Bernhard Schimek / Gertraud Kremsner Michelle Proyer / Rainer Grubich
Florentine Paudel / Regina Grubich-Müller (Hrsg.)
Grenzen.Gänge.
Zwischen.Welten.
Kontroversen – Entwicklungen – Perspektiven der Inklusionsforschung
Schimek / Kremsner / Proyer / Grubich / Paudel / Grubich-Müller (Hrsg.)Grenzen.Gänge.Zwischen.Welten.
Der thematische Sammelband beruht auf der Kon- zeption der ‚IFO2020‘ in Wien – der 34. Jahrestagung der Inklusionsforscher*innen – und stellt den Versuch dar, die rund um diese Tagung begonnenen, weiter- entwickelten oder vielleicht sogar in diesem Kontext überhaupt erst entstandenen Fragestellungen und Dis- kussionen gebündelt darzustellen. Ganz im Sinne der Themenstellung des Bandes gerät notwendigerweise die Inklusionsforschung selbst ins Zentrum der Ausein- andersetzungen, wenn die ihr inhärenten Kontroversen, Perspektiven und Entwicklungen diskutiert werden.
Daraus ergeben sich u.a. Hinweise auf empirische, theoretische und paradigmatische Ausrichtungen von Inklusion, interdisziplinäre Zusammenschlüsse, Kritik an der pädagogischen wie auch der (eigenen) akademi- schen Praxis, intersektionale Verwobenheiten oder auch Leerstellen, die zu diskutieren offen bleiben.
Die Herausgeber*innen
Geeint durch das Interesse an der Auseinandersetzung mit der Verortung der Inklusionsforschung hat sich für die IFO-Tagungsorganisation 2020 in Wien ein überinsti- tutionelles Team gebildet: Michelle Proyer und Gertraud Kremsner repräsentieren die Universität Wien; Bernhard Schimek, Florentine Paudel und Rainer Grubich stehen für die Pädagogische Hochschule Wien und Regina Grubich-Müller vertritt die Bildungsdirektion für Wien.
978-3-7815-2485-9
9 783781 524859
Bernhard Schimek Gertraud Kremsner Michelle Proyer Rainer Grubich Florentine Paudel Regina Grubich-Müller (Hrsg.)
Grenzen.Gänge.
Zwischen.Welten.
Kontroversen – Entwicklungen – Perspektiven der Inklusionsforschung
Verlag Julius Klinkhardt
Bad Heilbrunn • 2022
Dieser Titel wurde in das Programm des Verlages mittels eines Peer-Review-Verfahrens aufgenommen. Für weitere Informationen siehe www.klinkhardt.de.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.
2022.hg. © by Julius Klinkhardt.
Coverabbildung: Grafik: © Iris Kopera, Foto: kiyopayo/Adobe Stock.
Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten.
Printed in Germany 2022.
Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem alterungsbeständigem Papier.
Die Publikation (mit Ausnahme aller Fotos, Grafiken und Abbildungen) ist veröffent- licht unter der Creative Commons-Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 International https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/
ISBN 978-3-7815-5924-0 digital doi.org/10.35468/5924 ISBN 978-3-7815-2485-9 print
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5Inhalt
Vorwort der Herausgeber*innen ... 9
Gertraud Kremsner, Bernhard Schimek und Michelle Proyer Grenzen.Gänge.Zwischen.Welten.
Kontroversen – Entwicklungen – Perspektiven der Inklusionsforschung ... 11 Kontroversen
Georg Feuser
Die Bühne der Inklusion. Ein Prolog!
oder: Grenzgänge zwischen Welten ... 27 Mai-Anh Boger
Risse in der Landschaft der Inklusionsforschung –
Aktuelle Entwicklungen und offene Fragen ... 43 Sven Bärmig
Dialektik als Methode ... 59 Jan Jochmaring, Lena Bömelburg und Dirk Sponholz
Inklusive Berufsorientierung als Diskurs. Der ‚scheinbare‘ Konsens:
gemeinsame Begriffe – unterschiedliche Ideen ... 67 Felix Kappeller
Prothetische Absenz, Articulating Gaps:
Repräsentationskritische Perspektiven auf visuelle Darstellungen
nicht an den Körper gefügter Prothesen ... 75 Jana York und Jan Jochmaring
Dilemmata einer inklusiven Arbeitswelt –
Menschen mit Behinderung zwischen Sondersystemen und
Gestaltungschancen einer Arbeitswelt 4.0 ... 84 Juliane Gerland, Imke Niediek, Julia Hülsken und Marvin Sieger
Kontingenz von Differenzkonstruktionen in der inklusionsorientierten musikalischen Bildung am Beispiel des Umgangs
mit digitalen Musizier-Medien ... 92 Pierre-Carl Link
Zur Bedeutung einer befreiungspädagogischen Perspektive für die
Inklusions- und Sonderpädagogik ... 100
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InhaltsverzeichnisKatharina Hamisch und Robert Kruschel
Zwischen Individualisierungsversprechen und Vermessungsgefahr – Die Rolle der Schlüsseltechnologie Künstliche Intelligenz in der
inklusiven Schule ... 108 Felix Buchhaupt, Dieter Katzenbach, Deborah Lutz und Michael Urban
Zur Kontextualisierung der Inklusionsforschung ... 116 Lisa-Katharina Möhlen, Helena Deiß, Seyda Subasi Singh und Michelle Proyer Lebenswelt(en der) Schule. Internationale Perspektiven zur Inklusion von Schüler*innen mit Fluchterfahrungen. Eine Perspektive aus der Praxis ... 124 Thomas Hoffmann, Cathrin Reisenauer und Hendrik Richter
Helfen als individuelle Erfahrung und soziale Praxis zwischen
Deautonomisierung und Befähigung ... 132 Entwicklungen
Kathrin te Poel
Zur Bedeutsamkeit eigener schüler*innenbiografischer Erfahrungen von angehenden Lehrpersonen für den sich anbahnenden Lehrer*innenhabitus und seine Anerkennungsbezüge ... 141 Alina Quante und Oliver Danner
Grenzsetzungen bei Aufgabenbereichen von sonderpädagogischen und
allgemeinen Lehrkräften in inklusiven Settings ... 149 Edvina Bešić und Katharina Maitz
Das Boot: Eine Fluchtgeschichte –
Design-Based-Research in der Primarstufe ... 156 Brigitte Kottmann
Der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule als
(Soll-)Bruchstelle des Gemeinsamen Lernens ... 165 Anne Goldbach und Nico Leonhardt
Elemente von Macht im Kontext einer inklusionssensiblen
Hochschulentwicklung ... 173 Michaela Kaiser
Inklusionsbezogene Anforderungswahrnehmung –
Regulativ für (kunstpädagogische) Professionalisierung ... 181 Patrick Gollub, Silvia Greiten, Teresa Schkade und Marcel Veber
Schulpraktische Professionalisierung für den Umgang mit Heterogenität – ein interdisziplinärer Blick aus hochschuldidaktischen Projekten ... 189
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7Inhaltsverzeichnis Pierre-Carl Link, Cedric Steinert und Susanne Jurkowski
