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Adolph Menzel [und Katalogbeiträge]

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WERNER BUSCH

ADOLPH MENZEL

Adolph Menzel begann alsGebrauchsgraphiker. Sein Vater, vonun­

glücklichenkünstlerischen Neigungen getragen, hatte in Breslau eine lithographische Anstalt gegründet, undAdolph Menzel arbeitete hier bereits injüngsten Jahren. Als Menzel15 Jahrealtwar,zogdie Familie nach Berlin,um dem offensichtlich hochbegabten Sohn eine künstle­ rische Ausbildung zuermöglichen. Doch daraus wurdewenig, der Va­

ter starb 1832, und der 17-jährige Menzel musstedie väterliche Stein­ druckerei fortführen,um die Familie - Mutter und zwei jüngere Ge­ schwister -zuernähren. Dass Menzel höhere Ambitionen hatte, macht gleich seinerster graphischerZyklus ,KünstlersErdenwallen (s. Kat.

Nr. 155) deutlich, den der alte Gottfried Schadow zu lobenwusste,was Menzel denZugangzuKünstlerkreisen verschaffte. Doch in erster Li­

nie war Brotarbeit gefordert: Die ganzen 1830er Jahrelieferte Menzel Brief-undRechnungsköpfe,Geschäftskarten,Diplome, Urkunden, Vi­ sitenkarten, Einladungs- und Festkartenfür Private und Vereine, etc.

etc. Menzel hat dies in der Rückschauals Fron betrachtet:„[...]heute in einem Musikalientitel, morgen in irgend einerRechnungsvignette eine künstlerische Aufgabe“sehenzu müssen, das habe ihn gequält (Kirstein 1919, S.107).

Unddennoch:Es gehtkein Weg daran vorbei, dassdieserZwang zur Gebrauchsgraphik Menzels künstlerische Möglichkeiten ein füral­ lemal geprägt hat. Denn was warhier gefragt? Ein unmittelbarerWirk­

lichkeitszugriff, ein Kaleidoskop des menschlich Möglichen,ein spie­

lerisch-ironischer Umgangmit dem, was Friedrich Theodor Vischer 1878 in seinemRoman .Auch einer. EineReisebekanntschaft“ (2. Auf!., Stuttgart/Leipzig 1879) auf den Begriff gebracht hat: der „Tücke des Objekts“. Menzel eignet sich Wirklichkeitsbereiche an, die inder offi­

ziellenKunst nicht vorkommen: extreme Haltungen, Blickwinkel, Si­ tuationen, die unfreiwillig komisch sind, Motivekurz vor dem Um­ kippen inkleine Katastrophen, Transitorisches, Momentaufnahmen.

Menzel zeichnet, wo ergeht und steht, nimmt auf,wasihm auffällt.

Doch dieseWirklichkeitspartikel,dieseZufallserfahrungen, werden aus ihrer bloßenZufälligkeitdurch arabeske Verknüpfungenerlöst.

Menzel hattenichtnureinespontaneAuffassungsgabe, sondern auch eine unglaublichleichte Hand.Das konnte erauch und gerade in der Gebrauchsgraphiknutzen. Die zumeistkleineren Werke, nicht selten offenbar mit der Lupe gezeichnet, sind technisch gesehen Federlitho­

graphien.Der Vorteil des neuen Mediums Lithographiebestand darin, dass derKünstler auf den Stein wie auf ein BlattPapierzeichnen konn­

te. DieFeder kann freilaufen und gewinnt bei Menzels Auftragsarbei­ ten wievon selbst ornamentale Gestalt.Natürlich kannte Menzel Strix- ners lithographische NachzeichnungennachDürersRandzeichnungen zum Gebetbuch Kaiser Maximilians, und auch Menzel liebte den Schreibmeisterschnörkel,diesen Inbegriff eines freien Verlaufesder Linie, der andererseitsfigurative Form gewinnt. Zufall und Notwen­ digkeit verschränken sich.

Menzelhat denBereich des künstlerisch Darstellbarenbeträchtlich erweitert.Abererhat auch derAllegorie einezeitadäquateneueForm gegeben. Im 19.Jahrhundertverloreinemehrhundertjährige allegori­ sche Bildersprache entschieden an Verbindlichkeit, undman kann die These äußern, dass sie zwei Refugien fand:dieKarikatur und die Ge­ brauchsgraphik. In beiden Gattungen trat dieAllegorie in indirekter, gebrochenerFormauf,im Modusder Reflexion. In der Karikatur wur­

de sie ironisch-parodistisch gewendet,in der Gebrauchsgraphiktrat sie in Spannung zu den zeitgenössischen Verhältnissen. Damit verlor sie ihre verklärendeFunktion, erwies sich als bloßes Gedankenspiel.

Dem kamdiearabeskeForminsofern entgegen, als sie verschiedene WirkJichkeits-und Argumentationsebenen zusammenbinden konnte, ohne dass die widersprüchlichen Wirklichkeitsbereiche zum Ver­

schwinden gebracht würden. Die Arabeske hob siedialektischauf.

310 VIII. VERZWEIGUNGEN UND ARABESKE VIELFALT

Originalveröffentlichung in: Busch, Werner ; Maisak, Petra ; Weisheit, Sabine (Hrsgg.): Verwandlung der Welt : die romantische Arabeske, Petersberg 2013, S. 310-323 ; 325-327

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ADOLPH MENZEL (1815-1905) KÜNSTLERS ERDENWALLEN

Titelblatt der elfteiligen Folge

Berlin: L.Sachse & Co. Kunst-Verlags-Hand­ lung 1834

Federlithographie auf türkisblauem Papier;

28,8 x42,7 cm (Platte), 30,7 x44,9 cm (Blatt) Bez. u. r.: „AM“ [ligiert]

FDH-FGM, Inv.Nr.111-14180

Literatur: D. 89; B. 109; Ebertshäuser 1976, Bd. 1, S. 55; Hoff 1978, S. 39-44; Hofmann 1979, S. 206, 220f., Abb. 5; Kat. Cambridge 1984, Nr. 113.1, Abb. S. 154; Kat.Berlin 1984, Nr.188.1 (oder 188.2), S. 243.

Nach dem Titelblatt folgen elf Szenen, die das unglücklicheLeben des Künstlers verfolgen, dem allein der Nachruhm bleibt. Wieder al­ lerdings leicht veränderte Titel deutlich macht, liefert Menzel eine Paraphrase auf Goethes ,Des Künstlers Erdewalleh von 1773/74, das bei Goethe ursprünglich nur aus der Szenebesteht,dieMenzelals neunteSta­

tion im Lebenslauf des Künstlers illustriert und diebetiteltwird:„Der Künstlermalt aus Notdie häßliche Gattin einesProtzen“.Goe­ thenennt sein Künstlergedicht einDrama, er­ gänzt es noch imJahr 1774 antithetisch durch

■Des Künstlers Vergötterung'. Beides sind Stammbucheinträge, der zweite galt Goethe offenbarals vorläufig, denn 1788 unmittelbar nachdenErfahrungen der Italienreise formu­ liert er die eigentliche Antwort auf das Elend des Künstlersdurch .Künstlers Apotheose', woderKünstler,der, wie auch Menzel im Zy­ klus schildert (10. Szene), in Armut gestorben ist undFrau und Kinder darbendzurücklas­ sen musste,von seiner Muse im Himmelsei­

nen Nachruhmgezeigt bekommt.Dies stellt Menzels Schlussszene dar - was deutlich macht, dass Menzel auchauf Goethesspätere Ergänzung rekurriert: allerdings auf seine Weise. Zwar wird auchbei Menzel dembei Goethe erwähnten Fürsten vomKunsthänd­

lerdas frühe Meisterwerk desVerstorbenen gezeigt, doch imGefolge taucht heftig gesti­ kulierend und Kompetenz beweisendGoethe selbstauf. Doch wederzeigtMenzel das bei Goethe genannte Thema des Bildes Venus Urania', vielmehrden blinden Belisarius, der

155 um Almosen betteln muss,noch scheint er

das Kunstgerede vormBild ernst zu nehmen, denn hinter derStaffelei versteckt er einzwei­

tes Bild, an demPalette und Malstock hängen, und dargestellt istein Esel, der ausschlägt.

Der alte Schadow warvon Menzels Seriean­

getan undermöglichtedurch sein Lob schon 1834 Menzels Zugang zumVereinder jünge­

ren Künstler'ohne dass Menzeleine rechte Ausbildung genossenhätte. Macht man sich klar, dass Schadow einen heftigen Disput mit Goethe ausgefochten hatte, als dieser der Ber­

liner Kunst 1800plumpen Naturalismus und prosaischenZeitgeist vorgeworfen und Scha­

dow darauf auf das Verschwommene der .Propyläen und auf die fehlende Charakteris­

tik der dort vertretenenKunst verwiesenhat­ te, dannwird deutlich, dass Schadow in Men­

zel einenVertreter einercharakteristischen Kunstohne forcierten Idealismus sah.Es ist sogar möglich,dass Menzel mit seiner gewis­

sen Goethe-Parodie auf Schadows Verständ­

nis gezielt hat, denndie Szene 9 zeigt hinter der hässlichen Frau, die Modell sitzt,ein Bild der drei Grazien - die Schadows Visitenkarte zierten.

Das Titelblatt in seiner arabesken Form liefert den künstlerischenWerdegang in allegorische Formgekleidet.Dasist schon fürsich einin­ teressantesFaktum, denn die Allegorie mit

ihrem über Jahrhunderte gültigen Apparat hatnur noch in gebrochener, reflektierter und auch in ironisierter Form beiMenzelihr Vor­

kommen. Titelblätter transferieren im 19.

