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Der zwiespältige Deutsche als symbolische Konstruktion : die visuelle Darstellung von Deutsch-sein in US-amerikanischen Fernsehserien zwischen 2002 und 2012

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Abschlussarbeit

zur Erlangung der Magistra Artium

im Fachbereich Sprach- und Kulturwissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität

Institut für Kunstpädagogik

Thema:

Der zwiespältige Deutsche als symbolische

Konstruktion. Die visuelle Darstellung von Deutsch-sein in US-amerikanischen Fernsehserien zwischen 2002 und 2012.

1. Gutachter: Dr. Marcus Recht 2. Gutachter: Prof Dr. Georg Peez

vorgelegt von: Anastasija Brinckmann (geb. Nachtigall)

Einreichungsdatum: 27. Januar 2015

(2)

Inhaltsverzeichnis

I Abkürzungsverzeichnis_________________________________________ 4

Einleitung

1. Thematik___________________________________________________ 5 1.1 Gliederung und Forschungsstand_____________________________7 1.2 Relevanz für die Kunstpädagogik_____________________________ 10

Theorie

2. Konstruktion von Nation im Fernsehen____________________________13 2.1 Konstruktion von Nation____________________________________ 13 2.1.1 Konstruktion von nationaler Identität_______________________ 15 2.1.2 Nationales Stereotyp___________________________________ 17 2.1.3 Wissen über Deutsch-sein_______________________________19 2.1.4 Bildwissen und Bildwirklichkeiten_________________________ 21 2.2 Inszenierungsstrategien im Fernsehen________________________ 25 2.2.1 Körper______________________________________________ 25 2.2.2 Schauplätze__________________________________________29 2.2.2.1 Raum_________________________________________ 29 2.2.2.2 Komposition____________________________________ 30 2.2.2.3 Licht__________________________________________ 31 2.2.2.4 Farbe_________________________________________ 31 2.2.3 Kamera_____________________________________________ 32 2.3 Fazit___________________________________________________ 34

Methode

3. Methodisches Vorgehen_______________________________________ 36 3.1 Datenerhebung___________________________________________ 37 3.2 Datenauswertung_________________________________________ 42

Analyse

4. Konstruktion von Deutsch-sein im Fernsehen______________________ 45 4.1 Der zwielichtige Deutsche__________________________________ 46 4.1 1 Breaking Bad_________________________________________ 46 4.1.2 Scrubs______________________________________________ 55 4.1.3 Malcolm Mittendrin____________________________________ 59 4.1.4 Veronica Mars________________________________________ 62 4.1.5 Zwischenfazit_________________________________________64

(3)

4.2 Der zwiespältige Deutsche__________________________________ 67 4.2.1 How I Met Your Mother_________________________________ 67 4.2.2 Malcolm Mittendrin____________________________________ 81 4.2.3 Zwischenfazit________________________________________ 93

Interpretation

5. Die Zeichen der deutschen Nation_______________________________ 94 5.1 Nationale Stereotype______________________________________ 95 5.1.1 Sprache_____________________________________________ 95 5.1.2 Geschichte___________________________________________96 5.1.3 Kultur_______________________________________________ 102 5.2 Deutsch-sein als symbolische Konstruktion_____________________ 107

Schluss

6. Schlussfolgerung____________________________________________ 111 6.1 Resümee_______________________________________________ 111 6.2 Kritik und Ausblick________________________________________ 113 6.3 Nachtrag_______________________________________________ 115 Anhang

II Bibliografie_________________________________________________ 117 III Abbildungen________________________________________________ 125 IV Anhang____________________________________________________ 159 V Tabellarischer Lebenslauf______________________________________ 171 VI Eidesstattliche Erklärung______________________________________ 172

(4)

I Abkürzungsverzeichnis:

Abb. Abbildung

AMC US-amerikanischer Fernsehsender

CBS Hörfunk- und Fernsehnetzwerk der USA

CSI Crime Scene Investigation (US-amerikanische Fernsehserie)

DEA Drug Enforcement Agency

et. al. lateinisch für „und andere“

FOX US-amerikanischer Pay-TV Sender

G5 Kampfflugzeug

HIMYM How I Met Your Mother (US-amerikanische Fernsehserie) JIM Studie Jugend, Information, (Multi) Media Studie

KIM Studie Kinder und Medien Studie

NBS US-amerikanischer Fernsehsender SS-Mantel Mantel der Schutzstaffel im 2. Weltkrieg s03e10 Staffel 03 Episode 10 (Beispiel)

TV - Serie Fernsehserie

8:30 pm 20:30 Uhr (post meridiem, Nachmittags)

Hinweis:

Internetquellen sind vollständig als URL in der Bibliografie angegeben. In den Fußnoten findet sich jeweils eine Kurzversion. Ebenso ist auch das Zugriffsdatum im bibliografischen Verzeichnis vermerkt.

(5)

1. Thematik

„Im Großen und Ganzen fällt es den Amerikanern nicht leicht, die Deutschen zu entschlüsseln – besserwisserisch und risikoscheu, regelwütig, aber FKK-begeistert, trinkfest und doch tiefernst.“1

(Hanni Hüsch, 2013)

„Deutschland, das bedeutete für mich zunächst einmal Nazis.“ Diesen Satz äußert die amerikanische Philosophin Susan Neiman in einem Interview der Zeit über die deutsch-amerikanische Geschichte. Er verdeutlicht stellvertretend, wie 2 stark die Verantwortlichen des Holocausts gegenwärtig das Kollektivgedächtnis Amerikas beherrschen. Seither ist „der Deutsche“ auch in der Welt der Bilder als Verkörperung des Bösen präsent und als dominantes visuelles Stereotyp im Bildgedächtnis verankert. Faschistoide Ästhetik durchdringt die Popkultur auf 3 vielen Ebenen, die damit der Gleichung, Deutsche seien in erster Linie Nazis, kaum etwas entgegenstellt. Gegenwärtig ist zumindest im Bereich der 4

Fernsehserie eine Abweichung von der Nazi-Referenz in der Popkultur zu verzeichnen. Verschiedene Journalisten beschreiben erstmalig ab Mitte 2013 in ihren Artikeln das Phänomen gewandelter Repräsentationen von „Deutschen“, die negative Konnotationen beinahe überwunden hätten und nicht mehr allein auf

Hüsch, Hanni: USA. Washington wählt Berlin – der (be)wundernde Blick über den Atlantik. In:

1

(ders.)(Hg.): So sieht uns die Welt. Ansichten über Deutschland, Frankfurt am Main, 2013, S. 98.

Vgl. Kemper, Hella: Wir und ihr. In: Zeit online, März 2011.

2

Vgl. Sielke, Sabine; Schäfer-Wünsche, Elisabeth: Vereinigte Staaten. In: Stierstorfer, Klaus

3

(Hg.): Deutschlandbilder im Spiegel anderer Nationen. Literatur, Presse, Film, Funk und Fernsehen, Hamburg 2013, S. 159.

Anmerkung: Ebenfalls im Jahr 2011 hat der Filmwissenschaftler Marcus Stiggleger eine

4

Publikation herausgebracht, die den Sachverhalt der Faszination faschistoider Ästhetik

dokumentiert. Er schreibt: „Nazis sind Pop geworden, sie stecken im rollenden R von Rammstein ebenso wie in Jonathan Meeses Kunsthappenings in Uniform und Führergruß oder im US- amerikanischen Verschwörungstriller Valkyrie von Bryan Singer. Auch als Zombies kehren sie zurück in der norwegischen Horrorkomödie von Tommy Wirkola […]. Zu allem Überfluss steht die mediale Popularisierung von Nazi-Chic für internationalen Erfolg. Das Publikum in den USA und Asien, in West- und Osteuropa will sie sehen […].“ Stiggleger, Marcus: Nazi-Chic und Nazi-Trash.

Faschistische Ästhetik in der populären Kultur, Berlin 2011, S. 9 - 10.

— Einleitung —

(6)

das Nazi-Klischee festgelegt werden, sondern mittlerweile „auch Gute sein“

dürfen. Sie machen vor allem ökonomische Gründe für die gewandelte 5

Darstellung verantwortlich. US-Qualitätsfernsehserien würden dem Kino aktuell den Rang ablaufen, was mit größeren Produktionsbudges erklärbar ist, die durch Ausstrahlungen international erfolgreicher Fernsehserien im Ausland aufgefüllt werden sollen. „Der Verkauf ins Ausland ist daher wichtiger als je zuvor. Und weil der deutsche Fernsehmarkt inzwischen als der größte in Europa gilt, kann die Beteiligung deutscher Stars durchaus ein wichtiges Verkaufsargument sein.“ 6 Deutsche Schauspieler verkörpern zwar nicht immer „Deutsche“ und „Deutsche“

werden nicht immer von deutschen Schauspielern repräsentiert, dennoch können die kleinen Anspielungen auf Deutsch-sein insgesamt als eine Hommage an die deutschen Zuschauer verstanden werden, die, wie Jürgen Schmieder schreibt, eine Vermarktung der Serie auf dem wichtigsten europäischen Fernsehmarkt erst profitabel mache. Sicherlich stellt dieser Sachverhalt einen erheblichen Faktor 7 im gewandelten Bild über die Deutschen dar, der damit an den Wunsch dieses Volkes anknüpft, endlich als normales Volk angesehen zu werden und nicht ständig (auch visuell) auf die Gräueltaten ihrer Vorgänger zu referieren. Dem 8 Wandel der Repräsentation von Deutsch-sein liegt mindestens noch eine weitere Ursache zugrunde, die zunehmend die Produzenten amerikanischer

Qualitätsserien erreicht zu haben scheint und im Folgenden als These erläutert wird.

