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zung der Lage einen Durchbruch in der Reparations- und Rüstungsfrage und da- mit eine neue außenpolitische Ausgangslage zu erlangen

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Dokumentation

G ü n t e r Wöllstein

Eine Denkschrift des Staatssekretärs Bernhard von Bülow vom März 1933

Wilhelminische Konzeption der Außenpolitik zu Beginn der national sozialistischen Herrschaft

Als 1961 die programmatischen Äußerungen von Außenminister Constantin Frei- herr v. Neurath zur deutschen Außenpolitik, die dieser am 7. April 1933 dem Kabinett vorgetragen hatte, publiziert wurden war deren Bedeutung nur schwer abzuschätzen. Obwohl ihr expansiver Charakter offenkundig war, konnte kein Zweifel daran bestehen, daß die Ausführungen des Außenministers mit dem wei- teren Verlauf der Außenpolitik des nationalsozialistischen Deutschland nidit

— und zwar weder vor noch nach Beginn des Zweiten Weltkrieges — voll in Einklang standen. Auch die Frage der Urheberschaft warf Probleme auf, obwohl der Schluß nahelag, daß Neurath Thesen vorgetragen hatte, die im Auswärtigen Amt entwickelt worden waren. Es war jedoch denkbar, daß auch Überlegungen Hitlers in die Aussagen des Außenministers nach entsprechenden Aussprachen eingefügt worden waren. Man konnte audi umgekehrt annehmen, daß Neurath nur deshalb überaus weitgestedete Ziele aufgezeigt hatte, um durch die Nennung eines Maximalprogramms etwaige weiterreichende Zielvorstellungen Hitlers als utopisch und dadurch als nicht realisierbar hinzustellen. Diese Haltung hätte den Sinn gehabt, die Handlungsfreiheit des Auswärtigen Amtes für das eigene Ressort gegenüber Hitler abzuschirmen.

Seit der auszugsweisen Veröffentlichung des Berichts von Staatssekretär Bernhard v. Bülow über »Die außenpolitische Lage Deutschlands (März 1933)« vom

13. März 1933 2 steht fest, daß Neurath am 7. April 1933 im Kabinett eine gekürzte Fassung dieses ausschließlich im Auswärtigen Amt erstellten außenpoli- tischen Konzepts vortrug. Mit den genannten Quellen ist folglich der Versuch von seiten der leitenden Beamten des Auswärtigen Amtes faßbar, ein selbständiges, sich von den Zielvorstellungen des neuen Reichskanzlers abhebendes Programm für die folgenden Jahre zu entwickeln 3.

1 Ausgewählte Dokumente zur Gesdiichte des Nationalsozialismus 1933—1945, hrsg. von H.-A.

Jacobsen und W. Jochmann. Bd 1. Bielefeld 1961.

s Mißtrauisdie Nachbarn. Deutsche Ostpolitik 1919/1970. Eine Dokumentation, hrsg. von H.-A. Jacobsen unter Mitwirkung von W. v. Bredow. Düsseldorf 1970, S. 85 ff.

1 Eine knappe, den Stand der Forschung spiegelnde Skizze von Hitlers Programm bei A. Hill- gruber: Deutschlands Rolle in der Vorgeschichte der beiden Weltkriege. ( = Die deutsdie Frage in der Welt. Bd 7.) Göttingen 1967, S. 67 fF.; ausführlichere Angaben vermitteln die Einleitung von G. L. Weinberg: The foreign Policy of Hitler's Germany. Diplomatic revo- lution in Europe, 1933—36. Chicago, London 1970, sowie die Einleitung meiner Dissertation:

Vom Weimarer Revisionismus zu Hitler. Das Deutsche Reich und die europäischen Groß- mächte in der Anfangsphase nationalsozialistischer Herrschaft in Deutschland. Bonn-Bad Go- desberg 1973 (zit. Wollstein). Eine erste Interpretation der Denkschrift Bülows befindet sich in der soeben ersdiienenen Untersuchung von P. Krüger/E. J. C. Hahn: Der Loyalitäts- konflikt des Staatssekretärs Bernhard Wilhelm von Bülow im Frühjahr 1933. In: VfZG 20 (1972) 376 ff. (zit. Krüger/Hahn). Die Verfasser haben ein im Juni 1933 konzipiertes, schließ- lich aber nicht eingereichtes Entlassungsgesuch Bülows aufgefunden und legen überzeugend dar, in welchem Konflikt sich der Staatssekretär zu diesem Zeitpunkt befand (Loyalitätsgefühl gegenüber der Regierung, Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem eigenen Land, Bemühun- M G M 1 / 7 3 gen, das Eigengewicht des Auswärtigen Amtes zu erhalten auf der einen Seite, Besorgnisse

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Gegenüber den vorangegangenen Reichsregierungen grenzten Neurath und Bülow sich deutlich ab. Der Versuch Brünings, mit Hilfe einer innenpolitischen Zuspit-

zung der Lage einen Durchbruch in der Reparations- und Rüstungsfrage und da- mit eine neue außenpolitische Ausgangslage zu erlangen

4

, galt weitgehend als erfolgreich abgeschlossen. Die kontinental-europäische Konzeption Papens, der eine Kooperation Deutschlands mit Polen und Frankreich anstrebte, sowie die Bemühungen Schleichers, die auf eine Stabilisierung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Frankreich sowie zur Sowjetunion hinausliefen, wurden bewußt als zu starre und damit als untaugliche Mittel zur Maditentfaltung angesehen

5

. Statt dessen waren Neurath und Bülow davon überzeugt, daß trotz des Anhal- tens der machtpolitischen Schwäche Deutschlands im Jahre 1933 ein neuer An- satzpunkt für die Außenpolitik gegeben war. Diese Überlegung hatte zunächst eine von der Bildung der Regierung Hitler unabhängige Grundlage: Die faktische Lösung des Reparationsproblems und die mit der Fünfmächteerklärung vom 11. Dezember 1932 erreichte günstige Ausgangslage in der Rüstungsfrage führten dazu, daß die Revision der beiden gravierendsten Folgen des Ersten Weltkrieges einer Lösung nahe waren und der Blick nun auf die weiteren Ziele der Außen- politik gerichtet werden konnte®. Somit sind die Thesen von Neurath und Bülow als ein Konzept der traditionellen politischen Führungsschicht Deutsch- lands an einem gleichermaßen subjektiv empfundenen wie objektiv gegebenen Wendepunkt der deutschen Geschichte zu werten. Die Vertreter des Auswärtigen Amtes konnten hierbei von der Erwartung ausgehen, daß durch die Bildung der Regierung Hitler, die den »nationalen« Zielen besonders verpflichtet zu sein vor- gab, und nach den vornehmlich als innenpolitische Stabilisierung empfundenen Reichstagswahlen vom 5. März 1933 auch die Voraussetzungen für die Einleitung eines machtpolitischen Ausgreifens gegeben waren

7

.

Es lag um so mehr Grund vor, an eine — in den vorangegangenen Jahren durch das starke außenpolitische Engagement der letzten Reichskanzler nicht mög-

über die weitere politische Entwicklung Deutsdilands bei »distanzierter« Haltung gegenüber der Weimarer Verfassung auf der anderen Seite). Der Nachweis, dafi das Rüdctrittsgesudi und — f ü r unseren Zusammenhang wichtig — die Denkschrift vom 13. 3. auf Grund der zu radikalen Außen- und Rüstungspolitik Hitlers Anfang 1933 konzipiert wurden, wird jedodi nicht gebracht. Die Ergebnisse meiner Diss, verdeutlichen, daß in dieser Phase Hitler in der Abrüstungsfrage geradezu bremsend auf das Auswärtige Amt und die Reichswehrführung ein- zuwirken suchte. Die Osterreichfrage, Schwerpunkt des damaligen außenpolitischen Engage- ments Hitlers, die infolge der implizierten internationalen Verwicklungen Anlaß zur Besorg- nis hätte bieten müssen, wird in dem Entlassungsgesuch Bülows gerade nicht erwähnt.

4 Zur Konzeption der Regierung Brüning s. vor allem W. Conze: Die Regierung Brüning. In:

Staat, Wirtschaft und Politik in der Weimarer Republik. Festschrift f ü r Heinrich Brüning.

Hrsg. von F. A. Hermens und Th. Schieder. Berlin 1967, S. 233 ff.; ferner H . Brüning:

Memoiren 1918—1934. Stuttgart 1970.

5 Darstellungen, welche die außenpolitischen Konzeptionen Papens und Schleidlers befriedigend kennzeichnen, fehlen. Zur Position Papens s. die Protokolle der deutsch-französischen Ver- handlungen in Lausanne im Sommer 1932 in Documents diplomatiques fran;ais 1932—1939.

I, I, Dok. 46; zur Position Schleichers s. die allerdings schwerpunktmäßig die Innenpolitik behandelnde knappe Biographie von Th. Vogelsang: Kurt von Schleicher. Ein General als Politiker. Göttingen 1965.

• Siehe S. 85.

7 D a ß im Auswärtigen Amt die These vertreten wurde, die Reichstagswahlen stellten eine wichtige Zäsur dar, ist der am 6. 2. 1933 ausgesprochenen These zu entnehmen, wonach bis zu den Wahlen keine aktive Außenpolitik einsetzen könne, s. Akten zur deutschen aus- wärtigen Politik 1918—1945. C, I, Dok. 10. Hinzuweisen ist audi auf den Versuch Neuraths vom 3. 3. 1933, das Scheitern der Genfer Abrüstungskonferenz durdi unerfüllbare deutsche Forderungen f ü r den Zeitraum unmittelbar nach den Wahlen einzuleiten, ein Versuch, der durdi die Einbringung des MacDonald-Plans vereitelt wurde (s. Neuraths Aufsatz über Deutsdilands bedrohte Sicherheit in »Volk und Reich« vom 3. 3. 1933).

