Lösungshinweise zur
Abschlussklausur im Arbeitsrecht vom 9. Februar 2004
Frage 1 : Begründetheit der Kündigungsschutzklage
KSch-Klage begründet, wenn wirksames AV nicht durch Erklärung vom 23.12.2004 be- endet
Anmerkung:
~ Bereits an dieser Stelle wurden viele Fehler gemacht, indem entweder gar kein oder nur ein falscher Obersatz gebildet wurde.
I) Auslegung der Erklärung: Anfechtung, da dies für AG am günstigsten
- aA innerhalb Auslegung vertretbar, zB mit Argument, dass er nur das erklären wollte, was letztlich auch wirksam wäre; dann Inzidentprüfung der Wirksamkeit der Anfechtung.
- aA einfach Auslegung in Richtung aoK kaum vertretbar, falls aber doch, dann P ob Umdeutung von aok in Anfechtung mögl. (hM (-)).
? jedenfalls soll ein Gutachten verfasst werden, dh. Stellungnahme zu allen P des SV Anmerkung:
~ Auslegung wurde von den meisten Bearbeitern nicht vorgenommen und wenn es einmal geschah, dann mit falschen Argumenten, was trotz uU richtigem Ergebnis Punktverlust bedeutet.
II) Anfechtung:
Wirkung beim Arbeitsverhältnis zwar idR ex nunc, aber trotzdem auch neben Kündi- gung möglich; Begr.: 119 ff. schützen Willensbildungsfreiheit bei Vertragsschluss, Kündigung dagegen will AV, das aufgrund fehlerfreier Willensbildung eingegangen wurde, für die Zukunft beenden1) Erklärung nach § 143 I BGB (vgl. I.) 2) Anfechtungsgrund:
a) Eigenschaftsirrtum gem. § 119 II BGB (+) b) arglistige Täuschung gem. § 123 I BGB (+)
c) Anfechtungsgründe erloschen, weil A drei Jahre lang fehlerfrei gearbeitet hat?
aa) 1.M.: Einschränkung durch § 242 BGB
bb) 2.M.: teleologische Einschränkung des § 123 I BGB
cc) Ergebnis: jedenfalls kein Anfechtungsgrund (Begründung egal)
Anmerkung:
~ Auf die Anfechtung gab es nicht viele Punkte, da Kenntnisse im allgemeinen Teil schlicht als selbstver- ständlich vorausgesetzt werden. Dennoch sind Fehler gerade hier schmerzlich. Auch haben sich viele Bearbeiter durch endlose Ausführungen unnötig in zeitliche Bedrängnis gebracht.
~ Die Einschränkung des Anfechtungsrechts wurde nur von wenigen Bearbeitern diskutiert. Wenn sie ü- berhaupt einmal gesehen wurde, so wurde nahezu durchgängig einfach festgestellt, dass das Ergebnis
einer wirksamen Anfechtung nicht passe und korrigiert werden müsse. Dies zeugt lediglich von gutem Rechtsgefühl und Problembewusstsein, stellt aber noch keine verwertbare juristische Leistung dar!
~ Eine analoge Anwendung der Frist des § 626 II 1 BGB anstatt § 124 BGB ist nicht vertretbar. Diese Wertung kann allenfalls i.R.d. § 121 BGB herangezogen werden.
III) Außerordentliche Kündigung 1) Umdeutung gem. § 140 BGB
Anmerkung:
~ Viele Bearbeiter haben nicht oder nur teilweise Ausführungen gemacht, wie sie von der Anfechtung zur aoK zur oK oder umgekehrt gelangt sind.
~ Auch an dieser Stelle zeigt sich, dass es äußerst ungünstig war, die Willenserklärung des B direkt als außerordentliche Kündigung zu verstehen. In diesem Fall entsteht nämlich die Schwierigkeit, überhaupt zur Anfechtung zu gelangen, da eine Umdeutung von der aoK zur Anfechtung nach ganz hM ausge- schlossen ist.
~ Ebenso ist eine nochmalige Auslegung an dieser Stelle falsch, da eine Willenserklärung nicht als aoK und als Anfechtung ausgelegt werden kann.
2) Schriftlichkeit der Erklärung gem. §§ 623, 126 I BGB
3) Die Vermutungswirkung der §§ 13 I 2, 4 S. 1, 7 KSchG greift mangels Ablauf der 3-Wochen-Frist nicht ein.
4) wichtiger Grund:
a) abstrakt wichtiger Grund
aa) dauernde Verspätungen als Störung im Leistungsverhältnis (+) bb) arglistige Täuschung als Störung im Vertrauensverhältnis? (+) b) konkret wichtiger Grund
aa) bzgl. Verspätungen: Argumentation:
- notorische Störung
- Kinder und häusliche Situation als Grund egal
Anmerkung:
~ Allenfalls hätte geprüft werden können, ob dies zu Sonderurlaub gem. § 616 BGB geführt hätte, so daß keine Arbeitspflichtverletzung durch das Zuspätkommen gegeben ist. Dieser Schluß hätte aber richtigerweise i.R.d. abstrakt wichtigen Grundes gezogen werden müssen.