Implementierung von Inklusion als Querschnittsthema an der Universität Erfurt durch das Kompetenz- und Entwicklungszentrum für Inklusion. Inklusionsspezifische Professionalisierung der Lehrer*innenbildung durch Team-Teaching, Fortbildung und
Online-Lernumgebung ... 197 Perspektiven
Timm Albers, Agnes Filipiak, Katja Franzen und Frank Hellmich Kompetenzentwicklung im inklusiven Unterricht (KinU) –
eine internationale Perspektive ... 207 Katharina Maria Pongratz
Sehnsucht nach Bildung? Über den Einsatz systemischer Fragetechniken in der qualitativen Erwachsenenbildungs-/Weiterbildungsforschung bei
Biografieträger*innen mit einer zugeschriebenen geistigen Behinderung ... 215 Laura Schwörer, Hannah van Ledden, Pia Algermissen und Mandy Hauser
Zusammenarbeit und Mediennutzung in einer
Partizipativen Forschungsgruppe ... 223 David Paulus, Patrick Gollub und Marcel Veber
Forschendes Lernen und Kasuistik. Grenzwelten und Zwischengänge
bezogen auf Reflexivität in der inklusionssensiblen Lehrer*innenbildung ... 231 Dietlind Gloystein und Ulrike Barth
Divers denken und handeln! – Theoretische Orientierungen und
Handlungsperspektiven für die Lehrkräftebildung ... 238 Ann-Christin Faix
Wie verändern sich die subjektiven Theorien von Lehramtsstudierenden
über guten inklusiven Unterricht ... 246 Katja Baucke
Internationaler Vergleich als Reflexionsangebot. Eine explorative Studie zur Sicht von Hochschullehrenden auf schulische Inklusion in
Deutschland und Kanada ... 255 Bettina Amrhein, Benjamin Badstieber und René Schroeder
Zum Umgang mit als störend wahrgenommenen Handlungsweisen von Schüler*innen in einem inklusionsorientierten Unterricht – Perspektiven für die Lehrer*innenbildung (im Förderschwerpunkt emotionale und
soziale Entwicklung) ... 263
8
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InhaltsverzeichnisAndrea Holzinger, Gerda Kernbichler, Silvia Kopp-Sixt, Mathias Krammer und Gonda Pickl
Profilierung für Inklusive Pädagogik (IP) im Lehramt der Primar- und
Sekundarstufe Allgemeinbildung ... 271 Timo Finkbeiner und Susanne Eibl
Kooperative Prozesse im technikbezogenen Unterricht ... 280 Autor*innenverzeichnis ... 287
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9Vorwort der Herausgeber*innen
Die vorliegende Herausgeber*innenschaft versteht sich als thematischer Sammel- band, dessen Konzeption auf der ‚IFO2020‘1 – der 34. Jahrestagung der Inklu- sionsforscher*innen – beruht und der nun den Versuch darstellt, die rund um diese Tagung begonnenen, weiterentwickelten oder vielleicht sogar in diesem Kontext überhaupt erst entstandenen Diskussionen zu bündeln und zumindest in Ansätzen zu systematisieren. Ins Zentrum der Auseinandersetzungen gerät dabei (notwendigerweise, wie im Verlauf des Bandes vielfach gezeigt werden wird) die Inklusionsforschung selbst. Obschon es mitunter leicht(er) gelingt, an der eigenen Disziplin Kritik zu üben, fällt es vielen von uns deutlich schwerer, diese nicht nur auf Inhalte von Kolleg*innen zu beziehen, sondern auf das eigene akade- mische Handeln zu übertragen und ernst zu nehmen – sei es in forschenden, lehrenden oder theoriebasierten Zusammenhängen. Wenig überraschend resul- tiert daraus, dass ein solches Unterfangen keinesfalls beliebig sein darf. Entspre- chend sorgfältig haben wir darauf geachtet, dass wir für den vorliegenden Band ausschließlich solche Beiträge aufnehmen, die im Rahmen eines strengen Dou- ble-Blind-Peer-Review-Verfahrens als publikationswürdig erachtet wurden. Wir möchten uns entsprechend bei all jenen aufs Herzlichste bedanken, die als wis- senschaftlicher Beirat durch ihre sorgfältige und konstruktive Kritik im Rahmen des Peer-Review-Verfahrens einen massiven Beitrag zum Gelingen dieses Buches geleistet haben: Sven Bärmig, Julia Biermann, Mai-Anh Boger, David Brehme, Jens Geldner, Ingeborg Hedderich, Andreas Hinz, Thomas Hoffmann, Claudia Kaluza, Gabriele Kulhanek-Wehlend, David Labhart, Reinhard Markowetz, Lisa Pfahl, Heribert Schopf, Marcel Veber, Benjamin Wagener, Monika Wagner-Willi, Anne Weidermann, Michael Wininger und Raphael Zahnd.
Die Erstellung des Buches selbst wäre ohne die tatkräftige Unterstützung von Felix Studencki, Wolfgang Osztovics und Tina Obermayr undenkbar gewesen.
Sie haben uns als Herausgeber*innen durch ihre Gewissenhaftigkeit im Lekto- rat, ihr Organisationstalent und ihre administrativen und technischen Skills den Rücken für intensive inhaltliche Auseinandersetzungen freigehalten. Dafür kann gar nicht genug gedankt werden. Unser herzlicher Dank gilt auch Iris Kopera, die das (auch auf dem Buchumschlag zu findende) Logo der IFO2020 illustriert hat und das von Michael Oplatek grafisch aufgearbeitet und in Szene gesetzt wurde.
Lukas Schnabel danken wir für die dynamische Grafik, die die vier Eckpunkte –
1 Die Tagungswebsite ist – auch mit näheren Infos zur Konzeption der Tagung – hier einsehbar:
https://ifo2020.ssr-wien.at/ (letzter Zugriff: 05.08.2021)
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Vorwort der Herausgeber*innenGrenzen, Gänge, Zwischen und Welten – visualisiert, die sich bereits auf dem Call for Papers fand und die auch – wenngleich unbewegt – in diesem Beitrag wieder- zufinden ist.
Wie knapp wir mit der IFO selbst an einer Grenze vorbeigeschrammt sind, zeigt sich in der zeitlichen Nähe der Tagung zum Ausbruch der COVID-19-Pande- mie – kaum vorstellbar, dass die IFO2020 nur knapp drei Wochen vor dem ers- ten Lockdown lag und die Tagung damit für viele von uns wohl eine der letzten Großveranstaltungen für lange Zeit war. Dieser historische Marker stellt vieles, was wir zunächst unhinterfragt als gegeben erachtet haben, infrage bzw. verstärkt viele markante Unterschiede hinsichtlich Ungleichheit massiv und gibt so vielfach Anlass zu Forschung und weiterführender Auseinandersetzung.
Wir wünschen eine anregende Lektüre!
Bernhard Schimek, Gertraud Kremsner, Rainer Grubich, Florentine Paudel, Michelle Proyer und Regina Grubich-Müller
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11doi.org/10.35468/5924-01
Gertraud Kremsner, Bernhard Schimek und Michelle Proyer Grenzen.Gänge.Zwischen.Welten.
