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Zur Rolle der bewaffneten Macht in der europäischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit

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Bericht Bernhard R. Kroener

Vom »extraordinari Kriegsvolck« zum »miles perpetuus«.

Zur Rolle der bewaffneten Macht in der europäischen Gesellschaft der Frühen Neuzeit

Ein Forschungs- und Literaturbericht

»Wo sind, die weiland man Feldschreiber hieß, hinkommen, Ist niemand, der mir's sagt, welch Wind sie weggenommen ? Sie haben sich, sprach Mars, vertieft in meinen Orden, Sind lauter Krieges-Rät und Secretares worden.«

Wencel Scherffer von Scherffenstein (1652)

Der lange W e g der Militärgeschichte. Z u r Genese eines historischen Forschungsfeldes Als Hans Delbrück, der zweifellos als Wegbereiter moderner Militärgeschichtsschrei- bung zu gelten hat, sich 1880 mit seiner umfangreichen Gneisenaubiographie an der Berliner Universität im Fach »Kriegsgeschichte« habilitieren wollte, soll der greise Leopold v. Ranke geäußert haben, ein derartiges Fach gehöre nicht an eine deutsche Universität1. Im Verständnis der akademischen Z u n f t erschien die Kriegsgeschichte als applikatorische Generalstabswissenschaft mit ihrer auf unmittelbare N u t z a n w e n d u n g ausgerichteten strengen Schematisierung historischer Fakten und Prozesse unverein- bar mit den Grundsätzen des Historismus und seiner Auffassung von der Singularität allen geschichtlichen Seins. Zwischen dem Glaubenssatz von der Unmittelbarkeit jeder Epoche zu Gott und der Überzeugung, daß der Erfahrungsschatz der Vergangenheit Lehrsätze für die Z u k u n f t bereithalte, klaffte ein unaufhebbarer Gegensatz, der die Geschichte der bewaffneten M a c h t von den Hörsälen der Universitäten aus- und in die Lehrsäle der Kriegsschulen einschloß. Delbrücks weitergehender Versuch, im Sinne von Clausewitz das Beziehungsgeflecht zwischen Krieg und Politik, die Abhängigkeit der kriegerischen H a n d l u n g von der politischen Entscheidung, aber auch die politi- schen Folgewirkungen gewaltsamer Auseinandersetzungen zu erforschen, trug ihm, als sich die politischen und militärischen Eliten des Kaiserreiches dem Gedankengut von Clausewitz immer weiter entfremdeten, auch die Gegnerschaft der militärischen Kriegshistoriker ein. In einer Zeit, in der — im Sinne der applikatorischen M e t h o d e — Kriegsgeschichtsschreibung als Beitrag zur Traditionsbildung und z u r geistigen R ü - stung der Soldaten empfunden wurde, mußte etwa sein Versuch, die strategischen Konzeptionen Friedrichs des Großen in ihrer Zeitgebundenheit zu erfassen, auf den geharnischten Protest all derer stoßen, die den König aus aktuellem politisch-pädago- gischen Interesse zum Protagonisten einer »Vernichtungsstrategie« im Sinne des 19. Jahrhunderts stilisieren wollten2.

Delbrücks Position zwischen traditioneller akademischer Gelehrsamkeit und anwen- dungsbezogener militärischer Führungslehre symbolisiert das Spannungsverhältnis, in dem die Militärgeschichtsschreibung seit jeher gestanden hat und aus dem sie sich etwa seit zwei Jahrzehnten allmählich zu lösen beginnt.

Delbrücks neuer methodischer Ansatz, nicht in erster Linie den Krieg, sondern die be- waffnete Macht an sich als einen bedeutenden Faktor der historischen Entwicklung zu 141 M G M 1/88 begreifen und zu analysieren, ließ in den Jahrzehnten zwischen 1880 und 1914 auch auf

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anderen Gebieten eine Fülle ähnlich angelegter Untersuchungen entstehen. Otto Hint- ze spürte als erster dem Verhältnis von Staats- und Heeresverfassung nach, einer Fra- gestellung, die die Forschung bis heute beschäftigt3. Gustav Schmoller und Werner Sombart förderten grundlegende Kenntnisse über die ökonomischen Voraussetzungen kriegerischen Handelns und die Rückwirkungen des Krieges auf die Wirtschaftsver- fassung zutage4. Andere Untersuchungen entstanden auf dem Gebiet der Rechtsge- schichte und der Landesgeschichte5.

Der Erste Weltkrieg beendete diese frühe Phase der deutschen Militärgeschichts- schreibung. Nach der Katastrophe von 1918 und verstärkt nach 1933 überlagerte zu- nehmend eine an dem Leitwert der »Wiederwehrhaftmachung« ausgerichtete Forde- rung nach »wehrpolitischer Geschichte« den in der Vorkriegszeit begonnenen V e r - such, der Geschichte der bewaffneten M a c h t als gleichberechtigtem Forschungsgegen- stand in der Geschichtswissenschaft Geltung zu verschaffen.

Wie unterschiedlich die Positionen in dieser Frage waren, wie intensiv sich aber auch die Affinität einzelner deutscher Historiker zum nationalsozialistischen G e d a n k e n g u t gestalten konnte, beweist die vehement geführte, streckenweise sogar in Polemik aus- artende Kontroverse, die zwischen Fritz Härtung, Gerhard Oestreich und Paul Schmitt- hennervon 1938 bis 1941 in der Historischen Zeitschrift geführt wurde. Die Auseinan- dersetzung entzündete sich an einer Besprechung, in der der Hintze-Schüler H ä r t u n g die »wehrpolitische« Arbeit Schmitthenners mit dem Titel »Politik und Kriegführung in der neueren Geschichte« einer kritischen Bewertung unterzogen hatte6. H ä r t u n g , der in seinem Aufsatz »Staatsverfassung und Heeresverfassung« die Forschung seines Lehrers weitergeführt hatte und somit noch in der Tradition der Vorkriegszeit stand, rückte drei Kritikpunkte in den Mittelpunkt seiner Besprechung. Sie markieren die fundamental gegensätzliche Position der älteren Forschung gegenüber den Forderun- gen einer nun als wehrpolitische Geschichte apostrophierten Kriegsgeschichtsschrei- bung7.

D a wurde zunächst der Vorwurf mangelhafter Quellen- und Literaturkenntnis erho- ben. Gerade die Historiker, die im Bannkreis der großen Aktenpublikationen, wie etwa der Acta Borussica, standen, mußten die Arbeitsweise Schmitthenners als oberflächlich und unwissenschaftlich empfinden. D e r zweite Vorwurf überschritt die Grenze einer formalen Kritik: H ä r t u n g ließ keinen Zweifel daran, daß er die Zielrichtung der wehr- politischen Geschichte, den Versuch, politisch-ideologischen Wertvorstellungen der Gegenwart durch eine selektive Interpretation des historischen Geschehens eine zu- sätzliche Legitimation zu verschaffen, erkannt hatte. In seinem dritten Kritikpunkt wies er schließlich in einprägsamer Weise noch einmal auf die grundlegenden Fragen hin, deren Beantwortung eine diplomatiegeschichtlich angelegte Untersuchung des Verhältnisses von Politik und Kriegführung zu leisten habe: »sie müßte zunächst zei- gen, welche Machtmittel die Politik der Kriegführung jeweils bereitstellt, wie sie zwi- schen den militärischen, grundsätzlich unbegrenzten Anforderungen und den wirt- schaftlichen und innenpolitischen Möglichkeiten ihren W e g sucht«8.

Dieses klare Bekenntnis zu den Grundprinzipien Delbrücks und Hintzes forderte den erbitterten Widerspruch Schmitthenners heraus. In seiner Replik ließ er keinen Zweifel daran, daß nach seiner Vorstellung die »wehrpolitische Geschichte« nur einem Zweck diene: »politische Erkenntnisse f ü r die Gegenwart zu gewinnen«9. Somit w a r f ü r ihn das Problem von Politik und Kriegführung »aus einem reizvollen historischen Stoff zu einer zentralen politischen Lebensfrage« geworden1 0. Unter dieser Prämisse blieb die Frage nach einer ausreichenden Quellen- und Literaturbasis zweitrangig. So ist es nicht verwunderlich, daß Schmitthenner die Geschichtswissenschaft nur in einer die- nenden Funktion gegenüber der »wehrpolitischen Wissenschaft« sah und ihr kaum mehr als den Status einer Hilfwissenschaft zuerkennen wollte. In diesem Verständnis

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polemisierte er auch gegen Hartungs Kritik der Selektion und Schematisierung. Sein Buch, so schrieb er, »schwebt nicht in der Sphäre der voraussetzungslosen Wissen- schaft, sondern es steht auf der Grundlage der nationalsozialistischen Weltanschauung und damit auf deren festen Voraussetzungen«. »Zur Schärfung des Urteils und zur Stählung des Willens« sei auf dieser Grundlage ein wehrpolitisches Erziehungsbuch entstanden, das im Einklang mit der Interessenlage der politischen Führung die positi- ve Gestaltungskraft des Einheitsstaates durch die Epochen nachzuzeichnen suche1 1. Die auf praktisch-politische N u t z a n w e n d u n g ausgerichtete wehrpolitische Geschichte vermochte deshalb auch mit dem Problemkanon, den H ä r t u n g in seiner Kritik ange- führt hatte, wenig anzufangen. Eine differenzierte Betrachtungsweise oder abwägende Beurteilung wurde als individualisierende Geschichtsdarstellung denunziert, die nicht begreifen könne, »daß die wehrpolitische Erkenntnis und N u t z u n g darüberhinaus vor- dringen muß«1 2. Dieser Frontalangriff auf die akademische Geschichtswissenschaft unter Ausnutzung des Zeitgeistes, zu dessen Instrument vor allem die Analyse der ge- waltsamen Auseinandersetzungen in der deutschen Geschichte mißbraucht wurde, zwang zur Verteidigung. Sie erfolgte durch das während des Nationalsozialismus von Einzelpersönlichkeiten wie auch Gruppen und Institutionen erprobte Prinzip der Ab- wehr durch Annäherung. W ä h r e n d H ä r t u n g sich in einer knappen Erwiderung vor al- lem gegen den für ihn persönlich nicht ungefährlichen Vorwurf der politischen U n z u - verlässigkeit zu W e h r setzte1 3, überließ er die grundsätzliche Auseinandersetzung sei- nem Schüler Gerhard Oestreich, der kaum im Verdacht stehen konnte, »ein rückstän- diger historischer Geist« zu sein14.