Die vorliegende Arbeit wendet sich dem gegenwärtig aufgekommenen Phänomen der Ablösung vom Nazi-Klischee bei der Repräsentation von

„Deutschen“ zu und fokussiert in fünf zeitgenössischen Beispielen die visuelle Darstellung von Deutsch-sein in US-amerikanischen Fernsehserien. Als Eingangszitat wurde ein Satz aus Hanni Hüschs Zusammenfassung der

Vgl. Abeltshauser, Thomas: Diese deutschen Stars erobern jetzt die US-Fernsehserien. In:

5

Berliner Morgenpost, 22.08.2013;

Vgl. Schmieder, Jürgen: Die Deutschen kommen. In: Süddeutsche Zeitung, 15.10.2013. und Weber, Martin: Deutsche erobern US-Serien. In: Stuttgarter Nachrichten, 12.12.2013.

Weber 2013.

6

Vgl. Schmieder 2013.

7

Vgl. Williams, C. K.: Das symbolische Volk der Täter. In: Die Zeit, Nr. 46, 07.11.2002.

8

— Einleitung —

(7)

Betrachtung von Deutschen in den USA gewählt. Er unterstützt im Wesentlichen das, was im Ergebnis der qualitativen Bildanalysen das Erkenntnisinteresse in den hier untersuchten Fernsehserien Malcolm Mittendrin (2002 - 2004), Scrubs (2005), Veronica Mars (2004 - 2006), How I Met Your Mother (2007 - 2012) und Breaking Bad (2012) zusammenfasst. Die nationale Identität des deutschen 9 Volkes wird mittels verschiedener Bildmittel als zwiespältig, zwielichtig und damit widersprüchlich inszeniert. Ihre Widersprüchlichkeit wird schließlich als

symbolische Konstruktion gedeutet, die der These des Lyrikers C. K. Williams folgt, „die Deutschen“ seien zu einem Zeichen transzendiert. Damit bewegt sich 10 die Darstellung von Deutsch-sein zwischen zwei Positionen, und zwar konkret zwischen dem, was es ist (bzw. was das Fernsehen den Zuschauer glauben lässt, was es ist), und dem, wofür es steht. Für die Ambivalenz der Darstellung von Deutsch-sein spielt die symbolische Bedeutung des deutschen Volkes, welche sich aus seiner Geschichte ergibt, eine wesentliche Rolle.

1.1 Gliederung und Forschungsstand

Der wissenschaftliche Anknüpfungspunkt, dem das Thema dieser Arbeit folgt, entstammt dem interdisziplinären Spannungsfeld der (Visual) Culture Studies von Identitäten, Nation und Bildern. Die Repräsentation von Deutsch-sein erfolgt anhand eines Fremdbildes, das sich hier aus der Verbreitung durch US-Serien speist. Mittels der ikonografischen Analyse lässt sich die Darstellungen der nationalen Identität der Deutschen untersuchen. Bisher gibt es kaum deutschsprachige Beiträge, die rein auf einer visuellen Grundlage gestaltet wurden. Der Forschungsstand wird sprachwissenschaftlich dominiert und findet in diese Arbeit inhaltlich wie auch methodisch Eingang, zumal sich die junge Disziplin der Bildwissenschaft eines sprachwissenschaftlich erarbeiteten Instrumentariums bedient und beide Forschungsfelder Berührungspunkte aufweisen.11

Der Anglist Klaus Stierstorfer hat im Jahr 2013 die Publikation Deutschlandbilder

Anmerkung: Die Zeitangabe bezieht sich auf das Vorkommen verkörperter Repräsentationen

9

von Deutsch-sein in der jeweiligen Serie.

Vgl. Williams 2002.

10

Vgl. Kapitel 3.

11

— Einleitung —

(8)

im Spiegel anderer Nationen. Literatur, Presse, Film, Funk, Fernsehen

herausgegeben, in denen Theoretiker verschiedener Disziplinen aus Sicht eines bestimmten Landes schreiben, wie sie Deutsch-sein wahrnehmen. Der Beitrag zur Sicht der USA wird von Sabine Sielke und Elisabeth Schäfer-Wünsche vorgestellt, die beide eine kulturwissenschaftliche Perspektive auf das Thema bieten. Aber auch sie beziehen ihre Ergebnisse hauptsächlich aus literarisch verfassten Annahmen über dasjenige, was Deutsch-sein ausmacht. Sie weisen nach, dass Deutsche als Nazis die Repräsentation der deutschen Nation

unauflöslich beeinflussen. Schließlich wurde Hanni Hüschs Beitrag USA. 12 Washington wählt Berlin - der (be)wundernde Blick über den Atlantik zur Vergegenwärtigung des Deutsch-sein Bildes aufgenommen, der sich wie ihre Vorgängerinnen auf die sprachlich formulierte Ambivalenz der nationalen Identität der Deutschen stützt.

Die Gliederung der vorliegenden Arbeit orientiert sich an zwei Fragen: Auf welche besondere Weise wird Deutsch-sein visuell konstruiert (ästhetischer

Mechanismus)? Welches Wissen über Deutsch-sein wird (re)produziert (sozialer Mechanismus via Zeichen)?

In Kapitel 2 geht es zunächst um allgemeine soziale und ästhetische

Mechanismen der Herstellung von Nation im Fernsehen. Gerhard Lüdeker hält in seiner Publikation Kollektive Erinnerung und nationale Identität. National-

sozialismus, DDR und Wiedervereinigung im deutschen Spielfilm nach 1989 das Konzept der Nation als Konstruktion fest. Zu diesem Ergebnis gelangt er in der Auseinandersetzung mit vielen häufig zitierten Theoretikern dieses

Forschungsbereiches. Das Konzept der Nation bildet den Überbau für die Konstruktion der nationalen Identität sowie der nationalen Stereotype. Die zentralen Merkmale einer nationalen Identität speisen sich aus einer gemeinsamen Sprache, Geschichte und Kultur. Manuel Becker, Claudia Lichnofsky und Sebastian Wenzlitschke haben im Zuge einer universitären Veranstaltung eine Handreichung mit dem Titel Zur Konstruktion von Nation und Nationalismus Theorien, konzeptionelle Überlegungen und das östliche Europa

Vgl. Sielke/Schäfer-Wünsche 2013, S. 155 - 162.

12

— Einleitung —

(9)

herausgegeben. Sie tragen unterschiedliche Perspektiven dieses Diskurses zusammen und zeichnen Nation als Symbolsystem aus, welches sich über bestimmte, wiederkehrende Zeichen in den Kategorien Sprache, Kultur und Geschichte äußert. In diesen Kategorien werden Stereotype gebildet, mittels derer die nationale Identität der Wir-Gruppe der Deutschen von außen betrachtete wird. In dieser Arbeit wird sich der Gruppe der „Amerikaner“

angenommen und ermittelt, wie sie Deutsch-sein sehen und schließlich in ihren TV-Serien reproduzieren. Auf der Grundlage einer sprachwissenschaftlich

orientierten Bildforschung hat Moyle seine Dissertation Drawing Conclusions: An imagological survey of Britain and the British and Germany and the Germans in German and British cartoons and caricatures, 1945 - 2000 über gegenseitig kursierende nationale Stereotype von Briten und Deutschen in der Karikatur veröffentlicht. Seine Analysekategorien dienen in dieser Arbeit als Verfeinerung der drei nationenbildenden Oberkategorien. Für die Konstruktion von Nation im Fernsehen wird aufgezeigt, wie Bilder allgemein an der Produktion und

Aufrechterhaltung von Wissensbeständen beteiligt sind und welche ästhetischen Inszenierungsstrategien sie bezüglich einer zu vermittelnden Identität verwenden.

Da keine konkreten Forschungen zur Äußerungen nationaler Identität vorliegen, orientieren sich die Inszenierungsstrategien zur Darstellung einer Identität im Fernsehen am allgemeinen Forschungsstand nach Knut Hickethier. Zusammen 13 mit Kapitel 3 ist hiermit das Instrumentarium für die visuelle Analyse

bereitgestellt.

In Kapitel 4 wird mithilfe der Untersuchung der ästhetischen Mittel zuerst das visuell Kennzeichnende, eine zwielichtige und zwiespältige deutsche Identität, herausgearbeitet. Das geht aus der Konstruktion von Deutsch-sein hervor, die gleichzeitig Irritation bedeutet und somit als Widerspruch formuliert wird.

Die häufigsten Merkmale werden in Kapitel 5 zusammenfassend in die groben Analyseklassen (Sprache, Geschichte und Kultur), die das Konzept der Nation bereitstellt, eingeteilt sowie in den feiner differenzierten Kategorien nach Moyle beleuchtet. Es wird in einer tiefer gehenden Bilddeutung nicht nur offengelegt, welcher historischen und kulturellen Wissensbestände sich die Konstruktion von

Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse, Stuttgart: Metzler, 2001.

