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Archiv "Pathobiochemie der Alkoholkrankheit" (11.01.1988)

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Academic year: 2022

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Hans Rommelspacher

Zur Psychopathologie und Therapie der Alkoholkrankheit liegt eine Fülle von Befunden vor. Um so erstaunlicher ist es, daß es zur Pathogenese - zumindest, was deren biolo- gisch-biochemischen Anteil betrifft - noch relativ wenig gesichertes Wissen und kaum Berichte gibt. Dies ist des- halb überraschend, weil erste Hypothesen zur Pathobio- chemie bereits vor 25 Jahren aufgestellt wurden und un- sere Kenntnisse sich auf diesem Gebiet in den letzten Jahren wesentlich erweitert und vertieft haben.

Pathobiochemie

der Alkoholkrankheit

V

irginia Davis stellte in den frühen 70er Jahren die Hypothese auf, aus den physiologisch vor- kommenden Neuro- transmittern könnten unter Einwir- kung von Alkohol Substanzen gebil- det werden, die direkt oder indirekt für die Pathogenese der Alkohol- krankheit von Bedeutung sind (1).

Acetaldehyd, der Metabolit des Ethanols, würde mit den Katechol- aminen Noradrenalin und Dopamin zu Tetrahydroisochinolinen (TIQ) beziehungsweise mit Indolaminen (Serotonin, Tryptamin) zu (3-Carboli- nen (BC) reagieren. Außerdem könn- te der Acetaldehyd durch Hemmung des Enzyms Aldehyddehydrogenase im Gehirn den Abbau der Neuro- transmitter hemmen. Dadurch wür- den vermehrt Neurotransmitter-Al- dehyde entstehen, die mit den nicht verstoffwechselten Neurotransmit- tern Kondensationsprodukte bilden können (in Abbildung 1 exemplarisch für Dopamin dargestellt). Diese Hy- pothese beinhaltet, daß im Organis- mus Tetrahydropapaverolin (THP) synthetisiert wird, das in Mohn- pflanzen Vorstufe der Opioide ist.

Kürzlich gelang es, diese biosyn- thetische Leistung auch im Säugetier nachzuweisen. Im Gehirn und den Nebennieren von Rindern wurden Morphin und drei andere Opioide gefunden (2; für Details der Biosyn- these von TIQs und BCs siehe 3).

Tetrahydroisochinoline und (3-Carboline

bei Alkoholkranken

Die Hypothese von Virginia Da- vis ist inzwischen unter zwei Ge- sichtspunkten geprüft worden:

1. Kommen die Produkte der Reak- tion zwischen Neurotransmittern und Acetaldehyd unter physiologischen Bedingungen vor, und sind sie bei Alkoholikern vermehrt vorhanden?

2. Welche Beziehungen bestehen zwischen den TIQs und BCs sowie dem Alkoholkonsum?

Zu 1:

Alkoholiker scheiden größere Mengen an bestimmten TIQs (Salso- linol) und BCs (Harman) aus als Nicht-Alkoholiker (4, 5). Selbst zwei Wochen nach stationärer Deto- xikationsbehandlung war die Urin- konzentration von BCs noch höher als die von Kontrollpersonen, wenn auch deutlich niedriger als bei der Klinikaufnahme (7). In einer Reihe von Untersuchungen konnten TIQs

Institut für Neuropsychopharmakologie (Leiter: Prof. Dr. med. Helmut Coper) Freie Universität Berlin

und BCs in Blut, Liquor (5, 6), Urin (4, 5, 6, 7) und im Gehirn post mor- tem von Nicht-Alkoholikern und Al- koholikern nachgewiesen werden.

Überraschenderweise war die Kon- zentration von Salsolinol im Gehirn von den Alkokolikern aber geringer als in Kontrollgehirnen, in deren Blutplasma kein Alkohol nachweis- bar war.

Für diesen Befund gibt es noch keine befriedigende Erklärung.

Wahrscheinlich dienen außer dem Acetaldehyd noch andere Reak- tionspartner, zum Beispiel Pyruvat (alte Nomenklatur: Brenztrauben- säure) als Vorstufen. Pyruvat ist als Metabolit der Glukose und Vorstufe der aktivierten Essigsäure (Acetyl- coenzym A) eine Schlüsselsubstanz des Energiestoffwechsels.

