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Von Mädchen und Knaben

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Von Mädchen und Knaben

Punsch ist ein alkoholisches Getränk, also etwas, das lediglich für etwas ältere Personen bestimmt ist. Ein Kind mit dem beliebtesten Rauschgift der abendländischer Kultur abzufül- len ist ein Verbrechen. Die Kleinen tun aber nun einmal gerne das, was die Großen nicht lassen können. Also können Vati und Mutti auf die Idee kommen, zum Geburtstagsfest ihres Sprösslings einen Punsch zuzubereiten, der dem Erwachsenengetränk möglichst ähnlich sieht aber dennoch keinen Alkohol enthält, einen Kinderpunsch eben. Ähnlich verhalten sich man- che Eltern, die gerne Geschichten mit Mord und Totschlag lesen: Die entsprechenden Bücher, die sie selber so gerne konsumieren, wollen sie ihrem Nachwuchs im zarten Alter noch nicht zumuten, aber wenn etwas Ähnliches, Vergleichbares in kindgerechter Form angeboten wird, dann neigen sie vielleicht dazu, den Geldbeutel zu zücken. Die Verlage bauen auf diese Tatsa- che und machen entsprechende Angebote: Räuber und Piraten bevölkern die Kinderzimmer.

Mögen diese nun gut oder böse sein, sie brauchen auf jeden Fall Gegenspieler: Hotzenplotz ist nichts ohne Kasperl, Seppel und Wachtmeister Dimpfelmoser. Dass bei dieser oder ähnlichen Figurenkonstellationen die Autoren einschlägiger Bücher immer wieder auf Rezepte zurück- greifen, die sich in der Lieblingsgattung der Erwachsenen bewährt haben, ist nahe liegend. So könnte man über die Entstehung von Kinderkrimis spekulieren, die es bereits im neunzehnten Jahrhundert gibt.

Ein Verbrechen, seine Entdeckung und Bestrafung spielen in Mark Twains The Adventures of Tom Sawyer (1976) und The Adventures of Huckleberry Finn (1885) eine bedeutende Rol- le, aber kaum jemand käme auf die Idee, sie als Kinderkrimis zu bezeichnen. Trotz desselben Autors und desselben Protagonisten ist das Diktum von T. S. Eliot, Tom Sawyer sei ein "boy’s book", während Huckleberry Finn nicht in die Kategorie von "juvenile fiction" falle, zutref- fend, so dass nur das ältere der Werke dieser Gattung angehören könnte. Die Episoden dieses Romans aber, die den Lesern am meisten in Erinnerung bleiben – das Streichen des Garten- zauns, die Sonntagsschule, der Aufenthalt der Jungs auf Jackson’s Island, ihre "Auferste- hung", der letzte Schultag, und so weiter – haben mit dem Mörder Injun Joe gar nichts oder nur am Rande etwas zu tun. Tom ermittelt nicht, er wird nur zufällig Zeuge und rafft sich schließlich zu einer Aussage auf. Den literarischen Hintergrund dieses Romans bilden die Abenteuer Robin Hoods und die Werke von Alexander Dumas. Das ändert sich aber, als Twain 1896 eine weiteres Buch mit seinen jugendlichen Protagonisten vorlegt. Schon der Titel, Tom Sawyer Detective, markiert die Gattungszugehörigkeit. Inzwischen ist Sherlock Holmes in 1887 auf der Bühne der Literatur erschienen: Twains Erzählung ist ein "Versuch, aus der zeitgenössischen Begeisterung für Krimis Kapital zu schlagen", wie Helmbrecht Breinig es richtig vermerkt: "Tom gelingt es, einen komplizierten Kriminalfall auf spektaku- lärer Weise aufzuklären." Mit seiner Wertung, das Spätwerk sei von der Heiterkeit und dem ästhetischen Niveau des Erstlings weit entfernt, folgt Breinig der "opinio communis". Man könnte den Verdacht hegen, es handele sich hier um ein generelles Vorurteil gegen die Gat- tung Krimi. Sollte das der Fall sein, so kommt man kaum um die Feststellung herum, dass Vorurteile im Einzelfall durchaus zutreffend sein können.

In diesem Kapitel wurden bis jetzt für unreife Buchkonsumenten die Begriffe "Kinder, Sprössling, Nachwuchs, boy, juvenile’" gebraucht. Man hätte auch auf andere Worte zurück- greifen können: "unmündig, heranwachsend, jugendlich, unreif, minderjährig" und derglei- chen mehr. Dass eine so definierte Altersgruppe so heterogen ist, dass man über ihre literari- schen Neigungen kaum eine vernünftige Aussage machen kann, ist naheliegend. Ein deutscher Verlag teilt dementsprechend sein Programm für jüngere Leser in drei Gruppen ein: Kinder- bücher für die Altersstufe von sechs Monaten bis elf Jahren und Jugendbücher für Zwölf- bis

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Vierzehnjährige, dann gibt es auch noch die Kategorie "Junge Belletristik". Eine ähnliche Grobeinteilung findet man auch in Buchläden und Bibliotheken. Der Verlag differenziert dann die Kinderbücher noch weiter: Es gibt etwa Geschichten zum Mitlesen für Kinder ab fünf Jahren, zum ersten Selberlesen ab sechs, für geübtere Leseanfänger ab sieben und für junge Leseprofis ab acht. Es existiert nichts, was man nicht übertreiben werden kann.

Wesentlich ist, dass die Kaufentscheidung zunächst ausschließlich und dann für eine ge- wisse Zeit weitgehend bei den Erwachsenen liegt. Erziehungsberechtigte und deren Freunde und Verwandte treffen eine Auswahl. Nur was sie für gut befinden, landet im Kinderzimmer, nur was sie vorlesen, gelangt in die Kinderohren. Bereits hier wird man aber feststellen, dass die Kinder bereits im Kindergartenalter einen eigenen Geschmack haben und selbst bei Bü- chern, in denen pro Seite nur ein Bild mit einem einzigen Satz zu finden ist, ihre Favoriten haben, während andere Werke aus für die Erwachsenen kaum nachvollziehbaren Gründen links liegen gelassen werden. Auch später, als die Kinder komplexere Geschichten verstehen können, wird sich mancher vorlesender Großvater darüber wundern, dass gerade jene Mär- chen, die seine eigenen Kinder begeisterten, bei seinen Enkeln eher Langeweile hervorrufen.

Am Alter der Märchen liegt das nicht: Opa ließ sich vielleicht als Kind die Geschichte vom tapferen Schneiderlein so oft vorlesen, dass er sie bei der Einschulung auswendig konnte, sein Sohn hingegen vermochte Dornröschen fehlerfrei aufzusagen, die Enkelin ihrerseits Schnee- wittchen.

Es ist naheliegend, dass der Krimi im Vorlesealter nicht die dominante Gattung ist, ja es mag für viele Eltern überraschend sein, dass es überhaupt welche gibt, die für Kinder im Vor- schulalter geeignet sind. Im Moritz Verlag erschien 2014 die deutsche Ausgabe eines Kinder- krimis des schwedischen Autors Ulf Nilsson mit dem Titel Kommissar Gordon – Der erste Fall. Die Altersempfehlung lautete dazu "Ab 5 J.". Das Buch wurde im FAZ nahezu begeistert besprochen:

… eine bessere, kindgerechtere Annäherung, ja Anwärmung mit dem Krimigenre lässt sich nicht denken. Es handelt sich um einen klassischen Krimi, komplett ausgestattet mit Tatort, Motivsuche, Ermittlungsarbeit und Spurensuche. Mit von der Partie ist ein Kommissar, der auf seine Weise durchaus Ähnlichkeit mit einem Wallander hat, außer- dem seine aufgeweckte Assistentin und natürlich ein Opfer, dem gleich die Sympathien zufliegen.

Möglich wird das dadurch, dass man den Krimi mit einer klassischen Form der Kinderlitera- tur, mit der Tiergeschichte, kreuzt: Kommissar Gordon ist eine Kröte mit Bauchansatz, seine Assistentin eine Maus. Bei dem aufzuklärenden Verbrechen handelt es sich um einen Nuss- diebstahl, bestohlen wird ein Eichhörnchen. Das Buch ist reich illustriert und verspricht so dem einkaufenden Erwachsenen, der vielleicht durch den Titel angelockt wird, der aber dann möglicherweise doch Bedenken bekommt, höchste Kindertauglichkeit.

Im Gegensatz zu den meisten Krimis für minderjährige Leser entspricht der erste Fall für Kommissar Gordon dem Schema der "police procedurals", denn Nilsson führt sein junges Publikum "in die Gesetzmäßigkeiten der Verbrechensbekämpfung" ein. Aus dem Buch lässt sich einiges "über sorgfältige Polizeiarbeit, Zeugenverhör und Spurensuche" lernen.

Noch seltsamer als ein Polizistenroman für Vorschulkinder mutet sich die Vorstellung eines Kinderkrimis an, in dem der Verbrecher im Mittelpunkt steht. Solche Werke gibt es indessen auch. Sie blicken sogar auf eine altehrwürdige Tradition zurück. Der Bösewicht ist da der Fuchs, der – wie es im Kinderlied heißt – die Gans gestohlen hat und nicht im Traum daran denkt, sie wieder herzugeben. Den Jäger mit dem Schießgewehr hat er zwar zu fürchten, aber er ist oft schlau genug, ihm zu entkommen. Mit etwas Phantasie kann man ihn sogar zu einem edlen Räuber umfunktionieren, wie es in der Walt Disney Fassung von Robin Hood gesche-

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hen ist. Auch wenn die eigentlichen literarischen Vorbilder vieler Fuchsgeschichten im pika- resken Roman, in der Fabeldichtung und in der Abenteuerliteratur zu finden sind, können sie auch mit Krimis in Verbindung gebracht werden.