Stand die wehrpolitische Geschichte im Verständnis Schmitthenners außerhalb der tra- ditionellen Geschichtswissenschaft, so suchte Oestreich mit dem Begriff der »Wehrge- schichte« wieder die Verbindung zur allgemeinen Geschichtswissenschaft. So erhob er die quellennahe Forschung und die historisch-kritische M e t h o d e zur unverzichtbaren Arbeitsgrundlage wehrgeschichtlicher Forschung. Schmitthenners Forderung nach po- litisch-ideologischem N u t z e n erscheint bei Oestreich hinter der weitaus subtileren Feststellung, der »Wehrgesichtspunkt« müsse die Richtschnur wehrgeschichtlicher Forschung sein15. Das bedeutet f ü r ihn, daß die Weltgeschichte »als wehrpolitisches Geschehen zu begreifen« sei und »als Ansporn zum Handeln und als Quelle der Beleh- rung« verstanden werden müsse16. Der Totalitätsanspruch, der damit verknüpft war, ging weit über die Hilfswissenschaftsfunktion Schmitthenners hinaus, der grundsätz- lich die Eigenständigkeit der historischen Forschungsarbeit nicht bestritten hatte. D a - mit löste sich Oestreich bewußt von den Auffassungen Delbrücks, f ü r den die Kriegs- geschichte stets in die politische Geschichte einer Epoche eingebunden geblieben w a r : Forschung nicht aus dem Streben nach der Erkenntnis historischer Zusammenhänge und ihrer Gewichtung in den Kategorien der Zeit, sondern dogmatisch verengt als In- strument einer »wehrpolitischen Erziehung des Volkes«17. Selektive Geschichtsbe- trachtung wurde als Ferment einer Traditionsbildung und somit letztlich als Grundlage eine »wehrgeistigen Rüstung« verstanden1 8. Mit dieser Auffassung knüpfte Oestreich bewußt an Arbeiten etwa von Colmar von der Goltz und Max Jahns an. Der Feldmar- schall und der Kriegsschullehrer hatten zweifellos die historische Erkenntnis zur För- derung einer militärischen Traditionsbildung und wehrpolitischen Erziehung genutzt.

Sie können aber nicht ohne weiteres als Vorläufer einer den historischen Befund be- w u ß t manipulierenden wehrgeistigen Rüstung in Anspruch genommen werden1 9. W ä h r e n d Hintze, wie nach ihm auch H ä r t u n g , den Einfluß der Heeresverfassung auf die Staatsverfassung stärker gewichtete als die gleichzeitigen wirtschaftlichen und ge- sellschaftlichen Verhältnisse, so verließen doch beide nicht den Rahmen einer quellen- kritischen historischen Interpretation, stießen nicht zu einer moralisch-qualitativen Be- urteilung geschichtlicher Prozesse im Sinne einer Beweisführung zugunsten aktuell-

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politischer Interessen durch. Diesen W e g beschritt indes Jähns, als er in seiner Darstel- lung »Heeresverfassung und Völkerleben« die Feststellung traf: »Das Heerwesen er- wächst nicht nur dem jedesmaligen Volkszustand: es ist auch das vorzüglichste Mittel f ü r die geschichtlichen Lebensäußerungen eines Volkes und das vornehmste W e r k - zeug, wenn Nationen sich entgegentreten und aneinander messen.«20 In den M e t h o - den und den Gegenständen an Delbrück orientiert, reduzierte Oestreich die Wehrge- schichte durch die Sinnstiftung und Zweckbindung, die er ihr unterlegte, wieder auf das Feld der militärisch-politischen Erziehung. Diese einschneidende qualitative Ver- änderung mochte ihm indes in dieser Deutlichkeit nicht bewußt geworden sein. Im Ge- genteil, indem er die wehrpolitische Erziehungsaufgabe nicht auf die Soldaten be- schränkt sehen wollte, sondern sie als Teil einer völkisch verstandenen Wiederwehr- haftmachung begriff, begründete er auch den Führungsanspruch einer wehrgeschicht- lichen Betrachtung innerhalb der Geschichtswissenschaft.

In seiner Erwiderung wies Schmitthenner darauf hin, daß er, was den Gegenstand der Wehrgeschichte und ihre N u t z a n w e n d u n g betreffe, mit Oestreich weitgehend einig sei21. Dabei hob er jedoch hervor, daß die Wehrgeschichte in nachgeordneter und un- terstützender Funktion zur Wehrpolitik stehe, die in den Zeiten »größten weltge- schichtlichen Werdens« zunächst einmal den Zeitbedürfnissen zu dienen habe2 2. W ä h - rend Oestreich also der Wehrgeschichte eine Unabhängigkeit in der Auswahl der For- schungsgegenstände zubilligte, verstand Schmitthenner sie quasi als Steinbruch, aus dem den aktuellen politischen Bedürfnissen entsprechend einzelne Stücke ohne Rück- sicht auf ihren historischen Zusammenhang herausgebrochen werden konnten. »Wenn heute Wehrmacht und Partei größteil W e r t auf die wehrpolitische Erziehung des deutschen Volkes legen und eine wissenschaftlich-soldatische Gesellschaft wie die Deutsche Gesellschaft f ü r Wehrpolitik und Wehrwissenschaften dem mit Bewußtsein entspricht, so muß es die Wissenschaft der Universitäten erst recht tun.«2 3 N a c h d e m er bereits die Form der wissenschaftlichen Auseinandersetzung in den Geisteswissen- schaften als »Pfaffengezänk« disqualifiziert hatte, Schloß er daran die im Jahr 1941 nicht ohne weiteres abseitige D r o h u n g : »Denn diese (gemeint sind die Universitäten, d. Vf.) kämpfen, wie alle wissen, um ihr Dasein, und nur der enge Anschluß an das wirkliche Leben kann sie retten.«2 4

Vielleicht liegt in dieser Kampfansage, die Schmitthenner hier zweifellos im Einklang mit der Auffassung vieler nationalsozialistischer Parteigrößen der akademischen Ge- schichtswissenschaft entgegenschleuderte, auch der Schlüssel zum Verständnis der von Gerhard Oestreich vorgetragenen Ansichten. Denn es erscheint in der T a t schwer er- klärbar, daß dieser Gelehrte, der die Erforschung der Verfassungsgeschichte der Frü- hen Neuzeit auch auf dem Gebiet der Militärgeschichte maßgeblich gefördert hat, sich derartig offenkundig dem Regime und seinen Zielen dienstbar gemacht haben soll. In seiner Entgegnung auf die harsche, stellenweise auch unsachliche Kritik Schmitthen- ners grenzte Oestreich zunächst noch einmal die ältere Kriegsgeschichte von der Wehrgeschichte — so wie er sie verstand — ab, indem er feststellte, daß in ihr »die W e n - dung vom kriegerischen Geschehen zu den wehrpolitischen Kräften und Tätigkeiten vollzogen« werde2 5. Damit formulierte er ein Grundprinzip der modernen Militärge- schichtsschreibung, demzufolge nicht der Krieg, sondern das Militär im Mittelpunkt der Betrachtung zu stehen habe.

Deutlicher als die Abgrenzung zur älteren Kriegsgeschichte fiel der Versuch aus, sich auch aus der von Schmitthenner geforderten Dienstleistungsfunktion gegenüber einer von aktuellen politischen Interessen geprägten Wehrpolitik zu lösen. Das Prinzip von der Abwehr durch Annäherung läßt sich deutlich fassen, wenn Oestreich feststellt, er habe »den Charakter der eigenständigen dauernden Forschung für die gesamte W e h r - 144 geschichte betont, um zu verhindern, daß I. die Wehrgeschichte als Geschichte der

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Wehrpolitik in ein Abhängigkeitsverhältnis zur theoretischen Wehrpolitik« gerate,

»und II. daß sie vornehmlich die Probleme der Wehrpolitik« erkenne »und einzeln« er- forsche26. Der beschwörende Appell, die Wehrgeschichte als eigenständige Teildiszi- plin der Geschichtswissenschaft, vergleichbar etwa mit der Wirtschafts- oder Verfas- sungsgeschichte, zu erhalten, da sie nur so ihrer gesellschaftlichen Erziehungsaufgabe gerecht werden könne, wies bereits auf das grundsätzliche Spannungsverhältnis zwi- schen wissenschaftlicher Freiheit und ideologischer Anpassung hin, in das sie zuneh- mend geriet, und das nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches unter veränder- ten externen Voraussetzungen in eine Abwehrhaltung gegen die akademische Militär- geschichtsschreibung einmünden sollte.

Dieser längere Exkurs erscheint notwendig, um einen Forschungs- und Literaturbe- richt zur modernen Militärgeschichtsschreibung über die Frühe Neuzeit einigermaßen zutreffend in die Landschaft der historischen Forschung in der Bundesrepublik einpas- sen zu können. Auf dieser Basis läßt sich auch der Parameter finden, nach dem ein Lei- stungsvergleich zwischen der deutschen, der französischen und vor allem der angel- sächsischen Forschung der letzten fünfzehn Jahre geführt werden kann.