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liehe — Außenpolitik in der Regie des Auswärtigen Amtes zu glauben, als Hitler bei der Regierungsbildung eine — wenn audi nicht exakt fixierte — Verein- barung mit Hindenburg eingegangen war, nach der die Führung der auswärtigen Angelegenheiten bei Neurath liegen sollte. Zudem sorgte Hitler zunächst dafür, daß der Anschein erhalten blieb, wonach nicht er der bestimmende Faktor in der Außenpolitik sei

8

. Dennoch stellte diese Einschätzung des künftigen Verhält- nisses Hitlers zu den leitenden Beamten des Auswärtigen Amtes den eigentlichen Fehler in den Vorstellungen Neuraths und Bülows über ein eigenständiges politi- sches Konzept dar. Dadurch, daß es Hitler innerhalb kürzester Zeit gelang, alle wichtigen innenpolitischen Machtfaktoren, abgesehen von der Wirtschaft und der Reichswehr — die jedoch beide zu engster Kooperation gewonnen werden konn- ten —, auszuschalten, war der Versuch einer selbständigen Außenpolitik von Anfang an zum Scheitern verurteilt

9

. Hieran änderten auch die Bemühungen Neuraths und Bülows nichts, die außenpolitischen Zielvorstellungen mit der Reichswehrführung und insbesondere mit Reichswehrminister Werner v. Blom- berg abzusprechen

10

.

Eine inhaltliche Skizzierung der Denkschrift Bülows ermöglicht eine genauere Einordnung der zugrundeliegenden Vorstellungen in die erste Phase national- sozialistischer Herrschaft in Deutschland sowie in einen größeren Bezugsrahmen innerhalb der deutschen Geschichte: Der Staatssekretär legte einen Stufenplan vor. In einem ersten Abschnitt sollte die bestehende machtpolitisdie Situation durch ein allgemeines militärisches, finanzielles und wirtschaftliches Erstarken Deutschlands grundlegend verändert werden. In einer zweiten Phase waren die territorialen Revisionen zu vollziehen. Und schließlich wurde auf weitere poli- tische Ziele hingedeutet.

Bülows Vorstellungen von dem in dem ersten Abschnitt einzuschlagenden Kurs waren wenig detailliert, zeichneten sich vielmehr durch ihre betont pragmatische Konzeption aus. Es gelte vor allem die Chance, welche eine im Vergleich zu den übrigen Mächten rasche Behebung der bestehenden wirtschaftlichen Schwierig- keiten biete, voll zu nutzen

u

. Insbesondere sollte die Mittellage Deutschlands, das Interesse der Gläubigerstaaten an einer funktionierenden deutschen Wirt- schaft sowie ein geschickter, jeweils punktuell zu steuernder Einsatz des deut- schen Wirtschaftspotentials auf dem Außenhandelssektor zur raschen, vor Ein- setzen der Weltwirtschaftskrise kaum denkbar gewesenen Gewinnung einer be- deutsamen Position Deutschlands genutzt werden. Gleichzeitig war vor allem durch eine entsprechende Propaganda die darauffolgende Phase territorialer Re- visionen vorzubereiten.

Die Aussagen des Staatssekretärs zu dem sich anschließenden Zeitabschnitt waren ungleich genauer, und Bülow ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß die nun genannten territorialen Revisionspunkte den Kern seines Programms ausmachten.

Zentrale Bedeutung kam hier der »Umgestaltung der Ostgrenze [zu], wobei die

8 S. hierzu vor allem Neuraths Äußerungen gegenüber englischen Diplomaten in Documents on British foreign policy 1919—1939. 2, IV, Dok. 235 und 246.

* Dieses Scheitern wird ausführlich in der genannten Dissertation des Verfassers diskutiert.

10 S. hierzu das ebenfalls abgedruckte Anschreiben Bülows an Neurath zu der Denkschrift, dem zu entnehmen ist, daß der Reichswehrminister eine Durchschrift der Denksdirift erhalten und Bülow bereits mitgeteilt hatte, daß er mit den Vorstellungen des Staatssekretärs übereinstimme.

Zu diesem Vorgang s. Anm. 20.

11 In der Denksdirift Bülows ist durchgängig eine starke Betonung der wirtschaftspolitischen Momente in der Außenpolitik zu beobachten. Hieraus ergibt sidi jedodi keine prinzipielle Vorrangigkeit der wirtsdiaftspolitischen Komponente in Bülows Denken, vielmehr ist dies als situationsbedingt auf Grund der Weltwirtschaftskrise zu deuten.

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Wiedergewinnung sämtlicher in Frage kommenden polnischen Gebiete gleichzeitig anzustreben und Teil- oder Zwischenlösungen abzulehnen sind (Nur noch eine Teilung Polens)« Die anzustrebende »Ostlösung« habe gleichzeitig Danzig, das Memelland und das Hultschiner Ländchen zu umfassen. Neben den Ostpro- blemen müßten die Fragen einer Revision der schleswigschen Grenze, einer Rüdi- gewinnung Eupen-Malmedys und zu einem späteren Zeitpunkt audi Elsaß- Lothringens, des Rückerwerbs der früheren deutschen Kolonien sowie des Erwerbs

»eventueller neuer« Kolonien

1 3

und schließlich des »Anschlusses« Österreichs gelöst werden. Um dieses weitgesteckte Ziel zu erreichen, müsse eine Blockbildung der Mächte verhindert und ein elastisches Vorgehen jeweils in Teilbereichen der Außenpolitik angewandt werden. Herauszuheben sind die Aussagen, weldie die bedeutsamsten Ergänzungen zu dem bislang bekannten territorialen Programm Neuraths vom 7. April 1933 darstellen: Es war durchaus nicht an einen end- gültigen Verzicht auf Elsaß-Lothringen gedacht, und das Interesse galt audi dem Erwerb weiterer Kolonien

14

.

Dieser letztgenannte Aspekt sowie der Hinweis auf Österreich sprengten bereits den revisionistischen Rahmen und wiesen auf die nächste Phase deutscher Politik hin. Hierzu wurde lediglich angemerkt, daß insgesamt ein »Erstarken Deutsch- lands nadi allen Richtungen zu fördern« sei

l ä

. Was konkret darunter zu ver- stehen war, geht aus seiner Auffassung hervor, daß dem Auslandsdeutsditum eine besondere Rolle zufalle, und war der Aufzählung der imperialistisch-expan- siven Antriebskräfte der deutschen Politik zu entnehmen: Es gelte, die zu be- obachtenden politischen und wirtschaftlichen Umgestaltungen, vor allem in Eu- ropa, zu beachten, die geographischen und wirtschaftlidien Gegebenheiten Deutschlands — Bülow sprach hier von Überbevölkerung und schmaler Roh- stoffbasis — zu berücksichtigen, neue Absatzgebiete zu erschließen und eine In- dustrialisierung von Agrarländern zu verhindern

16

.

Die Möglichkeiten und Grenzen einer Kooperation der leitenden Beamten des Auswärtigen Amtes mit Hitler werden bei einem Vergleich dieses hier nur k n a p p skizzierten Programms mit den Zielvorstellungen des Reichskanzlers deutlidi.

Insbesondere die Parallelität der Stufenfolge, bei der jede Phase der unmittel- baren Einleitung des nächsten Programmabschnittes diente und bei der der zweiten Phase jeweils zentrale Bedeutung zukam, sprach f ü r eine Zusammen- arbeit. Zudem lag beiden Konzeptionen für die Zeit des machtpolitisdien Erstarkens ein überraschend ähnlicher Gedankengang zugrunde. Zu denken ist etwa an den pragmatischen, jede starre Bündniskonstellation ablehnenden Ansatz sowie an die Planung einer permanenten propagandistischen Vorbereitung der Realisierung expansiver territorialer Ziele. Erst f ü r die Phase der unmittelbaren Expansionspolitik waren gravierende Differenzen zwischen Hitler und den leiten- den Beamten des Auswärtigen Amtes denkbar, da Hitlers auf eine rassen-

15 Siehe S. 86.

" Siehe S. 86.

" Inhaltliche Divergenzen an dieser Stelle zwischen Neurath und Bülow sind auszuschließen;

das Protokoll v. 7. 4. 1933 gibt die Äußerungen Neuraths in gekürzter Form wieder und diese Aussagen sind bereits eine Zusammenfassung der Denkschrift Bülows.

15 Obwohl die Ausführungen Bülows keine exakten Schlüsse über die Schwerpunktbildung in der politischen Zielsetzung nach Abschluß der zweiten Phase zulassen, ist den umfangreichen Äußerungen über »Deutschlands Beziehungen zu anderen Ländern« (s. S. 87 ff.) zu entnehmen, daß sich das Interesse vornehmlich auf Südosteuropa, den Mittelmeerraum und — unter In- kaufnahme einer erneuten Frontstellung gegenüber England (!) — den kolonialen Bereich konzentrieren sollte.

19 Siehe S. 87.

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ideologisch motivierte Weltherrschaft abzielendes Programm den revisionistischen Rahmen sprengte. Vor allem die Ostpläne des Reichskanzlers, die auf eine Kolonisation Rußlands hinausliefen, waren mit Neuraths und Bülows Konzep- tion nicht vereinbar, obwohl auch sie — wie dargelegt — die Zerschlagung Polens letztlich nicht als Endziel der deutschen Ostpolitik einstuften.

