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03. März 2011: "Macht und Wissenschaft"

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„Macht und Wissenschaft“ – Vortrag anlässlich einer Veranstaltungsreihe der Guardini-Stiftung, Berlin, 3. März 2011

„Das Wissen wächst; die Wahrheit nimmt ab.“

Romano Guardini, Der unvollständig Mensch und die Macht, 1955, S. 17.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

am Anfang des Atomzeitalters steht ein geglücktes Experiment an einem Berliner Küchentisch: die erste künstlich herbeigeführte Spaltung eines Atoms. Der damit er- zielte wissenschaftliche Durchbruch ermöglichte wenige Jahre später den Bau der Atombomben, die auf Befehl des amerikanischen Präsidenten im August 1945 über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden.

Dieses Beispiel für ein verheerendes Zusammenspiel von Wissenschaft und Macht stellte Helmut Schmidt vor fast 30 Jahren an den Anfang seiner in der ZEIT veröffent- lichten Überlegungen über die „Gesellschaftliche Moral des Wissenschaftlers“.

Schmidt schreibt dort: „Ohne die vorangegangene wissenschaftliche Leistung zweier Forscher hätte die Frage nach der Bewahrung des Friedens in der Gegenwart kaum gleichzeitig zur Frage nach der Überlebenschance der menschlichen Spezies wer- den können. Die vielfach aufgeworfene Frage ist also, ob Otto Hahn und Lise Meitner dafür Verantwortung tragen.“1 Schmidts Antwort auf diese Frage lautet: „Keiner von beiden, weder der Politiker noch der Wissenschaftler, kann die Verantwortung auf den anderen abschieben. In der Verantwortung hängen sie vielmehr unauflöslich an- einander. Beiden scheint es auf manchem Gebiet so zu gehen wie dem Zauberlehr- ling, dem die Kontrolle über den wundertätigen Besen entglitten ist. Nun wird der Be- sen zum Unheil, und niemand hat es gewollt.“ In einer immer komplexer und damit auch unübersichtlicher werdenden Welt sieht Schmidt Wissenschaftler und Politiker herausgefordert, „sich den Überblick über mögliche Folgen des eigenen Handelns zu verschaffen.“2

1 Helmut Schmidt, „Gesellschaftliche Moral des Wissenschaftlers“, in: DIE ZEIT, 2. Juni 1982.

2 Helmut Schmidt, „Gesellschaftliche Moral des Wissenschaftlers“, in: DIE ZEIT, 2. Juni 1982.

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Genau dieser Überblick jedoch – und die damit eng verbundene Urteilsfähigkeit – scheint Wissenschaftlern und Politikern gleichermaßen zu entgleiten. Einerseits, so schrieb bereits Romano Guardini in seinem 1951 erschienenen Werk „Die Macht.

Versuch einer Wegweisung“, steige „durch die immer tiefer eindringende Wissen- schaft und die immer wirksamer werdende Technik (…) die Verfügungsgewalt des Menschen über das Gegebene“, andererseits jedoch stelle sich zunehmend die Fra- ge, „ob nämlich der Mensch seinem eigenen Werk noch gewachsen sei“. Der Ein- druck entstehe, „Werk und Wirkung seien über ihn hinausgegangen und hätten sich selbständig gemacht.“

Die von Guardini vor sechzig Jahren formulierte Frage stellt sich heute mehr denn je.

Mit ihr wird zugleich die Frage nach dem Verhältnis von Wissenschaft und Macht aufgeworfen. Heute Abend möchten wir diese Frage gemeinsam diskutieren – und ich möchte mich sehr herzlich bei der Guardini Stiftung für die Gelegenheit bedan- ken, zu dieser Diskussion beizutragen.

Macht und Wissenschaft – eine vielschichtige Beziehung

Wenn man sich mit dem Verhältnis zweier Begriffe oder Phänomene beschäftigen möchte, so gilt es natürlich zunächst zu klären, was diese Begriffe eigentlich umfas- sen. Beim Begriff „Wissenschaft“ scheint die Bedeutung noch einigermaßen nahe zu liegen. Dennoch meint dieser Begriff mehr als „wissenschaftliche Forschung“ – er kann und soll sich in meinem Vortrag neben dem Aspekt der methodisch geleiteten Erkenntnissuche und der Vermittlung neuer Erkenntnisse auch auf das Wissen- schaftssystem und den so genannten Wissenschaftsbetrieb mit seinen für den Au- ßenstehenden nicht immer leicht durchschaubaren Strukturen und Mechanismen beziehen.

Der Begriff der „Macht“ ist wesentlich facettenreicher. Im entsprechenden Artikel im Staatslexikon kann man nachlesen: „Der Begriff Macht kommt in unterschiedlichen Sprachzusammenhängen vor. In seiner Hauptbedeutung dient er der näheren Be- stimmung einer sozialen Beziehung. In einem weiten Sinne kann man von Macht immer da sprechen, wo Personen das Verhalten anderer Personen auch unabhängig von deren Willen zu beeinflussen vermögen.“ Wie lässt sich diese Begriffsdefinition

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von Macht nun zu dem gerade skizzierten Begriff der Wissenschaft in Beziehung set- zen?

Wenn das Begriffspaar „Macht und Wissenschaft“ genannt wird, denkt man zunächst an den Francis Bacon zugeschriebenen Ausspruch: „Wissen ist Macht.“ Bezogen auf den einzelnen Wissenschaftler kann dies bedeuten, dass dieser durch seine Er- kenntnisse Einfluss auf das Geschehen nehmen und sein Wissensvorsprung seine Machtstellung innerhalb einer Gesellschaft begründen kann. In der heutigen Wis- sensgesellschaft und angesichts der globalen Herausforderungen in einer zuneh- mend interdependenten Welt kommt der Wissenschaft eine kaum zu überschätzende Bedeutung zu, mit der ein entsprechender Gestaltungseinfluss einhergehen kann.