Jahrhundert dasfolgende Geschehenauf eine andere Ebene, nehmen manches vorweg, kommentierenesaber bildreich, was der fol­ gendeneigentlichen GeschichteeinenTeil ih­ rer Kraftraubt-sieist kommentarbedürftig geworden. Menzel hat das Titelblatt und die folgende Szene selbst benannt. ZumTitelblatt heißt es: „Oben inder Mitte: Das Urtheil des Midasim Wettstreit des Pan[recte: Marsyas]

mit dem Apollo. Unten in der Mitte: Das Ge­ schrei der Fama überunwürdige Dinge(als da sind: Ochsen, Esel, Schaafe, Gänse pp.)“. Fama bläst als Ausgang der Arabeske also nicht, wie sich das gehörenwürde,die Trom­ petedesRuhmes, sondern gibt Kakophonie von sich, das heißt, sielobt das Falsche. Zu den Seiten werden in allegorischerFormdie Lebensstufen des Künstlers vorgeführt: Er flieht von zu Hause, vom Genius mitdem Blasebalg getrieben in einer Ballongondel,er flieht weiter wie ein Vogel aus einemVogel­

bauer, hat hochfliegende Pläne, doch die Hoffnung führt ihn im Dornengestrüpp an derNase herum, er möchte in die Höhedes Geistes, doch wirder mitGewaltvon einer Teufelsgestalt zurückgehalten.Es hätte ihm

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auch nichts gebracht,dennMidas im Scheitel derArabeske fällt bekanntlich das falsche Ur­ teil imKünstlerwettstreit, sodass ihm Esels­

ohren wachsen. Wenn GoethedieApotheose immerhin als Nachruhm denken kann, sobe­ lässt Menzel,aller Allegorisierungzum Trotz, das Geschehen inder Wirklichkeit,und hier kann der Künstler nur mit Unverständnis rechnen. Vorbild für MenzelsAuffassung von der Künstlerexistenz ist dieenglische Karika­

tur des 18. undfrühen 19. Jahrhunderts,be­ sonders in der Gestalt vonThomasRowland- son. DieprosaischenVerhältnisse gebendem Künstler jedoch in derArabeske dieMöglich­

keit, der Phantasie freien Lauf zu lassen.

Kunst und Wirklichkeit geraten in ein dialek­

tischesVerhältnis, das nur ironisch aufgeho­ ben werden kann- undebendasleistetdie

Arabeske. W. B.

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ADOLPH MENZEL (1815-1905) DIE FÜNF SINNE - LES CINQ SENS, 1835

Federlithographieauf weißemLithopapier;

39,8 x30,7cm(Platte), 59,9x 45,6cm (Blatt) Bez. u. r.:„AdolphMenzel inv. & fec. 1835.“; unterhalb desrechten Bildfeldes: „AM“ [ligiert], u. Mitte: „Druckund Verlag vonL.

Sachse& Co. Berlin“ PrivatbesitzBerlin

Literatur: D.109; B. 124; Ebertshäuser 1976, Bd. 1, Abb.S. 112;Kat.Berlin 1984, Nr. 218.

Obwohl es sichbei der Darstellung der,Fünf Sinne1 um eine ausgesprochen große Arabes­ ke handelt, hat sie Vignettencharakter. Cha­ rakteristikumder Vignette - diein der Buch­

kunst geradedes früheren 19.Jahrhunderts einen besonderen Aufschwung erlebt-ist,da ihr ein rechteckiger Rahmen, vorallemeine Basisfehlt,ihr Schweben auf der Buchseite.

Menzel ordnet die fünf Sinne infünf Quartie­

re: in einephantastische dreischiffige Hallen­

kirche, deren Turmgeschoss,und, so kann man es lesen, deren Krypta, diehier aller­ dings einen mönchischenWeinkeller bildet.

Im linken Seitenschiff ist der Geruchunter­

gebracht,Weihrauchschwadenbenebeln eher dieSinne. Im Mittelschiff, imZentrum der

Vignette, weistein Priester vordem Altar ei­ ner frommen knieenden Gemeindedie Hos­

tie,dieSzene steht für das Gesicht.Dasrechte Seitenschiffzeigt einen Mönchim Beichtstuhl inUmarmung mit einemweiblichen Beicht­

kind, er ist seinem Gefühl hingegeben;dass dieUmarmungnicht gänzlich unschuldig ist, wird zu zeigensein.Im Turmgeschoss werden die Glocken geläutet,logischerweise verweist diesaufs Gehörundimmönchischen Wein­

keller lassen essich die Mönche beim Wein­ probieren gut gehen, statt sich umden Kran­

ken im Bett zukümmern, auf denmandurch eine offene Tür schaut,vorgeblichwar wohl derWein als Krankenwein gedacht. Hier geht esum denGeschmack.

Schon aus diesen wenigen Bemerkungen dürfte deutlich werden, dass wirhier nicht nur eine humorvolle Darstellung der.Fünf Sinne“ vor uns haben, sonderneine solche mit deutlich antiklerikaler Tendenz, die Menzel durch eine Fülle von Randkommentaren nochverstärkt, siekommentieren das jewei­ lige Feld und damit den jeweiligen Sinn.Be­

sondersmüssen die Kapitelle der Säulen als Reservoir für ebenso komische und nicht sel­

ten auch zynische undfrivoleBemerkungen herhalten. Diese .Erweiterung“ der klassi­ schen Architekturordnungenist nicht Men­

zels Erfindung, erhat sie aus Hogarths ,The Five Orders of Perriwigs“von 1761 geerbt.

Man muss wiederum staunen, in welcher

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312 VIII. VERZWEIGUNGEN UND ARABESKE VIELFALT

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BreiteMenzel Verweise aus den unterschied­ lichsten Quellen nutzt. MitHogarth hat er sich mehrfachauseinandergesetzt, aufseinem Erinnerungsblatt an das Faschingsfest der Berliner Tunnelgesellschaftvon 1852 taucht Hogarth in persona auf, als Vertreter für Theodor Hosemann, der Hogarthals Tunnel­

namen trug.

Nichtnur, um mit der Säule ganzlinksbeim Geruchzu beginnen, nutztMenzeldiema- nieristische Tradition steinerner Masken für die Kapitelle - hier schnuppert die breite Maske an einem Weihrauchfass und verdreht die Augen sondern selbst das sonderbare Motiv, der ausvegetabilischem Wurzelwerk herauswachsendenSäule ist doppelt konno- tiert. Zumeinen -und hier scheint erNeu­

reuthers Arabesken studiert zu haben (s. Kat.

Nr.128) - geht das Wurzelwerk in abstrakte Schreibmeisterschnörkel über.Für die Arabes­ keist dies eineUrsprungsmetapher: Aus dem formlosenUrsprung wächstkonkrete Form heraus, der Übergang vom Unterirdischen ins Irdischewird markiert. Zumanderen aber ist dies auch indirektarchitekturtheoretischar­ gumentiert. Denn die niedrigste Ordnung, die Rustika, markiert denÜbergangvon Na­ tur aus demUrgrund in menschlich gestaltete Kunst. Diese Spannung von Natur- und Kunst­ verpflichtung istdie BasisvonMenzels Wirk­

lichkeitsauffassung.

Die beiden nächsten Kapitelle rahmen die Hostiendemonstration, sind damit auf das Gesicht bezogen. Linkswird dieMaske des Kapitells von einemkleinengeflügelten Engel hinterfangen,offenbarmit riesigen Händen gesegnet,die derMaske die Augen zuhalten.

E>as rechte Kapitell ist nicht leicht zu lesen.

Statteiner Maske finden wirhierein Astrola­ bium, oben,quasi als Kämpferplatte könntees sich umgereihte, aber offenbarblinde Fern­ rohre handeln,dieeinen Kranz umdas Kapi­ tell bilden,unten sind es jedenfalls Brillen.

Offenbar geht es hier um Sternenbeobach­

tung,zu der allerdingsHilfsmittelnötigsind.

DieScharderHerbeiströmenden und Anbe­ tenden,zumeistin Renaissancetracht, zu de­ nenauch ein blinder Pilgergehört, den ein bereits knieender Jüngling herbeigeführt hat, dürfteaus Menzels Sicht kaum der Offenba­

rung teilhaftig werden, eher scheint er Sinnes­

täuschung anzunehmen. Dasist harter Tobak, der durch die Mönchskritik im Kellernoch unterstrichen, durch die Szene im rechten Seitenschiff abernoch überboten wird. Denn dass der Mönch und das.Beichtkind“ unkeu­

sche Gedanken hegen, wirdgleich auf dop­

pelte Weisebetont. Die steile kirchlicheSäule wird voneiner blühendenPflanze umschlun­ gen und auch dasKapitell löst sichinPflanz­ liches auf.Exakt unterdem verschlungenen Paarimarabesken Gespinst mögen sich zwei Maikäfer, der eineistheftigflatterndaufden Rücken des anderengestiegen.DassMenzel zu allem Überfluss darunter auch noch sein ligiertes Monogrammgesetzt hat, liefert einen beredtenKommentar zur Gesamttendenz des Blattes. Wenn die prassenden Mönche ganz unten aufder senkrechten Mittelachse, an der Stelle, die häufig den Ursprung der Arabeske angibt, durch ein gekreuztes Messer und eine Forkeemblematischkommentiert werden, so ist oben imTurmgeschoss, wo als Abschluss eine Eule haust, das Gehör durch seitliche Fialen, die aus Musikinstrumenten gebildet sind,aufs Originellstebegleitet: AnStelle der gotischen Krabben findetsich eineSerievon Ohren,das Gebimmel wird sie schier betäu­ ben. Esbleibt,die riesigenbrennenden Ker­

zen zu erwähnen, die aus den mittleren Säu­

len herauswachsen. Ihre Flammen werden von Mücken undMotten umschwirrt, ihr Tod in den Flammen istunvermeidlich. Offenbar ist auchdiesals Kirchenkommentarzu den irregeführten Gläubigen zu verstehen.Eine Füllevonwinzigen Details wäre noch zuer­

wähnen,etwaan den Kapitellen derKrypta, wo das linke Kapitell gar aus nacktenHintern und aus weit aufgerissenen Mäulernheraus­ gestreckten Zungengebildetist, sie mögen die Tendenz noch verstärken - anihrer Eindeu­ tigkeit istnichtzuzweifeln.

Der junge Menzel hielt dies für launig und angebracht,demaltenwar es eher peinlich.

Ausdrücklich distanziert er sich in einem Brief an Max Jordan vom 6. Mai 1886 (Keisch/Riemann2009,Nr.1294)vonseiner Jugendsünde und willdieGraphik in keinem Falleabgebildet sehen.Der etablierte, gefeierte Menzel sorgt sich um seinen Ruf, den er doch gerade mit seiner frühenGraphikbegründet hatte. Dasvorliegende Blatt trägt unten dem

157 Trockenstempel von Sachses Verlag und Kunst­

handlung,nachDorgerloh (D.) soll diesfür diefrühesten Abzüge zutreffen. W.B.

