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Auf dem Weg zur Körperschaft des öffentlichen Rechts?

Die Integration des Islam in Deutschland im Spannungsfeld von säkularer politischer Ordnung, Religionsfreiheit und christlicher Kultur

Gritt Klinkhammer, Marburg / Erfurt

1. Das Spannungsfeld von säkularer politischer Ordnung, Religionsfreiheit und christlicher Kultur in Deutschland

Das Verhältnis von Religion und Staat in unserer Gesellschaft ist grundgelegt in Art. 4 des GG, wonach jeder einen Glauben oder eine Weltanschauung haben und entsprechend handeln darf, sofern dies nicht gegen andere grundgesetzliche Rechtsnormen verstößt wie z. B. das Recht auf Leben und körperliche Unversehrt- heit (Art. 2, Abs. 2). Inwiefern bei der Festlegung aller weiteren grundrechtlichen Regelungen zur Religionsfreiheit eine besondere Förderung der bikonfessionellen christlichen Kultur in Deutschland auch auf die Zukunft hin intendiert war oder ob danüt ein weitgehend gleichberechtigter religiöser Pluralismus gesetzlich festge- schrieben werden sollte, ist insbesondere im Zusammenhang mit der Anerkennung von Körperschaftsrechten für die christlichen Kirchen diskutiert worden. Sicher ist jedenfalls, dass sich die verfassungsgegebene Säkularität des Staates nicht als areligiöse, postreligiöse oder antireligiöse Ideologie verstanden wissen wollte, auch wenn beispielsweise die Zuriickdrängung insbesondere der katholischen Kirche nach dem 1. Vatikanischen Konzil (1869-1870) im anschließenden »Kulturkampf«

durchaus als antiklerikale und z. T. auch als antireligiöse Politik verstanden werden kann. Letztlich war die Politik Bismarcks aber auch eine Antwort auf die nach dem Westfälischen Frieden zunehmende Pluralisierung der konfessionellen Strukturen und der damit einhergehenden Rechtsunsicherheit in den Gebieten des Deutschen Bundes bzw. des Deutschen Reichs.1 Trotz damit verbundener Durchsetzung rechtsstaatlicher Säkularisierung (Eherecht, Schulaufsicht, etc.) wurden in der

1) Zum Beispiel traten Konflikte in Bezug auf das konfessionell verschiedene Eherecht ins- besondere bei Mischehen und bei Minderheiten auf. Zugunsten einer Rechtsgleichheit und einer individuellen Gewissensfreiheit wurde das Eherecht säkularisiert, die Zivilehe einge- führt und Ehestreitigkeiten der staatlichen Gerichtsbarkeit unterstellt. Vgl. C O I N G 1984.

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Weimarer Reichsverfassung von 1919 die beiden Großkirchen in Deutschland als Körperschaften öffentlichen Rechts und als Instanzen der sittlich-moralischen Er- ziehung gestützt. Unabhängig der seitdem fortgeschrittenen Entkirchlichung und weltanschaulichen Säkularisierung der Bürgerinnen haben die Kirchen diese Son- derstellung bis heute inne.

Aufgrund dieser Entwicklungen wird heute die normative Integrationskraft der Gesellschaft kaum mehr auf die christlichen Kirchen zurückgeführt. Soziologisch wird zur Analyse solcher Integrationskraft moderner demokratischer Gesellschaf- ten z. B . auf das Konzept einer »Zivilreligion« zurückgegriffen (vgl. KLEGER / MÜLLER 1986). Diese bewahre die Werte auf denen das Staatswesen gründe, welche, wie BÖCKENFÖRDE formulierte, der Staat selbst nicht garantieren könne (1967, 93). Als solche Grundwerte des modernen demokratischen Staates werden heute in der Regel formuliert: die Säkularität des Staates, die Menschenrechte und darin enthalten, die Freiheit des Individuums.

Trotz immer wieder bestehender Detailkonflikte haben sich die christlichen Kirchen im 20. lahrhundert mit der Existenz des säkularen Staates nicht nur abge- funden, sondern die Trennung von religiöser und politischer Macht nicht selten auch soweit anerkannt, dass diese als Bestandteil des christlichen Kulturerbes in- terpretiert und legitimiert wurde. Nicht nur protestantische Theologen waren und sind hier aktiv, sondern auch die katholische Kirche hat sich nach dem 2. Vatikani- schen Konzil (1962-65) in ihrer Erklärung »dignitas humanae« von ihrem Ideal eines »christlichen Staates« verabschiedet. Der Sozialphilosoph Heiner Bielefeld hat aufgezeigt, dass die Anerkennung und Interpretationen des säkularen Rechts- staates bei einigen zeitgenössischen Theologen in eine deutliche Vereinnahmung von Säkularität umschlägt, Säkularität damit »gleichsam christlich getauft« wird:

»Für Menschen nichtchristlicher Orientierung bedeutet dies, dass sie im Rahmen der christlich-säkularen Verfassungsordnung keinen legitimen Platz haben - es sei denn, dass sie zumindest in einem vagen >kulturchristlichen< Sinne zu den Werten der christlich-abendländischen Geschichte konvertieren. ... >getaufte< Säkularität ist aber ... um nichts weniger ideologisch als antireligiöser oder postreligiöser Sä- kularismus, insofern hier wie dort ein verbindliches weltanschauliches Fundament der politisch-rechtlichen Ordnung postuliert wird« (BIELEFELD 1998,480).

Jenseits solcher christlich-theologischen Assimilations- und Legitimationsbe- wegungen darf die historische Sonderstellung und Präsenz der christlichen Kirchen als auch der christlichen Kultur (z. B. in Form von Feiertagen) in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen nicht übersehen werden. Bei staatlichen Fragestellun- gen hinsichtlich religiöser Anschauungen u. ä. werden darum bis heute oft aus- schließlich christliche Kirchen zur Beratung geladen. Bei der Militärseelsorge, in den Medien u. v. m. haben allein die Kirchen kontinuierliche Vertretungen. Reli- giöser Pluralismus über die historische Bikonfessionalität hinaus ist in Deutschland fast ausschließlich auf dem >freien Markt< präsent und >integriert<.

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Die Beziehung zwischen Staat und Religionsgemeinschaften schien in den west- europäischen Ländern durch ihre verfassungsmäßigen Grundlegungen ein für alle mal geklärt. Und in der Tat wurden die Regelungen der Weimarer Verfassung zwi- schen Staat und christlichen Kirchen bislang kaum erschüttert, weder durch die Ansprüche von kleineren, oft freikirchlichen Religionsgemeinschaften auf Aner- kennung als Körperschaften,2 noch durch die zunehmende Entkirchlichung der Bürgerinnen oder auch der Sektendebatte in den 80ern. Erst seitdem eine zweite und dritte Generation von Migrantinnen aus Ländern mit islamischer Prägung ihr Leben langfristig in Deutschland ausrichtet, rückt das Verhältnis von Kirche, Re- ligionen und Staat als Streitthema verstärkt in die öffentliche Diskussion. Insofern sind die Konflikte um die Anerkennung verschiedener Aspekte islamischer Reli- gionsausübung zwar verknüpft mit Problematiken der Integration von Migran- tinnen, basieren aber grundsätzlich auf der inhärenten Spannung, die in einem religiös-weltanschaulichen Pluralismus liegen: und zwar besonders in einer Gesell- schaft, die ihre Religionsgrundgesetze unter der Voraussetzung einer christlich bikonfessionellen Dominanz entworfen hat, sich derzeit aber zur Aufgabe gemacht hat, weltanschauliche Differenzen nicht zu unterdrücken, sondern in gesellschaftli- ches Handeln zu integrieren.