13

— Einleitung —

(10)

Deutsch-sein bedient, sondern auch, welche Wissensbestände, gekleidet in Stereotype und Klischees, gehäuft zirkulieren. Zum Schluss des Kapitels wird eine Bewertung der Zwiespältigkeit als Diskussion aktueller

kulturwissenschaftlicher und sprachwissenschaftlicher Forschungsansätze angeboten. Letztere Position ist es, die Deutsch-sein als eine symbolische Konstruktion markiert. Davon ausgehend können ihre bildlich vermittelten Zeichen in eine Doppeldeutigkeit gestellt werden. Ähnlich wie die Nation ein geistiges Gebilde ist, das jedoch real mit großer Anstrengung aufrechterhalten wird (vgl. Patriotismus), ist Deutsch-sein eine Idee. Mit ihm wird aktuell in amerikanischen TV-Serien einerseits ein bestimmtes symbolisches Bild, subtil das Nazi-sein als Bedrohung, und andererseits ein als tatsächlich beschworenes Bild, der harmlose und gute Deutsche, verbunden. Somit steht Deutsch-sein in einem besonderen Verhältnis, welches sich aus seiner Geschichte rekurriert.

Diese These orientiert sich an dem Lyriker C. K. Williams.

1.2 Relevanz für die Kunstpädagogik

Ein zentrales Feld der wissenschaftlichen Auseinandersetzung in der

Kunstpädagogik bildet die Erforschung analoger wie digitaler Bildkulturen. So umfasst ihr Bildbegriff nicht nur traditionelle Bereiche, wie beispielsweise die Malerei, sondern erweitert sich um die Auseinandersetzung mit „allen visuellen Erscheinungsformen, die das (kulturelle) Leben prägen.“ Dazu gehört auch die 14 Untersuchung von Bildern, die von Fernsehserien produziert werden.

In erster Linie steht das Fernsehen in unserer heutigen westlichen Gesellschaft für Unterhaltung. Es hat sich im 20. Jahrhundert zum Leitmedium entwickelt und verteidigt seither diese Stellung, wie auch die JIM- und KIM-Studie aus dem Jahr 2012 des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest belegt. 15

Darüber hinaus spricht die Tatsache, dass Deutschland den größten

Fernsehmarkt Europas bildet, dafür, dass hierzulande das Fernsehprogramm eine nicht zu unterschätzende Rolle einnimmt. Gerade in der medialen

Müller-Hansen, Ines: Filme Verstehen! Die Bedeutung von Film im Kunstunterricht,

14

In: Kunst+Unterricht, Heft 386 (2014), S. 9.

Vgl. ebd., S. 4.

15

Anmerkung: In der JIM-Studie wird der Medienumgang von Jugendlichen (zwölf bis 19 Jahre) erforscht. Entsprechendes wird für Kinder (sechs bis 13 Jahre) mit der KIM-Studie ermittelt.

— Einleitung —

(11)

Freizeitbeschäftigung von Kindern und Jugendlichen (sechs bis 19 Jahre) besetzt der Fernsehkonsum nach wie vor eine prominente Position. Die JIM-Studie 16 über das liebste Fernsehprogramm zeigt, dass vornehmlich das Programm von Unterhaltungssendern konsumiert wird. 17

Der sogenannte „Pictorial Turn“, ein Paradigma, das für ein Weltverständnis nicht mehr Texterzeugnisse als richtungsweisend sieht, sondern das Bild, habe

inzwischen dazu geführt, dass zu den ersten kulturellen Erfahrungen eines Kindes in der westlichen Welt Bewegtbilder gehören. „Geschichten, die das 18 Weltbild prägen und Grundlagen für die Ästhetik und Urteilsbildung sind, werden im Wesentlichen visuell erzählt“, wie Ines Müller-Hansen ausführt. „So hat das Bewegtbild [Film- und Fernsehbilder] heute eine ähnlich wichtige gesellschaftlich- kulturelle Bedeutung wie die Schrift.“ Fernsehbilder unterhalten nicht nur, sie 19 beeinflussen den Zuschauer auch hinsichtlich seines Weltverstehens. Zwar sei die kulturelle Rolle des Fernsehens, je nach Auffassung von Kultur, umstritten, man denke an Äußerungen Adornos bezüglich des Verfalls klassischer Kultur durch die Kulturindustrie. Doch seit den 1980er und 1990er Jahren wird das Fernsehen weniger wertend, als vielmehr analytisch betrachtet und so als Teil der (populären) Kultur angesehen. Man ist sich schließlich einig darüber, dass Film- 20 und Fernsehbilder eine kulturelle Wahrnehmung konstituieren und so an der Reproduktion einer (normativen) Ordnung Anteil nehmen. Der Philosoph 21 Douglas Kellner schreibt über die Wirkmächtigkeit der Medienkultur im 
 21. Jahrhundert:

„Radio, television, film, and the other products of the culture industries provide the models of what it means to be male or female, successful or a failure, powerful of

Vgl. JIM-Studie „Medienbeschäftigung in der Freizeit 2012“, online: http://www.mpfs.de/

16

fileadmin/JIM-pdf12/JIM2012_Endversion.pdf, S. 12 - 13; KIM-Studie „Medienbindung 2012“, online: http://www.mpfs.de/fileadmin/KIM-pdf12/KIM_2012.pdf, S. 15 - 17.

Vgl. JIM-Studie „Liebstes Fernsehprogramm 2012“, online: http://www.mpfs.de/fileadmin/JIM-

17

pdf12/JIM2012_Endversion.pdf, S. 25 - 26.

Vgl. Müller-Hansen 2014, S. 4.

18

Ebd. 2014, S. 4.

19

Vgl. Faulstich, Werner: Grundkurs Fernsehanalyse, Wilhelm Fink Verlag, 2008, S. 29 - 31.

20

Vgl. ebd., S. 32 - 33.

21

Vgl. auch Stuart Hall, zitiert nach Kruse (2010): „Popular culture is one of the sites where this struggle for and against a culture of the powerful is engaged: it is also the stake to be won or lost in that struggle. It is the arena of consent and resistance. It is partly where hegemony arises, and where it is secured. [...] That is why ›popular culture‹ matters“, S. 8.

— Einleitung —

(12)

powerless. Media culture also provides the materials out of which many people construct their sense of class, of ethnicity and race, of nationaltiy, of sexualtiy, of us and them. Media culture helps shape the prevalent view of the world and deepest values: it defines what is considered good or bad, positive or negative, moral or evil. Media stories and images provide the symbols, myths and resources which help constitute a common culture for the majority […] of the world today.“22

Da der Einfluss von Bildern so tief greifend ist und Einfluss auf unser Wissen bezüglich Geschlecht, Sexualität oder Nation hat, ist es nötig, bereits in der Schule eine sogenannte „visual literacy“ zu vermitteln, die es erlaubt, kritisches oder analytisches Sehen zu fördern. Außerdem würde Bildern immer noch ein 23 abbildender Wahrheitsgehalt zugeschrieben werden. Dieser geht so weit, dass 24 gerade Konstrukte wie Geschlecht oder Nation als naturgegeben durchgesetzt werden können, und das mittels der (Re)Produktion (un)reflektierter

Bildtraditionen. Gerade das Fach Kunst stellt Basisqualifikationen für den Umgang mit Bildern zur Verfügung (u. a. ästhetische Urteilsbildung), von denen fächerübergreifend für die sogenannte Filmbildung in der Schule profitiert werden kann. Ines Müller-Hansen beschreibt in ihrem Aufsatz Filme verstehen! Die 25 Bedeutung von Film im Kunstunterricht, der im Herbst 2014 in der Zeitschrift Kunst+Unterricht erschienen ist, wie Vermittlungskonzepte und filmbildnerische Kompetenzen von einzelnen Fächern aufgegriffen und bedient werden. Dabei arbeitet sie explizit die Rolle des Faches Kunst als Leitfach der Filmbildung heraus, die bisher nicht in dieser Klarheit vom Fach übernommen wird, es aber sollte. Kernthese ihrer Argumentation bildet die besagte Basisqualifikation, die vom Kunstunterricht vermittelt wird. Sie betrifft die „klassische[n] Themen“ wie

„Perspektive, Bildkomposition, Bildebenen, Zusammenspiel von Inhalt und Form, Licht, Farbe, usw.“ . Bezüglich des Bewegtbildes, das sich der Bildgestaltung 26 der klassischen Malerei bedient und damit auch einer langen hegemonialen

Kellner, zitiert nach Davis, Rocio G.; Discher-Hornung, Dorothea; Kardux, Johanna C. (Hg.):

22

Aesthetic Practices and Politics in media, Music and Art. Performing Migration, Taylor & Francis 2011, S. 1.

Vgl. Recht, Marcus: Der sympathische Vampir: Visualisierung von Männlichkeiten in der TV-

23

Serie Buffy, Campus Verlag, 2011, S. 31 - 32.

Vgl. ebd.

24

Vgl. Müller-Hansen 2014, S. 9.

25

Ebd.