Kontroversen – Entwicklungen – Perspektiven der Inklusionsforschung
1 Grenzen.Gänge.Zwischen.Welten. Oder: Inklusionsforschung verorten?!
Der Konzeption der IFO2020 lag die grafi sche Bestimmung eines Raums zugrunde, in dem Auseinandersetzungen mit Grenzen, Gängen, Formen des Zwi- schen und von Welten der Inklusionsforschung mithilfe unterschiedlicher Koor- dinaten verortet werden sollten:
Abb. 1: Grenzen.Gänge.Zwischen.Welten. Dynamische Grafi k zur Verortung divergierender Koordi- naten der Inklusionsforschung
In Weiterführung der konzeptiven Überlegungen, die dem Titel und der Program- mierung der Tagung zugrunde lagen, beschäftig(t)en uns auch bei der Konzeption und Rahmung dieses thematischen Sammelbandes folgende grundlegende Fra-
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Gertraud Kremsner, Bernhard Schimek und Michelle Proyerdoi.org/10.35468/5924-01
gen, die nun auch auf gewisse Weise die Navigation durch die hier versammelten Beiträge anleiten: Wie bzw. inwieweit, durch wen und in welcher Form lässt sich Inklusionsforschung verorten? Lassen sich allgemeingültige Aussagen darüber for- mulieren, was die (eine und einzige?) Inklusionsforschung nun ist, oder liegt ihr Wesen gerade in ihrer Unbestimmtheit und Vielfältigkeit ihrer Zugänge? Worin liegt aber dann ihr Spezifisches, ihr Bezugspunkt, ihr Gegenstand? Und (nicht) zuletzt: Wie wird die strukturelle und disziplinäre Verankerung der Inklusionsfor- schung aufgefasst und welche (politischen) Implikationen können, sollen dadurch (nicht) abgeleitet werden? Wie ‚geht‘ Inklusionsforschung eigentlich?
Diese und ähnlich gelagerte Grundsatzfragen sind den alljährlichen Tagungen der Inklusionsforschungen (kurz: der IFOs) inhärent und folglich vielfach dis- kutiert – und zwar sowohl sachlich, auf theoretische und empirische Erkennt- nisse bezogen als auch in mitunter emotional besetzten Streitgesprächen und allen dazwischenliegenden Graubereichen. Die Intensität, mit der dieser Diskurs geführt wird, lässt auf die Dringlichkeit schließen, die Inklusionsforschung im deutschsprachigen Raum selbst einschließlich ihrer historischen Gewordenheit in den Blick zu nehmen und kritisch zu hinterfragen. Der vorliegende Sammel- band ist demnach – freilich ohne Anspruch auf Vollständigkeit! – als Versuch einer Momentaufnahme zum präsentierten, diskutierten und angeregten Status quo der Inklusionsforschung zu verstehen. Den Dreh- und Angelpunkt hierfür bilden die Fragen danach, welche Grenzen innerhalb und außerhalb der Inklu- sionsforschung gezogen werden (können); welche Welten dadurch entstehen, sich eröffnen, geschaffen oder verunmöglicht werden und welche Gänge, sofern diese sich auftun, zur Überbrückung, Überwindung, Verbindung oder gar als Aus- und Umweg beschritten werden (sollen) oder sich als Irrwege erweisen. Ebenso (bzw.
gerade auch?) zur Diskussion gestellt wird alles, das sich in einem Dazwischen ver- orten lässt, darin oszilliert oder als zu verhandelnd verbleibt.
Für derartige Auseinandersetzungen einen Impuls zu geben, haben wir von zwei einander in vielerlei Hinsicht unterschiedlichen Akteur*innen aus dem Kreis der Inklusionsforscher*innen erbeten: Beiträge von Georg Feuser und Mai-Anh Boger spannen einen breiten Bogen und schaffen Raum für ein Nachdenken und Infrage-Stellen, ermöglichen es uns, Grenzen (an) zu erkennen oder zu verhan- deln. In ihren Beiträgen werden in unterschiedlicher Perspektivität, Intention und Intensität die oben grafisch gesetzten Bezugspunkte adressiert, womit das diskursive Feld pointiert umrissen wird. Sie eröffnen so nicht nur diesen Band, sondern – wie sich sogleich bemerkbar machen wird – auch die Diskussion, die wir weiter anregen möchten und die uns weiter zu führen notwendig erscheint.
Die dritte im Rahmen der Tagung geladene Keynote von Wayne Veck war dem Anspruch geschuldet, den geografischen Raum der IFO auch über den deutsch- sprachigen Fokus hinauszuheben. Wenngleich aus zeitlichen Gründen der dritte Beitrag keinen Eingang in den Band finden konnte, weshalb im Folgenden der
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13Grenzen.Gänge.Zwischen.Welten.
doi.org/10.35468/5924-01
Fokus auf Feuser und Boger gelegt wird, bleibt die im Vortrag von Wayne Veck vorgenommene konzeptive Setzung gewahr, die Inklusive Bildung im Kontext von Nationalismus und Feindseligkeit gegenüber Menschen mit Flucht- und/oder Migrationserfahrung thematisierte und damit maßgeblich zur intendierten weite- ren thematischen Öffnung des Diskurses beitrug.
Die Notwendigkeit, die Inklusionsforschung selbst in den Fokus grundständiger Kritik zu rücken, thematisiert Feuser (2021, S. 28 in diesem Band; Hervorhebung im Original), indem er den Vorwurf erhebt, dass die Inklusionsforschung keinen oder zumindest nur sehr wenig Beitrag zu einer sich verändernden Gesellschaft zu leisten vermag – und dies, obwohl er uns, den Inklusionsforscher*innen (zu denen letztlich auch er selbst zu zählen ist?), keineswegs Untätigkeit vorwirft: Er leitet seinen Beitrag mit dem Statement ein, dass sich auf unseren „Schreibti- schen sicher sehr viel“ getan habe, wenn „Diversitätsdimensionen erwürfelt“ oder
„vielfältige Wissensfiguren erstellt“ worden seien, dazu „vielleicht ein vermarkt- bares Inklusionsschachspiel entwickelt und Praxiswelten aufgestellt und in Kom- bination beider vielleicht ein Inklusions-Monopoly“ das Resultat unserer aka- demischen Tätigkeit bilden würde. Das, was sich „in Sachen Inklusion“ für die dadurch adressierten Kinder und Jugendlichen getan habe – was davon also im Alltag behinderter Menschen ankomme –, bilanziert Feuser allerdings als „tief im Minus“ (ebd., S. 29); nach wie vor sei die bestehende Ordnung und mit ihr das Bildungssystem hochgradig selektiv und exklusiv. Damit einhergehend fragt er sich nicht nur, was an diesem reichen akademischen Output tatsächlich inklu- siv sei, sondern auch, was die derart forschenden Akteur*innen denn eigentlich antreibe (ins Spiel kommen Feuser folgend narzisstische Selbstwahrnehmungen ebenso wie neoliberale Verkaufsargumente), wenn sie nichts anderes zustande brächten, „als sich Inklusion auf Arme, Beine, Brust oder Rücken zu tätowieren und sie durch die Ohren, Nasenflügel, Lippen oder Brustwarzen zu stecken“ (ebd., S. 29). Mit Rückgriff auf Bourdieus (1998, 119 zit. nach Feuser 2021, S. 33) Beschreibung einer „doxischen Unterwerfung“ kommt er zu dem Schluss, dass auch „wir als Forschende und Lehrende in allen Systembereichen der Pädagogik dieser Indoktrination lebenslang nie entronnen, von ihr bis zur Sättigung durch- tränkt [seien] und uns wie Inklusionsbürokrat*innen [verhalten würden]“ (Feuser 2021, S. 33). Dies führe letztlich dazu, dass es eine Art Tabubruch darstelle, das hierarchisch gegliederte und ständisch organisierte Schulsystem infrage zu stellen – mündend darin, dass das aktuelle Schulsystem „alle Werte [konkret: das Soziale, das Liberale, das Christliche und das Demokratische], die wir in unserer Kultur für staatstragend erachten, konterkariert, ja sie pervertiert“ (ebd., S. 34). Nach einem umfassenden Exkurs auf die Auswirkungen dessen auf die „prekäre Klasse“
fordert Feuser (2021, S. 36-37) schließlich, dass wir uns „endlich einmal unseres Verstandes ohne die obrigkeitsstaatliche Anleitung und ordnungsstaatlichen Vor- gaben bedienen“ müssen (ebd. S. 38).