Eine wichtige Wende markiert in diesem Zusammenhang das Bundesverfas- sungsgerichtsurteil zur Entfernung von Kruzifixen aus Klassenzimmern bekennt- nisfreier Schulen von 1995. Wenngleich manchem dieser Beschluss als ein überzo- gener Minderheitenschutz gilt, so ist er aber darum zentral, weil bis dahin das Bun- desverfassungsgericht immer wieder christliche Privilegien gestützt hatte, mit der Begründung, dass unsere Gesellschaft auf dem Boden christlich-abendländischer Tradition fuße. Mittlerweile setzen die Karlsruher Bundesverfassungsrichterinnen stärker auf die Akzeptanz von kultureller und religiöser Differenz in unserer Ge- sellschaft. So heißt es im Urteil zur Klage der Zeugen Jehovas (ZJ) vom 19. 12.

2000 (BvR 1500/97), dass es dem Staat weder erlaubt sei, Glaube und Lehre einer Religion zu bewerten (d. h. die Endzeiterwartung der ZJ darf nicht bezüglich einer Gewähr der Dauer interpretiert werden), noch müssten Religionsgemeinschaften, die vom Staat Privilegien erhalten wollen, ihr Wirken an den Interessen und Zielen des Staates ausrichten.3 Allein zwei Kriterien müssten aber die Zeugen Jehovas er- füllen - und damit in Zukunft alle anderen Religionsgemeinschaften auch -, um die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erhalten: die »Gewähr der Dauer« (die die ZJ in den meisten Bundesländern erfüllen) und die »Rechts- treue« (hier besteht bei den ZJ Prüfungsbedarf wegen Verdachts auf systematischer

2) Diese Anerkennung erhielten sie zum Teil auch, wie die Neuapostolische Kirche, die Sie- benten-Tags-Adventisten, die Johannische Kirche und andere; stehe S O L T E 1994.

3) Das BVerwG urteilte 1997 zu den ZJ noch, dass für die Anerkennung der Körperschafts- rechte eine »Loyalität zum Staat« gegeben sein müsse (s. Fn 17).

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Anwendung von Prügelstrafen in der Kindererziehung). Die Kursänderung beim BVerfG spiegelt sich allerdings bislang weder in den Urteilen der Verwaltungsge- richte noch in den politischen Entscheidungen wider.4

Die Konflikte, die aus dem religiös-weltanschaulichen Pluralismus im säkula- ren Staat entstehen, sind weiterhin auf drei Ebenen zu erwarten:

Erstens stoßen in einer modernen, ausdifferenzierten Gesellschaft traditionale Lebensformen und religiös begründete Praktiken häufig an die Grenzen einer sich als säkular und neutral definierenden Öffentlichkeit. So ergeben sich aus Wider- sprüchen zwischen säkularen Anforderungen an Neutralität in öffentlichen Räumen und dem Recht auf religiöse Überzeugungen und Ausübung religiöser Praktiken Konflikte (z. B. zum Kopftuch, zum Muezzinruf oder Kirchengeläut u. a.). Zwei- tens erzeugen unterschiedliche Wertvorstellungen und religiöse oder kulturelle Praktiken von Mehrheits- und Minderheitskultur Konflikte (z. B. Feiertagsregelun- gen, Gebetszeiten, Kindererziehungsmethoden u. a.). Und schließlich entsteht aus dem Wunsch um eine gleichberechtigte Berücksichtigung von unterschiedlichen Wertvorstellungen ein grundsätzliches Ringen um Anerkennung auf verschiedenen Ebenen sozialer und politischer Partizipation. (Vgl. zu Konfliktpotentialen in mul- tikulturellen Gesellschaften: TAYLOR 1993; EMCKE 2000.)

Dabei zeigt sich, dass die Ansprüche von Religionsfreiheit mit den Ansprüchen von Säkularität im gesellschaftlichen Alltag immer wieder in Spannung miteinan- der geraten und, obwohl sie sich gegenseitig stützen sollten (BIELEFELD 1998, 485ff), nicht immer auf das Gleiche zielen: So können, wenn es um die Loyalität zu grundgesetzlichen Idealen geht, beispielsweise die Gleichberechtigung der Ge- schlechter oder die freie Entfaltung der Persönlichkeit und zwischenmenschlicher Beziehungen auf dem Spiel stehen. Das Spannungsverhältnis kann sich dabei so- wohl zwischen den mal säkular, mal säkular-christlich argumentierenden staatli- chen Vertreterinnen und den religiösen Anschauungen von einzelnen Bürgerinnen oder Gruppen entfalten als auch zwischen religiösen Gemeinschaften und ihren Zielen. Der Pluralismus der Weltanschauungen und auch die Ausdifferenzierung von Handlungsbereichen und Wertsphären fördern dabei die Entstehung von

»reasonable disagreements« (RAWLS 1993): d. h. das Auftauchen von Meinungs- verschiedenheiten und Widersprüchen in (ethischen) Überzeugungen, die eine be- grenzte Gruppe von Personen »vernünftigerweise« und d. h. hier legitimerweise

4) Dies zeigen die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zum Schächten (Beschluss des Hess. Verwaltungsgerichtshofs vom 9. 9. 1999, 11 ZU 37/98, und Urteil des Verwaltungs- gerichls Gießen vom 2. 12. 1997, 7 E 1572/97 (3)) oder die politischen und gerichtlichen Verschleppungen hinsichtlich der Entscheidungen zur Einführung eines ordentlichen Is- lamischen Religionsunterrichts in Ländern wie Berlin, NRW und Hessen. (Für die Einfüh- rung eines Islamischen Religionsunterrichts sind im Übrigen die Körperschaftsrechte zur verantwortlichen Übernahme durch die entsprechende Religionsgemeinschaft keine Vor- aussetzung.)

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innerhalb einer Gesellschaft vertreten können. In Bezug auf religiöse Widersprüche wird häufig eine einfache politische Auflösung dieses Spannungsverhältnisses darin erhofft, die Säkularität des Rechtsstaates genuin als auf eine Privatisierung des Religiösen hinzielende zu interpretieren. BIELEFELD hingegen betont, dass die Säkularität des Rechtsstaates lediglich einen offenen Rahmen für die gleichberech- tigte Entfaltung des religiösen und weltanschaulichen Pluralismus im privaten wie im öffentlichen Raum bieten solle (1998, 490).

2. Die Integration von Muslimlnnen in nicht-islamischen Ländern

Religionsrechtliche Debatten

zur Existenz von Muslimlnnen unter Nichtmuslimlnnen

Die dauerhafte Existenz in nicht-islamischen Staaten stellt Musliminnen vor die Aufgabe, die rechtlichen Rahmenbedingungen und Erwartungen seitens des Auf- enthaltsstaates und die eigenen religiösen Normen und Werte miteinander auszulo- ten. Im klassischen islamischen Recht stellt diese Situation eine eher wenig beach- tete Sondersituation dar, die fast ausschließlich in Verbindung mit der Aufnahme nützlicher, meist kurzfristiger Handelsbeziehungen erörtert wurde. Alle Rechts- schulen lassen solche Handelsaufenthalte grundsätzlich zu, wenngleich beispiels- weise die Malikiten von längeren Aufenthalten abraten, weil befürchtet wird, dass die Muslime ihre religiösen Pflichten an diesen Orten nicht einhalten könnten. Die Hanafiten wiederum erlauben die Aussetzung der religiösen Pflichten für die Zeit des Aufenthalts (LEWIS 1994). Man ging - bzw. manche gehen noch heute (RAMA- DAN 2001a, 175f) - von zwei grundsätzlich feindlich gegenüberstehenden Gebieten aus: dem »dar al-islam« (Haus des Islam) und dem »dar al-hrab« (Haus des Krieges).5 Die Situation des »dar al-ahd« (Haus des Vertrages) ist gegeben, wenn der Muslim vom Gastland sichere Aufenthaltsbedingungen erhält. Dann ist es dem Muslim geboten, sich für die Zeit seines Aufenthaltes den dortigen Gesetzen zu

fügen (vgl. ROHE 2001a, 87).

Heute leben etwa ein Drittel aller Musliminnen außerhalb islamischer Staaten und davon die meisten dauerhaft, so dass sich die Frage nach der Bestimmung der Lage von Musliminnen in Minderheitensituationen nachdrücklich stellt. Unter an- derem mit dieser Frage beschäftigen sich seit Anfang der 90er Jahre etwa ein Dut- zend Ulema bei diversen Zusammenkünften in Europa. Sie wollen der Präsenz der

5) Diese Bezeichnung wurde von Rechtsgelehrten in den ersten Jahrhunderten der islami- schen Zeitrechnung entworfen und ist weder dem Koran entnommen, noch Teil einer Überlieferung des Propheten. Dazu ausführlich HAGEMANN / K H O U R Y 1997.