Die Einordnung des Programms von Neurath und Bülow in einen größeren historischen Bezugsrahmen zeigt, in welchem Maße die beiden Persönlichkeiten durch das Zeitalter des Wilhelminismus geprägt waren. Im Grunde sollte genau die machtpolitisdie Situation, welche durdi den Ersten Weltkrieg verloren gegan- gen war — allerdings unter Anpassung an die Tatsache, daß die österreichische Doppelmonarchie untergegangen war — zurückerobert werden und die Möglidi- keit bieten, wieder eine Weltmachtpolitik, deren Inhalte später genauer aus- zuformulieren waren, zu betreiben. Durch diese Feststellung soll nicht behauptet werden, daß die traditionelle deutsche Fiihrungssdiicht, der Neurath und Bülow zugerechnet werden müssen, durchgängig und ohne Modifikationen während der Zeit der Weimarer Republik voll dem Wilhelminismus verhaftet blieb und dieser Einstellung 1933 erneut Ausdruck verlieh. In diesem Zusammenhang ist auf die Politik Stresemanns zu verweisen, dessen ebenfalls weitgesteckte revisionistische Zielsetzung noch klar die Notwendigkeit einer kompromißbereiten Haltung und einer Koordination der deutschen Interessen mit denen anderer Staaten umfaßte

17

. Für den Verlauf der deutschen Geschichte war es jedoch bedeutsam, daß dieser gemäßigtere Ansatz politischer Ziel Vorstellungen 1933 auch ohne das Eingreifen Hitlers wieder verschüttet war

. In der Denkschrift Bülows vom 13. März 1933 hatte vielmehr ein Rückgriff auf den Wilhelminismus statt- gefunden, der durch die Ausweitung der politischen Fernziele, durch die Betonung der militärpolitischen Vorstellungen und die damit verbundenen innenpolitischen Implikationen einen geeigneteren Anknüpfungspunkt f ü r die nationalsoziali- stischen Intentionen darstellte als die Konzeption Stresemanns. Die weitgesteckten Zielvorstellungen der Denkschrift waren jedoch schon bei ihrer Ausformulierung durch die nationalsozialistische Umgestaltung des politischen Lebens in Deutsch- land nicht mehr »aktuell«.

" Zur langfristigen Konzeption Stresemanns s. dessen Rede v. 14. 12. 1925 vor der Arbeits- gemeinschaft deutscher Landsmannschaften in Großberlin in Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918—1945. Β, I, S. 727 ff.; seinen Brief an den ehemaligen deutschen Kronprinzen v. 7. 9. 1925 in G. Stresemann: Vermächtnis. Bd 2. Berlin 1932, S. 553 ff.; ferner die Disser- tation von M.-O. Maxeion: Stresemann und Frankreich. Deutschlands Politik der Ost-West- Balance. Düsseldorf 1972 (— Geschichtliche Studien zu Politik und Gesellschaft. Bd 5.)

18 Zur Außenpolitik Hitlers und zur Frage der Kontinuität in der deutschen Außenpolitik s. K. Hildebrand: Deutsche Außenpolitik 1933—1945. Kalkül oder Dogma? Stuttgart 1971.

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Denkschrift des Staatssekretärs Bernhard v. Bülow für Außenminister Constantin Frhr. v. Neurath vom 13. März 1933

Deutsches Zentralarchiv Potsdam, 60 966;

Auswärtiges Amt, Büro RAM, Handakten Neurath le.

In der Anlage beehre ich mich eine Aufzeichnung über die aussenpolitische Lage Deutsch- lands vorzulegen, die für eine grundlegende Aussprache mit dem Herrn Reichskanzler und eventuell auch mit dem Reichskabinett dienen könnte. Falls die Aufzeichnung in dieser oder abgeänderter Fassung Ihre Billigung erhält, könnten wir sie audi für die Unterrichtung der Missionschefs vervielfältigen lassen 2 0.

Idi habe dem Herrn Reichswehrminister einen Abdruck übermittelt, der ihn mir mit der Bemerkung zurücksandte, daß er völlig einverstanden damit sei, insbesondere mit der Schilderung der militärischen Lage.

Bülow

Die aussenpolitische Lage Deutschlands (März 1933) 21

I. Allgemeines

Die Ziele der deutschen Aussenpolitik werden in erster Linie durch den Versailler Vertrag bestimmt. Seine Revision, die vitalste Aufgabe Deutschlands, beansprucht den grössten Teil der verfügbaren Energien. Die weitere Aufgabe, audi auf anderen Gebieten aus den fortschreitenden Veränderungen in Europa und in der Welt überhaupt Vorteile für Deutschland herauszuschlagen, muß neben der Revision von Versailles an die zweite Stelle treten.

Ebenso wie die Ziele unserer Aussenpolitik sind aber auch die Möglichkeiten ihrer Ver- wirklichung in hohem Masse durch den Versailler Vertrag, d. h. durch seine Rück- wirkungen auf den allgemeinen Kräftezustand Deutschlands bedingt. Die Schwächung, die Deutschland durch den Versailler Vertrag erfahren hat, ist viel weitgehender und nachhaltiger, als es das deutsche Volk im allgemeinen erkannt hat. Unsere militärische SAwäche ist angesichts der steigenden Bedeutung der technischen Rüstungen (im Ver- gleich zur Volkskraft) derart, dass wir keine Aussicht haben, in irgendwie absehbarer Zeit auf dem Wege eines Rüstungswettlaufs die Parität mit Frankreich wiederherzu- stellen. Bei unseren begrenzten Geldquellen und den technischen Schwierigkeiten eines Ausbaues der Wehrmacht werden wir etwa 5 Jahre brauchen, um auch nur gegenüber Polen das militärische Gleichgewicht herzustellen 22. Dazu kommt die Notwendigkeit,

l a Jetzt audi greifbar in der Sammlung Jacobsen, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn.

- Die Vervielfältigungen wurden auf Weisung Bülows v. 29. 3. 1933 mit der Auflage verteilt,

sie vor Ablauf des Jahres zu vernichten, s. Krüger/Hahn, S. 394.

Die im folgenden Absatz deutlich werdende enge Kooperation zwischen den leitenden Beamten des Auswärtigen Amtes und der Reichswehrführung stellt für diesen Zeitraum keinen Sonderfall dar. Nach dem Sturz Schleichers spielte die Reichswehrführung (nunmehr unter Blomberg und Reichenau) wiederum eine mitentscheidende Rolle in der deutschen Gesamtpolitik (zum »Bündnis Reichswehr-Hitler« s. W. Sauer: Die Mobilmachung der Gewalt. In: K. D. Bracher, W. Sauer, G. Schulz: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34. ( = Schriften des Instituts f ü r politische Wissen- schaft. Bd 14.) Köln 1960, S. 708 ff.). Sie stand 1933 durch die als vorrangig eingestufte und außenpolitisch abzusichernde Aufrüstungsfrage stets in engem Kontakt mit dem Auswärtigen Amt.

31 Vermerk im Kopf der Denkschrift: Ganz geheim! Marginalie, die von Bülow am 8. 4. ab- gezeichnet wurde, in der Handschrift von (wahrscheinlich) Gesandtschaftsrat Dr. Völckers:

»Von dem Herrn RM im Kabinett am 7. 4. vorgetragen, Völckers (?) 8. 4.«

22 Diese Einschätzung der militärischen Möglichkeiten Deutschlands hatte 1933 allgemein Gültig- keit, vgl. die Ergebnisse der Untersuchung von G. Meinck: Hitler und die deutsche Auf- rüstung 1933—1937. ( = Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte. Bd 19.) Wiesbaden 1959, besonders S. 19 u. 50 f.

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die deutsche U m r ü s t u n g verhältnismässig langsam u n d möglichst geräuschlos durch- z u f ü h r e n , um Interventionen, P r ä v e n t i v a k t i o n e n und aussenpolitische Erschütterungen zu vermeiden. Dies gilt f ü r Reichswchr, M a r i n e 2 4 und Polizei, sowie ganz besonders f ü r die L u f t w a f f e 25, der das Ausland ausserordentliche Bedeutung beimisst2".

G e g e n w ä r t i g b e r u h t unsere Sicherheit gegenüber Frankreich in erster Linie auf dem L o c a r n o - V e r t r a g m i t seiner englisch-italienischen G a r a n t i e , gegenüber Polen auf unserem Verhältnis zu Russland, gegenüber allen a n d e r e n Staaten fast n u r auf den allgemeinen vertraglichen Abmachungen ( V ö l k e r b u n d , K e l l o g g - P a k t usw.) u n d dem vorwiegend auf wirtschaftlichen Rücksichten beruhenden Friedensbedürfnis fast aller L ä n d e r . M i t Rück- sicht auf unser Interesse an dem L o c a r n o - V e r t r a g gegenüber Frankreich haben w i r einst- weilen die Revision der Entmilitarisierungsbestimmungen f ü r das R h e i n l a n d zurück- gestellt.

Besonders gefährlich ist z u r Zeit die Lage im deutschen Osten. Aussicht auf erfolgreiche A b w e h r eines polnischen A n g r i f f s bestände nur im Falle russischer U n t e r s t ü t z u n g , z u m mindesten in Gestalt eines russisdien Aufmarsches an der polnischen Ostgrenze. O b w i r im E r n s t f a l l mit einer solchen U n t e r s t ü t z u n g rechnen k ö n n t e n , ist im gegenwärtigen Z e i t p u n k t ungewiss 2 7.

Unsere finanzielle Lage ist noch auf lange Zeit äusserst p r e k ä r . D i e M a r k w ü r d e noch sehr viel weniger als das P f u n d oder der D o l l a r einem französischen Angriff s t a n d - h a l t e n können. Unsere Kapitalreserven u n d Investitionen im A u s l a n d liegen noch weit u n t e r dem N o r m a l e n . Unser K r e d i t ist noch nicht wiederhergestellt u n d h a t n u r bei günstiger H a n d e l s b i l a n z u n d peinlichster E i n h a l t u n g unserer ö f f e n t l i c h e n u n d p r i v a t e n Verpflichtungen Aussicht auf baldige E r h o l u n g . Deutschland bietet auf diesem Gebiete zahlreiche u n d sehr empfindliche A n g r i f f s f l ä c h e n 2 8.