26

— Einleitung —

(13)

Repräsentation von Wirklichkeit, sind es aktuell gebliebene, womöglich zeitlose Kunstunterrichtsthemen.

2. Konstruktion von Nation im Fernsehen

Die theoretische Grundfrage dieses Kapitels ist, auf welche allgemeinen sozialen und ästhetischen Mechanismen der Wissensherstellung die Repräsentationen einer Nation (als Identität) in Fernsehserien zurückgreift.

2.1 Konstruktion von Nation

Über nationale Identität wurde auf der Basis einschlägiger Nationalismustheorien, wie zum Beispiel von „Ernest Gellner (2006), Benedict Anderson (2006), Anthony D. Smith (1993 und 1998), Eric Hobsbawm (1992) und anderen“, geschrieben. 27 Wie die Publikationsjahre bereits andeuten, ist die Diskussion über die

„Konstruktivität von Nation, nationaler Identität und anderen Formen kollektiver Identität“ ein Forschungsanliegen, das mit der zweiten Hälfte des 20.

Jahrhunderts virulent wurde. Das hängt mit der Begriffsbezeichnung von Nation 28 zusammen, das als eines der „politisch und kulturgeschichtlich wirkmächtigsten Konzepte der Moderne“ und Spätmoderne gehandelt wird. „Im engeren Sinne 29 von Nation werden in der Forschung vielfach die Nationalstaatsgründungen und Nationalismusbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts bezeichnet.“ 30

Sicherlich hat der Schrecken des Dritten Reiches dazu geführt, in den letzten Jahrzehnten über die Konstruktivität dieser Phänomene zu reflektieren.

Begrifflich leitet sich das Wort „Nation“ aus dem lateinischen Wort „natio“ ab, was so viel wie Abstammung, Geburts- oder Herkunftsort meint. Nation ist heute, im 31 Zuge der Globalisierung, längst nicht mehr nur an ein Land, einen Staat oder

Vgl. Lüdeker, Gerhard: Kollektive Erinnerung und nationale Identität. Nationalsozialismus, DDR

27

und Wiedervereinigung im deutschen Spielfilm nach 1989, München 2012, S. 19.

Vgl. ebd., S. 26.

28

Vgl. ebd.

29

Ebd.

30

Vgl. ebd., S. 26.

31

— Theorie —

(14)

einen anderen territorialen Ort gebunden, auch wenn dies oft das Ziel

nationalistischer Bewegungen sei. Kevin Robins untersuchte das Phänomen 32 der Transnationalität am Beispiel von türkischen MigrantInnen. Er schildert die 33 Vorgänge der Deterritorialisierung mittels sogenannter „transnationaler Medien“

migranter Kulturen, die zu neuen hybriden Identitäten führen. Diese Identitäten bewegen sich zwischen zwei Nationen, die ihre Verortung ggf. nur noch in den Medien finden. Der Herstellungscharakter von Nation wird so greifbarer und kann eine Loslösung vom Denken in natürlich erscheinenden Kategorien auslösen.

Nation kann unterschiedliche Formen annehmen, die jedoch immer ein Kollektiv von Menschen mit spezifischen historischen und kulturellen Merkmalen

beschreiben. So identifiziert Lüdeker Formen von Nation, die sich lediglich darin unterscheiden, wie sich die Möglichkeit des Eintritts in die Gemeinschaft

vollzieht. Etwa wie in Frankreich, wo sich der Gemeinschaftseintritt vom ius 34 solis, dem Bodenrecht, ableitet und Zugehörigkeit zum Staat in Form der

Staatsbürgerschaft definiert wird. Andere Nationen gehen vom ius sanguis, dem Recht des Blutes, aus, was einer ethischen Abstammung gleich kommt und für die eine gemeinsame Herkunft relevant ist. „Oft, aber nicht zwingend

deckungsgleich mit ethischen Nationen sind Kulturnationen […].“ Das Konzept 35 der Kulturnation sei ein flexibleres Konzept von Nation als das des

Nationalstaates. Die Gemeinschaft der Kulturnation identifiziert sich mit einer gemeinsamen Kultur und Geschichte. „Unter Kultur kann dabei das Teilen eines gemeinsamen Systems von Ideen, Zeichen, Assoziationen sowie Verhaltens- und Kommunikationsweisen verstanden werden […].“ Sehr häufig gilt die 36

Vergangenheit „als zentrales Element der Konstitution von Nationen […]“ . Der 37 Bezug zu einem Kollektiv wird durch einen historischen Ursprung, der in der Gegenwart hergestellt wird, ermöglicht. Die Vergangenheit wird neu und oft

Vgl.Lüdeker 2012, S. 32: „Eine Nation muss so wenig staatlich verfasst sein, wie ein Staat die

32

Form eines Nationalstaates annehmen muss. Aber die Nation kann die Staatsgründung zum Ziel haben und politische sowie territoriale Souveränität anstreben.“

Vgl. Robins, Kevin: Beyond imagined community? Transnationale Medien und türkische

33

MigrantInnen in Europa, Bielefeld: transcript Verlag 2004, S. 119.

Vgl. Lüdeker 2012, S. 28.

34

Ebd.

35

Ebd., S. 32.

36

Ebd., S. 28.

37

— Theorie —

(15)

eingeschränkt erinnert. Ausführungen dazu sind in den Publikationen Aleida Assmanns, die über das soziale und kulturelle Gedächtnis forscht, zu finden.

2.1.1 Konstruktion von nationaler Identität

Von einer nationalen Identität wird dann gesprochen, „wenn es eine kollektive Identifikation mit der Nation oder der Vorstellung von ihr gibt, die als solche eine persönliche und kollektive“ Sinnstiftung schafft. Das heißt, ein Kollektiv 38

identifiziert sich mit einer gemeinsamen Geschichte, Kultur, Sprache, mit

gemeinsamen Werten oder dem (Rechts-)Staat. Es identifiziert sich letztlich mit einer vorgestellten Gemeinschaft, wie Anderson behauptet. Kruse erläutert, wie Anderson sich die „imagined community“ vorstellt: „Eine nationale Identität kann mit Anderson deshalb als vorgestellt begriffen werden, weil die Mitglieder selbst der kleinsten Nation die meisten anderen niemals kennen, ihnen begegnen oder auch nur von ihnen hören werden, aber im Kopf eines jeden die Vorstellung ihrer Gemeinschaft existiert.“ Andersons Begriff „imagined“ dürfe nicht verwechselt 39 werden mit „imaginär“ im Sinne von unwirklich, erfunden oder substanzlos. 40 Robes weist darauf hin, dass die Auswirkungen des Aktes der nationalen Identifikation sehr real seien. Als Beleg nennt er die Bereitschaft mancher Menschen, ihr Leben für die „imagined community“ zu opfern. „Die Macht der Nation oder des Volkes wohnt der Illusion – und zwar der kollektiven Illusion – inne, und lässt sie als natürlich, ursprünglich und notwendige Kategorie

erscheinen.“ Lüdeker blickt hinter die Fassade der Illusion einer als homogen 41 imaginierten Gruppe. Sie sei „real ein Kompositum aus verschiedenen

separierten und fragmentierten Gemeinschaften […], die durch soziale und ökonomische Klassen, Religionen, Ethnien, Geschlechter, etc. definiert sind“. 42 Die nationale Identität „[…] ist eine von vielen Identitäten. Sie wird stets situativ

Vgl. Lüdeker 2012, S. 35.

38

Kruse, Merle-Marie: Dis wo ich herkomm – Ver(un)sicherungen nationaler Identität in Texten

39

aktueller deutschsprachiger Popmusik, 2010, S. 5.

Vgl. Robins 2004, S. 123.

40

Ebd.

41

Lüdeker 2012, S. 26 -27.

42

— Theorie —

(16)

mit anderen Identitäten (Religion, regionale Zugehörigkeit, Geschlecht, Klasse usw.) verknüpft.“ 43

Die Imagination von der spezifischen Gemeinschaft wird gegenüber anderen nationalen Gemeinschaften als (in der Geschichte häufig diskriminierende) Trennschärfe zwischen uns und den anderen eingesetzt. „Das Ziehen und Markieren symbolischer Grenzen“ zwischen dem Eigenen und dem Fremden ist auch das zentrale Element, das Stuart Hall bei der Konstruktion nationaler Identität benennt. Das führe jedoch nur vorübergehend zu einer Identität. Die 44 Konstruktion kann nur erfolgreich sein, wenn sie auf Anerkennung in der

Zivilgesellschaft zielt. „Die Gesellschaftsmitglieder müssen das Konstrukt ‚Nation‘

als das Allgemeininteresse verkörpernd begreifen und sich damit identifizieren.“ 45 Jedoch ist sich die Forschung trotz differierender Auslegungen von Nation einig, dass ihr Konzept und in seiner Folge die nationale Identität in Konstruktions- prozesse eingebunden ist, das mit komplizierten „Machtstrukturen und Wissenspolitiken der gesellschaftlichen Legitimation“ einhergeht. 46

Für die Untersuchung der nationalen Identität kann festgehalten werden, dass sie einen Sonderfall der kollektiven Identität darstellt und in enger Verbindung zur Nation steht. Die Nation ist vielmehr ein gedankliches Gebilde und speist sich aus historischen und kulturellen Bezügen, die in Form von Erinnerungen medial vermittelt bzw. geteilt werden und dazu führen, dass sich eine Gemeinschaft bildet, die über ihre Gruppe reflektiert. In mediale Vermittlungsprozesse sind Bilder ebenso eingeschlossen wie Sprache und Literatur. Über den Film als Gedächtnismedium und Transporteur kollektiver Erinnerung hat Gerhard Lüdeker einen ausführlichen und fundierten Beitrag verfasst und nachgewiesen, wie in deutschen Spielfilmen eine nationale Identität gebildet und darüber nachgedacht wird.