1945 — Der Neubeginn im Schatten der Vergangenheit

Die Reduktion der Historiographie auf »Staats-Helden und Kriegsgeschichte«, wie Otto Hintze unmittelbar vor seinem Tode das nationalsozialistische Geschichtsver- ständnis gebrandmarkt hatte, erschwerte nach 1945 zunächst einen Neubeginn für die universitäre Beschäftigung mit der Geschichte der bewaffneten Macht27. Die Diskus- sion, die in der historischen Zunft unmittelbar nach Erscheinen des ersten Bandes von Gerhard Ritters »Staatskunst und Kriegshandwerk«, der einzigen großen, noch in der Tradition Delbrücks stehenden militärgeschichtlichen Untersuchung der unmittelba- ren Nachkriegszeit, entbrannte, zeigt deutlich die kritische Distanz, mit der ein Teil der Historiker militärgeschichtlichen Forschungen gegenüberstand28. Dabei hatte sich Ritter in seiner Darstellung bewußt auf das Phänomen einer zunehmenden Militarisie- rung der Außenpolitik beschränkt, die er, da einseitig auf das Kriegshandwerk abge- stützt, von echter Staatskunst zu trennen suchte29. Seine Militarismusdefinition, in die- sem Sinne nicht auch auf die Erscheinungsformen einer inneren Militarisierung des Gemeinwesens bezogen, blieb daher fragmentarisch und unbefriedigend. Gerhard Rit- ters Alterswerk bildet mit seiner organischen Einbindung der Geschichte der bewaffne- ten Macht in übergeordnete diplomatic- und verfassungshistorische Zusammenhänge das Bindeglied zur modernen deutschen Militärgeschichtsschreibung der Nachkriegs- zeit. Die in ihr enthaltene pointierte Analyse einer zunehmenden Fremdbestimmung der preußisch-deutschen Außenpolitik durch primär an Interesse der militärischen Eli- ten orientierten Entscheidungen läßt sich zweifellos auch als Antwort der historischen Forschung auf die wehrpolitische Interpretation der Zusammenhänge von Politik und Kriegführung im Sinne Schmitthenners deuten. Ein möglicher Nexus erscheint noch wahrscheinlicher, wenn man bedenkt, daß Ritter erste konzeptionelle Überlegungen zu seinem Werk bereits 1941 angestellt hatte.

Waren militärhistorische Arbeiten im Bereich der universitären Forschung zur Frühen Neuzeit in den fünfziger Jahren noch selten, so änderte sich das Bild zunehmend seit Beginn der sechziger Jahre. Für die Militärgeschichte der Frühen Neuzeit haben be- sonders drei Arbeiten eine grundlegende Bedeutung erlangt, da sie spezifisch militär- geschichtliche Fragestellungen auch außerhalb der Diplomatie- und Verfassungsge- schichte thematisierten. 1962 legte Karl Demeter die Neubearbeitung seiner bereits

1930 erschienenen Untersuchung »Das deutsche Offizierkorps in Gesellschaft und

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Staat (1650—1945)« vor. Sie gilt, wenngleich in einigen Passagen überholt, als grundle- gende sozialgeschichtliche Untersuchung der militärischen Eliten3 0. Ebenfalls 1962 publizierte Otto Büsch seine Studie »Militärsystem und Sozialleben im alten Preußen 1713—1807«31. Ausgehend von den Untersuchungen O t t o Hintzes behauptete Büsch die Identität von Militär- und Sozialsystem in Preußen. Eine kühne Einlassung, die nicht überall einer kritischen N a c h p r ü f u n g standhielt, zumal der Verfasser seine These einseitig auf die Agrarverfassung abstützte und damit nur einen, wenn auch gewichti- gen Teil der preußischen Gesellschaft in den Blick nahm. Dennoch gebührt O t t o Büsch das Verdienst, in eindrucksvoller Weise auf die Notwendigkeit einer vertieften Be- schäftigung mit den Wechselbeziehungen zwischen militärischer und ziviler Gesell- schaft hingewiesen und damit ein zentrales Forschungsanliegen der modernen Militär- geschichtsschreibung thematisiert zu haben.

Eine Pionierarbeit, deren Ergebnisse auf Jahrzehnte hinaus Gültigkeit besitzen wer- den, stellt auch die monumentale zweibändige Untersuchung von Fritz Redlich »The German Military Enterpriser and his W o r k Force« dar3 2. In einer großzügig angeleg- ten Ubersicht untersucht der Verfasser auf der Grundlage erschöpfender Literaturstu- dien die Erscheinungsformen der Institution des deutschen Söldnerführers in seinen sozialen und vor allem ökonomischen Bezügen vom 14. bis zum A n f a n g des 18. Jahr- hunderts. Am Beispiel des Söldnertums und seiner beinahe fünfhundertjährigen T r a d i - tion wies Redlich in beeindruckender Deutlichkeit auf die Notwendigkeit zeitimma- nenter Bewertungskriterien für die historische Interpretation hin. Als notwendige und durchaus leistungsfähige Organisationsform der frühmodernen Massenheere läßt sich die historische Bedeutung ihrer Angehörigen nur dann zutreffend einschätzen, wenn man nicht, wie die Vertreter der älteren Kriegsgeschichtsschreibung, aus dem vereng- ten Blickwinkel derer urteilt, die sich bemühten, in der Geschichte der bewaffneten M a c h t die traditionsgenetischen Zusammenhänge mit dem Volksheer des 19. Jahrhun- derts zu entdecken.

N e u e Impulse — Kontakte zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte in den sechziger Jahren

Die Militärgeschichte erhielt aus diesen grundlegenden Untersuchungen, die ihr neue Forschungsfelder in der Verfassungs-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte erschlossen, wichtige Impulse. In diesem Klima vermochte Rainer Wohlfeil 1967 eine erste, wissen- schaftlichen Ansprüchen genügende Ortsbestimmung der modernen Militärge- schichtsschreibung zu wagen. N a c h Fragestellung und Methode untrennbar Bestand- teil der Geschichtswissenschaft steht in ihrem Zentrum die bewaffnete M a c h t des Staa- tes als politischem, ökonomischem und sozialem Faktor im Frieden wie im Krieg und in stets spannungsreicher Wechselbeziehung zur Gesamtgesellschaft und ihren Struk- turen3 3. Die Erforschung des militärischen Instruments als Organisationsform einer sozialen Großgruppe wird ergänzt durch die kleinräumige Untersuchung der Lebens- wirklichkeit des dem militärischen Regulativ unterworfenen Individuums, wobei dem Vergleich mit den Existenzbedingungen anderer gesellschaftlicher Formationen eine besondere Bedeutung zukommt.

D e r von Wohlfeil nicht zuletzt in Anlehnung an seine eigenen Forschungen zur Mili- tärgeschichte der Frühen Neuzeit gewonnene definitorische Ansatz ist in der For- schung bis heute gültig geblieben3 4. Die knapp ein Jahrzehnt später von einer Gruppe Zeithistoriker erarbeiteten Überlegungen zu Zielsetzung und Methode der Militärge- schichtsschreibung bleibt hingegen in dem Teil, der sich mit den Aufgaben und der Be- deutung der »älteren Militärgeschichte« befaßt, wenig aussagekräftig3 5. Die Auffas-

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sung, ihre Gegenstände seien auch als »alternative Kontrastfälle«, also 007 »Erweite- rung der Bezugssysteme f ü r die W a h r n e h m u n g und Beurteilung der Gegenwart« zu begreifen, mag bei einem unbefangenen Betrachter den Eindruck erwecken, als leugne man ihr primäres, auf eine epochenbezogene Gesamtschau historischer P h ä n o m e n e gerichtetes Erkenntnisinteresse. Die Militärgeschichtsschreibung der Frühen Neuzeit steht also nicht in einer dienenden Funktion zur Zeitgeschichtsforschung, liefert kein

»Kontrastprogramm«, sondern ist eher geeignet, aus der unmittelbaren Vergangenheit gewonnene militärhistorische Erfahrungen in einen weiteren historischen Rahmen zu stellen. Sie besitzt eine wichtige Funktion, indem sie heute verschüttete Wurzeln mili- tärischer Verhaltensmuster, Auffassungen und Entscheidungen offenlegt und damit die Interpretationsbasis verbreitern hilft. Was ihre Gegenstände betrifft, so orientiert sie sich an den Arbeitsschwerpunkten und -zielen der Frühneuzeitforschung.

Überblicksdarstellungen und Sammelbände

Am Beispiel dieses mangelnden Verständnisses f ü r die spezifischen Belange der »älte- ren Militärgeschichte« läßt sich zeigen, daß selbst innerhalb der Militärgeschichts- schreibung noch vor wenigen Jahren die Bedeutung einer umfassenden Erforschung der Militärgeschichte der Frühen Neuzeit nicht unumstritten gewesen ist. Diese Situa- tion blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Behandlung militärgeschichtlicher Frage- stellungen auf nationalen Kongressen, in Tagungsbänden und historischen Gesamt- darstellungen. Selbst in den letzten Jahren erschienene Anthologien zur Geschichte des f r ü h m o d e r n e n Staates oder zum Absolutismus verzichten gänzlich3 6 auf eine Themati- sierung des Verhältnisses von Heeresverfassung und moderner Staatswerdung oder beschränken sich darauf, ältere und älteste Arbeiten zu dieser Frage erneut zum D r u c k zu bringen3 7. Aber auch Aufsatzsammlungen, die die Ergebnisse wissenschaftlicher T a - gungen und Kongresse zu Spezialproblemen der neueren Geschichte vereinigen, han- deln den Faktor »Militär« unterschiedlich intensiv ab. In diesem Zusammenhang er- scheint es reizvoll, den Blick auf Gemeinschaftsprojekte deutscher und französischer Historiker zu werfen, zumal in Frankreich wie auch in England und den USA bereits seit den fünfziger Jahren eine bemerkenswerte Fülle vor allem wirtschafts- und sozial- geschichtlich ausgerichteter Arbeiten zur Militärgeschichte der Frühen Neuzeit ent- standen sind38. So verzeichnet etwa der Tagungsband eines internationalen Kollo- quiums, das sich 1975 mit neueren Forschungen und Perspektiven zur Geschichte des Uberganges vom Ancien Regime zur Revolution in Frankreich befaßte, unter neun- undzwanzig Beiträgen keinen, der sich mit der Umgestaltung der französischen Armee am Vorabend der Revolution auseinandersetzt3 9. Dieser Befund ist um so erstaunli- cher, decken doch die einzelnen Beiträge die wichtigsten Zonen wirtschafts- und so- zialgeschichtlicher Forschung ab, in denen die »Umformung und Auflösung der alteu- ropäischen Staats- und Gesellschaftssysteme« besonders anschaulich beobachtet wer- den kann4 0. W a r u m , so ist zu fragen, blieb die Armee als soziale Großgruppe, als be- deutender ökonomischer Faktor und schließlich als die staatliche Organisation, in der nach 1763 Reaktion und Aufbruchstimmung so eng beieinanderlagen, außerhalb der Betrachtung?

