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LINEAR B UND DAS «AEGAEISCHE SUBSTRAT»

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Academic year: 2022

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Wie im kyprischen Syllabar wird auch in dem Zeicheninventar der kretisch-pylisch-mykenischen Linearschrift B — mit Ausnahme der gleich noch zu besprechenden Dentale -— zwischen Tenues, Mediae und Aspiratae nicht unterschieden; das Zeichen für die Silbe pa z. B. wird dazu benützt, griech. xa, ßa und epa wiederzugeben.

Das ist auffällig, zumal das Griechische der klassischen Zeit sowie die meisten anderen idg. Sprachen die verschiedenen Artikulations- arten der Verschlusslaute sorgfältig beachten und in ihrer Schrift zum Ausdruck gebracht haben. Der Gedanke ist nicht von der Hand zu weisen, dass hier die Schreibgewohnheiten der älteren, zur Wiedergabe der «vorgriechisch» oder «kretisch» zu nennenden Sprache verwendeten Linearschrift A nachgewirkt haben, in der es auch nur je eine «Reihe» von (je fünf ?) Silbenzeichen zur Wieder- gabe der von den verschiedenen Vokalen gefolgten Labiale, Gutturale und Dentale

1

gegeben haben mag. Dieser Gedanke legt eine weitere Vermutung nahe, nämlich dass diese Nichtberücksichtigung der Artikulationsart in der Schrift ihren tieferen Grund in der Tatsache hat, dass in der Sprache der kretischen Schreiber von Linear A der verschiedenen Artikulation der Labiale, Gutturale und Dentale keine Bedeutung zukam.

Man erinnert sich in diesem Zusammenhang an das Etruskische.

das nur zwischen aspirierten und nichtaspirierten Verschlusslauten unterscheidet und somit — wenn unsere obige Vermutung richtig ist — gewissermassen zwischen dem Griechischen und der Sprache von- Linear A stünde. ,

Die entscheidende Übereinstimmung aber besteht mit Klein-.

asiatischem: es ist eine der auffälligsten Erscheinungen im Konso- nantismus des Hethitischen, dass in ihm die verschiedenen Artiku- lationsarten der idg. Labiale, Gutturale und Dentale nicht beibehal-

1

Ob der labiovelaren «Reihe» von Linear B bereits in A etwas Ähnliches

entsprochen haben mag, ist wohl vorerst nicht auszumachen.

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I S O ALFRED HEUBECK

*

ten und dass diese drei Verschlusslautgruppen zu je einem Laut (wahrscheinlich der stimmlosen Tenuis) zusammengefallen sind

1

. Diese «Unempfindlichkeit» gegenüber den im Idg. (vor allem für die Wortbedeutung) sehr wesentlichen Artikulationsdifferenzen findet sich auch in den übrigen idg. Sprachen Àltanatoliens, dem Luwi- schen, Palaischen, Hieroglyphenhethitischen, Lykischen und Lydi- schen, von denen allerdings die beiden letzten — vor allem das Lydische — wenigstens in bestimmten Fällen die Fähigkeit zu einer gewissen Differenzierung behalten zu haben scheinen. Es liegt nahe, diese hethitische Eigenart auf die Wirkung des nicht-idg. Substrats in Altanatolien zurückzuführen, das eine Unterscheidung zwischen Tenues und Mediae sowie zwischen Aspiraten und Nichtaspiraten nicht gekannt oder nicht berücksichtigt haben mag und diese Indifferenz im Lauf der Zeit auch der Sprache der einwandernden idg.-heth. Oberschicht mitgeteilt zu haben scheint. Diese Vermutung erhält u. a. eine Bestätigung dadurch, dass im Protochattischen z. B.

die Schreibformen katte und gatte für das gleiche W o r t («König») wechseln können

2

.