Eine Machtposition können Wissenschaftler jedoch auch innerhalb des Wissen- schaftssystems oder -betriebs innehaben. Insbesondere diese innerwissenschaftli- chen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse unter die Lupe zu nehmen, ist aus Sicht eines Wissenschaftsförderers hoch interessant.

Wissenschaftler können jedoch nicht nur Macht ausüben, sondern sind ihr zugleich auf vielfältige Weise unterworfen: der Macht von Gutachtern, Berufungskommissio- nen, Geldgebern und natürlich der Macht des Staates und der Politik. Der politischen Macht widmet das Staatslexikon einen eigenen Abschnitt, der mit dem Satz beginnt:

„Im Mittelpunkt der Politik steht die Herrschaft als spezifische Verdichtung von

Macht.“ Mit dieser spezifischen Machtverdichtung kommt die Wissenschaft in vielerlei Weise in Berührung. Sie agiert unter von der Politik geschaffenen finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen und sie sieht sich Ansprüchen, Forderungen und Fragen der Politik gegenüber.

Der Blick auf das Verhältnis von Macht und Wissenschaft wirft somit viele Fragen auf: Welche Macht kann die Ausübung von Wissenschaft verleihen und wie gehen Wissenschaftler mit dieser Macht um? Welches Verhältnis hat die Macht im Sinne der politischen Macht zur Wissenschaft? Und wie verhält sich umgekehrt der einzel- ne Wissenschaftler, aber auch „die Wissenschaft“ zur politischen Macht? Welche Ansprüche stellen Wissenschaft und Politik aneinander? Welche Verantwortung hat die Politik gegenüber der Wissenschaft und umgekehrt? Wie gestaltet sich z. B. wis- senschaftliche Politikberatung? Inwiefern bedeutet die Verfügungsgewalt über Geld

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auch mit Blick auf Wissenschaft Macht, z. B. die Macht, eine bestimmte Forschungs- agenda vorzugeben? Wer übt innerhalb des Wissenschaftsbetriebs mit welcher Legi- timation Macht aus? Wie gestalten – und verschieben – sich die Machtverhältnisse auf der institutionellen Ebene der Universität?

Bevor ich auf einen Teil dieser Fragen näher eingehe, möchte ich jedoch zunächst einige Gedanken aufgreifen, die Romano Guardini in seiner Schrift „Die Macht. Ver- such einer Wegweisung“3 zu dem Themenkomplex geäußert hat, der uns heute Abend beschäftigt.

Verantwortete Macht – Überlegungen von Romano Guardini

Macht definierte Guardini als die „Fähigkeit, Realität zu bewegen“. Angesichts des zunehmenden wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts sah er die Macht des Menschen „überall in unaufhaltsamem Steigen begriffen“. Parallel dazu wachse jedoch das Gefühl, „dass unser Verhältnis zur Macht falsch ist; ja dass unsere stei- gende Macht selbst uns bedroht.“ Aus sich heraus, so betonte Guardini, sei Macht

„weder gut noch böse“. Einen solchen Charakter nehme sie erst an „aus der Ent- scheidung dessen, der sie braucht“. Letztlich komme es auf „die Verantwortung des freien Menschen“ an. Guardini betonte: „Es liegt aber an den Wissenden und Berei- ten, sich der Tatsache zu öffnen, welche alles Kommende trägt: daß der Mensch selbst dafür verantwortlich ist, wie die Geschichte geht, und was aus Welt- und Men- schendasein wird. Er kann es richtig und kann es falsch machen.“

Nichts schien Guardini „wirklichkeitsferner, als der Begriff eines mit Notwendigkeit verlaufenden Geschichtsprozesses“. Die Geschichte gehe keineswegs von selbst, sondern werde getan; sie könne also auch falsch laufen. Guardini schrieb: „Wir wis- sen das; ahnen es wenigstens, mitten in aller Selbstgewissheit experimenteller und theoretischer Exaktheit, und das macht das besondere unserer Situation aus.“

Die Welt des 20. Jahrhunderts sah Guardini durch eine „viel größere Beweglichkeit, Bildbarkeit, Potentialität“ charakterisiert als die des vorausgegangenen Jahrhunderts.

Dadurch eröffneten sich dem Menschen neue Handlungsspielräume. Zugleich er- wachse ihm jedoch auch eine neue Verantwortlichkeit.

3 Romano Guardini, Die Macht. Versuch einer Wegweisung, Würzburg 1951.

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Guardini beobachtete im Geschichtsverlauf eine Abfolge von Menschentypen. Seine Hoffnung richtete sich darauf, dass „ein neuer Menschentypus […] im Werden [sei], der den freigesetzten Mächten nicht verfällt, sondern sie zu ordnen vermag. Der fä- hig ist, nicht nur Macht auszuüben über die Natur, sondern auch Macht über seine eigene Macht.“