Eine umfangreiche deutsch-französische Gemeinschaftsleistung auf dem Sektor der vergleichenden Verwaltungsgeschichte vom 4. bis zum 18. J a h r h u n d e r t thematisiert hingegen in zwei Beiträgen die Entwicklung der frühmodernen Heeresverwaltung.

W ä h r e n d Andre Corvisier vor allem den Einfluß militärischer Verwaltungseinrichtun- gen im Hinblick auf die Ausbildung bürokratischer Strukturen im f r ü h m o d e r n e n Staat 147 beleuchtet, beschreibt Hans Schmidt in einem eher chronologischen Duktus die Ent-

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wicklung der Militärverwaltung im Reich zwischen dem Westfälischen Frieden und dem Ende des Alten Reiches, wobei er unter Zuhilfenahme der neueren regionalge- schichtlichen Forschung eine vergleichende Betrachtung der Entwicklung bei den ar- mierten Reichsständen und in der südwestdeutschen Kreisverfassung anstellt41. In der Erkenntnis, daß die moderne Militärgeschichtsforschung in Frankreich weiter vorangetrieben worden ist42 als in der Bundesrepublik und vor dem Hintergrund, daß gerade sozialgeschichtlich relevante Phänomene im übernationalen Vergleich zutref- fender erfaßt und eingeordnet werden können, läßt den Blick auf deutschsprachige Einführungen in die europäische Geschichte der Frühen Neuzeit und neuere Darstel- lungen zur Geschichte Frankreichs lohnend erscheinen. In seiner überaus dichten und dabei doch gut lesbaren Einführung in die Geschichte der Frühen Neuzeit, deren An- liegen die Vermittlung »forschungs- und problemorientierte[r] Analysen« ist und die vor allem dem Studierenden »einige zentrale Einblicke in den aktuellen Kenntnis- und Diskussionsstand« vermitteln will, verweist Ernst Hinrichs zwar auf die wichtigsten Forschungsansätze der »histoire serielle«, gibt auch gelegentlich einen Hinweis auf die Rolle des Militärs, etwa bei protostatistischen Erhebungen oder im Zusammenhang mit der Rolle gartender, d. h. beschäftigungsloser Landsknechte bei den Anfangserfol- gen bäuerlicher Aufstände, gelangt aber nicht zu einer geschlossenen Darstellung der bewaffneten Macht in der Frühen Neuzeit43. »Guerre, peste et famine«, die drei apo- kalyptischen Reiter des Zeitalters werden von ihm in umgekehrter Reihenfolge als die Ursachen der großen Mortalitätskrisen gewertet44. Den Mitlebenden und Mitleiden- den war indes bewußt, daß es meist der Krieg war, der die Schrecken von Krankheit und Hungersnot mit sich brachte.

Eine andere, bereits in zweiter Auflage vorliegende »Europäische Geschichte der Frühen- Neuzeit« bevorzugt statt eines strukturellen Zugriffs eher die traditionelle Form einer chronologisch angelegten Betrachtung45. Zwar kann der Verfasser bei diesem Aufbau dem Hinweis auf kriegerische Verwicklungen nicht entgehen, scheut sich aber, weiter- gehende Angaben zur Heeresorganisation, zum sozialen Gefüge oder zum Verhältnis von Zivilbevölkerung und Truppe zu liefern. Auch wenn gerade den Autoren von Handbuchdarstellungen eine Auswahl und Raffung des Stoffes zugebilligt werden muß, so bleibt es doch bedauerlich und beweist eine offenbar bewußte Abstinenz, wenn in diesen als Handreichungen für den Studierenden gedachten Bändchen weder die älte- ren noch die neueren Forschungen zur Militärgeschichte verzeichnet sind46. Anderer- seits zeigten die ähnlich gestaltete Einführung von Heinrich Lutz und die jüngst er- schienene Darstellung von Johannes Kunisch, in denen den Ergebnissen der modernen Militärgeschichte genügend Raum gegeben wird, die zunehmende Aufgeschlossenheit der allgemeinen Geschichtsforschung gegenüber militärhistorischen Fragestellungen 47. Wenn also Gesamtdarstellungen zur und Einführungen in die Geschichte der Frühen Neuzeit die Geschichte der bewaffneten Macht in der Regel nur dilatorisch behandeln, so mag man sich aus Arbeiten etwa zur französischen Geschichte des 16.—18. Jahrhun- derts aus der Feder deutscher Historiker — schon allein durch die größere Zahl ein- schlägiger Untersuchungen zu diesem Thema in Frankreich — eine stärkere Beachtung dieses Themas erhoffen.

Tatsächlich lassen die in den letzten Jahren erschienenen Arbeiten, die eher verlaufsge- schichtlich angelegte Untersuchung von Jürgen Voss sowie die beiden sich zeitlich er- gänzenden strukturgeschichtlich orientierten Bände von Ilja Mieck und Wolfgang Ma- ger eine wenn auch unterschiedlich intensive Beschäftigung mit der Entwicklungsge- schichte des frühmodernen Militärwesens48 erkennen. In der Darstellung von Voss, der drei Jahrhunderte französischer Geschichte auf 250 Seiten gedrängt abhandelt, las- sen sich Hinweise zur Rolle der bewaffneten Macht nur aus dem Sachregister erschlie- ßen. Das Werk gibt aber dennoch einigermaßen erschöpfend Auskunft über die wich-

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tigsten Entwicklungstendenzen der französischen Heeresverfassung. Dagegen vermißt man ein vertieftes Eingehen auf die soziale Formation des Militärs, wenngleich der Hinweis auf die richtungweisende »these« von Andre Corvisier im Literaturverzeichnis nicht fehlt.

Vorbildlich ist dagegen der Abschnitt »Armee und Marine« bei Ilja Mieck gestaltet.

Bereits die einleitende Feststellung des Verfassers, »kaum ein anderer Sektor des Staa- tes hat von der Mitte des 15. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts so tiefgreifende Ver- änderungen erfahren, wie das Militärwesen« (S. 207), macht die inzwischen veränder- te Einstellung vieler universitärer Forscher, nicht zuletzt bedingt durch die nicht mehr zu vernachlässigenden französischen Forschungen, deutlich 49. So verwundert es um so mehr, daß das knappe, aber instruktive Literaturverzeichnis weder die für das Spätmit- telalter und die Umbruchphase des Hundertjährigen Krieges grundlegende Untersu- chung von Philippe Contamine noch die Überblicksdarstellung von Andre Corvisier oder die frühe, quantifizierende Arbeit von Ferdinand Lot über den Umfang der Arme- en der Religionskriege verzeichnet50. Dem anschließenden Zeitraum von 1630—1830, in dem zwei gravierende Strukturveränderungen die Heeresverfassung und das soziale Binnengefüge der Armee grundlegend umgestalteten — einerseits die Verstaatlichung des Söldnerwesens in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts und anderer- seits die Volksbewaffnung im Zuge der Revolution — widmet dagegen Wolfgang Ma- ger in dem Folgeband nur wenig Aufmerksamkeit. Dies ist um so bedauerlicher, als die Arbeit in anderen Bereichen gerade im Hinblick auf die ökonomische und soziale Ent- wicklung Frankreichs umfassendes Material zusammengetragen hat. Die hervorra- gend recherchierte Bibliographie weist dagegen auch auf dem Sektor der Militärge- schichte die wichtigste neuere Literatur nach51.

Die Analyse der hier vorgestellten neueren Gesamtdarstellungen zur europäischen Ge- schichte der Frühen Neuzeit und zur französischen Geschichte dieses Zeitraums lassen zweierlei deutlich werden: Während die Arbeiten unter ihnen, die noch weitgehend auf dem Forschungsstand der späten sechziger und frühen siebziger Jahre basieren, der Militärgeschichte kaum ansatzweise Raum geben, zeigen die neueren Untersuchungen bereits ein gewandeltes Verhältnis zu diesem Gegenstand, wenngleich in Darstellung und Literaturnachweis noch deutlich diplomatic- und verfassungsgeschichtlich orien- tierte Untersuchungen zur Militärgeschichte dominieren.

Die erkennbar aufgeschlossenere Haltung der Geschichtswissenschaft gegenüber Fra- gen der Militärgeschichte läßt sich auch an der zunehmenden Zahl nationaler und in- ternationaler Kongresse, Tagungen und Kolloquien zur Rolle der bewaffneten Macht bei der Entstehung frühmoderner Staaten ablesen, deren Ergebnisse, in Sammelbänden publiziert, nicht nur Zustandsbeschreibungen und Zwischenbilanzen offerieren, son- dern auch der Spezialforscbung neue Impulse vermitteln52.

Die Palette der hier behandelten Themen läßt einprägsam die Schwerpunkte moderner militärgeschichtlicher Forschung erkennen. Neben den traditionellen Fragestellungen aus dem Bereich der Verfassungs- und Diplomatiegeschichte sind es vor allem sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Probleme des frühneuzeitlichen Wehrwesens, die zu- nehmend Beachtung finden. Die bewaffnete Macht als Instrument der Außenpolitik, einer Sozialdisziplinierung nach innen, als zentrales Objekt ökonomischer Operatio- nen des frühmodernen Staates und schließlich die Existenzbedingungen einer sozialen Großgruppe und ihr Verhältnis zur Gesamtgesellschaft markieren die Aufgabenberei- che der Militärgeschichtsforschung für den Erkenntnisfortschritt in der Geschichtswis- senschaft. Die Sorge um den Bestand der Armee als eines unverzichtbaren Elementes jeder innen- wie außenpolitischen Machtsicherung hat auch, wenn nicht immer ohne weiteres erkennbar, Entscheidungen in anderen Bereichen staatlichen Handelns vorge- prägt. Der Verzicht auf die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Faktor Mi-

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litär verschließt nicht nur bei der Erforschung der Frühen Neuzeit dem Historiker die Möglichkeit, zu einer Gesamtschau und Interpretation geschichtlicher Prozesse vor- zudringen.