- aber Unterhaltspflichten
Anmerkung:
~ An diesem Prüfungspunkt litten fast alle Arbeiten an erheblichen Mängeln; beachten Sie daher:
~ Der Schwerpunkt nicht nur der meisten kündigungsrechtlichen Entscheidungen, sondern auch Klausuren, liegt idR bei der Prüfung des Kündigungsgrundes. Fehler und/oder Ungenauigkeiten
~ Die meisten Arbeiten haben nicht zutreffend zwischen abstrakt und konkret wichtigem Grund un- terschieden. Aber selbst wenn es geschah, so wurde zwar oftmals die Begrifflichkeiten richtig ge- bracht, doch die Prüfungspunkte selbst wurde wieder vermengt.
bb) bzgl. Täuschung: hier (-), da hier gleicher Grund wie bei Anfechtung; dort aber Grund erloschen, so dass hier gleiches gelten muss;
wenn aA:- Tätigkeit in Vertrauensposition?
- hat nie Fehler gemacht
- Zukunftsprognose: lässt keine weiteren derartigen Vertragsstörungen erwarten
5) Unzumutbarkeit der Beschäftigung bis Ende oK-Frist: wohl (-), weil ständiges Zuspätkommen bisher auch geduldet wurde und nicht ersichtlich, dass für Betrieb oder betrieblichen Ablauf übermäßig belastende Störung
Anmerkung:
~ Einige Bearbeiter ließen die Kündigung daran scheitern, dass der Betriebsrat nicht angehört wur- de. Dabei verkennen Sie, dass laut Sachverhalt kein Betriebsrat existiert. Wird ein solcher im Sach- verhalt nicht erwähnt, so ist davon auszugehen, dass er nicht gebildet wurde, denn die Bildung eines Betriebsrats ist fakultativ.
~ Das Bejahen einer aoK an sich wurde nicht als schwerwiegender Fehler gewertet, sofern eine ü- berzeugende Argumentation dargeboten wurde, an der es idR mangelte. Jedenfalls hätten die Bear- beiter beim konkret wichtigen Grund die Abmahnungsproblematik (s.u. IV. 5.) prüfen müssen.
IV) Ordentliche Kündigung 1) Umdeutung gem. § 140 BGB
2) Schriftform gem. §§ 623, 126 I BGB
3) Eingreifen des KSchG (§§ 23 I 2, 1 I KSchG)
Anmerkung:
~ Viele Bearbeiter haben die Sozialwidrigkeit der Kündigung bei der außerordentlichen Kündigung ge- prüft; das stellt einen äußerst schweren Fehler dar, da Sie so zeigen, dass Ihnen die Systematik des Kündigungsschutzes nicht vertraut ist.
4) oK-Grund: verhaltensbedingter Grund (+) a) bzgl. Zuspätkommen (+)
b) bzgl. Täuschung (-), vgl. oben 5) Ultima-ratio-Prinzip: Abmahnung
? P: Vorarbeiter abmahnungsberechtigt? (+), da abmahnungsberechtigt grs. jeder wei- sungsbefugte Vorgesetzte ist
Anmerkung:
- Dieser Punkt wurde von vielen Bearbeitern nicht gesehen und von den anderen, nur unzureichend be- arbeitet.
6) Interessenabwägung: Argumentation!!!
a) für Weiterbeschäftigung: zB:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit - Unterhaltspflichten
b) für Kündigung:
- Beharrlichkeit des Zuspätkommens - evtl. Auswirkungen auf Betrieb
7) P: Kündigung zur Unzeit: Einschränkung gem. § 242 BGB oä (-)
Anmerkung:
~ Wurde von keinem Bearbeiter gesehen, dabei sticht eine Kündigung an Heiligabend doch ins Auge.
8) Frist gem. § 4 S. 1 KSchG
a) anwendbar gem. §§ 23 I 2, 1 I KSchG
b) P: Rechtsnatur der Frist; jedenfalls egal, weil Frist eingehalten
Anmerkung:
~ Einzig an dieser Stelle hätte das KSchG auch iRd aoK geprüft werden können (und müssen).
~ Zur Rechtsnatur der Frist: str. ob prozessual (da auch Zusammenhang zu § 5 KSchG prozessualen Charakter zeige) oder materiell (da Wirkung nach § 7 KSchG rein materiell-rechtlichen Wirkung).
~ Bei Prüfung iRd aoK musste (nicht mehr nach neuem Recht) idR noch erörtert werden, ob § 1 I KSchG Voraussetzung für die Anwendung von § 13 KSchG ist.
9) Kündigungsfrist: Ende gem. § 622 II 1 Nr. 1 BGB 31.1.2004; daher entsprechende Umdeutung
V) Ergebnis: AV durch Erklärung vom 23.12.2004 erst zum 31.01.2004 beendet, dh Klage teilweise begründet
Frage 2 : Weihnachtsgratifikation
I) einzige Anspruchsgrundlage: Gleichbehandlungsgrundsatz
Anmerkung:
~ Arbeitsvertrag oder betriebl. Übung als Anspruchsgrundlage scheiden hier so offensichtlich aus, dass längere Ausführungen überflüssig sind.
