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Archiv "Onkologie: Therapie im „Genzeitalter“" (04.10.2013)

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A 1858 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 40

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4. Oktober 2013

M

ehr als 200 verschiedene Krebstypen sind beim Men- schen bekannt. Der Blick in die Tumorgene zeigt: Malignome ent- wickeln sich nicht nur von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich, sondern auch innerhalb eines Indi- viduums und sogar innerhalb des Tumors selbst. Im Internationalen Krebsgenomprojekt (ICGC) werden die genetischen Veränderungen ei- nes jeden Tumortyps mittels Total - sequenzierung der Genome erforscht.

Dabei werden für jeden Tumortyp die Veränderungen im Genom von 500 Krebspatienten mit der glei- chen Anzahl gesunder Kontrollpro- ben verglichen.

Der Heidelberger Standort des ICGC ist das Deutsche Krebs - forschungszentrum (DKFZ). Dort werden außer Prostatakarzinomen und Lymphomen seit 2010 im Ped- Brain-Tumor-Verbund die häufigs- ten kindlichen Hirntumoren unter- sucht. Die Ergebnisse der ersten 125 Erbgutanalysen beim Medullo- blastom wurden 2012 publiziert (Nature 2012; 488: 100–5).

So fanden die Forscher um Prof.

Dr. rer. nat. Peter Lichter, Leiter der Abteilung Molekulare Genetik, bei den 125 erkrankten Kindern 765 Mutationen in 588 Genen. Die Zahl der betroffenen Gene scheint also groß, sie ist laut Lichter im Ver- gleich zu denjenigen bei Erwachse- nen jedoch relativ klein. „Schauen wir uns die proteinkodierenden Ge- ne an, so sehen wir nur zehn Verän- derungen pro Tumor, eine Größen-

ordnung weniger als bei Erwachse- nen.“ Dies gelte auch bei anderen kindlichen Tumoren wie Leukä- mien. So hoffen die Forscher, in kindlichen Hirntumoren jene Ver- änderungen leichter zu finden, die funktionelle Bedeutung haben und kausal für die Erkrankung sind: die sogenannten „Driver“-Mutationen.

Von der histologischen zur molekularen Diagnose

Einige besonders häufige charakte- ristische Erbgutveränderungen könn- ten schon bald neue Diagnose- und Therapieoptionen eröffnen. So wur- de bei den besonders aggressiven Medulloblastomen der Gruppen drei und vier in der Hälfte der Fälle an- stelle des normalen doppelten ein vierfacher Chromosomensatz gefun- den. Nach Angaben von Lichter wird vermutet, dass diese Anomalie im Erbgut krebsauslösend ist. Zellen mit vierfachem Chromosomensatz wurden auch bei anderen Tumorar- ten entdeckt. Am DKFZ wird ein Wirkstoff gezielt gegen diese Zellen entwickelt: eine optimierte Variante des Antibiotikums Griseofulvin. In vitro und im Tierversuch hat der op- timierte Wirkstoff GF-15 krebszell- tötende Wirkung.

Bei etwa einem Drittel der ein- zelnen Mutationen stießen die For- scher auf Gene, die für epigeneti- sche Modifikationen verantwortlich sind. Dies betrifft zum Beispiel das sogenannte Chromatin-Modelling.

Die DNA ist in Chromatin „ver- packt“. Aufgrund unterschiedlicher

Modifikationen auf epigenetischer Ebene ist das Gleichgewicht zwi- schen dem inaktiven Heterochro- matin mit abgeschalteten Genen und dem offenen Euchromatin mit aktiven Genen gestört. Derzeit sucht man nach Wirkstoffen, die an diesen Chromatin-Faktoren anset- zen, wie zum Beispiel Histondeace- tylase-Inhibitoren.

