• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Ärztliche Zweitmeinung: Hilfe oder Verunsicherung?" (22.12.2014)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Ärztliche Zweitmeinung: Hilfe oder Verunsicherung?" (22.12.2014)"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

A 2254 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 111

|

Heft 51–52

|

22. Dezember 2014

ÄRZTLICHE ZWEITMEINUNG

Hilfe oder Verunsicherung?

Union und SPD wollen, dass Patienten vor bestimmten planbaren Operationen eine zweite ärztliche Meinung erhalten. Ob ein Recht auf eine Zweitmeinung die Patienten unterstützt oder auf lange Sicht eher irritiert, ist jedoch umstritten.

J

eder Patient hat in Deutsch- land das Recht, eine zweite ärztliche Meinung einzuholen. Wie viele Menschen von diesem Recht Gebrauch machen und welche Aus- wirkungen eine zweite Meinung auf die eingeleitete Therapie hat, liegt allerdings im Dunkeln. „Eine Zweitmeinung einzuholen, ist ge- lebte Praxis und wird undifferen- ziert in sinnigen ebenso wie in un- sinnigen Fällen betrieben“, berich- tet der neue Vorsitzende des Berufs- verbandes Niedergelassener Chirur- gen (BNC), Dr. med. Christoph Schüürmann, gegenüber dem Deut- schen Ärzteblatt. Die meisten Ärzte erführen dabei gar nicht, dass gera- de ein Patient vor ihnen sitzt, der mit seinem Anliegen vorher schon bei einem Kollegen gewesen sei.

Erkenntnisse über die Sinnhaf- tigkeit ärztlicher Zweitmeinungen gibt es in Deutschland bislang kaum. Einige Krankenkassen haben vor kurzem begonnen, Zweitmei- nungsverfahren als Satzungsleis- tungen auf der Grundlage von Ver- trägen zur integrierten Versorgung (IV) in ihr Portfolio aufzunehmen,

zum Beispiel die Barmer GEK. Seit Juli 2013 arbeitet die Kasse mit der FPZ AG Köln zusammen, einem Unternehmen der Pfizer-Gruppe, um Versicherten, die an der Wirbel- säule operiert werden sollen, eine Zweitmeinung anzubieten.

1 000 Zweitmeinungen Etwa 1 000 Versicherte haben von dieser Möglichkeit bis heute Ge- brauch gemacht, erklärt die Barmer GEK. Die Erfahrungen seien posi- tiv. Welchen Effekt das Verfahren hat, und ob Geld durch die Vermei- dung von Operationen eingespart wurde, kann Deutschlands zweit- größte Kasse derzeit allerdings noch nicht sagen. Im Laufe des kommenden Jahres sollen Ergeb- nisse einer Evaluation vorliegen, mit der die Barmer GEK klären will, ob geplante Operationen tat- sächlich vermieden werden konn- ten oder ob es lediglich zu ei- ner zeitlichen Verschiebung der Operation gekommen ist.

Noch mehr Erfahrungen mit Zweitmeinungen hat die Deutsche BKK. Ebenfalls auf der Grundlage

eines IV-Vertrages bietet sie ihren Versicherten seit 2011 eine Zweit- meinung insbesondere bei orthopä- dischen und kardiologischen Indi- kationen an. Nach drei Jahren lautet das Fazit: Nur in etwa 25 bis 30 Prozent der Fälle war die Erstmei- nung mit der Zweitmeinung iden- tisch. Welcher Meinung er folgt, muss der Patient letztlich allerdings allein entscheiden. Auch die Deut- sche BKK kann den wirtschaftli- chen Erlös der Zweitmeinungsver- fahren nicht beziffern. Ohnehin ste- he er nicht im Fokus, schreibt die Kasse auf Anfrage. Insgesamt erge- be sich dennoch, trotz der zunächst Kosten verursachenden Zweitmei- nung, „ein mindestens kostende- ckendes Verfahren“.