Die im letzten Jahrzehnt erschienenen Forschungs- und Literaturberichte spiegeln die erstaunliche Vielfalt entsprechender Bemühungen auf dem Sektor der Militärge- schichtsschreibung wider. Die Krise, die Walter E. Kaegi noch 1981 konstatierte, hat zweifellos solange bestanden, als es der traditionellen Kriegsgeschichte nicht gelang, ihren Gegenstand der Interessenlage der historischen Forschung insgesamt anzupas- sen53. Bei näherer Betrachtung erweist sich hingegen, daß die Selbstverständlichkeit, mit der sich die angelsächsische Forschung militärgeschichtliche Ansätze zu eigen ge- macht hat, auf den deutschsprachigen Raum nicht ohne weiteres übertragen werden kann. Die Vorbehalte, die gegen eine Beschäftigung mit dem Phänomen Krieg und Militär lange Zeit ins Feld geführt wurden, haben hier, wie gezeigt werden konnte, tie- fe, bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückreichende Wurzeln5 4.

Militärgeschichtliche Aspekte diplomatiegeschichtlich orientierter Untersuchungen Der zunehmend enger werdende Kontakt mit der internationalen Forschung zur Frü- hen Neuzeit und damit verbunden die Erkenntnis, welche Chancen die militärge- schichtliche Forschung dieser Epoche bieten kann, ist in den letzten Jahren auch in der deutschen Historiographie nicht ohne Resonanz geblieben. Naturgemäß bildet die Be- schäftigung mit den gewaltsamen Formen fürstlicher Machtpolitik das traditionelle Betätigungsfeld der Kriegs- und Militärgeschichte. Aus diesem Grund dominiert auch in der westdeutschen Geschichtsschreibung noch immer ein eher diplomatiegeschicht- lich orientierter Ansatz. Als der bedeutendste Vertreter dieser Richtung hat zweifellos Johannes Kunisch zu gelten. In seiner äußerst anregenden Untersuchung über »Staats- verfassung und Mächtepolitik« im Zeitalter des Absolutismus glaubt er nachweisen zu können, daß die häufigen Waffengänge primär Ausdruck eines Strukturdefizits des eu- ropäischen Staatensystems gewesen sind. Durch Erbfolgeregelungen sei versucht wor- den, labile Machtverhältnisse im Innern zu stabilisieren, wobei jedoch gleichzeitig dem jeweiligen Konkurrenten die Möglichkeit eröffnet wurde, eigene Ansprüche anzumel- den und gegebenenfalls eine günstige Lösung mit Waffengewalt ins Auge zu fassen55. Die überstaatliche Absicherung dynastischer Erbfolgeregelungen diente zweifellos ebenso wie Eheschließungen dem Ziel, Machterhalt und Machterweiterung ohne Ge- waltanwendung zu sichern. Die »Einhegung des Krieges« bestand im Interesse der Staaten Europas, deren Machtposition und innere Stabilität durch gewaltsame Ausein- andersetzungen in Gefahr zu geraten drohte.

In den Zusammenhang einer fortschreitenden Systemrationalität im Beziehungsge- flecht der europäischen Mächte gehören aber auch die sich wandelnden Formen der Koalitionskriegführung mit ihren Sonder- und Separatfriedensschlüssen und damit der Wandel vom Friedenskongreß zum Friedensdiktat56. Für die Militärgeschichte von Be- lang erscheint in diesem Zusammenhang die Frage nach der Umsetzung politischer In- teressenlagen in militärisches Handeln. Strukturelle Mängel der spätabsolutistischen Kriegskunst, technisches Unvermögen und die Unfähigkeit, klimatische und geogra- phische Hemmnisse in eine vorausschauende Operationsplanung zu integrieren und nicht zuletzt persönliche Unverträglichkeiten zwischen den Führern verschiedener Koalitionskontingente prägten den Stil der militärischen Auseinandersetzungen jener Epoche. Zu einem erheblichen Teil bis heute noch unerforscht bilden sie je nach Lage das schwankende oder feste Fundament jedes diplomatischen Szenarios57. Einen in diesem Sinne ausgezeichnet gestalteten Beitrag stellt die Arbeit von Dieter Bangert dar,

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der anhand russischen Quellenmaterials den Nachweis zu erbringen vermag, warum das russische Reich, die größte Militärmaschine Europas im Siebenjährigen Krieg, selbst im Zusammenwirken mit seinem österreichischen Partner, außerstande war, Preußen niederzuringen58. Die Probleme einer Koalitionskriegführung, die Kunisch und Bangert beschreiben, sind zweifellos eindrucksvoll, doch bleibt die Frage, ob nicht grundsätzliche Strukturdefizite, etwa in der Finanzverfassung, im Verkehrswesen und in der Wirtschaftsstruktur der spätabsolutistischen Staaten, unmittelbare Auswirkun- gen auf das Heerewesen gehabt haben, durch die letztlich die Operationen nachhalti- ger behindert wurden als durch die Führungsschwäche der jeweiligen militärischen Führer.

Die militärische und politische Geschichte einer Epoche organisch zu einer Gesamt- darstellung zu verschmelzen, ohne dabei in das Genre einer »histoire bataille« abzu- gleiten, verlangt eine Zusammenschau von Struktur und Ereignis. In den letzten Jahren ist dieser Versuch gleich mehrfach unternommen worden, wobei an dieser Stelle drei Arbeiten angelsächsischer Historiker stellvertretend für die damit verbundenen unter- schiedlichen Konzeptionen vorgestellt werden sollen.

Michael Howard hat 1981 die deutsche Fassung seines Buches »War in European Hi- story« (1976) vorgelegt, das in gewisser Weise den Beginn dieser Form einer historio- graphischen Neubewertung militärischer Ereignisse markiert. Das Bändchen, als Ein- führung gedacht, beschreibt in einzelnen Abschnitten die entscheidenden Phasen in der Geschichte der europäischen Kriegführung vom ausgehenden Mittelalter bis ins zwanzigste Jahrhundert59. Dabei stehen nicht Politik und Kriegführung im Mittel- punkt der Betrachtung, sondern vielmehr die Wandlungen des militärischen Instru- ments in Hinblick auf seine Fähigkeit zum Kriegführen. Die plakativen Kapitelüber- schriften lassen deutlich werden, daß den sozialen Veränderungen der Gesamtgesell- schaft und ihren Rückwirkungen auf die bewaffnete Macht eine besondere Bedeutung zuerkannt wird. Der Zwang zu typologisieren und die unterschiedlichen Entwick- lungsstufen des europäischen Heerwesens zu schematisieren führt dabei notgedrungen zu Verzerrungen. So firmiert etwa das 18. Jahrhundert unter dem Signum »Kriege der Profis« — eine zumindest für einige Armeen der europäischen Staatenwelt anfechtbare Nomenklatur.

Differenzierter bietet sich dagegen die zeitlich eingegrenztere Darstellung von John Childs dar. Konzipiert wie die Arbeit von Michael Howard als »general reader« ver- mittelt sie einen Eindruck vom komplizierten und labilen Bedingungsgeflechts, in das die Kriegsmaschinerie des Absolutismus stets eingebunden blieb. Erst aus der Balance seiner Teile erfuhr das militärische Instrument die Leistungssteigerung, die letztlich den Erfolg garantierte60. Kriegführung und Politik, die Organisationsstruktur des Heerwesens und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für das strategische Kon- zept und seine taktische Umsetzung, das Verhältnis des Militärs zur Gesamtbevölke- rung und schließlich die Innenansicht der bewaffneten Macht bilden ein organisches Ganzes, aus dem heraus die Bedeutung und die Rolle von »Armies and Warfare«, aber auch die Grenzen zwischenstaatlicher Gewalt im Zeitalter des absolutistischen Macht- staates plastisch hervortreten.

Eine Grundlagenforschung ganz besonderer Art unternimmt Jack S. Levy61. Angeregt durch den methodischen Zugriff der modernen Konfliktforschung sucht der Verfasser in einer umfassenden, quantifizierenden Analyse zu einer Systematik der militärischen Konflikte der Großmächte in den vergangenen fünfhundert Jahren zu gelangen. Die Untersuchung wirft in mehrfacher Hinsicht methodische Probleme auf. Läßt sich, so ist zu fragen, eine weithin akzeptierte Theorie der Kriegsursachen allein auf empiri- scher Basis erarbeiten? Unterliegt Großmachtverhalten über einen Zeitraum von einem halben Jahrtausend sozio-kulturellen Einflüssen, die sich nicht von vorneherein einem

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systematischen Ansatz entziehen? Schließlich, und das ist zweifellos der gravierendste Einwand, ist das vorliegende statistische Material nicht so disparat, daß etwa eine In- tensitätsmessung kriegerischer Auseinandersetzungen anhand der blutigen Verluste et- wa für das 16. und 17. Jahrhundert überaus fragwürdig erscheinen muß62?

Nicht umsonst setzen die quantifizierenden Untersuchungen Singers, auf die Levy sich bezieht, 1815 ein, einem Zeitpunkt also, der im Grenzbereich von vorstatistischem und statistischem Zeitalter liegt63. Trotz dieser Einwände liefert die Arbeit im Hinblick auf Dauer und Intensität von Konflikten, auf die Konstruktionen von Kriegskoalitionen oder die räumliche Ausdehnung von Auseinandersetzungen interessante Globalresul- tate, die es wert wären, in Einzeluntersuchungen auf ihre Stichhaltigkeit hin getestet zu werden.