Interessant sind vor allem jene Veränderungen in den proteinkodie- renden Genen kindlicher Hirntumo- ren (den pilozytischen Astrozyto- men), die schon bei anderen Tumo- ren gefunden wurden und gegen die es bereits Medikamente gibt. So wurden Lichter zufolge Veränderun- gen im BRAF-Gen gefunden, und eine italienische Forschergruppe hat nun auch bei der Haarzell-Leukä- mie, einem B-Zell-Tumor, BRAF- Mutationen identifiziert. Beim mali- gnen Melanom wird diese BRAF- Mutation bereits erfolgreich mit dem Kinase-Inhibitor Vemurafenib be- handelt. Erste Behandlungsversuche mit dem Inhibitor waren auch bei Patienten mit therapierefraktärer Haarzell-Leukämie vielversprechend und könnten ebenfalls eine Option für kindliche Hirntumoren sein.

Man werde zunehmend von der histologischen Diagnose hin zu ei- ner Diagnose der Signalwege kom- men – möglicherweise auch unab- hängig von der Tumorentität, meint Lichter. Man würde Behandlungs- optionen dann etwa aus der Diagno- ONKOLOGIE

Therapie im „Genzeitalter“

Welchen Beitrag die Analyse individueller Genveränderungen bei Krebserkrankungen zur Behandlung und Prognose für den Patienten leisten kann, untersucht das Heidelberger Institut für Personalisierte Onkologie.

Foto: Fotolia/eabff

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4. Oktober 2013 A 1859 se „BRAF-Tumor“ ableiten, unab-

hängig, ob es sich um ein malignes Melanom, eine Haarzell-Leukämie oder ein Glioblastom handle.

Limitierende Faktoren einer er- folgreichen Krebstherapie sind oft Resistenzentwicklungen gegen die Wirkstoffe. Ein wichtiger Resistenz- faktor ist das N-myc-down-regulated- Gen (NDRG) 1. Patienten mit Glio- blastom, die NDRG 1 überexprimie- ren, haben eine schlechtere Prognose.

Zudem ist NDRG 1 ein Faktor, der spezifisch für die Resistenzentwick- lung gegen Alkylanzien von Bedeu- tung ist. Wie Prof. Dr. med. Wolfgang Wick, Leiter des größten Hirntumor- zentrums in Europa, und sein Team herausgefunden haben, stabilisiert es das Reparaturenzym 6-Methylgua- nin-Methyltransferase (MGMT).

Wenn Alkylanzien in die Zelle gelan- gen, wird Wick zufolge MGMT sehr schnell verbraucht. Durch das NDGR-1-Gen wird es jedoch stabili- siert und bleibt länger aktiv. Es resul- tiert die Alkylanzienresistenz. Wird es blockiert, werden die Zellen für Alkylanzien wieder sensitiv. Somit ist dieser Faktor für die Chemotherapie prädiktiv.

Auf Basis einer Heidelberger und einer Züricher Studie (Lancet Oncology 2012; 13: 707–15) wird der Alkylanzien-Resistenzfaktor MGMT heute bereits bei Entschei- dungen über die Chemotherapie vor allem bei älteren Patienten mit Glioblastom berücksichtigt. Patien- ten, die MGMT exprimieren, hatten unter Alkylanzientherapie eine pro- gressionsfreie Überlebenszeit von unter drei Monaten gegenüber acht Monaten bei denjenigen Patienten, die MGMT nicht exprimieren.

Ältere haben biologisch komplett andere Tumoren

Der Marker MGMT ist laut Wick besonders bei älteren Patienten von Bedeutung. Und auch das haben die molekularbiologischen Unter- suchungen gezeigt: Die Tumorbio- logie der Glioblastome ist bei Pa- tienten im höheren Lebensalter eine komplett andere als bei jüngeren.

Es sei wichtig, sagt Wick, von einer deskriptiven Charakterisierung des Tumors wegzukommen hin zu einer therapierelevanten.

Eine zusätzliche Rolle als Ziel für die Präzisionsonkologie könnte eine kürzlich gefundene Verände- rung im Isocitratdehydrogenase-Gen (IDH 1-Mutation) spielen. Die IDH 1 gilt bislang als ein zentraler Pro - gnosemarker, der unabhängig von der Gewebeart und der Therapie mit einer günstigeren Prognose für den Patienten assoziiert ist. Die Veränderung im IDH-1-Gen ist Wick zufolge typisch für Hirntumo- ren und Leukämien, damit also sehr spezifisch. Mutiertes IDH 1 wird in allen Tumorzellen bereits in sehr frühen Stadien exprimiert. Dieses Neoantigen könnte ein hervorra- gender Angriffspunkt für eine Im- muntherapie sein, denn der mutierte IDH-1-Marker wird auch noch bei Resistenzen exprimiert, hat also keinen Escape-Mechanismus.