Dem unbedingten Fortschrittsglauben vieler Zeitgenossen stand Guardini mehr als skeptisch gegenüber. Er schrieb vielmehr, dass es für den von ihm skizzierten Men- schen des neuen Typus „den Optimismus der Fortschrittsgläubigkeit“ nicht mehr ge- be, sondern dieser wisse, „dass sie ebenso leicht, ja noch leichter auf das Schlechte- re zugehen können“. Guardini kam zu dem Schluss: „Wir müssen wieder lernen, dass die Herrschaft über die Welt die Herrschaft über uns selbst voraussetzt; denn wie sollen Menschen die Ungeheuerlichkeit von Macht, die ihnen immerfort zu- wächst, bewältigen, wenn sie sich selbst nicht formen können? Wie sollen sie politi- sche oder kulturelle Entscheidungen fällen, wenn sie sich selbst gegenüber immer- fort versagen?“

Nach dem Erlebnis des Zweiten Weltkriegs und den Atombombenabwürfen von Hi- roshima und Nagasaki war Fortschritt für Guardini zu einer höchst ambivalenten Ka- tegorie geworden. Die durch wissenschaftlichen und technischen Fortschritt ständig wachsende Macht des Menschen über seine Umwelt schien diesem zu entgleiten und sich gegen ihn zu wenden. Für Guardini war daher Macht untrennbar mit Ver- antwortung verbunden – der Verantwortung für die Folgen des eigenen Tuns, sei es als Politiker oder als Wissenschaftler.

Die damit von Guardini angesprochene Trias „Wissenschaft – Macht – Verantwor- tung“ ist seither in vergleichbaren Vorträgen und Debatten geradezu zu einem Topos geworden. In einer 1977 aus Anlass des Jahresempfangs der Evangelischen Aka- demie in Tutzing gehaltenen und mit dem Titel „Theorie der Macht“ überschriebenen Rede sagte beispielsweise der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsä- cker zu dem Verhältnis von Wissenschaft und Macht und der Verantwortung des Wissenschaftlers: „Die Naturwissenschaft […] ist zugleich eben deshalb eine Bedro- hung der Menschheit, die von der Naturwissenschaft so reich beschenkt wird, weil ihr Denken machtförmig und nicht notwendigerweise vernünftig ist. Die Verantwortung

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des Wissenschaftlers … besteht … darin, dass er verpflichtet ist, zu der ihm verfüg- baren Anwendung machtförmigen Verstandes die Wahrnehmung des Ganzen, in- nerhalb dessen er lebt und handelt, hinzuzufügen, und das nenne ich nun mit dem alten Namen Vernunft.“

Doch bleibt zu fragen: Fühlen sich Wissenschaftler zu dieser gleichsam „politischen Vernunft“ befähigt, die ihre Wissenschaft im gesellschaftlichen und politischen Kon- text verankert und über den enger gesteckten Rahmen der Wissenschaft hinaus Ver- antwortung für die Gesellschaft und ihre Entwicklung übernimmt?

Nun, es gibt mittlerweile zumindest eine Reihe von Wissenschaftsorganisationen, die im Sinne des Herausbildens einer Institutionen-Ethik oder eines Festschreibens von Prinzipien guter wissenschaftlicher Praxis eine Antwort auf die spezifischen Heraus- forderungen der Wissensgesellschaft zu geben versuchen. Mit ihren 2010 verab- schiedeten Hinweisen und Regeln zum verantwortlichen Umgang mit Forschungs- freiheit und Forschungsrisiken will zum Beispiel die Max-Planck-Gesellschaft ihre Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Übernahme dieser Verantwortung verpflichten. In den „Einführenden Hinweisen“ wird auf die mittelbare Gefahr hinge- wiesen, dass bei einzelnen Forschungen „ – für sich genommen neutrale oder nützli- che – Ergebnisse durch andere Personen zu schädlichen Zwecken missbraucht wer- den.“ Diese Möglichkeit des „Dual Use“ erschwere und verhindere heute vielfach „ei- ne klare Unterscheidung von ‚guter’ und ‚böser’ Forschung.“ Die Max-Planck-

Gesellschaft sieht sich als Ganze „dem Wohl der Menschheit und dem Schutz der Umwelt verpflichtet“. Für den einzelnen Wissenschaftler bedeutet diese Verpflich- tung, dass er „neben der Machbarkeit der Forschung nach Möglichkeit auch deren Folgen und ihre Beherrschbarkeit berücksichtigen“ müsse.

Der Wissenschaft kommt somit eine hohe Verantwortung für ihre Forschung und de- ren Folgen zu. Doch geht ihre Verantwortung auch noch darüber hinaus, so etwa wenn es gilt, der Gesellschaft Orientierungswissen bereitzustellen oder den politisch Verantwortlichen wissenschaftlich fundierten Rat mit Blick auf ihre Handlungsoptio- nen zu erteilen.

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Schon Guardini beschreibt die Schwierigkeit der Orientierung und überlegten Hand- lung in einer immer komplexer werdenden Welt. In einem Beitrag zu einer aktuellen Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen wissenschaftlich fundierter Politikbe- ratung betont der Chefökonom des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung Ott- mar Edenhofer: „Sachgerechte Politik ist ohne Wissenschaft nicht möglich. Ohne Klimawissenschaft gäbe es keine Klimapolitik, ohne Ingenieurwissenschaft keine Energiepolitik, ohne Genetiker kein Embryonenschutzgesetz – der steigende Bera- tungsbedarf der Politik ist Ausdruck der Tatsache, dass Politik heute Gestaltungsauf- gaben wahrnimmt, die in vormodernen Zeiten noch als Fügung und Schicksal gal- ten.“4 Doch wie kann und soll Wissenschaft die Politik bei der Wahrnehmung dieser Gestaltungsaufgaben unterstützen. Konkreter gefragt: Wer berät und entscheidet in der Wissensgesellschaft?

Entscheidungsmacht:

Wer berät und entscheidet in der Wissensgesellschaft?