In einem der in seiner Heimat bis zum heutigen Tage bekannten und berühmten Büchern des ungarischen Autors Ferenc Móra (1879-1934), nach dem man übrigens unter anderem auch einen Verlag für Kinder- und Jugendliteratur benannt hat, ist das eindeutig sinnvoll. Ab 1913 können ungarische Leser und Vorleser Bekanntschaft mit Csilicsali Csalavári Csalavér und seiner Familie machen. Der Protagonist nennt sich so, weil sein eigentlicher Name – Fuchs – in der Tierwelt so verhasst ist, dass er für die Begehung seiner Straftaten hinderlich ist. So nebenbei hat sich der "pater familias" auch noch geadelt, denn sein neuer Name ist eine Verballhornung gängiger ungarischer Adelstitel, in der das Wort "csal" (gesprochen

"tschal") zu finden ist, das "er/sie/es betrügt/schummelt" bedeutet. Die Tochter der Familie heißt Csalarózsika (übersetzt: "Die Rosi betrügt"), der Sohn Cseleffendi (übersetzt: "Trickef- fendi" – große Teile Ungarns gehörten hundertsechzig Jahre lang zum Osmanischen Reich, so etwas hinterlässt Spuren). Die Füchse halten, was ihre Namen versprechen. Als sie zum Bei- spiel hören, dass Herr Bär verschwunden ist, laden sie den Überbringer der Botschaft zum Abendessen ein, reißen ihn in Stücke und fressen ihn auf. Dann legen sie Trauer an und treten das Erbe im Herrenhaus des Vermissten an. Nachdem alle dortigen Vorräte vertilgt sind, eröff- net Csalavér dort eine Häschenschule, die wegen geschickter Werbung am ersten Tag gut be- sucht ist. Nicht alle Häschen passen ins Klassenzimmer. Frau Csalavér weiß da eine Lösung und bittet einige Schüler freundlich, sie in die Küche zu begleiten, denn dort könnten sie ihr helfen. Später wollen die Fuchskinder einige der Schüler nach Hause begleiten. Die Fuchs- mutter macht sich Sorgen und ermahnt sie, keine der ungesunden Pflanzen, die am Wegesrand wachsen, aufzufressen. Die ansonsten nicht gerade folgsamen Jungfüchse gehorchen ihr aufs Wort. Irgendwann erscheint ein Jagdhund als Schulinspektor. Csalavér schafft es, ihn an den Seil einer Glocke zu binden, die dann laut dessen Schande verkündet, so dass dieser nach seiner Befreiung die Weite sucht. Die Haseneltern merken irgendwann den Schwund an ihren Kindern und beschweren sich beim Lehrer. Dieser fragt sie, wie viele Häschen denn ver- schwunden seien. Einundzwanzig weniger eins, lautet die Antwort. Csalavér erklärt dann, er hätte sich vertragskonform verhalten und den Häschen wie versprochen das Zählen beige- bracht. Und so geht es weiter, bis Csalavér seinen Schwanz einbüßt. Er verspricht aber wie- derzukommen, wenn ihm dieser nachgewachsen ist.

Die Grausamkeit dieser sozialdarwinistischen Tierwelt ist für Kinder nicht nur erträglich, sondern ausgesprochen amüsant. Eine emotionale Bindung an die Opfer kommt nie zustande.

Sie akzeptieren, dass die Alternative zum eigentlich unmoralischen Fuchsverhalten nicht vegetarische Fülle, sondern der Hungertod ist. Csalavér (auf Deutsch "Blut betrügt/schum- melt") tut nichts anderes, als sich seiner Natur gemäß zu verhalten. Er ist keineswegs der einzige, der versucht, Beute zu machen. Auch der Storch bittet den Frosch nachschauen zu dürfen, wie viele Beine dieser habe. Die Füchse tun zwar so ziemlich alles, was man als bra- ves Kind nicht tun sollte, aber auch das bravste Kind träumt manchmal davon, nicht brav zu sein. Und die Geschichte hat sogar so etwas wie eine akzeptable Lehre: wenn ein Grundschul- kind auf dem Weg nach Hause von einem freundlichen, fremden Onkel Schokolade und Mit- fahrgelegenheit angeboten bekommt, so wäre es durchaus in seinem Interesse, sich an Csala- vérs Häschenschule zu erinnern.

Politisch korrekt wird dadurch Mòras Naturbild freilich nicht. Es fällt nicht schwer, gegen diese kindgerechte Einführung in Sarkasmus, Zynismus und Schwarzen Humor Bedenken zu erheben. Das Vorhandensein von Gewalt und Brutalität in Kinderbüchern ist bekanntlich eines der Reizthemen in der Bewertung der Literatur für junge Konsumenten. Man fragt sich schon,

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ob es sinnvoll sei, Vorschulkindern "Schneewittchen" in unbearbeiteter Form zu präsentieren.

Das Märchen endet nämlich so:

… vor Angst und Schrecken stand sie da und konnte sich nicht regen. Aber es waren schon eiserne Pantoffeln über Kohlenfeuer gestellt und wurden mit Zangen herein- getragen und vor sie hingestellt. Da mußte sie in die rotglühenden Schuhe treten und so lange tanzen, bis sie tot zur Erde fiel.

Verglichen damit ist das Treiben der Fuchsfamilie eher harmlos. Würde man das Märchen wortgetreu verfilmen, liefe der Streifen erst nach zehn Uhr abends im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Während die grausamen Einzelheiten der Hinrichtung leicht zu tilgen sind ohne dabei das Märchen zu zerstören, ist das grässliche Ende der bösen Hexe "Hänsel und Gretel"

wohl kaum zu ändern. Generationen von Kindern weigern sich aber standhaft, all das als übertrieben anzusehen und Albträume oder Neurosen darob zu bekommen. So geht man halt vernünftiger Weise mit Hexen und mörderischen Stiefmüttern um, das ist in Kinderaugen nicht nur gerecht, sonder beinahe schon selbstverständlich. Für ein Resozialisierungspro- gramm für kinderfressende alte Weiber hat man in jungen Jahren wenig Verständnis. Die in Worte gefasste Grausamkeit ist so irreal, dass sie (wohl im Gegensatz zu einer filmischen Darstellung) nicht beängstigend wirkt. Wenn die lieben Kleinen von der Story über Hänsel und Gretel verstört werden, dann eher dadurch, dass diese von ihren Eltern ausgesetzt werden.

Trennung von und die Verstoßung durch Vater und Mutter ist etwas Ernstes, eine realistische Bedrohung die Angst bereitet und somit erheblich schrecklicher als die Untaten oder der schreckliche Tod einer Hexe.

Verlässt man aber nun das Märchenwelt der bösen Hexen und der sprechenden Tiere und siedelt man die Kinderkrimis in der so genannten realen Welt an, so sind police procedurals oder Gangsterromane naturgemäß recht schwer zu finden. Die Autoren setzen meist auf den oder die Privatermittler, beziehungsweise auf die Personen, die per Zufall in ein Verbrechen verwickelt werden. Wegen des eher alltäglichen Umfeldes der Romanfiguren stellt sich den Verfassern dabei die Frage nach den potentiell verstörenden Inhalten, die jugendlichen Lesern zugemutet werden können, neu und besonders dringlich. Auf ein Verbrechen kann man in einem Krimi natürlich nicht verzichten, aber man kann es entschärfen. Während im Erwach- senenkrimi meist um Mord und Mörder geht, und ein Werk dieser Gattung ohne Kapitalver- brechen die Ausnahme bildet, ist es in der Kinder- und Jugendliteratur eher umgekehrt. Mäs- terdetektiven Blomkvist (1946) von Astrid Lindgren ist in dieser Hinsicht typisch. Der Titel- held hat es mit dem Onkel seiner Freundin Eva-Lotte zu tun, der sich als treuloses Mitglied einer Räuberbande entpuppt. In Kästners Emil und die Detektive (1929) geht es um Geld.

Enid Blyton thematisiert in The Secret Seven (1949) Pferdediebstahl, in The Rilloby Fair Mystery (1950) die Entwendung wertvoller alter Dokumente. Die Drei ??? Kids plagen sich in Invasion der Fliegen (1999) mit unsachgemäßer Entsorgung von Abfällen herum, Markus Wolfs Protagonisten Tarzan, Karl, Klößchen und Gaby (TKKG) beschäftigen sich in Der Schlangenmensch (1981) mit gut geplanten Einbrüchen auf Bestellung, in Die Schatzsucher- Mafia schlägt zu (1992) vor allem mit illegalen Ausgrabungen und Raubüberfällen, wobei in diesem Abenteuer auch ein Tötungsdelikt vorkommt, das aber nicht im Mittelpunkt steht.

Die oft beobachtbare Abwesenheit von Mord und Totschlag bedeutet natürlich nicht, dass die jungen Ermittler nicht in Lebensgefahr geraten. Sie fallen in schöner Regelmäßigkeit in die Hände von Verbrechern. Emil und seinen Detektiven wird das zwar erspart, aber das ist fast schon die berühmte Ausnahme von der Regel. In The Mystery of the Nervous Lyon (1971) werden die Drei ??? in einem Schrottauto eingesperrt und es erscheint recht wahr- scheinlich, dass sie zusammen mit diesem plattgepresst werden. In bester James Bond Manier erfolgt die Rettung erst im allerletzten Augenblick. Blomquist wird mit zwei seiner Freunden

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in eine Burgruine eingelocht und die Möglichkeit, die Verbrecher könnten es nach erfolg- reicher Flucht vergessen, die Erwachsenen über diese Tatsache zu informieren, steht im Raum. Selbst die noch relativ jungen "Drei ??? Kids" sehen sich auf einmal ohne Erwach- senenunterstützung einem verbrecherischen Wurstfabrikanten in der Begleitung von zwei blutigen Schlachtern gegenüber. Es wird zwar kein ernsthafter Mordversuch unternommen, aber die Möglichkeit, die Kids könnten in die Wurstmasse gelangen, ist gegeben. All das ist aber keine reelle Bedrohung, sondern angenehmer Nervenkitzel. Zu den ehernen Regeln der Gattung gehört es nun einmal, dass den Kindern nichts Ernstes zustoßen kann, dass sie mit potentiell traumatisierenden Erlebnissen recht locker fertigwerden..