Neuere Untersuchungen zur Epoche des Dreißigjährigen Krieges

In den letzten Jahren hat die Erforschung des 17. Jahrhunderts, bis dahin auch für die Geschichtswissenschaft ein weitgehend »dunkles Jahrhundert«, eine Belebung erfah- ren. Im Zuge der Krisendiskussion gewann auch zunehmend die Frage an Bedeutung, wie das militärische Instrument sich dem gesellschaftlichen und ökonomischen Wand- lungsprozeß gegenüber verhalten hat. Die »militärische Revolution« ist daher auch Ausdruck der sektoralen Veränderungen innerhalb einer allgemeinen Systemkrise der europäischen Gesellschaft. Eine Neuinterpretation des Dreißigjährigen Krieges, seiner Wurzeln, seiner vielfältigen Gestalt und seiner Auswirkungen erschien von daher im- mer notwendiger64. Die von Josef Polisensky geleitete Aktenedition zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges zählt dabei zu den herausragenden wissenschaftlichen Unter- nehmen der letzten Jahre. Der erste Band liefen neben Hinweisen auf die ausgewerte- ten Bestände tschechischer Archive und Angaben zur Editionstechnik auch einen um- fangreichen Forschungsbericht zu den einzelnen Phasen des Krieges, verbunden mit einer Schilderung der spezifischen Situation Böhmens und Mährens65. Weniger ein Gemälde der europäischen Politik als vielmehr die Innenansicht des Krieges liefern die zahllosen Aktenstücke aus den Archiven der Piccolomini, Gallas, Kolovrat, Schlick und Colloredo, unter denen vor allem die erhalten gebliebenen Bestände der wallen- steinschen Kriegskanzleien einen bedeutenden Raum einnehmen. Eine sozial- und wirtschaftsgeschichtlich orientierte Arbeit über die kaiserliche Armatur des Dreißig- jährigen Krieges wird sich zweifellos neben den »Alten Feldakten« auch auf die tsche- chischen Regionalarchive zu stützen haben.

Die bedeutendste neuere Darstellung zum Dreißigjährigen Krieg, die den Konflikt weniger als Ausdruck einer krisenhaften Zuspitzung gesellschaftlicher Widersprüche begreift, sondern als Ergebnis eines politischen Spannungszustandes, dessen Konflikt- potential sich seit der Mitte des 16. Jahrhunderts in unterschiedlicher Dichte in nahezu allen europäischen Staaten angehäuft hatte, stellt die Arbeit von Geoffrey Parker dar66. Aus der Erkenntnis heraus, daß ein einzelner Wissenschaftler heute kaum mehr in der Lage ist, die unübersehbare Literatur zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges eini- germaßen adäquat aufzubereiten, wählte Parker die Form eines wissenschaftlichen Gemeinschaftswerkes, dessen einzelne Beiträge er meisterhaft miteinander in Einklang zu bringen verstand. In seinem Schlußkapitel verleiht Parker auch dem Gesicht des Krieges deutliche Züge. Seine Interpretation der sozialen Binnenstruktur der Armeen und der Konfliktzonen zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung decken sich mit de- nen, die Herbert Langer in seiner weitgehend auf unbekanntem Material aufbauenden

»Kulturgeschichte des Dreißigjährigen Krieges« ausgebreitet hat67. Als eine gelungene 152 Darstellung der gewaltsamen Phasen der europäischen Geschichte zwischen 1590 und

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1660 ist die Arbeit von David Maland zu werten, die vornehmlich die neuere angel- sächsische Forschung verarbeitet. Diese Einschränkung ist zu verschmerzen, da der Verfasser damit die Zugänglichkeit des verwendeten Materials für ein breiteres eng- lischsprechendes Publikum im Auge hat68.

Ein bisweilen vernachlässigter Aspekt des Verhältnisses von Politik und Kriegführung läßt sich auf dem Gebiet der Kriegstheorien und Kriegführungslehren erkennen69. In der Uberzeugung, es handle sich eher um einen spezifisch militärisch-fachwissen- schaftlichen Gegenstand, hat die Geschichtswissenschaft diesen Bereich weithin unbe- achtet gelassen. Indem Militärtheoretiker sich bemühten, das Modell einer optimalen Ausnutzung der vorhandenen Machtmittel zum Zwecke der Kriegführung und damit letztlich zur Durchsetzung politischer Ziele zu entwickeln, antizipierten sie ökonomi- sche und soziale Veränderungen häufig früher als andere Machtträger im frühmoder- nen Staat. Andererseits erwiesen sich die militärischen Strukturen aber auch weitaus resistenter gegen plötzliche Kursänderungen, so daß der praktischen Umsetzung theo- retischer Erkenntnisse häufig unüberwindbare Schranken gesetzt waren.

Zu den in dieser Hinsicht faszinierenden Gestalten gehört zweifellos Raimondo Mon- tecuccoli. Im 17. Jahrhundert, das arm an militärischen Theoretikern, aber reich an Praktikern des Krieges war, nehmen die Abhandlungen des Italieners einen herausra- genden Platz ein. Es ist das Verdienst von Thomas M. Barker, das wichtigste Werk Montecuccolis, »Sülle Battaglie«, ediert und kritisch kommentiert zu haben70. Im Ge- gensatz zu Rohan, La Noue und anderen Zeitgenossen begreift der kaiserliche Feld- marschall die »arte della guerra« nicht nur als kunstvolles Taktieren, sondern, und hier ist er seiner Zeit weit voraus, als Wissenschaft vom Kriege. Sein Gespür für die Grund- lagen von Kampfmotivation und Gruppenverhalten in extremen Situationen besitzen durchaus zeitlose Gültigkeit. Nicht nur wichtige Neuerungen in der Heeresorganisa- tion Österreichs sind ihm zu verdanken, auch bedeutende Feldherren der Habsburger Monarchie, wie etwa Karl von Lothringen oder Ludwig-Wilhelm von Baden haben bei diesem Präzeptor ihre militärische Lehrzeit absolviert. Während Barker Montecuccoli im Kontext der europäischen Militärtheorie seiner Zeit interpretiert, beschränkt sich Luciano Tomassini auf eine knappe biographische Skizze und eine kursorische Analyse seiner wichtigsten Schriften71. Beide Arbeiten ergänzen sich und vermitteln zusammen das Bild eines Mannes, der vorausschauend die Ausbildung des stehenden Heeres in Osterreich an entscheidender Stelle mitgestaltet und darüber hinaus die theoretischen Grundlagen des Kampfes gegen den türkischen »Erbfeind der Christenheit« fixiert hat.

Verfassungsgeschichtlich angelegte Untersuchungen

Komplementär zur Analyse des Einsatzes des militärischen Instruments im Rahmen ei- nes politischen Konzepts und der Anwendung strategischer und taktisch-operativer Führungsgrundsätze steht die Beurteilung der Organisationsstrukturen. Während die ältere Militär- und Kriegsgeschichtsschreibung sich aus einem vornehmlich traditionsge- netisch bestimmten Interesse heraus besonders mit der Entstehungsgeschichte des »mi- les perpetuus« vor allem in den Territorien der späteren Kontingentsherren beschäftig- te 72, richtete sich das Interesse der modernen Militärgeschichtsschreibung in einer ge- wissen Abhängigkeit von einer gegenwartsbestimmten Erkenntnislage stärker auf die älteren kollektiven Wehrformen, wie etwa das Institut der Landesdefension.

Die Partizipation größerer gesellschaftlicher Gruppen an der staatlichen Exekutive war in einem ständestaatlich organisierten Gemeinwesen intensiver als im absoluten Fürstenstaat. Die nach 1945 und vor dem Hintergrund einer in der Bundesrepublik eingerichteten Repräsentatiwerfassung neubelebte Diskussion um Aufgaben und Rolle

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des Ständetums im dualistischen Territorialstaat schlug sich auch in der militärgeschicht- lichen Forschung nieder73. Gerade die Geschichte der bewaffneten Macht, als des sichtbarsten Ausdrucks fürstlicher Herrschaftsausübung, hatte stets im Zentrum der äl- teren Forschung zum frühmodernen Territorialstaat gestanden. Gerhard Oestreich selbst war mit seinem Aufsatz »Ständetum und Staatsbildung in Deutschland« von ei- ner Polaritätsvorstellung, wie sie etwa noch Fritz Härtung akzentuiert hatte, abge- rückt und hatte in einem chronologisch angelegten dreistufigen Entwicklungsmodell der ständischen Komponente in einer bestimmten Phase des Entwicklungsprozesses zum modernen Staat eine zentrale Rolle eingeräumt74.

Damit rückte die Erforschung des Landesdefensionswesens des 16. Jahrhunderts in das engere Interesse der Forschung75. Winfried Schulze hat mit Recht darauf hingewiesen, daß der »miles perpetuus«, mit dem der Territorialstaat eine wichtige Voraussetzung des absolutistischen Machtstaates schaffte, ohne die früheren Entwicklungsschritte des territorialen Wehrwesens kaum zutreffend eingeordnet werden kann76. Der enge Ne- xus zwischen Staatsverfassung und Heeresverfassung muß also auch für die Phase konstatiert werden, in der Hintze mit Blick auf das Söldnerwesen einseitig konstatiert hatte, daß die »Anfänge der neuzeitlichen Heeresverfassung sich außerhalb der Staats- verfassung« gebildet hätten77. Im Gegensatz dazu vermag Winfried Schulze in ein- drucksvoller Weise die Rolle der Landesdefensionen als gesamtgesellschaftlichen Inte- grationsfaktor zu verdeutlichen. Nicht der Gegensatz zwischen Landesherr und Stän- den, sondern das gemeinsame Zusammenwirken beider zur Abwehr äußerer Gefahren markiert in einem bestimmten Zeitabschnitt das Signum eines Entwicklungsschrittes auf dem Weg zum modernen Staat. Schulze akzentuiert, wenn auch für ein Territori- um, dessen ständige Bedrohung eine konsensfähige kontinuierliche Defension erfor- derlich machte, in einprägsamer Weise die Schlüsselrolle des Kriegswesens für fast alle Lebensbereiche der frühmodernen Gesellschaft78. Einen auf den ersten Blick ähnlichen Gegenstand der verfassungsgeschichtlichen Forschung behandeln die neueren Arbei- ten zum Wehrwesen der Reichskreise. Die gemischten Wehrsysteme aus Söldnern und Ausschüssern, aus denen sich im 17. und 18. Jahrhundert durchgängig die militärischen Kontingente eines Staates formiert hatten, bildeten auch die Grundlage der Kreisar- maturen. Die Ausschußverfassung stand, wenngleich auch nur auf den äußersten Not- fall beschränkt, in einem erkennbaren Zusammenhang mit der älteren Defensionalord- nung. Die Arbeiten, die sich in jüngster Zeit mit der Geschichte des Wehrwesens im fränkischen und schwäbischen Kreis befaßt haben, betonen übereinstimmend die Inte- grationskraft der Heeresverfassung auf die Kriegsverfassung insgesamt79. Während Schulze durch eine — wenn auch nur knappe — Beschreibung der ökonomischen und sozialen Antriebskräfte des Defensionalwesens einen eher strukturgeschichtlichen An- satz zu verwirklichen sucht, bleibt dieser Aspekt bei den Untersuchungen von Peter Christoph Storm und Bernhard Sicken zu den süddeutschen Kreisarmaturen weitgehend ausgeblendet.