Logge, Thorsten: Zur medialen Konstruktion des Nationalen. Die Schillerfeiern 1859 in Europa

43

und Nordamerika, V&R Unipress, 2014, S. 405.

Vgl. Hall, Stuart: Wer braucht Identität, Hamburg 2004, S. 169.

44

Geier 1997, zitiert nach Kruse 2010, S. 7.

45

Vgl. Kruse 2010, S. 4.

46

— Theorie —

(17)

Nation sei ein mächtiges Konzept der Moderne und Spätmoderne und werde in zahllosen theoretischen Ansätzen mit unterschiedlicher Schwerpunktbildung diskutiert. 47

„Durchgesetzt haben sich in der theoretischen Bemühung um die Kategorie drei konstitutive Elemente, die sich in dieser Form bei vielen Theoretikern finden lassen: Nation ist ein diskursiv entstehendes Symbolsystem einer näher zu bestimmenden Wir-Gruppe (1), ist durch Eigen- wie Fremdzuschreibungen auf eine proklamierte Gleichheit – häufig durch Kontextualisierung von

Abstammung, Herkunft, Sprache, Kultur (Sitten, Bräuche), Sozialgefüge oder Territorium – bezogen (2) und benötigt gleichzeitig eine konstruierte

Andersartigkeit zur äußeren Abgrenzung und inneren Stabilisierung (3).“ 48

2.1.2 Nationales Stereotyp

In dem vorangegangenen Abschnitt wurde gezeigt, wie eine nationale Identität von einer „Wir-Gruppe“ gegenüber einer anderen Gruppe abgegrenzt und damit hergestellt wird. Als nationale Stereotypisierung kann der Vorgang bezeichnet werden, mittels dessen die nationale Identität einer „Wir-Gruppe“ von außen betrachtet wird. In diesem Fall, wie die Gruppe der „Amerikaner“ Deutsch-sein sehen und schließlich in ihren TV-Serien reproduzieren.

Der Historiker und Kulturanthropologe Daniel Devoucoux weist darauf hin, dass Stereotype in Film und Fernsehen anderen Gesetzen unterliegen „als in der realen Handlungs- und Denkweise“ . Den Unterschied fasst er wie folgt: „Im 49 Realen ersetzen Stereotype die Wirklichkeit, im Film dagegen versuchen sie diese zu illustrieren, wenngleich ein gegenseitiger Einfluss nicht zu leugnen ist.“ 50 Damit spielt der Autor auf die Verschränkung von Bild und Wirklichkeit und die zentrale These der visuellen Kultur an, nämlich, dass Sehen und Kultur sich wechselseitig beeinflussen (vgl. Kapitel 2.1.4).

Stereotype sind letztlich klischeehafte Vorstellungsbilder, die durch

Generalisierungen aus oftmals emotionsgeladenen Einzelbeobachtungen

Vgl. Becker, Manuel: Nation und Gender. Wie die Fiktion von Geschlechtern die Fiktion von

47

Nationen bestimmt, Siegen und Gießen 2012, S. 58.

Ebd., S. 58 - 59.

48

Devoucoux, Daniel: Mode im Film. Zur Kulturanthropologie zweier Medien, Bielefeld: transcript

49

Verlag 2007, S. 42.

Ebd.

50

— Theorie —

(18)

entstehen. Solche verallgemeinerten Vorstellungsbilder dienen zur gezielten Musterung, um Mitglieder einer Gruppe zu charakterisieren, zu kategorisieren und zu definieren. „Stereotypisierung als eine signifizierende Praxis reduziert […]

die gesamte Person auf bestimmte Eigenschaften, übertreibt sie, schreibt sie […]

fest. Die Stereotypisierung reduziert, essentialisiert, naturalisiert und fixiert Differenz.“ Differenz und ihre vermeintlichen Merkmale ergeben sich dadurch, 51 dass eine Gruppe, hier die der „Amerikaner“, unterscheidende Merkmale als das andere, das „Deutsche“, zuschreibt.Ein Stereotyp konstituiert sich sowohl aus Fremd- und Selbstbildern. „Denn Fremdbilder geben auch immer Aufschluss über das Selbstbild, da sich die eigene (nationale) Identität in Abgrenzung zum

Anderen konstituiert.“ 52

Auf der Grundlage einer sprachwissenschaftlich orientierten Bildforschung hat Moyle seine Dissertation über gegenseitig kursierende nationale Stereotype von Briten und Deutschen in der Karikatur von 1945 - 2000 veröffentlicht. Die

Analysemerkmale werden für diese Arbeit fruchtbar gemacht. Neben einer Inhaltanalyse, die Themen rund um die Nationalgeschichte und öffentlichen Debatten enthält, unternimmt der Autor eine Motiv- und Stereotypenanalyse, die grundlegend von nationenbildenden Komponenten (Geschichte, Kultur und Sprache) strukturiert ist. Es werden soziale Rollen, Vorstellungen über

Geschlecht und Familie, wie klischierte Vorstellungen zur Lebensführung, d. h.

Werte, Sitten und Bräuche (auch Humor, Ausstattung oder Essgewohnheiten) untersucht. Ein weiterer Bereich umfasst Symbole, indem kulturell und

geschichtlich besetzte Zeichen und Allegorien behandelt werden, beispielsweise allegorische und historische Figuren (Germania, der Bayer, Politiker und der Diktator Hitler), Embleme (Nationalfahne, Währung, Hakenkreuz), Monumente (Berliner Mauer) und Sonstiges (Touristenbadetuch, Militärsymbole, Tiere).

Die nationale Identität der Deutschen wird durch nationale Stereotype, deren Genesung aus Fremd- und Selbstbildern erfolgt, transportiert. Ein Wissen über oder besser gesagt die Charakterisierung von Deutsch-sein basiert zum Beispiel

Schade, Sigrid; Wenk, Silke: Studien zur visuellen Kultur. Einführung in ein interdisziplinäres

51

Forschungsfeld, Bielefeld: transcript Verlag, 2011, S. 115.

Domjahn, Claudia: Nation und Rassismus. Gibt es einen Zusammenhang in ihrer Entstehung?

52

Siegen und Gießen 2012, S. 31.

— Theorie —

(19)

auf einem historischen Ursprung oder einem populären Mythos. Über Texte und 53 Bilder gelangt dieses Wissen in das kollektive Gedächtnis der „Amerikaner“ und findet sich in verschiedenen amerikanischen Kulturprodukten, heute der

Fernsehserie, wieder.

2.1.3 Wissen über Deutsch-sein

Hanni Hüsch hat in ihren Ausführungen zum Deutschlandbild in Amerika den Status quo der Vorstellungen über Deutsch-sein zusammengetragen. Sie lassen sich in Kategorien bezüglich des Aussehens, der Eigenschaften, der Kultur mit der Unterkategorie Wirtschaft einteilen. Grob sind dies auch die Kategorien, über die Bedeutung anhand der Bildmittel (mise-en-scène) vermittelt wird und die für den Analyseteil dieser Arbeit zentrale Erkenntnisse bereitstellen.

Über das Wissen zum Aussehen, wozu der Körper und die Kleidung zählen, schreibt Hüsch, dass Amerikaner die Deutschen in Fragen der Körperrasur für Barbaren halten. Was die Kleidung angeht, sei die Lederhose nicht mehr 54 wegzudenken. Zumindest im fiktionalen „Real Charakter TV“ wissen 55

amerikanische Produktionen differenziert mit ihr umzugehen. Die Lederhose erscheint nicht als Alltagsbekleidung, sondern in Verkleidungszusammen-

hängen. Dass die Lederhose solch eine Aufmerksamkeit erhält, hängt mit dem 56 rezipierten Kulturbild zusammen, denn Amerikas deutscher Kulturimport Nummer eins sei das Oktoberfest. Damit verbunden sind der Bayer in Lederhosen, 57 Bierhumpen und Blasmusik. Allgemein reduzieren Amerikaner Deutschland auf sein in weiß-blau präsentiertes Bundesland Bayern oder Sachsen, dessen

Dialekt in der TV-Serie How I Met Your Mother imitiert wird. Zudem vermitteln die Charaktere Klaus und seine Schwester Uta verbal eine Beziehung zu

Vgl. Moyle, Lachlan: Drawing Conclusions. An imagological survey of Britain and the British

53

and Germany and the Germans in German and British cartoons and caricatures, 1945 - 2000, Dissertation 2004, S. 19.

Vgl. Hüsch 2013, S. 87.

54

Vgl. ebd., S. 90.