Der britische Nobelpreisträger Peter Medawar hat die Fähigkeit von Wissenschaft- lern, zur Lösung drängender politischer Probleme beizutragen, sehr gering einge- schätzt. Seine Position lautet: „I roundly declare that political and administrative prob- lems are not in general scientific in character, so that a scientific education or a suc- cessful research career do not equip one to solve them.“

Zweifelsohne gehören Wissenschaftler und Politiker zwei unterschiedlichen Welten an, die unterschiedlichen Spielregeln folgen. Wie gering das Verständnis der einen für die andere Seite sein kann, ist gerade in den letzten Wochen im Zuge der Dis- kussion um die Doktorarbeit des Bundesverteidigungsministers erneut deutlich ge- worden. Der des Plagiats beschuldigte und inzwischen zurückgetretene Minister wur- de gegenüber der Presse von dem innenpolitischen Sprecher der CDU/CSU-

Bundestagsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), mit der Erklärung verteidigt: „Einen Poli- tiker wie Guttenberg zu haben, ist für eine Partei wie ein Sechser im Lotto – auch bei solchen Vorwürfen. Denn das sind Vorwürfe, bei denen es um Fußnoten geht und nicht um Politik.“ Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zog sich auf den Hinweis zu- rück, sie habe Guttenberg schließlich nicht als wissenschaftlichen Assistenten ins Kabinett berufen, sondern als Verteidigungsminister bestellt. Und als solcher mache

4 Ottmar Edenhofer, „Zielkonflikte benennen“, in : SZ, 01.02.2011.

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er seine Sache hervorragend. Jedem Wissenschaftler hingegen ist deutlich, dass es hier um wesentlich mehr geht als um Fußnoten oder wissenschaftliche Hilfskrafttätig- keiten. Vielmehr geht es um Fragen des Urheberrechts, des geistigen Eigentums, der Ehre und des Anstands. Entsprechend reagierte schließlich auch die Hochschul- rektorenkonferenz am 23. Februar 2011 mit einer Pressemitteilung, in der sie Fehl- verhalten in der Wissenschaft als schwerwiegendes Vergehen charakterisierte und erklärte: „Grob fahrlässige Falschangaben, die Verletzung geistigen Eigentums oder die Behinderung der Forschungstätigkeit anderer gefährden die Wissenschaft.“5 Wel- che Folgen ein solches Fehlverhalten haben kann – darauf wies am selben Tag die Wissenschaftskorrespondentin der FAZ Heike Schmoll in einem Artikel über den Fall Guttenberg hin. Frau Schmoll betonte: „Fortschritte in der Wissenschaft sind nur möglich, wenn Forschern ihren Konkurrenten und ihren Forschervorfahren trauen können.“ Die breite Öffentlichkeit, die den Verstoß des Politikers Guttenberg gegen die Regeln der Wissenschaft zum großen Teil für verzeihlich halte, sei „auf diese Redlichkeit angewiesen“. Denn wenn es z. B., so Schmoll, „um ihre medizinische Versorgung geht, ist sie selbst davon abhängig, dass saubere, evidente Forschung betrieben wurde, dass keine Versuche oder Röntgenbilder gefälscht wurden, weil davon auch die Effektivität möglicher Behandlungsmethoden abhängt.“6

Nicht zuletzt das Beispiel der Medizin zeigt zugleich auch, wie sehr die Politik auf eine den geltenden Regeln guter wissenschaftlicher Praxis folgende Wissenschaft angewiesen ist, die sie z. B. bei Fragen nach dem Umgang mit neuen Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten um wissenschaftlich fundierte Empfehlungen und damit auch um Entscheidungshilfen bitten kann.

Im Fall Guttenberg werden Politik und Wissenschaft insbesondere von den Verteidi- gern des Verteidigungsministers gerne als zwei getrennte Welten dargestellt, tat- sächlich sind diese beiden Welten jedoch eng miteinander verbunden und mehr und mehr ineinander verschränkt. In einer sich dynamisch verändernden, zunehmend interdependenter und komplexer werdenden Welt bedarf es des engen Zusammen- wirkens von Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft. Erst auf der Grundlage sorg-

5 Pressemitteilung der HRK, Fehlverhalten in der Wissenschaft ein schwerwiegendes Vergehen, 23.2.2011.

http://www.hrk.de/de/download/dateien/HRK_PM_Fehlverhalten_in_der_Wissenschaft_23022011.

pdf. Zuletzt besucht am 25.02.2011.

6 Heike Schmoll, „Nicht der Herr des Verfahrens“, in: FAZ, 23.2.2011.

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fältiger Analysen und umfassenden Verstehens lassen sich adäquate Strategien, Vorgehensweisen und Instrumente zur Problemlösung entwickeln, die über den Tag hinaus Bestand haben.

Schon Max Weber warnte jedoch vor einer zunehmenden Abhängigkeit des Parla- mentes und der Regierung von Experten.7 Blickt man auf die aktuelle Situation in Deutschland, so kann allenthalten – nicht nur in der Politik – festgestellt werden, dass Deutschland zur „Beraterrepublik“ geworden ist. In öffentlichen Institutionen ebenso wie in privaten Unternehmen ist es längst üblich, den jeweils anstehenden Entscheidungen entsprechende Beratungsprozesse vorzuschalten. Freilich sind letz- tere bei weitem nicht immer von wissenschaftlicher Fachkompetenz, Urteilsfähigkeit und Neutralität geprägt, sondern unterliegen bereits im Vorfeld einer durch das er- wartete Ergebnis geprägten Einflussnahme.