Weitere Erfahrungen gibt es aus dem „Zweitmeinungsnetzwerk Ho- dentumor“, das im Jahr 2006 von der Deutschen Hodentumor Studi- engruppe gegründet wurde. Hier können Ärzte mit Einwilligung ih- rer Patienten über eine elektroni- sche Plattform Spezialisten an gro- ßen Behandlungszentren um ihre Meinung zur geeigneten Therapie Eine ärztliche

Meinung reicht nicht allen Patienten.

Voraussichtlich unter anderem vor Wirbel- säulenoperationen

sollen Ärzte ihre Patienten künftig über ihr Recht auf eine ärztliche Zweit- meinung aufklären.

Foto: Your Photo Today

P O L I T I K

(2)

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 111

|

Heft 51–52

|

22. Dezember 2014 A 2255 bitten. Bis zum Sommer hatten die

teilnehmenden Ärzte für mehr als 3 000 Patienten eine Zweitmeinung erhalten. Ergebnis: Bei jedem sechsten Patienten hat die Zweit- meinung zu einer wesentlichen Än- derung des Therapiekonzepts ge- führt. Mittlerweile werden etwa 15 Prozent der neu diagnostizierten Hodentumoren in Deutschland im

„Zweitmeinungsnetzwerk Hoden- tumor“ vorgestellt.

Patienten sind zufrieden Aktuelle Informationen liefert auch eine Umfrage des Asklepios-Kon- zerns, der im Sommer dieses Jahres 1 000 Bundesbürger nach ihrer Er- fahrung mit Zweitmeinungen ge- fragt hat. Demnach hat etwa die Hälfte der Befragten schon einmal die zweite Meinung eines anderen Facharztes eingeholt. Wiederum die Hälfte dieser Patienten war dabei selbst aktiv geworden, um eine Zweitmeinung zu erhalten. In 32 Prozent der Fälle war die Zweitmei- nung von Praxisärzten initiiert wor- den, in elf Prozent von Kranken- hausärzten. 94 Prozent der befrag- ten Patienten, die schon einmal eine Zweitmeinung eingeholt haben, waren Asklepios zufolge mit dem Ergebnis zufrieden, weil es ihrer Meinung nach dazu beigetragen hat, die für sie am besten geeignete Behandlungsmethode zu wählen.

Trotz allem sind gesicherte Er- kenntnisse über Zweitmeinungsver- fahren in Deutschland rar. Dies wollen Union und SPD nun ändern, indem sie mit dem Versorgungsstär- kungsgesetz (VSG) das Recht auf eine Zweitmeinung konkretisieren und ausbauen (siehe Kasten). Die- ses Vorhaben bewerten sowohl Ärz- teschaft als auch Krankenkassen grundsätzlich positiv. „Zweitmei- nungen können aus ärztlicher Sicht ein wichtiges Element der Quali- tätssicherung sein, indem sie die Diagnosefindung unterstützen und den interkollegialen Austausch för- dern“, schreibt zum Beispiel die Bundesärztekammer (BÄK) in ih- rer Stellungnahme zum VSG. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung begrüßt darüber hinaus, dass der vorgesehene Anspruch auf eine Zweitmeinung die derzeit bestehen- den Rechtsunsicherheiten beseitige und ein regelhaftes Zweitmei- nungsverfahren einführe, das vom GKV-Leistungskatalog erfasst wer- de. Und auch der Verband der Ersatzkassen bewertet die Rege- lung „positiv“, da auf diese Weise

„Über- und Fehlversorgung bei be- stimmten Operationen“ verringert werden könnten.