Wie aus Abbildung 2 zu ersehen ist, kann chronischer Alkoholkon- sum den Metabolismus des Pyruvats an verschiedenen Stellen stören. Ei- ne Anreicherung von NADH im Ge- webe, wie sie im Verlauf der Ver- stoffwechselung des Ethanols auf- tritt (siehe Abbildung 2 ganz links), führt zu einer Verschiebung des Gleichgewichts Pyruvat/Laktat, da bei dieser Reaktion NADH ver- braucht wird (rechts oben in Abbil- dung 2).

Weiterhin ist bei Alkoholkran- ken wegen der einseitigen Ernäh- rung häufig ein Mangel an Vitamin B 1 (Thiamin) beobachtet worden. >

Dt. Ärztebl. 85, Heft 1/2, 11. Januar 1988 (27) A-25

(2)

HO HO

Dopaminaldehyd

HO NH

HO

Tetrahydropapaverolin HO

HO CHO

HO HO

Dopamin

Abbildung 1: Bildung von Tetrahydropapaverolin (ein Tetrahydroisochinolin) aus seinen Vorstufen Dopamin, ein physiologisch vorkom- mender Neurotransmitter, sowie dessen aldehydischen Metaboliten

Dieses Vitamin ist als Thiaminpyro- phosphat (Thiamin-PP) Coenzym für die Pyruvatdehydrogenase (PDH). Bei einem Mangel an Thia- min würde also die Konzentration an Pyruvat wegen der eingeschränk- ten Weiterreaktion zu Acetylcoen- zym A ansteigen. Drittens soll der Acetaldehyd dieses Enzym direkt hemmen (10).

Beim Alkoholkranken kann es also zu einem Anstieg der Kon- zentrationen von Pyruvat und Lac-

Zu 2:

Kontinuierliche Infusion be- stimmter TIQs und BCs ins Ventri- kelsystem des ZNS während mehre- rer Wochen erhöht im Wahlversuch den Ethanolkonsum von Ratten und Affen (drug seeking behavior) (12, 13, 14). Interessanterweise besteht auch eine positive Korrelation zwi- schen freiwilliger Ethanolaufnahme und der Konzentration von be- stimmten BCs im Gehirn.

Aus einer Vielzahl von unausge- wählten Tieren trinken diejenigen

„freiwillig" verhältnismäßig viel Al- kohol, deren Konzentration an BCs im Gehirn von vornherein hoch ist oder unter Alkohol stärker ansteigt.

Werden Ratten ß-Carboline oder Vorstufen chronisch infundiert, wählen die Tiere um so mehr Alko-

tat kommen. Da Pyruvat als Re- aktionspartner bei der Bildung der TIQs und der BCs dient (11), werden unter entsprechenden Be- dingungen beide Substanzgruppen vermehrt gebildet. Andererseits kann Mangelernährung, wie sie bei Alkoholkranken beschrieben ist, aufgrund des verminderten Angebots an Pyruvat (bei Gluco- semangel) zu einer Senkung der Konzentration der TIQs und BCs führen.

hol, je höher die Konzentration des (3-Carbolins Harman im Gehirn an:

steigt (Abbildung 3). Darüber hin- aus wählen Ratten, denen BCs in- fundiert wurden, zehn Monate spä- ter erneut mehr Ethanol als vor der Infusion (15). Bestimmte BCs ver- ändern auch den Tagesrhythmus des Trinkverhaltens in gleicher Weise wie Ethanol (14). Diese Beobach- tung spricht dafür, daß BCs be- stimmte Verhaltensmuster modulie- ren wie Ethanol selbst. In allen Un- tersuchungen haben sich die BCs als deutlich wirksamer herausgestellt als die TIQs.

Die bisherigen Befunde spre- chen dafür, daß es keine Kreuzab- hängigkeit zwischen Opioiden und Ethanol gibt. Hier konnte die ur-

sprüngliche Hypothese von Virginia Davis also nicht bestätigt werden (16). Dies gilt auch für die BCs. Infu- sion von BCs führt nicht zu einer ver- mehrten Aufnahme von Opioiden im Wahlversuch (14). Alle bisherigen Beobachtungen sprechen also dafür, daß TIQs und BCs vorwiegend für die Pathogenese des Alkoholismus Bedeutung haben und nicht generell Suchtverhalten provozieren.

Wie erwähnt, wurde bei der Analyse von Gehirnen von Alkoho- likern eine reduzierte Konzentration von bestimmten TIQs gefunden, wenn kein Alkohol im Blut nach- weisbar war. Bei erhöhtem Alkohol- gehalt im Blut waren die Verhältnis- se umgekehrt. Da die Bildung dieser Substanzen von vielen Faktoren ab- hängt, ist es nicht erstaunlich, daß bei Alkoholkranken die Konzentra- tion im Urin nicht mit der Ethanol- konzentration im Blut korreliert (8).

