mit Freude, wenn ein renommierter Medizinprofessor bei einer

öffentlichen Preisverleihung Gießen lobpreist und betont, in unserer Stadt herrsche ein ideales Klima und Ausgewogenheit zwischen „mittelhessischer Bodenständigkeit und Innovation“.

Bodenständigkeit und Innovation- das, meine Damen und Herren, hat schon immer Gießen ausgemacht. Zu der so beschriebenen, zu unserer jungen und lebendigen Hochschulstadt passen auch die neuerlich zu lesenden Bekenntnisse "Wir stehen zu Gießen!" von Studien-Experten, die u.a. sagten: "Gießen ist mehr als nur eine Stadt ohne Meer: Weil rund 35.000 Studierende in einer Stadt mit 80.000 Einwohnern eine spannende Mischung ergeben."

Oder " ´Gießen liegt im Grünen` ist nur eine Wahrheit, die Studierenden dargelegt werden kann. Gießen bietet für jeden etwas: Theater und Kino, Sportangebote und eine reichhaltige Gastronomie. Wenn man mir die Aufgabe stellen würde, zu schreiben, warum man nicht in Gießen studieren solle: Ich fände keine Worte".

Dem gibt es aus meiner Perspektive nichts hinzuzufügen!

Und wir haben interessante Persönlichkeiten bzw. Gruppen - "Exportschlager"- mit

"Gießen- Wurzeln": die Künstlergruppe "3steps", die jüngst mit dem Bundespreis

"Kultur- und Kreativpiloten Deutschlands" ausgezeichnet wurde oder die Musikband Juli, die gerade ein neues Album aufgelegt hat, oder die Gießener Band OK Kid, die Hessen im letzten Jahr beim Bundesvision Song-Contest vertraten.

Das Aufspüren unserer eigenen Stadtgeschichte, das Freilegen unserer Wurzeln, das hat auch das vergangene Jahr bestimmt und wird auch unsere Zukunft begleiten.

Zwei Weltkriege - sie haben neben Zerstörung in der baulichen Substanz auch Narben in der Seele unserer Stadt hinterlassen.

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Eine besondere Ausstellung mit großem Begleitprogramm unseres Stadtarchivs, ich danke Herrn Dr. Brake dafür, hat viel Aufmerksamkeit auf die Zeit des 1. Weltkrieges gerichtet. Zum 100. Jahrestag des Kriegsausbruchs macht die Ausstellung "Gefangen im Krieg" im Kiz mit enormer öffentlicher Resonanz darauf aufmerksam, was sich im Alltag der Menschen veränderte, was in den bislang wenig beachtenden Teilen der

"verbotenen Stadt", in dem Kriegsgefangenenlager in Gießen, geschah; ein wichtiger Teil der Stadtgeschichte, der noch bis zum nächsten Wochenende zu besichtigen ist.

Wir haben auch den 70. Jahrestag der Bombardierung und Zerstörung Gießens am 6.Dezember im vergangenen Jahr begangen; den Tag, an dem das alte Gießen unterging, mehr als 70 % der Stadt zerstört wurde und Hunderte Menschen Leben, Heimat, Hab und Gut verloren. Wie nah uns allen dieses Ereignis noch ist, wie stark es bis heute wirkt, haben wir erfahren in den bewegenden Worten von Zeitzeugen.

Ich danke den beiden Gießener Zeitungen, dass sie unsere Stadtgeschichte so

ausführlich gewürdigt und uns durch Berichte zurückgeführt haben in eine Zeit, die wir zum Glück bisher nicht nochmals erleben mussten.

Auch im kommenden Jahr werden uns - und darauf können wir uns alle freuen - die baulichen Zeichen unserer zum Glück nicht nur leidvollen älteren und jüngeren Stadtgeschichte begleiten.

- Wir werden sicher Zeugen der Wiedereröffnung der Miller-Hall, der einstigen Volkshalle, die dank eines privaten Investors wieder für die Öffentlichkeit zugänglich sein wird.

- Wir werden auch die Wiederherrichtung des alten Flughafengebäudes im Bereich des US- Depots erleben. Auch hier will ein privater Investor den Traum vieler Gießener realisieren und das beliebte einstige Ausflugsziel erhalten und neu nutzen.

- Die Basilika auf dem Schiffenberg wird fertig saniert sein und in neuem Glanz erstrahlen.

Sie ist ein Kulturdenkmal von nationaler Bedeutung und wir sind froh, sie wieder hergestellt zu haben und der Öffentlichkeit im nächsten Jahr zu präsentieren.

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Und letztlich wird auch das zentralste Projekt von allen, die Keimzelle Gießens, der Kirchenplatz, im kommenden Jahr wieder hergerichtet und neu angelegt.

Die Ausgrabungen der HessenArchäologie haben uns im vergangenen Jahr vieles gezeigt und gelehrt, was diesen "Identifikationspunkt für die Gießener und Ort der Gespräche", wie ihn der kath. City-Seelsorger Gerd Tuchscherer nannte, ausmacht.

Am Kirchenplatz begann um das Jahr 1150 durch den Bau der Wasserburg namens GIEZZEN, was zu den fließenden Wassern bedeutet, unsere Stadtgeschichte und bis heute ist er einer der wichtigsten Treffpunkte unserer Stadt.

Auf dem Kirchenplatz wird die Vergangenheit, wurden die Ursprünge unserer Stadt vor den Augen der Menschen lebendig; hier wurde Stadtgeschichte anfassbar und Zeugen längst vergangener Zivilisationen greifbar. Sichtbar werden hier aber auch die Wunden unserer Stadt, daran werden wir in der Gestaltung erinnern: Die Umrisse des 1944 zerstörten Kirchenschiffs werden in Natursteinpflaster eingezeichnet.

Freuen Sie sich also mit mir auf ein neues Jahr, das Zukunft und Vergangenheit Gießens sichtbar machen und ihnen Gestalt geben wird!

Denn das weitgehend zerstörteGießen ist – nach 1945 – entwickelt worden zu einer liebens- und lebenswerten Stadt mit ihrem eigenen Charme. Dafür bin ich allen

dankbar, die dafür Verantwortung getragen und dies mitgestaltet haben. Und dies wollen wir auch weiter in Achtung der Vergangenheit, aber zukunftszugewandt fortsetzen.

Eine Gießen- Ansichtskarte wirbt mit dem Spruch:

Willkommen in der latscho City of Gießen“.

Dem schließe ich mich jederzeit gerne an. Gießen ist latscho.

Oder auf hochdeutsch:

Gießen ist „nicht groß, nicht artig, aber großartig“.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Familien Gesundheit, persönliches Wohlergehen, Erfolg und - im Jahr des Lichts - viele Lichtstrahlen, die Sie durch das neue Jahr begleiten mögen.

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