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ADOLPH MENZEL (1815-1905) KARTE ZUM STIFTUNGSFEST DES VEREINS DER JÜNGEREN KÜNSTLER AM 31. OKTOBER 1834

Federlithographie auf weißem Glanzkarton;

9,2 cm x 11,4 cm (Platte), 9,5cmx 11,6cm (Bild) Bez. u.Mitte aus demBlattwerk herauswach­ send:„AM“ (?); hs.als Einladungskarte für

„Herrn Meyerheim“ gekennzeichnet(von der­ selbenHand wie das Exemplar des Berliner Kupferstichkabinetts -von Menzel selbst?).

Rückseitig Sammlerstempel Carl Heumann, Chemnitz, Lugt, SuppL555b

Privatsammlung Berlin

Literatur: D. 103; B. 117; Ebertshäuser, Bd. 1, S.106; Kat. Berlin1984, Nr. 256.2.

Bereitsbei dieser Einladungskarte ist Menzel gänzlichbei derArabeske angelangt und folgt ihrem dreistufigen Aufbau. ImunterenTeil der senkrechten Mittelachse findet sich über dem ligiertenMonogramm Menzels die Jah­ reszahl 1825: dasGründungsdatum des Ver­

eins der jüngeren Künstler. Darüber, immer noch genauauf der Mittelachse,findet eine Grundsteinlegung statt, eine Geld- und Ur­

kundenkassette werden eingemauert, die Maurerwerkzeugeliegen darunter.Eine große Menschenmenge hatsich dahinterversam­ melt,rechts scheintzumindest eine Person zu

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158

identifizieren zu sein.Esdürfte sich um Gott­

fried Schadow, den Ziehvater der Berliner Kunst handeln. Menzel versteckt nicht selten auch in den winzigsten arabesken KartenPor­

träts, undgerade Schadow taucht bei ihm mehrfach auf. Von der Kartuschemitdem Gründungsdatum des Vereins ziehen sich links undrechts Weinranken hoch, in denen ein ganzes veritables Orchester untergebracht ist, das zum Festaufspielt. Dies gehtoben in abstrakte Schreibmeisterschnörkel über, wie sieden Arabeskenkünstlern seit der Publika­ tionvon Johann NepomukStrixnersLitho­

graphien nachden Randzeichnungen Dürers zum Gebetsbuch Kaiser Maximilians I. von 1808 geläufig waren (s. Kat. Nr. 33-35). Zwei großeHände kommen von linksund rechts ins Bild, sie halten Pokalemit der Jahreszahl 1834 undstoßengenau auf der Mittelachse imScheitel der Arabeske an. Hinterfangen wirddieserPunkt durcheinenweiteren sym­ metrischen Schnörkel. Seitlichdavon istlinks und rechts Platz für denhandschriftlichen Eintrag desNamens des Eingeladenen, hier geht die Einladung an „Herrn Meyerheim“. Dasist insofernbesonders reizvoll,als es sich um Eduard Meyerheim(1808-1879) handeln dürfte, aus einer Künstlerfamilie stammend und seit 1830 in Berlin. Menzelwar engmit ihm befreundet. Meyerheim studierte bei Schadow an der Akademie und wurdeGenre­ maler undLithograph. Menzelhat ihn offen­

bar 1834im Hause seines Freundes und För­

derers, des Tapetenfabrikanten Carl Heinrich Arnold kennengelernt. W. B.

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ADOLPH MENZEL (1815-1905) KARTE ZUM STIFTUNGSFEST DES VEREINS DER JÜNGEREN KÜNSTLER, 27. NOVEMBER 1837

Federlithographieaufweißem Karton;

12,6 cm x 11,7cm (Platte), 13,2 cm x 12,4 cm (Blatt)

Bez. u. r.: „AM“[ligiert]; rückseitigSammler­

stempel Carl Heumann, Chemnitz,Lugt, Suppl. 555b

Privatbesitz Berlin

Literatur:D. 174 A; Westen, Bd. 2,S. 22, Abb. 10;

B. 192; Kat.Berlin 1984, Nr.276.1, S. 383; Bütow 1994, S. 142.

Das Motto des Vereins der jüngerenKünstler lautet Einigkeit („unio“) und diesesMotto bestimmt MenzelsLithographie. Zwei Män­

ner, ein junger undein alter, haben sichbei einer riesigen, auf den Kopf gestelltenGeld­ börse eingefunden,sie werdenhinterfangen von einem riesigenMantel, der siebeide ein­ hüllt. Beide tragen eine Standarte, die des jüngeren Künstlers links ist beschriftet:

„unio! 1825“, was aufdas Gründungsdatum desVereinsverweist; der rechte,alte Künst­ ler, gebeugt mit Zipfelmütze undSchlafrock, hat eine schwer zu entziffernde Aufschrift auf seiner Fahne, siemuss „junior! 1837“ lauten.

Denn„uniojunior“ markiert denNamen des JüngerenKünstlervereins“. Wie so häufigbei den menzelschen Karten wird Ernstgemein­ tes heiter dargeboten. DieMitglieder sind äl­

tergeworden, derjugendlicheElan scheint erloschen. Der junge Künstler drücktmit der Fausteinen riesigen Hutauf dieGeldbörse.

DieGröße des Huts passt zum hinterfangen­ denMantel undsoll wohl andeuten, dass al­

les unter einen Hut gehört. Zugleich aber sind Mantel und Hut in einem deplorablem Zustand.Ganz offensichtlich spielt Menzel mitdemTypusund der Form der Wappen­ kartusche,bei der ein Hermelinmantel das Wappen hinterfängt,derHutfüreine Helm­ zier steht(Westen, Bd. 2,S. 22). Reich wer­

den kann man mit der Kunst offenbarnicht, denndie umgekehrte Geldbörse istgeöffnet, ohne dass noch einTalerherausfallen würde.

Aufder reich verzierten Geldbörse lassen sich,einander gegenübergestellt,eineAmeise und ein Krebs erkennen. Der Berliner Kata­ log von1984meint in der AmeiseeineVer­

körperung von FleißundMühsal zu erken­

nen - was zweifellos richtig ist - und im Krebseine Verkörperung der Zensur, wasab­

solut keinen Sinn macht. August Dorgerloh nimmt mit ebenso wenig Grund an, der Krebs stehefürdenRückgang des Vermögens (D. 174 A).

Menzelist auch hier ungemein kenntnisreich, ihm scheinen die klassischenEmblembücher geläufig. Im 4. Band vonNicolas Reusners ,Emblemata‘ von 1631 findet sich unter der Nummer 24 ein Krebsemblem unter dem Motto „In paguro sapientia“ und im Text heißtes nach der Übersetzung von Henkel und Schöne (S. 727):„Im Krebsist Weisheit.

Was verlachstdudiegeringen Kräfte in ei­ nem kleinen Körper? Wenn ich ein großes Herz habe, Polyphem,ist es genug. Gewißha­

ben auch kleineDinge ihr Ansehen,auch in der Ameise wohnen Kraft und Zorn und sel­ tene Weisheit zeichnet den Taschenkrebs aus“. Und in einemweiteren Emblem dieses Traktates, im 2. Band unter der Nummer 29 und mitdem Motto „Labor omnia vincit“

(Mühe überwindet alles)heißt es zur Ameise:

„DieAmeise,die am Vorgenommenen fest­

hält und geduldig istin der Mühsal, ermahnt uns durch ihr Beispiel, arbeitsam zu sein“

(Henkel/Schöne 1976, S. 930). Damit dürfte dieBedeutung klar sein. Die Ameise, dem jüngeren Künstler zugeordnet, fordert für den Kunsteleven Fleiß und Ausdauer, der Krebs auf Seiten des Alten steht fürdie Weis­ heitdes Alters. ImVerein haben sich Jung undAltzuverbinden, um Bedeutendes zu schaffen. Nun fehltdieserKarte jederarabes- ke Schnörkel unddoch weist sie arabeske Strukturen auf: Achsensymmetrie, ornamen­ tale Anordnung,Vermischungvon Größen­ verhältnissen, Argumentation auf unter­

schiedlichen, sich jedoch zur Sinnstiftung verschränkenden Ebenen. DieGraphik bleibt auchohnepflanzlicheVerschlingungen ein

reflexives Medium. W. B.

314 VIII. VERZWEIGUNGEN UND ARABESKE VIELFALT

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ADOLPH MENZEL (1815-1905) KARTE ZUM DÜRERFEST DES VEREINS DER JÜNGEREN KÜNST­

LER, 5. APRIL 1834

Federlithographie aufleicht bräunlichem Karton; 13,2 x10,3 cm (Platte), 13,8 x11cm (Blatt)

Sammlungsstempel Carl Heumann,Chemnitz, Lugt Suppl. 555b

Privatbesitz Berlin

Literatur:D. 102; B. 116; Lüdecke 1955,S. 394;

Ebertshäuser 1976, Bd. 1, S.104; Kat.Berlin 1984, Nr. 255.2.

Die Dürerfeiernbegannen 1828mit dem Ge­ denken an Dürers 300. Todestag am6.April 1528. Die Hauptfeiern fanden in Nürnberg und Berlin statt. InBerlin wurden die Feiern von der Berliner Akademie der Künste veran­

staltet,deren DirektorGottfried Schadow die künstlerische Leitung übernahm und auch für dieEinladungskarte zuständig war.Karl FriedrichSchinkel entwarf für die Stirnwand desFestsaals eineArt Altar fürDürer, schon das machtden staatsoffiziellen Charakterder Berliner Feier deutlich, die Nürnberger am 6.

und 7. April war entschieden bürgerlicher.

Die nächsten Feiern übernahm der .Verein Berliner Künstler1und hielt die Feiern am18.

April ab, dem angeblich richtigen Todestag Dürers.Ihm folgte der Verein der jüngeren Künstler', der nun am VorabendvonDürers Todestag, am 5. April, feierte.Menzel lieferte

die Einladungskarten von 1834 bis 1837 - undbei denjüngeren Künstlern waren die Feiern entschieden vergnügter und lockerer, wieauch Menzels Einladungskarten zuneh­

mend deutlich machen.