55

Anmerkung: In der Serie How I Met Your Mother dient die Kleidung des typischen „Bayern“ als

56

Verkleidung zu Halloween (vgl. s01e06). Einer der Protagonisten aus der Serie The Big Bang Theorie, die hier nicht näher analysiert wird, (ver-)kleidet sich ebenfalls in bayerischer Tracht (vgl.

s05e14).

Vgl. Hüsch 2013, S. 95.

57

— Theorie —

(20)

Ostdeutschland (vgl. HIMYM, s08e01 und s08e02). Kulturell ist Deutschland auch als Land der Dichter und Denker in Amerika präsent. Visuell wird dem in 58 Szenen entsprochen, in denen die Charaktere ihre Erfahrungen weitergeben, die so zu einem bedeutsamen Moment im Leben der amerikanischen

Hauptcharaktere werden. Amerikaner halten, Hanni Hüsch zufolge, die

Deutschen für Weltmeister in der Anpassung ihrer kulturellen Identität. „Italiener und Iren haben sich ihre kulturelle Identität bewahrt, die Deutschen hingegen sind Weltmeister in der Anpassung.“ Dieser Behauptung wohnt eine Substanz 59 inne, die sich visuell zum Beispiel mit der Serie Malcolm Mittendrin beweisen lässt. Dort tragen die deutschen Repräsentanten Kleidung, die der Western- Ästhetik zugeschrieben wird und mit der kulturellen Identität Amerikas verwoben ist. Über Deutschlands Identität bestehe mehr Selbstkritik als Eigenlob. Das messen Amerikaner daran, „dass kein anderes Land über so viele Denkmäler der eigenen Schande verfügt wie Deutschland […].“ Die Deutschen seien ernsthaft, 60 zuverlässig, aber nicht so lässig und lebensfroh wie andere Europäer – „sie seien immer gleich so negativ, die Deutschen“. Besonders beeindruckt wurden die 61 Menschen aus Übersee davon, wie die Deutschen die Wirtschaftskrise 2008 gemeistert hätten. Die Kanzlerin Angela Merkel wird als „tough cookie“

angesehen, was so viel heißt, dass sie durchsetzungsstark und eben „ein ganzer Kerl“ sei. Wirtschaftlich gesehen gelte Deutschland als erfolgreiches und 62

modernes Land, in dem die deutsche Ingenieurskunst hohes Ansehen genieße. 63 Vor allem mit Autos „Made in Germany“ würde man sich in Amerika gern

schmücken. Der erste und letzte Auftritt von Otto Mankusser in Malcom

Mittendrin erfolgt über ein Auto (vgl. s04e01 und s05e18). Otto erfreut sich an der Schönheit des amerikanischen Cadillacs des Protagonisten Francis. Jedoch hat Francis eine Autopanne erlitten, was dazu führt, dass Otto ihn auf seine Ranch einlädt und er schließlich sein Mitarbeiter wird. Gleich in der zweiten Folge

Vgl. Hüsch 2013, S. 91.

58

Ebd., S. 95.

59

Ebd., S. 93.

60

Ebd,, S. 99 - 100.

61

Vgl. ebd., S. 88.

62

Vgl. ebd.

63

— Theorie —

(21)

(s04e02) schenkt Otto Francis einen amerikanischen Truck, den er versehentlich zum Schluss seiner Erscheinung (s05e18) in die Luft sprengt. Nicht zuletzt werden deutsche Tugenden von amerikanischen Serien widergespiegelt. Hanni Hüsch zitiert die deutsche Verlässlichkeit, den Fleiß und die harte Arbeit. 64 Gretchen Mankusser aus der Serie Malcolm Mittendrin und Inga aus der Serie Veronica Mars können als Verkörperungen des Fleißes und der harten Arbeit betrachtet werden. Weiteren Anlass zur visuellen Diskussion geben die Tugenden Pünktlichkeit und Ordnung.

Als Fazit ihres Aufsatzes folgert Hüsch, dass die Deutschen den Amerikanern zum Vorbild taugen, obwohl es ihnen nicht leicht falle, sie zu entschlüsseln. „Im Großen und Ganzen fällt es den Amerikanern nicht leicht, die Deutschen zu entschlüsseln – besserwisserisch und risikoscheu, regelwütig, aber FKK-

begeistert, trinkfest und doch tiefernst.“ Eine positive Konnotation von Deutsch-65 sein lässt sich auch in verschiedenen zeitgenössischen Zeitungsartikeln ausfindig machen, wie in der Einleitung belegt wurde, und auch die visuellen Darstellungen zeichnen ein überwiegend sympathisches Bild, wenn gleich auch das Diffuse und Zwielichtige mitschwingt.

2.1.4 Bildwissen und Bildwirklichkeiten

In diesem Abschnitt geht es darum, wie Bilder allgemein Einfluss auf eine Wissensverbreitung nehmen und dadurch Wirklichkeiten herstellen. Das erleichtert das Verständnis davon, wie Bilder eine nationale Identität über

konkrete Stereotype und Klischees transportieren können und welche Strategien in Bildern schließlich genutzt werden, um die Identität einer nationalen

Andersartigkeit zu authentifizieren (siehe Kapitel 2.2).

In den Visual Culture Studies wird dem fotografischen und filmischen Bild eine revolutionäre Stellung beigemessen. Unter anderem Bildträger wie z. B. die Röntgenaufnahme, später das Satellitenbild und heute das Internet seien sehr früh daran beteiligt gewesen, neue Sichtweisen, eine neue Art des Sehens, in

Vgl. Hüsch 2013, S. 99.

64

Ebd., S. 98.

65

— Theorie —

(22)

Umlauf zu bringen. Seit dem 19. Jahrhundert führte die rasante technische 66 Entwicklung in der Produktion und Verbreitung von Bildern dazu, das Visuelle zum Merkmal des 20. Jahrhunderts zu erklären. Waren bisher Literatur und Text als maßgebende Gattung für ein Weltverständnis betrachtet worden, gelangt man nun zu der Einsicht, dass die vorherrschende Sichtbarkeit der Postmoderne sich aus Bildern erhebt. Bilder sind maßgeblich daran beteiligt, Wissen zu verbreiten.

In seinem 1994 erschienen Buch Picture Theory formuliert der Bildtheoretiker W.

J. T. Mitchell dafür den Begriff „Pictorial Turn“.67

Bestimmte Vorstellungen von Wirklichkeit sind mit bestimmten Darstellungs- konventionen verknüpft und umgekehrt erzeugen und stützen bestimmte

Darstellungskonventionen eine spezifische Realitätskonzeption, d. h. auch eine konstruierte Art des Sehens. Zu diesem Ergebnis seien vor allem die Forscher im englischsprachigen Raum gekommen. Sie begründen ihre These damit, dass je höher die Befolgung von Darstellungskonventionen sei, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, dass diese formale Konvention als Wirklichkeit

wahrgenommen werde. Whitney Davis nennt in seiner Publikation A General 68 Theory of Visual Culture in der Auseinandersetzung mit Philosophen wie Arthur Danto oder Marx W. Wartofsky zahlreiche Belege für die kulturelle Überformung des Sehens und dies in der Wechselwirkung von Sehen, Sicht- und Darstellungs- weisen. Ein von ihm und darüber hinaus viel zitiertes Beispiel ist die Konstruktion der Zentralperspektive als natürliche Darstellungskonvention. 69

Vgl. Mierzoeff, Nicholas: What is Visual Culture? In: (ders.) (Hg.): Visual Culture. A Reader.

66

New York u. London 2006, S. 3 - 13.

Vgl. Mitchell, W.J.T., Frank, Gustav (Hg.): Bildtheorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag

67

2008., S. 101 - 135.

Vgl. Davis, Whitney: A General Theory of Visual Culture, Princeton University Press 2011, S.

68

12 — 14.

Ebd., S. 9 - 26.

69

Anmerkung: Die Konstruktion der Zentralperspektive beispielsweise gilt als natürliche Darstellungskonvention, die die Wirklichkeit eines Raumes abbilden soll. Sie wird schnell als trügerisch überführt, wenn man sich vor Augen führt, dass das menschliche Auge eine Krümmung vorweist und die Wahrnehmungen von einer Häuserflucht, die das Auge erzeugt, demnach keine gerade Linie sein kann. Diese Krümmung in der Wahrnehmung mag dem Menschen aufgrund der Konditionierung des Sehens (u. a. durch die Darstellungen, in denen die Zentralperspektive verwendet wird, und in der nachfolgenden Entwicklung durch die Fotografie) nicht mehr auffallen.

So erhält die Zentralperspektive als Darstellungskonvention von Wirklichkeit einen natürlichen Anspruch.

— Theorie —

(23)

In Bezug auf Film und Fernsehen lässt sich folgern, dass für das (re-)produzierte Wissen, das in Form von bildlichen Darstellungen oder besser gesagt

Repräsentationen sichtbar wird, selbige Mechanismen anwendbar werden.

