Änderungen im Freizügigkeitsgesetz/EU und durch den Brexit 1. Teil: Änderungen im Freizügigkeitsgesetz/EU
Das Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) wurde zum 24.11.2020 geändert. Es wurden nach einem Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission gegen die Bundes- republik weitere Erleichterungen für Einreise und Aufenthalt von bestimmten Personengrup- pen gemäß der Freizügigkeitsrichtlinie aufgenommen.
I.
Neu: Aufenthaltsrecht von nahestehenden Personen Nahestehende Personen sind: Verwandte nach § 1589 BGB (insbes. auch Seitenlinie: Geschwister, Verschwägerte, ohne Beschränkung des Grades), des Unionsbürgers, des Ehegatten oder Lebenspart- ners, wenn sie nicht unter Familienangehörige nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 (neu) Frei-
zügG/EU fallen
Weitere Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht:
Unterhaltsgewährung durch Unionsbürger seit mindestens zwei Jah- ren
Häusliche Lebensgemeinschaft mit Unionsbürger seit mindestens zwei Jahren im Ausland
Dauerhafte schwerwiegende gesundheitliche Gründe, die Pflege des Unionsbürgers durch den Verwandten zwingend erforderlich machen
Kinder unter 18 J., die unter der Vormundschaft der Person stehen oder deren Pflege- kind sind (und nicht Familienangehörige nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 FreizügG/EU)
Weitere Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht:
längeres Zusammenleben in familiärer Gemeinschaft steht bevor
Kind ist abhängig vom Unionsbürger
Lebensgefährte oder Lebensgefährtin, mit der die Person eine glaubhaft dargelegte, auf Dauer angelegte Gemeinschaft eingegangen ist (nicht Lebenspartner nach dt.
Recht o. eingetragene Partnerschaft). Es darf daneben keine Ehe oder eingetragene Lebenspartnerschaft bestehen.
Weitere Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht:
nicht nur vorübergehendes Zusammenleben mit Unionsbürger im Bundesgebiet
in allen Fällen:
Ermessensentscheidung.
Nachweis der Voraussetzungen durch Dokumente des Heimatstaats erforder- lich.
Erforderlichkeit der Anwesenheit wird im Einzelfall (durch Ausländerbehörde) geprüft (Grad der Verwandtschaft, Beziehung zum Unionsbürger, Grad der fi- nanziellen und physischen Abhängigkeit)
Lebensunterhalt muss gesichert sein
Erwerbstätigkeit erlaubt, wenn Aufenthaltskarte erteilt wird
Es wird eine Aufenthaltskarte (für nahestehende Person, die nicht Unionsbürger ist) ausgestellt, nach 5 Jahren Daueraufenthaltsrecht möglich (dann Daueraufenthaltskarte für Nicht-EU-Bürger und Bescheinigung Daueraufenthalt für EU-Bürger)
II. Neu: Rückkehrerfälle von Deutschen
Nachzug von Familienangehörigen und nahestehenden Personen zu deutschen Staats- angehörigen erstmals gemäß FreizügG/EU möglich (Beseitigung der sog. Inländerdiskri- minierung)
damit nach den großzügigeren Regeln des EU-Rechts (bisher nur gemäß Aufenthaltsge- setz)
wenn Deutsche von ihrem Recht auf Freizügigkeit nachhaltig Gebrauch gemacht haben III. Vorgehen bei GS:
bei Beantragung von Leistungen für Familienangehörige und nahestehende Personen ist von diesen eine Aufenthaltskarte oder ein Aufenthaltstitel vorzulegen. Im Zweifel ist die zuständige Ausländerabteilung zu befragen2. Teil: Brexit
Austritt Großbritanniens aus der EU erfolgte zum 31.01.2020
Bis zum 31.12.2020 dauert der Übergangszeitraum, in dem für britische Staatsange- hörige die EU-Regeln weiter gelten, bevor der Austritt ganz vollzogen wird.