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Musliminnen in Europa einen islamisch-rechtlichen Rahmen geben. In London wurde dazu 1997 der »Europäische Rat zur Erarbeitung juristischer Gutachten und Durchführung von Forschungen« gegründet. Die Mehrheit der in diesem Rat ver- tretenen Gelehrten hat dazu neue, der Präsenz in Europa aufgeschlossene Konzepte vorgeschlagen. Diese neuen Konzepte gründen sich u. a. auch auf der Kritik an der herkömmlichen Zuschreibung der sogenannten islamischen Welt zum »dar al- islam«, aufgrund deren korrupter und diktatorischer Regierungen, die den Islam für ihre Interessen instrumentalisierten. Solch grundsätzliche Kritik, auch an die diese Regierungen unterstützenden Ulema, hört man v. a. von Musliminnen der zweiten und dritten Generation in Europa. Der Islamwissenschaftler und muslimische Ge- lehrte TARIQ RAMADAN charakterisiert diese generationengebundene Perspektiven- verschiebung folgendermaßen: »Tatsächlich wohnen wir einer stummen Revolu- tion in der Einstellung der Muslime bei, der Verwirbelung aller Ursprünge, und in den kommenden Jahren wird sich wahrscheinlich bestätigen, dass ihre Partizipation noch sichtbarer, noch tiefer und von noch größerem Ausmaß geworden ist«

(2001b, 90). In seinem Buch »Muslimsein in Europa. Untersuchung der islami- schen Quellen im europäischen Kontext« (2001a) liefert RAMADAN konkrete isla- misch-theologische und -rechtliche Antworten zur Beantwortung der Frage, wie Muslimsein in Europa möglich ist. Eine zentrale Rolle nimmt dabei auch der Hinweis auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Rechtsweges ein: »Erst seit einigen Jahren kann man erleben, dass Muslime in Europa die Gerichte anrufen, um ihre Rechte zu erstreiten. Langsam sind sie sich der Bedeutung des Rechtsstreit bewusst geworden« (2001a, 171). Dass diese Entwicklung auch in Deutschland erst jung ist, liege daran, dass erst die zweite und dritte Generation der Muslime begonnen haben, ihr Leben auf eine Existenz in dieser Gesellschaft auszurichten.

Die gesellschaftlichen Grundlagen würden von ihnen bei einer solchen Klage mitnichten grundsätzlich in Frage gestellt: »Das europäische >Haus< könnte mithin folgendermaßen eingeschätzt werden: ... eine große Zahl von rechtlichen Bedin- gungen, die wir erwähnten, [ist] bereits erfüllt, und die Muslime sehen sich in einer Situation, in der ihnen weitgehend das Recht zuerkannt wird, als Muslime in Europa zu leben. ... die Muslime verfügen über die Freiheit, ihre Religion auszu- üben (die Gesamtheit der >ibadat<, der gottesdienstlichen Praktiken, und ein Teil der >mu'amalat<, der sozialen Angelegenheiten); die Gesetze schützen im Allge- meinen die Rechte der Muslime als Bürger oder Einwohner wie auch als Gläubige, die zu einer religiösen Minderheit gehören« (ebd.). Der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD)6 hat bereits mehrfach in diesem Sinne Stellung zur Situation

6) Der Z M D ist einer von zwei Dachverbänden in Deutschland. Der andere Verband ist der

»Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland« (IR). Weitere, davon unabhängige, große sunnitisch ausgerichtete Verbände sind DITIB, die deutsche Vertretung der staatlichen Behörde für Religionsangelegenheiten der Türkei und der V I K Z , ein ebenfalls türkischer

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der Musliminnen in Deutschland bezogen.7 RAMADAN bezeichnet die Situation der Musliminnen in Europa mit »dar al-amn« (Haus der Sicherheit; ebd. 176) und deutet das Einklagen bestimmter Rechte in diesem »europäischen Haus« auch als ein Zeichen der grundsätzlichen Akzeptanz der säkularen, demokratischen Gesell- schaftsordnung.

Grenzen der Integration islamischen Rechts in Deutschland

Zwar lässt sich der Prozess der Integration des Islam in Deutschland mitnichten nur über Rechtskonflikte beschreiben (vgl. KLINKHAMMER 2000), aber aufgrund der weitverbreiteten Annahme, dass es sich beim (sunnitischen wie schiitischen) Islam in besonderem Maße um eine religiöse Ideologie mit dem Anspruch auf Durchset- zung in - unserem heutigen Verständnis nach - säkularen Bereichen handelt, kommt der Betrachtung der rechtlichen Integration des Islam bzw. der Integration islamischen Rechts, der Scharia besondere Aufmerksamkeit zu.

In Bezug auf die Integration islamischen Rechts muss man zunächst einmal konstatieren, dass es grundsätzliche Grenzsetzungen der deutschen Rechtsprechung gibt, über die auf keinen Fall hinaus gegangen werden kann. Dieser Problembe- reich für eine deutsche, aber auch europäische Integration islamischen Rechts be- zieht sich zum einen auf Strafen mit koranischem Bezug, d. h. auf die sogenannten

»hudud«, die unantastbaren, von Gott gesetzten »Grenzen«. Diese Strafen betreffen vor allem Raub (Sure 5,33f), Diebstahl (Sure 5,38f), Alkoholgenuss (5,90f), außer- eheliche Geschlechtsbeziehungen (Sure 24,2f) und die falsche Beschuldigung

(religiöser) »Verband islamischer Kulturzentren«, der bis Herbst 2000 noch Mitglied des ZMD war. Ausführlicheres zu den Verbänden siehe z. B. bei LEMMEN 2000.

7) Vgl. diverse Stellungnahmen zum Wahlaufruf des Z M D im Pressemitteilungsarchiv seiner hompage. Den symbolischen Höhepunkt erreicht dieser Vorgang der Akzeptanz eines Le- bens in Deutschland durch die Veröffentlichung einer »Islamischen Charta« im Februar 2002, die in 21 Punkten Stellung zur Anerkennung der Säkularität des Staates, der Rechts- ordnung und der Menschenrechte und ähnlichen Themen nimmt (hg.v. ZENTRALRAT DER M U S L I M E IN DEUTSCHLAND). Auch der IR begrüßte die Charta und seine Inhalte ( M I L L I GÖRÜS 2002). In Zeitschriften und Pressemeldungen islamischer Verbände oder Vereine in Deutschland wurde die Charta veröffentlicht und in den meisten Fällen positiv kom- mentiert. Einige Zeitungen forderten ihre Leserschaft auf, die Charta zu diskutieren (Al- Fadschr, Al-Islam). Einzig Al-Islam, die Zeitschrift des »Islamischen Zentrums München«

(Mitglied des IR), druckte einen grundsätzlich kritischen Kommentar zur Charta von ihrem >Chefredakteur< A H M A D VAN D E N F F E R ab (2002, 7-16). Van Denffer kritisiert darin vor allem, dass der ZMD in der Charta die Bedingungen einer »säkularen Demokratie« als

»begrüßenswert oder gar erstrebenswert« anerkenne, obwohl doch »im Gegenteil« diese Situation für die Muslime »ein Ansporn« sein sollte, »sich nach besten Kräften dafür einzusetzen, diese Gesellschaft in eine islamgemäße umzuwandeln« (14).

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jemandes dies getan zu haben (Sure 24,4f). Die Strafen selbst reichen vom Aus- peitschen über das Abhacken von Händen oder Füßen bis zur Tötung. Solche Strafen verstoßen gegen die Menschenrechtskonventionen8 und treffen darum auf klare Grenzen für mögliche Anwendungen in europäischen Ländern, in denen diese zur Norm erhoben wurden.