Wenn es aber dann doch um einen Mord in seiner ganzen Grausamkeit geht, der in die Welt junger Menschen hereinbricht, dann kommt der Kinderkrimi an seine Grenzen. Genau das ge- schieht in Lindgrens zweiten Blomquist-Roman (Mästerdetektiven Blomkvist lever farligt, 1951). Die bereits erwähnte Eva-Lotte findet da die Leiche eines Mannes, und dieser ist ihr nicht unbekannt. Bei dem Ermordeten handelt es sich um den alten Gren, der so oft "Ja, ja, der Kindheit glückliche Spiele" zu sagen pflegte, dass die Kinder ihn gerne nachahmten, etwa dann, wenn ihnen ein Missgeschick zugestoßen war. Als Eva-Lotte den Schock über den Lei- chenfund etwas überwunden hat und wieder die alte zu sein scheint, beginnt sie den alten Gren gedankenlos zu zitieren: "Sie brach ihren Satz ab und wurde bleich. Ein Stöhnen kam von ihren Lippen, und sie lief schnell davon. An diesem Tag spielte sie nicht mehr." Der Kind- heit glückliche Zeit ist für sie zunächst einmal vorüber.

Da sie den Mörder kurz vor der Tat gesehen hat und ihn deshalb identifizieren könnte, lebt nun Eva-Lotte gefährlich. Ein Versuch, sie zu vergiften, schlägt fehl, schließlich gelangt sie aber zusammen mit dem Titelhelden in die Hände des Täters, der fest entschlossen ist, sie umzubringen. Die besseren Ortskenntnisse der Kinder, die Tatsache, dass sie sich in einer Räubersprache untereinander kommunizieren können, ohne vom Mörder verstanden zu wer- den, das Kriegsspiel mit anderen Kindern sorgen zusammen mit Blomquists Kaltblütigkeit und seiner richtigen Einschätzung der Gefahrensituation dafür, dass sie alle davonkommen und der Mörder verhaftet wird. Er ist aber alles andere als geständig und die Beweislage ist recht dürftig. Es wäre nun sehr leicht gewesen, den Plot so zu drehen, dass der Meisterde- tektiv ihn überführt. Lindgren gönnt aber ihrem Helden diesen Erfolg nicht und sorgt dafür, dass Blomkvist mit der "Detektiverei" Schluss machen möchte. Er will zwar weiterhin, wie es im Titel heißt, gefährlich leben, aber eben nur im harmlosen Kriegsspiel, den er und seine Freunde veranstalten. Echte Mörder festzusetzen ist die Sache der Polizei.

Obwohl der Mord im zweiten Blomkvist-Roman in keiner Weise verharmlost wird, ist das Buch eindeutig für junge Leser bestimmt. Es handelt sich zweifellos um ein Kinderkrimi, der allerdings gerade in dieser Beziehung eher ungewöhnlich ist. Wenn ein Autor nun in der Dar- stellung der Welt des Verbrechens mit all ihrer Gefahren noch weiter geht, dann sprengt er irgendwann die Grenzen dieser Untergattung, auch wenn sein Protagonist ein Kind ist. Den Übergang vom Kinderkrimi zum Erwachsenenthriller kann man in John Grishams Roman The Client (1993) und in dessen gleichnamigen Verfilmung ziemlich genau festmachen. Der Pro- tagonist ist zwar ein elfjähriges Kind, eine Mischung von Lausbub, natürlichem Aristokrat und Sozialfall, die Vermarktung gleicht aber den anderen Werken des Autors, in denen Min- derjährige nur eine untergeordnete Rolle spielen. Der Film wurde in Deutschland nur für Zuschauer ab zwölf Jahren zugelassen, so dass der Protagonist den Streifen legal sich nicht hätte anschauen können. Wie im Kinderkrimi ist Sexualität in beiden Fassungen von The Client unbedeutend, die Erwachsenen bekommen aber eine wesentlich prominentere Rolle als üblich: Das Kind ist nur eine der wichtigen Figuren, bei den anderen handelt es sich um Erwachsene. Im Plot kann man eine Neufassung der Injun Joe Geschichte aus Mark Twains The Adventures of Tom Sawyer erblicken – das Kind, das übrigens wie einst auch Tom raucht

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-- wird für Verbrecher gefährlich und entsprechend unter Druck gesetzt. Die Parallele wird auch im Namen des Protagonisten Mark (wie Twain) Sway (wie Sawyer) unterstrichen. Den gleichen Plot gibt es aber auch unzählige Male auch im Erwachsenenkrimi: Ein harmloser Mensch wird gegen seinen Willen in einen Mordfall verwickelt und will aus welchen Gründen auch immer mit den zuständigen Behörden nicht kooperieren. Er kämpft dann allein oder mit einigen wenigen Helferfiguren gegen den Mörder oder gar gegen die Mafia, bewährt sich, so unwahrscheinlich das auch sein mag, im ungleichen Kampf, gewinnt durch "luck and pluck"

und steht am Ende besser da als zu Beginn der Handlung. All das geht bekanntlich auch ohne Kinder.

Die Tatsache, dass The Client eine Art Hybride ist, wirkte sich auf jeden Fall nicht negativ auf seine Popularität aus. Der Roman bedeutete für den erfolgsverwöhnten Grisham keinen Karriereknick, der Film spielte weit über hundert Millionen Dollar ein. Wie viele davon aus den Geldbeuteln jugendlicher Zuschauer stammten, kann nur spekulativ beantwortet werden.

Man kann vermuten, dass ein Protagonist, der erheblich jünger ist als sie selbst, für ältere Teenager nicht unbedingt attraktiv ist. Ab einem bestimmten Alter sucht man sich eher Er- wachsene als Leitbilder und Identifikationsfiguren. Old Shatterhand oder Winnetou sind keine Kinder und können keine sein. Mark Sway bedient wohl eher die sentimentalen Gefühle von Erwachsenen, die, wie man klischeehaft sagen kann, im Herzen jung geblieben sind, die aber auch nicht auf die Spannung eines echten, für Kinder vielleicht überharten Thrillers verzich- ten wollen.

Im Kinderkrimi sind der Gewaltdarstellung grundsätzlich engere Grenzen gesetzt als in der Literatur für Erwachsenen. Das Gleiche gilt auch für die Abweichungen von den ethischen Grundüberzeugungen der Gesellschaft, in der die Werke konsumiert werden. Kinder sind nun mal Objekte erwachsener Erziehungsbemühungen. Ihnen Geschichten zu präsentieren, die politisch nicht korrekt sind, ist in den Augen der Sittenwächter so etwas wie die unverzeih- liche Sünde. Da jedoch die Vorstellungen über "political correctness" sich im Laufe der Jahre ändern, kann es dazu kommen, dass Klassiker der Kinderliteratur auf einmal auf dem Index der für diese Altersgruppe verbotenen Bücher landen, es sei denn, man schreibt sie entspre- chend um, was allerdings nicht immer möglich ist. Davon können heute insbesondere die Dar- stellungen von Menschen unterschiedlicher "Rassen" betroffen sein, sowie die geschlechts- spezifische Rollen in der Figurenkonstellation der Geschichten.

Wenn es je einen eindeutig antisemitischen Kinderkrimi aus dem zwanzigsten oder gar einundzwanzigsten Jahrhundert geben haben sollte, so ist dieser heute für Normalsterbliche unauffindbar. Außerhalb der rechtsradikalen Szene würde er nicht im Spielzimmer, sondern im Giftschrank landen. In der Sammlung der Brüder Grimm aus dem neunzehnten Jahrhun- dert gibt es allerdings ein Märchen, das einerseits einem Krimi ähnelt, anderseits extrem anti- semitisch ist. In "Der Jude im Dorn" wird der Protagonist als ein fleißiger, redlicher und gut- mütiger Mann vorgestellt. Er gehört eindeutig zu den Guten der Geschichte. Für eine selbst- lose Tat erhält er als Belohnung eine Zaubergeige. Wenn er darauf spielt, so muss jeder Zu- hörer sofort tanzen. Er begegnet dann einem Juden, den er dazu bringt, freiwillig in einen Dornenbusch hineinzukriechen.

Wie er (der Jude) nun mitten in dem Dorn steckte, plagte der Mutwille den guten Knecht, dass er seine Fiedel abnahm und anfing zu geigen. Gleich fing auch der Jude an die Beine zu heben und in die Höhe zu springen: und je mehr der Knecht strich, desto besser ging der Tanz. Aber die Dörner zerrissen ihm den schäbigen Rock, kämm- ten ihm den Ziegenbart und stachen und zwickten ihn am ganzen Leib.

Der gute Knecht geigt munter weiter und ist der Meinung, dem Juden geschehe nur Recht, denn er habe "die Leute genug geschunden". Er hört erst auf, nachdem ihm ein Beutel mit

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Gold überreicht worden ist. Der Jude verklagt dann den Knecht, dem die Todesstrafe droht.

Dieser darf aber unter dem Galgen noch einmal auf seiner Geige spielen, womit er den Rich- ter und den Juden unter Druck setzen kann, so dass die Geschichte so endet:

Da trat er (der gute Knecht) zu dem Juden … und sagte "Spitzbube, jetzt gesteh, wo du das Geld hast, oder ich nehme meine Geige vom Hals und fange wieder an zu spielen."

"Ich habs gestohlen, ich habs gestohlen," schrie er, "du aber hasts redlich verdient."

Da ließ der Richter den Juden zum Galgen führen und als einen Dieb aufhängen.

"Der Jude im Dorn" ist insofern kein echter Krimi, als irgendwelche Ermittlungen darin hinsichtlich der Schuld des Juden völlig überflüssig sind: Alle Juden sind Leuteschinder, also ist auch der Jude im Busch ein Leuteschinder. Wenn ein Jude einen mit Gold gefüllten Beutel hat, dann muss er ein Dieb sein, eine Alternative dazu gibt es in dieser Märchenwelt nicht.

Wenn die Schuld ohnehin feststeht, ist Folter – hier in einer komischen, also verharmlosender Form dargestellt – ein probates Mittel, der Gerechtigkeit Geltung zu verschaffen. Einen Dieb die Beute abzujagen ist ein ethisch vertretbarer Weg sich zu bereichern. Das Attribut in der Phrase "der gute Knecht" ist nicht ironisch gemeint, auch wenn ein Leser, dem das Wort Ho- locaust geläufig ist, auf diese Idee kommen könnte. Er ist eindeutig die Identifikationsfigur der Geschichte, die man heute in Sammlungen mit den "schönsten" Märchen der Brüder Grimm, die für Kinder publiziert werden, wohl vergeblich sucht.