Austrittsabkommen zwischen der EU und Großbritannien regelt u.a. die Rechte von Briten, die hier bis zum Ende des Übergangszeitraums gemäß den EU-Regelungen rechtmäßig leben (Alt-Briten).
I. Austrittsabkommen Vereinigtes Königreich-EU:
1. anwendbar auf
a) Alt-Briten, die hier leben oder bis zum 31.12.2020 einreisen,
und sich gemäß den Freizügigkeitsregeln aufhalten (materiell freizügigkeitsberech- tigt),
werden aufgrund des Austrittsabkommens weiter wie EU-Bürger behandelt (Leistungs- anspruch wie bisher), solange die Freizügigkeitsvoraussetzungen weiter vorliegen, ggf. lebenslang.
werden ab dem 01.01.2021 automatisch aufenthaltsberechtigt,
müssen ihren Aufenthalt bis spätestens 30.06.2021 bei der Ausländerbehörde anzeigen, wenn sie nicht bereits aufgrund eines materiellen Freizügigkeitsrechts eine Aufenthalts- karte oder Daueraufenthaltskarte (nach EU-Recht) haben.
müssen sich bis spätestens 01.01.2022 ein besonderes Aufenthaltsdokument-GB (s.u.) bei der Ausländerbehörde besorgen (Aufenthaltskarten und Daueraufenthaltskar- ten werden am 31.12.2021 ungültig).
Ausnahme: nach dem 01.01.2021 geborene oder adoptierte Kinder von Briten, die hier leben und unter das Austrittsabkommen fallen.
Bei Briten, die aus dem Austrittsabkommen ein Daueraufenthaltsrecht nach dem Aus- trittsabkommen erworben haben, wird dieses Recht zur Verdeutlichung in das Aufent- haltsdokument-GB eingetragen.
b) Familienangehörige (Definition wie bisher) und nahestehende Personen (neu, s. o, un- ter 1. Teil, I.) von Alt-Briten.
Für sie gelten die Bestimmungen, die im neuen Freizügigkeitsgesetz/EU (ab 24.11.2020) geregelt sind (s.o.),
wenn sie am 31.12.2020 in der Bundesrepublik wohnen und weiter wohnen, oder
wenn sie am 31.12.2020 nicht in der Bundesrepublik wohnen, aber bereits die Nachzugsvoraussetzungen nach dem Freizügigkeitsrecht erfüllt hatten (z.B.
Heirat vor dem 31.12.2020)
Familienangehörige und nahestehende Personen erhalten Aufenthaltskarten für fünf Jahre, danach ggf. Daueraufenthaltskarten.
2. nicht anwendbar auf
a) Briten, die ab dem 01.01.2021 einreisen (Neu-Briten),
werden wie Ausländer aus Nicht-EU-Ländern behandelt
brauchen (nach derzeitigem Stand) ein Visum und eine Aufenthaltserlaubnis.
Familiennachzug richtet sich nach den normalen Regelungen des AufenthG
Briten, die ab dem 01.01.2021 keine Rechte aus dem Austrittsabkommen herleiten kön- nen, sich aber hier aufhalten (z.B. entsandte Arbeitnehmer, die nicht hier wohnen), sind gem. § 80a AufenthG n.F. bis zu drei Monate vom Erfordernis eines Aufenthalts befreit.
So bleibt ihnen Zeit, einen Aufenthaltstitel zu beantragen.
b) Familienangehörige von Alt-Briten, die am 31.12.2020 aufgrund eines eigenen Freizü- gigkeitsrechts (z.B. Daueraufenthaltsrecht) hier gewohnt haben und damit unabhängig vom Unionsbürger sind.
II. Vorgehen bei GS:
Bei Briten und deren Familienangehörigen oder nahestehenden Personen muss der Antragsteller bei GS immer ein Aufenthaltsdokument-GB (neu, Muster s.u.), einen Aufenthaltstitel oder eine Aufenthaltskarte vorlegen. Der Pass allein oder sonstige Nachweise genügen nicht (Grund: Britisches Staatsangehörigkeitsrecht ist mit dem deut- schen nicht vergleichbar, Briten im Sinne des Austrittsabkommens sind nicht ohne wei- teres am Pass erkennbar).