Wissenschaftliche Analysen und darauf aufbauende Empfehlungen im Vorfeld politi- scher Entscheidungen verdienen jedoch nur dann Anerkennung und Respekt, wenn sie – im Sinne Max Webers – die Aufgabe wahrnehmen, als „Pflugscharen zur Lo- ckerung des Erdreichs des kontemplativen Denkens“ zu dienen, und nicht von vorn- herein als „Schwerter gegen die Gegner“ geschmiedet werden. Parteipolitische Neut- ralität schließt keineswegs aus, dass – trotz großer Unsicherheiten – klare Hand- lungsoptionen formuliert und den Entscheidungsträgern offeriert werden. Entschei- dender als unmittelbare politische Eingebundenheit ist für den Erfolg wissenschaftli- cher Politikberatung sogar häufig, dass sie den Mut hat, auch unangenehme Wahr- heiten offen auszusprechen.

In der Wissenschaft selbst ist wissenschaftliche Politikberatung keineswegs unum- stritten. Zumindest die Möglichkeiten und Grenzen der Beratung der Politik durch die Wissenschaft werden immer wieder diskutiert. Ein aktueller Anlass für diese Diskus- sion war vor wenigen Wochen die Veröffentlichung der Empfehlungen der Nationalen Akademie Leopoldina zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Gerade dieser Fall ist ein gutes Beispiel für die enge Verschränkung von Wissenschaft und Politik: Ohne den Fortschritt wissenschaftlich-technologischer Erkenntnisse würde sich die nun

7 Darauf weist z. B. Ottmar Edenhofer hin. Vgl. Ottmar Edenhofer, „Zielkonflikte benennen“, in : SZ, 01.02.2011.

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von dem Gesetzgeber zu beantwortende Frage nach der Zulässigkeit der Anwen- dung dieser Diagnostik gar nicht stellen. Um diese Frage in Kenntnis der relevanten Informationen beantworten zu können, hat sich die Politik wiederum an die Wissen- schaft – und zwar an die nationale Akademie – gewandt. Dass diese in ihrer Stel- lungnahme auch konkrete Handlungsempfehlungen gegeben hat, hat wiederum in- nerhalb der Wissenschaft eine lebhafte Kontroverse ausgelöst.

Die Süddeutsche Zeitung hat dieser Diskussion breiten Raum eingeräumt und in ei- ner Ende Januar / Anfang Februar veröffentlichen Artikelserie sechs namhafte Wis- senschaftler und einen Politiker zu Wort kommen lassen, die sich zur Rolle der Wis- senschaft als Beraterin der Politik geäußert haben.

Den Auftakt bildete ein Artikel des ehemaligen Präsidenten der Bayerischen Akade- mie der Wissenschaften Dietmar Willoweit, der unter der Überschrift „Zu viel Bera- tung“ konstatiert, „dass über Empfehlungen ethischen und politischen Charakters ein Konsens kraft wissenschaftlicher Erkenntnis nicht zu erzielen“ sei. Willoweit kommt zu dem Schluss: „Beschreibung – nicht Empfehlung – dessen, was getan werden kann, ist die adäquate Form wissenschaftlicher Aussagen über die schwierigen, die Zukunft bestimmenden Forschungsfelder und Entscheidungsszenarien der Gegen- wart.“8

Auf diese Äußerung Willoweits entgegnete der ehemalige Präsident der DFG Ernst- Ludwig Winnacker: „Für jemanden, der sich als Wissenschaftler auch der Politikbera- tung verschrieben hat, widerspricht dies allem, was die moderne Gesellschaft von uns Forschern verlangt und auch verlangen kann.“ Winnacker konstatiert einen gro- ßen Beratungsbedarf und sieht, so auch der Titel seines Beitrags, die Wissenschaft

„Zur Beratung verpflichtet“.9 Diese Beratung erwartet die Politik auch laut Ottfried Höffe von den wissenschaftlichen Akademien. Der Tübinger Philosoph, Mitglied der vorbereitenden Arbeitsgruppe zur PID-Empfehlung der Leopoldina, vertritt in seinem Diskussionsbeitrag die Auffassung, dass die Akademien diese Erwartung durchaus erfüllen sollten, wenn es um Themenbereiche gehe, „die politisch wichtig sind und zugleich in ihrer Kompetenz liegen“. Die Akademien müssten jedoch darauf achten,

„dass ihre Empfehlungen auf wissenschaftlicher und nur wissenschaftlicher Grundla-

8 Dietmar Willoweit, „Zu viel Beratung“, in: SZ 20.01.2011.

9 Ernst-Ludwig Winnacker, „Zur Beratung verpflichtet“, in: 26.01.2011.

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ge erfolgen. Sie haben sich ausschließlich auf Sachverstand und Methodenverstand zu stützen und dürfen, so paradox es klingt, nur auf diese ihrem Wesen nach unpoli- tische Weise politisch werden.“10

Der ehemalige Präsident der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Peter Graf Kielmansegg, fordert in diesem Kontext insbesondere „Zurückhaltung bei der Ethik“.

Auch Kielmansegg vertritt die Ansicht, „dass politikberatende Wissenschaft über ent- scheidungsrelevante Sachverhalte, zu denen Wissenschaft Auskunft geben kann, aufzuklären hat.“ Nach Meinung des Politologen ist es jedoch eine ganz andere Fra- ge, „ob die Wissenschaft ein Mandat hat, ethische Urteile autoritativ zu verkünden“.