Derartig krasse Fälle von Rassismus sind aus den in heutigen oder als klassisch geltenden Kinderkrimis verbannt. Entsprechende Vorwürfe werden aber gegen die Bücher Enid Blytons und der TKKG-Reihe von Stefan Wolf erhoben. Unter http://eisberg.blogsport.de/2008/11/30/

-tkkg-fuer-kinder-eher-ungeeignet/ kann man zum Beispiel lesen, dass in diesen Romanen

"antiziganistische" Vorurteile zu finden seien:

In einer Folge heißt es: "Sind finstre Typen. Sehen aus wie Zigeuner." Hier wird dass extrem rassistische Stereotyp vom rachsüchtigen, messerstechenden Zigeuner immer wieder neu aufgelegt.

Dasselbe, so wird dann behauptet, könne man auch in einigen Folgen des Jugendhörspiels

"Fünf Freunde" von Enid Blyton finden. Als Beleg wird das Buch Zigeunerbilder von W.

Solms und D. Strauß zitiert, wonach die Sinti und Roma bei Blyton kriminell, verlogen dreckig sind und getrennt von dem Rest der Bevölkerung leben.

Astrid Lindgren benutzt zumindest in der Übersetzung von Cäcilie Heinig in Pippi Lang- strumpf gleich im ersten Kapitel des Öfteren das Wort "Neger", was man heute nicht tun darf, wenn man nicht als Rassist abgestempelt werden will. Die Blomkvist-Reihe ist frei von sol- chen Ausdrücken, allerdings um den Preis, dass in der Figurenkonstellation nur "Arier", nur

"nordische" Menschen vorkommen, ein in der Handlungszeit und am Handlungsort durchaus realistischer Zug, der aber nicht den heutigen Gepflogenheiten entspricht. Vergleichbares lässt sich von den Drei ??? sagen, und natürlich auch von den Kindergruppen Blytons oder von Tarzan/Tim, Karl, Klößchen und Gaby (TKKG) sagen: Niemand heißt da Kostas, Giovanni oder gar Mustafa.

Neben der Einstellung zum Rassismus haben sich die Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit während des zwanzigsten Jahrhunderts am stärksten gewandelt. Das, was in den 1920er Jahren diesbezüglich als fortschrittlich galt, wirkt heute nicht selten zumindest sanft sexistisch. Unter den vielen Jungs tritt in Emil und die Detektive auch die Cousine des Titel- helden mit dem Spitznamen Pony Hütchen auf. Sie ist einerseits modern und auf ihrem Fahr- rad ausgesprochen unternehmungslustig, übernimmt andererseits auffallend oft Rollen, die traditionell weiblich besetzt sind. Wenn die Jungs zu Gast sind, rennt sie mit einer großen Kanne von einem zum anderen und schenkt heiße Schokolade ein, sie deckt auch den Tisch, sie wäscht auch das Geschirr ab. Sie bringt den Jungs, die auf der Lauer sind, ein gutes Früh-

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stück und bemerkt dazu, allerdings leicht ironisch: "Ja, ja, es ist eben doch was andres, wenn eine Frau im Hause ist". Bei den Jungs erweckt sie auch Verhaltensweisen und Gefühle des typischen Kavaliers:

Die Jungen benahmen sich äußerst aufmerksam. Der Professor hielt Ponys Rad.

Krummbiegel ging, die Thermosflasche und die Tasse abzuspülen. Mittenzwey senior faltete das Brötchenpapier fein säuberlich zusammen. Emil schnallte den Korb wieder an die Lenkstange. Gerold prüfte, ob noch Luft im Radreifen wäre. Und Pony Hütchen hüpfte im Hof umher, sang sich ein Lied und erzählte zwischendurch alles mögliche.

Im Gegensatz zu Pony ist Eva-Lotte in den Blomkvist-Romanen vollwertiges Mitglied der Kinderbande. Zwar sind sowohl Kalle als auch Anders in sie verliebt, und beide Jungs wollen sie irgendwann als Braut heimführen, aber im täglichen Umgang macht sich das kaum be- merkbar, bis dann im dritten Band auf einmal der fünfjährige Rasmus eingeführt wird:

Anders und Kalle waren immer wieder erstaunt über Eva-Lottes Veränderung, sowie sie in die Nähe kleiner Kinder kam. Für Anders und Kalle waren Kleinkinder nur beschwerlich, naß und rotznäsig. Aber auf Eva-Lotte wirkten sie, als wären es alles kleine entzückende Lichtelfen. Kam sie in den Zauberkreis einer dieser Elfen, so ver- änderte sich ihr jungenhafter kleiner Amazonenkörper, und sie benahm sich in einer Weise, die nach Anders’ Meinung völlig unbeherrscht war. Sie stieß wunderliche weiche Laute aus, die Kalle und Anders einfach auf die Nerven gingen.

Die weibliche Natur lässt sich – so scheint es hier – nicht verleugnen, sie fühlt sich zu ihrer Bestimmung, für Kleinkinder zu sorgen, hingezogen.

In der Figurenkonstellation der Kinderbande ist bei Lindgren das Verhältnis von Buben und Mädchen fünf zu eins, in Blytons Die Schwarze Sieben vier zu drei, also immerhin eine knappe Mehrheit für die Knaben, von ihren "fünf Freunden" ist Anne weiblichen Geschlechts, dazu kommen drei Jungs und ein Hund. In der Rätsel-Reihe derselben Autorin ist das Verhält- nis der Geschlechter, wenn man die Tiere herausrechnet, ebenfalls drei zu eins. Auch in den TKKG-Krimis kommt auf drei Männchen ein Weibchen, die "Drei Fragezeichen" sind alle maskulin.

Die männliche Dominanz spiegelt sich wie bei Kästner mitunter auch in den Rollen wieder, die der weiblichen Minderheit in den klassischen Kinderkrimis zugestanden wird. Im ersten Band der Schwarzen Sieben ermitteln die Mädchen erfolgreich und kommen sich zu Recht wie richtige Detektive vor. Eine von ihnen misst die Radabstände eines Anhängers und zeich- net die dazugehörigen Reifenmuster auf, was ihr später von der Polizei großes Lob einbringt:

Ihr Bruder Peter findet sie großartig und hält sie für ein wirklich gutes Mitglied der Schwarz- en Sieben. Als aber es darum geht, das nicht gerade seltene nächtliche Abenteuer zu bestehen, hört die Gleichberechtigung auf. Mädchen können da auf keinen Fall mitkommen, entscheidet Peter. Die Schwester darf dafür dem bei Blyton obligatorischen Hund ein kleines weißes Kleidchen nähen, damit er im Schnee nicht auffällt. Die männlichen "Drei Fragezeichen", die ältesten Protagonisten in den hier untersuchten Kinderkrimis, die in den späteren Bänden schon Auto fahren können, erhalten Freundinnen, die aber primär wohl dazu dienen, die post- pubertären Jungs von dem Vorwurf der Homosexualität freizusprechen. Gabi, die "G" von TKKG, ist in erster Linie Tarzan/Tims Freundin. In ihrer Vorstellung heißt es, sie mache alle Streiche mit. Dann aber fährt Wolf so fort: "Selbstverständlich passen die drei Jungens immer auf sie auf, besonders wenn’s gefährlich wird." In dem siebenundsechzigsten Abenteuer spielt die in der Abkürzung zuletzt genannte Gabi folgende Rollen:

1. Als genaue Beobachterin merkt nur sie, dass TKKG verfolgt werden. Ihre Befürchtungen werden aber nicht ernst genommen.

2. Als ungenaue Beobachterin ist sie ihrem Freund Tim einmal offensichtlich unterlegen.

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3. Sie bremst männliche Aggression und Übermut und unterstellt dabei Tim, er könne versuchen, die Wahrheit aus einem Verbrecher herauszuprügeln, wogegen dieser sich allerdings verwahrt.

4. Sie besteht auch auf Ehrfurcht vor den Toten im Zuge der Ermittlungen.

5. Sie besteht auf die Einhaltung von Anstandsregeln. Klößchen soll gefälligst in ihrer Gegenwart nicht rülpsen. Schmusen in der Öffentlichkeit ist ihr peinlich.

6. Sie liefert für die Jungs Info von ihrem "Papi", einem Polizisten.

7. Sie ist ein Objekt der Begierde für Tim.

8. Sie ist eine aus den Fängen eines Verbrechers mit Gewalt zu rettende Person.

In den neuesten Kinderkrimis ist all das etwas anders. In der Roman Mysteries series von Caroline Lawrence, die seit 2001 erscheint und in der deutschen Übersetzung Vier für Rom heißt, setzt sich die Gruppe aus zwei Weibchen und zwei Männchen zusammen. Die Behin- derten sind darin durch Lupus, der keine Zunge mehr hat, vertreten, die Afrikaner durch Nubia, die Juden durch Jonathan. Die weibliche Perspektive dominiert. Was im antiken Rom recht ist, ist in der modernen Welt billig, in der es die Soko Ponyhof für Kinder ab acht Jahre mit weiblicher Mehrheit gibt. Für etwas ältere Kinder ab elf gibt es den Kurierdienst Ratten- zahn, der in Berlin tätig ist: Ein Junge kommt da aus dem Westen, einer aus dem Osten, dazu kommt noch eine deutsche Punkerin und ein griechisches Mädchen.

Man kann die Bemühungen humorloser Pedanten um politische Korrektheit belächeln und sich die Frage stellen, ob aus den Kinderkonsumenten der Enid Blyton Bücher oder der TKKG-Reihe wirklich mehr Rassisten und männliche Chauvinisten hervorgehen als es bei jenen der Fall ist, denen diese Bücher vorenthalten werden und stattdessen Vier für Rom unter den Christbaum gelegt wird. Kinder lernen aber die Wirklichkeit (oder was man dafür hält) durchaus auch durch Bücher, Hörspiele, Filme, Fernsehsendungen und Computerspiele kennen. Es wäre in der Tat bedenklich und traurig, wenn man in all dem Angebot den Kindern mit Migrationshintergrund oder Behinderung keine positiven Leitbilder anböte. Auch Bücher, die eigentlich nur unterhalten wollen, erziehen die Kinder und vermitteln ihnen Werte und Einstellungen, die von den Erwachsenen als erwünscht oder als unerwünscht eingestuft wer- den können.