Ein stärker verfassungs- und organisationsgeschichtlich orientierter Zugriff vermittelt, wie die Arbeit von Sicken zu zeigen vermag, wichtige Erkenntnisse für den Aufbau, die innere Struktur und schließlich den Nutzen dieses militärischen Instruments. Die quel- lensatte Erörterung des komplizierten Rechts- und Verfassungsgefüges des Wehrwe- sens der Kreise verführt die Autoren dazu, in der Arbeit von Storm über den schwäbi- schen Kreis noch spürbarer als in der Untersuchung von Sicken, der dekretierten Ord- nung bisweilen einen zu hohen Realitätsgehalt beizumessen. Beide Untersuchungen bedürfen somit flankierend einer Darstellung der Leistungsbilanz der Kreiskontingen- te in den Feldzügen von 1664 bis zum Ende des Alten Reiches. Vor allem wäre die Be- antwortung der Frage von Belang, welche Rolle diese Truppenteile im mittelbaren und unmittelbaren Landesschutz gespielt haben. Die Sicherung der Oberrheinfiront*0, das

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Zusammenwirken mit stehenden Truppen der größeren armierten Reichsstände, die immer wieder interessierenden Fragen nach dem Zusammenleben von Truppe und Zi- vilbevölkerung, nach Aushebung, Verabschiedung und Ubertritt harren auch weiterhin einer Bearbeitung81. Selbst in einer thematisch weitgesteckten Darstellung zur Bedeu- tung der Kreisverfassung für die Entwicklung des Verhältnisses von Reichsgewalt und Territorialgewalt, wie sie etwa Adolf Laufs in seiner Arbeit zur Geschichte des Schwä- bischen Kreises im 16. Jahrhundert vorgelegt hat, wird den zahlreichen Bemühungen zur Verteidigung der Reichsgrenzen und zur Sicherung des inneren Friedens breiter Raum gewidmet82.

Dabei liegt jedoch, der übergreifenden Zielsetzung der Arbeit entsprechend, das Ge- wicht der Forschung auf dem Fortgang der Rechtsetzung, nicht aber der praktischen Umsetzung der dekretierten Maßnahmen8 3. Dennoch ist nicht zu übersehen, daß mit den genannten Arbeiten die Erforschung der inneren Strukturen der beiden lebens- kräftigsten Reichskreise ein erhebliches Stück vorangekommen ist. Vergleichbares bleibt für den oberrheinischen und den kurrheinischen Kreis noch zu leisten84. Wenn- gleich auch das bündisch-genossenschaftliche Prinzip in ihnen nicht so stark ausge- prägt gewesen ist wie bei den beiden erstgenannten, so war doch auch der Einfluß eines oder mehrerer armierter Reichsstände nicht so überwältigend, daß es nicht doch zur Ausbildung funktionsfähiger Kreisorgane gekommen wäre. Gerade in Hinblick auf die aktuelle Diskussion über Ausbildung, Führung und Einsatz größerer Truppenkörper in einem multinationalen Bündnis erscheint eine Darstellung der Bemühungen der Stände des Reiches um eine leistungsfähige Kriegsverfassung und eine Geschichte der Kontingente der Reichsarmee nicht ohne Reiz85.

Während die traditionelle deutsche Verfassungsgeschichte der Entwicklung, Rechts- form und Funktion von öffentlichen Einrichtungen breiten Raum widmet, ergänzt die angelsächsische und französische Forschung diesen Ansatz bisweilen durch eine Ana- lyse der daraus resultierenden ökonomischen und sozialen Prozesse. Die Untersu- chungen von Michael Malett und John Haie, etwa zur Wehrverfassung der italienischen Stadtstaaten der Renaissance, sind in dieser Hinsicht vorbildlich86. In ihrer gemeinsam erarbeiteten Studie »The Military Organization of a Renaissance State« vermitteln sie auf breiter Quellenbasis eine überaus verdichtete Darstellung der gegenseitigen Be- dingtheit von ökonomischem Aufstieg, technologischem Wandel und den auf dieser Grundlage mit militärischen Mitteln betriebenen außenpolitischen Aktivitäten der Re- publik Venedig87. Der weitläufig abgesteckte Untersuchungszeitraum erlaubt zudem, das Wechselspiel treibender und bremsender Kräfte besonders einprägsam vorzustel- len. Eine über einen längeren Zeitraum betriebene Gesamtschau beinhaltet aber auch stets die Gefahr von Ungleichgewichtigkeit in der Darstellung. Die beiden Autoren, die sicherlich als die kompetentesten Kenner des europäischen Wehrwesens der Re- naissance anzusehen sind, vermochten sich durch den lebendigen Wechsel von chrono- logisch-deskriptiven und strukturell-analytischen Teilen diesem Dilemma zu entzie- hen88. Damit verwendeten sie ein fruchtbares Gestaltungsprinzip moderner Ge- schichtsschreibung. Nicht allein die Erforschung der bewaffneten Macht und ihrer Strukturen, sondern ihre Entwicklung im Kontext staatlicher Machtpolitik nach innen und außen markieren die zentrale Aufgabe der militärgeschichtlichen Forschung. Das bedeutet die Abkehr vom Konzept einer geschlossenen Spezialwissenschaft und den Versuch einer Integration durch die Beschreibung der gegenseitigen Bedingtheit, Rückwirkung und Anstoß von allgemein gesellschaftlichen und spezifisch militäri- schen Strukturen. Gerade in seinen jüngsten Untersuchungen hat J. R. Haie diese Pro- blematik in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt. So verdanken die frühmodernen Massenheere ihre Entstehung zunächst dem demographischen Aufschwung in West- 155 und Mitteleuropa, waren ihre Ausrüstung und Versorgung erst unter den Bedingungen

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weiträumiger Handelsbeziehungen und der entsprechenden Formen des Geldverkehrs möglich. Ebenso stehen auch die Auswirkungen des technischen Fortschritts in einer engen Beziehung zu den gleichzeitig erfolgenden taktisch-operativen Evolutionen im Heerwesen. Der Autor geht aber noch einen Schritt weiter, wenn er die Rückwirkun- gen technischer und institutioneller Veränderungen auf die allgemeine Einstellung breiter Bevölkerungskreise zum Krieg untersucht"9. Diese Hypothesen werden von J. R. Haie immer wieder diskutiert, sie stehen auch im Mittelpunkt einer Sammlung seiner wichtigsten Aufsätze. Die einzelnen Beiträge, zum Teil an abgelegener Stelle publiziert, spiegeln eindrucksvoll die ganze Breite wissenschaftlicher Forschung des englischen Gelehrten wieder.

Verfassungsgeschichtlich besonders reizvoll stellt sich die Erforschung der wechselsei- tigen Bedingtheit ziviler und militärischer Verwaltungseinrichtungen im Entstehungs- prozeß des frühmodernen Staates dar. Auf diesem Sektor hat vor allem die französi- sche Militärgeschichtsschreibung seit Beginn dieses Jahrhunderts Pionierarbeit gelei- stet90. In den letzten Jahrzehnten ist diese Tradition zugunsten stärker sozialgeschicht- lich ausgerichteter Problemstellungen zumindest im akademischen Forschungsspek- trum vernachlässigt worden. In jüngster Zeit haben vor allem junge amerikanische For- scher die auf diesem Sektor noch bestehenden Lücken entdeckt und zu schließen ge- sucht91. Douglas Clark Baxter unternahm in diesem Zusammenhang den Versuch, das Institut der Armeeintendanten zwischen 1630—1670 zu untersuchen92. Seine Arbeit bietet zwar eine eindringende Beschäftigung mit den spezifischen Kriterien ihrer Er- richtung und ihren Attributen, stößt aber nicht eigentlich zum Kern des Verhältnisses von maires de requetes, Provinzintendanten, commissaires des guerres und Armeein- tendanten vor. So werden Fragen der sozialen Karriere sowie der Ämterkumulation im zivilen und militärischen Bereich weitgehend ausgeblendet. Aber gerade in dieser Ver- schränkung liegt der Reiz moderner Militärgeschichtsschreibung, deren vornehmliche Aufgabe darin bestehen muß, kenntlich zu machen, in welchem Umfang die Entwick- lung der bewaffneten Macht Motor oder Ergebnis eines gesamtgesellschaftlichen Ent- wicklungsprozesses gewesen ist. Eine in dieser Richtung interessante Studie lieferte

Claude Sturgill, der die Bedeutung der marechaussee untersucht, die in ihrer Aufga- benstellung durch die Verbindung polizeilicher Tätigkeit im militärischen und zivilen Bereich den geradezu exemplarischen Fall einer Rückkoppelung primär militärischer Strukturelemente auf den zivilen Sektor dokumentiert, die noch heute in der Organi- sation der französischen Gendarmerie spürbar sind93. Militärische Organisationsstruk- turen mit erheblichen Rückwirkungen auf die zivile Gesellschaft der Zeit lassen sich auch an der Entwicklungsgeschichte der Miliz in Frankreich ablesen, deren militäri- scher Wert, abgesehen vom unmittelbaren Küstenschutz (milices gardes cötes), gering war9 4 und in keinem Verhältnis zu den innenpolitischen Spannungen stand, die das Losverfahren bei der Aushebung (tirage au sort) provozierte. Die Untersuchung, die Sturgill als Beitrag zur Entstehungsgeschichte der regulären Miliz in Frankreich vorge- legt hat, verwertet eine Fülle regionaler Quellen zur Organisation und sozialen Kom- position der Provinzialmilizen, bleibt aber durch die zeitliche Begrenzung der Darstel- lung und die undifferenzierte Verwendung des Materials, wodurch die erheblichen Strukturunterschiede zwischen den einzelnen Landschaften nicht immer angemessen berücksichtigt werden können, hinter älteren Arbeiten zu diesem Thema zurück95.