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Gertraud Kremsner, Bernhard Schimek und Michelle Proyerdoi.org/10.35468/5924-01
Feusers Worte stellen viele der (akademischen) Bemühungen in zynisch zugespitz- ter Form an den Pranger und vermögen dadurch sicherlich auch zu verletzen.
Manche mögen sie auch als anmaßend empfinden oder aber infrage stellen, ob derlei Aussagen Hand und Fuß hätten, wenn das eigene akademische Wirken doch all dem gewidmet ist, was Feuser ‚den Inklusionsforscher*innen‘ in seinem Beitrag abspricht. Das Feld des auch emotional besetzten Streitgesprächs, auf wel- ches eingangs auch im Kontext der IFOs bereits angespielt wurde, ist damit eröff- net – und Feuser selbst fordert am Ende seines Beitrags einen „streitbaren Dialog“
(ebd., S. 40) ein.
Außer Frage zu stellen ist der gemeinsame Bezugspunkt eines inklusiven Gesell- schaftssystems – ja, wir beziehen uns dabei explizit auf das gesamte gesellschaft- liche Leben und nicht, wie so oft, auf Schulsysteme alleine –, welches nach wie vor meilenweit entfernt scheint, weil Menschen in aller aufzubringenden Härte an die und über die gesellschaftlichen Ränder hinausgedrängt werden. Insofern MUSS Reflexion und auch Kritik am eigenen Handeln und Wirken erfolgen – auch wenn dies noch so weh tut. Entsprechend kann eine solche Auseinandersetzung ohne Emotionalität oder einem gewissen Maß an Involviertheit möglicherweise gar nicht erst auskommen. Dies gilt im Übrigen und selbstverständlich auch für das Werk Georg Feusers, das sich gleichermaßen einer solchen möglicherweise schmerzhaften Kritik zu stellen hat. Für unser aller akademisches Schaffen bleibt also zu hinterfragen, welchen Beitrag es für einen Wandel hin zu einer inklusiven (oder zumindest inklusiveren) Gesellschaft leistet und entsprechend tatsächlich nicht nur bei an den Rand gedrängten Personen ankommt, sondern (dies sei Feu- sers Überlegungen vielleicht hinzugefügt, um ggf. drohenden paternalistischen Helfer*innen-Szenarien entgegenzuwirken) von diesen auch gewollt wird – oder aber, ob der polemisch artikulierte Vorwurf Feusers Geltung hat und es sich bei unseren Bemühungen lediglich um kosmetische Verbesserungen handelt, die nie- mandem außer der eigenen akademischen Vita nutzen. Es stellt sich damit einher- gehend eine nicht neue, aber für den Kontext der Inklusionsforschung wohl noch nicht beantwortete Frage: Wie viel und welche Verantwortung trägt Wissenschaft hinsichtlich gesellschaftlicher Umwälzungsprozesse? Dies steht in engem Zusam- menhang mit Fragen der Partizipation, Agency und Aktion. In diesem Kontext bleibt die Frage virulent, ob – und wenn ja, wie – politischer Aktivismus und wissenschaftliche Reflexion inklusive der ihr innewohnenden Dilemmata (und Trilemmata, siehe Boger in diesem Band) in Einklang gebracht werden können oder sollen und worin ein Richtmaß einer ethischen Bewertung der einzelnen akademischen Bestrebungen überhaupt bestehen kann.
Abschließend scheint es uns relevant, kritisch und sehr direkt die Frage aufzuwer- fen, was es bedeutet, wenn Feuser (2021, S. 31) die Behauptung aufstellt, dass die
„Integrationsbewegung in den 1990er-Jahren ihre politische Bewusstheit verloren [hat] und in einer Art politischem Wachkoma [steckt].“ Im Rahmen der Tagung
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15Grenzen.Gänge.Zwischen.Welten.
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führte dies zu angeregten Ad-hoc-Diskussionen und es bleibt zu hoffen, dass diese abseits von vereinheitlichenden generationalen und/oder äußerlichen Zuschreibun- gen, offen und in aller Direktheit im Sinne der Disziplin und letztlich zugunsten der Beförderung von wahrhaft inklusiver Gesellschaft weitergeführt werden.
An die Feuser’sche Kritik anschlussfähig, setzt sich Boger (2021, S. 43 in diesem Band) eingehend mit der Disziplin selbst auseinander, indem sie anhand der von ihr entwickelten trilemmatischen Kartentheorie durchaus scharf analysiert, „wel- che Pfade in Zukunft beschritten werden könnten bzw. welche Sackgassen derzeit am Horizont erscheinen.“ Ebenso wie Feuser geht es ihr letztlich darum, Betroffe- nengruppen sichtbar zu machen, allerdings schlägt sie dafür einen völlig anderen argumentativen Weg ein: U.a. mit Rückgriff auf die Geschichte von emanzipato- risch ausgerichteten Nachbardisziplinen unternimmt sie den Versuch, ihre not- wendige Kritik an der Inklusionsforschung zu systematisieren und durch bewusst eingreifende Vorhersagen – sie bekennt sich offensiv dazu, aktives Mitglied der deutschsprachigen Inklusionsforschung und damit im Feld situiert zu sein – Weg- gabelungen aufzuzeigen, an denen Fallstricke einerseits oder aber das Potenzial für Veränderung andererseits verborgen liegen. Diese sind, Boger (2021, S. 46) folgend, allerdings immer in Dilemmata verstrickt und lassen sich entsprechend nie simpel entwirren oder gar lösen. Dafür warnt sie zunächst vor den Gefahren, die mit der durch Dekonstruktion hervorgebrachten Entpartikularisierung von Zuschreibungskategorien einhergehen (im Fall der Inklusionsforschung ist das zum Beispiel Behinderung). Dadurch gehe nämlich die „Tür für die systematische Produktion falscher Universalismen aufseiten jener, die eine Nicht-Benennung und Nicht-Beschäftigung mit den Anderen* aus diesem dekonstruktiven Impuls machen“ (ebd., S. 45; Hervorhebung im Original) überhaupt erst auf. Die damit einhergehende Geste der Selbstannihilation könne in weiterer Folge mit Leich- tigkeit dazu führen, dass spezifisch auf Behinderung bezogene (theoretische wie empirische) Auseinandersetzungen, Zugänge, aber auch Praktiken Sparmaßnah- men zum Opfer fielen könnten und dadurch erst recht unsichtbar gemacht werden würden. Als Folge einer konstruktivistischen Sackgasse würde überdies, wie in der zweiten Weggabelung dargestellt, eine vermeintlich bereits erfolgte „‚Umsetzung‘
von Inklusion im Sinne der UN-BRK zusammenkonstruiert“ (ebd., S. 47). Dies werde möglich, weil a) über das Verschwinden der Benennung von Behinderung Vielfaltsrhetoriken zum Tragen kommen würden, die sich als leer erweisen sowie b) durch die Betonung einer (ausschließlich) sozialen Konstruktion von Behinde- rung diese als „bitterlich-reale Tatsache“ (ebd., S. 47) völlig übersehen werde.