Allerdings ist festzustellen, dass der Vollzug der koranisch vorgeschriebenen Strafen in der islamischen Geschichte bis ins 20. Jahrhundert hinein eine seltene Ausnahme war. Die vergleichsweise häufige Anwendung gehe auf die Reislamisie- rungstendenzen politischer Machthaber seit den 80er Jahren zurück. Zudem sei die Vollstreckung allenfalls Staatsaufgabe im Rahmen eines idealen islamischen Staa- tes und komme schon deshalb für Musliminnen in nicht-islamischen Staaten nicht in Betracht (ROHE 2001a, 44f). »Andererseits kann man von Muslimen nicht ver- langen, sich von Aussagen des Koran schlechthin zu distanzieren bzw. >Streichun- gen< im Koran vorzunehmen. Aus der Sicht der Rechtsordnung des Aufenthalts- landes genügt das Bekenntnis, die geltende Rechtsordnung zu respektieren, die solche Strafen ausschließt« (ebd. 45).

Zum zweiten gibt es eine Kollision mit dem islamischen Recht im Bereich sei- ner familienrechtlichen Regelungen. Hierzu gehört z. B. das Aussprechen einer Scheidung ohne vorherige Trennungszeit oder auch die einseitige Scheidung durch den Mann (»talaq«, Verstoßung). Zwar ist es z. B. möglich für Jordanier in Deutschland nach Jordanischem Recht zu heiraten, oder bei einem eingereisten, polygam verheirateten Mann die Rentenanwartschaften auch für seine zweite und dritte Ehefrau in Deutschland zu akzeptieren. (Vgl. dazu ausführlich ROHE 2001a, 105-124) Für Musimlnnen deutscher Staatsbürgerschaft ist dies aber nicht möglich.

Im familienrechtlichen Bereich stellen sich aber Änderungen im Selbstverständnis der Muslime, insbesondere der Musliminnen in Deutschland ein. Eheverträge re- geln heutzutage meist in deutschem Recht angeglichenen Modalitäten die Rechte und Pflichten der Eheleute. Diese vertragliche Möglichkeit gilt als gute islamische Konvention.9

8) Bezogen auf die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« (1948) und die »Europäi- sche Menschenrechtskonvention« (1950). Die »Allgemeine Islamische Menschenrechts- erklärung (AIME)« von 1981 enthält solche Verbote nicht eindeutig (vgl. DIE ISLAMISCHE D E K L A R A T I O N DER MENSCHENRECHTE (1984): Abschnitt »I. Das Recht zu leben: a) Das menschliche Leben ist heilig und unverletzlich, ... Insbesondere soll niemand Verletzun- gen oder dem Tod ausgesetzt werden, es sei denn, das islamische Gesetz erachtet derartige Maßnahmen für den Schutz und die Sicherheit der Gesellschaft als unumgänglich.«). Die konservativ ausgerichtete islamische Deklaration ist allerdings nicht von einer islamischen Staatengemeinschaft, sondern vom Londoner »Islamic Council« verabschiedet worden.

Sie ist unter Musliminnen durchaus umstritten (vgl. M E R A D 1993).

9) Vgl. z. B. die Selbstbeschreibung des Vereins HUDA e. V. auf seiner hompage www.huda.de. Der Verein vertreibt solche Ehevertragsformulare.

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3. Die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts und die Selbstorganisation der Musliminnen in Deutschland

Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften werden in Deutschland als einge- tragene gemeinnützige Vereine organisiert oder sie können nach einem rechtlichen Verfahren über die Anerkennung als Religionsgemeinschaft auch den länderbezo- genen Status einer »Körperschaft des öffentlichen Rechts«1 0 nach Artikel 140 des GG (137 Abs. 5 W R V ) erwerben. Hierdurch werden ihnen u. a. umfangreiche Steuerprivilegien, ein erweiterter Schutz eigener Betätigung (Zeugnisverwei- gerungsrecht, staatliche Rücksichtnahme bei Errichtung und Betrieb eigener Ein- richtungen), Teilhaberechte im öffentlichen Leben (Rundfunkrecht, anerkannte Trägerschaft der Jugendfürsorge), Dienstherrenfähigkeit, Disziplinargewalt und Parochialrecht (zuziehende Angehörige der Religionsgemeinschaft werden als Mit- glieder betrachtet) gewährt (CAMPENHAUSEN 1996, 287-309).

Obwohl der Islam eine durchaus kollektiv gelebte Religion ist, ist ihm das kirchliche Vorbild einer solchen hierarchisch und bürokratisch geordneten Korpo- ration als verantwortliche Repräsentativorganisation mit verbindlicher theologisch- rechtlicher Autorität nach innen und nach außen eher fremd. Dennoch wurden be- reits in den 50er Jahren, schon vor Beginn der Arbeitsmigration von muslimischen Vereinen Anträge auf die Anerkennung des Körperschaftsstatus gestellt.11 Die Kultusministerkonferenz vom 12. 3. 1954 hat daraufhin die Empfehlung gegeben, die grundgesetzlich geforderte »Gewähr der Dauer« zur Verleihung der Körper- schaftsrechte in dem Sinne auszulegen, dass hier nicht die Jahrhunderte alte Reli- gion des Islam zur Disposition steht, sondern die konkrete Religionsgemeinschaft, die sich im allgemeinen Rechtsleben des Landes als gefügte Organisation zeitlich bewährt haben soll (ROHE 2001b, 236). Außerdem wurden die frühen Anträge ab- gelehnt, weil die antragstellenden Gemeinschaften im Verhältnis zur Landesbevöl-

10) Die »Titulierung der Kirchen (und zahlreicher anderer Religions- und Weltanschauungs- gemeinschaften) als Körperschaften des öffentlichen Rechts (ist) nicht präzis« und ver- dunkele die Rechtslage mehr als sie sie erhelle. Dies »ist seit langem anerkannt und unbe- stritten. Im technischen Sinne sind Körperschaften des öffentlichen Rechts heute mit Rechtsfähigkeit ausgestattete Personenverbände, die unter staatlicher Aufsicht Staatsauf- gaben wahrnehmen. Die Kirchen gehören nicht dazu. Ihr Wirkungskreis bildet kein Stück, sondern ein Gegenstück des staatlichen Wirkungskreises. ... Dieser Status soll die Eigen- ständigkeit und Unabhängigkeit der Kirche vom Staat sowie ihre originäre Kirchengewalt bekräftigen« (CAMPENHAUSEN 1996, 139f).

11) So z. B. 1954 vom Verein »Islam für Westdeutschland e. V.« in Bayern (vgl. BUNDES- R E G I E R U N G 2000, 34f).

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kerung zu wenig Mitglieder aufwiesen. Dazu wird in der Regel ein Maßstab von etwa 1/1000 angelegt (MUCKEL 1995, 315).'2

Der Organisationgrad der Gemeinden steigerte sich in den 70er und 80er Jahren stark. Aus den anfangs ständig fluktuierenden, weder örtlich noch >bekenntnis- mäßig< zugeordneten >Hinterhofexistenzen< wurden relativ klare Vereins- und Dachverbandstrukturen, aus denen dann Mitte der 80er Jahre die zwei führenden Bundeszusammenschlüsse (ZMD und IR) erreicht wurden. Später folgte dann die Einrichtung von Landesvertretungen. Der V I K Z versuchte als einer der ersten Mi- grationsvereine einen Antrag in NRW zu stellen (1978). Sein erklärtes Ziel dabei war u. a. »die Integration der ausländischen Muslime in die deutsche Gesellschaft mit allen daraus resultierenden Rechten und Pflichten« (ABDULLAH 1993, 49). Die frühe Antragstellung des V I K Z ist insofern verständlich, als dass dieser Verband mit seinem sufischem Hintergrund noch am ehesten eine auch religiös begründete Gemeinschaftsbildung (etwa im Sinne einer >Bruderschaft<) von sich heraus zur Unterweisung der Schülerinnen in die Lehren der Kette der Scheichs und Formen des »zikr« (Gottgedenkens) anstrebt. Vom Selbstverständnis her bildete der V I K Z darum schon sehr früh nicht >nur< einen Verein zur anstaltlichen Bereitstellung von Gebäuden u. ä. zur Förderung der Ausübung der islamischen Religion, wie dies bei den meisten islamischen Vereinen zunächst einmal der Fall war.