Unsere handelspolitische Lage ist leider auf das engste mit unserer finanziellen Lage v e r k n ü p f t . D a r ü b e r hinaus besteht die N o t w e n d i g k e i t der E i n f u h r (und Bezahlung) grosser Mengen unentbehrlicher R o h s t o f f e . I m Verlauf der Krise versuchen f a s t alle Staaten, die E i n - u n d A u s f u h r z u m Ausgleich zu bringen. D i e Entwicklung in Richtung auf A u t a r k i e — dies gilt von allen Staaten, nicht n u r von Deutschland — h a t eine f o r t - schreitende S c h r u m p f u n g des Aussenhandelsvolumens z u r Folge. H a n d in H a n d geht d a m i t im Falle Deutschlands eine starke Schwächung der politischen Einflussmöglichkei- ten (ζ. B. den Südoststaaten, Litauen usw. gegenüber), die sidi in n o r m a l e n Zeiten aus

19 Zu den Umbauplänen der Reichswehr s. die genannte Studie von G. Meindc sowie die detailliertere Darstellung von M. Geyer: Die Landesverteidigung. Wehrstruktur am Ende der Weimarer Republik. Unveröffentlichtes Manuskript Historisches Seminar Freiburg (Vor- studie einer größeren Arbeit).

24 Zur Marine s. J. Dülffer: Weimar, Hitler und die Marine. Reichspolitik und Flottenbau 1920—1936. Düsseldorf 1972 sowie die Dokumentation von M. Salewski: Marineleitung und politische Führung 1931—1935. In: MGM 10 (1971) 113 ff.

" Zur Luftwaffe s. Κ. H . Völker: Die Entwicklung der militärischen Luftfahrt in Deutschland 1920—1933. Planungen und Maßnahmen zur Schaffung einer Fliegertruppe in der Reichs- wehr. ( = Beiträge zur Militär- und Kriegsgeschichte. Bd 3.) Stuttgart 1962, S. 123 ff. sowie ders.: Die deutsche Luftwaffe 1933—1939. Aufbau, Führung und Rüstung der Luftwaffe sowie die Entwicklung der deutschen Luftkriegstheorie. Stuttgart 1967 ( = Beiträge zur Mili- tär- und Kriegsgeschichte. Bd 8.)

" In welchem Maße vor allem England im Hinblick auf eine mögliche deutsche Luftwaffe be- sorgt war, geht aus dessen — in der Folgezeit zu beobachtender — empfindlicher Reaktion auf die von Göring nach seiner Ernennung zum Luftfahrtminister regelmäßig vorgetragenen Forderung nach einer deutschen Luftwaffe hervor, s. Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918—1945. C, I, 2, Dok. 380; Documents on British foreign policy 1919—1939.

2, V, Dok. 223, 231, 284 u. a.

97 Zu erinnern ist, daß sich gerade zu diesem Zeitpunkt das Ende der Zusammenarbeit von Reichswehr und Roter Armee anbahnte, vgl. G. H . Stein: Russo-German Military Collabo- ration. The last phase 1933. In: Political Science Quarterly. 77 (1962/63) 54 ff.

28 Neben der Möglichkeit von finanziellen Pressionen durch einzelne Großmächte ist hier be- sonders an die Schwierigkeiten zu denken, die sich für Deutschland auf Grund seiner Ver- schuldung ergaben. Zum Abschluß des Deutschen Kreditabkommens 1933 s. Akten zur deut- schen auswärtigen Politik 1918—1945. C, I, 1, Dok. 30.

(8)

der Aufnahmefähigkeit des deutschen Marktes ergeben würden. Schliesslich erschwert die gegenwärtige handelspolitische Entwicklung es Deutschland, bei den Versuchen der Wie- derankurbelung der Weltwirtschaft (Weltwirtschaftskonferenz s. u.) führend mitzuwir- ken. Die bestehende Abhängigkeit vom Ausland wird sich zudem nur unwesentlich ver- mindern und niemals beseitigen lassen

2e

.

Der Ernst der uns ständig drohenden Gefahren, die namentlich im Sinne eines Präven- tivkrieges gegen Deutschland immer wieder auftaudien, darf niemals unterschätzt wer- den. Die W.T.B.-Erklärung des Reichskanzlers Brüning vom 9. Januar 1932, Deutsch- land werde keine Reparationen mehr zahlen, hat genügt, um Frankreich zu einer Teil- mobilmadiung gegen Deutschland zu veranlassen

30

. Frankreich hat seinerzeit einen von Polen zu entfachenden Präventivkrieg erwogen, und die Enthüllungen über einen für den 1. Mai 1932 geplanten polnischen Handstreich auf Danzig gehen auf diese Vor- gänge zurück

31

. Ähnliche Situationen können sich bei Beanspruchung der deutschen Wehrhoheit und vielen ähnlichen Anlässen jederzeit wiederholen. Auf Jahre hinaus sind wir derartigen Gefahren nicht gewachsen.

Dieser passiven Bilanz stehen nur geringe Aktiva gegenüber. Diese bestehen im wesent- lichen in unserer geographischen Lage im Herzen Europas, in der Konsumtionskraft einer 60 Millionen-Bevölkerung von hohem Lebensstandard (ein Moment, das allerdings durch die jüngste handelspolitische Entwicklung wesentlich herabgemindert wird); in unserer Verschuldung, die unsere Gläubiger an unserem Wohlergehen interessiert, und nicht zuletzt in der wachsenden Erkenntnis der übrigen Welt, daß uns in Versailles schweres Unrecht zugefügt wurde, für das uns Wiedergutmachung zusteht. Nicht zu übersehen ist schliesslich das Vertrauen in Deutschlands Kraft und Tüchtigkeit, von der das Ausland Wesentliches für die Uberwindung der Weltkrise erhofft.

II. Die Durchführung der Revision von Versailles.

Zur Revision von Versailles ist in den vergangenen Jahren der Angriff auf einen Punkt nach dem anderen gerichtet worden (französische Artischockentheorie). Man wird in der Tat nicht in Abrede stellen können, dass die gleichzeitige Verfolgung mehrerer Ziele oder gar der Versuch einer Gesamtrevision die Gefahr eines totalen Mißerfolges mit sich ge- bracht haben würde (Beispiele: die Nichterreichung der sofortigen Rheinlandräumung in Locarno, der Saarbefreiung im Haag). Auch in Zukunft werden wir, jedenfalls bis auf weiteres, die Methode der Einzelrevision befolgen müssen, wenn nicht unverhoffte Kon- stellationen einen anderen Weg ermöglichen sollten. Zu berücksichtigen ist dabei die Tat- sache, dass der Plan einer Gesamtrevision die Gefahr eines Kompromisses mit weniger günstigem Endergebnis erhöhen würde. Um die Revision mit dem bestmöglichen Ergebnis

29 Zu den binnenwirtschaftlichen Problemen dieser Phase s. D. Petzina: Hauptprobleme der deutschen Wirtschaftspolitik 1932/33. In: V f Z G 15 (1967) 18 ff. Eine detaillierte Darstellung der Außenhandelspolitik, die an die Dissertation von W. J. Heibich: Die Reparationen in der Ära Brüning. Zur Bedeutung des Young-Plans f ü r die deutsche Politik 1930 bis 1932. Berlin 1962 ( = Studien zur europäisdien Geschichte aus dem Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Bd 5.) anschließt, fehlt bislang. Einen ersten Überblick bietet W. Fischer:

Deutsche Wirtschaftspolitik 1918—1945. Opladen >1968.

90 Die Äußerung Brünings ist im Zusammenhang mit dem Absdiluß der Verhandlungen über den Beginn der Lausanner Konferenz (endgültig am 16. 6. 1932) und damit als Etappe der Vor- bereitung dieser Konferenz durch Deutschland zu sehen. Von einer französischen Teilmobil- machung, die zeitlich mit einer durch Briands Rücktrittsgesuch und die Demission des Kabinetts

Laval ausgelösten innenpolitischen Krise Frankreichs zusammengefallen wäre, ist bislang — obwohl Kriegsgerüchte laut wurden — nichts bekannt, s. Sdiulthess' Europäischer Gesdiidits- kalender. Hrsg. von U. Thürauf. 1932. Berlin 1933, S. 5 ff., 276 ff. (zit. Schulthess).

" Über die Problematik der deutsch-polnischen Spannungen in den Monaten April bis Juni 1932 s. jetzt H . v. Riekhoff: German-Polish Relations 1918—1933. Baltimore, London 1971, S. 357 ff. Die von Bülow genannten Handstreich-Pläne spielten eine durchaus untergeordnete Rolle, gewannen jedoch im Zusammenhang mit der insgesamt einsetzenden polnischen Re- pressionspolitik, mit der Deutschland zu bilateralen Ausgleidisverhandlungen gezwungen werden sollte, Bedeutung. Diese Repressionspolitik wiederum hatte nicht unwesentliche Aus- wirkungen auf die deutsche Innenpolitik (Umbau des Grenzschutzes, SA- und SS-Verbot, Sturz Brünings).

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und mit den geringstmöglichen Opfern durchzuführen, werden wir für den einzelnen Revisionsakt jeweils den <z«ssenpolitisch günstigsten Zeitpunkt zu wählen haben.

Die Revision ist bereits durchgeführt in Bezug auf die Rheinlandbesetzung (Teil X I V V.V.).

Die Liquidierung der Reparationen (Teil VIII V.V.) steht nahe vor dem Abschluss.

Angesichts der Auseinandersetzungen über die interalliierten Schulden verbietet sidi jede deutsdie Aktivität in dieser Frage zur Zeit von selbst. Ebenso muß die Regelung der Verpflichtungen gegenüber Amerika (Mixed claims, Besatzungskosten) bis nach der alliierten Sdiuldenregelung hinausgeschoben werden S2.

Die Revision der Abrüstungsbestimmungen (Teil V V.V.) ist eingeleitet. Angesichts der unter I geschilderten Gesamtlage Deutschlands, sowie aus naheliegenden taktischen Grün- den müssen wir es auf der Abrüstungskonferenz nach außen hin als unser Ziel hinstellen, den Ausgleich des Rüstungsstandes mit unseren Nachbarn in erster Linie im Wege der Abrüstung der anderen (ziffernmäßige Beschränkung, Waffenverbote) anzustreben. Das Ergebnis (falls erreichbar) würde in der Tat angesichts des gewaltigen Vorsprungs der anderen Mächte wirksamer sein, als der Versuch eines Rüstungswettlaufs. Im übrigen braucht hier auf die Abrüstungsfrage nicht näher eingegangen zu werden, da die von uns verfolgten Ziele dem Kabinett bekannt sind 8S.

