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Technik und Protest – zumWandel von Formen undMedien der Partizipation

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FORSCHUNGSJOURNAL SOZIALE BEWEGUNGEN 27. Jg. 4|2014

Editorial

Technik und Protest – zum Wandel von Formen und Medien der Partizipation

die Politisierung des Technikthemas dazu führ- te, dass sich zwei unversöhnliche Lager gegen- über standen – die Technikkritiker und die Technikaffinen –, scheint sich in jüngerer Zeit eher eine Annäherung abzuzeichnen, die um eine partizipative, nachhaltige Technikentwick- lung kreist.

In engem Zusammenhang stehen diese Ent- wicklungen mit den neuen Möglichkeiten in- ternet-gebundener Kommunikationsformen.

Zwar lässt sich insgesamt ein Anwachsen von Partizipationswünschen besorgter und kriti- scher Bürgerinnen und Bürger beobachten.

Doch gibt es durchaus auch kritische Stim- men von staatlicher Seite, die die dann entste- henden Proteste als eine Form der unberech- tigten Einflussnahme ansehen („uneingelade- ner Protest“). Dabei wird die Kommunikati- onstechnik zum Medium von Protestbewegun- gen (zu neuen Formen des digitalen Protestes siehe Kleger/Makswitat in der Aktuellen Ana- lyse; zum Hacker als Protestakteur im Netz siehe Hempel). Allerdings ist weitgehend un- klar, inwieweit die neuen sozialen Medien und generell die Internet- und Kommunikationstech- nologien auch zu einer Reorganisation sozia- ler Beziehungen und einer Aktivierung von AktivistInnen beitragen. Kollaborative Wissens- produktion und interaktive Protestkoordinati- on verändern sich und erhalten auf diese Wei- se ein ganz neues Format. Zu beobachten ist die kollaborative Erstellung von Wissensplatt- formen und Themenforen (Stegbauer/ Jäckel 2008) und die epidemische Entstehung und Verbreitung zivilgesellschaftlicher Subjektivität, sozio-politischer Interaktion und politischer Mobilisierung zu neuen und auch neuartig organisierten Gemeinschaften (Shirky 2009).

Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass kritische Gruppen zunehmend in die Technik- entwicklung einbezogen werden. Dabei haben die Entwickler vor allem die Verbesserung ih- rer Produkte bzw. die Antizipation erwartba- rer Akzeptanzprobleme vor Augen. Den Grup- pen, die sich einbeziehen lassen, geht es um Mitgestaltung und Einflussnahme. Mit der Etablierung des Leitbilds einer „Responsible Stromtrassen, Bahnhöfe oder Videokameras:

Proteste gegen Infrastruktur- und Technologie- projekte haben Konjunktur. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit lösen große Energie- und Verkehrsprojekte Protest aus, vor allem dann, wenn die Planung ohne Zustim- mung der im unmittelbaren Umfeld lebenden Bevölkerung und/oder ohne die Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards geplant werden.

Im Unterschied zu den Alternativ- und Pro- testbewegungen der 1980er und 1990er Jahre sind bei den aktuellen Protesten gegen Infra- strukturprojekte häufig professionelle Fachleute und engagierte Laien eingebunden, die nicht in eine vorindustrielle Welt zurückstreben, son- dern an alternativen Plänen einer durchweg ebenfalls auf moderne Techniken gestützten Zukunft mitentscheiden wollen. Das Verhält- nis von Technik und sozialen Bewegungen scheint also in den vergangenen Jahren wieder neu in Bewegung geraten zu sein. Dass sich hier die Gewichte verschieben, machen auch wissenschaftliche Arbeiten deutlich, die als Re- flexionen dieser Entwicklungen in der aktuel- len Technikdebatte und -forschung zunehmend bedeutsamer werden.

Nun zeigt der Blick in die Geschichte, dass die Technikentwicklung sehr häufig von ge- sellschaftlichen Gruppen kritisch begleitet wurde (Maschinenstürmer, Proteste gegen den Eisenbahnbau, gegen Atomanlagen – um nur einige der unzähligen Beispiele zu nennen). Was die Proteste gegen Technik eint, so fasst es Ohne-Reinicke in ihrem Beitrag zusammen, ist die Ähnlichkeit ihrer sozio-strukturellen Zusam- mensetzung: Es handelt sich überwiegend um Angehörige der Mittelschicht. Eine Ursache dafür mag darin liegen, dass es für diese Form der Auseinandersetzung bestimmter Fähigkei- ten bedarf, d.h. die Akteure brauchen ein ge- wisses Maß an Ressourcen, Bildung und Selbst- bewusstsein. Während in den 1970er Jahren

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Editorial

Innovation“ hat sich die Europäische Kommis- sion im neuen Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 einer Ausweitung von Partizi- pation grundsätzlich verschrieben (vgl. zum Leitbild Responsible Innovation: Schomberg 2013). Als Ziel wird anvisiert, für weitreichen- de technologie- und innovationspolitische Ent- scheidungen zivilgesellschaftliche Akteure zu mobilisieren, um die Effektivität wie Legitimi- tät solcher Entscheidungen zu steigern. Ist das aber für zivilgesellschaftliche Akteure attrak- tiv? Und was sind die Schattenseiten einer par- tizipativen Technikentwicklung? Nehmen wir den Kritiker_innen nicht frühzeitig den Wind aus den Segeln (siehe dazu auch den Beitrag von Sternstein in der Aktuellen Analyse)?

Auffällig ist zumindest, dass sich längst nicht alle Gruppen für diese Form des Einbezugs begeistern lassen. Dies betrifft gerade die kri- tischen Proteste, von denen zum Teil sehr weit reichende Impulse für Veränderungen ausge- hen. Und diese Proteste sind im deutschspra- chigen Raum nur vereinzelt Gegenstand sozi- alwissenschaftlicher Forschung (Walk 2011).