Anders als bei Feuser stehen bei Boger nicht nur die Inklusionsforscher*innen selbst im Fokus, sondern vor allem die Akteur*innen emanzipatorischer Bewe- gungen – konkret: der Behinderten- wie auch der Elternbewegung. Mehr oder weniger parallel zum akademischen inclusive turn erfolgte in diesen Bewegungen ein academic turn, der die Aneignung nicht nur wissenschaftlicher Auseinander-
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setzungen, sondern auch akademischer Positionen durch Personen aus diesen poli- tischen Bewegungen zur Folge hatte. Dabei gehe es, so Boger (2021, S. 49) weiter, aber nicht um eine simplifizierte Logik der Repräsentation (selbst wenn ange- mahnt werden muss, dass behinderte Menschen in der akademischen Wissenspro- duktion dennoch völlig unterrepräsentiert sind), sondern um eine fundamentale und vor allem epistemologisch ernst gemeinte Standpunktreflexion, ohne dabei in
„Moralisierung zu verfallen oder die zuweilen selbstgefällig anmutende morali- sche Hierarchie der Partizipationsleiter der Partizipativen Forschung mit einem Qualitätskriterium für wissenschaftliches Arbeiten und sachliche Argumente zu verwechseln.“ Dazu reiche es nicht aus, akademische Auseinandersetzungen bloß in leichter(e) Sprache zu übersetzen. Die damit einhergehenden Ambivalenzen und Komplexitäten erkennen und sie aushalten zu können sei grundständig not- wendig. Eng damit zusammenhängend verweist Boger (2021, S. 52) schließlich darauf, dass die Kritik an sämtlichen Fähigkeitserwartungen sich zwar als Ableis- muskritik tarne, tatsächlich jedoch ob der ihrer inhärenten entmündigenden Bewahrpolitik zutiefst ableistisch sei. Zu unterscheiden sei hier zwischen (zwin- gend zu kritisierenden!) naturalisierten Fähigkeitserwartungen und (tatsächlich sogar zu stärkenden) legitimen, bildungswirksamen Fähigkeitserwartungen, die Bildung als Entwicklung bzw. Entwicklung als Bildung implizieren. Mit Über- legungen rund um Konzepte posthumaner Relationalität und rekurrierend auf den ‚Cyborg‘ als Beispiel von „Denkfiguren, die auch den Humanismus als Essen- tialismus dekonstruieren sollen“ (ebd., S. 54), schließt Boger ihre Analyse zu den gewählten Weggabelungen, denen sich die Inklusionsforschung aktuell beispiel- haft zu stellen habe. Dass dabei aber nicht die Disziplin als Ganzes in kritische(re) (Selbst)Reflexion eintauchen muss, sondern jedes einzelne darin agierende Indivi- duum – also wir als Inklusionsforscher*innen, Mai-Anh Boger explizit und durch sie selbst betont eingeschlossen – das eigene akademische Handeln und Wirken ernst gemeint und sorgfältig zu prüfen habe, sei im Sinne einer Revitalisierung der
„Idee von Inklusion als emanzipatorischen Entwurf“ (ebd., S. 56) unverzichtbar.
2 Kontroversen. Entwicklungen. Perspektiven. Oder:
Inklusionsforschung verorten!
Die von Feuser wie auch von Boger angerissenen (und mit unseren Überlegungen verschränkten) Impulse bilden den Auftakt dafür, nun folgend und mit Beto- nung auf keineswegs gegebene Vollständigkeit den Versuch einer Bündelung jener Auseinandersetzungen zu unternehmen, die gemäß des Titels Grenzen.Gänge.
Zwischen.Welten die Inklusionsforschung selbst (kritisch) in den Blick nehmen.
Im Sinne einer zart und sicherlich oberflächlich angesetzten, keineswegs also
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17Grenzen.Gänge.Zwischen.Welten.
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‚sauberen‘ Systematisierung haben wir alle angenommenen Beiträge großflächig (und erneut ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder method(olog)ische Sauber- keit!) verschlagwortet, um als Map einen groben Überblick darüber zu gewinnen, wie sich der Status quo der Inklusionsforschung im Kontext dieses thematischen Sammelbandes gestaltet. Als Ergebnis dieser Schlagworte erhalten wir nicht nur Hinweise darauf, was aktuell überhaupt thematisiert und diskutiert wird, sondern auch darauf,
– welche empirischen Ausrichtungen gegeben sind, – welche theoretischen Grundlegungen bedient werden,
– welche (grundlegenden) Terminologien benutzt und ggf. begründet werden, – welche paradigmatischen Ausrichtungen sich finden lassen,
– ob bzw. inwiefern interdisziplinäre Zusammenschlüsse vorhanden sind, – welche Rolle Gesellschaftskritik im Kontext der Inklusionsforschung spielt, – ob bzw. wenn, wie (Selbst-)Kritik an der Inklusionsforschung geübt wird, – ob und wenn, wie Kritik an der pädagogischen Praxis geübt wird, – welche intersektionalen Verwobenheiten zum Thema gemacht werden, – welche Umsetzungsmöglichkeiten inklusiven Unterrichts thematisiert werden, – welche Rolle inklusive Lehrer*innenbildung spielt,
– welche Adressat*innengruppen im Fokus stehen,
– welche (offensichtlichen) Leerstellen sich durch tatsächliche oder auch durch angemahnte Nicht-Nennungen ergeben,
– und zuletzt, wie all diese genannten Aspekte miteinander in Verbindung stehen.
Das Ergebnis daraus ist zwar (leider) keine trilemmatische Karte im Boger’schen Sinne, dennoch lässt sich eine Fülle an Schlagworten samt deren Vernetzungen zunächst grafisch als Map und in weiterer Folge ausformuliert darstellen. Im bes- ten Falle bildet die derart gewonnene Map vielleicht sogar den Anlassfall für eine systematischere und methodisch sauberere Analyse:
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Gertraud Kremsner, Bernhard Schimek und Michelle Proyerdoi.org/10.35468/5924-01 Kontroversen
Entwicklungen Perspektiven
Differenz-
konstruktionen Inklusion und Exklusion Kompetenz-begriff
entwicklungs-pädagogische bezogene, Diagnostik Inklusions– und Sonderpädagogik
pädagogische Beziehungen Hilfe und autonomisierungDe-
Refugee Education
Transition und Übergänge
Kooperationen
Künstliche Intelligenz Phänome-
nologische
Erfahrungstheorie Kritische Theorie strukturalismusPost-
Reflexivität
Internationale Perspektive
Alternativen der Adressierung störend empf.
Handlungsweisen sonder- pädagogische und allgemeine Lehrkräfte
Lehrer*innen-orientierung
Subjektive Theorien
Vignettenarbeit Forschendes
Lernen und Kasuistik schulpraktische Professionalisie-rung Unterrichts-
materialien Menschen mit Behinderung Kinder
international (angehende) Lehrpersonen
Didaktik Interdisziplinarität Perspektiven der
Akteur*innen auf mehreren Systemebenen kritischer Diskurs
Förderschwer-punkte (Schul-) Entw.prozesse auf
mehreren Systemebenen
Analyse von subjektiven Theorien: Struktur-
legetechnik
Analyse von Praxis-beobachtungen
Theoretische Grundlegung Explorative Forschung
Analyse von Bild- repräsentationen
Diskursanalyse
Fallrekonstruktion
Literaturreview
Methodologische Grundlegungen
Design-Based- Research-Ansatz
mehrstufiges Analyseverfahren
Mixed-Method-Ansatz
Interventionsstudie Qual. Migrations- forschung:
Expert*innen- Gruppendisk.