Die Kriegsschuldfrage und die Frage der Kriegsbeschuldigten (soweit sie nicht durch den faktischen Verzicht der Siegermächte auf die Durchführung der Auslieferung seit langem erledigt ist) sind anhängig und müssen energisch weitergetrieben werden. Abschlußreif werden diese Fragen vielleicht schon mit Ratifikation (oder Neuregelung) des Lausanner Abkommens S4.

Nicht zu den eigentlichen Revisionsproblemen gehört die Saar, weil wir deren Rück- gewinnung audi über dem Wege der Vertragsbestimmungen erwarten können. Eine wesentlich frühere Regelung als die für 1935 vorgesehene erscheint angesichts der poli- tischen und wirtschaftlichen Lage nicht angezeigt, weil sie, wie die deutsch-französischen Verhandlungen 1929/30 gezeigt haben, unverhältnismäßige Opfer erfordern w ü r d es e. Die Frage der territorialen Grenzrevision wird in konkreter offizieller Form zweck- mäßig nicht angeschnitten, solange Deutschland nicht militärisch, finanziell und wirt- schaftlich genügend gefestigt ist und insbesondere die Abrüstungsfrage ihre Erledigung gefunden hat. Bis dahin wird — wie bisher — die territoriale Neuregelung durch Pro- paganda im Auslande (auf der Basis der Wilson-Punkte, des Betrugs von Versailles) vor- zubereiten sein. Das Festhalten an den Wilson-Punkten ist dabei wesentlich, weil die Gegenpropaganda recht erfolgreich mit der angeblichen Uferlosigkeit unserer Forderun- gen operiert. Außerdem müssen die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Positio- nen des Deutschtums in den abgetretenen Gebieten gehalten werden, audi wenn hierzu große finanzielle Opfer notwendig werden sollten. Auch bei einer solchen abwartenden Haltung müssen wir aber selbstverständlich stets darauf vorbereitet sein, daß die terri-

" Zu den wirtschaftlichen Verpflichtungen Deutschlands gegenüber den USA in dieser Phase s.

H.-J. Schröder: Deutschland und die Vereinigten Staaten 1933—1939. Wirtschaft und Politik in der Entwicklung des deutsch-amerikanischen Gegensatzes. Wiesbaden 1970 ( = Veröffent- lichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abt. Universalgeschichte. Bd 59.) — zit. Schröder.

99 Die einzelnen politischen Schritte der Regierung Hitler auf der Abrüstungskonferenz wurden abgesehen von zwei Ausnahmen — im Zusammenhang mit Hitlers Reidistagsrede v. 17. 5.

1933 und beim Verlassen des Völkerbundes — nicht im Kabinett besprochen oder diesem mitgeteilt. Die vorrangige Bedeutung der Aufrüstung kam im Kabinett jedoch frühzeitig zur Sprache und war unumstritten, s. Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918—1945.

C, I, 1, Dok. 16.

'4 In beiden Fragen kam es — wie auch bei den weiteren in der Bülow-Denksdirift erwähnten Revisionspunkten — nicht zu einer Lösung auf Grund internationaler Übereinkunft.

35 Die genannten Saar-Verhandlungen scheiterten, da Deutschland der von Frankreidi ge- forderten Beteiligung am Saarbergbau in Höhe von Vi der Aktien nicht zustimmte, s. Das Deutsche Reich von 1918 bis heute. Hrsg. von C. Horkenbadi. Berlin 1930, S. 313.

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torialen Fragen, vor allem das O s t p r o b l e m eines Tages durch die Entwicklung der Dinge, wie ζ. B. durch ernste K o m p l i k a t i o n e n zwischen D a n z i g u n d Polen v o n selbst zur E n t - scheidung gestellt w e r d e n .

D a s H a u p t z i e l der territorialen Revision bleibt die Umgestaltung der Ostgrenze, wobei die Wiedergewinnung sämtlicher in Frage k o m m e n d e n polnischen Gebiete gleichzeitig anzustreben u n d Teil- oder Zwischenlösungen abzulehnen sind. ( N u r noch eine Teilung Polens.) Wissenschaftliche V o r a r b e i t e n in bezug auf ethnographische, geologische, ver- kehrspolitisdie u.s.w. G r e n z z i e h u n g sind weit gediehen 3 β. Dagegen ist die Frage, wie der agrarische Uberschuß dieser Gebiete k ü n f t i g einmal v o n uns absorbiert w e r d e n soll, noch u n g e k l ä r t .

Danzig stellt f ü r uns n u r einen Teil des K o r r i d o r p r o b l e m s d a r . Jede Sonderlösung f ü r D a n z i g allein ist abzulehnen, weil sie das Gesamtziel k o m p r o m i t t i e r e n w ü r d e .

D i e Afeme/frage u n d die Frage des Hultschiner Ländchens d ü r f e n v o r N e u r e g e l u n g der polnischen G r e n z e nicht a u f g e w o r f e n w e r d e n , um Litauen, die Tscheche! u n d die Kleine E n t e n t e nicht u n m i t t e l b a r an der polnischen G r e n z f r a g e zu interessieren.

D i e schleswigsche Grenze v o r Regelung der O s t f r a g e n z u r E r ö r t e r u n g zu stellen, w ä r e ebenfalls v e r f e h l t .

Für die Rückgewinnung v o n Eupen und Malmedy sollte im wesentlichen n u r im Stillen gearbeitet w e r d e n , weil öffentliche P r o p a g a n d a eine an sich d e n k b a r e gütlidieVerständi- gung mit der Belgischen Regierung unmöglich macht. D i e Regelung w i r d vielleicht auf finanzieller Basis möglich sein, e t w a in V e r b i n d u n g mit dem belgischen M a r k - A b k o m - men S 7.

A n einem Wiederaufleben der elsaß-lothringischen Frage haben w i r z u r Zeit kein I n t e r - esse.

Bezüglich der Kolonien (frühere, wie eventuelle neue) müssen w i r uns f ü r längere Zeit noch auf P r o p a g a n d a beschränken, auf B e k ä m p f u n g der Bestrebungen, die M a n d a t s - gebiete zu annektieren, sowie auf E r h a l t u n g u n d S t ä r k u n g der in den f r ü h e r e n M a n - datsgebieten v o r h a n d e n e n deutschen wirtschaftlichen K r ä f t e . Eine vorzeitige Rückge- w i n n u n g v o n Kolonien k ö n n t e f ü r uns äußerst kostspielig w e r d e n . J e d e r K o l o n i a l e r w e r b setzt vorherige V e r s t ä n d i g u n g m i t Italien, wahrscheinlich sogar V o r w e g b e f r i e d i g u n g Italiens, das auch früheres deutsches Kolonialgebiet erstrebt, voraus s e.

D e n Anschluß Österreichs ( A r t . 80 V.V.) a k t i v zu betreiben, ist z u r Zeit schon deshalb nicht möglich u n d nicht angezeigt, weil dies uns die Gegnerschaft Italiens zuziehen w ü r d e 3 9.

Gewisse P u n k t e des Versailler Vertrages (Teil I X u n d X ) , die auf eine Diskriminierung Deutschlands hinausliefen, sind e r l e d i g t4 0. D i e Beseitigung der Diskriminierung in Marokko ist e i n g e l e i t e t i n Bezug auf die Flußkommissionen (Teil X I I V.V.) in V o r - bereitung.

9e Vgl. hierzu die Aufzeichnung Dirksens v. 29. 12. 1925 mit einer Karte über den angestrebten Grenzverlauf nach einer Revision der deutschen Ostgrenze in Akten zur deutschen auswär- tigen Politik 1918—1945. Β, II, 1, Dok. 21.

37 Bereits Ende 1925 rechnete Stresemann mit einer Einigung auf finanzieller Grundlage mit Belgien über die Rückgabe Eupens und Malmedys, s. Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918—1945. Β, I, 1, Anhang II, S. 739. Dodi auch die im Zusammenhang mit den Ver- handlungen über den Young-Plan am 13. 7.1929 erfolgende Einigung zwischen Deutschland und Belgien über die Reparationen, das hier genannte Markabkommen, führte nicht zu dem von deutscher Seite angestrebten Erfolg.

J e Zur Kolonialfrage s. K. Hildebrand: Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und koloniale Frage 1919—1945. München 1969.

M In dieser Frage setzte sich jedoch die auf eine rasche Einleitung des »Anschlusses« ausgerichtete Konzeption Hitlers gegenüber der des Auswärtigen Amtes durch, s. Wollstein, S. 69 ff.

40 Der Teil IX des Versailler Vertrages umfaßte die durch den Young-Plan ersetzten finan- ziellen Bestimmungen, der Teil X die bis zum 10. 1. 1925 befristeten wirtschaftlichen Be- stimmungen, s. RGBl. 1919, Nr. 140.

" Ebd., Artikel 141 bis 146.

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III. Die sonstigen außenpolitischen Ziele.

Die sonstigen allgemeinen außenpolitischen Ziele Deutschlands ergeben sidi aus der Um- wälzung der politischen und wirtschaftlichen Gestaltung insbesondere Europas, aus unse- rer geographischen Lage, unseren wirtschaftlichen Grundlagen (Uberbevölkerung, schmale Rohstoffbasis), aus der Notwendigkeit für die Industrie aller Länder, neue Gebiete zu erschließen, die Industrialisierung von Agrarländern zu bekämpfen u.a.m. Die wesent- lichsten Aufgaben sind hierbei, die Erstarkung Deutschlands nach allen Richtungen zu fördern, dabei aber politische und wirtschaftliche Gefahrenzonen zu vermeiden. Die Pflege und Erhaltung der deutschen Minderheiten bzw. des Auslandsdeutschtums ist bei alledem von besonderer Bedeutung. In dieser Beziehung könnten sich gerade jetzt ge- wisse Gefahren für unsere Position im Saargebiet, in den an Polen abgetretenen Ge- bieten, insbesondere in Oberschlesien, in Memel und in den früheren deutschen Kolonien in Afrika ergeben, wenn sich der Anschluß des dortigen Deutschtums an die neue Ent- wicklung im Reich nicht harmonisch und organisch vollzöge. Eine behutsame Behandlung dieser Dinge erscheint dringend geboten. Dasselbe gilt vom Auslandsdeutschtum und den deutschen Minderheiten, deren Schulen, Kirchen und sonstige kulturelle Einrichtungen durch Spaltung der sie tragenden Gemeinschaft unmittelbar gefährdet werden würden.