~ Kurze (!!!) Herleitung des Gleichbehandlungsgrundsatzes wäre schön gewesen, zB: „Zwar ist die Rechtsgrundlage des Gleichbehandlungsgrundsatzes umstritten (Art. 3 GG direkt oder analog, Ausfluss des arbeitsrechtlichen Fürsorgeprinzips oder allgemeiner arbeitsrechtlicher Grundsatz), doch sind seine
1) Anwendungsbereich
a) Maßnahme, die einseitiger Gestaltungsmacht des Arbeitgebers unterfällt: (+) b) Maßnahme wurde nach abstrakt generalisierenden Regeln getroffen
Anmerkung:
~ Die meisten Arbeiten haben als Voraussetzung für den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrund- satz schlicht festgelegt: „Greift ein, wenn der Arbeitgeber Gleiches gleich und Ungleiches ungleich be- handelt.“ Das ist aber zu pauschal. Hier fehlt nicht nur die Feststellung, dass eine Ungleichbehandlung mit sachlichem Differenzierungsgrund erlaubt ist, sondern vielmehr wird verkannt, dass im Rahmen der Privatautonomie der Arbeitgeber ja gerade grundsätzlich seine Arbeitnehmer unterschiedlich be- handeln darf und die Gleichbehandlung nur in einem eng begrenzten Spektrum die Ausnahme bleiben muss. Daher waren Fehler hier äußerst schwerwiegend.
2) Ungleichbehandlung einer vergleichbaren Gruppe von Arbeitnehmern
3) kein sachlicher Grund für Ungleichbehandlung: Ungleichbehandlung aufgrund Kün- digung gerechtfertigt? (-)
- Kündigung zum einen erst zum 31.1.2004 wirksam, dh A im Jahr 2003 noch ganz normal AN
- iÜ aus Rechtsnatur von Weihnachtsgeld: sofern nichts weiter angegeben, haben Gratifikationen Entgeltcharakter (wohl nicht Treueprämie oder Zuwendung für er- höhte Ausgaben an Weihnachten); da aber A das ganze Jahr gearbeitet hat, hat er auch einen Anspruch auf die Gratifikation
Anmerkung:
~ Während sich die meisten Bearbeiter auf die Feststellung einer unproblematischen Ungleichbe- handlung beschränkten, haben sich nur wenige die Mühe gemacht zu fragen, ob die Ungleichbe- handlung sachlich gerechtfertigt sein könnte. Hierin lag aber der eigentliche Schwerpunkt der Prü- fung.
~ Häufig wurde auch schlicht auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgestellt.
Das ist zu pauschal.
II) Ergebnis: Anspruch auf Weihnachtsgratifikation
Anmerkung:
~ Einzelne Bearbeiter haben bei der Rechtsfolge diskutiert, ob sich nun ein Anspruch für den Arbeitneh- mer auf Leistung der Weihnachtsgratifikation ergibt oder ob der Arbeitgeber von allen anderen Arbeit- nehmern die Gratifikation zurückzahlen lassen muss. Das wirft ein schlechtes Bild auf die vorherigen Ausführungen, weil so der Eindruck entsteht, dass Sie die Rechtsnatur des arbeitsrechtlichen Gleichbe- handlungsanspruchs als Anspruchsgrundlage verkannt haben und öffentlich-rechtliche Probleme unre- flektiert ins Privatrecht übertragen.
Frage 3 : Schadensersatz A) Ansprüche des C:
I) § 823 I, II BGB iVm § 229 StGB (+)
Anmerkung:
~ Da die Anspruchsgrundlage ganz unproblematisch erfüllt ist, waren hier längere Ausführung überflüs- sig.
II) aber ausgeschlossen gem. § 105 I SGB VII
Anmerkung:
~ Leider oftmals nicht gesehen, dabei wurde er ausführlich iRd Vorlesung behandelt.
B) Ansprüche der D
I) § 823 I, II BGB iVm § 229 StGB (+)
Anmerkung: Hier hätte die Bemerkung „siehe oben“ oä genügt.
II) kein Ausschluss gem. § 105 I SGB VII
Anmerkung:
~ Hier sollte der Unterschied in der Behandlung Betriebsangehöriger und Betriebsfremder erkannt wer- den, was leider vielfach allein deshalb nicht geschah, weil die Bearbeiter nicht nach Personen unter- gliederten.
C) Rückgriff A gegen B: § 670 BGB analog
Anmerkung:
~ Hier wurde von fast niemandem die richtige Anspruchsgrundlage mit einer angemessenen Begründung gewählt; insbesondere nicht zu vertreten war es, einen Anspruch über den innerbetrieblichen Scha- densausgleich selbst zu konstruieren. Dieser wird richtigerweise iRd § 254 I BGB analog als Haftungsbe- schränkung gehandelt und kann daher nicht als Anspruchsgrundlage dienen.