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Zum Problem von Mindeststandards und der sogenannten Risikogruppe

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Academic year: 2021

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Rudolf VOM HOFE & Thomas HAFNER, Bielefeld

Zum Problem von Mindeststandards und der sogenannten Risikogruppe

Mit dem KMK-Beschluss von 2003 wurden in Deutschland erstmalig Stan- dards in Mathematik für den Mittleren Schulabschluss und für den Haupt- schulabschluss eingeführt. Diese zunächst ohne empirische Evaluation ver- abschiedeten Standards gelten als Regelstandards, die von deutschen Schü- lerinnen und Schülern im Durchschnitt erreicht werden sollen. Seit 2004 findet nun unter Leitung des für Aufgaben dieser Art neu geschaffenen In- stituts für Qualitätssicherung (IQB) die empirische Überprüfung und Wei- terentwicklung dieser Standards statt sowie die Ausdifferenzierung von Kompetenzstufen.

Die Erarbeitung und Weiterentwicklung dieser Standards dient mehreren Zielen: Sie liefern zum einen erstmals einen gemeinsamen Rahmen für die Curricula der Länder; sie bildet zum anderen eine Grundlage für laufende und geplante Untersuchungen des schulischen Outputs (z. B. Lernstandser- hebungen und Vergleichsuntersuchungen der Länder); und schließlich sol- len die ausdifferenzierten Standards sich zu einer zuverlässigen und prakti- kablen Messlatte für die Optimierung von Unterricht und die Verbesserung der weiterhin konkurrierenden Bildungssysteme der Länder entwickeln.

Eine besondere Bedeutung hierbei nimmt die Erarbeitung von Mindest- standards ein, die beschreiben sollen, was möglichst jeder Lernende min- destens lernen soll, und damit zusammenhängend die Definition einer so- genannten Risikogruppe. In Anlehnung an PISA (2000) lassen sich Min- deststandards und Risikogruppe etwa wie folgt charakterisieren:

Mindeststandards beschreiben mathematische Kompetenzen, die in wichtigen Alltagssituationen und im Rahmen der elementaren berufli- chen Aus- und Weiterbildung erforderlich sind.

Risikogruppe ist demnach die Gruppe der Schülerinnen und Schüler, die diese Mindestanforderungen nicht erfüllen und an elementaren ma- thematikhaltigen Situationen in Alltag oder Beruf scheitern.

Was aber heißt dies nun konkret und wie lassen sich solche Mindeststan- dards in überprüfbare Items konkretisieren? Ist eine solche Festlegung ein normativer oder ein empirischer Prozess? Und welche Rolle spielen dabei die Interessen der politischen Handlungsträger?

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Diese Fragen sind nicht einfach zu beantworten und werden zurzeit unter- schiedlich diskutiert. Ein wichtiges Problem bei der Klärung dieser Fragen besteht darin, dass es zur Entwicklung mathematischer Kompetenzen, nur wenig gesichertes Datenmaterial gibt und dass man häufig bei dem, was man normativ festlegen möchte, kaum beurteilen kann, was dies empirisch bedeutet. Im Folgenden nutzen wir die Daten der PALMA-Studie, um Überlegungen zu Mindeststandards aus unterschiedlicher Sicht zu beleuch- ten, diskutieren und damit zusammenhängende Probleme aufzuzeigen.

In der Längschnittstudie PALMA (Projekt zu Analyse der Leistungsent- wicklung in Mathematik) wurde in den Jahren 2002 – 2007 die mathemati- sche Kompetenzentwicklung im Laufe der Sekundarstufe I (Klasse 5 – 10) erhoben und analysiert. Die Jahrgangsstichprobe umfasste ca. 2100 Schüle- rinnen und Schüler und ist repräsentativ für Haut-, Realschulen und Gym- nasien in Bayern (siehe vom Hofe et al., 2002 und Pekrun et al., 2006). Im folgen konkretisieren wir die oben angegebene Beschreibung von Mindest- standards bzw. Risikogruppe und analysieren den Verlauf der sich daraus ergebenden Entwicklungen auf der Basis der PALMA-Daten. Wir bestim- men dabei jeweils jahrgangsspezifische Risikogruppen für die Klassen 5 bis 10. Wir gehen dabei folgendermaßen vor:

Alle Items der PALMA-Jahrgangstests der Klassen 5 bis 10 werden dahin- gehend bewertet, ob sie ein risikogruppenrelevantes Item (R-Item) sind oder nicht. Ein Item wird als R-Item eingestuft, wenn folgende Bedingun- gen erfüllt sind:

Zum Lösen des Items sind höchstens elementare Kenntnisse der jeweiligen Jahrgangsstufe auf Hauptschulniveau erforderlich.

Die das Lösen des Items betreffenden Inhalte werden in den fol- genden Klassenstufen nicht mehr aufgegriffen.

Die Kenntnisse sind von erheblicher Relevanz für Situationen des täglichen Lebens oder für Ausbildung/Beruf.

Als Referenzrahmen für den dritten Punkt dienten Standardaufgaben aus den Einstellungstests der Industrie- und Handelskammern. Durch diese Art des Ratings ergibt sich für jede Jahrgangsstufe eine Gruppe von R-Items, aus denen sich die Ausprägung der Risikogruppe ergibt. Hier die Ergebnis- se für die Klassen 5 – 10:

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5. Klasse 6. Klasse

0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0

Gesamt GYM RS HS

0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0

Gesamt GYM RS HS

7. Klasse 8. Klasse

0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0

Gesamt GYM RS HS

0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0

Gesamt GYM RS HS

9. Klasse 10. Klasse

0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0

Gesamt GYM RS HS

0,0 2,0 4,0 6,0 8,0 10,0 12,0

Gesamt GYM RS HS

Abb. 1: Entwicklung der Risikogruppe in den Klassen 5 – 10

Es zeigt sich, dass die Größe der Risikogruppe von der Klasse 5 bis zur Klasse 8 zunimmt und dann bis zur Klasse 9 auf hohem Niveau konstant bleibt. In der Hauptschule ist der Anteil von Risikoschülern sehr hoch, in den Jahrgangsstufen 7 bis 9 über 50 Prozent. Die Klasse 10 stellt insofern einen Sonderfall dar, als etwa 90 Prozent der ursprünglichen Hauptschüler die Schule nach der Klasse 9 verlassen. Die dann noch verbleibenden 10 Prozent streben den Mittleren Schulabschluss nach der Klasse 10 an.

Interessant ist nun die Frage, wie stabil diese Gruppen über die Jahrgangs- stufen hinweg sind und inwieweit Lernende, die bereits früh zur Risiko- gruppe gehören, diese später noch verlassen können. Hier zeigen unsere Untersuchungen, dass es zum einen erheblichen Anteil an Lernenden gibt, die die Risikogruppe nicht mehr verlassen; so verbleiben etwa 68 Lernende

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aus der (insgesamt 245 Probanden starken) Risikogruppe der Klasse 5 durchgängig bis zur Klasse 9 in dieser Gruppe. Auf der anderen Seite gibt es jedoch auch eine starke Fluktuation zwischen den Gruppen, in den Klas- sen 5 bis 9 kann jeweils etwa ein Drittel der Risikoschüler diese Gruppe wieder verlassen.

Insgesamt zeigt diese Untersuchung, dass insbesondere angesichts der ho- hen Zahlen in der Hauptschule die PALMA-Definition von Mindeststan- dards zwar normativ plausibel ist, sich empirisch jedoch nur zum Teil bes- tätigen lässt und ungeachtet dessen politisch nicht kommunizierbar ist. Die hier erfassten Kompetenzen scheinen eher zwischen Mindeststandards und Regelstandards zu liegen.

Zurzeit wird unter Leitung des IQB daran gearbeitet, Mindeststandards zu entwickeln, die oben genannten Zielanforderungen besser genügen.

Wir sehen neben den Problemen dieser Entwicklung auch positive Aspekte in der Diskussion um Mindeststandards, nämlich:

Ein neues achdenken über Normen und Ziele des Mathematik- unterrichts,

neue Einsichten durch Konfrontation der normativen Erwartungen mit der Empirie und

neue Herausforderungen für die Politik zur Überprüfung und Verbesserung der Bildungssysteme.

Literatur

Artelt, C., Baumert, J., Klieme, E., Neubrand, M., Prenzel, M., Schiefele, U., Schneider, W., Schümer, G., Stanat, P., Tillmann, K.-J, & Weiß, M. (Hrsg.) (2001). PISA 2000 - Zusammenfassung zentraler Befunde. Berlin: Max-Planck-Institut für Bildungsfor- schung.

vom Hofe, R., Kleine, M., Blum, W. & Pekrun, R. (2005). Zur Entwicklung mathemati- scher Grundbildung in der Sekundarstufe I – theoretische, empirische und diagnosti- sche Aspekte. In M. Hasselhorn, H. Marx & W. Schneider (Hrsg.), Jahrbuch für pä- dagogisch-psychologische Diagnostik. Tests und Trends, Band 4 (S. 263-292). Göt- tingen: Hogrefe.

Pekrun, R., vom Hofe, R., Blum, W., Götz, T., Wartha, S., & Jullien, S. (2006): Projekt zur Analyse der Leistungsentwicklung in Mathematik (PALMA) – Entwicklungsver- läufe, Schülervoraussetzungen und Kontextbedingungen von Mathematikleistungen bei Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe I. In M. Pernzel, M., & L. Allolio- Näcke (Hrsg.) Untersuchungen von Bildungsqualität von Schule. Abschlussbericht des DFG-Schwerpunktprogramms. Münster: Wachsmann. S. 21 - 52

Abbildung

Abb. 1: Entwicklung der Risikogruppe in den Klassen 5 – 10

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