Die vorliegende Graphik von 1834 zeigt ei­ nen renaissanceartigen Pokal, der mit Fuß, Schaft, Knauf (Nodus)und Schale (Cuppa) der klassischen Kelchform folgt. Der Fuß wird von einer Schlange umwunden, den Nodus bildendrei Frauen, vondenen zwei zu erkennen sind, Verkörperungen vonHeiter­

keit,mit Narrenkappe und Kranz auf derlin­ ken Seite und Gerechtigkeit, verhüllt mit Waage rechts. Die Cuppa trägt unten das Motto des Vereins „Einheit“, ein großes Me­

daillon in einem Kranzvon Efeublättern, da­

rüber dieAufforderungordentlich zu essen („edite!“), dabei auchdas TrinkenzurFeier des Tages nichtzu vergessen („bibite!“), da­ rüber am Kelchrand den Vereinsnamen („Verein derjüngern Künstler“). Das Medail­ lon zeigtDürer mitzwei Schülern, denener etwas demonstriert. Es ist nicht so schwerzu entschlüsseln, worum es dabeigeht. Derlin­ keSchüler hat einenPfeil in den Händenund zerbricht ihn am Knie, derrechte dagegen trägtein Pfeilbündel, ebenfalls mit beiden Händen gefasst,und sucht es auf dem Ober­

schenkel zu zerbrechen- was ihm offensicht­ lich nicht möglich ist. Die emblematische Di­ mension dieses Motivsist seit alters her über­ liefert undkann aufVieles Anwendung fin­ den. Hier: Ein junger Künstler allein läuft Gefahr zu scheitern, im Verbund fördern

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undstützensie sich gegenseitig - das ent­ sprichtdemEintrittsmotto des Vereins.Um­ geben istdas Medaillonvoneiner Schlange, diesich in den Schwanzbeißt, dem Urobe- ros, der aufdieEwigkeit verweist. Warum nunallerdings geradeDürer alsZeuge für dieseAuffassung herangezogen wird, bleibt offen, sieht man ihnnicht allgemeinalsLeh­

rer der deutschen Künstler. Die emblema- tisch-allegorische Fassung dieser Einla­

dungskarte kann darauf aufmerksam ma­ chen, dasssichdietradierten Verweissysteme in Randbereiche wie die Gebrauchsgraphik zurückgezogen haben, in ihnen isteinspie­

lerischerUmgangmit den konventionellen Zeichen möglich, sie haben nicht mehr den Anspruch, im Namenhöherer Wahrheitzu

sprechen. W. B.

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ADOLPH MENZEL (1815-1905) KARTE ZUM DÜRERFEST DES VEREINS DER JÜNGEREN KÜNSTLER, 6. APRIL 1835

Federlithographie auf weißem Glanzkarton;

12,0 cmx 10,5 cm Privatbesitz Berlin

Literatur: D.117;B.123, Abb.S. 96; Lüdecke 1955, S.396; Ebertshäuser 1976, Bd. 1, S. 107;

Kat.Berlin 1984, Nr. 263.2.

Ein Gutteil der kleinen arabesken Einla­

dungskartenwirdneben der üblichen Papier­ fassung auch auf zumeist weißem, gelegent­ lich aber auch aufblau-grünem beschichte­

tem Glanzkarton abgezogen, das hebt die schwarze Zeichnung der Federlithographie besonders hervor, zumal nicht wenige der Graphikenmitihren winzigen Figürchen nur mit der Lupe gezeichnetsein können. In die­ ser HinsichtstehtMenzel in der Traditiondes vonihmverehrten DanielChodowiecki.

Die vorliegende Karte zum Dürerfest von 1835 ist von einiger Raffinesse. Man schaut durch einen vonWeinlaubundEichenlaub bekränzten Bogen, an dessen Basis zwei schwerangeschlagene Kunsteleven indürer- zeitlichemGewände sitzen. Der linke hält sich nach alldemGetrunkenendenschweren Kopf, der rechtekann es nicht mehr halten

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und übergibt sichheftig. In den Strahl des sich Ergießenden hatMenzel „Omnia adma- jorem Düreri honorem“ geschrieben. Dass dies alles zur höheren EhreDürers geschieht, vermagman zu bezweifeln. Dervordere Bo­

gen,auf dessen Kapitellen ein Schwan und der Kopf eines wilden Keilers zur Zierde an­

gebracht sind, vielleicht um die zarteAbsicht und das grobe Resultat derVeranstaltung an­

zudeuten, wird hinterfangen durch sich stark in die Tiefe verkürzende Pfeiler mit angedeu­ teten Gurtbögen, so dassder Eindruckeiner riesigen gotisierendenHalle entsteht. Auf der Mittelachsefinden sich zweihintereinander gestaffelte Kronleuchter. Ineiniger Ferne wird einegewaltige Tafel quer durchden Raum ge­

führt und mit ungezählten Flaschenbestückt.

Davoreinige Stühle, zumTeil umgestürzt, wie auch zwei vom Fest gänzlichGeschaffte. Ein weiterer Feiernder ist auf denTisch gestiegen und bringt mit hocherhobenem Glaseinen Toast aus, eine riesige Meute hinter dem Tisch scheint ihm fröhlichst zu antworten.

Ob dieBouteillen über dem vorderenBogen zugleich Lanzettfenster andeutensollen, blei­ be dahingestellt. Drei der Flaschen, in denen jeweils Korkenzieher stecken, sind mit dem Herkunftsort des Weines beschriftet. Man kann entziffern: „Andernach, Rüdesheim und Hochheim“.DasFest ertrinkt offenbar in Rheinwein. Im Scheitel zweigekreuzte lang­ stielige Gläser,darüber zweiHände ineinan­

derverschränkt, dieEinigkeit des Vereinsbe­ rufend, dessen Name darüberprangt. W. B.

161

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ADOLPH MENZEL (1815-1905) KARTE ZUM DÜRERFEST DES VEREINS JÜNGERER KÜNSTLER, 6. APRIL 1837

Federlithographie auf blau-grünemKarton;

13,9 x 10,8 cm (Platte), 14,1 x11,0cm(Blatt) Bez. u.r.:„AM“[ligiert]

Privatbesitz Berlin

Literatur: D.169; Westen, Bd. 2, S. 19; B. 189;

Lüdecke/Heiland1955,S. 396;Ebertshäuser 1976, S.158; Kat.Berlin 1984, Nr. 275.1,S.383;

Bütow 1994,S. 141f.

Diesist die letztemenzelsche Kartezueinem DürerfestdesVereins jüngerer Künstler. Sie gibt in besonderem Maße Anlass, noch ein­ mal über den Dürerkult des früheren 19.

Jahrhunderts zu reflektieren und darüber, welche RolledieArabeske in diesem Zusam­ menhang spielen kann. Sie ist von einer Hauptszene dominiert. Willibald Pirckhei- mer segnet denaufgebahrtenDürer,sie er­ scheinen beideim Profil, im Hintergrund ei­

ne größere Trauergemeinde,zueinemGroß­

teil frontal auf den Beschauer ausgerichtet.

BeimPorträt Pirckheimers folgtMenzel of­ fensichtlich Dürers berühmtem Porträtstich des Humanisten, einem Brustbild im Halb­

profilvon 1524. Menzel dürfte den davon abgeleiteten Holzschnitt von Erhard Schön von um 1530 im Berliner Kupferstichkabi­ nett gesehen haben,wo er regelmäßig Gra­

phik studierte. Der Typusmacht aus Dürer einen Junker,ererinnertan Cranachs Bild­ nis Luthers alsJunker Jörg* von 1522,also alsverkleideter Adeliger. So spiegelt sich in der Wahl des Typus ein ausgesprochen selbstbewusster Anspruch. Aber auch das Faktum, dass Pirckheimer Dürer segnet,ist interessant. Traditionellerweise zeigen die Künstlerlegenden den Künstlerdurch den FürstenoderHerrschernobilitiert: Leonar­ do stirbt inden Armen Franz L,Kaiser Ma­ ximilian besucht Dürer in seinem Studio, Ti­

zian wird durchKarlV. gefeiert, wieschon Apelles durch Alexander denGroßen, der Herrscher hebt dem Künstler denPinsel auf etc. Auf GrundseinesGenius wird ernicht nur der Gnade des Fürsten teilhaftig, son­

dern ist ihm füreinen Moment gleichrangig.

Wenn Menzel dagegen Pirckheimer anDü­

rers Bahre stehen lässt, dannfolgt er einer­

seits Quellen, diePirckheimersBemerkung überliefern(der nicht nur 1528 einelateini­ sche Elegieauf Dürers Tod verfasst hat): „Ich habe wahrlich an Albrechten der besten Freunde einen, so ich aufErdreich gehabt habe, verloren[...]“ (in einem Brief an den Wiener Baumeister Tscherte, 1530; zit. bei:

Lüdecke/Heiland 1955, S. 32). Andererseits aber wird der Fürstdurchden Geistesheroen ersetzt. Menzel selbst hat in einem Brief vom 29. Dezember1836, also kurzvor der Entste­

hung der Kartezum Dürerfest oderwohl gar schon im Zusammenhang mit ihr,an den ihn fördernden Tapetenfabrikanten Carl Heinrich Arnold, derihm Dürers Stich ,St.

Hubert* (gemeint ist der .HeiligeEustachius*

von 1500/02) verehrt hatte, geschrieben: „es ist nun dieAufgabe, das in unsererZeit zu leisten, was dieser Phönix [Dürer] in der sei­ nen leistete.Dahinwerden wirs wohl nicht bringen, ich glaube, unsere ganze jetzige Künstlergeneration [...]istnur ein Vorläufer der Epoche die das können wird“ (Lüde­

cke/Heiland 1955, BriefeNr. 17).

Die Arabeske, die die Szene umgibt,besteht zu einemGroßteil aus Schrift, die Bildge­

worden ist.DieUmschriftlautet oben „Alles schweige jederneigeernsten Tönen nun sein Ohr!!! Dürerfest den 6ten April 1837“. Bei derGedichtzeile handelt es sich um denBe­

ginn des sogenannten Landesvater-Studen­ tenliedes,das in Studentenverbindungenge­

sungenwurde. Menzel überträgt dies auf die Vereinsmitglieder undfolgt damit der Um­ widmung desLandesvaterliedes auf Dürer, wiesie in FranzKuglersund Robert Reinicks .Liederbuch für deutsche Künstler“, Berlin 1833, S. 116-118,abgedruckt ist. Die Schrift im unteren Teil zitiert: „Er wendete die Blüt- he höchsten Strebens des Lebens selbstan dieses Bilddes Lebens“.Diesentpuppt sich alsdie Wiedergabe vonzweiVersen,die Goe­ the imEpilogzu Schillers .Glocke* schrieb (HA 1, S. 258). Die ersteFassung entstand 1805. Kotzebue hat sichüber ebendieseVer­

se lustiggemacht, weil sie nicht recht ver­ ständlich erscheinen.Siebeziehen sich auf Schillers Werke.Gemeint ist offensichtlich, dass Schiller, der imMai1805 gestorben war,

316 VIII. VERZWEIGUNGEN UND ARABESKE VIELFALT

(8)

sich für dieKunstgeopfert habe.Dies auf den Tod Dürers zu beziehen, macht durchaus Sinn.