Forderung nach inter-/
transdisziplinärer Synthese Empirische Ausrichtungen
Paradigmatische Ausrichtungen
Grundlegende Terminologien
Leerstellen Systemische (Selbst-)Kritik Intersektionale Verwobenheiten
Inklusiver Unterricht Professionalisie-rung von
(angehenden) Lehrpersonen Kritik an pädagogischer Praxis
Inklusive (Lehrer*innen-)
Bildung Inklusive Ansätze Gesellschaftskritikals
Adressierte Perspektiven
Technik/
Technologisierung/
Assistive Technologien
Abb. 2: Grenzen.Gänge.Zwischen.Welten. – Map zu aktuellen Auseinandersetzungen in der deutsch- sprachigen Inklusionsforschung
Den Ausgangspunkt unserer Map bildet zunächst die grobe Ordnung, der wir die Beiträge (übrigens auch als Subkapitel in diesem Band) zugeordnet haben:
Dabei werden in den Kontroversen Inklusionsforschung und Inklusive Pädagogik im inner- wie auch inter- und transdisziplinären Widerstreit verortet und diskur- sive Auseinandersetzungen eröff net oder aufgegriff en. Kurzgefasst: Worum wird in unserem Feld gestritten bzw. worüber (leidenschaftlich) diskutiert? Bzw. auch:
Welche Fragen bleiben (bewusst) ungeklärt?
Entwicklungen wiederum beschreiben und refl ektieren Entwicklungslinien und Modelle inklusiver Praxen – nicht nur, aber insbesondere im Kontext schulischer Bildung wie auch der akademischen Lehrer*innenbildung. Kurzgefasst: Was wurde erprobt und was sind die Ergebnisse einer systematischen Refl exion dazu?
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Perspektiven bieten schließlich Ausblicke sowohl auf diskursive wie auch auf hand- lungsorientierte Weiterentwicklungen der Inklusionsforschung bzw. der Inklusi- ven Pädagogik. Kurzgefasst: Wohin entwickelt sich das Feld, wohin entwickeln wir uns als darin handelnde (akademische) Akteur*innen?
Welcher Beitrag sich in welchem Subkapitel in diesem Band wiederfindet, kann anhand des Inhaltsverzeichnisses nachvollzogen werden; die jeweiligen Zuordnun- gen wurden mit den Autor*innen abgesprochen. Keineswegs selbsterklärend ist jedoch die nachfolgende Verschlagwortung samt der Herstellung der sich jeweils ergebenden Verbindungen und Netzwerke. Sie wird nun kurz und jeweils exem- plarisch an einzelnen Beiträgen skizziert begründet und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr will die Darstellung Diskussionsanlass sein und Hinweise für implizite Gewichtungen und nicht adressierte Felder geben.
Empirische Ausrichtungen finden wir – mit einem Augenzwinkern gesprochen und ganz der Inklusionsforschung entsprechend – in einer bunten Vielfalt. Wäh- rend Bärmig in seinem Beitrag „Dialektik als Methode“ (zu finden im Kapitel Kontroversen) nicht nur eine methodische, sondern auch eine methodologische Grundlegung diskutiert, bleibt festzustellen, dass sich die deutliche Mehrheit der eingereichten empirisch begründeten Beiträge der qualitativen Sozialforschung zuordnet. Beispielhaft angeführt werden können hier etwa diskursanalytische Ansätze (wie bei Jochmaring, Bömelburg und Sponholz in den Kontroversen), aber auch die Analyse von Bildrepräsentationen (wie bei Kappeller, ebenfalls in den Kontroversen) oder Fallrekonstruktionen (wie bei te Poel in den Entwicklungen).
Abseits davon findet sich im Spektrum der empirischen Ausrichtungen allerdings auch eine Interventions-Studie (bei Quante und Danner in den Entwicklungen), eine entlang des Design-Based-Research-Ansatzes angelegte Studie (Bešić und Maitz in den Entwicklungen) sowie eine Mixed-Methods-Studie (Albers, Filipiak, Franzen und Hellmich in den Perspektiven). Pongratz setzt sich in den Perspektiven mit systemischen Fragetechniken auseinander, die in der qualitativen Erwachs- enenbildungs- bzw. Weiterbildungsforschung bei Biografieträger*innen mit einer zugeschriebenen geistigen Behinderung eingesetzt werden. Schwörer, van Ledden, Algermissen und Hauser wiederum nehmen im selben Kapitel die eigene parti- zipative Forschungsgruppe zum Anlassfall, ihre Zusammenarbeit wie auch ihre Mediennutzung zu reflektieren.
Fundierte theoretische Grundlegungen finden wir z.B. bei York und Jochmaring (in den Kontroversen), die theoretisch äußerst fundiert Kritik an der für den Arbeits- markt rechtlich grundgelegten Etikettierungspraxis, dem damit verbundenen Wording und dem System der spezifisch ausdifferenzierten (Sonder-)Arbeits- märkte vornehmen, das sie in aktuell unhinterfragten kapitalistischen Produk- tionsverhältnissen und Leistungsvorstellungen verankert und durch sie bedingt sehen. Aber auch Bärmig (ebenfalls in den Kontroversen) ist hier anzusiedeln: er
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setzt sich grundständig mit Adornos dialektischem Verfahren auseinander und macht dieses für die Inklusionsforschung nutzbar.
Die in den einzelnen Beiträgen Verwendung findenden und teilweise auch fun- diert eingeführten grundlegenden Terminologien müssten, würden sie vollständig angeführt, in einer langen Liste aufgezählt werden. Daraus wird deutlich, dass sich die Inklusionsforscher*innen keineswegs eines einheitlichen Vokabulars bedienen, sondern über weite Strecken auf Terminologien zurückgreifen, die sie reflektiert und begrün- det verwenden. Gerland, Niediek, Hülsken und Sieger (in den Kontroversen) nutzen etwa den Begriff der ‚Differenzkonstruktionen‘, den sie mit der Konzeption des
‚Doing Difference‘ verschränken. Darüber hinaus finden sich weitere Auseinan- dersetzungen mit Begriffen; z.B. bei Paulus, Gollub und Veber (in den Perspek- tiven), die mit Rekurs auf ‚klassische‘ theoretische Grundlegungen ein eigenes Kapitel der Frage danach widmen, welche Sprache für ‚Inklusion‘ und ‚Exklusion‘
gefunden werden kann. Kottmann (in den Entwicklungen) wiederum beleuchtet den ‚Übergang‘ aus rechtlicher und statistischer wie auch aus empirischer Hin- sicht terminologisch. Bezugnehmend auf alle eingereichten Beiträge ist übrigens festzuhalten, dass weder die Inklusionsforschung noch die Inklusions-, die Integ- rations- oder die Sonderpädagogik begrifflich definiert oder auch operationalisiert werden. Wecken einzelne Begriffskonstruktionen unmittelbar den Wunsch nach Erläuterung und Diskurs, wie bei Link (in den Kontroversen) mit der Verwendung von ‚Inklusions- und Sonderpädagogik‘, so bleibt insgesamt zu fragen, welche Formen der Verständigung in dieser Unbestimmtheit (dennoch) gelingen bzw.
entzogen bleiben.