Reiner Unterhaltung, wenn es sie denn gäbe, wäre wohl vielen auch ohne Verstöße gegen politische Korrektheit irgendwie moralisch anrüchig. Kinderkrimis sind glücklicher Weise, wenn sie die ethischen Vorstellungen der Erwachsenen nicht verletzen, immer per se pädago- gisch wertvoll, insofern sie in Schrift, also in Buchform vorliegen. Wenn man einem Kind etwas vorliest, ist das eine Art der Zuwendung, die den Kleinen vermittelt, dass man sie liebt, dass man für sie Zeit hat und Zeit nimmt. Es ist ein probates Mittel, das von den Psychologen so gepriesene Urvertrauen zu festigen. Wenn die Kinder dann lernen, selber lustvoll und zwanglos zu lesen, üben sie eine Kulturtechnik, deren Bedeutung auch im Internetzeitalter nicht bestritten werden kann. Es ist zwar nicht gänzlich unmöglich, als de facto Analphabet glücklich durchs Leben gehen und ein wertvoller Teil der Gesellschaft werden, aber es ist doch etwas leichter das zu tun, wenn man zumindest die eigene Muttersprache in Wort und Schrift aktiv wie passiv beherrscht. Dazu braucht man Vorbilder und Übung.

Im allgemeinen nehmen Autoren und Verlage, die Kinderkrimis produzieren, die Aufgabe ernst, an der Spracherziehung mitzuwirken. Das erkennt man unter anderem auch daran, dass ältere Übersetzungen mitunter stillschweigend korrigiert werden. Enid Blytons The Secret Seven erschien auf deutsch zunächst unter dem Titel Die Schwarze Sieben und dann als Das ist die Schwarze Sieben. Bei der späteren Ausgabe handelt sich zwar nicht um eine vollstän- dige Neuübersetzung, aber die Bemühung um sprachliche Verbesserung ist in Ansätzen deut-

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lich zu erkennen. Ob es wirklich besser ist, "Mami" mit "Mutti" zu ersetzen ist fraglich, aber wenn man aus "Colin muckte" "Colin muckte auf" macht, ist das genauso ein Fortschritt wie wenn man statt "Er (Peter) ließ Lump (Hund) die Umschläge lecken zum Zukleben" "Er ließ Lump vor dem Zukleben die Umschläge belecken" schreibt, wobei man allerdings fragt, warum man den Zusatz "Das konnte er (Hund) gut, er hatte so eine große, nasse Zunge"

einfach weglässt. Einige andere Beispiele: "Sie wendeten sich wieder zum Auto" wird zu "Sie gingen wieder zum Auto" oder "Miss Ely wartete auf den Neun-Uhr-Nachrichtendienst im Radio" wird zu "Miss Ely wartete auf die Neun-Uhr-Nachrichten im Radio". Zwar ist die Verbesserung manchmal kaum bemerkenswert, etwa wenn aus "Es gefiel Jack gar nicht hier"

auf einmal "Es gefiel Jack hier gar nicht" wird, aber auch das Bemühen ist anerkennenswert.

Unter den deutschen Kinderkrimiautoren gilt Erich Kästner als der bedeutendste Sprach- künstler, der ja auch als Lyriker bekannt und und nicht gänzlich unberühmt ist. Zu Recht, wie diese Schilderung der ersten Eindrücke Emils von der ihm ungewohnten Metropole Berlin beweist:

Diese Autos! Sie drängten sich hastig an der Straßenbahn vorbei; hupten, quiekten, streckten rote Zeiger links und rechts heraus, bogen um die Ecke; andere Autos schoben sich nach. So ein Krach! Und die vielen Menschen auf den Fußsteigen! Und von allen Seiten Straßenbahnen, Fuhrwerke, zweistöckige Autobusse! Zeitungsver- käufer an allen Ecken. Wunderbare Schaufenster mit Blumen, Früchten, Büchern, goldenen Uhren, Kleidern und seidener Wäsche. Und hohe, hohe Häuser.

Man bringt zwar Schulkindern bei, sie sollen tunlichst Wortwiederholungen vermeiden, ein Regel, an die sich der Autor hier nun mal nicht hält, aber dennoch oder gerade deshalb ist diese Passage sprachlich vorbildlich. Dasselbe gilt für Kästners Verwendung von Jugend- sprache. Die Kinder benutzen "eine lebendige, schnoddrige Umgangssprache, verwenden knorke, Pinke und futsch, beschimpfen sich als Holzköppe und Studienräte und lassen Flos- keln wie Quatsch nicht, Krause! oder Du kriegst die Motten hören", wie es Sven Hanuschek formuliert. Da Kästner es damit nicht übertreibt, bleibt sein Roman auch den Kindern der einundzwanzigsten Jahrhunderts verständlich, auch wenn diese nicht wissen, warum gerade

"Krause" nicht quatschen soll und dass besagter Krause der Titelheld eines Filmes aus dem Jahr 1919 mit Karl Neisser in der Hauptrolle ist. Wenn ein Kind besonders aufmerksam liest, so muss man ihm wohl erklären, dass damals "Zeiger" die Funktion von "Blinkern" hatten, so dass die Schilderung, Autos streckten rote Zeiger links und rechts heraus, anschaulich und keinesfalls wirklichkeitsfremd ist. Vielleicht sollte man so einen Leser auch darauf hinweisen, dass man sich in alten Zeiten mit der Erwähnung körperlicher Funktionen schwer tat, ein Um- stand, der dazu führt dass ein Berliner Kind diesen Satz sagt: "Wie er (der Dieb im Hotel) wieder zurückkommt, von – na ja, ihr wißt schon, da trudle ich ihm vor die Beine". Ihm die Worte "Klo" oder gar "Scheißhaus" in den Mund zu legen wäre damals politisch unkorrekt gewesen. Dafür gibt ein Junge mal den folgenden Vergleich zum Besten, der heutige Sitten- wächter auf den Plan rufen könnte: "Ich bin hier nämlich bekannt wie’ne Mißgeburt." An der Vorbildlichkeit von Kästners Sprache ändert das allerdings nichts.

Um die Wiedergabe von Jugendsprache bemüht sich auch Stefan Wolf in seinen TKKG- Romanen, wenn auch mit wesentlich geringerem Erfolg als Erich Kästner. In Band 67 steigen Tim und Klößchen auf ihre "Drahtesel", stellen dann ihre "Tretmühlen" in den Fahrradschup- pen", am nächsten Tag holen sie ihre "Stahlrosse" von dort ab. Dass bei den Jugendlichen um

"Kids" handelt nimmt da niemanden wunder, genau so wenig dass ein Motorrad zum "Feuer- stuhl" wird. Tim könnte auch einfach zu Fuß gehen, das wäre aber zu einfach, also "sohlt" er lieber. In Band 14 sind Lehrer "Steißtrommler", bei einer "Chausseewanze" handelt es sich um einen Kleinwagen. Wolf hat auch jenseits der Jugendsprache, oder was er dafür hält, ein Herz

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für seltsame Worte. Er lässt einen Hund Vögel jagen und fährt dann fort: "Die Gefiederten zahlten ihm die Belästigung heim". Klößchen hat bereits einige Seiten vorher Spatzen ge- füttert, worauf "die Gefiederten" abschwirren. Wolf vermag es auch, in einem einzigen Satz vier eher abgedroschene Formulierungen zu verwenden. Tarzan (wie Tim in den älteren Bändern der Reihe heißt) tritt im Dunkeln auf eine herumliegende Flasche: "Um ein Haar (1) – und er wäre der Länge nach in die Heckenrosen gesegelt (2). Doch er reagierte wie ein geölter Blitz (3), fing sich und hechtete (4) an der Bank vorbei …" Wie Kästner legt Wolf seinem Protagonisten heute politisch bedenkliche Formulierungen in den Mund, ohne ihn dadurch negativ charakterisieren zu wollen: Tarzan sagt einmal zu einem Mann im Dunkeln:

"Ich könnte nicht mal sagen, ob Sie ein Neger oder ein Eskimo sind."

Seltsamerweise gibt sich aber gerade Stefan Wolf die größte Mühe die Sprachbeherrschung seiner Leser direkt verbessern. Er flicht immer wieder ohne Not Fremdwörter in seine Texte ein, die er dann in Klammern definiert. Tarzan sagt zum Beispiel einmal "Wenn ihr als Team (Mannschaft) auftretet, hat’s mehr Gewicht". Er hätte natürlich gleich das deutsche Wort be- nutzen können, aber dann hätte der Leser nicht gelernt, was ein "Team" ist. Man muss sich allerdings fragen, für wie dämlich Stefan Wolf seine Leser hält. Tim sagt auch mal "Paper- weight" statt "Briefbeschwerer". Hier ist es unklar, warum Kinder gerade diesen englischen Ausdruck lernen sollten. Ob man das Wortspiel "Tim timte (genau einteilen) seine Aktion" als geglückt ansieht, ist Geschmackssache.

Wolf bedient allerdings mit seiner TKKG-Reihe bei aller Spracherziehung auch Konsu- menten, die Analphabeten sind. Die Romane gibt es nämlich auch als Hörspiele, die sich ebenfalls gut verkaufen, wenn auch vielleicht nicht ganz so gut wie die mit den Drei ???, die angeblich auf über 46 000 000 Tonträger an den Mann gebracht worden sind und so vielleicht die erfolgreichste Hörspielproduktion der Welt bilden.

Während die Spracherziehung in kindgerechten Kriminalromanen meist indirekt erfolgt, würzen ihre Autoren schon ihre Werke mit einer kräftigen Prise Moralin und streuen mitunter Passagen ein, welche die Jugend ohne Umwege zu besseren Menschen erziehen sollen. In TKKG 17 besuchen die Protagonisten zum Beispiel einen Zoo und bleiben vor dem Luchs- käfig stehen:

"Und so etwas wird abgeschlachtet", sagte Tarzan durch knirschende Zähne, " damit man Felle für Luchsmäntel hat."

"Es sind immer dieselben Weiber, die so was tragen", sagte Karl. "Die kannst du vergessen."

"Mir wird übel", pflichtete Anke bei, "wenn mir so eine aufgetakelte Kuh begegnet."

… "Lassen wir das!" sagte Tarzan. "Sonst wird mir der ganze Tag verdorben. Wir wer- den die Welt nicht ändern. Aber wir dürfen nie aufhören, es zu versuchen. Das sind wir unseren Schöpfungskameraden, den Tieren, schuldig."