Kritisch ist zu fragen, ob es ge- lingen kann, bei der biologischen Heterogenität zwischen Primärtu- moren und Metastasen und sogar innerhalb des Zellpools eines indi- viduellen Tumors, diejenigen mög- licherweise sehr seltenen Mutatio- nen herauszufinden, die tatsächlich die Ursprungsklone für eine Metas- tasierung darstellen. Um diese Fra- ge zu beantworten, müsse man ein Tumorgenom nicht 30-mal, wie dies heute geschehe, sondern mög- licherweise 200–300-mal sequen- zieren, so Lichter. Technisch sei dies zwar machbar, scheitere aber momentan noch an den hohen Se- quenzierungskosten. Man könne

nicht davon ausgehen, dass man ei- nen Tumor kenne, wenn man nur ein Kompartiment desselben unter- sucht habe, stellt auch der Neuroon- kologe Wick klar.

Ein weiteres Problem: Da Pa- tientengruppen mit einem homoge- nen molekularen Profil durch die individuelle Sequenzierung immer kleiner werden, wird es auch schwieriger, ausreichend große Ko- horten für klinische Studien zu star- ten. Deshalb wird in Heidelberg an- gestrebt, die Daten verschiedener Zentren und universitärer Partner zusammenzuführen. Auch zu die- sem Zweck wurde hier das Deut- sche Konsortium für Translationale Krebsforschung gegründet.

Totalsequenzierungen werfen viele ethische Fragen auf

Wird es gelingen, die vielen ent- deckten Mutationen auch funktio- nell zu charakterisieren? Lichter sieht dies als eine der größten Her ausforderungen des Genompro- jekts: „Wir können ganz schnell Aussagen machen zu Genen, von denen wir wissen, dass sie bei ande- ren Tumoren eine Rolle spielen.

Aber wir haben noch mehr Gene gefunden, die zwar mutiert sind in den Tumoren, über die wir aber nicht wissen, ob sie Driver-Muta- tionen sind oder tumorirrelevant.“

Schließlich die ethischen und rechtlichen Konsequenzen: Durch die Totalsequenzierung bekommen die Forscher auch Informationen über nicht krebsspezifische Erbanla- gen für andere Krankheiten, die der Patient vielleicht gar nicht wissen möchte. Andererseits: Müssen Pa- tienten, bei denen ein verändertes p53-Gen in der Keimbahn gefunden wird, nicht darüber informiert wer- den, dass sie Träger eines Krebsgens sind? Zu den vielen Fragen um die ethischen und rechtlichen Aspekte der Totalsequenzierung des mensch- lichen Genoms werden in Heidelberg in einem interdisziplinären Dialog mit Theologen, Rechtswissenschaft- lern, Ethikern, Ökonomen, Klini- kern, Genetikern und Informatikern Leitlinien entwickelt, die auch bei- spielgebend für andere Zentren sein könnten, kündigte Lichter an.

Ingeborg Bördlein Das Heidelberger Institut für Personalisierte Onkologie –

kurz HIPO – soll sicherstellen, dass die Ergebnisse der molekularen Analyse zu einer passenden Therapie für je- den Patienten führen. HIPO besteht aus drei Bausteinen:

Der Genomsequenzierung, der Bioinformatik für die Aus- wertung der Sequenzdaten und der Personalisierten On- kologie für die klinische Forschung und Umsetzung in konkrete Behandlungsempfehlungen. Den Bereich der Ge- nomanalyse verantwortet Prof. Dr. rer. nat. Peter Lichter am DKFZ, den der Bioinformatik Prof. Dr. rer. nat. Roland Eils am DKFZ und den der Personalisierten Onkologie Prof. Dr. med. Christof von Kalle am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen. Das DKFZ finanziert HIPO mit jährlich 3,3 Millionen Euro für vorerst fünf Jahre.

FORSCHUNG AM HIPO

M E D I Z I N R E P O R T

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