In den letzten zehn Jahren kann man von einem organisatorischen Aufbruch der Moscheegemeinden in Deutschland aber auch in Europa generell sprechen (vgl.

SHADID / KONINGSVELD 1995 und FERRARI / BRADNEY 2000). Das Handeln der

Vereine in Deutschland richtet sich seither nicht mehr nur auf die Bestandserhal- tung ihrer >Gemeinden<, sondern vor allem auf den Ausbau rechtlicher und fakti- scher Möglichkeiten zur Konsolidierung islamischen Lebens in Deutschland.

Damit einhergehend lässt sich auch ein verändertes Selbstverständnis in den Zwe- cken ihrer vereinsförmigen Korporation feststellen. Anträge auf Körperschaft wur- den in diesen Jahren verschiedentlich, insbesondere vom IR, dem V I K Z und der Islamischen Föderation (IF), und in fast allen alten Bundesländern mit nennenswer- tem islamischen Bevölkerungsanteil gestellt. Diese Anträge wurden abgelehnt oder liegen seitdem unbeantwortet vor (vgl. BUNDESREGIERUNG 2000, 34f). Die Bean- standungen seitens der Gerichte sind vielfältig, beziehen sich aber grundlegend auf folgende Punkte:

12) Allerdings ist dieses Vorgehen offensichtlich variabel. So weist R O H E 2001b, Fn. 36 dar- auf hin, dass das Land Bayern dem Deutschen Orden mit nur wenigen Dutzend Mitglie- dern die Körperschaftsrechte verliehen habe.

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Ansprechpartner des Staates

Ein klarer Ansprechpartner des Staates fehle, bei dem eine verbindliche Einschät- zung der religiös-theologischen Problemlagen und Angelegenheiten der Gemein- schaft eingeholt werden kann. Dies setzte eine Instanz voraus, die »in Glaubens- dingen verbindlich sprechen können« müsse (ALBRECHT 1995, 30). Diese Autorität kann gewählt oder eingesetzt werden, sie solle zumindest befugt sein, verbindliche Entscheidungen zu treffen. Eine solche Verbindlichkeit im sunnitischen Islam, dem die Mehrheit der Musliminnen in Deutschland angehören, wird von den Musli- minnen in der Regel als unislamisch abgelehnt. Musliminnen verlassen sich in Re- ligionsfragen vielmehr auf die Überzeugungskraft einzelner Personen als auf die Autorität eines Gelehrtenamtes.

Nun ist aber zu beobachten, dass sich gerade in diesem Bereich seit einigen Jahren im Selbstverständnis der islamischen Verbände einiges verändert hat. So vergibt der IR unter seinen Vereinsvorsitzenden seit 1993 das Amt des »Shaik ul- Islam«'\ das den Vorsitz der geistlichen Verwaltung des Vereins inne hat und

»zuständig für islamisch religiöse Angelegenheiten und Lehrentscheidungen« ist.

Seine Amtszeit beläuft sich auf fünf Jahre. (Satzung des IR vom 2. 6. 2001, § 8, 1) Die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen (IRH) hat die Institution eines Ausschusses für theologisch-religiöse Entscheidungen in ihrer Satzung verankert, den »Fiqh-Rat«, der »als oberste religiöse Autorität ihrer Mitglieder in Hessen fungiert« (»Allgemeine Informationen«, hg. v. I R H o. O., o. J. Seite 5). Laut Sat- zung (vom 4. 6. 2001) gibt der »Fiqh-Rat« religiöse Grundsatzempfehlungen, Fat- was heraus, die sofern sie »im persönlichen Bereich einzelner« liegen »als allge- meine Empfehlung« gelten. »Die Fatwas erhalten verbindliche Wirkung durch Beschluß der Organe des I R H , soweit es um Belange der Gemeinschaften geht«

(§ 9, 3). Der Rat besteht aus »islamischen Gelehrten« als »Hauptmitglieder«, die in Deutschland ansässig sind, und beratenden »islamischen Gelehrten« aus dem Aus- land.

Der ZMD hat 1995 in § 8 seiner Satzung vom 26. 3. 1995 einen internen »Isla- mischen Gutachterrat« verankert, der sich ebenfalls aus einer bestimmten Anzahl von deutschen und beratenden ausländischen Religionsgelehrten zusammensetzt.

Er hat laut Satzung sowohl die Aufgabe »der Behandlung und Begutachtung orts- gezogener Probleme im Bereich einzelner Muslime und der islamischen Gemein- den«, als auch die Begutachtung und Erarbeitung von Richtlinien für einen (zukünftig erhofften) islamischen Religionsunterricht und der Ausbildung von

13) Die Benennung als »Shaik ul-Islam« ist eine Anknüpfung an das höchste religiöse Amt im Osmanischen Reich. Der »Shaik ul-Islam« unterstand im Osmanischen Reich dem Sultan, war aber unabhängig, insofern er auch ihn absetzen konnte, verhielte er sich nicht gemäß islamischen Rechts.

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Lehrkräften und Lehrbüchern dafür und die Bestimmung der Anfänge der islami- schen Feste nach den Mondmonaten (§ 8, 2). In Bezug auf die Verbindlichkeit der Entscheidungen des Gutachterrates ist der ZMD ähnlich wie die I R H eindeutig:

»Die Gutachten haben empfehlenden Charakter. Sie erhalten verbindliche Wirkung durch Beschluß der Organe des ZMD, soweit es um Belange der Gemeinschaften geht. Gutachten im persönlichen Bereich Einzelner gelten als allgemeine Empfeh- lungen« (§ 8, 3).

Die Islamische Föderation in Berlin (IFB) hat bei ihrer Klage zur Anerkennung als eine Religionsgemeinschaft, die berechtigt ist, Religionsunterricht an Berliner Schulen zu erteilen, in ihrer Satzung ebenfalls ein bemerkenswertes Bekenntnis zur

»Kirchenstruktur« abgegeben. Danach wird ein »Oberster religiöser Rat« vom Vorsitzenden der Föderation ernannt: »Die Mitglieder des obersten religiösen Rats werden vom Imam [der gleichzeitig Vorsitzender des Vorstandes ist; A. d. V.] der islamischen Föderation ernannt. Mitglied des Rates kann nur ein Muslim werden, der eine abgeschlossene islamisch-theologische Hochschulbildung hat. Der oberste Rat berät den Imam in allen wichtigen Fragen. In wichtigen religiösen Fragen sollen sie eine mit Quellenangaben begründete religiöse Entscheidung fällen«

(§ 9a1 4). Nach einem Zitat von HEINE (2000, 175) aus einem Brief des Anwalts der I F B (von 1997), der die Verbindlichkeit der Entscheidungen des Imams erläutert, heißt es: »Der Imam ... hört alle Meinungen zu dem Thema oder einer Streitfrage und entscheidet dann allein für den Berliner Bereich. Er kann seine Meinung der Mehrheitsmeinung anpassen, aber er hat auch die Autorität, die Meinung der Minderheit zu akzeptieren. Die Entscheidung des Vorsitzenden [also des Imam;

A. d. V.] ... ist vor Gemeinden und somit für alle Mitglieder ... verbindlich. Diese Entscheidung mitzutragen, ist dann für alle Mitglieder, auch für die, die nicht der gleichen Meinung waren, religiöse Pflicht«.

Die hier geschilderten Bemühungen, um eine Transparenz und Verbindlichkeit der Entscheidungs- und Weisungsprozesse in religiösen Belangen der genannten islamischen Verbände wird die Argumentation der Behörden, dass es keinen kom- petenten und autorisierten Ansprechpartner gebe, in Zukunft kaum mehr möglich machen. - Ganz unabhängig davon, ob eine Mehrheit von Musliminnen einer sol- chen Weisungsstruktur als islamisch zustimmt. Sofern sie Mitglieder eines solchen Verbands sind, haben sie der Satzung zugestimmt. Auftretende innerreligionsge- meindliche Streitigkeiten sind dann nicht Staatssache - so ja z. B. auch nicht bei den Katholiken und der Durchsetzungsfahigkeit von Entscheidungen zur Reli- gionsauslegung (siehe gesetzliche Beratung von Schwangeren und Frauen als Priesterinnen).