Er selbst würde diese Frage verneinen.11 Auch der bereits zitierte Ottmar Edenhofer betont, dass Wissenschaftler „in moralischen Fragen […] kein größeres Gewicht in die Waagschale werfen [können] als Laien.“12 Der Präsident der Leopoldina Jörg Ha- cker hingegen kommt in seinem Diskussionsbeitrag zu dem Schluss: „Was die Öf- fentlichkeit erwarten kann, ist das Aufzeigen von wissenschaftlichen Grundlagen, Handlungsoptionen, möglichen Konsequenzen und gesellschaftspolitischen Implika- tionen wie eben auch der ethischen Aspekte.“13

Auf der einen Seite sehen alle an der Diskussion beteiligten Wissenschaftler den Be- darf der Politik an Beratung durch die Wissenschaft. Über adäquate Formen und In- halte der Beratung besteht jedoch keineswegs Konsens.

Den Abschluss der Artikelserie bildete ein Beitrag des Bundestagspräsidenten Nor- bert Lammert. Dieser betont, dass wissenschaftliche Beratung im Parlament zwar der Entscheidungsfindung diene, die Politik jedoch „kein Vollzugsorgan wissenschaft- licher Empfehlungen“ sei. Lammert schreibt: „Die Vermittelbarkeit und damit die Durchsetzbarkeit eines Anliegens oder einer Absicht sind für die Politik mindestens so entscheidungsleitend, wie sie für wissenschaftliche Erkenntnisse irrelevant sind.

Politiker müssen sich um Kompromisse bemühen, die Wissenschaftler grundsätzlich vermeiden sollten.“14 Hier argumentiert Lammert ähnlich wie Ottmar Edenhofer, der in seinem Diskussionsbeitrag betonte: „[…] es ist nicht Aufgabe der Wissenschaft,

10 Ottfried Höffe, „Entscheiden muss der Gesetzgeber!“, in: SZ, 25.01.2011.

11 Peter Graf Kielmansegg, „Zurückhaltung bei der Ethik“, in: SZ, 04.02.2011.

12 Ottmar Edenhofer, „Zielkonflikte benennen“, in : SZ, 01.02.2011.

13 Jörg Hacker, „Mehr als harte Fakten“, in: SZ, 8.2.2011.

14 Norbert Lammert, „Wahrheiten und Mehrheiten“, in: SZ, 09.02.2011.

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Konsens über politische Ziele zu erzielen und Mehrheiten zu beschaffen. Das ist Aufgabe der Politik. Langfristig gefährdet die Wissenschaft damit ihre Legitimität in der Beratung der demokratischen Gesellschaft. Stattdessen muss sie Politik und Öf- fentlichkeit zumuten, dass ihre Antworten nicht eindeutig sind.“

Alle Diskussionsbeiträge zeigen das Spannungsfeld auf, in dem sich wissenschaftli- che Politikberatung heute bewegt: zwischen den Regeln der Wissenschaft und den Erfordernissen der Politik mitsamt deren Umsetzung in staatliches Handeln. Um den- noch eine fruchtbringende Beratung der Politik durch die Wissenschaft zu ermögli- chen, müssen beide Seiten sich auf einen Lernprozess einlassen, der, so Edenhofer,

„nicht damit beginnt, dass die Politik die Ziele fixiert, und der auch nicht damit endet, dass die Wissenschaft die passenden Mittel findet. Nötig ist eine fortwährende Refle- xion über Mittel und Ziele.“15

Die Bereitschaft, sich auf einen solchen Lernprozess wirklich einzulassen, ist bislang jedoch offenbar begrenzt. In vielen Räten und Kommissionen wird immer wieder auf dieselben „Verdächtigen“ zurückgegriffen; denn mit jeder weiteren Mitgliedschaft er- höht sich die Berechenbarkeit der von der jeweiligen Person zu erwartenden Beiträ- ge – und vermindert sich zugleich das Risiko des Auftraggebers, ungebetenen, also zumeist unbequemen, Rat zu erhalten. Der eigentliche Sinn und Zweck wissen- schaftlich fundierter Politikberatung wird damit komplett verfehlt.

Es ist also an der Zeit, in der wissenschaftlichen Politikberatung neue Wege zu be- schreiten. Einen solchen Weg haben zum Beispiel neun deutsche Stiftungen be- schritten, als sie vor drei Jahren den Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Migration und Integration ins Leben riefen. Mit diesem Rat wurde erstmals in

Deutschland ein unabhängiges, zivilgesellschaftlich verortetes Expertengremium ins Leben gerufen, das wissenschaftliche Expertisen zu einem zentralen gesellschaftli- chen Themen- und Handlungsfeld zur Verfügung stellt. Hier berät Wissenschaft Poli- tik, ohne von ihr institutionell abhängig zu sein.

Die eingangs gestellt Frage, wer berät und entscheidet in der Wissensgesellschaft?, ist somit leicht zu beantworten: die Wissenschaft berät, die Politik entscheidet. In der

15 Ottmar Edenhofer, „Zielkonflikte benennen“, in : SZ, 01.02.2011.

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Wissensgesellschaft hat die – staatlich finanzierte – Wissenschaft eine Bring- und die Politik eine Holschuld. Worin die Bringschuld der Wissenschaft genau besteht – ob sie sich auf das Liefern von Fakten und das Erläutern von Sachverhalten beschrän- ken oder auch das Aussprechen konkreter Empfehlungen umfassen sollte – ist in- nerhalb und außerhalb der Wissenschaft umstritten. Zweifelsohne sollte wissen- schaftliche Politikberatung jedoch von der jeweils herrschenden Politik unabhängig und daher z. B. eher von der Zivilgesellschaft getragen sein als finanziell und struktu- rell von wechselnden parteipolitischen Konstellationen abhängig zu sein.