IV. Deutschlands Beziehungen zu anderen Ländern.

Unsere Beziehungen zu den anderen Ländern sind in den vergangenen Jahren einerseits durch den allgemeinen Kräftezustand Deutschlands, andererseits durch die Eigenart der jeweils zur Erörterung gestellten großen politischen Einzelprobleme bestimmt worden.

Die gleichen Faktoren werden sich in weitgehendem Maße auch noch in Zukunft geltend machen. Deutschlands gefährliche Schwäche macht es bis auf weiteres unmöglich, Bünd- nisse mit anderen Ländern abzuschließen. Diese würden uns in Abhängigkeit von stärke- ren Staaten bringen und uns im Konfliktsfalle der sicheren Gefahr aussetzen, als schwächster Partner die Kosten eines ungünstigen Ausganges zu tragen. Deutschland muß versuchen, zunächst ohne Bündnisse und unter elastischer, nach dem Charakter der jeweiligen Probleme zu gestaltender Anlehnung an andere Staaten aus eigener K r a f t zu erstarken. Diese Anlehnung verstärkt den problematischen Schutz, den die Völkerbunds- satzung, die Sdiiedsverträge, der Kellogg-Pakt u.s.w. gewähren.

Zu den einzelnen Ländern ist im übrigen folgendes zu bemerken:

Ein gutes Verhältnis zu England42, mit dessen starker politischer, moralischer und finanzieller Position noch für längere Zeit gerechnet werden muß, ist für Deutschland von erheblicher Bedeutung. Wir bedürfen der verständnisvollen Mitarbeit der Englischen Regierung in allen wichtigeren außenpolitischen Fragen; der Versuch einer Durchsetzung unserer Revisionswünsche ohne englische Hilfsstellung oder gar im offenen Gegensatz zu England würde, so wie die Dinge zur Zeit liegen, aussichtslos sein. Es kommt hinzu, daß die amerikanische Öffentlichkeit zum großen Teil gewohnt ist, die europäischen Vor- gänge durch die englische Brille zu sehen.

England wird sich aber schwerlich jemals uns zu Liebe in einen offenen Gegensatz zu Frankreich oder zu Amerika setzen. Aus einer gewissen militärisch und finanziell be- dingten Abhängigkeit von Frankreich wird englischerseits kaum ein Hehl gemacht. Auch kann nicht damit geredinet werden, daß England zu Gunsten Italiens gegen Frankreich optiert. Mit Frankreich verbindet England das gemeinsame Interesse an der Aufrecht- erhaltung des status quo im Mittelmeer, während Italien auf Änderung des status quo bedacht ist; außerdem würde ein ernster Konflikt mit Frankreich für England eine Sache auf Leben und Tod sein, ein Konflikt mit Italien dagegen nicht. Im übrigen liegen die zur Zeit wichtigsten englischen Interessen in überseeischen Gebieten, wodurch Englands

" Zu den deutsdi-englischen Beziehungen s. O. Hauser: England und das Dritte Reich. Eine dokumentierte Geschidite der englisch-deutschen Beziehungen von 1933 bis 1939 auf Grund unveröffentlichter Akten aus dem britischen Staatsarchiv. Bd 1: 1933 bis 1936. Stuttgart 1972 sowie die Dissertation von N . Th. Wiggershaus: Der deutsch-englische Flottenvertrag vom 18. Juni 1935. England und die geheime deutsche Aufrüstung 1933—1935. Bonn 1972.

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Neigung auf dem europäischen Kontinent einzugreifen, fühlbar herabgemindert wird.

Politische Gegensätze bestehen mit England zur Zeit nur in bezug auf die Abrüstungs- frage (keine deutsdie Aufrüstung)4 3.

Wirtschaftlich besteht zwischen beiden Ländern eine gewisse Spannung, Pfundsturz, Übergang Englands zum Hochschutzzoll4 4 und O t t a w a - V e r t r ä g e4 5 haben unser handels- politisches Verhältnis zu England und zum Britischen Imperium grundlegend verändert.

Eine Neuregelung ist geboten. Die Verhandlungen darüber werden schwer und nicht ohne Gefahr sein. Es wird sich empfehlen, sie möglichst zurückzustellen, bis die wichtig- sten der England zur Zeit beschäftigenden politischen Fragen bereinigt sind und die Entwicklung des Pfunds und die Auswirkungen der Ottawa-Verträge besser überblickt werden können. England beabsichtigt, auf der Weltwirtschaftskonferenz eine führende Rolle zu spielen; Vorbesprechungen mit der Englischen Regierung sind vereinbart.

Eine Verständigung mit FrankreiA im Sinne einer dauernden freundschaftlichen Gestal- tung der beiderseitigen Beziehungen ist f ü r absehbare Zeit so gut wie aussichtslos40. Es kann sich bis auf weiteres nur darum handeln, das Verhältnis zu Frankreich möglichst so zu gestalten, daß sich Frankreich nicht unmittelbar bedroht fühlt und uns nicht in den Arm fällt. Zur Zeit herrscht in Paris starke außenpolitische Nervosität, lebhaftes Miß- trauen gegen Deutschland, sowie die Tendenz nach engerem Zusammengehen mit den angelsächsischen Mächten und teilweise auch nach Ausbau des Verhältnisses zu Sowjet- Rußland.

Die Erkenntnis, daß ein starres Festhalten am Versailler Vertrag auf die Dauer eine Unmöglichkeit ist, hat sich neuerdings in Frankreich in erheblichem Maße durchgesetzt.

Selbstverständlich ist aber die französische Politik in dieser Hinsicht scharf retardierend eingestellt; aus dem Zusammenstoß dieser grundsätzlich retardierenden Haltung und dem Drängen der deutschen Außenpolitik in entgegengesetzter Richtung ergeben sich die periodischen Spannungen zwangsläufig. Unser Interesse erfordert aber, daß die Span- nungsmomente sich nicht häufen und nicht zu rasch aufeinander folgen. Die Erfahrungen zeigen, daß sich die Franzosen mit einer nicht zu heftigen oder stürmischen Entwicklung regelmäßig abfinden. Bei aller Schreckhaftigkeit ist das französische Volk in sehr großem Maße friedliebend. Eine grundsätzliche, demonstrativ betonte Abkehr Deutschlands von Frankreich wäre verfehlt, weil ohne und gegen Frankreich die deutschen Ziele nicht zu verwirklichen sind, sofern wir uns nicht ernstesten Konfliktsgefahren aussetzen wollen.

Frankreichs Machtstellung hat in letzter Zeit allerdings erhebliche Einbuße erlitten. Mit Gefährdung der finanziellen Machtposition entfiel zugleich die Möglichkeit der Subven- tion der französischen Verbündeten. Parallel damit geht eine gewisse Bündnismüdigkeit, geboren aus der Sorge, durch die osteuropäischen Verbündeten in Konflikte hineinge- zogen zu werden, an denen Frankreich nicht wesentlich interessiert ist. Durch Verweige- rung der vertraglichen Zahlungen an Amerika hat es seine moralische Stellung sehr geschwächt47. Statt wie früher in einer Führerrolle aufzutreten, befindet sich Frank- reich im wesentlichen in der Defensive. Seine Hegemonie-Ansprüche läßt es nicht fallen, sieht aber, daß die Voraussetzungen f ü r diese vorübergehend ungünstiger liegen. Die französische Kammer weist überdies für weitere drei Jahre eine Linksmehrheit auf. Trotz

49 Die Vorlage des MacDonald-Plans am 16. 3.1933 zeigt, daß England zu diesem Zeitpunkt lediglich eine Limitierung der — erwarteten — Aufrüstung Deutsdilands anstrebte.

44 Zur Aufgabe des Freihandels durch England s. A. Briggs: The World Economy. Independence and planing. ( = The New Cambridge Modern History. Vol. 12.) Cambridge *1968, pp. 37 ff.

45 Zur englischen Commonwealth-Politik dieser Zeit und zur Ottawa-Konferenz s. J. C.

Beaglehole: The British Commonwealth of Nations. In: The New Cambridge Modern History. Vol. 12. Cambridge »1968, pp. 373 ff.

" Zur Widerlegung dieser These s. J. Bariity u. Ch. Bloch: Une tentative de ^conciliation franco-allemande et son idiec (1932—1933). In: Revue d'histoire moderne et contemporaine.

Sir. 2, 15 (1968) 433 ff.

47 Hier ist angespielt auf die Weigerung des französischen Parlaments, der Zahlung der zum 15. 12. 1932 fälligen Schulden-Rate an die USA zuzustimmen, eine Weigerung, die zum Sturz des Kabinetts Herriot führte, s. Schulthess, S. 307 ff.

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allem und trotz der Abrüstungskonferenz bleibt aber Frankreich die bei weitem stärkste Militärmacht der Welt.