Interessant ist, daß am Ende der Detoxikationsbehandlung nach zwei Wochen stationärem Aufenthalt Pa- tienten eine größere Menge an BCs im Urin ausscheiden als Gesunde.

Die Höhe der Konzentration korre- liert mit dem Alter, mit dem der Pa- tient erstmals Ethanol getrunken hatte. Je jünger die Alkoholiker wa- ren, um so höher ist die Konzentra- tion an BC. Gleiches gilt für das Al- ter des ersten Alkoholrausches. Pa- tienten mit Verwandten ersten Gra- des, die ebenfalls alkoholkrank sind, A-26 (28) Dt. Ärztebl. 85, Heft 1/2, 11. Januar 1988

(3)

Glukose

NAD+

Zitronen- säure- zyklus

Besonderes Risiko durch chronischen Alkoholkonsum, ADH i : Alkoholdehydrogenase, ADH 2 : Aldehyddehydrogenase, PHD: Pyruvatdehydrogenase, LDH: Lactatdehydrogenase, Thiamin-PP: Thiaminpyrophosphat

Abbildung 2: Faktoren, die die Pyruvatkonzentration (Brenztraubensäure) bei Al- koholikern beeinflussen können

0 .5 1 1.5 2 2.5

log ng Harman pro g Hirngewebe

Abbildung 3: Korrelation der freiwilligen Ethanoleinnahme und der Konzentration von Harman im Gehirn. Die verschiedenen Symbole beziehen sich auf unter- schiedliche Vorbehandlungen (r = 0,445; p < 0,01)

NAD+

INADH H+

NAD+

INADH H+

Ethanol 1ADH

Aeotaldehyd..1PDH

IADH2

,

Acetat

NAD+

Thiamin-PP 10111

I NADI-11 H

"N

e 11, V Acetyl-CoA

Ethanolaufnahme (g/kg KG/Tag) 5

4.5 4 3.5

3 2.5 2 1.5 1 .5 0

[NADH I ♦ NAD+

PYRUVAT ■■•••••■ Lactat LDI-1

scheiden verhältnismäßig große Mengen BC aus. Eine negative Kor- relation besteht zur Leberhistologie.

Je weiter die Degeneration der Le- ber fortgeschritten ist, um so niedri- ger ist die Ausscheidungsrate. Dies spricht für eine enzymatische Bil- dung der BCs (7). Doch werden BCs nicht nur in der Leber gebildet. Eine Biosynthese findet auch in Niere, Gehirn und Lunge statt.

Gibt es eine

genetische Disposition?

Die bisherigen Befunde lassen noch viele Fragen offen. Beispiels- weise ist der Grund für das vermehr- te Vorkommen bei Patienten un- klar. Sowohl eine Abbaustörung als auch eine höhere Syntheserate sind denkbar. Noch nicht zu erklären ist, daß kurzzeitige Exposition mit TIQs oder BCs offenbar lang anhaltende Veränderungen der Empfindlichkeit gegenüber Ethanol beziehungsweise der Neigung, Ethanol vermehrt zu wählen, auslöst. Möglicherweise be- steht eine genetische Disposition zur vermehrten BC-Synthese. Unabhän- gig davon ist zu klären, ob sich aus der Höhe der Konzentration von BCs oder TIQs im Blut eine Progno- se über die Dauer der Erkrankung oder das Fehlen von Abstinenzpe- rioden ableiten läßt. Weiter ist die Hypothese zu prüfen, nach der BCs in niedrigen Konzentrationen positi- ve Stimmungsänderungen, in höhe- ren Konzentrationen jedoch uner- wünschte hervorrufen. Ethanol wür- de die unerwünschten Effekte über- decken. Dies würde dann zu einem circulus vitiosus führen. Daran schließt sich die Frage an, ob Alko- holkranke empfindlicher gegenüber diesen Effekten sind als Gesunde.

Die in Klammern gesetzten Zahlen beziehen sich auf das Literaturver- zeichnis im Sonderdruck, zu, bezie- hen über den Verfasser.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. Hans Rommelspacher Institut für

Neuropsychopharmakologie Freie Universität Berlin Ulmenallee 30 • 1000 Berlin 19 Dt. Ärztebl. 85, Heft 1/2, 11. Januar 1988 (31) A-27

Referenzen

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