Ggf. muss der Antragsteller sich während der Wartezeit auf den elektronischen Aufent- haltstitel eine Fiktionsbescheinigung (neues Muster s.u.) besorgen und vorlegen, um Leistungen von GS zu erhalten. Diese Möglichkeit der Ausstellung einer Fiktionsbeschei- nigung während der Wartezeit auf ein elektronisches Aufenthaltsdokument-GB ist aus- drücklich geregelt (§ 11 Abs. 4 neu FreizügG/EU).
In Zweifelsfällen ist das Einwohnerzentralamt zu befragen (dort findet die Bearbeitung und Ausgabe der Aufenthaltsdokumente-GB statt), ob der Antragsteller unter das Aus- trittsabkommen fällt oder nicht.
Auch in Fällen von Doppelstaatlern (deutsch/britisch, EU-Staat/britisch, Nicht-EU- Staat/britisch) muss das Einwohnerzentralamt oder die Ausländerabteilung befragt wer- den, da die Konstellationen vielfältig und ggf. ausländerrechtlich kompliziert sind.
Die Leistungsberechtigung ändert sich bei Briten, die unter das Austrittsabkommen fallen nicht, solange weiterhin die Freizügigkeitsvoraussetzungen vorliegen. Im Übrigen richtet sich die Leistungsberechtigung nach dem Aufenthaltstitel (s. Liste Sozialleis- tungsansprüche von Ausländern https://www.hamburg.de/content- blob/352318/68c387734093eee07ca3f8f59e46d452/data/sozialleistungsansprueche- auslaender.pdf ).
Krankenversorgung bleibt bei Briten, die unter das Austrittsabkommen fallen wie bis- her, d.h. auch Inanspruchnahme von Sachleistungen im Krankheits- und Pflegefall durch die Krankenkasse mit S1-Formular (und Abrechnung über den Heimatstaat), sowie die Europäische Krankenversicherungskarte (EHIC) und die Provisorische Ersatzbescheini- gung (PEB) können weiter genutzt werden, solange die Freizügigkeitsvoraussetzungen vorliegen.
III. Neue Aufenthaltsdokumente:
1
. Aufenthaltsdokument-GB
2. Neue, ergänzte Fiktionsbescheinigung
3.
Teil: elektronischer Identitätsnachweis (e-ID) für EU-Bürger und Angehörige
des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR)
Aufgrund einer EU-Verordnung wurde zum 01.11.2019 (Inkrafttreten sollte verscho- ben werden auf 1.11.2020, aber erfolglos) der elektronische Identitätsnachweis ein- geführt.
Zweck: Identitätsnachweis für Online-Dienste, auch bei Behörden (wie bei Online-Funktionen des Personalausweises), aber kein Passersatz o.ä.
für EU-Bürger und Angehörige des EWR (Island, Norwegen, Liechten- stein)
Antrag freiwillig, ab 16 Jahren, unter Vorlage von Pass oder nationaler Identitätskarte
Bei Wohnsitz in Deutschland oder außerhalb
Beantragung und Ausgabe bei Kundenzentren (in HH) oder bei der Aus- landsvertretung
10 Jahre gültig, nicht verlängerbar, dann neue Karte erforderlich
auf dem Chip gespeichert werden:
Familienname und Geburtsname
Vornamen
Doktorgrad
Tag und Ort der Geburt
Anschrift
Staatsangehörigkeit
Ordensname, Künstlername
Dokumentenart
letzter Tag der Gültigkeitsdauer
wird für den Online-Identitätsnachweis auf ein Lesegerät (auch Smart- phone) gelegt, Geheimnummerneingabe erforderlich, anschließend werden Daten übermittelt
Muster e-ID-Karte:
Massih