Über Pirckheimer auf der Mittelachse,auflas­

tend auf den Stängeln dersich senkenden Glockenblumen, erscheint Dürers Wappen mit derUmschrift„Carolus pictoribus“,die auf Karls V. Wertschätzung der Maler weisen soll. Offenbarverschränken sich hier histori­

sche Begebenheit undKünstlerlegende. Dürer hatte1515 von Kaiser Maximilian ein Jahres­ gehalt von 100 Gulden zugesprochen bekom­

men, dasihm nach MaximiliansTod 1520 von seinem Nachfolger Karl V. auf der Nie­

derlandereise inKöln bestätigt wurde. Daraus macht Carei van Mander 1604 in seinem

>Schilder-Boeck‘, Dürer habe vonMaximilian das Adelswappen verliehen bekommen. Die Legende war im Dürerkult des 19.Jahrhun­

derts besonders beliebt, Eugen Napoleon Neureuther stelltedenAkt derWappenverlei­ hung durch Maximilian an Dürer in einer großen Arabeske von 1843/44 dar (s. Kat.

London 2002,S.49und Kat. Nr. 269). Menzel dürfte durch das Motiv noch einmal den ho­ hensozialen Rangdes Künstlersbestätigt ha­

ben. So ist die Arabeske auch mit ihren SchriftverweiseneinMonumentfürden An­

spruch des Künstlers in der Gegenwart, den es allerdings noch einzulösengalt.Zu einem solchenArgument istdie Arabeske in ihrer Reflexionsstruktur in besonderem Maßein

der Lage. W. B.

162

ADOLPH MENZEL (1815-1905)

kartefürden regiments

- ARZT DR. PUHLMANN, 1836

Federlithographie aufweißem Karton;

ca.8,7 x 12,0 cm (Platte),9,2« 12,8 cm (Blatt) Bez.u.r. in der Darstellung: „Menzel fec. 1836“

PrivatbesitzBerlin

Literatur: D. 119 A; Westen, Bd. 2, S.146;

B.142; Ebertshäuser1976, S. 148; Kat.Berlin 1984,Nr. 272.1, S. 380;Busch 2008, S. 175-193,bes. S. 175-178.

Die Funktion der menzelschenKarte auf wei­

ßem Glanzkarton für den Potsdamer Stabs­

arztDr. WilhelmPuhlmannistunklar.Puhl­

mann war zudem Vereinssekretärdes neuge­

gründetenPotsdamer Kunstvereins und als solcher beauftragte er Menzel - nach Scha- dows freundlicher Besprechung seiner Serie zu .Künstlers Erdenwallen Mitglied des Ver­

einsjüngererKünstler -1836 eine sogenannte Aktie für denPotsdamer Kunstverein inder Manier des Titelblattes zu .Künstlers Erden­

wallen auf Stein zu zeichnen. Parallel dazu mussderAuftrag für die puhlmannsche Karte ergangen sein, bei deres sich,selbst wenn an­

deres vermutetwurde (Westen, Bd. 2,S.14; B., S.114), amehesten um eine Visitenkarte han­

deln dürfte. Sie sollte offensichtlichdem Typus derKarten zuden Dürerfesten folgen. Als Aufschrift trägtsie nebender kaum sichtbaren Signaturund Datierung im Schattenrechts nur, zentralangeordnet, die Benennung „Re­

giments ArztDr. Puhlmann“. Eineschreib­

meisterliche Arabeskengirlande umzieht das szenischeInnenbild. Interessanterweise findet sich inderMittedes unteren Randes der Gir­ lande,da woallestreng geordneten Arabesken ihrenUrsprungspunkt haben, eingeöffnetes Buch,auf dem Zirkel und Winkeleisenver­ schränkt aufruhen.In dieser Form handelt es sich umein Freimaurersymbol, undin derTat war Puhlmann Meister vom Stuhl der Potsda­

mer Loge. Offenbar speiste sich sein Selbstver­ ständnis ausdieserQuelle. An den oberen En­

den der Girlande wird aufPuhlmanns private Neigungen, Musikund Kunst,durch Harfe undpinselstarrende Palette hingewiesen. Letz­ terebildet, wie zu zeigensein wird, einintelli­

gentesPingpongspiel zwischen Menzel und Puhlmann.Die beiden waren bald eng be­ freundet, eineFreundschaft,die sich in zahl­

losenzwischen Potsdam und Berlin hin-und hergehenden Briefenspiegelt und die biszum Tod des 19 Jahre älteren Puhlmann anhielt.

Der Ton ist extrem vertraut und für den scheuen Menzel ungewöhnlich, der sich nur in seinerFamilie und einem engerenFreun­

deskreis aufgehoben sah.

Das Innenbildder Karte für Puhlmann ist schier abenteuerlichund eigentlichnur mit der Lupe gänzlich zu lesen - auch beim Zeichnen dürfte Menzelmit einer Lupegear­ beitethaben, hierin seinem VorbildChodo- wiecki folgend, von dem Johann Heinrich Füssli ein wenig bösartig bemerkte,erzeichne

162

die ganzeIlias undOdyssee auf einen Mü- ckenflügel.ImZentrum aufder senkrechten Symmetrieachse istein nackter Jüngling zu sehen, der mit seinen gekreuzten Beinenei­ nen Pokal mit schlangenförmigem Fuß im Schoß festhält, er hatdenDeckel des Pokals geöffnet,trägt ihn nochin seinerlinkenund ist verblüfft und entsetzt,wasallessich aus dem Pokal, von Qualmwolken umgeben, er­ gießt,wie aus derBüchse der Pandora.Zur Linken strömen bewaffnete Kämpfer heraus, die auf eine vermeintliche Waffentrophäezu­

stürzen, die sich als ausmedizinischen Werk­

zeugen zusammengesetztentpuppt: Scheren, Pinzetten, Schaber,Messer, selbsteine Kno­

chenfeile. Nach rechts entströmen Nackte übersprudelnden Arzneiflaschen entgegen, einer derNackten ist kopfüber in eine der Fla­

schen eingetaucht. Was imHimmel mag das bedeuten?

Die Lösung bilden die nahsichtigen Men­

schengruppen linksund rechts des nackten Pokalhalters.Es sindSargtischler und Toten­ gräber und offensichtlichhaben sienichtszu tun.Der SchlangenfußdesPokals legt nahe, indem Nacktenden Heilgott Asklepios zu se­ hen, derSage nachsoll er selbst Tote wieder zum Leben erweckt haben.Eristoffenbar der Schutzheiligevon Puhlmann,derdie Kämp­ fenden verarztet, die Halbtoten im Lazarett versorgt und die Sargtischlerund Totengrä­ ber arbeitslos macht;eine etwas makabre Vor­

stellung. Doch liest mandie Briefezwischen Puhlmann und Menzel in ihrem kumpelhaf­

ten Kasernenton,so scheint es wahrschein­ lich, dass Puhlmann anMenzels Grobsatire seine Freude gehabt hat. Wiederzeigt sich, dass die Arabeskeeine Verweisformdarstellt,

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die ein ganzes Argumentin aufdenersten Blick kaum zusammenpassende Bilderfassen kann,die ingeduldiger Lektüre ihrenMeta­

sinn freigeben können. Mankann formulie­ ren, dass dieArabeske eineneuartige Form derAllegorisierung ist, nach dem Ende der tradierten, konventionell Zeichenhaften Alle­

gorie. W.B.

163

ADOLPH MENZEL (1815-1905) MITGLIEDERKARTE

(AKTIE) DES KUNSTVEREINS IN POTSDAM, 1836

Federlithographie;25,0«29,6 cm (Platte), 34,0x46,0cm (Bild)

Bez. u. Mitte: „AM 1836“ [ligiert]; u. r.:

„AMenzelinv: & f:“; u. I. beschriftet: „Steindr.

v. M. Weigel, inBerlin“

PrivatbesitzBerlin

Literatur: D. 131;Westen,Bd.2, S. 162; B. 147;

Ebertshäuser1976, S. 152;Kat. Berlin1984, Nr.

271, S. 379.

Dieseausgesprochen reiche Arabeskemit der großen zentralenAufschrift ,Der Kunstverein in Potsdam seinen Mitgliedern wird von Menzel selbst in einem Brief an seinen Freund

Dr. Wilhelm Puhlmann, der Vereinssekretär desPotsdamer Kunstvereins war,vom5. No­

vember 1836 als „Actie“bezeichnet.Schonzu­

vor,am 17. Oktober 1836, hatte Menzel Puhl­

mann, der ihm den Auftrag vermittelt hatte, einen Entwurf geschickt, offenbar dieim Ber­

liner Kupferstichkabinett aufbewahrte Vor­

zeichnung, und ihn, wie folgt, erläutert: „daß die Gruppen rechte Handvom Bilde aus sich auf dieBeförderung der Kunst, und die linker Handauf diederWohltätigkeitbeziehen[...] dieArabeske beabsichtige ichals Immergrün auszuführen“. Schon am 5. November 1836 schickt er Puhlmann„einpaar Andrucke von der Actie mit“ und erwähnt, dass er „den Raum fürden Namen des Actionnairs [...]

unterhalbder Hände, auf denensich das Rad der Fortuna dreht, freigelassen“habe (Lüde- cke/Heiland 1955,Briefe, Nr. 16).Die Bemer­ kungen erklären sich leicht: Die „Actie“ zum Preis von zwei Talern (in der Literatur ist fälschlichauch die Rede vonfünf Reichsta­ lern: Kat. Berlin1984, S. 379; recte: im Statut des Vereins,Paragraph4) war einerseits Mit­

gliederausweis, andererseits warsieein Los für die Lotterie von Kunstwerken, die der Verein erstanden hatte.Es war auch möglich, mehrere Losezu erwerben, umdie Chancen bei der Lotterie zu steigern. Dieswar schon

163

durch die Satzung bei der Gründung des Ver­

eins 1834 so geregelt: „Die Verlosung der Kunstwerke aber schiendenStiftern des Ver­

eins besser und der Kunst förderlicher, als wennman sie hätte verkaufen, oderaus ihnen eine Sammlungdes Vereinsbilden wollen. Sie werden auf diesem Wege in alleProvincen der Monarchie verbreitetund kommen auch in den Besitz derer, die sie sich sonst nicht hätten verschaffen können“(ArchivSchloss Tegel).