Diese Übereinstimmung im «Lautstand» zwischen den vorgrie- chischen Bewohnern Kretas (Sprache von Linear A) und dem nicht-idg. Substrat Kleinasiens ist nun deshalb von besonderem Interesse, weil sie m. E. in anderer Beziehung noch bestätigt werden kann. Es war oben schon zu bemerken, dass die Linearschrift B in dem einzigen Fall der Dentale eine Unterscheidung vornimmt:

neben der /-Reihe, die zur Wiedergabe von griech T und 6 dient, steht die ¿/-Reihe zur Wiedergabe von t. Diese überraschende Differenzierung ist dann nicht unverständlich, wenn wir annehmen, dass es wiederum bereits in Linear A neben der Dental-Reihe (te usw.) eine weitere Zeichenreihe gegeben hat, deren jeweiliger konsonantischer Bestandteil aber nun ursprünglich nicht der stimmhafte Dental (gegenüber dem stimmlosen Dental der /-Reihe) gewesen sein kann, sondern eine andere Artikulationsstelle gehabt haben muss. W . Merlingen, der die Dinge m. E. im Prinzip richtig

1

Vgl. dazu vor allem jetzt die besonnene Darstellung bei H. Kronasser, Vergi. Laut- und Formenlehre, des Heth., 1956, S. 55 f.; s. auch F. Sommer, Hethiter und Hethitisch, 1947, S. 72 ff.

* Vgl. Sommer a. O., S. 75 mit weiteren Beispielen.

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b e u r t e i l t h a t1 — auf seine a b w e i c h e n d e Beurteilung von Einzelfakten sowie d e r G e s a m t s i t u a t i o n2 ist hier im einzelnen nicht eingegangen—-, d a c h t e an eine s t i m m l o s e i n t e r d e n t a l e Spirans3. A u f alle Fälle scheint die d e r ö?-Reihe von Linear B e n t s p r e c h e n d e R e i h e in Linear A diejenigen S i l b e n w i e d e r g e g e b e n zu h a b e n , d e r e n (im G r i e c h . n i c h t v o r h a n d e n e r ) K o n s o n a n t d e m griech.-idg. stimmhaften D e n t a l n ä h e r g e s t a n d e n bzw. ä h n l i c h e r g e k l u n g e n h a b e n m u s s als d e r K o n s o n a n t d e r ¿-Reihe. E r s t Linear B dürfte die b e i d e n R e i h e n zur U n t e r s c h e i d u n g von zwei v e r s c h i e d e n e n A r t i k u l a t i o n s a r t e n d e r Dentalis v e r w e n d e t h a b e n .

Diese V e r m u t u n g wird gestützt d u r c h die g l ä n z e n d e D e u t u n g e i n e r k n o s s i s c h e n Tafel d u r c h L. R. Palmer4, eine D e u t u n g , die u n s ihrerseits w i e d e r in d e r B e s t i m m u n g dieses v o r g r i e c h . L a u t e s weiterhelfen k a n n . E s h a n d e l t sich um

K N G g 7 0 2 . 25: da-pu^-ri-to-jo po-ti-ni-ja = Aaßuptvdoio 7Coiviät..

Dass Xaßpuc u n d das nicht davon zu t r e n n e n d e Aaßoptvfroc vor- griech. sind, ist — in A n b e t r a c h t d e r W o r t b e d e u t u n g u n d d e s b e r ü h m t e n v o r g r i e c h . -vd-Suffixes d e r a b g e l e i t e t e n F o r m — s c h o n längst zum A l l g e m e i n g u t d e r F o r s c h u n g g e w o r d e n6. D e r A n l a u t dieser «kretischen» W ö r t e r w u r d e im klassischen G r i e c h i s c h mit X, in Linear B d a g e g e n , wie wir jetzt wissen, mit d w i e d e r g e g e b e n ; die Qualität dieses u n g r i e c h i s c h e n L a u t e s scheint also d e r a r t g e w e s e n zu sein, d a s s i n n e r h a l b d e s g r i e c h . P h o n e m i n v e n t a r s bald die Liquida X, b a l d die d e n t a l e Media h relativ am ähnlichsten g e k l u n g e n h a b e n m a g . Das führt in d e r T a t auf einen i n t e r d e n t a l e n Laut, d e r a b e r w e d e r mit. d n o c h mit p i d e n t i s c h gewesen sein m u s s . E s ist

1 Bemerkungen zur Sprache von Linear B, Wien 1954, S. 6 ff.

2 Dazu vgl. z. B. G. Neumann, Gnomon XXVII, 1955, S. 370-3 (zu W. Mer- lingen, Das « Vorgriechische» und die sprachwissenschaftlich-vorhistorischen Grundlagen, Wien 1955).