In anderer Hinsicht steht die Wissenschaft in einem unmittelbaren und unbestreitba- ren Abhängigkeitsverhältnis zur staatlichen Macht; denn die Politik schafft häufig erst die finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen, unter denen Wissenschaft betrieben werden kann. Sie ist jedoch zugleich auf dem Feld der Wissenschaft in be- sonderer Weise darauf angewiesen, dass diese von den handelnden Akteuren in großer Autonomie und Eigenverantwortlichkeit ausgeübt wird.

Macht und Ohnmacht im universitären Wissenschaftsbetrieb

„Leistungsfähigkeit durch Eigenverantwortung“ – so lautete das Motto eines Mitte der 1990er Jahre von der VolkswagenStiftung initiierten Förderprogramms, das den Uni- versitäten die Möglichkeit bieten sollte, ihre Leitungs- und Entscheidungsstrukturen zu reformieren. Dabei sollte es vor allem darum gehen, dass

• Verantwortung nicht mehr diffus verteilt, sondern identifizierbar und anwend- bar gemacht wird,

• dafür gesorgt wird, dass Verantwortung für ihre Träger nicht folgenlos bleibt,

• Entscheidungskompetenzen und –pflichten dort angesiedelt werden, wo für die Folgen eingestanden werden kann,

• die Kommunikation auf allen Ebenen und zwischen den verschiedenen Gre- mien, Gruppen und Personen intensiviert wird,

• sich zumindest mittelfristig unter den Universitätsangehörigen ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass es ihre Universität ist, an der und für die sie tätig sind.

Angesichts dieser Ziele und der erheblichen Unterschiede (nicht nur in der Größe!) zwischen den Universitäten war zugleich klar, dass es kein einheitlich-normatives

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Steuerungsmodell geben konnte, sondern der Wettbewerb jeder Hochschule die Chance eröffnen sollte, ihren je eigenen Weg zu größerer Leistungsfähigkeit durch die Übernahme von mehr Eigenverantwortung zu finden. Dabei wurde zunächst viel- fach nach der Devise Georg Christoph Lichtenbergs verfahren: „Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber soviel kann ich sagen: Es muss anders wer- den, wenn es gut werden soll.“ Auch zeigte sich bald, dass eine der größten Schwie- rigkeiten darin bestand, geeignete Personen zu finden, die zur Übernahme von mehr Verantwortung für ihren jeweiligen Bereich bereit waren. Von heute her gesehen lässt sich jedoch festhalten – nicht zuletzt angesichts des Erfolges gleich mehrerer seinerzeit beteiligter Universitäten in der Exzellenzinitiative – , dass die damals ein- geleiteten Maßnahmen essentiell waren für eine bessere Nutzung der jeweiligen Po- tenziale, die Erarbeitung gemeinsamer Zielvorstellungen und die Etablierung eines neuen Selbstverständnisses, demzufolge auch die auf Forschung und Lehre fokus- sierte Universität sich künftig selbst als eine lernende Organisation begreifen muss.

Um ihre genuinen Aufgaben in der Produktion, Aufbereitung und Vermittlung neuen Wissens – und damit auch in der Ausbildung hervorragend qualifizierter Nachwuchs- kräfte, die leitende Funktionen in Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft über- nehmen können! – adäquat auszufüllen, ist es für eine Universität unverzichtbar, dass sie angesichts der vor allem wissenschafts- und technologiegetriebenen Verän- derungsdynamik in der Lage ist:

• sich in Lehre und Studium an zukunftsträchtigen Wissensgebieten zu orientie- ren,

• im ständigen Austausch mit der Umwelt immer neuen Anforderungen zu öff- nen und innovative Forschungsfelder zu erschließen,

• erstarrte Strukturen aufzubrechen und fachübergreifende Formen der Wis- senserzeugung und –vermittlung zu entwickeln,

• Studium und Lehre ebenso wie die Forschung international zu vernetzen und Spitzenleistungen hervorzubringen.

Mittlerweile haben viele Landeshochschulgesetze versucht, diesen Erfordernissen Rechnung zu tragen, und den Universitäten einige rechtliche Steine aus dem Weg geräumt. Die Ministerien intervenieren immer weniger in die operativen Angelegen-

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heiten öffentlich finanzierter Hochschulen. Zugleich erwachsen den Universitäten aus der neu gewonnenen Selbstständigkeit vielfältige Herausforderungen, von denen hier nur drei kurz beleuchtet werden sollen: die Machbalance innerhalb der jeweiligen Institution, die rasante Zunahme externer, zumeist drittmittelbasierter Steuerungs- prozesse und die Neupositionierung der (Stiftungs-)Universität als einer Einrichtung der Bürgergesellschaft. Die Machtfülle, die sich heutzutage in den Präsidien und Rektoraten fokussiert, aber auch der Machtzuwachs so mancher Dekane, ist noch längst keine Garantie dafür, dass die oben skizzierten Ziele einer schon seinerzeit zweifellos überfälligen Reform der Leitungs- und Entscheidungsstrukturen auch tat- sächlich erreicht werden. Kommunikationsfähigkeit und Lernbereitschaft aller Betei- ligten im oftmals komplexen und komplizierten Miteinander der Gremien bilden nach wie vor wichtige Erfolgsvoraussetzungen für die Weiterentwicklung einer Institution, die zwar mit sorgfältig ausgewählten unternehmerischen Methoden optimiert werden kann, die aber kein top-down zu führendes Unternehmen ist. Künftig wird es noch mehr als bisher darauf ankommen, eine Governancestruktur zu implementieren, die beides ermöglicht: eine effektive und effiziente Steuerung sowie eine erfolgreiche Beteiligung der unterschiedlichen Ebenen, Gruppen und Personen an den sie betref- fenden Entscheidungsprozessen.