14) Zitiert nach HEINE 2000, 174f.

(13)

Mitgliedschaftsregelungen und Religionsfreiheit

Den islamischen Landesverbänden fehlten klare Mitgliedschaftsregelungen. Der Hinweis darauf, dass die islamischen Vereine, die von ihnen betriebenen religiösen Einrichtung wie Moscheen für einen breiten Benutzerkreis (»Vereinsmitglieder«

wie »Nichtmitglieder«) bereitstellen, ist zur gesetzlichen Identifizierung von »Mit- gliedern« (und von Mitgliederzahlen) nicht ausreichend. Die Mitgliedschaft müsse auf der Grundlage der Freiwilligkeit beruhen und darum zuortbar sein (vgl.

MUCKEL 1995,315).

Aufgrund des islamischen Verzichts auf institutionelle Hierarchisierung in einer religiös begründeten >Gemeinde< gab es keinen Anlass für Musliminnen, sich for- mal als Mitglied in einem Moscheeverein einzutragen. Anders auch als in der kirchliche Praxis in Deutschland ist es in muslimischen >Gemeinden< üblich, regel- mäßig über Spenden das Moscheeleben aufrecht zu erhalten. Dies kann den Be- stand der Moschee allerdings meist nur dann gewährleisten, wenn wie in >islami- schen< Ländern üblich die Imame als Hauptamtliche der Moschee von staatlichen Institutionen bezahlt werden. So wird auch im Zuge der stärkeren Unabhängig- keitsbestrebungen der >Moscheegemeinden< in Deutschland von ihren Herkunfts- ländern das Ziel, stabile Mitgliedszahlen und zahlende Mitglieder zu sammeln, nachdrücklicher.

Die Grundvoraussetzung der Freiwilligkeit der Mitgliedschaft ist schon durch das Vereinsrecht vorgegeben, in dem es heißt, dass Mitglieder auch wieder austre- ten können müssen. Dies gewährleisten selbstverständlich auch alle islamischen Vereine. Auch der Austritt aus einer Kirche ist in Deutschland ein zivilrechtlicher Vorgang. Damit garantiert der Staat die negative Religionsfreiheit: »Hinsichtlich der Wirkung des Kirchenaustritts ist ... die Ebene des weltlichen und des kirchli- chen Rechts zu unterscheiden. Das staatliche Kirchenaustrittsrecht regelt lediglich die Frage, ob ein Staatsbürger im weltlichen Rechtsbereich als Glied einer be- stimmten Religionsgemeinschaft zu betrachten ist. Ob durch den Kirchenaustritt das Band der Taufe gelöst wird, ist für den Staat ohne Interesse, da er in solchen Fragen gänzlich inkompetent ist« (CAMPENHAUSEN 1996, 168). Insofern muss auch die Zugehörigkeit zum Islam durch einen Austritt nicht angetastet werden.

Allerdings bleibe in diesem Bereich in Bezug auf das islamische Verständnis eine grundlegende Rechtsunsicherheit aufgrund der islamischen Bestimmung, den Religionswechsel zu ahnden. Diese Rechtsvorstellung gründet zwar nicht im Ko- ran, gehört aber zu klassischen islamischen Rechtsurteilen, in dem der Tatbestand des Abfalls vom Islam (»ridda«, Apostasie) mit Todesstrafe belegt wurde (vgl.

ROHE 2001a, 47). Moderne islamische Autoren verweisen auf den Kontext dieser Strafandrohung: die Zeit nach den kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Mekkanern und die Gefahr, in dieser Zeit das junge Staatswesen zu Fall zu bringen durch den Abfall vom Glauben. »Man deutet also den Vorwurf des Religionswech-

(14)

sels als eigentlich weltlichen im Sinne von >Fahnenflucht< oder >Hochverrat<« (ebd.

und direkt z. B . TALBI 1993).

In Deutschland hat mittlerweile zu diesem Thema die ISLAMISCHE CHARTA Stellung genommen und die Akzeptanz der Religionsfreiheit ausdrücklich betont und »das Recht, die Religion zu wechseln« und »eine andere oder gar keine Reli- gion zu haben«, benannt (2002, Punkt 11). Wenngleich sich zu diesem Thema sicherlich noch weitere deutliche muslimische Stellungnahmen und islamische In- terpretationen im europäischen Kontext etablieren müssen, um ein breites Ver- trauen in der Mehrheit der nichtislamischen Bevölkerung und auch der säkularen Musliminnen in Deutschland zu erreichen, zeigen sich auch hier Tendenzen zur Bejahung einer rechtlichen Integration des Islam in Europa seitens islamischer Verbände.

Stabilität der Vereinsstruktur und die »Gewähr der Dauer«

Die Konkurrenz der islamischen Vereine wird als instabilisierender Faktor wahr- genommen. So schreibt CAMPENHAUSEN: »Der Staat wird aber auch auf die Rechtssicherheit achten und den Rechtsfrieden, der durch eine ungeklärte Konkur- renzlage zwischen Vereinigungen bedroht ist, eine Folge der religiösen Eigenart des Islam, der sich an die abendländischen Zuordnungsprinzipien nicht bequemen will« (1996, 9 2 ) .1 5 Allerdings sieht das Recht nicht vor, dass sich alle Vereinigun- gen mit dem gleichen Bekenntnis zusammenschließen müssen (MUCKEL 1995, 315). Insofern ist Bekenntnisidentität von Antragstellern kein Hindernis zur Ver- leihung der Rechte an eben diese. Vom Gesetz wird kein Harmonisierungsgebot vorgeschrieben, friedliche Konkurrenz ist >gesetzlich< akzeptiert.

In der Tat hat sich erst im Herbst 2000 mit dem Austritt des V I K Z aus dem ZMD und seiner neuen Dialogpolitik, die auch zur Schließung der vereinseigenen dialogoffenen Erwachsenenbildungsstätte »Villa Hahnenburg« in Köln geführt hat, gezeigt, dass sich die Vereinskonstellationen im Bereich des Islam noch nicht ab- schließend gefunden haben. Andererseits stabilisiert sich die Vereinslandschaft in dem Versuch, zwar in offener Konkurrenz aber ohne offenen Streit, relativ einig aufzutreten.16 Sowohl der ZMD als auch der IR haben in ihren Satzungen den

15) Hier ist es angebracht an die späte und immer noch wenig befriedigende Ökumenebewe- gung zwischen den christlichen Kirchen aufmerksam zu machen. Zudem wird Konkurrenz auch dadurch neutralisiert, indem keine Seite um ihre Anerkennung kämpfen muss. So- lange noch Verteilungsentscheidungen im Gange sind, wird sich dies auch im Bereich is- lamischer Verbände kaum vermeiden lassen.

16) So z. B. auch in der offenen Akzeptanz der Islamischen Charta durch den IR, obwohl der ZMD diese im Alleingang ausformuliert hat.

(15)

Willen zur Zusammenarbeit bekundet und setzten dies jüngst beispielsweise im Anschluss an das Urteil zum Schächten (BVerfG, 1 BvR 1783/99 vom 15. 1.

2002) um durch die Bildung einer gemeinsamen »Kommission für Islamisches Schlachten« (KIS), die »islamologische Kriterien« und »islamische Tierschutz- kriterien« zum Schlachten festgelegt hat (siehe Pressemitteilung des ZMD unter www.islam.de).

