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A274 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 5⏐⏐3. Februar 2006
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urz nach Freiburg passt der Zug seine Geschwin- digkeit der Landschaft an:Langsam, fast ehrfurchtsvoll, fährt er oberhalb des Höllen- tals durch den Hochschwarz- wald in süd-östliche Richtung.
„Himmelreich“ heißt die letzte Station vor Hinterzarten, dem kleinen Ort auf 900 Meter Höhe, der seit 1932 „den Birk- lehof“ beherbergt – lange be- vor Hinterzarten bei Nordic Walkern so beliebt wurde.
Der Birklehof e.V.,Gymnasium und Internat, ist angelegt wie ein großer Gutshof und passt sich mit der Architektur der Gebäude der Schwarzwald- landschaft an – für Großstadt-
kinder eine Idylle. Die Land- schaft soll die zurzeit 150 Inter- natsschüler sowie die 70 Exter- nen zum Sport in der freien Natur verführen. Einmal wö- chentlich steht ein Nachmittag
„Outdoorsport“ verpflichtend auf dem Stundenplan: Mon- tainbiken, Kanu fahren, Wan- dern, Ski fahren. „Im Winter schaue ich von meinem Klas- senzimmer manchmal sehn-
süchtig auf die Windeck, unse- re Haus-Skipiste, und freue mich auf den Nachmittag“, berichtet Oberstufenschülerin
Der Birklehof
Individuelles Profil entwickeln
Im traditionsreichen Internat im Schwarzwald sollen Schüler lernen, frühzeitig Verantwortung für einander zu übernehmen.
Bildung
Lena, die als Mitglied des „Auf- nahmeteams“ Gäste durch den Birklehof führt. Selbstbewusst und offen erzählt Lena, womit sie – wenn kein Schnee liegt – nachmittags ihre Zeit ver- bringt: Neben Reiten und der Tanztheater-AG ist sie enga- giert als Schülermentorin, das heißt, sie steht den „Kleinen“
aus der Unterstufe zur Seite und arbeitet im „Turmkeller“
mit, wo die beliebten Schulpar- tys stattfinden. Mit ihrem viel- seitigen Engagement ist das Mädchen eine typische Birk- lehöferin.
Wichtig ist für Schulleiter Dr. Christof Laumont, heraus- zustellen, dass der Birklehof keine „glamouröse“ Schule ist, die Wert auf Status und Her- kunft der Schüler legt, sondern einen individuellen fördernden Ansatz hat. Laumont, der vor- her sechs Jahre in der Schloss- schule Salem am Bodensee war, mag kein „pseudoelitäres Gehabe“, sondern will im Sinne der Schulgründers, des Reformpädagogen Kurt Hahn, und des Altphilologen und Phi- losophen Georg Picht jeden Schüler „nach seinem individu- ellen Profil fördern“ und ihm frühzeitig Verantwortung über- tragen. Beispielsweise durch die Dienste, in denen Lena sich engagiert, oder die sozialen Dienste, bei denen Schüler äl- teren Menschen aus der Um- gebung zur Hand gehen, Spiel- nachmittage für Migrantenkin- der veranstalten oder Hausauf- gabenbetreuung für Kinder der Hauptschule im Ort anbie- ten. Individuelles Profil erlan- gen können Schüler, indem sie sich in den verschiedenen Ar- beitsgemeinschaften (zum Bei-
spiel Chor, Orchester, Combo, Theater, Kunst, Töpfern, Foto- grafieren, Video, verschiedene Ballsportarten, Hockey, Bad- minton und Klettern) auspro- bieren. Davon sind in der Mit- telstufe wöchentlich drei ver- pflichtend. Üblich ist dabei auch, dass Oberstufenschüler AGs für die Jüngeren anbie- ten, wie Philipp aus der 12.