Freilich schmilzt der Anteil des Gesamtbudgets, über den eine Universität auf der Grundlage institutioneller Zuwendungen mehr oder minder frei entscheiden kann, immer weiter ab und ist im Durchschnitt aller Universitäten mittlerweile auf unter 50 Prozent gesunken. Demgegenüber steigt der Drittmittelanteil immer weiter an. Vor allem solche Mittel – wie etwa in der Exzellenzinitiative oder im Wettbewerb um die Gesundheitsforschungszentren des BMBF – werden verstärkt ausgelobt, die selbst wiederum mit starken institutionellen Steuerungseffekten verknüpft sind. Dieser Um- stand führt bereits vereinzelt dazu, dass auf eine eigene Schwerpunktsetzung ver- zichtet und die Jagd nach den „Fleischtöpfen“ zum handlungsleitenden Prinzip erklärt wird.

Der seit einiger Zeit zu beobachtende und politisch gewollte- Ausdifferenzierungs- prozess unserer Hochschullandschaft, der sich an solchen Wettbewerben, die mit strukturellen Konsequenzen für die jeweils beteiligten Institutionen verknüpft sind, festmacht, hat zugleich zur Folge, dass eine Verknüpfung der Universität mit ihrem

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fachlichen und regionalen Umfeld immer wichtiger wird. Die zivilgesellschaftliche Ver- ankerung, die zum Teil auch über die neu geschaffenen Aufsichtsgremien gewähr- leistet werden soll, ist vielfach zugleich mit der Hoffnung verbunden, zusätzliche Ressourcen aus privaten Quellen erschließen zu können. Dazu ist es jedoch uner- lässlich, ein Klima des gegenseitigen Vertrauens, der Verlässlichkeit und Glaubwür- digkeit auf- und auszubauen sowie mit langem Atem die Kontakte zu pflegen. Jen- seits der Hektik und Kurzatmigkeit des universitären Alltags tut sich hier „ein weites Feld“ auf, das erst noch näher erschlossen und bearbeitet werden muss, um in nen- nenswertem Maße Früchte zu tragen. Dennoch ist es unumgänglich (nicht zuletzt angesichts der Finanzsituation der öffentlichen Hand und der demografischen Ent- wicklung) auf diesem Weg weiter zu gehen.

Fazit

Die Autonomie der Wissenschaft und damit zugleich die Eigenverantwortung der je- weiligen Institution mitsamt all ihren Mitgliedern bildet in der modernen Wissensge- sellschaft eine wichtige Voraussetzung für ihre Steuerungs- und Entscheidungsfähig- keit sowie für ihre wissenschaftlich erfolgreiche Arbeit im nationalen und internationa- len Wettbewerb. Die Wissenschaft muss sich aber auch ihr Privileg des selbst gestal- teten, autonomen Handelns immer wieder neu erwerben: durch eine nachvollziehba- re und transparente Leistungs- und Qualitätskontrolle in den Institutionen selbst, aber auch durch die zurechenbare Übernahme von Verantwortung bei Fehlentwicklun- gen. - Gelingt es der Wissenschaft nicht, in diesem Sinne Objektivität und Fairness walten zu lassen, verliert sie letztlich ihre Glaubwürdigkeit.

Wenn Wissenschaft ihren Platz in der Gesellschaft langfristig behaupten will, so muss sie der Öffentlichkeit gegenüber kritikfähig sein und neue Interaktionsformen zwischen Wissenschaft und Politik sowie zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit entwickeln, und zwar jenseits der üblichen Asymmetrien in den klassischen Sender- Empfänger-Modellen der Wissenschaftskommunikation. Es gilt vielmehr, auch sorg- fältig zuhören zu können, wenn die übrigen Mitglieder der Gesellschaft zur Wissen- schaft sprechen.

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Anlässlich der 100-Jahr-Feier der Max-Planck-Gesellschaft am 11. Januar 2011 in Berlin hat Helmut Schmidt das Miteinanderverwobensein von Wissenschaft und Poli- tik wie folgt auf den Punkt gebracht: „Eliten tragen eine besondere Verantwortung gegenüber der Menschheit. Es mag ja sein, dass ein Wissenschaftler jemand ist, dessen Einsichten größer sind als seine Wirkungsmöglichkeiten. Es mag auch sein, dass Sie, meine Damen und Herren, die Politiker für Menschen halten, deren Wir- kungsmöglichkeiten größer sind als ihre Einsichten. Gleichwohl können die Wissen- schaftler und die Forscher nicht beanspruchen, unbehelligt von den Weltproblemen, unbehelligt vom ökonomischen und politischen Geschehen, unbehelligt von den Zwängen, denen ansonsten die Gesellschaft unterworfen ist, ein glückliches Eremi- tendasein führen. Denn auch als hoch spezialisierter Forscher bleiben Sie ein zoon politikon.“

Dem ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Außer dem Hinweis, dass sich Politiker ebenso wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gleichermaßen verpflichtet fühlen sollten, ihre besondere Verantwortung für die Gestaltung unserer Gesellschaft auch tatsächlich zu leben. Mit den Worten Werner A. P. Lucks bedeutet dies: „Ver- antworten heißt: mit der ganzen Person zur Antwort werden auf eine durch das eige- ne Tun gestellte Frage, und einstehen für die Folgen des eigenen Tuns.“

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

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