»Rechtstreue« oder »Staatsloyalität«

MUCKEL (1999, 592f) argumentiert vor dem Hintergrund des Urteils des BVerwG zu den ZJ, dass eine »ungeschriebene Voraussetzung« für die Anerkennung der Körperschaftsrechte die »Rechtstreue« und darüber hinaus die »Übereinstimmung mit der verfassungsrechtlichen Kulturbasis« sei (so auch schon bei ALBRECHT 1995, 26). Zwar könne keine christlich-kulturelle Orientierung gefordert werden, weil dies mit der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates unvereinbar wäre. Aber es müsse doch eine »Loyalität der Religionsgemeinschaft gegenüber dem Staat« gewährleistet sein.1 7 MUCKEL konstatiert, zumindest 1995, dass islami- sche Vereinigungen diese Voraussetzung nicht erfüllen, auch weil »ihnen derzeit noch eine >Verfassung<, die sie in den Stand setzt, ein partnerschaftliches, auf dau- erhafte Kooperation angelegtes Verhältnis zum Staat zu entwickeln«, fehle (317).

In Bezug auf das Kriterium der »Staatsloyalität« zeigt sich im Bundesverfas- sungsgerichts-Urteil vom 19. 12. 2000 eine deutliche Wende: »Eine Religionsge- meinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will, muss rechtstreu sein. Sie muss die Gewähr dafür bieten, dass sie das geltende Recht beachten, ins- besondere die ihr übertragene Hoheitsgewalt nur in Einklang mit den verfassungs- rechtlichen und den sonstigen gesetzlichen Bindungen ausüben wird« (2 B v R 1500/97, Nr. 77). Darüber hinaus stellt das Gericht keine Bedingung von »Staats- loyalität«. Allerdings ist der Begriff der »Rechtstreue« durchaus interpretations- bedürftig. Es stellt sich z. B. die Frage, inwieweit durch eine islamisch-traditionelle Grundauffassung über die Naturgemäßheit unterschiedlicher Rollen von Mann und Frau und daraus sich ergebener unterschiedlicher Rechtsvorstellungen die Rechts- treue nicht mehr gegeben ist. Paradoxerweise gelten für die katholische Kirche im religiösen Bereich ähnliche Vorstellungen von geschlechtlicher Differenz, die aber

17) Mit dieser Argumentation hatte das BVerwG (Urteil vom 26. 6. 1997 / BVerwG 7 C 11.96) den Antrag der Zeugen Jehovas abgewiesen, Körperschaftsrechte erhalten zu kön- nen. Aufgrund ihrer Ablehnung der Teilnahme an demokratischen Wahlen zeigten die ZJ, dass sie die vom BVerwG als unerlässlich bezeichnete »Loyalität« dem demokratisch ver- fassten Staat nicht entgegenbrächten, (s. darauf bezugnehmend das BVerfG in seinem Ur- teil zu den ZJ vom 19. 12. 2000, 2BvR 1500/97, Abs. 38-40)

(16)

durch den Körperschaftsstatus der Kirche nicht mehr in den Rechtsbereich des Staates fallen.1 8

Kritische islamische Stimmen zur Übernahme des Körperschaftsstatus Im Zuge der vermehrten Strukturgebung der islamischen Vereine nach z. T. säku- larrechtlichem (Vereinsbildungen) und z. T. kirchlichem (Gemeindebildung) Vorbild gab bzw. gibt es auch immer wieder kritische Stimmen zu dieser unausge- sprochenem Entwicklung in den Verbänden. Hierbei werden zwei zentrale Kritik- punkte an der Entwicklung genannt:

a) Man weist zum einen auf die Gefahr der kulturellen Überfremdung des Islam durch eine zu starke Anpassung an die christlich-säkularen Rechtsstrukturen in den Korporationsrechten hin. Hintergrund sind dabei weniger allgemeine Segrega- tionswünsche als vielmehr die Sorge, die Identität des Islam durch eine Kirchen- struktur zu verletzen.19 WOLF AHMAD ARIES hat dies sicherlich für viele so formu- liert: »Die Unmöglichkeit einer Kirche in der Weltgemeinschaft der Muslime liegt in koranischen Aussagen und in der Sünna des Propheten selbst begründet. Wäh- rend der Koran die individuell verantwortete Freiheit der khalifatischen Existenz des Geschöpfes, des Menschen, setzt, hat der Prophet weder einen persönlichen Nachfolger bestimmt noch eine zentrale Institution geschaffen. Für Muslime blieb daher die Idee einer Einheit durch die Geschichte hindurch zwar phantasiemächtige Utopie, der jedoch die Vielfalt der Wirklichkeit entgegenstand. ... Konsequenter- weise ist eine islamische Minderheit in einer kirchengeprägten Gesamtgesellschaft nur insofern strukturierbar, wie sie nicht klerikalisiert. Dem entspricht der gegen- wärtige Stand der Entwicklung in Moscheevereine, Verbände und Dachverbände, die ihre Begründung im Vereinsrecht des für alle geltenden bürgerlichen Gesetzbu- ches findet..., d. h. heißt nicht im Rechtsraum des Staatskirchenrechtes oder eines ius ecclesiasticum« (1997, 49). Aries schlussfolgert hier also, dass der vereinrecht-

18) Siehe dazu z. B. den Zugang zu religiösen Ämtern, das Ehe- oder Arbeitsrecht oder den Protest der Kirchen gegen das bundesweite Antidiskriminierungsgesetz aufgrund seiner Erfassung von »Diskriminierungen wegen der Religion«, um ihre konfessionsbezogenen

»Tendenzentscheidungen« weiterhin geschützt zu wissen (taz vom 15. 5. 2002,9).

19) Wenngleich Tendenzen der Absonderung in manchen Vereinigungen zu beobachten sind bzw. von prominenten Musliminnen durchaus auch vertreten werden. Diese Haltung macht sich aber weniger an den Körperschaftsrechten fest als vielmehr an der Frage, ob es wirklich im Interesse der Musliminnen sein könne, einen staatlich begutachteten, schuli- schen Religionsunterricht zu erteilen. Hier scheinen Parallelen erkennbar zu evangelikalen Segregationswünschen von einem allzu säkularem Umfeld.

(17)

liehe Status einen weitgehend neutralen Hintergrund habe und insofern den Mus- liminnen gemäßer sei.

b) Zum anderen wird in dem Bestreben, Korporationsrechte zu erlangen, die Ge- fahr der »fitne« gesehen, d. h. eine Spaltung der Umma damit zu betreiben. AYYUB A. KÖHLER, seit einigen Jahren im Vorstand des ZMD formulierte dies so:

»Schlimmstenfalls wird er [der deutsche Staat; A. d. V.] es mit einer nicht durch Konsens bzw. demokratische Willensbildung aber durch Körperschaftsrechte ver- festigten Funktionärskaste ... zu tun haben. ... Angesichts dieser Verhältnisse wird die Umma nun auch gespalten einmal in solche Gemeinschaften, deren körper- schaftsrechtliche Amtsträger eng mit dem Staat zusammenarbeiten, und zum ande- ren in jene Muslime, die aus guten Gründen dieser strukturellen Assimilation skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen.«2 0 Statt die Körperschaftsrechte anzu- streben, empfiehlt Köhler ähnlich wie Aries, den Prozess der Selbstorganisation in den bestehenden großen Dachverbänden weiter zu verfolgen (ebd.).

Trotz dieser durchaus von den vielen Musliminnen anerkannten kritischen Argu- mente gegen eine allzu starke Angleichung an kirchliche Organisationsstrukturen wird der Körperschaftsstatus von islamischen Vereinen angestrebt. »Die Verlei- hung von Körperschaftsrechten an islamische Religionsgemeinschaften wird ge- wiss nicht automatisch zur Folge haben, das die Ängste über den Islam in dieser Gesellschaft abnehmen, oder dass der Islam in dieser Gesellschaft mehr Respekt und Anerkennung erfährt. ... Trotzdem bringt die Verleihung von Körperschafts- rechten an islamische Gemeinschaften nicht unerhebliche neue Möglichkeiten. Da- durch

1. wird eine umfassende Gleichberechtigung islamischer Gemeinschaften mit den korporierten Religionsgemeinschaften im Sinne einer Statuspolitik geschaffen, 2. die islamischen Religionsgemeinschaften in die staatliche Religionsförderung

voll einbezogen und

3. schließlich werden Partizipations- und Gestaltungsrechte eine integrationspoli- tische Signalwirkung entfalten« (CAVDAR 1999, 7f).