Bezüglich der paradigmatischen Ausrichtung der angenommenen Beiträge ist fest- zustellen, dass sich die Mehrheit derer im Poststrukturalismus verorten lassen – beispielhaft angeführt seien die bereits in anderen Kontexten genannten Gerland, Niediek, Hülsken und Sieger, aber auch York und Jochmaring sowie Kappeller. Bär- mig wiederum ließe sich mit seinen Bezugnahmen auf Adorno und damit die Kritische Theorie freilich der Kritischen Erziehungswissenschaft zuordnen. Sie alle sind im Kapitel zu den Kontroversen zu finden; für sie alle gilt – der paradig- matischen Ausrichtung entsprechend –, dass ihr Erkenntnisinteresse mit ihrem Wirksamkeitsinteresse korreliert und die derart verorteten wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ohne politische Bezugnahmen oder politische Forderungen zu denken sind. Anders ist dies bei der bei Gloystein und Barth (in den Perspektiven) nutzbar gemachten phänomenologischen Erfahrungstheorie: Hier geht es explizit darum, Theorie und Praxis von Bildung und Erziehung in Bezug zu setzen und anhand phänomenologischer Zugänge „(pädagogische) Erfahrungen im Vollzug in ihren zeitlichen, sinnlichen und weltlichen Dimensionen zu erfassen und zu beschreiben“ (Gloystein & Barth 2021, S. 239 in diesem Band). Auf hermeneu- tisch-phänomenologische Grundlagen beruft sich explizit übrigens auch Link (in den Kontroversen).
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Forderungen nach inter- bzw. transdisziplinärer Synthese werden u.a. bei Jochmaring, Bömelburg und Sponholz sowie bei Gerland, Niediek, Hülsken und Sieger (beide in den Kontroversen) laut. Besonders eindringlich wird dieser Zusammenschluss wohl aber bei Hamisch und Kruschel (ebenfalls in den Kontroversen) eingemahnt, die inklusive Schule und die ihr inhärenten Lehr-Lernsettings mit aus künstlicher Intelligenz resultierenden Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen kontext- ualisieren.
Mit einer vergleichsweise großen Zahl an zuzuordnenden Beiträgen erkennen wir einen größeren Schwerpunkt in inklusiven Ansätzen als Gesellschaftskritik und Gegenbewegung zu systematischer Diskriminierung. Einige bereits genannte Beiträge (z.B. Bärmig; York & Jochmaring; Jochmaring, Bömelburg & Sponholz; Gerland, Nie- diek, Hülsken & Sieger; Kappeller; Kottmann; Hamisch & Kruschel) lassen sich hier einordnen. Besonders hervorgehoben werden sollen jedoch die Beiträge von Buch- haupt, Katzenbach, Lutz und Urban (in den Kontroversen) – sie kontextualisieren die Inklusionsforschung in Abhängigkeit zu einer von betriebswirtschaftlichen Aspek- ten und Ansprüchen auf Verwertbarkeit in der Praxis bestimmten Forschungsför- derungslandschaft – sowie von Goldbach und Leonhardt (in den Entwicklungen), die Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Bildungs- und Inklusionsfachkräften zum Anlass nehmen, um über Elemente von Macht im Kontext einer inklusions- sensiblen Hochschulentwicklung zu reflektieren. Beide wurden zusätzlich auch mit dem Schlagwort systemische (Selbst-)Kritik versehen.
Kritik an pädagogischer Praxis wird wiederum in Paulus, Gollub und Veber (in den Perspektiven) sowie bei Möhlen, Deiß, Subasi Singh und Proyer (in den Kontrover- sen) formuliert; darüber hinaus aber auch bei Hoffmann, Reisenauer und Richter (in den Kontroversen) systematisch bearbeitet. Sie beschäftigen sich gleich mit mehreren Spannungsfeldern, wenn sie Helfen als individuelle Erfahrung wie auch als soziale Praxis im Kontext von Deautonomisierung und Befähigung grundstän- dig analysieren und reflektieren.
Intersektionale Verwobenheiten werden an und in mehreren Beiträgen sichtbar.
Besonders deutlich Bezug genommen wird auf diesen Aspekt jedoch bei Kappeller (in den Kontroversen), der ‚Anderskörperlichkeiten‘ anhand visueller Darstellungen entlang einer Vielzahl an intersektionalen Zusammenhängen analysiert; den ver- bindenden Anlassfall bilden hier nicht an den Körper gefügte Prothesen. Möhlen, Deiß, Subasi Singh und Proyer (in den Kontroversen) wiederum richten den Blick auf die Lebenswelt(en) von Schüler*innen mit Fluchterfahrungen und erweitern so die ‚klassischen‘ Bezugnahmen auf Behinderung auf eine ebenfalls durch Inklusive Pädagogik und Inklusionsforschung adressierte Personengruppe.
Ein deutlicher Schwerpunkt ist in Auseinandersetzungen mit der Umsetzung einer inklusiven Lehrer*innenbildung zu erkennen. Ansätze der Professionalisierung (angehender) Lehrkräfte werden in mehreren Beiträgen erarbeitet und diskutiert
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(z.B. in den Entwicklungen bei Quante und Danner sowie bei te Poel) und teilweise mit Fragen nach professioneller Reflexivität verschränkt (etwa bei Paulus, Gollub und Veber sowie Gloystein und Barth in den Perspektiven). Ausgehend von Ansätzen aus der rekonstruktiven Kasuistik verhandelt Kaiser (in den Entwicklungen) etwa inklusionsbezogene Anforderungswahrnehmungen im Kontext (kunstpädagogi- scher) Professionalisierungsprozesse. Im selben Kapitel angesiedelt, machen Gol- lub, Greiten, Schkade und Veber schulpraktische Professionalisierung zum zentra- len Thema ihres Beitrags, wenn sie diese als schulpraktische Herausforderung mit einem interdisziplinären Blick aus hochschuldidaktischen Projekten verschränken.
In thematischer Nähe und entsprechend ebenfalls in den Entwicklungen angesie- delt ist auch der Beitrag von Link, Steinert und Jurkowski, der sich mit Inklusion als Querschnittsthema in der Professionalisierung der Lehrer*innenbildung an der Universität Erfurt auseinandersetzt. In den Perspektiven angesiedelt, beschäftigt sich Faix wiederum damit, wie sich die subjektiven Theorien über guten inklu- siven Unterricht von Lehramtsstudierenden verändern, während Albers, Filipiak, Franzen und Hellmich eine internationale Perspektive auf Auseinandersetzungen mit Kompetenzentwicklung im inklusiven Unterricht übertragen. Ebenfalls inter- national ausgerichtet ist übrigens auch der Beitrag von Baucke im selben Kapitel, der die Sicht von Hochschullehrenden auf schulische Inklusion in Deutschland und Kanada miteinander vergleicht.
Ausgehend von der ‚Pädagog*innenbildung Neu‘ arbeiten Holzinger, Kernbichler, Kopp-Sixt, Krammer und Pickl (in den Perspektiven) heraus, welche Gelingensfak- toren und Spannungsfelder sich aus der Profilierung für Inklusive Pädagogik im Lehramt der Primar- und Sekundarstufe Allgemeinbildung ableiten lassen. Mit spezifischem Fokus auf die Lehrer*innenbildung im Förderschwerpunkt emo- tionale und soziale Entwicklung setzen sich Amrhein, Badstieber und Schroeder (ebenfalls in den Perspektiven) damit auseinander, wie im inklusionsorientierten Unterricht mit als störend wahrgenommenen Handlungsweisen von Schüler*in- nen umgegangen wird.