Das kinematografische (Fernseh-)Bild repräsentiert das, was physisch nicht anwesend ist, und stellt damit eine vermeintlich direkte Beziehung zur „Realität“

oder zu dem, was der Betrachter als Tatsache im Bild zu sehen glaubt, her. Das, was der Betrachter zu sehen glaubt, „die Realität“, lässt sich im Verständnis der Cultural Studies näher unter dem Stichwort der Repräsentation erläutern. Unter Repräsentation fasst Hepp die „kommunikativen Konstruktionen soziokultureller Wirklichkeit“ . Eine Darstellung ist also nicht einfach eine Abbildung der 70

Wirklichkeit, sondern eingebunden in Herstellungsmechanismen, die Bedeutung fixieren. Dadurch wird eine bildliche Darstellung von hegemonialen

Machtstrukturen regiert. Dieser Vorgang erhält einen ideologischen Charakter.

Repräsentation sei auf der „Ebene der Technologie ihrer Herstellung eine durch und durch ideologische bzw. symbolische gesellschaftliche Angelegenheit.“ 71 Schade und Wenk übernehmen die geläufige Definition von Repräsentation als Stellvertretung bzw. als (un-)bewusstes Allgemeingut einer Gesellschaft, auf das sich jeder Einzelne gedanklich beziehen könne. Der Hinweis auf den 72

gedanklichen Bezug nimmt die Funktion von Repräsentationen bereits vorweg.

Sie vertreten etwas nicht Anwesendes oder auch etwas nicht Sichtbares. Das ist eine der wesentlichen Aufgaben des Bildes: „Das Abwesende im Bild anwesend zu machen, […].“ 73

Für den Soziologen und Kulturtheoretiker Stuart Hall rückt das gängige

Verständnis von Repräsentation als Stellvertretung in den Hintergrund. Er betont Repräsentation als soziale Praxis, „in [der] Bedeutung hergestellt und zwischen Mitgliedern einer Kultur kommuniziert wird.“ Für Hall ist der zentrale Punkt, dass 74 Menschen sich durch das System der Repräsentation auf etwas beziehen. Dabei

Hepp, Andreas: Cultural Studies und Medienanalyse – Eine Einführung, VS Verlag für

70

Sozialwissenschaften 2004, S. 38.

Schaffer, Johanna: Ambivalenz der Sichtbarkeit. Über die visuellen Strukturen der

71

Anerkennung, Bielefeld: transcript Verlag 2008, S. 87.

Vgl. Schade/Wenk 2011, S. 105.

72

Hickethier, Knut: Film- und Fernsehanalyse, Stuttgart: Metzler 2001, S. 43.

73

Schade/Wenk 2011, S. 111.

74

— Theorie —

(24)

umfasst dieses „etwas“ nicht den Ort, der schon mit Bedeutung aufgeladen ist, sondern das Subjekt ist es, das einer Repräsentation Bedeutung beimisst – Bedeutung also konstruiert und damit einen Zeichencharakter herstellt. „The main point is that meaning does not inhere in things, in the world. It is

constructed, produced. It is the result of a signifying practice – a practice that produces meaning, that makes things mean.“75

Durch die Herstellung von Bedeutung und Zeichen wird ein damit verbundenes Wissen fixiert. Wenn die Verbindung zwischen Repräsentation und Bedeutung über lange Zeit bestehen bleibt, entwickelt sich eine Repräsentationstradition, die uns neben sprachlichen Zeichen auch über das Medium des Bildes im kollektiven Bildgedächtnis bewusst oder unbewusst präsent ist. Diese Tradition kann als natürlich und selbstverständlich erscheinen und in ihrer Durchsetzung normative Machtstrukturen annehmen. Es wird das Wissen zur Wirklichkeit, welches von einem spezifischen Kollektiv verbreitet wird, das die Macht hat, solches Wissen durchzusetzen und damit eine Bedeutung festzuschreiben. Repräsentationen, 76 dazu zählen auch (stereotype) Darstellungen im Fernsehen, fungieren somit als Wissenskommunikatoren, die ein bestimmtes Wirklichkeitswissen abbilden und Realität herstellen. Insofern stehen sie immer in Beziehung zu Macht-

verhältnissen.77

Vor diesem Hintergrund kann sich der Frage, wie filmische Bilder in die Konstruktion von Nation eingreifen, genähert werden. Die Kernfrage des anschließenden Unterkapitels ist, wie eine (nationale) Identität und damit verknüpfte (nationale) Stereotype visuell sichtbar werden. Um zu untersuchen, wie nationale Stereotype ästhetisch funktionieren, wird auf die

Inszenierungsstrategien im Film, die mise-en-scène, theoretisch eingegangen.

Hall, Stuart: Representation. Cultural Representations and Signifying Practices. Sage 1997,S.

75

24.

Anmerkung: Bedeutungszuschreibungen und deren Prozesse (Repräsentationspraktiken)

76

wurden vor allem von feministischen, postkolonialen und gesellschaftskritischen

Forschungspositionen auf ihren Bezug zu einer spezifischen Wirklichkeit untersucht und mit Blick auf ihre Deutungsmacht kritisiert. Diese Positionen fragen danach, welche Wirklichkeit wie, in wessen Namen und durch welche sozialen Prozesse repräsentiert wird. Wirklichkeit und Welt werde „als bedeutende – d. h. als lesbare, verstehbare – als durch gesellschaftliche Prozesse bzw. durch Repräsentationspraktiken hergestellte verstanden.“ Siehe Schaffer 2008, S. 81.

Vgl. Schade/Wenk 2011, S. 112.

77

— Theorie —

(25)

2.2 Inszenierungsstrategien im Fernsehen

In diesem Abschnitt werden filmische Inszenierungsstrategien von (nationaler) Identität, die unter dem Begriff „mise-en-scène“ geläufig sind, erläutert.

Zusammen mit den Erkenntnissen über die Konstruktion von Nation, nationaler Identität und nationalem Stereotyp werden die Inszenierungsstrategien im Fazit anschlussfähig für die Analysekategorien zur visuellen Darstellung von Deutsch- sein aus US-amerikanischer Sicht gemacht.

André Bazin adaptierte in seinen Filmkritiken der 1940er und 1950er Jahre den theaterwissenschaftlichen Begriff „mise-en-scène“, der daraufhin zum zentralen Terminus der Filmästhetik wurde. Der Begriff „umfasst alles, was auf der Szene 78 für das Bild arrangiert wird – die Bildkomposition, die Bildgestaltung im sichtbaren Bildausschnitt, die Farbkomposition, Lichtgestaltung, Anordnung der Figuren und Dinge im Bild, Umgang mit Raum und Tiefe, Ausstattung, Kostüm, Maske,

Schauspielerführung etc..“ Durch diese Elemente wird, ähnlich wie in einem 79 Gemälde, ein Raum erzeugt, der in Vorder-, Mittel- und Hintergrund unterteilt ist und so eine Wirklichkeitsillusion schafft, die mittels wirkmächtiger Bildtraditionen fixiert wird. Die für die Analyse wichtigsten Elemente werden hier theoretisch unterfüttert.

2.2.1 Körper

Der Körper gilt als das Hauptmedium eines Filmes oder einer Fernsehserie, weil hauptsächlich Menschen dargestellt werden. In Fernsehserien werden jedoch 80 keine natürlichen Körper, sondern nur inszenierte Körper gezeigt, selbst wenn der Körper eines Protagonisten sich entblößt, also fast nackt aussieht. Das 81 lässt sich leichter nachvollziehen, hält man sich vor Augen, dass das Fernsehbild einen Körper ausschnitthaft zeigt, ihn somit zergliedert. Zusätzlich bildet die inszenierte Umgebung, in der sich ein Körper befindet, eine Symbiose mit diesem und gibt ihm eine künstliche Bedeutung. Devoucoux schreibt, dass im Gegensatz

Vgl. Wulff, Hans Jürgen: Mise-en-scène. In: Onlinelexikon der Filmbegriffe, 2012.

78

Ebd.

79

Vgl. Devoucoux, 2007, S. 74.

80

Vgl. ebd., S.72.

81

— Theorie —

(26)

zum realen Leben im Film die Situation eine Sinneinheit für die Bildelemente herstellt. Die Kenntnis der Filmwelt baut auf ihr auf. 82

Die Künstlichkeit oder besser gesagt die Konstruktivität des Körpers selbst wird durch die Kleidung hergestellt. Sie wird zum Bedeutungsträger und findet der Grundidee folgend stilisierten Einsatz. Der Körper wird „im Film fast

ausschließlich über den Filter der Kleidung dargestellt.“ Die Kleidung übernimmt 83 die Funktion der Charakterisierung eines Protagonisten und „vermittelt den

emotionalen, physischen oder psychosozialen Zustand“ einer Person. „Im 84 Allgemeinen wird im Film weniger der Körper selbst hervorgehoben, als die damit verbundene Persönlichkeit. Auf diese Weise verschmelzen die Kostüme filmisch mit Körper und Persönlichkeit.“ Auch Schmuck, Schminke und Accessoires 85 untermauern das assoziative Spiel. Die Kleidung und das Styling erhalten so

„eine gezielte narrative Aussagekraft.“ Devoucoux schreibt, dass selbst die 86 Körpersprache auf die Kleidung referiert und mit ihr eine Einheit bildet, denn erst die non-verbale Kommunikation über Gestik und Mimik ermöglicht eine optimale expressive Inszenierung des Körpers. Kleidung kann weich, zart, aber auch 87 hart, kratzig und unangenehm sein. So vermittelt sie zusammen mit der Körpersprache Empfindungen.