Dabei sind gerade diese flüchtigen Formen selbstorganisierter Politik, ihre Bedingungen und Dynamiken, nicht leicht zu verstehen und nur schwer integrierbar in Technikentwicklungs- programme. Die Organisation von Protesten bleibt informell und von außen schwer einseh- bar; die Effekte sind schwer zu isolieren und abzuschätzen.

Viele Protestgruppen fühlen sich instrumen- talisiert und das nicht ohne Grund: Am Bei- spiel der Nanotechnologie zeigt Wullweber in seinem Beitrag, dass die Einführung der Nano- technologie von den Protagonisten sehr strate- gisch vorbereitet und unter Einbezug der Öf- fentlichkeit erfolgreich als eine Technologie kommuniziert wurde, die positive Auswirkun- gen für Mensch und Gesellschaft hat. Durch die Integration von kritischen Akteuren, die wenige Jahre vorher im Gentechnik-Diskurs Teil des Widerstands waren, wurde die Bildung eines ähnlich antagonistischen Lagers in Be- zug auf die Nanotechnologie erfolgreich ver- hindert: Von Anfang an wurde ein intensiver

Dialog mit der Öffentlichkeit gesucht, bei dem es allerdings nicht um die Frage ging, ob die Nanotechnologie kommen wird, sondern nur darum, wie die Nanotechnologieentwicklung ausgestaltet werden soll.

Dieses Beispiel einer erfolgreichen partizi- pativen Technikentwicklung verdeutlicht, dass auch kritische Gruppen zunehmend in Tech- nikentwicklungsprozesse einbezogen werden, um die Ergebnisse zu verbessern bzw. erwart- baren Akzeptanzproblemen zuvorzukommen.

In vielen Ländern werden seit einigen Jahren große Beträge in partizipative Forschungspro- jekte investiert. Gleichzeitig wird die Einladung zur Partizipation („eingeladener Protest“) von den Angesprochenen selbst nicht angenommen (man beachte nur die vielen Verfahren zur par- tizipativen Technikfolgenabschätzung (TA), welche sich schwer tun, Partizipanten zu rek- rutieren).

Dabei werfen Autor_innen dieses Bandes einen Blick auf unterschiedliche Phasen wis- senschaftlich-technologischer Entwicklungen, in denen Partizipation eine Rolle spielt. Zum ei- nen zeigen sich Ansätze zur Partizipation in Forschungsprozessen. Solche Optionen erlau- ben in neuer Weise die Inklusion von Protest und werden entsprechend grundsätzlich aufge- schlossen von Akteuren der Zivilgesellschaft betrachtet. Dennoch kann die Frage nach Form und Bedeutung von Partizipation zivilgesell- schaftlicher Akteure in Forschungsprozessen nicht eindeutig beantwortet werden. So viel steht zumindest fest: Es bedarf eines differen- zierten Blicks auf die Randbedingungen, un- ter denen zivilgesellschaftlichen Akteuren Par- tizipation als attraktive Option zur Inklusion von Protest erscheint (vgl. die Beiträge von Bogner sowie Böschen/Pfersdorf in diesem Band).

Zum anderen gibt es Formen der Partizipa- tion, welche zu Zeitpunkten technologischer Entwicklung ansetzen, zu denen schon längst politische Frontstellungen entstanden sind.

Welche Verbindlichkeiten benötigen Entschei- dungsverfahren bzgl. der Aufnahme von Kri- tik? Verändern sich – und wenn ja, in welcher

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Weise – durch Protestmobilisierung die gesell- schaftlichen Koordinaten der Innovation und des Entscheidens? In diesem Band diskutieren Bornemann/Saretzki am Beispiel des Fracking ein Verfahren zur Inklusion zivilgesellschaftli- cher Akteure und bewerten es hinsichtlich sei- ner demokratiepolitischen Bedeutung.

Besonders extrem sind die Frontstellungen im Fall nuklearer Entsorgung, weshalb hier die Partizipation der Anti-AKW-Bewegung in ei- nem „eingeladenen Verfahren“ selbst zu einer Zerreißprobe für den Zusammenhalt der zivil- gesellschaftlichen Akteure wird (vgl. den Bei- trag von Brunnengräber/Hocke in diesem Band). Beide Arbeiten zeigen, wie bedeutsam die demokratiepolitisch eindeutige Positionie- rung solcher partizipativer Verfahren in poli- tisch hoch umstrittenen Entwicklungsprozes- sen ist.

Verändern sich durch sozio-technologischen Wandel die Konstitutionsbedingungen von so-

zialen Bewegungen? Diese Frage scheint ganz zugespitzt im Kontext neuer Möglichkeiten technologischer Überwachung auf. Technische Entwicklungen sind zumal im Computerzeital- ter auch immer verbunden mit Neuerungen und nicht zuletzt mit einer Kapazitäts- und Leistungssteigerung bei den Möglichkeiten der Erfassung, Speicherung und Verarbeitung von Daten, kurz: mit technikgestützter Überwa- chung und Kontrolle (Deleuze 1993; Garland 2002; Hempel/Töpfer 2009; Stolle/Singeln- stein 2008). Aktuelle Debatten in diesem The- menfeld (Stichwort NSA-Skandal, Edward Snowden) legen beredtes Zeugnis von der Bri- sanz und Relevanz der Überwachungspotenzi- ale für die allgemeine gesellschaftliche Entwick- lung ab. Dabei ist es höchst überraschend, dass einer der größten Überwachungsskandale der Gegenwart, die durch den Whistleblower Ed- ward Snowden ausgelöste Enthüllung von Überwachungsmaßnahmen des US-Geheim-

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