Laut Satzungbestand die Aufgabe des Kunst­

vereins in der Förderung von Kunst und Künstler, im Ankaufihrer Kunstwerke, in AusstellungundLotterie undschließlich in derSozialfürsorge. All dies wird inder arabes- ken„Actie“verbildlicht.Ausgangspunktsind zweiineinandergelegte Hände, deren aufge­ richtete Daumen ein Speichenrad balancie­ ren,aufdessenNabedie Glücksgöttin Fortu­

na sich dreht. Damit ist der Ursprung der Arabeske in denDaumenspitzen derverein­

ten Hände zu sehen: Erstdie Bildungdes Ver­

eins ermöglichtGlück und Kunstförderung.

Den Gewandzipfel der Fortuna versuchen zehn mit ihren Köpfen und jeweils einer Hand aus mit langen Blättern versehenen Halmen herauswachsende Vereinsmitglieder zu erhaschen, einer scheintGlück zu haben, dieanderen greifen mit aller Macht vergeb­ lichnachdemGlück, vielleicht mit einer Aus­ nahme:Hierist dieHand eherempfangend ausgestreckt und zwarbeim zweiten vonoben auf der rechten Seite und bei diesem Porträt handelt essicheindeutigum den alten Gott­

friedSchadow.

Links in einem großen Rankenfeld hat ein Künstler seinWerk vollendet, derVerein lässt esabholen, ein Füllhorndarüber ergießt Ta­

ler auf ihn: Der Verein hat das Werkerwor­ ben und transportiert es zur Ausstellung. Die obereMitte, das Vereinslokalmit derAus­

stellung der Werke, wird gerahmt vonzwei großenFiguren in altertümlicherTracht. Mit Ausnahmevon Kerstin Bütow hat die For­

schungzu ihrerIdentifizierungnichtsanzu­

bieten (Bütow 1994, S. 148-155). Nach Bü­ towhandelt es sich,was einzuleuchten ver­

mag, links um den Vereinssekretär mit Schriftrolle, vielleicht soll Puhlmann darge­ stellt sein, rechts dagegen, in einem Kostüm

318 VIII. VERZWEIGUNGEN UND ARABESKE VIELFALT

(10)

164 ' V

des 17. Jahrhunderts mit einem großen Schlüssel in der Hand, erscheint wohl der Vorsitzendedes Vereins. Der Sekretärregelt dieKunstangelegenheiten - schließlichhatte Puhlmann Menzel auch den Auftrag zur Ak­ tie vermittelt. Rechtshat der Vorsitzende mit seinem Schlüssel diebeschrifteteGeldkasset­

te geöffnet, eristfür dieUnterstützung der Verarmten zuständig, verwaltetdieGelder.

Links über dem Sekretär ein Katalog, rechts über demVorsitzenden Tintenfass und Fe­ der, er segnet die Dinge ab. Ein wenig ist der Wunsch Vaterdes Gedankens: Eine riesige Besucherzahl hat sich zur Ausstellungeinge­

funden. DieBilder sind eine Pracht. Überih­

nenin einem leichtenBogen ein lateinischer Spruch, der in der Forschung nur einmal übersetzt wurde - leider gänzlichfalsch (Kat.

Berlin 1984,S. 379). Erfindetsich als Zitat aus Ovids Briefen aus derVerbannung „didi - cisse artes emollit mores“,er stammt aus den .Epistulae ex Ponto* und lautet vollständig:

,,adde quodingenuas didicissefideliter artes / emollitmoresnec simit esse feros“ undist wie folgt zuübersetzen:„Ja, und mit redli­

chem Sinn die edleren Künste erlernen / sänftigt die Sitten und nimmt ihnen das Grausame weg“ (Ovid 1990, Epistulae ex Ponto II, 9, Z. 47f.).Der vonMenzel zitierte Kern: „die Künste erlerntzuhaben, sänftigt die Sitten“ beruft denheilsamen Einfluss der Künste.Die Aufschriftder sich ergießenden Kassette weistmit einemBibelspruch auf die Wohltätigkeit des Vereins: „Was ihr einem

der geringstenBrüder gethan, das habtihr mirgethan!“ (Matth. 25, 40). DassdieKunst nach demBrot geht, machenunten in der umrahmenden Arabeske dampfende Sup­ penschüsselndeutlich.Durchzogen wird die ganzeArabeske, wie Menzel angekündigt hat, durch immergrüne Efeuranken, sie geben der symmetrischen Anlageder Arabeske et­

was Beschwingtes. W. B.

164

ADOLPH MENZEL (1815-1905) KARTE FÜR EIN SCHÜTZENFEST,

„VIVAT DER 17TE JUNI!!“, UM 1837

Federlithographie auf weißemGlanzkarton;

9,6 x 7,5 cm(Platte), 9,8 x 7,7cm(Blatt) Rückseitig SammlerstempelCarl Heumann, Chemnitz, Lugt,Suppl.555b

Privatbesitz Berlin

Literatur:D. 176; B. 194; Westen Bd. 2,S.122;

Ebertshäuser 1976, S.163;Kat.Berlin 1984,Nr.

277.

Diese winzige Karte für ein Schützenfest folgt den Gattungscharakteristika sowohl im For­

malen alsauch in der humoristischenTonla­ ge. Der Berliner Menzel-Katalog von 1984 hat die Überlegungen zur Identifizierung des Schützenvereins, für den die Karte gefertigt seinkönnte, zusammengetragen. 1830 gibtes nur eine eingetragene ,Schützengilde‘ in Ber­

lin, einenVereinmit langer Tradition. 1839 wurde Menzel vom .Berliner Schießverein für Offiziere* aufgefordert, ein Vereinsdiplom zu entwerfen, womöglich warder Schießverein für Offiziere nur eine Unterabteilung der .Schützengilde*. Für die Gilde istder regelmä­

ßige TriumphzugdesSchützenkönigsdurch dieStadt überliefert. Vondaher nimmt Wes­ ten (Bd.2,S. 122) an,die Graphik sei in die­ sem Zusammenhang, also eher1839/40, ent­ standen. Bei Menzel tragen zwei Schützen­

brüder,unterder Last gebeugt, einenschwer­

gewichtigen Schützenkönig, umkränzt, mit Eichenlaub umsHaupt,das spaßigerweise die Mitteeiner Zielscheibe ausmacht. Ferner trägtder Schütze ein riesiges Gewehr und ju­

belt, wie auch die Menge der Schützen hinter der Tragegruppe. Sie stehtaufeiner Schrift­ zeile:„Schaut ihr Herrnmich an alsKönig?“

Einerseits scheinen ihn Zweifel an seinem Er­ folganzuwandeln, andererseits richtet erdie Aufforderung auch an den Betrachter der Schützenkarte. Obenfindet sich: „Vivat der 17te Juni!“ DasHauptschützenfest der Gilde fand amGeburtstag des residierenden Schüt­ zenkönigs statt, denkbar wäre es also, dassdas Datum sich darauf bezieht. Durch die Mittel­

achsenbetonung unddie symmetrische An­

ordnungderGruppe wird das Ganzezur Fi­ gur auf der Fläche, was denOrnamentcharak­

ter erzeugt. W.B.

165

ADOLPH MENZEL (1815-1905) KARTE ZUM STIFTUNGSFEST DES GEWERBEVEREINS, 24. JANUAR 1839

FederlithographieaufGlanzkarton;

16,2 x 12 cm (Platte), 16,7x 12,2 cm (Blatt) Bez. rückseitig handschriftlichder Adressat der Karte:„Herrn pp. Theremin“; ferner Sammlerstempel Carl Heumann,Chemnitz, Lugt, Suppl. 555b

Privatbesitz Berlin

Literatur: D. 187;Westen, Bd. 2, S. 73, Taf. 33;

B. 207; Kat. Berlin 1984,Nr. 283; Bütow1994, S. 169-173.

Der Verein zur Beförderung des Gewerbe- fleissesin Preussen*wurde 1820 vom Gehei­ men Ober-Regierungsrath Peter Beuth ge-

165

(11)

gründet. Er förderte Handel und Wandel, setzte Preise aus, war neben industriellem und manufakturellem Fortschritt auch an der Förderung von Kunst und Kunstgewerbein­ teressiert. So waren auch Künstler wie Scha- dow, Rauch oder SchinkelMitglied.DasStif­

tungsfest des Vereins wurdejährlich am 24.

Januargefeiert, demGeburtstag Friedrichs II.

Menzel hat vierFestkartenfürden Verein von 1835-1839 entworfen. Offenbarwurde ihmdieIkonographie vorgegeben. DieDar­

stellungder letzten Karte von 1839 hat die Formeines Tafelaufsatzes. Die Basisbilden vierVerkörperungen von Hauptspartendes Gewerbevereins:vonBergbau, Erzgießerei, mechanischer undchemischerIndustrie.Der Bergmann trägt Grubenlampe und Bergbau­ hammer, der Erzgießer eine Feuerfackel (nicht ein Füllhorn), der Vertreter der me­ chanischen Industrie einZahnrad,die Ver­

treterin derchemischen Industrie ein Ther­ mometer und eine Festfahne. Über dem So­ ckel erheben sich zwei weibliche Figuren, wobeidieuntere dieobere in einer schlan­ genartigen Bewegungaufder Schulter trägt.

Die beiden Frauengestalten sind im Maßstab größer als die Sockelfiguren, die untereder Frauen weist aufden Ursprung allen Gewer­ bes. Esscheintauch möglich zu sein, die vier Figurenzugleichals Verkörperungen dervier Elemente zu lesen, der Bergmann stündefür die Erde, der Erzgießer für das Feuer, der Mechaniker, wenn mansein Zahnrad auch alsSchaufelrad liest, für das Wasserunddie Thermometerträgerin stünde für die Luft.

Die beiden Tragefiguren sind schwerzu be­

nennen,die untere trägt eineKegelradkrone,

166

die obere einen Lorbeerkranz und als Ab­

schluss desTafelaufsatzes in den erhobenen Händeneine Feuerschale, man hat sie als Vik­

toriaoder auch alsVerkörperung des Kunst­

gewerbesidentifiziert,zwingendist das nicht.

Kleine arabeske Schnörkel wachsen links und rechts aus den Schriftzeilen hervor, die„Zum Stif - tungs - Fest - desGewerbe - Verein den24ten:Januar 18 39“ lauten. Da Menzel ab 1839 mitden umfangreichen Illustrationen zu Kuglers .Geschichte Friedrichs des Großen beschäftigt war,hat er keine weiteren Festkar­

ten für den Gewerbeverein entworfen. Ab 1841 übernahmTheodor Hosemann diese

Aufgabe. W. B.