Höher kann man den moralischen Zeigefinger nicht heben ohne ihn dabei abzureißen, zumal Tierschutz im Plot des Romans keine besondere Rolle spielt.

Neben verbesserte Sprachbeherrschung und moralische Schulung sollten Kinder, so ein pä- dagogischer Gemeinplatz, durch gute Lektüre auch Wissen vermittelt bekommen. Dies ge- schieht am besten indirekt, also in der Handlung gut integriert. In dem dritten Band der für ältere Grundschulkinder konzipierten Reihe Die drei ??? Kids lernen die "Detektive" einiges über die Arbeitsweise eines Journalisten kennen. Man kann sich auch im die historischen Kenntnisse der Schüler kümmern und die spannende Handlung in die Vergangenheit verlegen, wie es Henry Winterfeld in seiner antiken Schulgeschichten und Krimis mit dem jungen Caius als Titelhelden getan hat. Der Verlag stellt dazu heute auch entsprechende Unterrichtsmateri- alien im Internet zur Verfügung. In der Reihe Tatort Geschichte des Loewe Verlags für Kinder

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ab zehn Jahren sind diese teilweise schon im Buch zu finden, das neben Zeittafel, Glossaren und historische Karten auch sachkundige Beiträge über Themen wie das Leben Tutenchamuns oder die Schlacht am Teutoburger Wald bieten. Claudia Frieser verbindet in ihrem Oskar und das Geheimnis der verschwundenen Kinder den historischen Heimatkrimi mit dem Zeitreise- motiv. Oskar wird dabei aus der Gegenwart in das späte fünfzehnte Jahrhundert zurückver- setzt. Seine Reaktionen auf die ihm einerseits bekannte, andererseits nun fremd gewordene Nürnberger Heimat bieten der Autorin gute Gelegenheiten zur zwanglosen Wissensvermitt- lung. Oskar kommt auch an historischen Stätten vorbei, die er aus Klassenausflügen kennt – ein dezenter Hinweis an Lehrer und Eltern hinsichtlich sinnvoller Freizeitgestaltung. Der Protagonist schließt auch Freundschaft mit dem jungen Albrecht Dürer und macht die jungen Leser mit dem berühmtesten Sohn der Stadt bekannt.

Historische Kinderkrimis vermitteln neben Wissen auch Einstellungen zur Geschichte all- gemein und zu historischen Epochen im besonderen. Wenn man Maria Rutefranz glauben darf, so neigen Autoren von Römerkrimis dazu, die Perspektive der "underdogs", also der Menschen zu vernachlässigen, die in Rom ihren täglichen Kampf ums Überleben bestehen mussten und kaum Rechte hatten. Mietskasernen kämen zwar in der Handlung vor, die Prota- gonisten wohnten aber nicht in ihnen. Typischer seien die Stadthäuser, deren Grundriss man oft im Anhang finde. Die Autoren sprächen da Einladungen aus sich für Rom nicht nur zu interessieren, sondern auch zu begeistern. Dies stehe im Gegensatz zu den Kinderkrimis, die im Mittelalter spielten, die sehr gerne das Bild einer finsteren Zeit entwerfen würden, "in der Menschen als Hexen verfolgt und verbrannt werden, die Pest wütet und ein Kinderkreuzzug nach dem anderen gestartet wird." Das mag zwar etwas übertreiben sein, ist aber dennoch oft zutreffend. Reine Wissensvermittlung ist gerade in Romanen ein Ding der Unmöglichkeit.

Einstellungen werden da zwangsläufig mitgeliefert.

Die Verlagswerbung der Reihe Tatort Geschichte verspricht neben "spannenden Sachinfor- mationen" auch "viele Rätsel". Man beachte den Plural, denn die Bücher dieser Reihe unter- scheiden sich gerade in dieser Hinsicht von zahlreichen Rätselkrimis für Kinder, in denen pro Fall nur ein Rätsel gibt, nämlich das nach der Identität des Täters. Zum Beispiel hat eines von einer begrenzten Anzahl von Tieren Paulas Speckbrote gemopst. Die jungen Konsumenten können wie die Detektivin den Hund Rudi überführen, weil er als einziger seinen Futternapf nicht leer gefressen hat. In Erwachsenenkrimis geht es ähnlich zu, dort pflegen Diebe und Räuber dadurch aufzufallen, dass sie über mehr Geld verfügen, als sie legal erwerben könn- ten. Mörder verraten sich auch schon mal dadurch, dass sie im Gespräch mit dem Detektiv so genanntes Täterwissen offenbaren. In der kindlichen Fassung stellt"Rennsemmel Rudi" wü- tend einer Gruppe ihm nicht wohlgesinnten Kindern folgende Frage: "Wer war das, wer hat mir dieses Untier ins Auto geworfen?" Alle Kinder geben sich unschuldig, aber es ist sonnen- klar, dass Tamara die Übeltäterin ist, denn sie stellt Rudi die folgende rhetorische Frage: "Wa- rum sollte ich dir denn einen Frosch ins Auto werfen?" Im Gegensatz zu den anderen Ver- dächtigen weiß sie, welcher Art das von Rudi erwähnte "Untier" ist. In Tatort Geschichte für etwas ältere Kinder sind die Fälle etwas komplizierter und die Darstellung etwas langatmiger, so dass in ihnen Platz für mehrere Rätsel vorhanden ist. Die Kinder können da etwa einfache Geheimschriften entziffern, in einem Bild nach einer bestimmten Sache Ausschau halten, aus einem Labyrinth den Ausweg suchen oder herausfinden, welches System hinter einer be- stimmten Zahlenreihe steht. Die Wissensvermittlung beschränkt sich hier meist auf die Ge- schichte, die Rätsel dienen eher der Unterhaltung.

Im Schatten in der Einsteinallee ist das anders. Es handelt sich hier um einen "Schüler- Lernkrimi" in dem über siebzig "Schnell-Lern-Übungen" aus dem Mathematikstoff der fünften Klasse zu finden sind, zusammen mit einem "Abschlusstest zur Überprüfung des Lernerfolges". Die Verlagswerbung verspricht da "Mathe lernen mit Spaß und Spannung".

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Das funktioniert dann in der Praxis so: Der erste Abschnitt der Krimihandlung endet mit dem folgenden Satz: "Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen und eine stämmige alte Dame mit fun- kelnden Augen stand im Zimmer." Darauf folgt die erste Übung:

Da die Story eben erst begonnen hat, solltest du dich erst etwas geistig aufwärmen, bevor du Andis spannende Geschichte weiter verfolgst. Löse zunächst die vier folgen- den Aufgaben und schreibe, wie die einzelnen Terme heißen. Bilde dann die Summe der vier Ergebnisse, sie ergibt eine Lösungszahl!

193 + 178 = _________ …

Warum ein Kind die bis dahin im Ansatz spannende Geschichte nicht weiter lesen und statt dessen langweilige Matheaufgaben lösen sollte, die hier nichts aber auch gar nichts mit der Handlung zu tun haben, ist das eigentliche Rätsel dieses Krimis. Da die Handlung mosaikartig verworren präsentiert wird, verliert das gutmütigste Kind die Interesse an diesem Buch, des- sen wie auch immer definierte Zielgruppe stets enttäuscht wird: Ein Kind, das gerne Krimis liest, will bei seiner Lektüre nicht durch Matheaufgaben gestört werden. Ein Schüler, der gerne rechnet und gut in Mathematik ist, braucht keinen Krimi, mit dem ihm dieser Fach schmackhaft gemacht wird, sondern eine anspruchsvolle Aufgabensammlung. Problem- schüler sind mit eigens für sie geschriebenen Nachhilfebücher besser bedient, denn sie ent- halten nicht nur die Ergebnisse der Aufgaben, sondern auch ausführliche Erklärungen und Lösungswege. Aus einem "Sowohl – als auch" macht der Schüler-Lernkrimi Mathematik ein

"Weder – noch".

Dieses totale Scheitern kann man aber nur zum Teil den beiden Autoren Nils Reschke (Story) und Rainer Wilzbach (Übungen) anlasten. Es ist auch dadurch verursacht, dass von ihnen verwendete Medium für Lernspiele dieser Art nicht optimal geeignet ist. Wenn das Kind in einem Buch aufgefordert wird, eine Aufgabe zu lösen, um Mitglied in dem ermittelnden

"A-Klub" zu werden, so kann es das einfach ignorieren und weiter lesen. In einem Computer- spiel ginge das nicht. Es müsste die Aufgabe lösen um in den nächsten Level gelangen zu können. Würde es dabei versagen, so könnte man ihm den Rechenweg ausführlich erklären und es so lange üben lassen, bis ihm Aufgaben dieser Art keine Probleme mehr bereiten.

Was im Bereich Mathematik nicht funktioniert, muss auf dem Gebiet der Fremdsprachen- vermittlung allerdings nicht unbedingt versagen. Schüler-Lernkrimis werden auch in Eng- lisch, Französisch und sogar in Latein angeboten. Wenn die Geschichten trotz des beschränk- ten Vokabulars und der einfachen Grammatik tatsächlich so spannend sein sollten, dass der Endkonsument sie mit Vergnügen liest, würden in der Tat die Fremdsprachenkenntnisse ver- bessert. Dasselbe gilt übrigens auch für Erwachsene, für die auch ein reichhaltiges Angebot an Krimis in allen sprachlichen Schwierigkeitsgraden gibt. Der wesentliche Unterschied zu den Lernkinderkrimis liegt weniger in Inhalt und Sprache, sondern eher in dem Marketing. Wie bereits erwähnt kaufen ja Erwachsene ihre Bücher meist selbst, den Kindern werden sie von den Erziehungsberechtigten und ihren Helfern oft vorgesetzt. Die Werbebotschaft "So macht Mathelernen richtig Spaß!" richtet sich dementsprechend in erster Linie nicht an die Schüler, sondern an ihre Eltern. Ähnlich könnte es sich damit verhalten, dass die bittere Pille der Ma- thematik gerade in einen Krimi verpackt wird. Diese Gattung erfreut sich bei Erwachsenen größter Beliebtheit. Man kann sich allerdings fragen, ob das auch bei Kindern der Fall ist oder ob man ihnen eine solche Vorliebe nur unterstellt.

