Aufgrund der z. T. öffentlichen und sachlich irreführenden Werbung für die Chelattherapie sehen sich der Wissenschaft- liche Beirat der Bundesärzte- kammer und die Arzneimittel- kommission der deutschen Ärz- teschaft veranlaßt, zu dieser Frage Stellung zu nehmen.
Sie beziehen sich hierbei auf die nachstehende, vom „Aus- schuß für die Bewertung dia- gnostischer und therapeuti- scher Maßnahmen der Ameri- can Medical Association" ver- öffentlichte Beurteilung der Si- cherheit und Wirksamkeit der Chelattherapie' ) , die auch die Stellungnahmen des US-Ge- sundheitsministeriums (De- partment of Health and Human Services) 2) und einer Reihe me- dizinischer Fachgesellschaften zu dieser Frage enthält.
„Es bestand Übereinstimmung bei allen befragten Sachver- ständigen, daß die Chelatthera- pie mit Ethylendiamintetraes- sigsäure (EDTA) oder ihrem Natriumsalz keine anerkannte Behandlung atheroskleroti- scher Gefäßerkrankungen dar- stellt. Die ursprüngliche These, daß wiederholte intravenöse In- 1) JAMA 250 (1983) 672
2) HRST Assessment Report Series, (1981) Vol. 1, Nr.18
fusionen der chelierenden Substanz, Dinatrium-EDTA, bei Patienten mit Angina pectoris infolge koronarer Herzerkran- kung von Nutzen sei, konnte in keiner gut geplanten kontrol- lierten klinischen Studie belegt werden. Obwohl aufgrund eini- ger unkontrollierter Studien Besserungen behauptet wur- den, zeigten andere keinen substantiellen Effekt dieser Be- handlung. Es gibt keine Fakten, die für eine wesentliche Beein- flussung atherosklerotischer Plaques sprechen. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob die Anwendung von EDTA, beson- ders bei Patienten mit korona- rer Herzerkrankung, unbe- denklich ist.
Die Bindung des Plasmakalzi- ums verringert die Spiegel ioni- sierten Kalziums und kann hierdurch Tetanie, Arrhyth- mien, Krampfanfälle und Atem- stillstand hervorrufen. EDTA kann auch Nekrose der Nieren- tubuli und Nierenversagen, bleibende Nierenschäden, eine Knochenmarkdepression so- wie eine verlängerte Prothrom- binzeit verursachen. Die Mehr- zahl der Sachverständigen glaubt, daß die Chelattherapie eine nicht vertretbare und in ih- rem Wert fragwürdige Behand- lung der atherosklerotischen Gefäßerkrankung darstellt.
Nach Auffassung etwa der Hälf- te der Befragten befindet sie sich noch im Versuchsstadium und sollte in einer kontrollier- ten wohlgeplanten Studie überprüft werden. 1981 veröf- fentlichte das US-Department of Health and Human Services einen Bericht über ,EDTA Che- lation Therapy for Atheroscle- rosis'. In diesem wird festge- stellt , daß es keine anerkannte Grundlage für ihre Wirksamkeit gibt, und daß ihre Sicherheit fraglich ist. ,The Medical Let- ter' analysierte 1982 die über 20 Jahre gesammelten Erfah- rungen und kam zu dem Schluß, daß ,keine akzeptablen Nachweise darüber vorliegen, daß die Chelattherapie mit ED- TA in der Behandlung der Athe- rosklerose wirksam ist, und daß die unerwünschten Wirkungen der Substanz letal sein kön- nen'. Die American Heart Asso- ciation hat ebenfalls die Daten geprüft und keinen wissen- schaftlich gesicherten Anhalt dafür gefunden, der die Be- hauptung eines Nutzens bei Patienten mit Atherosklerose stützt. Diese Auffassung wird auch von dem American Col- lege of Physicians und der American Society for Clinical Pharmacology and Therapeu- tics geteilt. Zusammengefaßt besteht allgemeine Überein- stimmung darüber, daß die Chelattherapie, nicht als ak- zeptierte Behandlung der koro- naren oder anderer atheroskle- rotischer Erkrankungen ange- sehen werden kann."
Für den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekam- mer: H. P. Wolff
Für die Arzneimittelkommis- sion der deutschen Ärzte- schaft: F. Scheler
STELLUNGNAHME DES WISSENSCHAFTLICHEN
BEIRATES DER BUNDESÄRZTEKAMMER UND DER ARZNEI- MITTELKOMMISSION DER DEUTSCHEN ÄRZTESCHAFT
Wie sicher und wirksam
ist die sogenannte Chelattherapie bei der Behandlung
atherosklerotischer Gefäß-Erkrankungen?
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
BEKANNTMACHUNG DER BUNDESÄRZTEKAMMER
436 (70) Heft 7 vom 17. Februar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A