166

ADOLPH MENZEL (1815-1905) EINLADUNG ZUM BALL UND SOUPER IM LOGENHAUSE [...] DAS RITTERSCHAFTLICHE COMITE,

1839

Holzschnitt aufweißem GlanzkartoninGold­

druck; 10,5x 14,9 cm (Platte), 12 x 16,2 cm (Blatt)

Bez. u. r.: „AM" [ligiert]; u. I.: „Uzl“ (Friedrich Unzelmann, MenzelsHolzstecher);rückseitig Sammlerstempel Carl Heumann,Chemnitz, Lugt. Suppl. 555b

Privatbesitz Berlin

Literatur; B.424; Ebertshäuser 1976,S. 721.

Bei demhier vorliegenden Exemplar dürfte es sichum ein Unikat handeln. Bei den in der Literatur nachgewiesenen Exemplaren ist die Schrift anders angeordnet und er­

gänzt.So dürftedies ein erster Probedruck sein. Die menzelsche Arabeske ist jeweils gleich. 1839istdas Jahr, indem Menzel mit seinenIllustrationenzuKuglers .Geschichte Friedrichsdes Großen beginnt,einige der ersten sind bereits von Friedrich Unzelmann im Holzstich gefertigt. DasHirnholz ist so hart, dass auch schmale Stege, neben diege­

stochenwird, stehen bleibenkönnen. Man arbeitet also vom Dunklen zum Hellen - umgekehrt wiebeim Kupferstich -, wodurch gut Tonalität zu erzielen ist,mansprichtdes­

halb auchvomTonstich. Zuerst beherrschen die englischen Holzstecher den europäi­

schen Markt - auch Menzel beschäftigte Engländer-, doch imfrühen19.Jahrhundert greift die Technik auch in Frankreich und Deutschland Raum. Menzel engagiert nach demErfolgvonHorace Vernets Illustratio­

nen zu Laurentde l’Ardeches .Histoire de L’EmpereurNapoleon von1738 auch franzö­

sischeHolzstecher,ist mit ihrerArbeitaber nicht zufrieden und zieht sich deutscheSpe­

zialisten heran, die er streng kontrolliert - Unzelmann gehörte dazu.

1838 kritisiert ervorsichtig Unzelmanns Pro­

bearbeit (Keisch/Riemann 2009, Nr.26). Um dieQualität zu steigern,willMenzel danach selbstaufdas Holzzeichnen, auch um Ab­

weichungen zu verhindern. Somüssenwir es auchfürvorliegendenHolzstich annehmen.

In der Tat sind die Linien bereits erstaunlich fein,so dass man auf den erstenBlick wieder von einerFederlithographie ausgehen könn­

te. Dadas „ritterschaftliche Comite“ ins Lo­

genhaus einlädt,füllt Menzel die arabesken Rankenmit Ritterromantik. Bock (B.), der auf S.282 ein Exemplar mit derendgültigen Schriftfassungabbildet,benennt die Gegen­ ständeadäquat: links zweiRitterzu Pferde mit Pagen, der einen Helmmit Visier und Helmzierim Arm trägt,darüberein Doppel­

adler, rechts ein Fackelträger,oben, von Men­

zel geschickt in die Schwippbögeneingefügt, Fanfarenbläser und unten eine langeTafel mit Tafelzier.Warum Menzel allerdings ei­ nen Doppeladler wählt, beantwortet auch Bock nicht. Nach 1806 ist der Doppeladler allein noch österreichisch-kaiserlich. Viel­ leichtsoll auf die mittelalterliche Tradition des deutsch-römischen Kaisertums verwie­ sen werden. Das„E“ des Wortes „Einladung“ ist als Wehrtor gebildet, auf dem einelang­ haarige und langgewandete Jungfrau er­

scheint. Was sie inden Händenträgt,bleibt unklar, jedenfalls wird sie-eintypischmen- zelscher Scherz -mit Interesse vom zweiten Kopf des Doppeladlers betrachtet. Innerhalb von einem JahrwarUnzelmannso weit, dass sein Holzstich mit einer Federlithographie konkurrieren konnte. Der Golddruck auf weißem Glanzkarton gibt der Einladungskar­ te einen noblen Charakter - den unten ge­

nannten Adelsmitgliedern des „Comite“an­

gemessen. W. B.

320 VIII. VERZWEIGUNGEN UND ARABESKE VIELFALT

(12)

llhr Cßddinionif Jbrr und andrir Blfiltrr des -fluffigen (Bnvrrks i>rr Jilanrrr l)irfi<jrr

ljaupt utti» Krsidm-Sralit Ukrlin, brfrbrinitirnbirri>urrl;,iia<5 Jlnbabrr birsrs.der Jtlanrrtgrfirll Hainau

Jlabr alt, vvn Statur mit ljaarm,»je

bürtiq aus bri un* 3ahrr

llbnat 1U erbat, inArbeit gr^tanDm,überall fid? trru flri&ig und fittföm.nrir ts einemuwblrbrümen älaurrrgefeiien feuernt,verhalten hat.

Wirrrbuben betmiarit fäntttietK ^errettJHitmeilter >ünfti.

^rnl1crb.uidrf>.andrret'i)rte,unter dentllertpreebeit dcrll’erb.

frtfeitü|keit.(Fingan$«'(Genannfen nadj feiften DrmdGrCrh uni)

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ADOLPH MENZEL (1815-1905) MAURERGESELLENBRIEF, 1838

Federlithographie; 45,5 x51,6cm(Platte), 62,0x 78,0 cm (Blatt)

Bez.u.r.:„Adolph Menzelinv: & fec:1838.“

und links zu Füßen des kleinen Trommlers:

„AM“ [ligiert]; beschriftet u.I.:„Lith. Inst. v. L.

Sachse & Co. Berlin“

Privatbesitz Berlin

Literatur: D. 177; B. 195; Ebertshäuser 1976, S. 110 (mitfalscherDatierung); Kat. Berlin 1984, Nr. 280,S. 387;Busch 2004, S. 31f.

Die Form folgt gänzlichdembereits1834 ent­ worfenen Zimmergesellenbrief (D. 106; B.

120; Kat. Berlin 1984, Kat. Nr.258), ist aber

noch um einiges souveräner und trotzseiner Komplexität klarer.Die fünfszenischenFel­

derund die ebenfalls fünfGebäudeansichten und das Stadtpanorama werden von einer einzigen, sich immer wieder verschlingenden Hopfenrankeumgeben,die in ihrenVeräste­

lungenden arabesken Rahmenfür alles bil­ det.Wie essich für die Arabeske gehört, ist sie achsensymmetrisch angelegt, hat einenUr­

sprungspunktaufder unteren senkrechten Mittelachse, siewächst zu den Seiten auf, um oben ins BerlinerWappen, das von den Mau­

rerwerkzeugen umgeben ist,zumünden.Un­

ten in der Mittewird vor einer großen Menge vonGesellenund der Bauauftragsfamilievom Meister der Grundstein gelegt. In ihn einge­

lassen ist die Bauurkunde zusammen mit

Münzen, sie werdenunten vergrößertnoch einmalgezeigt,überwölbt vondem Spruch

„Dies Hausdas steh in GOTTES Hand“. Zur Feierdes Tages wird Musik gemacht mitPau­

ken und Trompeten, auch ein JestermitNar­

renkeuleistdabei,lustig soll es zugehen.Auch der kleinebucklige und lachende Trommler trägteine Narrenkappeund hältdie Schlegel überzwei Kesselpauken. Offenbarspielt Men­

zelhier aufsich selbst an. Künstler und Narr sind Außenseiter,jedoch mitgroßerFreiheit.

Dass Menzel, der Kleinwüchsige, dies jedoch nichtnur launisch meint, erweist seine ver­ stecktezweite Signatur zu Füßen derTrom­ meln: ein monogrammiertes ligiertes „AM“.

Der klassische Narr ist bekanntlichaucheine tragische Figur, häufig ist er zugleich Hof­

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zwerg, derallein dem Herrscher die Wahrheit sagen darf.

Links und rechts dieser Hauptgruppe finden sichArchitekturfelder,links die Neue Kirche, also der Deutsche Dom am Gendarmenmarkt, rechtsdieNicolaikirche in alter Formmitnur einemSpitzturm, dieneugotischen Verände­

rungen fanden erst 1876-1878 statt. Die Lek­

türereihenfolge der Szenen über denbeiden Kirchenbildern istnicht ganz eindeutig. Links dieerste Szene über der Neuen Kirche zeigt zweijubelnde Fahnenschwenker nebst zwei Gesellen, die vom Altgesellen auseiner großen KannedenZuspruch erhalten, darüberist der AltmeiserinAmtstrachtvor demGewerke, al­

sodem Zunftgenossen,dervier Lehrjungenzu Gesellen macht, darüber istwiederein Archi­

tekturfeld, hier mitder Schlossbrücke. Es wird jedochvon den Knoten der Hopfenranke ein­ gefasst undvon einem in einem Buch studie­

renden Architekten undeinem Lehrjungen, demvon einem Gesellen der lederneMaurer­ schurz angelegt wird, geziert. Letzterer wird von einem Maurerpinsel aus der umgebenden schmalen Ranke bespritzt, er schautauch im Wortsinnebedröppelt drein.