Wirtschaftlich haben sich die Beziehungen zu Frankreich nicht ungünstig entwickelt. Die deutsche Wirtschaft ist auf Grund zahlreicher Industrieabmachungen mit der französi- schen in einer Weise verbunden wie mit der keines anderen Landes. Nach Abschluß des Handelsvertrags 1927 hat sich die für uns zunächst passive Handelsbilanz seit 1930 stark aktiv gestaltet und noch 1932 trotz französischer Kontingentierungsmaßnahmen einen Ausfuhrüberschuß von 293 Millionen Reichsmark ergeben. Das französische Be- streben, diesen Zustand zu ändern, führte Ende 1932 zu einem Zusatzabkommen, wo- nach einzelne Zollbindungen gekündigt werden können. Deutschland hat von diesem Recht Gebrauch gemacht und die betreffenden Zölle am 1. März erhöht. Französische Gegenmaßnahmen zum 10. März stehen bevor. Eine weitere Verschärfung der sich aus dieser Lage ergebenden handelspolitischen Spannung sollte möglichst vermieden und die Politik wirtschaftlicher Verständigung mit Frankreich fortgesetzt werden. Deshalb auch Beibehaltung der deutsch-französischen Wirtschaftskommission, in deren Rahmen dem- nächst Vorbesprechungen für die Weltwirtschaftskonferenz stattfinden sollen.

Unser politisches Verhältnis zu Italien beruht auf dem Grundsatz: engste Zusammen- arbeit überall dort, wo gemeinsame Interessen gegeben sind, aber keine feste Bindung der deutschen an die italienische Politik4 Ö. Diese enge Zusammenarbeit mit Italien, wie sie in der Frage der Kriegstribute und der Gleichberechtigung aufrechterhalten wurde, hat sdion wertvolle Früchte getragen. Dagegen hat sich in einer Reihe anderer politi- scher Fragen, so vor allem in der österreichischen Frage und in den Problemen des Donau- raums, eine Zusammenarbeit mit Italien bisher noch nicht verwirklichen lassen. Italien steht dem Ansdilußgedanken völlig ablehnend gegenüber und strebt als Fernziel eine Zollunion mit Oesterreich und Ungarn an. Eine Möglichkeit, hier einen Ausgleich zu finden, ist zur Zeit noch nicht sichtbar. Zu einer Zusammenarbeit mit Italien im Donau- raum auf wirtschaftspolitischem Gebiet sind wir durchaus bereit. Besprechungen dar- über sind im Gange. Die praktische Verwirklichung begegnet aber großen Schwierig- keiten, da die italienische Wirtschaftspolitik in diesem Raum im Gegensatz zur deutschen überwiegend politisch orientiert ist.

Die wirtschaftspolitische Unterstützung der italienischen gegen Jugoslawien gerichteten Politik im Donauraum würde uns, die wir an einem Auseinanderfallen des jugoslawi- schen Staates keinerlei Interesse haben, politisch nichts nützen, wirtschaftlich aber durch Entfremdung der für unseren Export wichtigen Absatzmärkte (Jugoslawien, Rumänien) erheblichen Schaden zufügen können.

Die italienische Außenpolitik ist auf Bekämpfung der französischen Hegemonie einge- stellt, hat aber die Möglichkeit eines Ausgleichs mit Frankreich nie aus dem Auge ver- loren. Die Lage ist hierfür zur Zeit jedenfalls noch nicht reif.

Wirtschaftlich ist Italien gegen eine Erschwerung seiner landwirtschaftlichen Ausfuhr nach Deutschland besonders empfindlich. Hierauf muß bei etwa weiter geplanten Maß- nahmen (Eier, Käse, Blumenkohl, Tomaten, Südfrüchte) Rücksicht genommen werden.

Ueber den Ausbau der deutsch-italienischen Wirtschaftskommission sind Besprechungen im Gange. Vorbesprechungen für die Weltwirtschaftskonferenz sind mit der Italienischen Regierung verabredet.

Die französische und italienische Politik gegenüber Oesterreich deckt sich in dem negati- ven Ziel der Verhinderung des Anschlusses, kreuzt sich aber in dem positiven Ziele der Einbeziehung Oesterreichs in die eigene Machtsphäre. Das Ergebnis der französisch-ita- lienischen Rivalität ist ein politischer Schwebezustand Oesterreichs, von dem wir nur wünschen können, daß er so lange bestehen bleiben wird, bis der Zusammensdiluß Oesterreichs mit dem Reich erfolgen kann 49. Die größte Gefahr für eine gesamtdeutsche Entwicklung wäre eine französisch-italienische Einigung auf der Basis der Einbeziehung

49 Zu den deutsch-italienischen Beziehungen s. J. Petersen: Hitler und Mussolini. Die Entstehung der Achse Berlin—Rom 1933—36. Tübingen 1972.

» Vgl. Anm. 39.

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Oesterreidis in eine der beiden Machtsphären. Die Aussichten einer solchen Einigung sind vorläufig gering.

Daß Italien einem Beitritt Oesterreidis zur Kleinen Entente oder daß Frankreich einem Beitritt Oesterreidis zu einem italienischen Bündnissystem freiwillig zustimmen würde, ist keinesfalls anzunehmen.

Es wird daher wohl bei dem gegenwärtigen Schwebezustand Oesterreidis bleiben, wenn nicht erhebliche Aenderungen in dem französisch-italienischen Kräfteverhältnis eintreten.

Eine solche Aenderung, die unmittelbare Folgen f ü r die Zukunft Oesterreidis mit sich bringen könnte, würde den Zerfall des jugoslavischen Staates bedeuten. Ein selbständiges Kroatien und Slovenien müßte naturgemäß Annäherung an Oesterreich und Ungarn suchen. Das wäre eine Entwicklung, die dem Habsburger legitimistischen Gedanken starken Auftrieb geben könnte. Die Politik des Reiches wird sich zum Ziele setzen müs- sen, die inneren Widerstände Oesterreichs gegen ein Abgleiten in deutschlandfremde politische Kombinationen nach Möglichkeit zu stärken. Bei der heutigen Lage Oester- reichs wird hierbei die Gewährung fühlbarer wirtschaftlicher Hilfe seitens des Reichs von besonderer Bedeutung sein. Die Verhandlungen über die Gewährung von Präferen- zen an Oesterreich sind absdilußreif bis auf Holz, Butter und Käse. Ihr möglichst baldi- ger Abschluß ist dringend geboten 50.

Unser freundschaftliches Verhältnis zu Ungarn ruht auf der festen Grundlage alter Tradition und weitgehender Gemeinsamkeit der Interessen in allen großen politischen Fragen (Gleichberechtigung, Revision der Friedensdiktate).

Gegenüber der ungarischen Revisionspolitik zwingt uns allerdings die notwendige Rück- sichtnahme auf die Lage der deutschen Minderheiten in den von Ungarn abgetretenen Gebieten und auf unsere wirtschaftspolitischen Interessen in den Staaten der Kleinen Entente eine gewisse Zurückhaltung auf. Auch können wir uns niemals die sehr weit- gehenden und (wegen der ethnographischen Voraussetzungen) praktisch schwer zu reali- sierenden ungarischen Revisionsforderungen zu eigen machen.

In schroffem, von Ungarn schwer empfundenen Gegensatz zu unserer politischen Freund- schaft steht die Tatsache, daß infolge der deutschen Agrarschutzmaßnahmen fast die ganze Ausfuhr Ungarns nach Deutschland abgeschnitten worden ist. Es wäre deshalb dringend erwünscht, daß die mehrfach zugesagten, bisher immer noch verschobenen Wirtschaftsbesprediungen in Budapest nunmehr baldigst stattfinden, und daß dabei Zu- geständnisse für Kompensationsgeschäfte mit ungarischen landwirtschaftlichen Erzeug- nissen gemacht werden können.

Die Tragweite der neuen Organisation der Kleinen Entente läßt sich heute noch nicht abschließend beurteilen 5 1.

Auf wirtschaftlichem Gebiete wird sie wohl keinesfalls größere Bedeutung gewinnen.

Die Beschränktheit des tschechoslowakischen Absatzmarktes und die überragende Be- deutung des deutschen Absatzmarktes für die Agrarprodukte Rumäniens und Jugo- slawiens bilden ein kaum zu überwindendes Hindernis für den wirtschaftlichen Zusam- menschluß der drei Staaten.

Die politische Bedeutung des neuen Organisationspaktes muß sich erst in seiner prak- tischen Auswirkung erweisen. Es ist aber ohne weiteres anzunehmen, daß der Einfluß Frankreichs auf die Staaten der Kleinen Entente auf dem Wege über die Tschecho- slowakei in allen Fragen eine Stärkung erfahren wird, die mit der Abrüstung und mit der Revision der Friedensdiktate zusammenhängen.

Unsere Politik gegenüber der Kleinen Entente wird sich zum Ziele setzen müssen, ihre Bindung an Frankreich möglichst zu lockern und insbesondere auch die Tschechoslowa- kei von einer allzu engen Anlehnung an Polen abzuhalten.

50 Zum Abbrudi der deutsch-österreichischen Wirtsdiaftsverhandlungen durch Hitler s. Wollstein, S. 83 f.

61 Zur Erneuerung und Festigung der Kleinen Entente schlossen am 16. 3. 1933 Jugoslawien, die Tschechoslowakei und Rumänien einen Organisationspakt. Durch diese festere Bindung wollten die drei Staaten den sich neuerlich abzeichnenden Revisionsbestrebungen als eine quasi-Großmacht entgegentreten können.

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Das beste Mittel hierfür wäre zweifellos eine Wirtschaftspolitik, die den deutschen Absatzmarkt für die Produkte dieser Länder öffnet. Vor allem Jugoslawien und Rumä- nien könnten bei ihrer heutigen katastrophalen Wirtschaftslage auf diesem Wege in der Richtung ihrer Außenpolitik maßgebend beeinflußt werden.