Klasse, der die Kletter-AG lei- tet. Es macht ihm Spaß, sie in der Trendsportart zu unterwei- sen, auch wenn er dafür seine Freizeit opfern muss. Was Phi- lipp, der seit sechs Jahren im Birklehof lebt und der sich frei- willig für das Internatsleben entschieden hat, wie er sagt, an der Schule schätzt, sind „die Freiheiten, die man hier hat“.
Bis auf die Vorgaben der Dien- ste und der AGs kann die Zeit nach dem gemeinsamen Mittagessen frei eingeteilt wer- den. Verpflichtend ist, die Zeit zwischen 17.00 und 19.00 Uhr auf den Zimmern zu verbrin- gen, um Hausaufgaben zu erle- digen.
Die Schüler wohnen meist zu zweit auf den Zimmern, in nach Unter-, Mittel- und Ober- stufe eingeteilten Häusern. In der 13. Klasse hat der Schüler Anrecht auf ein Einzelzimmer.
Ein so genannter Hauserwach- sener, ein Lehrer, wohnt je- weils mit im Haus. Für die Leh- rer heißt das: rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen. „Das ist manchmal anstrengend“, sagt Deutschlehrerin Kathari- na Karras, die in einem Haus für Mädchen der Oberstufe wohnt. „Man muss das mögen, ständig angesprochen zu wer- den“, betont die junge Frau, während zwei Mädchen nach dem Mittagessen auf sie zu- stürmen. Sie kann sich jedoch keinen anderen Job mehr vor- stellen.
Schüler der fünften und sechsten Klasse leben zusam- men im „Unterraum“, einem Haus, in dem es noch etwas fa- miliärer zugeht, weil dort eine Familie mit bald zwei kleinen Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 5⏐⏐3. Februar 2006 AA275
In der fünften bis siebten Klasse lernt jeder Schüler ein Blasinstrument, um im Klassenverband zu musizieren.
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Foto:Birklehof
Kindern und eine weitere
„Hauserwachsene“ lebt. Zur- zeit wohnen dort zehn Mädchen und vier Jungen.
Überforderte Eltern, Bezie- hungskrisen, beruflich sehr eingespannte Eltern oder auch Anpassungsschwierig- keiten beim Übergang auf das Gymnasium können Gründe dafür sein, bereits mit zehn Jahren ins Internat zu gehen. Für die Kleinen hält Laumont ein differenziertes pädagogisches Konzept be- reit, ,,bei dem Musik eine
große Rolle spielt“. So ist es in den Klassen fünf bis sieben für jeden Schüler verpflich- tend, ein Blasinstrument zu lernen, um mit seiner Flöte, Klarinette, Saxophon oder Trompete zusammen im Klas- senorchester zu spielen. Die- ses „Bläserklassenkonzept“, das inzwischen auch an ei- nigen staatlichen Schulen an- geboten wird, „stärkt das Zusammengehörigkeitsgefühl enorm“, weiß Laumont. Der musisch-künstlerische Bereich spielt im Birklehof eine große
Rolle. In einem eigenen „Mu- sikhaus“ werden die Schüler in ihren Instrumenten unter- richtet. Dort treffen sich Or- chester, Chor und Combo zu Proben und Konzerten. Ge- sangstalent Elissa wählte den Birklehof aus, weil sie wusste, dass sie hier entsprechend ge- fördert wird. Mithilfe ihrer Gesangslehrerin Ann Mc- Guire ist sie heute, kurz vor dem Abitur, so weit, klar zu wissen, dass sie eine Karriere als Musicalsängerin ansteu- ern wird. Petra Bühring V A R I A
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Kosten
Die Gebühren für Schule und Internat betragen rund 2 000 Euro monatlich.
20 bis 25 Prozent der Schüler können Stipendien erhalten, die abhängig vom Einkommen bei 200 Euro im Monat beginnen. Finanziert werden diese durch Spenden von „Altbirkle- hofern“ und sonstigen Förderern.
Kontakt
Schule Birklehof, 79854 Hinterzarten, Telefon: 0 76 52/12 20, E-Mail: kon takt@birklehof.de, Internet: www.
birklehof.de