Dem folgt in der Mitteoben das Wappen, es bekrönt ein großes Feld, das „Berlin vom Zeughaus aus gesehen“ zeigt. Ein derartiges Bildkann einmal mehrerhellen, in welch er­ staunlichem Maße es Menzel möglich ist, komplexeTraditionenzu adaptieren, hier et­ wa denTypus der gaertnerschen oder hintze- schen Panoramen (beide von 1834) in der schinkelschen Nachfolge.Überdem Feld der Bauschule (Bauakademie) rechts turnt ein fröhlicherGeselleauf der Wanderschaft,er 168

zieht den Schwalben nach. Darunter findet sich ein „zweistöckiges“großes Feld. Imun­

teren Teil,unter Anleitung des Meisters, lö­ schen Arbeiterden Kalk, Mörtel wird über Leitern zum schon in dieHöhewachsenen Bau getragen, das Gerüst, aufdemdie Maurer Nachschub erwarten, ist mit den starken Hopfenranken vertäut. Links scheint zum Entsetzen zweier Maurer eine riesige Leiter mit einem Gesellen nach hinten zu kippen, er rettetsichdurcheinen beherzten Griff andie Zeughausranke. In denzarten umgebenden Ranken, an denen die Hopfendolden wach­ sen, sindlinks und rechts in der Mitte typisch menzelsche humoristische Attribute ange­

bracht.LinkseineMaurertabakpfeifemit Ge­ sichtskopf undStadtkroneals Deckel, rechts ein Biber, der zwar als fleißiggiltund damit die Bauleutecharakterisieren soll, zugleich aber beißt er die Ranke durchundwird mit ihr herabstürzen. Unten auf der schlanken Rankein gänzlichanderemGrößenmaßstab wird Speis und Trank zur Feier der Grund­ steinlegung herangetragen, ein ganzer Ochse brutzelt,einriesiger Humpen wird übereine menschliche Brückegeschleppt undrechts muss noch einmaleine ausgestreckte Figur ertragen, dass über sie drei gewaltige Bierfäs­

ser herbeigerollt werden, was einige Anstren­ gung kostet. So bekommt auch der Hopfen noch seinenSinn.

Diese Gesellenbriefe wurden nicht selten auf Leinwandgezogen und aufgerollt, denn sie sollten ja auchdazu dienen, wie der Urkun­ dentext in der Mittedeutlichmacht,dem Ge­ sellen auf der WanderschaftdenZugangzum Maurergewerbe in anderen Städten zu er­

möglichen. Unterschrift und Siegel sollten seine Seriosität bezeugen. Die Verschränkung derunterschiedlichen Realitätssphären,die Darstellungvon Stufen inder Ausbildung ei­ nes Gesellenauf einem trotz der Überfülle in sich logischen Blatt, daszudem noch zuim­

mer neuer Deutungreizt- diesscheintallein nach den Strukturprinzipien der Arabeske möglich. Das Klettern in den Rankenist zu­

gleich einAbbild des Werdegangs einesGe­ sellen. DassMenzeldie Verschränkung von Sphären mit unterschiedlichemRealitätscha­ rakter als besonderen Reiz versteht, der durchaus auch mit Verblüffung spielen kann,

sei durch einewinzige Beobachtung illustriert - anderewären möglich: Der Bär des Berliner Wappensscheint aus seinem Schild nach ei­

nerMaurerkelle zu greifen - er möchteauch beteiligt sein. Sowitzig Derartiges ist, es of­

fenbart zugleich, dass Menzel die arabesken Prinzipienund ihrReflexionspotentialmit Ironiezubedenken weiß. W.B.

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ADOLPH MENZEL (1815-1905) BRIEF- UND RECHNUNGSKOPF DER LÜDERITZSCHEN KUNST­

HANDLUNG, ZWISCHEN 1834 UND 1849

Federlithographie;10,2 x14,1 cm(Platte), 10,4 x 14,3cm (Blatt)

Bez. u. r. am Fuß des Skulpturensockels:

„AM“[ligiert]; rückseitigSammlerstempel CarlHeumann, Chemnitz, Lugt, Suppl. 555b Privatbesitz Berlin

Literatur: B.119; D.105;Ebertshäuser 1976, S.108; Kat. Berlin 1984, Nr.286, S. 393.

DerBrief-und Rechnungskopf für die Lüder- itzsche Kunsthandlung - eine der, neben Sachse, größten BerlinerKunsthandlungen, wiedieAufschriftdeutlich macht „Unterden Linden No.30“beheimatet- istnur sehr sel­

ten erhalten. So ist auch das vorliegende Exemplar in keinem guten Zustand. DieDar­

stellung ist in eine dreiteilige Kartusche ge­

fasst, undeswird deutlich, dass Menzel mit der manieristischenKartuschentradition gut vertraut ist.Das Kartuschenrollwerk macht, wiesich das gehört,den Eindruck,als sei es Resultat von Metallschnitt. Die zwei sich links und rechts aus dem Ornament herausschä­

lenden Greisenköpfe entlassenselbst wieder Girlanden aus ihrem Mund, der mittlere Kopf trägt das Berliner Wappen. Das Mittelbild wird von den beidenschmalerenSeitenfel­

dern durch Figurensockel getrennt,auf denen links einBriefträgererscheint,rechts ein Bilder­ träger der Kunsthandlung (?). Auf den Seiten­ flügeln des Triptychons werdenGraphikmap­

pen und Klebebände gezeigt, im großen Mit­

telbild wird ein Blick in den gut besuchten undan der Wand hoch mit Bildern bedeckten Kunstsalon gestattet. Es herrscht reger Be-

322 VIII. VERZWEIGUNGEN UND ARABESKE VIELFALT

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trieb. Bilder werden vorgeführt, mit Hilfe einer Trittleiter vonder Wand genommen, feine Damenund Herren tun sichwichtig.

Manmöchte fast meinen, Menzel habe Wat- teaus,Ladenschild'vor Augen gehabt, das von Friedrich II. erworben bis 1829 im Charlot­ tenburger Schloss,dann bis1841 imBerliner Schloss imGrünen Zimmer hinter der Bil­ dergalerie hing.Wie es Menzel auf wenigen Zentimetern gelingt, einen lebendigen Ein­

druck vomTreiben in der Kunsthandlungzu erzeugen, das ist schonerstaunlich. Einiger­ maßen verblüffend ist die Gestaltung des mittleren oberen Bogens der Kartusche, er geht vomBriefträger aus undführt zum Lie­ ferburschen, wenn wir ihn recht identifizie­ ren. In der Mitte als Bekrönung findet sich ein

Tintenfass, in dem Federn steckenund links undrechtsdavon,den Bogen schlagend, fol­

gen gestaffelte Briefumschläge,sie sollen wohl denGeschäftsgang andeuten,schließlich han­

delt es sich um den Brief- undRechnungs­

kopf der Firma. Das Kartuschenprinzip har­

moniert gut mitden Strukturmerkmalen der Arabeske, Menzel scheint auch dies auszu­ loten.Die Datierungdes Blattes ist schwierig, dietraditionelle Spätdatierung (um 1839/40) wird, wie mir scheint zu Recht, vonder Brief­

edition (Keisch/Riemann 2009, Bd.1, S. 440) in Frage gestellt, die Form derligierten Mo- nogrammierung könnteauch für um 1834 sprechen. Damit würde die Kartusche zu Menzelsfrühesten arabesken Federlithogra­

phien gehören. W. B.

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ADOLPH MENZEL (1815-1905) TITELEINFASSUNG ZU

ATHANASIUS GRAF RACZYNSKI:

,GESCHICHTE DER NEUEREN DEUTSCHEN KUNST1

Berlin, Bd. 3,1841 (entstanden 1835) Federlithographie; 25,4 x 20,3 cm (Platte), 28,1 x 20,9 cm (Blatt)

Bez. u. r.: „A M“ [ligiert], darunter: „Adolph Menzel inv: et fec:“; u. I.: „Steindr. v. M. Weigel, Berlin“; hs. der Titel für die französische Aus­

gabe eingefügt: „L'art moderne en Allemagne, Tome troisieme, 1841, par A Raczynski“

Privatbesitz Berlin

Literatur: D. 110 - II; B. 125 - II; Rümann 1926, 1368; Börsch-Supan 1975, S. 15-26; Ebertshäuser 1976, Bd. 1, S. 113; Kat. Cambridge 1984, Nr. 114, Abb. S. 157; Kat. Berlin 1984, Nr. 264.2; Busch 1985, S. 75-89; Bütow 1994, S. 166-168; Busch 2004, S. 24-31.

Das Raczynski-Titelblatt ist kunsttheoretisch angelegt - wie zu zeigen sein wird, ist die Ara­

beske für eine kunsttheoretische Reflexion ideal geeignet. Allerdings wird in diesem Ti­

telblatt Menzels Position markiert, nicht die­

jenige Raczynskis. Man wundert sich, dass er dieses Titelblatt akzeptieren konnte. Menzel fühlte sich schon deswegen nicht durch Raczynski gebunden, weil dieser seinen drit­

ten Band zur Geschichte der neueren deut­

schen Kunst1 noch gar nicht geschrieben hatte.

Menzel entwirft sein Titelblatt 1835, der zuge­

hörige Band erscheint erst 1841. Raczynski folgt immer noch winckelmannscher und mengsscher klassizistischer Theorie, in der Praxis setzt er mit den Klassizisten Carstens und Thorvaldsen ein, nichts davon bei Men­

zel. Ihn interessiert der Zustand der Kunst in der Gegenwart, d. h. im ersten Drittel des 19.

Jahrhunderts, vor allem aber feiert er die Ver­

hältnisse nicht, sondern kritisiert bzw. ironi­

siert die verschiedenen Positionen deutlich.

Sechs seitliche Szenen, je drei links und rechts, sind von unterschiedlichen pflanzli­

chen Ornamenten umgeben, die jedoch mit­

einander verbunden sind und, wie sich das für die Arabeske gehört, von unten nach oben gelesen werden müssen. Die Szenen sind lan­

ge Zeit weitgehend falsch interpretiert wor­

den, unter anderem weil man das strukturelle Argumentationsschema nicht erkannt hat.

Unten in der Mitte sitzt links ein Barde mit Harfe, rechts die Verkörperung der demons­

trierenden Religio mit großer Bibel und Kreuz, zu Füßen mit Kelch und Patene. Sie wenden einander den Rücken zu und sind of­

fenbar als zwei Möglichkeiten künstlerischer Inspiration zu verstehen, denn von den Fel­

dern links und rechts wenden sich ihnen die Künstler zu. Dass allerdings aus Menzels Sicht ihre Einflussnahme bedingt ist, machen auf der senkrechten Mittelachse der Arabeske zwei Verweise deutlich. Ganz unten ist ein Eselskopf mit offenem Maul, frontal auf den Betrachter gerichtet, zu erkennen. Dieser Esel, der auch noch Scheuklappen trägt, schreibt mit einer großen Feder in ein Buch, das von außen ,,Recensio(n?)“ beschriftet ist.

Er ist ganz offensichtlich eine ironische Para­

phrase auf das Fischmaul aus Runges ,Tag‘ der .Zeiten-Arabesken (s. Kat. Nr. 50). Bei Runge ergießt sich aus seinem Maul das alles näh­

rende Wasser, damit ist der Ursprung der auf­

wachsenden Arabeske markiert. Menzels Esel dagegen ist die Verkörperung der Dummheit,

KAT. NR. 155-170 325

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