Auf diesen politischen Erwägungen beruht unsere Politik der wirtschaftlichen Unter- stützung der unteren Donaustaaten (Ungarn, Rumänien, Jugoslawien, Bulgarien), die in unserer Bereitwilligkeit zur Gewährung von Getreidepräferenzen und in der Hilfs- stellung zum Ausdruck kam, die wir diesen Staaten auf internationalen Konferenzen, zuletzt auf der Konferenz von Stresa 52, gewährt haben. Maßgebend war dabei auch die Erwägung, daß der deutschen Ausfuhr der Weg auf diese besonders entwicklungs- fähigen Absatzmärkte für die Zukunft offengehalten werden muß. Die Wirksamkeit dieser Politik ist allerdings in letzter Zeit durch fast völlige Abschneidung der landwirt- schaftlichen Ausfuhr dieser Staaten nach Deutschland stark beeinträchtigt worden. Etwas anderes als unsere Bereitschaft zur wirtschaftlichen Unterstützung haben wir der großen politisdien und finanziellen Anziehungskraft Frankreichs in diesen Ländern zur Zeit nicht entgegenzusetzen. Die »Stresa-Politik« ist deshalb fortzusetzen und im Rahmen des Möglichen durch Steigerung des Warenaustausches mit den unteren Donaustaaten wirk- samer zu gestalten.

Uber Rußland ist das Wichtigste damit gesagt, daß wir die russische Rückendeckung gegen Polen nicht entbehren können. Von besonderer Bedeutung sind dabei unsere guten Beziehungen zur russischen Armee, die uns einen Einblick in ihren Rüstungsstand ge- währleisten, auf den wir wegen der Gefahr unliebsamer Überraschungen nicht ver- zichten können 5S.

Dazu kommen wichtige wirtschaftliche Momente, die nur zum Teil aus der gegenwärti- gen Wirtschaftskrise geboren sind. Rußland ist durch seine erheblichen Bestellungen all- mählich zum größten Abnehmer deutscher Industriewaren geworden. Die daraus er- wachsenen deutschen Forderungen belaufen sich zur Zeit auf etwas über 1 Milliarde Reichsmark. Die Abdeckung dieser Schuld ist für Rußland durch die Auswirkungen der deutschen Agrarschutzmaßnahmen erheblich erschwert. Für 1933 ist mit einem erheb- lichen Rückgang des deutsch-russischen Warenaustausches zu rechnen, der voraussicht- lich unseren Ausfuhrüberschuß von 1932, 354 Millionen Reichsmark auf höchstens 100 Millionen Reichsmark herabdrücken wird.

Die energische Bekämpfung der Kommunisten und des Kulturbolschewismus in Deutsch- land braucht, wie das italienische Beispiel zeigt, das deutsch-russische Verhältnis nicht notwendig auf die Dauer zu beeinträchtigen. Im Augenblick ist eine Abkühlung dieses Verhältnisses nicht zu verkennen. Um diesen Zustand wieder zu beseitigen, werden wir, ohne der Sowjet-Union nachzulaufen, doch unseren Beziehungen zu Moskau besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden und bei allen sich bietenden Gelegenheiten deutlich zum Ausdruck zu bringen haben, daß wir unsererseits die innerpolitische Bekämpfung des Kommunismus streng getrennt halten von unserer staatspolitischen Einstellung zur Sowjet-Union. Aus diesem Grunde ist auch eine möglichst umgehende Ratifizierung der Verlängerung des Berliner Vertrags dringend geboten ®4. Ebenso wäre eine Wieder- belebung des deutsch-russischen Warenaustausches, soweit möglich, durch Steigerung der Abnahme russischer Erzeugnisse erwünscht.

" Vom 5. bis 20. 9. 1932 fand in Stresa eine Konferenz für mittel- und osteuropäische Wirt- schaftslagen statt.

ω Zur gegensätzlichen Auffassung der leitenden Beamten des Auswärtigen Amtes und Hitlers in dieser Frage s. Documents on German foreign policy 1918—1945. C, II, Dok. 457. Zu den deutsch-russischen Beziehungen in dieser Zeit insgesamt s. K. Niclauss: Die Sowjetunion und Hitlers Machtergreifung. Eine Studie über die deutsch-russischen Beziehungen der Jahre 1929 bis 1935. Bonn 1966 ( = Bonner historische Forschungen. Bd 29.) sowie Th. Weingartner:

Stalin und der Aufstieg Hitlers. Die Deutschland-Politik der Sowjetunion und der kommuni- stischen Internationale 1929—1934. Berlin 1970.

M Am 5. 5. 1933 erfolgte nach überaus langwierigen Verhandlungen die Unterzeichnung eines Verlängerungsprotokolls zum Berliner Vertrag vom 24. 4. 1926.

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Eine Verständigung mit Polen ist weder möglich noch erwünscht. Ein gewisses M a ß deutsch-polnischer S p a n n u n g müssen wir erhalten, um die übrige W e l t f ü r unsere Revi- sionsforderungen zu interessieren und um Polen politisch und wirtschaftlich nieder- zuhalten. Die Situation ist aber keineswegs ohne G e f a h r e n , d a die derzeitige Polnische Regierung in Erkenntnis, d a ß sich ihre Aussichten mit fortschreitender E r s t a r k u n g Deutschlands verschlechtern u n d Frankreichs Bündnisfreudigkeit nachlassen könnte, augenscheinlich mit dem G e d a n k e n an einen P r ä v e n t i v k r i e g spielt. Letzter A n l a ß h i e r f ü r sind n a t u r g e m ä ß unsere territorialen F o r d e r u n g e n . Deshalb w i r d es nicht zu vermeiden sein, diese f ü r einige Zeit in der ö f f e n t l i c h e n Diskussion etwas z u r ü c k t r e t e n zu lassen.

Besondere Sorgen u n d sehr erhebliche Kosten bereitet uns die E r h a l t u n g des D e u t s d i - tums in Polen, insbesondere in Oberschlesien, sowie in D a n z i g , das finanziell nicht lebensfähig i s t5 5.

I m Lichte unseres Verhältnisses zu R u ß l a n d u n d Polen sind gute Beziehungen zu Litauen aus politischen u n d militärpolitischen G r ü n d e n erwünscht. In den letzten J a h r e n w u r d e n sie durch die antideutsche Politik Litauens im Memelgebiet beeinträchtigt. Die L i t a u - ische Regierung, die in den letzten M o n a t e n v o n dieser antideutschen Politik abgegangen ist, ist anscheinend bereit, ihre Beziehungen zu Deutschland wieder enger zu gestalten.

Falls die A n n ä h e r u n g Litauens an Deutschland gewisse wirtschaftliche Konzessionen er- f o r d e r t , ist es angebracht, diese zu g e w ä h r e n .

D a s Desinteressement der Vereinigten Staaten an den Fragen der europäischen Politik w i r d voraussichtlich auch u n t e r der A d m i n i s t r a t i o n Roosevelt's a n d a u e r n , w e n n auch die amerikanische H a l t u n g wahrscheinlich nicht mehr g a n z so negativ sein w i r d , wie u n t e r den republikanischen Präsidenten der letzten 12 J a h r e . Auf eine wesentliche A n - teilnahme o d e r gar auf eine a k t i v e U n t e r s t ü t z u n g durch Washington w e r d e n wir also in europäischen Fragen auch in Z u k u n f t nicht rechnen können. In vielen nicht aus- schließlich europäischen Fragen w i r d aber ein starkes amerikanisches Interesse v o r h a n d e n sein; soweit diese Fragen f ü r uns von Wichtigkeit sind (wie ζ. B. die Abrüstungsfrage), w i r d es das Bestreben unserer Politik sein müssen, das Schwergewicht der Vereinigten Staaten möglichst auf unsere Seite zu ziehen. I m V o r d e r g r u n d des amerikanischen Interesses steht, was E u r o p a anlangt, das P r o b l e m der interalliierten Schulden. A u d i w e r d e n wir mit den Vereinigten Staaten in den nächsten J a h r e n unvermeidlidie finanz- u n d handelspolitische Auseinandersetzungen haben. D i e d a u e r n d e starke Passivität Deutsdilands im Warenaustausch w i r d neben unseren beträchtlichen Schuldverpflichtun- gen immer unerträglicher. V e r h a n d l u n g e n über N e u r e g e l u n g sind geboten, sobald der Z e i t p u n k t d a f ü r nach der politischen Lage u n d den wirtschaftlichen Verhältnissen (Welt- wirtschaftskonferenz, Dollarkrise) d a z u geeignet erscheint. Allerdings ist der gegen- w ä r t i g e H a n d e l s v e r t r a g v o n 1923 erst am 14. O k t o b e r 1934 mit einjähriger Frist k ü n d - b a r 5 e. W i r w e r d e n d a r a u f bedacht sein müssen, unsere Ziele zu erreichen, o h n e d a ß in den politischen Beziehungen zwischen den beiden L ä n d e r n ungünstige R ü c k w i r k u n g e n f ü r Deutschland eintreten.

I m Anschluß an unsere Beziehungen zu den einzelnen L ä n d e r n ist noch unsere Ein- stellung z u m Völkerbund zu e r w ä h n e n .

I m V ö l k e r b u n d können u n d müssen wir in der Regel als Gläubiger a u f t r e t e n , der an der Entstehung dieser O r g a n i s a t i o n nicht beteiligt w a r , in zahlreichen Fragen aber A n - sprüche an sie a n z u m e l d e n h a t (Abrüstung, Minderheitenschutz, Schutz D a n z i g s u.s.w.).

D i e Leistungen des Völkerbundes befriedigen keineswegs. E i n Austritt k o m m t aber z u r Zeit nicht in Frage. W i r w ü r d e n d a m i t nichts gewinnen, auf der a n d e r e n Seite aber unsere Position in vielen Fragen, insbesondere in der Rüstungsfrage, erheblich ver-

" Zu den deutsch-polnischen Beziehungen s. neben der genannten Studie von H . v. Riekhoff das grundlegende Werk von M. Wojciediowski: Die polnisch-deutschen Beziehungen 1933 bis 1938. Leiden 1971 ( = Studien zur Geschichte Osteuropas. Bd 12.)

" Zur Kündigung des Handelsabkommens durch Deutschland zum ersten zulässigen Termin (14. 10. 1935) und den sich ausweitenden Gegensätzen in den bilateralen Handelsbeziehungen s. Schröder, S. 146 ff.

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