Die Figur der Polizisten oder des Detektivs ist für die kleineren unter den Kleinen nicht per se interessanter als die des Feuerwehrmanns oder des Lokomotivführers oder des Tierpflegers in einem Zoo - von Hexen, Königstöchtern, Zwergen und tapferen Schneiderleins gar nicht zu reden. Wenn irgendwann Räuber und Gendarmen, Seefahrer und Piraten, Cowboys und Indi- aner, Roboter und Außerirdische und dergleichen mehr dazu kommen, dann genießen die Kin-

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der wahrscheinlich eher die mehr oder minder exotische Abenteuergeschichten und nicht die Krimis im engeren Sinn der Wortes. Nun lassen sich auch in der Erwachsenenliteratur Krimi- nalromane (vor allem dann, wenn man wie hier die Thriller in diese Kategorie einreiht) nicht immer von Abenteuerromanen trennen, denn die Übergänge sind bekanntlich fließend. Die Versatzstücke, mit denen die Autoren von Die drei ???, Fünf Freunde, TKKG, Tiger-Team, Netsurfer, Pizzabande, Cityflitzer oder Kurierdienst Rattenzahn arbeiten, assoziiert man häufig eher mit Karl May als mit Chesterton oder Christie. Es ist auch kein Zufall, dass der

"T" in TKKG zunächst für "Tarzan" steht, bevor er zu "Tim" mutiert.

Nicht dass auf klassische Detektive in den Kinderkrimis nicht Bezug genommen wird.

Ganz im Gegenteil. In Blytons Bravo Schwarze Sieben (Well done, Secret Seven) kennt einer der Kinderprotagonisten den Helden Doyles und spricht angesichts verwirrenden Indizien davon, dass nicht einmal "der berühmte Sherlock Holmes … darin Kopf und Fuß finden"

könnte. In Lindgrens erstem Blomkvist-Roman träumt der Titelheld davon, Sherlock Holmes, Asbjørn Krag, Hercule Poirot und Lord Peter Wimsey übertreffen zu können. Die kindlichen Genießer seiner Abenteuer haben aller Wahrscheinlichkeit nach weder Doyle, noch Elvestad, noch Christie oder Sayers gelesen. Bei den Erwachsenen hingegen, die das Blomkvistbuch letztlich bezahlen und es vielleicht ihren Kindern vorlesen, ist das anders. Sie fühlen sich in guter Gesellschaft und in ihrer Kaufentscheidung bestätigt. Die Kinder sind vielleicht auch froh, denn erstens ist das Buch an sich spannend und andererseits tun die lieben Kleinen nun etwas, was sonst die Erwachsenen tun: Sie konsumieren einen echten Krimi. Damit sind wir wieder bei der Eingangsüberlegung zu diesem Kapitel -- Stichwort Kinderpunsch -- ange- langt.

Was für Doyle oder Christie in Meisterdetektiv Blomkvist zutrifft, gilt für Alfred Hitch- cock in den Drei ??? noch viel mehr. Sein Name bürgte in der Vergangenheit für Hochspan- nung und tut das in etwas bescheidenerem Umfang auch noch heute. Seine Filme waren einst berüchtigt, sind auch jetzt noch beliebt, der von ihm produzierte Fernsehserie Alfred Hitch- cock Presents (später The Alfred Hitchcock Hour) gehörte zwischen 1955 und 1960 in den USA zu den populärsten Sendungen. Nicht nur sein Name und auch sein Gesicht hatte einen hohen Erkennungswert, denn er sprach in den TV-Episoden stets eine kurze Einleitung und hatte auch in vielen seiner Spielfilmen Kurzauftritte. Von den zweihundertsechsundsechzig Folgen der Fernsehserie führte er allerdings nur achtzehn Mal selbst Regie, nahm sich aber meist immerhin die Mühe, die Drehbücher zu lesen. Sein Verhältnis zu Alfred Hitchcock’s Mystery Magazine ist weniger eng, die Einführungen und Vorworte, die seinen Namen tragen, stammen nicht aus seiner Feder. Hitchcocks Ruhm beschränkte sich bekanntlich nicht auf die Vereinigten Staaten oder seine englische Heimat, so dass er international als Werbeträger fungieren konnte. Sammlungen "der besten Kriminalgeschichten – ausgewählt vom Meister des Grauens" kamen in Deutschland als Alfred Hitchcock Stories auf den Markt. Auf er- wachsene Käufer schien dieser Name eine beträchtliche Anziehungskraft ausgeübt zu haben.

Nun galten aber gerade die echten Werke des Regisseurs, die seinen Ruhm begründeten und festigten, als nicht jugendfrei. In Deutschland liefen Rebecca, Frenzy oder Die Vögel mit Altersbeschränkung ab sechzehn. Das galt zunächst auch für Bei Anruf Mord, wobei das Video dann ab zwölf Jahren zugelassen wurde. Den Klassiker Psycho sollten zunächst nur Menschen sehen, die über achtzehn Jahre alt waren, den DVD nur über Sechszehnjährige. Seit 2006 ist der Streifen für alle Teenager zugelassen. Tempora mutantur, wie man hier unschwer erkennen kann. Man kann sich nun vorstellen, dass es in den sittenstrengen alten Tagen in vielen Kinderherzen der Wunsch sich regte, es den Erwachsenen gleichzutun und einen

"Hitchcock" zu konsumieren. Die Eltern, die ihre Erziehungspflicht ernst nahmen, wollten einerseits ihren Sprösslingen den Spaß gönnen, andererseits sie doch so behandeln, wie es damals als pädagogisch korrekt galt. Ein Bekannter des berühmten Regisseurs namens Robert

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Arthur bot eine Lösung für sie an und brachte 1964 den ersten Band der Jugend-Krimi-Reihe The Three Investigators auf den Markt, die national wie international mit dem Namen Alfred Hitchcock beworben wurde und nach anfänglichen Schwierigkeiten in Deutschland unter dem Namen Die drei ??? eine solche Beliebtheit erlangte, dass die in den Vereinigte Staaten 1987 eingestellte Reihe mit deutschen Autoren fortgesetzt wurde, wobei man mit Die drei ??? Kids noch eine weitere Serie für jüngere Leser startete.

Betrachtet man nun einen älteren Band der Reihe in der Aufmachung der Franckh’schen Verlagshandlung, so könnte man auf die Idee kommen, von Etikettenschwindel und Betrug zu sprechen. Nicht weil Hitchcock in Die drei ??? und der rasende Löwe in die Romanhandlung eingebaut wird und als die Person fungiert, die den jungen Detektiven einen Auftrag ver- mittelt und dann nach dem dramatischen Höhepunkt der Handlung im Gespräch mit diesen die noch offenen Fragen klärt. Das ist offensichtlich Fiktion. Wenn man das Buch aber in einem Regal einsortiert sieht, so liest man ganz oben den Namen des Regisseurs, dem eine kleine Zeichnung mit dem damals recht bekannten Gesicht unterlegt ist. Nimmt man das Buch in die Hände, so findet man auf dem Einband an dem Ort, wo man üblicherweise den Autor nennt, die Worte "Alfred Hitchcock". Dasselbe gilt für das Innere des Romans, wobei hier dann unter den Titel die Nennung des wahren Autors erfolgt: "Erzählt von Nick West nach einer Idee von Robert Arthur". Dann folgt "Ein Wort zuvor von Alfred Hitchcock", von dem Genannte ebenso wenig auch nur ein Wort verfasst hat, wie von den Kommentaren, die mit dem bereits vom Buchrücken bekannten Bild die Handlung unterbrechen und dem Leser unter anderem auch Denkanstöße dieser Art geben: "Bo Jenkins’ drohende Haltung gibt mir doch zu denken. Muß sich ein Tierwärter gleich so aggressiv verhalten, wenn er drei Jungen als ‚Un- befugte’ in seinem Revier ertappt?" Besagter Bo Jenkins entpuppt sich dann als ein Mitglied einer Diamantenschmugglerbande, um die es in dem Roman geht.

In dem von einem deutschen Autor verfassten Die drei??? und das brennende Schwert wird ebenfalls durch die Aufmachung die Autorenschaft Hitchcocks suggeriert, wobei hier zusätz- lich noch die Unterschrift des Regisseurs eine Extraseite für sich beansprucht. Er greift aber nicht mehr in Handlung ein und kommentiert diese auch nicht. Aus noch späteren Bändern nach 2004 (wie zum Beispiel Die drei ???, Grusel auf Campbell Castle) ist Hitchcock dann gänzlich verschwunden und wird wohl von niemandem vermisst. Die Serie hat einen solchen Bekanntheitsgrad erreicht, dass sie nicht mehr einen Promi als Werbeträger braucht. Die Protagonisten der Reihe können vielmehr ihrerseits dazu dienen, in einem Schüler-Lernkrimi Mathematik den Lesern schmackhaft zu machen, in dem der Protagonist seinen beiden Freun- den (politisch korrekt Ahmet der Türke und Anne das Mädchen) folgendes sagt: "Justus Jo- nas, Peter Shaw und Bob Andrews nannten sich 'Die drei Fragezeichen'. Wohin man auch schaut, alle berühmten Detektive, die etwas auf sich halten, treten gemeinsam auf." Die drei suchen dann einen passenden Namen für ihre Gruppe und lassen sich dabei von TKKG inspi- rieren, wobei sie das Vorbild allerdings nicht nennen.