Kleidung als „Rhetorik des Affektes“ führt die theoretische Untersuchung auf das Stichwort der Physiognomie. Die Lehre der Physiognomie beschäftigt sich seit dem 18. Jahrhundert mit dem körperlichen Ausdruck (Lavater (1802), Porta (1931), Michel (1990)). Die zentrale These bildet die Annahme, dass einzelne körperliche Merkmale eine innere Verfassung und Haltung spiegeln.

Beispielsweise seien einem Verbrecher seine üble Absicht und seine Bösartigkeit in das dämonisch verzerrte Gesicht geschrieben. In dieser Tradition wurde der 88 Verbrecher als Stereotyp bildlich von verschiedenen Künstlern dargestellt und hat in der Wiederholung dieser Darstellung einen festen Platz im kulturellen

Vgl. Devoucoux 2007, S. 61.

82

Ebd., S. 72.

83

Vgl. Scheler, Jonas: Mode im Film. Wenn Kleidung flüstert. In: Zeit Online, 25.02.2011.

84

Devoucoux 2007, S. 73.

85

Ebd., S. 36.

86

Vgl. ebd., S. 74.

87

Vgl. Hickethier, 2001, S. 180.

88

— Theorie —

(27)

Bildgedächtnis. Die Lehre der Physiognomie halte wissenschaftlichen Überprüfungen nicht stand, präge aber unterschwellig das audiovisuelle

Darstellen. Ihre Repräsentationstradition hat sich als kulturelles Muster in unser 89 kulturelles Gedächtnis eingeprägt und bestimmt nachhaltig als Vorurteilsstruktur die visuelle Kultur wie z. B. der Gute oder der Böse aussieht, wer verdächtig erscheint, wem man einen Gebrauchtwagen abkaufen würde und wem nicht etc. 90

Da Vorurteile, Emotionen und Affekte wesentlich stärker durch Bilder als durch Sprache geprägt werden, stellt die Auswahl eines Schauspielers in vielen Fällen bereits durch seinen Habitus und seine Physiognomie eine erste Interpretation der Rolle dar. Der Körper des Schauspielers wird so zur Projektionsfläche einer 91 (stereo-)typisierten Repräsentationsgeschichte, die durch entsprechende

Kleidung gefestigt werden kann.

Kleider im Film zeigen Zugehörigkeit an und verkörpern eine soziale Realität, die hierarchisch gegliedert ist. Damit drücken sie auch Differenzierung „zwischen Jungen und Alten, Männern und Frauen, Reichen und Armen“ aus und sicherlich auch zwischen Nationen. Kristin Hole untersuchte anhand von zwei Filmen von 92 Werner Fassbinder (The Bitter Tears of Petra von Kant von 1972 und The

Marriage of Maria Braun von 1979) den Zusammenhang von Kleidung und Nationalität. Sie kommt zu dem Schluss, dass die Protagonistinnen Petra und Maria eine nationale Identität verkörpern, die sich selbstreflexiv mit sich, d. h. mit Deutschlands Geschichte, auseinandersetzt. Das würde die mise-en-scène via Gegenstände wie Spiegel, Puppen, Poussin Gemälde vermitteln. Fassbinder selbst erklärt, dass er seine Filme als Geschichtsstunde sieht. Darauf basierend schreibt Hole: „If we read Petra as an allegory for the German nation and if Maria, also an allegoric character, is about the country as it is today, then both Petra and Maria are reflections on contemporary sexual and political relations and their

Vgl. Hickethier 2001, S. 180.

89

Vgl. Hickthier, Knut: Der Schauspieler als Produzent. Überlegungen zur Theorie des medialen

90

Schauspielens, Marburg: Schürren 1999, S. 25.

Vgl. Hickethier 2001, S. 169 und 176.

91

Vgl. Wulff, Hans Jürgen: Kleidung im Film. In: Onlinelexikon der Filmbegriffe, 2012.

92

— Theorie —

(28)

relationship to recent German history.“ Im Abschnitt Performing the nation geht 93 es schließlich darum, ob Kleidung die Geschichte einer Nation im Film erzählt. Zu dieser Hypothese gelangt sie durch eine Untersuchung, deren Ergebnis ist, dass Geschichte durch Körper nach- bzw. neu erzählt wird. Anhand eines Filmstils aus The Marriage of Maria Braun folgert sie: „Dress tells the nation‘s story […].“ 94 Man sieht Maria in glamouröser Kleidung durch Ruinen steigen, was zum Sinnbild von Phoenix‘ Aufstieg aus der Asche wird. Das Sinnbild avanciert schließlich zum Sinnbild einer Nation, die aufersteht.

Die stellvertretende Funktion der Kleidung funktioniert als Typisierung einer Person. Sie vermittelt im Fernsehen den ersten Eindruck von ihr und bestimmt die Haltung, die der Zuschauer ihr gegenüber entwickelt. Damit ist die schnelle und rasche Einordnung verschiedenster Charaktere gesichert. „Man spricht hier von einer Schematisierung der Objekte […]. Dies bedeutet […] dass die Kostüme nach einer Grundidee typisiert, ja manchmal stereotypisiert werden.“ Die Folge 95 (stereo-)typisierender Handhabe sei eine veränderte Sehgewohnheit, wie auch Erwartungshaltung „der Zuschauer und damit auch [des] televisuelle[n]

Darstellen[s].“ In der realen Welt müssen Körper und Kleidung sich nicht 96

symbiotisch verhalten, wenn auch Menschen dazu neigen, die Erscheinung eines anderen Menschen nach ebensolchen Mustern zu kategorisieren und

einzuordnen, wie der Film es tut. Der Mensch hinter der Fassade der Kleidung kann im realen Leben ein anderer, ein vielschichtigerer sein, als die Kleidung vorgibt, aber der Film kennt diese Distanz nicht. Am Beispiel der Stereotypen- bildung im Film auf der Grundlage der Lehre der Physiognomie wird die Verschränkung von Bildern und Wirklichkeit, wie in Abschnitt 2.1.4 hergeleitet, sehr deutlich. „Der Filmregisseur Sergej M. Einstein hatte bereits bemerkt, wie sehr jede Gesellschaft oder Gesellschaftsgruppe Bilder nur in Bezug auf ihre eigene Kultur rezipiert. Jede Kultur entwickelt ihre eigenen Stereotypen der Darstellung.“ So ist davon auszugehen, dass auch die US-amerikanische Serie 97

Hole, Kristin: Does Dress tell the Nation‘s story? Fashion, History and nation in the Films of

93

Fassbinder. In: Adrienne Munich: Fashion in Film, Indiana University Press 2011, S. S. 282.

Ebd., S. 297.

94

Devocoux 2007, S. 34; Vgl. Hickethier 2001, S. 183.

95

Hickethier 2001, S. 183.

96

Devocoux 2007, S. 37.

97

— Theorie —

(29)

bzw. Produzenten dieser Serie, als Angehörige der Gruppe der „Amerikaner“, stereotypisierte Bilder vom „Deutschen“ (re-)produzieren.

2.2.2 Schauplätze

Zur Personenanalyse gehöre auch die Charakterisierung der Schauplätze. 98

„Nevertheless it is worth thinking about the way in which sets are used to communicate ideas and meanings about characters who inhabit them.“ 99

Das Setting ist also für die Charakterinszenierung von Bedeutung. Im weitesten Sinne gehört zum Setting die Umgebung bzw. der Raum. Aber auch einzelne Gegenstände im Raum besitzen Aussagekraft über den verkörperten Charakter.

Zumindest seit die Methode der ikonografischen Analyse Eingang in die Kunst- geschichte gefunden hat, ist es gängige Annahme, dass die Gegenstände im Bild eine Bedeutung haben, die auf die Aussage des Gesamtbildes Einfluss nehmen.

Der Vorläufer des Filmbildes, das fotografische Bild, bedient sich

„vorfotografische[r] Formen, weil diese die Wahrnehmung der Betrachter geprägt hatten und über ihre Vertrautheit sich das Neue des photographischen Bildes vermitteln ließ.“100 So lässt sich eine ikonografische Analyse auch als Teil der Filmanalyse gebrauchen, um der Bedeutung von Gegenständen

nachzukommen.101

2.2.2.1 Raum

Die Film- und Fernseharchitektur als umbauter Raum gilt als Zeichen für

historische und soziale Gegebenheiten. Die Raumarchitektur dient als Staffage,

„um dem Unterbewusstsein Stimmungen und Gefühle zu vermitteln.“102 Das Gegenteil des umbauten Raumes ist die Natur. Im kinematografischen Bild ist Natur auch künstlich erzeugt, insofern nicht an einem real existierenden Ort gedreht wird. Selbst dann ist der Schauplatz genauestens ausgesucht und ggf.

zusätzlich arrangiert, denn Natur „ist immer Milieu und Hintergrund einer Szene,

Vgl. Faulstich, Werner: Grundkurs Fernsehanalyse, Wilhelm Fink Verlag 2008, S. 111.

98

Baker, James: Teaching TV Sitcom, London: BFI Education 2003, S. 37.

99

Hickethier 2001, S. 44.

100

Vgl. ebd., S. 26 - 39.

101

Ebd., S. 75 - 76.

102

— Theorie —

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