Erst wenn eine islamische Religionsgemeinschaft die Körperschaftsrechte erhalten hätte, würden staatliche Stellen auch das Argument des fehlenden Ansprechpart- ners nicht mehr anführen können, so Cavdar. Darum bringe erst die Anerkennung

20) Abgerufen am 21.5. 2002 aus dem online Archiv von islam.de. Dieser Aufsatz wurde aber über mehrere Jahre hinweg von verschiedenen islamischen Zeitschriften abgedruckt (z. B.

HUDA - Die Rechtleitung 1/1999, Al-lslam 3/1999, Der Morgenstern 3/1997). Die Ar- gumentation hat eine gewisse Popularität in islamischen Gemeinden.

(18)

als Körperschaft dem Islam gleichberechtigte Anerkennung, auch in Bereichen, in denen die Körperschaftsrechte keine Voraussetzung zur Mitwirkung sind wie bei- spielsweise bei der Einrichtung islamischen Religionsunterrichts.

Der VIKZ, der IR, der IFB und die IRH haben die gleichberechtigte öffentliche Anerkennung des Islam als Ziel in ihre Satzungen aufgenommen. Lediglich der ZMD spricht sich derzeit gegen die Beantragung der Körperschaftsrechte aus (ELYAS 2000). Der Verband setzt allerdings trotzdem den Ausbau und die Stabili- sierung seiner inneren Struktur fort.

4. Resümee

Die Beispiele zeigen, dass die Begutachtungen, Urteile und Anträge in Bezug auf die rechtliche Anerkennung des Islam in Deutschland sowohl die Präzisierung der Formulierung der formalen Voraussetzungen voran getrieben, als auch zu einem stetigen, daran orientierten organisatorischen Ausbau der Gemeinden geführt haben. Der Blick auf die >produktiven<, assimilierenden Folgen des langen Prozes- ses fortwährender abgelehnter Anträge2 1 soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Prozess auch negative Folge hatte und Misstrauen und Unzufriedenheit in islamischen Vereinen ausgelöst hat, was auch zur Absonderung einzelner führte (vgl. auch KIPPENBERG 2000, 110). Gleichzeitig hat sich gezeigt, dass die Musli- minnen in dieser Zeit unabhängig von staatlicher Anerkennung den Weg der strukturellen Integration eingeschlagen haben. Hierbei sind jenseits der Dachver- bandszusammenschlüsse auch Prozesse der Binnendifferenzierungen in den Ver- bänden zu nennen: Einsetzung von Ämtern für Frauenbeauftragte, Kommissionen zur Religionsunterrichtsfrage, »Islamologische Institute«, an denen Musliminnen sich privat fortbilden lassen können, Einrichtung von Beratungsstellen u. v. m. Ins- gesamt haben sich die Moscheevereine hin zu Dienstleistungsgemeinschaften ge- wandelt, in ähnlicher Weise wie es die >Volkskirche< auch getan hat.

Betrachtet man den Islam in Deutschland als ein offenes Diskursfeld konkurrie- render Interpretationsmächte, so muss man davon ausgehen, dass sich die Richtung eines »deutschen Islam« erst in der konkreten Auseinandersetzung um Formen der Anerkennung des Islam in Deutschland herausbilden kann. Das bedeutet aber auch, dass solange in diesem Feld keine Annäherung stattfindet, sich die Identität von Musliminnen im Verhältnis zur deutschen Gesellschaft weiterhin als eine fremde definieren wird.

21) Hier bildet das Schachturteil des BVerfG vom 15. 1. 2002 (lBvR 1783/99) eine Aus- nahme.

(19)

In Bezug auf die zu Beginn angesprochenen Konfliktebenen kann man konstatie- ren, dass der konkrete Streit um die Anerkennung der Körperschaftsrechte für die Verbände vor allem als »Kampf um Anerkennung« im Sinne eines Kampfes um Gleichbehandlung von ebenbürtigen religiösen Traditionen verstanden wird. Nicht allein der einzelne Verband fühlt sich diskriminiert in der Zurückweisung, sondern das Empfinden einer generellen öffentlichen Ablehnung des Islam als Religion trägt sich durch. Darum trifft das Gefühl der Ablehnung auch nicht nur die konkre- ten Mitglieder solcher Verbände, sondern tendenziell alle (aber v. a. nicht-säkulare) Musliminnen.

Auf die Konfliktebenen, bei denen es zum einen um den Widerstreit zwischen der Neutralität des öffentlichen Raumes und islamischen Praktiken und zum ande- ren um die Abweichungen von Wertvorstellungen der islamischen Minderheit von denen der Mehrheitsbevölkerung geht, konnte in diesem Rahmen nicht mehr Bezug genommen werden. Zwar liegen diese Konfliktebenen ohnehin oft außerhalb rechtlicher Belange, dennoch können sie aber einen Einfluss auf die mehr oder weniger wohlwollende »Auslegung« von Rechtstexten haben und mehr oder weni- ger vertrauensbildend wirken.2 2 Insofern liegen in den mehr schwelenden als aus- getragenen Konfliktebenen meist die eigentlichen Hürden der Kommunikation be- gründet.

So hat sich auch im Dargestellten gezeigt, dass nicht alle abweichenden Eigen- arten des islamischen Weltverständnisses als Rechtsbrüche betrachtet werden kön- nen, auch wenn sie kaum Zustimmung in der Mehrheitsbevölkerung erhalten. Hier handelt es sich um Konflikte, die als »reasonable disagreements« stehen bleiben müssen. Dass solcher Art Konflikt sich auf der Ebene religiöser Differenzzuschrei- bungen ereignet, ist nicht verwunderlich, da besonders die Konflikte um die Aner- kennung religiöser Praktiken und Wertvorstellungen in vielen Fällen nicht verhan- delbar sind. Das heißt allerdings - religionswissenschaftlich betrachtet - nicht, dass die (selben) Praktiken und Werte nicht wandelbar seien und deren Unbedingtheit nicht sowohl historisch als auch semantisch oft auf strittigem Boden fußen würde:

religiöser Traditionsbildung, zumal in monotheistischen Religionen ist dieser Gel- tungsanspruch oftmals eigen, entspricht aber selten der historischen Genese. Reli- gion bzw. religiöse Sprache wird eben besonders an solchen Stellen zur Argumen- tation angeführt, die die Grenzen dessen markieren, was man noch als ethisch-mo- ralisch oder identitätspolitisch verhandelbar wissen möchte. Insofern können Kom- promisslösungen bzw. Annäherungen zwischen verschiedenen religiös begründeten (Wert-)Vorstellungen nicht dadurch gefunden werden, dass von Musliminnen er- wartet wird, Abschnitte ihres Offenbarungstextes zu streichen oder ihrer Ansicht

22) Insbesondere, wenn es um solche Erwägungen wie »Rechtsfrieden« und »Sicherheit«

geht.

(20)

nach wesentliche Elemente ihrer religiösen Praxis zu unterlassen23. Vielmehr kön- nen nur tatsächliche Entwicklungen in den Gemeinschaften berücksichtigt und positive Bekenntnisse zu den rechtlichen Grundlagen ernst genommen werden.

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2 3 ) So wurde zum Beispiel im baden-württembergischen Kopftuchstreit die deutsche Refe- rendarin Fereshda Ludin von der Kultusministerin Schavan aufgefordert, aus Gründen der Toleranz gegenüber Andersdenkenden ihr Kopftuch in der Schule abzusetzen (vgl. E M C K E 2 0 0 0 , 2 8 1 ) . Dies ist allerdings für eine praktizierende Muslimin, die die Bedeckung ihrer Haare als religiöses Gebot oder als religiöse Pflicht des Koran versteht, kaum akzeptabel.

Davon abgesehen, dass die Toleranz auch auf der anderen Seite gefordert werden könnte:

Schulkinder könnten lernen, Toleranz gegenüber einer Minderheit in Deutschland aufzu- bringen.

(21)

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