Ein eingeführtes Markenzeichen wie "Die drei ???" bietet sowohl für den erwachsenen Geldgeber wie für den minderjährigen Endverbraucher offensichtliche Vorteile. Das ist bei Krimis nicht anders als bei Hamburgern: Wenn man zu McDonalds geht, dann weiß man, was man serviert bekommt. Es gibt da keine böse Überraschungen. Wenn der Großvater weiß, dass sein Enkel "Die drei ???" mag, dann ist es nicht weiter schwierig, ein Weihnachtsge- schenk zu finden, das nicht enttäuscht. Er hat da ein reichhaltiges Angebot: neben den Roma- nen und den bereits erwähnten Hörspielen gibt es Filme auf DVDs, zahlreiche Computer- und Konsolenspiele, ergänzt durch zahlreiche Fanartikeln, so zum Beispiel Drei ??? Bettwäsche, Notizbuch, Badetuch, Schlüsselanhänger, Tasche, Sweater, T-Shirt, Sitzkissen und Waffel- eisen. Wenn man die Fremdsprachenkenntnisse der Kinder fördern will, braucht man für sie nicht die früheren Bände im amerikanischen Original zu besorgen, die deutschen Folgen

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liegen zum Teil auch in englischer Übersetzung vor. Es gibt auch Übertragungen ins Latei- nische, die nach der Verlagswerbung bereits ab den zweiten Lernjahr verstanden werden können. Allerdings sollte man all das nicht lange vor der Weihnachtszeit erwerben, denn im Gegensatz zu den Serienhelden werden reale Kinder sehr schnell erwachsen und das, was sie gestern noch begeistert hat, tun sie vielleicht heute schon als Kinderkram ab.

Solange aber eine bestimmte Marke bei der für die Kinder relevanten Peergruppe "in" ist, ist ihnen oft jedes Produkt recht, das mit deren Zeichen versehen ist. Der Label befreit die Konsumenten von der eher mühsamen und somit lästigen Pflicht, sich selber ein Urteil über die Qualität eines Produkts zu bilden. Man vertraut auf die bewährte Marke und scheut das Risiko. Damit gleichen die Kinder vielen ihren erwachsenen Vorbildern, mit denen sie oft eine weitere Eigenschaft gemeinsam haben: Sie vertragen unheimlich viele Wiederholungen des Immergleichen. Dies kann bei Kindern oft ausgeprägter sein. Sie haben es oft gerne, dass man ein bestimmtes Märchen so häufig vorliest, dass sie es mit der Zeit auswendig aufsagen kön- nen – ein Phänomen, das wiederum als eine Erklärung der Unzahl von TKKG und Drei ???

Abenteuer herhalten könnte. Man sollte allerdings nicht vergessen, dass es auch Endlosserien für Erwachsene gibt, man denke da nur an Perry Mason. Wen Wiederholungen nerven, wird recht bald aufhören, Krimis zu konsumieren.

In der stereotypen Befolgung bestimmter Muster müssen Kinderkrimis die entsprechende Produkte für Erwachsene nicht unbedingt übertreffen, in der Verwendung unrealistischer Elemente tun sie aber mitunter genau das. Ein Staranwalt wie Perry Mason kann in der Tat mit sehr vielen interessanten Fällen in Berührung kommen, wenn auch natürlich nicht mit so vielen wie es der Romanheld. Ein fünfunddreißigjähriger Anwalt braucht in einem Krimi nicht unbedingt etwas zu tun, was ein Fünfundsechzigjähriger nicht ebenfalls verrichten könnte. Seine Eignung als Identifikationsfigur für die Leser kann ohne Überstrapazierung des Realitätssinnes dreißig Lebensjahre und länger erhalten bleiben. Ein Kinderdetektiv ist hin- gegen innerhalb einer wesentlich kürzeren Zeitspanne eben kein Kind mehr. Auch wenn die Drei ??? oder die TKKG-Kids während ihrer Abenteuer etwas älter werden, allein die Anzahl der Fälle, in denen sie involviert sind, ist nicht nur unwahrscheinlich, sondern schlichtweg ohne wenn und aber unmöglich. Nicht dass das störend wirkt, man akzeptiert so etwas bereit- willig als eine Konvention.

In gerade den kommerziell erfolgreichen Kinderkrimis findet man auch eine derartigen Häufung von Zufällen, die eigentlich jegliche Glaubwürdigkeit zerstören sollten. In Wolfs Die Schatzsucher-Mafia schlägt zu, TKKG 67 kommen Klößchen und Tim zufällig bei einem nächtlichen Raubüberfall vorbei. Ein Mitschüler der beiden belauscht zufällig auf einem Passagierschiff, das auf dem weit entfernten Mittelmeer unterwegs ist, zwei Ganoven, die unter anderem illegale Ausgrabungen in Deutschland betreiben. Der Plot führt dann die bei- den Fälle zusammen. Einer der Räuber ist mit dem eigenen PKW zum Raubüberfall gefahren, flieht dann getrennt von seinem Mittäter mit der Beute, vergräbt diese an einem Ort, den er auf einer Karte markiert, die er im Wagen deponiert, den er in einem Parkhaus abstellt. Dann versagt sein schwaches Herz, und er stirbt. Der Mittäter, den die Kids zufällig bei der Witwe, die sie besuchen, treffen und der sich verdächtig benimmt und deshalb dann überwacht wird, sucht nun Wagen des anderen. Das Auto ist aber zufällig gestohlen worden und zwar von kei- nem anderen als Jochen, der für die beiden auf dem Mittelmeer belauschten Gaunern arbeitet.

Jochen ist aber Tim & Co. zufällig nicht unbekannt, denn sie haben ihn gesehen, als sie den Antiquitätenladen des auf dem Schiff Belauschten besuchten. Dieser hat zufällig ein Buch, das Karl (einer der Ks von TKKG) ausleihen will. Zufällig wird gerade zu dieser Zeit dann auch noch der Laden überfallen, und die Kids klären rasch auch noch dieses Verbrechen auf.

Der Zufall wirkt auch schon mal gegen die Tim und Co.: Sie werden von einem Schurken einmal zufällig entdeckt und geraten deshalb in Gefahr. Dann ist Fortuna ihnen wieder gnädig,

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und sie entdecken mehr oder minder zufällig auch noch die Überreste eines 3000 Jahre alten Kriegers, die den Archäologen entgangen sind. Wer allerdings glaubt, eine derartige Häufung von Zufällen könne es nur in der Kinderliteratur geben, der täuscht sich gewaltig. Man findet sie zum Beispiel auch in den Kolportageromanen Karl Mays, die in der Entstehungszeit schon wegen ihrer nach damaligen Vorstellungen pornographischen Stellen nur für Erwachsene be- stimmt waren. Im Schnitt könnten aber die Kinderkrimis in der Ausnutzung des Zufalls radi- kaler verfahren als die meisten Detektivgeschichten für Erwachsene, ohne dabei Anstoß zu erregen.

Der Vergleich mit Karl May ist auch in einem anderen Bereich sinnvoll, dokumentieren doch die klassischen Reiseerzählungen dieses Autors, dass die Dichotomie Jugendliteratur – Erwachsenenliteratur fragwürdig sein kann. Die Geschichten mit dem Ich-Erzähler Old Shat- terhand und Kara ben Nemsi wurden nämlich primär für Erwachsene geschrieben, die in der dritten Person Singular erzählten für Jugendliche. Der heutige Leser hat Schwierigkeiten da- mit, den Unterschied zu bemerken, wobei er allerdings das so genannte Spätwerk ausklam- mern muss. Wenn überhaupt, dann wird man heute Winnetou I für junge Leser empfehlen, der Roman kann aber auch im einundzwanzigsten Jahrhundert (wie urprünglich intendiert) von Erwachsenen mit Vergnügen gelesen werden, vor allem dann, wenn man das Buch schon als Knabe mit Begeisterung konsumiert hat. Man erinnert sich gerne an die Vergnügungen der Jugendzeit und will sie gerne wieder erleben. Eine kritische Herabsetzung von Werken, die einem einst so viel Freude bereitet haben, tut einem schon beinahe weh. Mag May politisch noch so inkorrekt sein, geschadet hat das ja einem nicht. Also vererbt man seinen Enkelkin- dern mit ruhigem Gewissen die nicht gänzlich verstaubte Karl May Sammlung. Man kann es sich gut vorstellen, dass es den TKKG-Büchern ähnlich ergehen wird, zumal es gemunkelt wird, bereits heute sei etwa zehn Prozent ihrer Leserschaft unter den Erwachsenen zu suchen.

Bekanntlich ist die Abgrenzung zwischen einer älteren Person, die im Herzen jung geblieben ist, und einem kindischen Erwachsenen naturgemäß schwierig.

Man könnte sich auch fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, zwischen Literatur für ältere Teenager und Erwachsenen einen Unterschied zu machen. Die Verlage unterbreiten entspre- chende Angebote und versuchen einige ihrer Produkte so zu bewerben, dass sie Jugendliche bespmders ansprechen. Vermutlich täten sie das nicht, wenn das kommerziell sinnlos wäre.

Dennoch scheint das in der Altersgruppe ab etwa fünfzehn Jahren überflüssig zu sein. Es gibt nichts, was einen älteren Teenager interessiert, was für einen Erwachsenen grundsätzlich lang- weilig wäre. Das gilt scheint auch umgekehrt zu gelten. Heinrich Böll berichtet, dass ihn ein leichter Schrecken durchfuhr, als er entdeckte, dass zwischen den Schulbüchern seiner Kinder auch die Werke Balzacs herumlagen, dass Glanz und Elend der Kurtisanen ihnen offensicht- lich nicht nur bekannt, sondern bei ihnen auch beliebt war. Im beginnenden Computerzeitalter erwischte ein Geschichtslehrer einen Internatsschüler in der Oberpfalz dabei, wie er unter der Bank Schuld und Sühne las und entdeckte so, dass in der elften Klasse ein Dostojewski-Fie- ber ausgebrochen war. In der Schulbibliothek lagen Reservierungslisten mit zahlreichen Ein- tragungen nicht nur für Der Jüngling, sondern auch für Der Idiot und Die Brüder Karamasow aus. Wenn ein Vater den neuesten Jugendroman unter den Weihnachtsbaum legt, hat seine Tochter vielleicht längst schon Stephen King in dem Bücherregal entdeckt und bedient sich von den Eltern unbemerkt entsprechend. Auch im Internetzeitalter gibt es Sechzehnjährige, die Chestertons Father Brown Geschichten nahezu verschlingen. Ältere Teenager, die über- haupt Freude an Belletrisik haben, lesen, so könnte man vermuten, so ziemlich alles, was Erwachsene ergötzt. Der Geschmacksunterschied zwischen den Generationen scheint in der Literatur, also auch bei den Krimis, weniger ausgeprägt zu sein als in der Musik.

Die drei ??? scheint wohl eine Serie zu sein, deren Zielgruppe ältere Kinder sind, die sich schon bald der Erwachsenenliteratur zuwenden werden. Der Reiz der Reihe für diese Leser

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