Ist also alles gut? Nein, sagt der Präsident der Ärztekammer Berlin und Vorsitzende der Ständigen Konferenz Qualitätssicherung der

BÄK, Dr. med. Günther Jonitz. „Ich bewerte das Zweitmeinungsverfah- ren als politische Alibi-Maßnah- me, da die Ursachen für die viel beschriebene Mengenausweitung, nämlich unterfinanzierte Fallpau- schalen, Kostendruck und Innovati- onsstau in den Krankenhäusern, praktisch unverändert bleiben“, kri- tisierte Jonitz. „Ein von der Politik und den Krankenkassen vorsätzlich verursachtes Problem soll nun auf der Ebene der Arzt-Patient-Bezie- hung ausgetragen werden.“

Das Vertrauen schwindet Zweitmeinungen als Korrektiv für finanzielle Fehlanreize könnten le- diglich zur Dämpfung möglicher Indikationsausweitungen führen, nicht jedoch die eigentlichen Pro- bleme lösen, heißt es auch in der Stellungnahme der BÄK. Jonitz warnt davor, dass infolge der ge- planten Regelung Aufwand und Verunsicherung sowohl beim Arzt als auch beim Patienten entstehen könnten. Der daraus folgende Ver- trauensverlust schade der Therapie.

Vor kurzem hat die Bundesärzte- kammer eine Arbeitsgruppe „Ärzt- liche Zweitmeinung“ gegründet, die im Auftrag der Ständigen Kon- ferenz Qualitätssicherung „Krite- rien für die Einholung von Zweit- meinungen“ erarbeitet, wie Jonitz erklärt. Integrität, Unabhängigkeit und fachliche Kompetenz spielten dabei eine zentrale Rolle.

Der BNC-Vorsitzende Schüür- mann befürchtet, dass das geplante Verfahren die Ausgaben im Ge- sundheitssystem nicht reduzieren, stattdessen aber die Dokumentati- onspflichten ansteigen lassen wer- de. „Die Aufklärung über das Recht auf eine Zweitmeinung muss doku- mentiert und vom Patienten gegen- gezeichnet werden“, sagt Schüür- mann. „Dieser zusätzliche Aufklä- rungsaufwand kostet natürlich Zeit und Geld. Ganz persönlich glaube ich nicht einmal, dass Zweit-, Dritt-, Viert- und Fünftmeinungen zu einem besseren Gesamtergebnis führen.“ Weil mit jeder weiteren Meinung das Vertrauen schwinde, sei möglicherweise sogar das Ge-

genteil der Fall.

Falk Osterloh Mit der Neuregelung wollen Union und SPD ins-

besondere sogenannte mengenanfällige Leistun- gen eindämmen, Operationen also, deren Anzahl in den vergangenen Jahren angestiegen ist. Dem Kabinettsentwurf zum Versorgungsstärkungsge- setz (VSG) zufolge soll der Gemeinsame Bundes- ausschuss (G-BA) bis zum Ende des kommenden Jahres zum einen bestimmen, bei welchen plan- baren Eingriffen der Anspruch auf eine Zweitmei- nung besteht, und zum anderen, welche Voraus- setzungen Ärzte erfüllen müssen, damit sie eine Zweitmeinung abgeben können.

Wer einem Patienten künftig eine „mengenan- fällige“ Indikation für eine der Leistungen stellt, die der G-BA bestimmt hat, muss den Patienten mündlich über sein Recht aufklären, eine Zweit- meinung einholen zu können. „In der Regel“ soll

dies mindestens zehn Tage vor dem geplanten Eingriff erfolgen, in jedem Fall aber „so rechtzei- tig, dass der Versicherte seine Entscheidung über die Einholung einer Zweitmeinung wohlüberlegt treffen kann“, heißt es im VSG. Die Zweitmeinung darf nicht in der Einrichtung eingeholt werden, in der der Eingriff vorgenommen werden soll.

Da die Zweitmeinung als gesonderte Sachleis- tung in der vertragsärztlichen Versorgung gewährt werde, heißt es weiter in der Gesetzesbegrün- dung, sei eine „inhaltlich-strukturelle und bewer- tungsbezogene Ableitung der mit der Zweitmei- nung verbundenen Leistungsanteile aus beste- henden Gebührenordnungspositionen des einheit- lichen Bewertungsmaßstabs“ erforderlich. Die ärztliche Zweitmeinung soll damit gesondert ab- gerechnet werden können.

NEUES ZWEITMEINUNGSVERFAHREN NACH VSG

P O L I T I K

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE