• Keine Ergebnisse gefunden

Diskus : 3. Jahrgang, Heft 3. April 1953

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2023

Aktie "Diskus : 3. Jahrgang, Heft 3. April 1953"

Copied!
16
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

\ '

tlr

MR.lg~j~

,~

MITTEILUNG SBLATT DER VEREINIGUNG VON FREUNDEN U. FORDE~ERN

DER JOHANN WOLFGANG GOETHE - UNIVERSITÄT FRANKFURT AM MAIN E. V.

FRANKFURTER STUDENTEN ZEITUNG

3. Jahrgang - Heft 3 Preis 10 Pfg. April 1953

Ein deutscher Professor

Justus von Liebig, 1803-1873 Von Justus von Liebig weiß "man", daß er den Fleisch-

extrakt erfand, daß er der Vater des Mineraldünge}"s ist. Der Rest ist die vage Vorstellung von einem materialistischen und fortschrittsgläubigen Vertreter des 19. Jahrhunderts, das man über die Schulter anzusehen pflegt.

Liebig war ein Optimist, und er hat Äußerungen getan, über die wir milde lächeln. Wenn er etwa nach dem Kriege 1866 meinte, nunmehr sei die Zeit brutaler Gewalt für immer dahin, oder wenn er in einer Rede vor der Münchener Aka- ,demie 1865 äußert: "Die Geschichte der Völker gibt uns Kunde von den ohnmächtigen Bemühungen der politischen und kirchlichen Gewalten um Erhaltung des körperlichen und geistigen Sdaventhums der Menschen; die künftige Ge- :schichte wird die Siege der Freiheit beschreiben, welche die

Menschen durch die Erforschung des Grundes der Dinge und der Wahrheit errangen; Siege mit Waffen, an denen kein Blut klebt, und in einem Kampf, in welchem Moral und Re- ligion sich nur als schwache Bundesgenossen betheiligen." - Aber wir sollten nicht vergessen, daß Arbeitsleistungen, wie 'sie unsere Vorväter im 19. Jh. vollbrachten, durch diesen Optimismus überhaupt erst ermöglicht wurden.

Justus Liebig ist am 12. Mai 1803 in Darmstadt geboren.

Sein mißmutig absolvierter Schulbesuch wurde in Sekunda abgebrochen, da in den von Chemie erfüllten Knaben die

humani~ti"chen Bildupgsstoffe nicht hineinzubringen waren.

Ebenso abrupt endete seine Apothekerlehre in Heppenheim.

Mit 17 Jahren bezog Liebig die Universität Bonn - ohne Abitur, einen numerus dausus gab es auch nicht. Ein Stipen- ,dium des hessischen Großherzogs ermöglicht zwei Jahre Studium in Paris, wo er blitzartig erfährt, daß er mit seinen

·deutschen Kenntnissen so gut wie nichts wisse, und daß man Chemie nur in Paris erlernen könne. Frankreich konnte zu dieser Zeit - seit Lavoisier - nicht ganz zu Unrecht be- haupten, Chemie sei eine rein französische Wissenschaft, während man in Deutschland romantische Naturphilosophie trieb (etwa im Stile von Steffens: "Der Diamant ist ein zu sich selbst gekommen er Kiesel"), die dem experimentier- freudigen jungen Liebig gar nicht zusagte.

Man Wurde bald auf ihn aufmerksam, als er vor der Pari- :ser Akademie seinen ersten Vortrag über Knallsilber hielt.

Doppelt aufmerksam, weil Alexander von Humboldt zu- gegen war und sich sogleich für den. talentierten Landsmann einsetzte. Plötzlich war er im Privatlaboratorium von Gay-

Lussac zugelassen, durfte mit diesem arbeiten, und ein Jahr .später war ein Empfehlungsschreiben Humboldts dem hessi- 'schen Großherzog ausschlaggebend, um ohne Befragen der Fakultät den 21jährigen zum Extraordinarius in Gießen zu -ernennen. War die Fakultät, da übergangen, zunächst yer- .drossen, so wurde Liebig zwei Jahre später, 1826, fast ein- .stimmig zum Ordinarius an derselben Universität vorge- 'schlagen und vom Großherzog ernannt. Diese zwei Jahre hatten ihm bereits genügt, um die chemischen Unterrichts- methoden abzuändern: die Studenten experimentierten, vom ersten Semester an, unter seinen Augen und neben ihm, während bisher Belehrung nur durch Vorlesung erfolgt war.

Die ersten Gießener Jahre dienten der Experimentalana- 1yse, die er durch die Erfindung des Fünfkugelapparates we- sentlich leichter und bequemer gestaltete, der Experimental- Kritik, der Gründung seiner Zeitschrift "Annalen der Chemie und Pharmacie" und der Mitarbeit und Mitherausgabe che- mischer Handbücher. In die Gießen er Zeit fallen aber auch

die Werke, welche eine praktische, nutzbringende Anwen- dung des Erkannten zum Inhalte haben, also die Agrikultur- -chemie, (Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf

Agricultur und Physiologiel 1840), die Tierchemie (Die orga- .nische Chemie in ihrer Anwendung auf Physiologie und

Pathologie, 1842) und die Chemischen Briefe (1844), die im In- und Ausland, auch von Laien, gelesen wurden. In den ersten Gießen,er Jahren bezog er ein viel zu geringes Gehalt, mußte davon noch einen Assistenten und sämtliche Präpa- rate und Glaswaren bezahlen und die Einrichtung des Labo- ratoriums - ohne Abzug, der Wägeraum immer unge- beizt - war denkbar primitiv. Er arbeitete immer zu viel, :schlief zu wenig und litt häufig unter quälenden Kopfschrner-

zen. Zuweilen klingen seine Briefe so jammervoll, daß man fast lachen muß, er findet Totschießen und Aufhängen noch kühlende Mittel, eine Portion Blausäure wäre ihm hoch- willkommen, er ist die ganze Chemie übersatt, da sie doch nur ein Rechenexempel sei und die Medizin auch nichts Besseres. Und einige Sätze später ("Verschaffe mir Holz- geist, liebster Freund") ist er schon wieder bei einer neuen Analyse und die rhetorischen Selbstmorde sind vergessen.

Aber dann drang sein Ruhm in alle Länder (zuerst nach England, wo man ihn 1837 schon feierte) und man über- schüttete ihn mit Orden (aus Frankreich, Italien, Spanien, Rußland, Brasilien usw.), in Hessen avancierte er 1845 zum Freiherrn. Mehrere Berufungen lehnte er ab, folgte aber 1852 einem verlockenden Angebot des bayrischen KÖ,.

nigs nach München, wo er, vom aufreibenden Experimental- unterricht entlastet, nur noch Vorlesungen hielt und im übrigen seine Kraft auf historische Arbeiten, wie die Studie über Bacon von Veru]am oder "Die Ennvicklungen der ideen in der Naturwissenschaft", verwandte.

Den Fleischextrakt erfand er, als ihm ein Ingenieur aus U ruguay von dem Viehreichtum der La Plata-Länder er- zählte. Fleisch zu so billigen Preisen, meinte er, müsse sich zur Ernährung auch in andern Ländern präparieren lassen, und dickte Bouillon zu einer festen Masse ein. Man darf in diesem Einfall die Begründung der enormen Fleischexport- fabriken Südamerikas und anderer rniteiferucier Lärh.ler sehen. Aber Liebig erfand inzwischen eine Suppe für Säug- linge, die notfalls die Muttermilch ersetzen konnte; mit sei- nem Fleischinfusum für Schwerkranke rettete er fast hoff- nungslose Fälle. Er buk Brot und gab neue Rezepte dafür heraus, war auf der Suche nach einem Kaffee-Extrakt und versilberte Spiegel, die sich aber zu seinen Lebzeiten nicht gegen die Konkurrenz der Quecksilberspiegel durchsetzen konnten. Auf seine Veranlassung gründete Emil Merck seine chemische, Wöllner seine Glaswarenfabrik für chemischen Bedarf in Darmstadt, Clemm seine Dün'gemittelfabrik in Mannheim. Im Deutschen Museum zu München illustriert eine einprägsame T~fel den wissenschaftlichen Stammbaum, dessen Wurzei Liebig gewesen ist. In den Zweigen sitzt eine stattliche ABzahl von Nobelpreisträgern. Aber unüber- sehbar wäre der Stammbaum der industriellen Anregungen, die von ihm ausgegangen sind.

Den scharfen Blick für die Zusammenhänge zwischen der Wirtschaft und der Natur, der die "Chemischen Briefe" meh- reren Generationen zur abenteuerlichen Lektüre gemacht hat, zeigt der Geschichte sein Interesse für die Chemie der Düngemittel. Er hatte entdeckt, daß die Erfindung des W. C.

England einer entscheidenden Zufuhr an natürlichen Dung- stoffen beraubte. England, so klagt er, beginne den Konti- nent auszurauben. Von den französischen Schlachtfeldern bis zur Krim habe es die Knochen von den Schlachtfeldern aufgekauft und bemühe sich um die Zufuhr weiterer Quellen natürlichen Düngers aus Europa, da der peruanische Guano verbraucht sei. Er schlägt zunächst Methoden vor, die Exkre- mente zu magazinieren und in gepreßter Form wieder aufs Land zu schaffen; dann propagiert er die Rieselfelder.

Schließlich bemüht er sich um die chemische Darstellung der Stoffe, die er als die wichtigen Bestandteile des natür- lichen Dungs erkennt.

Wenn Liebig an allen den Unternehmen, die er anregte, ankurbelte und beriet, wäre beteiligt worden, so hätte er Millionen hinterlassen. Aber sein Sinn stand nicht nach Reichtum, wiewohl er Zigarren schätzte, für einen angemes- senen Wohlstand durchaus zu habep und ein ordentlicher Haushalter war. Am besten illustriert ein Brief an den Che- miker Heinrich Rose (1848) seipe Haltung zur Gewinnfrage:

"Mein teurer Heinrich. Eine charitable Seele hat mir hinter- bracht, daß Du Dich in einer Gesellschaft über zwei Dinge, die man mit meinem Namen in Verbindung gebracht, auf eine für mich nicht sehr schmeichelhafte Weise ausgesprochen hast ...

Die zwei Dinge sind zwei Spekulationen, die ich gemacht haben soll, eine Mineraldünger- und eine Chinoidinspekulation. Es liegt mir zwar wepig daran, was der große Haufen über mich spricht, aber auf die gute Meinung meiner Freunde weiß ich den gehöri- gen Wert zu legen. Ich erkläre Dir hiermit, daß ich weder mit

(Fortsetzung auf Seite 2)

Verlags ort Frankfurt a. M.

Thomas ]\,:fatm leut seit A~i.fc:.ng des 1ahres in der Schweiz. Zwei Redakteure des DISKUS besuchten ihn in seinem Heim in Erlenbach=Zürich. Lesen Sie die Berichte auf Seite 5, 6 und 7· Zeichnung H. C. Schmolcl<

De specialitatibus nostrae universitatis

Neuen Bürgern einer Universität wird der Weg zu Sekre- tariat, Kasse, Studienberatung, zu "ihren" Hörsälen und Instituten oder Seminaren, vielleicht auch der zur Bibliothek rasch bekannt. Andere Wege interessieren nicht. Studenten, die das Gelände erkunden wollten, sind von jeher an Hoch- schulen selten gewesen. Die Erforschung richtet sich bald aufs Innere, sei es das des eigenen Kopfs, in dem noch über- raschend viel Hohlräume anzufüllen sind, sei es jenes der Wissenschaften, zu deren Kern vorzudringen man um so 'weniger sich zutraut, je mehr Semester man sie schon kennt.

Aber davor ist noch ein anderes Labyrinth zu durchdringen.

Und die schnell den Ariadnefaden der Studienordnung mit ihren Empfehlungen ergriffen, die wissen noch lange nicht, was es mit diesem Labyrinth des Vorlesungsverzeichnisses auf sich hat. Da stehen sie alle nebeneinander, die Dozenten und ihre Vorlesungen, die Institute und die anderen Einrieb ...

tungen; und wer wollte sich wohl noch daran machen, die entsprechenden Vorlesungsankündigungen anderer Univer- sitäten mit dem hiesigen zu verglei€hen, und so herauszu- finden, worin es hierorts besser und worin schlechter be- . stellt ist?

Eine Universität ist nämlich nicht wie die andere. Darin schon trügt der Name Universität, daß jede der andern etwas nachweisen kann, worin sie kompletter ist, während es wohl auf der Welt keine geben dürfte, welche alle Spezialitäten aller anderen almae matres bei sich noch einmal vereinigt- ganz abgesehen einmal von den wechselnden und stets ein- maligen Reizen der Umgebung. Das hat sein Gutes. Denn so muß die Gelehrtenrepublik sich anstrengen, aus dem, was sie aufweisen kann, etwas Spezifisches, und vielleicht ein Ganzes zu machen. Selten ist der Fall, daß eine ganze Universität einheitlichen Stil hat, so wie die Sage von Berlin geht, das in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts völlig verhegelt gewesen sei - weit über die Mauem des Schinkelbaus hinweg. Aber schon der Heidelberger Stil, zu einer Zeit definiert durch die Überwindung der V örheJ;.: '~' schaft der Naturwissenschaften und dann des Historismus _ was in aller Welt hatten eigentlich die Saxoborusse~ mit den Leistungen von Rickert, Salz, Max We.ber und-.~~

Z

"0· 1'

(2)

Erlauchten zu tun? Und man kann doch nicht gut behaup- ten, daß sie nun mit der Universität überhaupt nichts zu tun gehabt hätten.

Wir haben eine schüchterne Umfrage gemacht, was die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Spezifisches an sich

habe. Schüchtern, weil wir befürchteten, die Dozenten wür-

den uns auf das Vorlesungsverzeichnis zurückverweisen, in dem die Kollegen alle aufgezeichnet stünden; und im übrigen seien sie einer so bedeutend und darum zu erwähnen wie der andere, nebst ihnen selbst. Aber es könnte doch auch sein, daß eine Fakultät vielleicht einen besonderen Zug auf- wiese, sich gemeinsam von einer Idee leiten ließe oder die Reform einer lange Zeit vernachlässigten Verfahrens-Denk- weise zu ihrer Sache gemacht hätte?

Darauf haben Juristen uns schon bejahend geantwortet.

Denn' ihre Fakultät hat tatsächlich nach 1945 mit größten Eifer die Erneuerung des Zivilrechts betrieben, in einer Zeit, da nämlich die Übermacht des Öffentlichen Rechts die eigent- lichen Rechtsformen der bürgerlichen Gesellschaft: das Bür- gerliche Gesetzbuch und was daran sich schließt, korrumpiert hatte - mit Zwangsbewirtschaftung, Beschränkungen des

Außenhandels, aber auch all dem, was das Dritte Reich an Einschränkungen der privaten Rechtssphäre veranstaltet hatte. - Dieses Thema hat zweifellos heute nicht die bren- nende Aktualität wie noch vor fünf und sechs Jahren, aber eine Spezialität ist es geblieben, und mit ihm natürlich auch das zivile Prozeßrecht. Eine wirkliche Spezialität ist das Strafrecht, wie es in Frankfurt gelehrt wird - nämlich im Gegensatz zu der seit Jahrzehnten "herrschenden Anschau- ung in Rechtsprechung und Schrifttum". Die sogenannte ,objektive Theorie' sieht im Verbrechen die Verletzung eines Rechtsguts, und nicht so sehr die einer Pflicht. Welche un- geheuren Konsequenzen eine solche Anschauung für die Rechtspraxis haben muß - die angehenden Juristen werden eben an solcher abweichenden Auffassung die Schärfe des Denkens erlernen. - Und noch etwas Spezielles, wenn aller- dings auch zum Nachteil der Lehre, die mit der Praxis kon- kurrieren muß: das Auswärtige Amt in Bonn beansprucht teils ständig, teils zu besonderen Missionen fünf unserer Professoren; ein sechster ist Mitglied des Bundestags. Von jenen fünf ist einer Chef des Amtes, einer Botschafter in Indien - nein, halt, wir wollen nicht flunkern: Der letztere doziert über Politik; aber die ist wenigstens sehr nah der Rechtswissenschaft verwandt, oder sollte es durchaus sein.

Politik wird hier nämlich unter Wirtschafts- und Sozial- wissenschaften geführt. Aber der neue Leiter des Instituts, Prof. Carlo Schmid, der sogar ein sehr bekannter Bundes- tagsabgeordneter ist, gehörte bisher in Tübingen der Rechts- wissenschaftlichen Fakultät an. In diesem Semester liest er zum ersten Mal in Frankfurt.

Doch das liegt am Rand. Zentral ist für die National- ökonomen in Frankfurt die Finanzwissenschaft, mit den be- rühmten Kapazitäten Prof. Gerloff und Neumark, oder dem ehemaligen Chef der Landeszentralbank, Prof. Veit. Die enge Verbindung zur wirtschaftlichen Praxis, welche diese Fakul- tät seit ihren Gründungszeiten gepflegt hat, da sie aus der Handelshochschule und dem Institut für Gemeinwohl her- vorging, gibt ihr in diesen Jahren, da eine deutsche national- ökonomische Wissenschaft sich erst langsam wieder neu bilden muß, einen soliden Rückhalt. So ist es kein Zufall, daß hier ein aus den höchst praktischen Bedürfnissen eines großen Wirtschaftszweiges entstandenes Institut für Frem- denverkehrswissenschaft besteht; neben 14 anderen, dar- unter einem für Fürsorgewesen und einem Soziographischen.

Und ein Stück Praxis für die Studenten sind auch die guten

(Fortsetzung von Seite 1)

einer Mineraldünger-Gesellschaft-Fabrik noch mit einern Chinoi- din-Verkauf oder Handel als Teilhaber oder Unternehmer in Be- ziehung stehe. Ich leugne aber nicht, daß ich mich selbst törichter Weise in den Ruf eines wissenschaftlichen Geldmachers gebracht habe, was ich mein Lebenlang zu bereuen Ursache habe. Der vor- malige Lordmayor in Liverpool schlug mir vor einigen Jahren vor, mich mit ihm in einern Düngergeschäft zu beteiligen, und er schwatzte mir so viel von den Millionen vor, die für mich dabei abfallen würden, daß meine ganze Habsucht damals rege wurde.

Die Idee, ein großes Problem in der Agrikultur praktisch zu lösen und dabei ungeheuer reich zu werden, führte mich zu einigen Versuchen, deren wichtigstes Resultat die Entdeckung sehr schwer löslicher Verbindungen von kohlensaurem Kali und kohlensaurem Kalk war. Damit war aber das ganze Interesse an dieser Ge- schichte für mich erschöpft. Ich gab die Vorschriften, die ich für die besten hielt, forderte die Landwirte Englands auf, sie zu prüfen, aber ich kümmerte mich nicht weiter darum. Als ein wirk- licher Vertrag oder Verband zur Sprache kam, trat ich zurück, ich habe keinen roten Heller für meine Bemühungen empfangen noch jemals zu empfangen. Ich möchte wohl gern ungeheuer reich sein, aber der Gelderwerb setzt keine Fiber meines Wesens in Bewegung. Er verhält sich damit wie mit meiner Liebhaberei zum Käse, den ich in der Idee außerordentlich gern esse, und wenn ich ihn habe, so esse ich ihn nicht ... «

Liebig war als junger Mann leidenschaftlich, als alter neigte er zu Mäßigung und Weisheit, es geschah alles zu seiner Zeit; in der Jugend galt das Interesse dem Prinzipiel- len und Analytischen, im Mannesalter den Anwendungen, und in den letzten Jahren hat er viel gelesen, Historisches und Reisebeschreibungen, das Interesse für das Fach verlor sich mehr und mehr.

Er war noch nicht alt, als er an Wöhler schrieb, es sei wohl an der Zeit, daß sie ihr Haus bestellten. \iVie rar dieses Wort geworden ist, und wie sehr klingt es nach "normale~" Zei- ten! Aber Liebig war "normal", so erfrischend normal, daß die Erinnerung an ihn zur Wohltat wird. Er gehörte nicht 2

Beziehungen zu Nordamerika, die es schon einer stattlichen Zahl von Studierenden ermöglicht haben, ein oder mehrere Semester drüben zu verbringen.

Soziologie gibt es aber in Frankfurt noch ein zweites Mal, nämlich in der Philosophischen Fakultät. In der Kombina- tion mit Gesellschaftsphilosophie findet sie sich in Deutsch- land nur noch einmal, in Göttingen. Aber unsere Spezialität ist das Institut für Sozialforschung, das Methoden der empi- rischen Soziologie unter der Kontrolle philosophischen Den- kens ausarbeitet. Von dort strahlt ein mächtiger Einfluß aus, spürbar in zahlreichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen, besonders der Literaturwissenschaft und der Geschichte, aber vor allem in der Philosophie selbst, die nahezu .allein im Bereich der deutschen Universitäten den Faszinationen der Existenzphilosophie eine dichtere Verbindung mit der

\Virl)lichkeit entgegensetzen kann. Aber Frankfurt ist auch der Ort, an dem Leo Frobenius seine Kulturmorphologie begründete, diese besondere Betrachtungsweise der Ethno- logie,. die im Gegensatz zu den heute herrschenden Richtun- gen die Völkerkunde unter dem Blickpunkt der Kultur als geschichtliches Phänomen betrachtet. Und neben diesen von der Theorie vorwärtsgetragenen Disziplinen darf nicht die Tradition der Alten Geschichte, der Altphilologie und der Archäologie unterschätzt werden, die in Karl Reinhardt einen weltberühmten Gelehrten besitzen; oder die Tradition des Orientalischen Instituts.

Eine eigentümliche Verbindung zwischen Medizin und Naturwissenschaften schlägt in Frankfurt - und nirgend woanders in Deutschland - die Biophysik. Die Weite der Aufgaben des von Prof. Rajewski geleiteten Instituts ist erstaunlich: von der Erneuerung der Physikotherapie bis zu einer Neuorientierung der klassischen Naturwissenschafts- gruppierung, in der Botanik, Zoologie, physiologische Che- mie usw. einander wieder näherrücken zu einem gemein- samen System; oder sollte man vorsichtiger sagen: zu einer gemeinsamen Betrachtungsweise? Dazu fügt sich, daß in Frankfurt der einzige deutsche Lehrstuhl für die Geschichte der Naturwissenschaften beheimatet ist, also ein ForsdlUngs- institut, das jener Neuorientierung Perspektiven geben kann, wie die Praxis allein sie nicht erschlösse. In diesem Semester ergänzt sich dieser Doppelaspekt durch eine Vorlesung des

"Naturphilosophen" (in Anführungsstrichen, weil dies Wort seit den Tagen der Romantik noch nicht wieder in Ehren zugelassen ist) Prof. Friedrich Dessauer, hierorts Ordinarius für Physikalische Grundlagen der Medizin und gleichzeitig Professor in Fribourg, über die Grundhagen naturwissen- schaftlicher Erkenntnis.

Da~ die Medizinische Fakultät Frankfurts seitJahrzehnten weltberühmt ist, brauchen wir kaum zu betonen. Sie ic;t es geblieben. "Vir könnten eine längere Reihe Namen von Dozenten aufzählen, die diesen Ruhm in unsern Tagen be- stätigen. Aber aufzählen wollten wir nicht. Das tut das Vor- lesungsverzeichnis mit aller Objektivität. Und so müssen wir bekennen, daß an dieser Stelle das Reich unserer Unkenntni1:i beginnt. Treibt man in Sachsenhausen besondere Diszi- plinen, die es anderswo nicht gibt? Vereinigt man sich zu Gesamtheitsmedizinern oder führt man expressis scalpellis den Kampf gegen sie? Wir bitten um Nachricht.

Nicht genannt wurden ... - aber dies war nur ein Streif- zug. Zum Beispiel ist es unverzeihlich, in diesen Zeitläuften nicht über Psychologie Genaueres zu berichten, und noch viele andere Nichtnennungen sind un- oder kaum verzeih- lich. Aber für die neuen Bürger der Universität ist es wichtig, daß sie selbst alsbald zu forschen beginnen, wie viel mehr es noch zu entdecken gibt; denn: "Frankfurt stickt voller :Merkwürdigkeiten" (Johann Wolfgang Goethe).

zu denen, die frei sein und Freiheiten haben verwechselten.

Gewiß war er für eine Verfassung und hielt die Unruhen 1848 für eine Konsequenz der "Unmoral der Fürsten", weil sie ihre Versprechungen von 1813 nicht. eingehalten hatten.

Doch Freiheit schätzte er ein wie guten Wein, an dem nur der Kenner maßvollen Genuß findet, während sich die Menge daran betrinkt und immer nur nach mehr schreit, ohne des folgenden Katzenjammers zu gedenken. Eben weil er ein Freier war, so kümmerte er sich um die englische Landwirtschaft eher mehr als um die deutsche. '\iVas ihm aber Deutschland vor allem lieber machte als andere Länder war die deutsche Gepflogenheit, reine Erkenntnissuche für höherstehend als Anwendungen zu halten, er sprach sich etwa Faraday gegenüber (1844) nicht gerade beifällig aus über die Überbewertung der praktischen Wissenschaft in England.

Ein Mann, der sich sein Leben lang mit der Ergründung von Naturgesetzen abgab und die organische Chemie aus der Taufe hob, weil er eben diese Gesetze für alle N atur- bereiche als gültig anerkannte - während man bisher die Organismen als etwas völlig anderes ausgeklammert hatte - mußte auch den höchsten Gesetzgeber anerkennen und ruhig walten lassen. Liebig war kein weltanschaulicher Revolutio- när, sondern zutiefst bescheiden. Er erachtete es nicht für unter seiner Würde, chemisclien und physiologischen Geset- zen ebenso unterworfen zu sein wie ständischen und politi- schen und ließ das Schicksal seiner Seele getrost dahingestellt sein. Sein Vertrauen in die Vollkommenheit der Schöpfung war groß genug, um ihn (1873) völlig ruhig sterben zu las- sen, es werde mit ihm nach dem Tode gewiß das Beste geschehen, "darüber bin ich ganz vollständig beruhigt."

. Hertha von Dechend

Sind politische VerbreCher Gentlemenverbrecher?

Als die britische Polizei vor einigen Monaten sieben ehe- malige Nazis verhaftete, ging eine Welle der Entrüstung;

durch die Bundesrepublik. Selbst die SPD ließ durch Pro- fessor Carlo Schmids Mund die Öffentlichkeit wissen, die- Briten gehe das nichts an, und die Bundesrepublik werde mit ihren Feinden schon selbst fertig.

Wie die Bundesrepublik mit ihren Feinden fertig wird, zeigt die Flucht des Gründers der Sozialistischen Aktion, August Kuper. Kuper war wegen Vorbereitung eines hochver_

räterischen Unternehmens zu Beginn dieses Jahres verhaftet worden. Eine solche Tat wird in schweren Fällen mit lebens- länglichem Zuchthaus bestraft. Der Gesetzgeber - der Deut- sche Bundestag - hält Hochverrat für ein ebenso schweres Verbrechen wie Mord und Totschlag. Dies tut er mit Recht;

denn wäre der Kuper'sche Hochverrat gelungen, wäre aus:

der Bundesrepublik ein sowjetischer Satellitenstaat gewor- den, ein Staat, in dem alle Verbrechen, wenn sie dem Re- gime nützen, sanktioniert sind. Wir wissen das aus eigenem Erleben in den 12 Jahren der NS-Diktatur.

Aber in Deutschland findet man die paradoxe Meinung.

daß politische Verbrecher etwas Besseres sind als kriminelle.

In einer hessischen Strafanstalt zeigte mir ein Beamter eine Einzelzelle und sagte: "Das ist die Zelle des an g e.b I i·

c h e n Massenmörders Baab." Baab war Gestapobeamter und wurde wegen Teilnahme an der Ermordung zahlreicher Juden von einem deutschen Schwurger.icht zu lebensläng- lichem Zuchthaus verurteilt. Gefängnisbeamte zweifeln in der Regel nicht an den Urteilen deutscher Gerichte. Sie würden kaum sagen, der X ist ein angeblicher Bankräuber.

Aber Baab ist nicht X, soridern ein politischer Verbrecher, ein Mörder in Uniform, ein vom Staat gedungener Ver- brecher. Wer weiß, ob nicht die Alliierten seine Verurteilung durchsetzten oder sogar der Staat Israel? Also ist Baab nur ein "angeblicher" Massenmörder und "besser" als die nicht politischen, "kriminellen" Mörder. Dieses Denkschema ist weit verbreitet und macht auch zwischen rechts und links wenig Unterschied.

Der Beweis dafür ist August Kuper. Wegen Beleidigung der Frankfurter Polizei sollte sich Kuper Anfang März vor einem Frankfurter Schöffengericht verantworten. Zum Ter- min wurde er von Kassel, wo er wegen des Hochverrats- verdachts inhaftiert war, per Eisenbahn in Begleitung eines älteren Polizeibeamten nach Frankfurt gebracht. Der Beamte ließ sich von Kuper überreden, mit ihm in seine Wohnung zu gehen. Dort wurde dem Beamten eine Zigarre angeböten und Kuper verließ das Zimmer, um ein frisches Hemd anzu- ziehen. Er kam nicht zurück. Seine Flucht war gut vorberei- tet. Ein Auto hatte auf Kuper gewartet. Heute ist er in der

Sowjetzone in Sicherheit.

Die zuständige Stelle gab an, ein Beamter als Bewachung Kupers habe genügt, weil er krank war. Gewiß, Kuper hätte sich nicht mit Gewalt befreien können. Aber hätte man nicht mit ei~em Befreiungsversuch von außen rechnen müssen?

Schließlich ist bekannt, daß Kuper nicht der Dümmste ist.

Er hat sich den Irrtum über die Harmlosigkeit politischer Verbrecher zunutze gemacht und so den Polizeibeamten zu der Erlaubnis überredet, in seine Wohnung fahren zu dürfen.

Der Polizeibeamte wurde wegen "fahrlässiger Gefange- nenbefreiung" zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Die Staatsanwaltschaft teilte mit, daß die Polizei nicht mit Kuper politisch sympathisiere und seine Flucht nicht begünstigt habe. Die Presse bedauerte den zu Gefängnis verurteilten Polizeibeamten. Hier zeigt sich das oben dargestellte Denk- schema von den "besseren" politischen Verbrechern. Wäre . ein unter Mordverdacht stehender Häftling auf diese Weise entwichen, hätte die Presse strenge Strafe für den schuldigen Beamten gefordert, und der Polizei hätte sie vorgeworfen, der Gefangene sei nicht genügend bewacht worden. Die Polizei hätte aber auch einen Mordverdächtigen anders be- wacht. Es wären mehr Beamte mitgefahren, am Frankfurter Bahnhof hätte ein Gefangenenauto gewartet und außerdem wäre kein Beamter auf den Gedanken gekommen, mit dem Mordverdächtigen in seine Wohnung zu fahren, um ihn dort das Hemd wechseln zu lassen.

Die FluclJ.t August Kupers war nur möglich, weil Behör- den, Presse und Bevölkerung zu größerem Teil bis heute noch nicht begriffen haben, wie man mit Feinden der Demo- kratie verfahren muß. Das Wohl und Wehe Deutschlands hängt davon ab, wie wir mit ihnen fertig werden.

Alexander Böhm

Sie erhalten den DISKUS in FrankEurt am Main auch bei Luise Pollinger, Papier- und Bürobedarf,

Bockenheimer Warte Buchhandlung Peter Naacher, Bockenheimer Warte Universitäts buchhandlung Blazek und Bergmann,

Goethestraße I Buchhandlung Ainelang, Roß markt 10

Frankfurter Bücherstube Schumann & Cobet, Börsenstraße 2 • 4 Bahnhofsbuchhandlung Kaiser, gegenüber Gleis 16 im Hauptbahnhof und abends an der Hauptwame

--

(3)

'

DISKUS

FRA N K FU R TE R S TU DEN T E N Z EI TUNG lierausgeber: Alexander Böhm, Bernard Claude, Wilhelm Hick, Werner 'Müller-Warmuth, Oscar Strobel.

Für die Redaktion verantwort~i~: Helmut Lamprecht, Karl-Heinz Liebe, Bans W. Nicklas, Wolfgang Wlrslg.

Geschäftsführung: Peter Götz, Anzeigenverwaltung : Heinrich Götz, Frank- 'furt a. M., Rheinstraße 7, Tel. 77209.

Konten der Zeitung: Rhein-Main Bank Nr. 121210, Frankfurter Sparkasse von 1822 Nr. 30158. Manuskripte sind zu richten an "DISKUS, Frankfurter Studentenzeitung", Universität Frankfurt a. M., Mertonstr. 17, Tel. 70091, ApP' 213. Artikel, die mit dem Namen des Verfassers oder seinen Initialen ,gezeichnet sind, gebe~ die Meinung des Autors wieder, ab~r nicht unbe-

dingt die der Redakhon.

Druck: Druckerei Dr. Günter Zühlsdorf, Frankfurt a. M., Eckenheimer

Landstr. 60b, Tel. 5 11 78. .

Abonnements zum Preise von DM 1,50 für Wintersemester 1952/53 und sommersemester 1953 schriftlich bestellen unter Einsendung des Geldes an die Geschäftsführung: Rheinstraße 7.

Halbe Wiedergutmachung

Der Deutsche Bundestag hat den Israel-Vertrag ratifiziert.

Wer aber gehofft hatte, daß diese Abstimmung das der Bedeutung der Sache angemessene eindrucksvolle Bekennt-

nis zu der Verpflichtung werden würde, sich von der :schmachvollsten Handlung d~r deutschen Geschichte nicht

.nur durch Lippenbekenntnisse, sondern durch ein bewußtes

.opfer klar zu distanzieren, der muß bei der Betrachtung des Abstimmungsergebnisses enttäuscht sein. 34 Abgeordnete hielten es für notwendig, den Vertrag abzulehnen, und weitere 86 zogen eine Stimmenthaltung vor, die gerade in diesem Falle für die Einschätzung der Ehrlichkeit des ,deutschen Wiedergutmachungswillens, besonders außerhalb unseres Landes, die gleiche Wirkung haben muß wie das Nein. Denn was nützen alle Beteuerungen des "prinzi- pielIen" Einverständnisses mit der Wiedergutmachung, wenn man ihre Realisierung durch einen mit den Vertretern des jüdischen Volkes vereinbarten Vertrag seine Zustim- mung versagt?

Es soll hier nicht von den kommunistischen und rechts- radikalen Nein-Stimmen die Rede sein. Auf die Zustimmung dieser destruktiven Gruppen hatte niemand gerechnet, und niemand bedauert ihre Ablehnung. Ein Wort aber wäre zu sagen zu den Argumenten jener Abgeordneten der de- mokratischen Parteien, die aus wie auch immer gearteten Erwägungen ein Ja zu den Verträgen nicht verantworten zu können glaubten. Niemand übersieht, daß der Israel-Ver- trag zwei ernste Probleme aufgeworfen hat: die Gefähr- dung unserer Beziehungen zu den arabischen Staaten und die Erschwerung der "inneren Wiedergutmachung", d. h. der Hilfe für alle deutschen Opfer der Naziherrschaft im weitesten Sinne, einschließlich der Vertriebenen. Kön- nen diese Probleme aber stichhaltige Argumente dafür sein, die Erfüllung einer moralischen Verpflichtung, die die ganze zivilisierte Welt von uns erwartet, noch weiter hinauszu- zögern?

Es hieße die Bedeutung der arabischen Staaten über- schätzen, wenn man von ihrer rechtlich wie moralisch auf schwachen Füßen stehenden Boykottdrohung eine dauernde Schädigung deutscher Interessen befürchtete. Diese Länder, die für ihre wirtschaftliche und politische Selbständigkeit dringend umfangreiche Kapitalinvestitionen aus den west- lichen Ländern benötigen und infolge ihrer labilen poli- tischen Struktur nicht einmal ausreichende Sicherheiten für Kapitalanlagen bieten können, werden auf die Dauer durch einen Boykott - noch ist es nicht sicher, ob es über- haupt dahin kommen wird - sich selbst mehr schaden als uns. Und was die viel zitierte "traditionelle deutsch-ara- bische Freundschaft" angeht, die im übrigen recht jungen Datums und durch den Nationalsozialismus kompromittiert ist, so möge man doch bedenken, was schwerer wiegt: eine vorübergehende, nicht von uns verschuldete Spannung in dieser Freundschaft oder das Unterlassen einer wenigsten materiellen Wiedergutmachung des Verbrechens.

Wie steht es nun aber mit der inneren Wiedergutma- chung? Auch sie ist eine Verpflichtung, die dem deutschen Volke aus Krieg und N aziherrschaft erwachsen ist und die erfüllt werden ~uß. Sie wird die Bundesregierung vor schwierige finanzielle Probleme stellen, die natürlich durch die Lasten des Israel-Vertrags noch vergrößert w~rden. Doch man kann sich nicht einer Verpflichtung durch den Hinweis auf eine andere entziehen. Vergessen wir nicht, daß es eine deutsche Regierung war, die die Vernichtung des jüdischen Volkes offen und zynisch als ihr Ziel proklamierte und die dieses Ziel mit der Auslöschung der jüdischen Gemeinden in fast ganz Europa auch nahezu ereichte. Nur eine ent- schlossene Wiedergutmachung gegenüber dem Staate, der den überwiegenden Teil der Überlebenden unter schweren eigenen Opfern eine neue Heimat gegeben hat, kann unser Ansehen vor der \Velt wiederherstellen. Daran können weder juristiscl"e Spitzfindigkeiten noch der Hinweis auf die eigene Notlage etwas ändern'.

Nach dem Ende des letzten Krieges sah sich Deutsch- land isoliert in einer Welt, die ihm mit Haß, Verachtung und Mißtrauen begegnete. Einer zähen und geduldigen Politik der Bundesregierung ist es gelungen, eine Bresche in die uns umgebende Mauer zu schlagen. Ein entscheidender Schritt dieser Politik aber hat durch das kleinliche Feilschen um die Vor- und Nachteile des Israel-Vertrages viel von seiner

\Virkung verloren. .

Walter Bödigheimer

Eisernes Kreuz und Hakenkreuz

Das Eiserne Kreuz ist die bekannteste deutsche Tapfer- keitsauszeichnung. Friedrich Wilhelm III. von Preußen stif- tete diesen Orden am 10. März 1813. Es gab 'zwei Klassen und ein Großkreuz. Die Auszeichnung war ursprünglich nur für die Befreiungskriege gedacht. 1870, 1914 und 1939 wurde das Eiserne Kreuz erneuert. Adolf Hitler stiftete zu den bisherigen Stufen EK I, II und Großkreuz das Ritter- kreuz, das dem früheren Orden Pour le merite etwa gleich- zusetzen ist, und setzte an die Stelle des gekrönten N amens- zugs des Monarchen das Hakenkreuz.

Die Soldatenverbände der Bundesrepublik, die sich auch um die Gleichberechtigung des zukünftigen deutschen Sol- daten der möglichen Europa-Armee kümmern, fordern für die ehemaligen Soldaten die Genehmigung zum Tragen der Auszeichnungen des vergangenen Krieges. Die Ordenskom- mission des Bundesinnenministeriums unter der Leitung des ehemaligen Reichs wehrministers Dr. Geßler will bei der Behandlung dieser Forderung zwei Notwendigkeiten unter allen Umständen berücksichtigen. Grundsätzlich ist man be- reit, das Tragen des Eisernen Kreuzes zu gestatten, aber das Hakenkreuz soll nicht mehr drauf sein. Das ist nicht nur ein verständlicher Wunsch der Ordenskommission, sondern ein dringendes Erfordernis, denn wie sollen in der mög- lichen Europa-Armee Soldaten dienen, deren Orden jene Mitglieder der übernationalen Streitmacht brüskieren, die jahrelang gegen ein Gewaltsystem kämpften, dessen Sym- bol das Hakenkreuz war . ..:... Also schleife man das Haken- kreuz heraus, könnte ein Naivling meinen. - Der Bundes- tagsabgeordnete Dr. Mende meinte vor wenigen Tagen et- was anderes. Er sagte, daß das Hakenkreuz ja so klein sei, daß es bei der Größe des Ordens nicht besonders auffalle.

Diese Äußerung, die wir ruer sinngemäß wiedergeben, kann man nicht ernst genug werten. \lVir wissen nicht, ob Dr.

Mende - obgleich er Ritterkreuzträger ist - seine Worte ernst gemeint hat.

Das Hakenkreuz im Eisernen Kreuz ist klein. Vielleicht ist Dr. Mende einverstanden, wenn man es noch kleiner machen würde, vielleicht so klein wie einen Stecknadelkopf.

Der Liebhaber müßte dann immer noch nicht auf das an- scheinend unersetzbare Emblem verzichten, denn er wüßte ja, wo er es finden. könnte. Wie steht es aber bei den anderen Orden, bei der Vielzahl von Medaillen von der zweiten bis zur höchsten Klasse bei den Deutschen Kreuzen in Silber und Gold? Wie klein sollen hier die Hakenkreuze werden!.

Vielleicht zwei Stecknadelköpfe groß? - Wir sprechen hier von der Ordensinflation, die den Wert der Orden herabgemindert hat. Die Zahl der Ritterkreuz-, Eichenlaub-, Schwerter- und Brillantenträger ist so groß, daß man ein kriegsstarkes Regiment füllen könnte. Wie schätzt denn der Soldat den Wert seiner Auszeichnung ein, der 1945 im Gefangenenlager ein EK I für zwei Päckchen Ami-Zigaretten tauschte? Er denkt anders als der Oberst Rudel, der als einziger deutscher Offizier das "Goldene Eichenlaub mit Schwertern und Brillanten" erhielt, eine Auszeichnung, die nur 12 Soldaten der deutschen Wehrmacht verliehen werden sollte. Manchen Soldaten mag das Eiserne Kreuz eine Erin- nerung an Stunden echter Kameradschaft sein. Hat er denn noch das Kreuz, das er von seinem Befehlshaber als Dank des deutschen Volkes für Tapferkeit vor dem Feinde ent- gegennahm? Viele besitzen wahrscheinlich noch die Verlei- hungsurkunde. Das Kreuz muß bei Juwelieren neu gekauft werden. Aus dem Sortiment funkelnagelneuer Kreuze wird er ein x-beliebiges herausnehmen. Und was machen die vie- len ehemaligen Frontsoldaten, die keine Urkunde mehr haben, bei denen keine Wehrstammrolle Auskunft über Dienstzeit, Rang und Orden geben kann?

Jeder Soldat, der in Schlesien oder Ostpreußen gedient hat, könnte sich einen Orden umhängen, wenn er das Risiko einer falschen eidesstattlichen Erklärung auf sich nehmen wollte. Das ginge wieder auf Kosten des Wertes der Aus- zeichnung und würde eine neue Diffamierung der Soldaten bedeuten, die sie mit Recht verdient haben. Oscar Strobel

BOBINGEN AG. FUR TEXTIL-FASER

Bobingen Kapital DM 8500000

BEHRINGWERKE AG.

Marburg Kapital DM 5000000

SPERR- UND FASSHOLZFABRIK GOLDBACH GMBH.

Goldbach Kapital DM 750000

INDANTHREN-HAUS MUNCHEN GMBH.

Müncnen Kapital DM 100000

SIEMENS-PLAN IA CHEMISCHE FABRIK GRIESHEIM

Fabrikation u. Vertriebvon Kohlefabrikaten Meltingen belAugsburg

DR. ALEXANDER WACKER

Gesellschaft für Eiektrochem.lndustrle GmbH.

München Kapital DM 40000000

DUISBURGER KUPFERIlUTTE

Ouisburg Kapital DM 24000000

(4)

Die polnischen Hochschulen

Von * Diesen Artikel verdanken wir den Mitteilungen eines Assistenten der Technischen Hochschule in Danzig und Lehrers an der PCWM (Staatliche Zentrale für Seeaus- bildung), der in einem Segelboot nach Schweden geflohen ist. Seine Angaben vermitteln ein eindrucksvolles Bild von der Lage der Studenten im "volksdemokratischen" Polen.

o

Die höheren Schulen in Polen bestehen aus einer allge- meinbildenden Zehnjahresschule und aus Fachschulen. Die Absolvierung der ersteren gibt, zumindest theoretisch, die Möglichkeit zum Besuch der Hochschulen. Die Fachschulen werden zwei oder drei Jahre besucht, einschließlich des Technikums. Sechs bzw. sieben Jahre allgemeine Schul- bildung sind die Voraussetzung für den Besuch dieser An- stalten.

Es wäre falsch anzunehmen, daß die Absolvierung einer zehnjährigen, allgemeinbildenden Schule oder ihres Fach- adäquats durchweg und in allen Fällen das Studium an den Hochschulen gestatte. Neben der fachlichen Qualifikation benötigt man dazu nämlich eine Reihe sozialer Voraus- setzungen, welche alle die Schüler nicht erfüllen, deren El- tern der früher herrschenden Schicht (Beamte, Gutsbesitzer, Industrielle usw.) angehörten. Ursprünglich konnten nur Kinder proletarischer Abstammung die Hochschulen be- suchen; die Feststellung aber, daß Kinder aus intellektuellen Familien den verlangten Wissensstoff sich leichter anzu- eignen wußten, hatte zur Folge, daß der BegrIff "Prole- tarier" auf "Arbeiter der Intelligenz" erweitert wurde. Eine andere Voraussetzung stellt die sogenannte Einheitsprüfung dar, der sich jeder Schüler vor dem Übertritt in die Hoch- schule unterziehen muß. Ganz gleich, welches Fachgebiet er wählen möchte, muß er, wenn er immatrikuliert werden will, die Einheitsprüfung über den "dialektischen Materia- lismus", über die "Geschichte der Arbeiterbewegung", übel' die "politische Ökonomie" und über die "Probleme des gegenwärtigen Polens" bestehen.

Aber eine Wahl des Fachgebietes ist in der Praxis nur selten möglich. In den meisten Fällen erhält die Schulleitung genaue Anv,1eisungen der "Plankommission", welchen Stu- dien gebieten die Kandidaten zugeteilt werden müssen. Man muß schon große politische Protektion genießen, oder eine außerordentliche Begabung auf einem speziellen Gebiet haben, um diesem Zwang zu entgehen.

Die' ,Einbeitsprüfllllg' wird vor einer Kommission ab-

gelegt, die aus Vertretern der ZMP (Verband polnischer Jugend - der polnische Komsomol) besteht; Lehrer und Professoren haben nur beratende Stimme. Der Bericht- erstatter erlebte als Lehrer der Seemannsschule, daß sein Prüfungsbericht von der Prüfungskommission ungelesen zu- rückgegeben wurde, da, wie man ihm mitteilte, die Zulass- sungen von der Kommission selbst vollzogen worden seien.

Da die wichtigsten Fächer der Einheitsprüfung politische sind, haben nur die Kandidaten Aussicht, die Zulassung zu bekommen, welche Mitglied der ZMP sind. Gehören sie die- sem Verband aber erst einmal an, so sind sie seinem Einfluß bis zum Berufsantritt ausgesetzt. Die Studieneinteilung und die Kontrolle darüber obliegen dieser Organisation, die die Studenten jeder Fakultät in Zehnergruppen einteilt. Ein Gruppenleiter hat über Anwesenheit, Arbeit, Benehmen der Studenten tägliche Rapporte an das Dekanat zu liefern. Ein- mal in der Woche versammelt sich ein Jahrgang einer Fa- kultät, wobei die "Nachlässigen" ermahnt und gegebenen- falls in der Wandzeitung angeprangert werden. Eine mehr- fache Mahnung kann zur Relegierung führen. Ebenso ob- liegt dem Gruppenleiter die Kontrolle der politisch-sozialen

" Tätigkeit des Studenten, die außerhalb des Fachstudiums

und außerhalb der 24stündigen monatlichen militärischen Ausbildung durchgeführt werden muß.

Wie lebt nun ein polnischer Student? Die Vorlesungen beginnen um 8 Uhr morgens, dauern bis 1 Uhr mittags und sind obligatOTisch. Um 2 Uhr nachmittags beginnen die prak- tischen Übungen, welche bis 5 oder 7 Uhr dauern. Der

Abend ist mit Versammlungen und organisatorischer oder politischer Arbeit angefüllt, die Nacht dient dem Repitito- rium und der Vorbereitung der Arbeit für den nächsten Tag, Dazu kommen "Sondereinsätze" - z. B. für die Elektrifi- zierung eines Dorfes, für die Bekämpfung des Analphabe- tismus oder für den Kampf um die Kollektivierung - die von der kommunistischen Partei oder von der ZMP angesetzt werden. Diese Arbeiten werden gewöhnlich samstags und sonntags getan.

Einmal im Monat werden ,Produktionsversammlungen' abgehalten, in denen das Studienprogramm in allen Einzel- heiten besprochen wird und wo manchmal groteske Wett- bewerbe zur vorzeitigen Erfüllung des ,Plansolls' veranstaltet werden.

Die Studenten wie auch die Professoren unterliegen also einem ständigen Zwang. Zwischen der Notwendigkeit, die Prüfungen, die, anders als an den westeuropäischen Hoch- schulen, terminmäßig genau festgelegt sind, zu bestehen und der täglich wachsenden politischen Beanspruchung ist kein Kompromiß möglich. Der Student lebt in dauernder An- spannung, gehetzt von den widersinnigsten politischen For- derungen. Angesichts dieser Verhältnisse ist es erstaunlich, daß sowohl das Niveau der Vorlesungen als auch die theore- tisch-praktischen Kenntnisse der Studenten relativ hoch sind.

Dies ist wohl vor allem den alten Professoren zu danken, die nicht nur alles tun, um den Studenten in ihrem Dilemma zu helfen, sondern auch manchmal erstaunliche Zivilcourage beweisen. Allgemeinen Beifall erhielt z. B. einmal die Hal- tung eines Professors für Maschinenkonstruktion der Tech- nischen Hochschule Danzig, bei dem sich der Minister für Schiffahrt anläßlich eines Stapellaufes nach den Mängeln auf der Schiffs werft erkundigte. Der Professor erwähnte den Mangel an routinierten Schweißern; der Minister empfahl Dreimonatskurse zur Ausbildung von Schweißern,zu ver- anstalten. Der Professor antwortete: "In drei Monaten kann man einen Minister machen, nicht aber einen Schweißer".

Zu den bisher erwähnten Belastungen, die der Student im heutigen Polen zu tragen hat, kommt hinzu, daß er sich einen Teil der materiellen Grundlagen seines Studiums selbst verdienen muß. Das Stipendium, das die meisten Studenten erhalten und das von der aktiven Arbeit innerhalb der ZMP abhängt, reicht für den Lebensunterhalt nicht aus.

Die Mehrzahl der Studenten muß also Gelegenheitsarbeiten übernehmen. Die meistgesuchte "Arbeit" ist diejenige des Blutspenders; viele Studenten der Danziger Hochschule

"verdienen" auf diese Art ihren Lebensunterhalt. Der Be- richterstatter verdiente als Assistent monatlich 600 Zloty, was in Polen dem Preis von 12 kg Butter entspricht. Ein ge- wöhnliches Frühstück, bestehend aus 3 Brötchen mit Käse und zwei Gläsern Milch, kostet über 5 Zloty. Für Blut- spenden erhielt er aber zirka 500 Zloty im Monat.

Trotz dieses Nebenverdienstes, oder gerade deswegen, sind die Studenten unterernährt, und der Prozentsatz an Tuberkulosekranken unter den polnischen Kommilitonen ist erschreckend hoch. Das Essen der Mensa besteht aus Kar- toffelsuppe oder etwas Makkaroni, Nieren- und Lungen- ragout, manchmal aus Fischen.

Das Studienprogramm ist eine genaue Kopie des sowjet- russischen. Bei Prüfungen mit kommunistischen Professoren, die langsam die alten zu verdrängen beginnen, ist die Kennt- nis von sowjetischen Autoren unerläßlich. Viele der sowje- tischen Lehrbücher sind Plagiate. Der Berichterstatter hat selbst ein derartiges Plagiat entdeckt, als er ein kürzlich erschienenes sowjetisches Handbuch für Radiotechnik in die Hand bekam, das von einem Redaktionskommitee sowje- tischer Techniker verfaßt war. Beim Lesen kam ihm das Buch merkwürdig bekannt vor, aber er konnte sich nicht erinnern, es jemals gelesen zu haben. Schließlich kam er dahinter, daß es sich um eine fast wörtliche Übersetzung eines amerikanischen Standardwerkes von Terman handelte (Radio Engineers Handbook), wobei sogar das Bildmaterial aus dem amerikanischen Originalwerk stammte. Nur das

lJioubelsblott

_. ..

ft DER BETRIEB

4

DEUTSCHE WIRTSCHAFTSZEITUNG

3 X wöchentlich Rohstoffmarkt- und Branchenberichte, Marktuntersuchungen, Berichte über die Industrie- und Wirtschaftsgesellschaften, Börsennotierungen, Devisen- kurse, Finanzanzeigen, Bilanzen, Ein- und Ausfuhr- dienst; freitags der große Stellenmarkt für Qualitäts- kräfte,

WOCH E NSCH RI FT FO R BETRI EBSWI RTSCHAFT STEUERWESEN WIRTSCHAFTSRECHT ARBEITSRECHT

Aktuelle Themen aus der Praxis; in steuerlichen, wirt- schafts- und sozialrechtlichen Hinwei~en schnellste In- formation über Erlaß und Anwendung neuer Gesetze und Verordnungen; Veröffentlichung von Entscheidun- gen des Steuer-, Zivil-, Arbeits- und Sozialrechts sofort nach Vorliegen.

Für Studierende und Referendare um mehr als 50 % (I) ermäßigte monatliche Bezugspreise: HANDELSBLATT DM 2,50 (statt DM 5,60), DER BETRIEB DM 2,- (statt DM 4,80); keine postalischen Zustellgebühren, kein Aufgeld für Trägerzustellung, kein Abholen beim AStA, Lieferung frei H,aus. Prospekte und kostenlose Probenummern in der Universität oder durch den

VERLAG HANDELSBLATT G.M.B.H. DOSSELDORF - PRESSEHAUS.

Papier, das Format und ein fehlendes . Kapitel über die Funkortung untschieden das" Sowjetplagiat vom amerika~

nischen Werk.

Zu der ständigen Kontrolle und dem unaufhörlichen Zwang kommt das ewige Mißtrauen gegenüber allen Kolle- gen und Freunden. Das polnische Gesetz über die Wahrung von Staatsgeheimnissen enthält einige sogenannte Kau- tschukparagraphen, die in beliebigem Ermessen angewandt werden können. Professoren, Assistenten, Studenten, ja selbst die Schuldiener sind verpflichtet, alle Schubladen und Schränke, auch wenn sie leer sind, verschlossen zu halten wollen sie nicht Gefahr laufen, wegen Verletzung von Staats~

geheimnissen angeklagt zu werden. Ein Student der Dan- ziger Hochschule erhielt als Diplomarbeit die Aufgabe, das Projekt eines Hafens auszuarbeiten. Als seine Arbeit beinahe vollendet war, kam die Geheimpolizei in seine Wohnung und entdeckte die Pläne. Der Beteuerung des Studenten, daß es sich um eine rein technische Aufgabe handele, und daß der Hafen in Wirklichkeit nicht existiere, wurde kein Glauben • geschenkt. Ohne sich mit der Hochschule in Verbindung set- zen zu können, wurde der Student verhaftet, wobei d'ie Tat- sache, daß er den Namen des Hafens sowie die Quelle für seine Information nicht angeben konnte, für ihn besonders nachteilig war. Erst nach Monaten setzte sich die Geheim- polizei (UB) mit der Hochschule in Verbindung, was die Klärung des Falles innerhalb weniger Minuten und die Frei- lassung des "gefährlichen Spiones" zur Folge hatte.

Lan" dratsdiplomatie

Zur gleichen Zeit, als sich in Bonn und anderswo die Ge- müter um eine mögliche Auslieferung der geflohenen Breda- Häftlinge erregten, geschah ein Ausweisungsverbrechen, nach dessen Veröffentlichung durch die Presse die öffent- liche Meinung schwieg. VielleiCht war man gerade zu sehr bemüht, den Holländern nachzuweisen, daß sie nicht frei von politischen Ressentiments in ihrer Rechtsprechung ge- wesen waren, als sie jene ehemaligen SS-Leute zu hohen Strafen verurteilten.

Auf seine Weise nützte das Landratsamt Donauwörth - wie die "Abendpost" vom 28. Februar 1953 berichtete- diese Zeit, um in aller Stille eine Ausweisung durchzusetzen, deren Opfer ein ehemaliger sowjetischer Offizier wurde, der als Zwanzigjähriger 1946 nach Westdeutschland geflüchtet war. Hätten die Verantwortlichen dieses Landratsamtes nicht in aller Stille gearbeitet, wäre Swatoslav Borodin heute in Freiheit, denn die Gefängnisstrafe, zu der das Amts·

gericht Donauwörth ihn verurteilt hatte, wäre am 28, Fe·

bruar 1953 verbüßt gewesen. Obwohl die amerikanische Hochkommission Borodin die Möglichkeit zur Auswande·

rung bot, und das rechtzeitig dem Landratsamt Donauwörth mitteilte, lieferte dieses ihn - einen Tag vor Beendigung der Gefängnisstrafe - den Sowjetbehörden an der Zonen- grenze aus.

Während zwischen der Bundesrepublik und Holland diplomatische Beziehungen bestehen, man also init den Holländern auf dem Rechtswege über eine Auslieferung der geflohenen Breda-Häftlinge verhandeln kann, ist bisher noch nicht bekannt geworden, ob das Landratsamt Donau·

wörth "diplomatische" Beziehungen zur Sowjetzone oder zur Sowjetunion unterhielt oder noch unterhält. Verwunder·

lich ist jedenfalls die gute Verständigung zwischen Donau- wörth und den Sowjets: waren doch zur Ausweisung termin- gerecht acht sowjetische Offiziere und mehrere Volkspoli·

zisten an der Zonengrenze erschienen.

Man sollte annehmen, daß die Verantwortlichen sich an den fünf Fingern abzählen konnten, was den ehemaligen Deserteur Borodin erwartet. Und wurde Borodin deshalb einen Tag vor Beendigung seiner Strafe ausgewiesen, weil man dem Vorwurf entgehen wollte, einen Tag später einen freien Mann ausgeliefert zu haben? Was im Falle der Breda- Häftlinge durch einen gerechten Entscheid den deutschen Gerichten Ansehen verschaffen könnte, ist durch die Aus- lieferung Borodins im voraus diffamiert worden.

Eduard Darsen

Dieser Ausgabe liegen Bestellkarten des Verlages Han- delsblatt G.rn.b.H., Düsseldorf, und Verlagsverzeichnisse des Betriebswirtschaftlichen Verlages Dr. Th. Gabler, Wies·

baden, bei.

1868

85 Jahre

1953

Die Buchhandlung für den

Me d i

%

i n er

JOHANNES ALT

Fachbuchhandlung und Antiquariat für Medizin und Naturwissenschaften

FRANKFURT A. M.-SüD

10 Gartenstrarye 134 . Tel e fon 6 1 993

Je1}t wieder in den erweiterten Geschäftsräumen Gartenstr. 134, H~ltestelle Hip P 0 d rom, in der Nähe der Universitätsk,liniken

(5)

Besuch bei Thomas ~ann

Ein Briefwechsel

Zürich, 1.8. D~z. :1.952

Liebe junge Freunde,

recht herzlichen Dank für Ihren guten, mich ehrenden Brief! Er hat mir Freude gemacht (wie auch die Durchsicht Ihrer uDISKUS=Blätter"), und doch kommt er in einem un=

günstigen Augenblick. Ermüdet von den absolvierten Vor=

tragsreisen und ernstlich erkältet, muß ich vielen Anfordec rungen mitten im Trubel der übersiedlung in unser neues Heim in Erlenbach genügen ... Wir müssen diese Zusam=

menkunft verschieben.

Ab 23. Dezember' also ist mein dauernder Wohnsitz:

Erlenbach=Zürich, Glärnischstraße. Unbehaglich wird es not=

wendig zunächst dort noch zugehen. Aber in einigen Wochen, sagen wir: zweite Hälfte Januar, wird es gewiß so weit sein, daß ich Ihre Vertreter, die Redaktoren Ihrer schönen, jugend=

lich lebensvollen Zeitung zu einem Gespräch willkommen heißen kann.

Nehmen Sie meine besten Grüße und Wünsche!

Sehr. geehrter Herr Nicklas,

Ihr ergebener Thomas Mann

Erlenbach=Zürich, 2. Febr. :1.953 es tut mir aufrichtig leid, daß ich Sie so lange ohne N ach=

richt lassen mußte - zulange wahrscheinlich. Aber kaum waren wir mit der umständlichen Installierung in unserem neuen Heim leidlich zu Rande gekommen, da erkrankte ich an der Grippe - allgemeiner und richtiger: an einer Virus=

infektion (mit obligater Nierenreizung). Es war eine recht

Das Gespräch

Nicht zufällig war es, daß Thomas Mann im vergangenen Jahr gerade in Frankfurt ein Kapitel aus dem "Felix Krull" las. Sp'ielt doch eine Partie des Fragmentes in der Mainstadt, von der er vor einigen Jahren den Goethepreis empfing. Aber uns scheint, daß es ebensowenig ein Zufall war, daß die Lesung in der Aula unserer Universität stattfand, denn seit den Tagen der Emigra=

tion in den USA verbinden Thomas Mann freundschaftliche Be=

ziehungen mit Prof. Max Horkheimer und Prof. Theodor W.

Adorno, dem musikphilosophischen Ratgeber beim IIDr. Faustus".

Die Mitteilung Sr. Magnifizenz ~n die Redaktion des DISKUS, Thomas Mann sei nach der Lesung besonders über den herZe lichen Beifall der Studenten erfreut gewesen, die zumeist auf der Empore Platz gefunden hatten, ermutigte uns, den Dichter um die Gewährung eines Gespräches zu bitten. Thomas Mann sagte zu. Mitte März - nach einiger Verzögerung - fand das Gespräch in der Wohnung Thomas Manns in Erlenbach bei Zürich statt.

Das Hausmädchen öffnet. Die kleine weißhaarige Dame im schwarzen Seidenkostüm, die uns drinnen mit lebhafter Freundlichkeit empfängt, ist Frau Kat ja Mann. "Mielein"

- fällt mir ein - nannte Klaus, der Sohn, seine Mutter in der Autobiographie "Der Wendepunkt". Die Frau des "Zau- berers". Auch die braunen Augen, ein wenig schalkhaft, ein wenig forschend, aber doch warmen Glanz ausstrahlend, fallen mir gleich auf. "Es tut mir leid", sagt sie, "daß es gestern nachmittag nicht gepaßt hat. Der Herr Csokor aus Wien hatte sich bereits angesagt. Bitte, gehen wir einst- weilen hier hinein. Mein Mann ist noch oben. Übrigens, wenn Sie irgendwelche D~ten über ihn wissen wollen, so können Sie solche Fragen auch an mich richten." Wir be- danken uns höflich, aber wir glauben hinreichend informiert zu sein; zudem habe man ja nicht nur die Werke des Dich- ters, sondern auch solche übe r ihn gelesen. "Einen Sherry vielleicht?" Nun, der Weg hier hinauf habe es in sich gehabt. Lachen. Wir trinken. Zaghaft. - Franz Theodor Csokor, das sei doch der österreichische PEN Club Präs i-

schwere Anfechtung, an deren Nachwehen ich noch heute laboriere. Meine Korrespondenz blieb liegen, und ich stan~

vor einem jener Bankerotte als Briefschreiber, wie sie sich von Zeit zu Zeit unweigerlich ereignen.

... Daß unsere Verabredung mir jetzt wieder einfällt, mag als Zeichen einer gewissen Erhebung aus betrüblichstem Nerven= Tiefstand und quälender Insuffizenz gelten. Ich rechne durchaus damit, daß Ihnen die Sache unterdessen gleichgültig geworden ist. Von meiner Seite aber wäre es doch nicht hübsch, Ihrer einfach nicht mehr zu gedenken, und so bitte ich Sie, mir zu sagen, ob bei Ihnen noch Inter=

esse an einer Begegnung und Unterhaltung besteht ...

Wie gesagt, Sie mögen ja Ihre Veröffentlichung längst ohne Interview herausgebracht haben, so daß alles Geplau=

der sich erübrigt. In diesem Fall - auch gut. Ich wollte nur mei1:zen guten Willen "unter Beweis stellen" wie man jetzt

sagt. Ihr ergebener

Thomas Mann

Erlenbach=Zürich, 5. März 1.953 Sehr geehrter Herr Nicklas,

das hat wirklich etwas Verwünschtes! Sie haben genau den einzigen Tag getroffen, an dem ich Sie nicht sehen kann.

Am Freitag, den 1.3. habe ich eine Vorlesung im Züricher PEN=Club mit vorangehendem frühem Abendessen, und das ist wirklich genug für mich.

Je

der andere Tag ist mir recht. Kommen Sie Donnerstag, den 1.2. oder Samstag, den 1.4., oder wann Sie wollen. Montag, der 1.6. wäre auch gut.

Wählen Sie, bitte.

Ihr ergebener Thomas Mann

dent? "Ganz recht, kennen Sie ihn?" Wir antworten, ihn einmal in Darmstadt anläßlich einer Tagung der dortigen Akademie als Redner gehört zu haben. "Und welchen Eindruck hatten Sie?" Wir kommen nicht zur Antwort, denn Thomas Mann hat - flüchtig angemeldet durch den Schat- ten seiner Gestalt hinter dem stumpfen Glas der Tür - das Zimmer betreten. Er ist mittelgroß, eher klein. Hager. Sehr aufrecht. Er trägt einen grauen Anzug mit seidenen Zier- tüchlein in der Tasche. Den Kopf hat er ein wenig nach hinten geneigt, die linke Braue merklich nach oben gezogen.

Um den Mund spielt ein höflich-freundliches Lächeln. Nichts von Ironie. Begrüßung. Ich fühle die Hand des Dichters in der meinen. Die Hand, die den gewaltigen Faustusroman niedergeschrieben hat. Und den "Zauberberg" und den

"Tod in Venedig" - der Gedanke verwirrt mich einen Mo- ment. Wir setzen uns. Thomas Mann bietet amerikanische Zigaretten an. Das also ist der "Zauberer", den Klaus Mann im "Wendepunkt" mit liebevoller Akribie gezeichnet hat.

Das Bild, welches mir dies Buch von dem Dichter gab, sehe ich - schon nach kurzem Beisammensein - bestätigt. Ein Genie im Zweireiher, mit gepflegter Frisur und von zuvor- kommender Höflichkeit. "Sie sprachen gerade über Cso- kor -?" Wir bejahen und beIl1erken, daß Csokors Darm- städter Vortrag nicht überragend gewesen sei. "Nun, nicht jedem liegt das Essayistische ... " Diese Antwort ist uns will- kommener Anlaß, auf seine, Thomas Manns, eigene Doppel- begabung als Erzähler und Essayist zu sprechen zu kommen, womit übrigens die Ansicht Benns, das Essay liege besonders dem Lyriker, als nicht stichhaltig sich erwiesen habe. Frau Kat ja weist auf die glänzenden Essays ihres Schwagers Hein- rich hin. "Ja", schließt Thomas Mann dieses Thema ab, be- sonders das Alterswerk meines Bruders, ,Ein Zeitalter wird besichtigt', möchte ich Ihnen empfehlen. Aber ich glaube, Sie werden es in Westdeutschland nicht ohne weiteres be- kommen, weil es in der Ostzone erschienen ist." Vielleicht ein bißchen unvermittelt, fragt einer von uns, welchen Ein- druck der Dichter, der doch in den letzten Jahren gewiß des . öfteren mit jungen Deutschen sich unterhalten konnte, von

Das gelbe Haus auf dem Berge - Thomas Manns Wohnsitz in Erlenbach=Zürich.

dieser deutschen Jugend habe? Mir scheint, daß Thomas Mann diese Frage mit besonderem Ernst beantwortet: "Ich sehe, wenn ich mich mit jemand unterhalte, immer nur die einzelne Persönlichkeit und halte es für falsch, in irgendeiner Hinsicht verallgemeinern zu wollen. Man sagt ja, es herrsche unter der heutigen deutschen Jugend eine beträchtliche Orientierungslosigkeit, was nach der Katastrophe auch zu verstehen ist. Aber ich halte diese Orientierungslosigkeit vor- nehmlich für einen Mangel an Bildung, der heute vielleicht eine europäische Ers/cheinung ist. Die einzigen Häfen, welche heute noch Sicherheit gewähren, sind wahrscheinlich Kommunismus und Katholizismus. Ich kann es schon ver- stehen, wenn so viele Menschen hier Geborgenheit suchen und finden. Für mich selbst - wenn ich das hinzufügen darf - kommt weder das eine noch das andere in Betracht, denn ich bin jedem Kollektivismus im Innersten abgeneigt."

Wir kommen auf die Massenflucht der Ostzonen bewohner nach Westberlin zu sprechen. Thomas Mann runzelt die Stirn und zieht die linke Braue noch höher. Er spricht von der Politik als von "Lausbübereien". "Unendlich viele von denen, die ihre Heimat mit den größten Illusionen ver- lassen, werden eine herbe Enttäuschung erfahren." Aber wir betonen, daß es nicht unsere Absicht sei, spezifisch poli- tische Fragen zu stellen, denn wir wüßten, welche Mißver- ständnisse sich nur zu oft aus solchem Spiel ergeben. "Sie meinen vielleicht jene leidige Pressekonferenz in Wien vor ein paar Monaten? Nicht ungern würde ich ja alle Politik ganz· und gar ignorieren, aber die Probleme brennen mir doch immer wieder auf den Nägeln."

Ich habe den Eindruck, daß man wieder auf' s Literarische zu sprechen kommen solle. "Was macht der ,Krull'?" frage ich. "Nun, der ,Krull' ruht momentan. Dagegen arbeite ich gerade an einer Novelle, die im Mai im Münchener ,Mer- kur' erscheinen soll. Eine Novelle etwa vom Umfang des ,Tod in Venedig'. Der ,Felix Krull' ist für mich natürlich insofern problematisch geworden, als es ein Unterschied ist, ob man mit 40 oder mit 77 Jahren an ein und demselben Buche schreibt. Jenes Kapitel, das ich im vergangenen Jahre in der Aula Ihrer Universität vorlas, läßt gegenüber dem alten Fragment bereits eine Zäsur erkennen, die sich not- wendig ergeben mußte - sowohl in der erzählerischen Ab- sicht wie auch in der Wahl des Stofflichen." Frau Mann sagt, daß sie gern an den erfolgreichen Leseabend in der Frankfurter Universität zurückdenke. "Ja, die Herzlichkeit des Beifalls hat auch mich sehr angenehm berührt", sagt Tho- mas Mann, "aber ich glaube, ein anderer Vorleser, etwa ein Schauspieler, hätte mit diesem Kapitel nicht den gleichen Er- folg gehabt. Ich habe ja, wie Sie vielleicht wissen, das Vor- lesen mein Leben lang gepflegt. Und ich habe mir da eine gewisse Technik zu eigen gemacht, die wohl nur mir als Autor gelingen konnte." - "Sie erwähnten vorhin beiläufig den ,Tod in Venedig', wie stehen Sie heute dieser Novelle?

Ich stelle diese Frage, weil ich den Eindruck habe, daß die Jugend Ihre kleineren Werke den großen Romanen vor- zieht." - "Nun ja, der ,Tod in Venedig' ist eine künst- lerisch höhere Stufe des ,Tonio Kröger'. Aber ich muß sagen,

5

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Weitere Hochschulmeister: Hockey: Uni Köln (3: 1 gegen Heidelberg); Faustball: TH Aachen als Turniersieger vor Er- langen, Hamburg und Braunschweig. In dem prächtigen

N ach meiner Kenntnis plant man dort - nahe der City - ein Universitätsviertel mit einer Anzahl von Fakultäten. Die medizinischen Kliniken, die bisher in

erfüllt angesehen, so bestellt dieser die Gutachter zur Beur- teilung der Dissertation, und zwar einen Referenten (in der Regel der Anreger der Arbeit) und

Margi hat große braune Augen. Sie ist nicht schön. Viel- leicht ein bißchen hübsch, mit einem kleinen Zug ins Ordi- näre. Die Beine sind krumm und an Stelle der

Die Aufforderung des Rektors, nach dem vorliegenden Statut zu wählen (der das Parlament übrigens nach- kam), hatte die Wahl von Prof. Hagenmüller als Sprecher der

Hälfte; dies gilt jedoch nicht, wenn der Prüfling gemäß § 23 der Juristischen Ausbildungsordnung (Täuschungsversuch) von der weiteren Teilnahme an der Prüfung

Auskunft und Beratung in allen · Fragen des Außenhandels früher DEUTSCHE BANK.. Diese Gutachten befanden sich später im Besitz der Alliierten und haben, soviel ich

gutmachungsabkommens mit Israel und eine positiv' e Politik den arabischen Staaten gegenüber ausschließen. as auch nicht und versucht das auch seit geraumer Zeit, den