Konkrete Umsetzungsmöglichkeiten im inklusiven Unterricht werden von Bešić und Maitz in den Entwicklungen erarbeitet, wenn sie anhand des Buches ‚Das Boot:
Eine Fluchtgeschichte‘ das Thema Flucht in der Primarstufe explorativ erforschen und damit einhergehend innovative Unterrichtsmaterialien entwickeln. Finkbei- ner und Eibl stärken in den Perspektiven wiederum die Forderung nach kooperati- ven Prozessen im technikbezogenen Unterricht.
Ein Blick auf die eingenommenen Perspektiven eröffnet übrigens ebenfalls interes- sante Erkenntnisse: Die Sichtweise von Kindern steht bei Kottmann (in den Ent- wicklungen) im Zentrum, während diejenige von bzw. mit behinderten Menschen insbesondere bei Pongratz wie auch bei Schwörer, van Ledden, Algermissen und Hauser (allesamt in den Perspektiven) fokussiert wird. Der letztgenannte Beitrag ist übrigens auch der einzige in einem inklusiven Team verfasste. Angehende Lehr-
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personen und deren Perspektive werden in den Entwicklungen bei te Poel sowie bei Quante und Danner und in den Perspektiven bei Faix sowie bei Holzinger, Kernbichler, Kopp-Sixt, Krammer und Pickl herausgestellt.
Zuletzt sei – ohne jeglichen Anspruch auf Systematik oder Vollständigkeit – auf einige ausgewählte mögliche Leerstellen im Diskurs hingewiesen, welche uns auf den ersten Blick aufgefallen sind: Augenscheinlich wurde, dass trotz der expliziten Einladung im Call for Papers abseits von Behinderung nur wenige andere Diver- sitätsdimensionen im Sinne eines breiten Inklusionsbegriffs thematisiert wurden.
Die Komplexität, welche sich aus dieser Erweiterung bzw. dem Blick auf Über- schneidungen und Intersektionen notwendigerweise ergibt, rückt zwar immer wieder in den Blick der Disziplin, scheint im Kontext der Einreichungen und auch der Wiener IFO kein zentraler Fokus gewesen zu sein. Ähnlich verhält es sich mit den viel diskutierten Bereichen der Digitalisierung und didaktischen Fragen an der Schnittstelle zu Inklusion. Das bedeutet allerdings keineswegs, dass diese Perspektiven nicht relevant seien oder ausgeblendet bleiben, sondern – neben einer Vielzahl von anderen relevanten Betätigungsfeldern – inhärente Teile von Forschungsagenden oder -plänen sind. Auffällig ist bei der thematischen Ausei- nandersetzung mit Lehrer*innenausbildung im Kontext von Inklusion, dass die Perspektiven der Lehrpersonen selbst häufig keinen Fokus von Forschungsbemü- hungen darstellen. Gerade dann, wenn umfassende Bildungsreformen (wie derzeit in Österreich) Platz greifen, deren Bestreben der Erhöhung von Effektivität und Effizienz im Bildungssystem gewidmet sind, und wenn damit umfassende Quali- tätsmanagementsysteme auf den Plan gerufen werden, entwickeln allfällige Leer- stellen zu Inklusiver Schul(system)entwicklungsforschung eine gewisse Brisanz.
Und ganz generell fiel uns bei der Betrachtung der eingereichten Beiträge auf, dass einige Stimmen nicht repräsentiert erscheinen bzw. andere mehr Platz einneh- men. Ein innerhalb der Disziplin laufend zu reflektierendes Fragefeld – wer erhält eine Stimme (möglicherweise auch stellvertretend, aber durch wen?) und wer wird gehört – soll also auch in diesem Eingangstext in Erinnerung gerufen und kritisch markiert werden. Vielleicht ist gerade mit dem (individuellen) bewussten Benen- nen des Wenig- oder Nicht-Beachteten, mit dem gezielten Wiederentdecken des Aus-dem-Blick-Geratenen und dem gewagten Gestalten neuer (interdisziplinärer) Verbindungen, jene geforderte Re-Fokussierung und -Politisierung der Inklusi- onsforschung auf den Weg gebracht.
3 Fazit bzw. vielmehr Ausblick
Das weit aufgespannte Feld, das die Tagung adressieren wollte, hat eine Vielzahl von kontroversen Positionen an einen gemeinsamen Tisch gebracht, aktuell sich Entwickelndes im Feld vor den Vorhang geholt und Möglichkeiten geboten,
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Neues und auch Bewährtes in Perspektive zu setzen oder Richtungen für weiter- führende Diskurse aufzuzeigen.
Im Jahre 2021 musste die IFO erstmalig (?) ausfallen. Es bleibt abzusehen, wie sich diese Zäsur auf Forschungsagenden und politische Fragen rund um Inklu- sion ausgewirkt hat und weiter auswirken wird. Insbesondere wird es gelten, das Engagement auf jene gesellschaftlichen Sollbruchstellen zu richten, die im Brenn- glas der COVID-19-Pandemie und ihrer Effekte deutlich an Virulenz gewonnen haben und neu entstandene bzw. gewandelte Formen von Exklusion aufzuspüren und zu benennen. Wir gehen davon aus, dass die vier eröffneten Bezugspunkte – Grenzen, Gänge, Zwischen, Welten – wohl auch künftig als relevant erachtet werden können. Wir sind gespannt auf weitere Resonanz(en), die sich aus dieser unserer Auseinandersetzung und dem Nachklang der Tagung ergeben.
Bernhard Schimek / Gertraud Kremsner Michelle Proyer / Rainer Grubich
Florentine Paudel / Regina Grubich-Müller (Hrsg.)
Grenzen.Gänge.
Zwischen.Welten.
Kontroversen – Entwicklungen – Perspektiven der Inklusionsforschung
Schimek/Kremsner/ Proyer/Grubich/Paudel/ Grubich-Müller(Hrsg.)Grenzen.Gänge.Zwischen.Welten.Der thematische Sammelband beruht auf der Kon- zeption der ‚IFO2020‘ in Wien – der 34. Jahrestagung der Inklusionsforscher*innen – und stellt den Versuch dar, die rund um diese Tagung begonnenen, weiter- entwickelten oder vielleicht sogar in diesem Kontext überhaupt erst entstandenen Fragestellungen und Dis- kussionen gebündelt darzustellen.Ganz im Sinne der Themenstellung des Bandes gerät notwendigerweise die Inklusionsforschung selbst ins Zentrum der Ausein- andersetzungen, wenn die ihr inhärenten Kontroversen, Perspektiven und Entwicklungen diskutiert werden.
Daraus ergeben sich u.a. Hinweise auf empirische, theoretische und paradigmatische Ausrichtungen von Inklusion, interdisziplinäre Zusammenschlüsse, Kritik an der pädagogischen wie auch der (eigenen) akademi- schen Praxis, intersektionale Verwobenheiten oder auch Leerstellen, die zu diskutieren offen bleiben.
Die Herausgeber*innen
Geeint durch das Interesse an der Auseinandersetzung mit der Verortung der Inklusionsforschung hat sich für die IFO-Tagungsorganisation 2020 in Wien ein überinsti- tutionelles Team gebildet: Michelle Proyer und Gertraud Kremsner repräsentieren die Universität Wien; Bernhard Schimek, Florentine Paudel und Rainer Grubich stehen für die Pädagogische Hochschule Wien und Regina Grubich-Müller vertritt die Bildungsdirektion für Wien.
978-3-7815-2485-9
9 783781 524859