8 Vgl. auch L. R. Palmer, Transact, of the Philol. Soc. 1954, S. 20, 3.

4 Bulletin of the Institute of Class. Stud, of the Univ. of London II, 1955, S. 40.

5 Jetzt in der Ausgabe von E. L. Bennett Jr., J. Chadwick, M. Ventris, The Knossos Tablets, 1956.

6 Vgl. z. B. P. Kretschmer, Gioita XXVIII, 1940, S. 244 mit Hinweis auf kleinasiatische Formen wie AaßpauvSoc u. v. ä.

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1 5 2 ALFRED HEUBECK

also anzunehmen, dass es in Linear A n e b e n den drei R e i h e n zur W i e d e r g a b e d e r mit fi, k u n d t b e g i n n e n d e n Silben eine vierte R e i h e zur W i e d e r g a b e eines i n t e r d e n t a l e n L a u t e s g e g e b e n hat1; mit d e m

¿z-haltigen Zeichen dieser Reihe dürfte s c h o n in Linear A u. a. a u c h d a s k r e t i s c h e W o r t labrys bzw. labyrinthos w i e d e r g e g e b e n w o r d e n sein.

Diese F e s t s t e l l u n g ist nun d e s h a l b von b e s o n d e r e m I n t e r e s s e , weil g e r a d e in d i e s e m P u n k t sich w i e d e r u m die V e r b i n d u n g s l i n i e n n a c h Kleinasien ziehen lassen. A u c h d o r t scheint es diesen d e n G r i e c h e n nicht b e k a n n t e n Laut g e g e b e n zu h a b e n , d e r bald zu einer W i e d e r g a b e mit ä, bald mit / A n l a s s g a b . Ich hoffe an a n d e r e r Stelle (dort auch Lit.-Nachweise) auf diese kleinasiatischen Fälle g e n a u e r eingehen zu k ö n n e n ; hier sei n u r n e b e n d e m b e r e i t s von P a l m e r a. O. g e n a n n t e n « m e d i t e r r a n e n » W o r t für d e n L o r b e e r McpV7] (in Perge: XácpvTj), lat. laurus h i n g e w i e s e n auf p r o t o c h . tabarna

— h e t h . Iftabarna', vorgriech.-kleinas. 'OXuxxeóc usw. (Aó^rjc) — 'OSüoaeóc; lyk. dapara — griech. Aaxápac (in d e r Bilingue T A M I 6);

lyd. PN. 'A^SuáxxTjc n e b e n 'AXuáxxr¡c; 1yd. antola = anlola «Grabstele».

Vielleicht liegt dieser vorgriech.-kleinas. Interdentallaut a u c h in d e m j e n i g e n kar. Laut vor, d e n die Griechen wechselnd mit k, kk o d e r kh w i e d e r g e g e b e n h a b e n :

OòoocoXoc — TaacoXXoç — ToaooX&oç IleXe^oç — IleXAexcoc — IÏSABTJXOÇ

KiXAapeEç — KiXBapeîç TpodXsïç — TpaX^EÎç.

Man hat bisher i m m e r — mit R e c h t — die gewissen Ü b e r e i n - s t i m m u n g e n in d e r T o p o n y m i e d e r «vorgriechischen» B e w o h n e r G r i e c h e n l a n d s u n d d e r altanatolischen Bevölkerung als Beweis für

1 Daneben gab es eine r-, aber keine /-Reihe; die Griechen von Linear B verwandten die r-Reihe zur Wiedergabe ihres r-, aber auch ihres /-Lautes. Das griech. / scheint also dem urkretischen r ähnlicher gewesen zu sein als dem urkret. Interdental, der seinerseits dem griech. d verwandter geklungen haben mag. — In Linear B macht sich allerdings das Bestreben bemerkbar, das griech.

/ womöglich durch Zeichendubletten der r-Reihe (vor allem ra% und rog) wiederzugeben; vgl. Palmer, Bulletin II, 1955, S. 38,

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eine ethnische Verwandtschaft der vor-idg. Bevölkerungsschichten zu beiden Seiten der Ägäis geltend gemacht. Hiezu träte nun die Übereinstimmung im Phonologischen: die Indifferenz gegenüber den verschiedenen Artikulationsarten der Verschlusslaute und das Vorhandensein eines besonderen, nämlich interdentalen Reibe- oder Verschlusslautes.

Nürnberg Guntherstr. 12

ALFRED HEUBECK

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