Das Militär als Gegenstand der landesgeschichtlichen Forschung

Geht man davon aus, daß in den einzelnen Territorien des Alten Reiches eine Fülle un- terschiedlicher Wehrformen entstanden sind, dann liegt der Reiz einer deutschen Mili-

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tärgeschichte der frühen Neuzeit gerade in dieser Vielfalt begründet. Während das In- teresse der älteren Kriegsgeschichte vornehmlich auf den traditionsgenetischen Zu- sammenhang zwischen dem Wehrwesen der armierten Reichsstände und den Kontin- genten des Reichsheeres nach 1870 gerichtet war96, liegt der Schwerpunkt der neueren Forschung stärker auf dem Sektor der Verteidigungsanstrengungen der Kreise und der kleineren Reichsstände.

Dennoch ist das Interesse an populärwissenschaftlichen Darstellungen, etwa zur Ge- schichte der preußischen oder österreichischen Armee, ungebrochen. In dem unver- kennbar starken Traditionsbezug der Armeen beider deutschen Staaten zur Geschichte des preußischen Wehrwesens wirkt die historische Gleichsetzung, wie sie sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur im Begriff der »preußisch-deutschen Armee« ma- nifestierte, fort9 7. Komplementär dazu sucht die Armee der österreichischen Republik ihren historischen Standort in der Geschichte der bewaffneten Macht des österreichi- schen Kaisertums, wobei die genealogische Verknüpfung ohne Mühe bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges zurückverfolgt wird98. Da Tradition sich stets eine stärke- re Bindung zur Emotion als zur historischen Rekonstruktion bewahrt hat, konnte der Preußenkönig Friedrich der Große aus Anlaß seines zweihundertsten Todestages durchaus als »gesamtdeutscher Monarch« gewürdigt werden, während gleichzeitig der zweihundertfünfzigste Todestag des Reichsgeneralfeldmarschalls Prinz Eugen von Savoyen außerhalb der Grenzen Österreichs kaum Beachtung fand9 9.

Eine der jüngsten Untersuchungen zur Geschichte der preußischen Armee unter Fried- rich dem Großen stammt aus der Feder des englischen Historikers Christopher Du ffy;

der damit das besondere Interesse gerade der angelsächsischen Forschung am Preu- ßenkönig erneut unter Beweis stellte100: Seine Darstellung, für das englische Publikum geschrieben, kann dem deutschen Leser kaum mehr liefern, als er dem Standardwerk von Curt Jany nicht auch entnehmen könnte. Dennoch ist seine Darstellung nicht ohne Wert, da die umfangreiche Arbeit von Jany nur schwer verfügbar ist, die Darstellung von Duffy komprimierter und sprachlich gefällig dargeboten wird. Weitaus ergiebiger als dieses Bändchen bietet sich die von demselben Verfasser jüngst veröffentlichte Friedrichbiographie dar. Diese ausdrücklich militärgeschichtlich angelegte Lebensbe- schreibung interpretiert in ausgewogener Form die Entwicklung der Feldherrnpersön- lichkeit des Königs im Kontext der Geschichte des europäischen Wehrwesens des 18. Jahrhunderts101.

Während eine Darstellung der bewaffneten Macht der armierten Reichsstände stets auch in eine Beschreibung der europäischen Konflikte der Frühen Neuzeit einmündet, spiegelt die Entwicklungsgeschichte des Wehrwesens in den mittleren Territorien des Reiches vornehmlich die landesgeschichtlich bedeutsame strukturelle Vielfalt des Alten Reiches wider. Entsprechend unterschiedlich sind denn auch die methodischen Ansät- ze der zu diesem Thema entstandenen Arbeiten geraten. Dabei ist zu beobachten, daß die ältere Tradition einer stärker organisations- und kriegsgeschichtlich ausgerichteten Forschung gerade bei der Beschreibung des Militärwesens der kleineren Reichsstände, deren bewaffnete Macht als bedeutender Faktor der internationalen Beziehungen nicht in Erscheinung trat, deren Truppen auch kaum schlachtentscheidend gewesen sind, noch immer dominiert102. Nur selten gelingt in neueren Untersuchungen der Durchbruch von der binnenbezogenen organisationsgeschichtlichen Betrachtung zu einer übergreifenden Einordnung der militärischen Macht in die verfassungsgeschicht- liche Entwicklung eines Territoriums. Nur auf diesem Weg ist die eigentliche Aufgabe einer landesgeschichtlich orientierten Militärgeschichtsschreibung zu bewältigen. Ge- rade auf dem eng begrenzten Raum eines kleineren Territoriums läßt sich von der Menge des zu bewältigenden Quellenmaterials her der Einfluß des Militärs auf die Ge- samtheit der Lebensbereiche anschaulich und umfassend darstellen. Eine derartige

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Zielsetzung verhindert zudem, daß eine Untersuchung des territorialen Wehrwesens auf der Ebene einer antiquarisch-liebevollen Anekdotensammlung stehenbleibt, wie das etwa bei der Arbeit von Christian Madaus zur Geschichte der Militärverfassung Mecklenburgs zwischen 1700 und 1871 der Fall ist103. Als vorbildlich im Sinne eines in- tegrierten verfassungs- und sozialgeschichtlich orientierten Ansatzes hat die Disserta- tion von Günter Knüppel über das Heereswesen von Schleswig-Holstein-Gottorf zu gelten m. Ausgehend von der geopolitischen Lage des Fürstentums Gottorf und seiner Stellung in der Defensionalverfassung der H e r z o g t ü m e r Schleswig und Holstein dringt der Verfasser zu einer umfassenden Beschreibung des »Kriegs-Staates« vor. Er vermag anschaulich nachzuweisen, »wie gerade das ständige Verfügbarmachen von Menschen und Sachwerten f ü r Verteidigungszwecke die staatliche Integration des Fürstentums vorantrieb«1 0 5. Gerhard Oestreich hat in seinem Aufsatz »Die Heeresver- fassung der deutschen Territorien von 1500—1800« dieser und anderen Untersuchun- gen den methodischen W e g gewiesen106. D e r von ihm gewählte diachronische Ansatz, der die Entwicklung der Heeresverfassung in den Territorien dem Periodisierungs- konzept der Verfassungsgeschichte entsprechend in drei Stufen analysiert, vermag in- des als komparatistischer Zugriff kaum zu befriedigen, da er Unvergleichbares ver- gleicht. Richtiger wäre es, und hierin liegt eine wichtige Aufgabe der modernen Mili- tärgeschichtsschreibung, die Entwicklung in den Territorien zu untersuchen, die auf- grund ihres politischen Gewichtes, ihrer inneren Verfaßtheit und ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit als vergleichbar anzusehen sind. In einem derartigen Gliederungs- konzept stünden an erster Stelle die großen armierten Reichsstände, ihnen hätten die mittleren armierten Territorien zu folgen, schließlich die kleineren nichtarmierten Stände, die Reichsritterschaften und die Städte. Vergleichende Darstellungen der Kreisdefensionalverfassungen wären noch ergänzend zu nennen.

Das Problem liegt zweifellos nicht nur in den stark divergierenden methodischen Z u - griffen und der höchst unterschiedlichen Qualität der vorliegenden Arbeiten, sondern auch in der unterschiedlichen Dichte der bisherigen Forschungen, die eine reichsweite Betrachtung noch nicht erlauben.

Gerade am Beispiel der städtischen Wehrverfassungen und ihrer Einrichtungen lassen sich fruchtbare Forschungsansätze, die über die Beschreibung unmittelbar kriegeri- schen Geschehens oder die Betrachtung militärisch-technischer Einrichtungen hinaus- gehen, realisieren. So wäre etwa nach den Spannungen im Zusammenleben von Mili- tär- und Zivilbevölkerung auf engstem Raum in Friedens- und Spannungszeiten eben- so zu fragen wie nach der Kostendeckung aufwendiger Befestigungsanlagen oder der Aushebung, Ausbildung und Leistungsfähigkeit des Bürgermilitärs. D e r Katalog der in diesem Zusammenhang zu behandelnden Gegenstände läßt sich zweifellos noch er- heblich erweitern. D e r W e r t entsprechender Untersuchungen liegt aber nicht nur in der lokalgeschichtlich bedeutsamen Analyse der innerstädtischen Verhältnisse, son- dern muß stets auch vor dem Hintergrund der Zustände in anderen Städten oder des Heerwesens des umliegenden Territoriums insgesamt betrachtet werden. N u r in dieser Zusammenschau erhalten die Verteidigungsanstrengungen eines städtischen Gemein- wesens Konturen, lassen sich charakteristische Erscheinungsformen und Sonderent- wicklungen festmachen, ist schließlich die Bedeutung und Leistungskraft städtischer Wehreinrichtungen zutreffend zu beurteilen.

Eine in dieser Richtung vorbildliche Arbeit liegt jetzt mit der Dissertation von Jürgen Kraus über das Militärwesen der Reichstadt Augsburg zwischen 1548 und 1806 vor1 0 7. Kraus entwickelt die stärker verfassungsgeschichtlich ausgerichteten Ansätze, wie sie etwa bei Hahlweg oder Ehlers108 anzutreffen sind, in Richtung auf eine Wirkungsge- schichte der Dienstpflicht auf die städtische Sozialverfassung weiter. Seiner Darstel- lung der militärischen Leistungen Augsburgs für den Schwäbischen Kreis kommt inso-

Referenzen

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