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Archiv "Wirtschafts- und Sozialpolitik: Einkommensverluste und hohe Arbeitslosigkeit" (26.11.1993)

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POLITIK LEITARTIKEL

Wirtschafts- und Sozialpolitik

Einkommensverluste und hohe Arbeitslosigkeit

Die Konjunktur-Propheten sind sich nur in einem Punkt einig: die gen gibt es darüber, wann und mit welchem Tempo sich die Kon- Rezession hat ihren Tiefpunkt erreicht. Unterschiedliche Auffassun- junktur erholt und in einen Aufschwung einmündet.

D

er konjunkturelle Ab- schwung hat sich im Verlauf des letzten halben Jahres verlangsamt. Die „Talsohle"

scheint erreicht. Die Wirtschaftswis- senschaftlichen Institute haben in ih- rem Herbstgutachten zunächst einen optimistischen Akzent gesetzt. Da- nach wäre schon bald mit dem Be- ginn des Aufschwungs zu rechnen.

Der Sachverständigenrat (die fünf

„Wirtschafts-Weisen") hat dagegen in seinem Jahresgutachten Skepsis verbreitet. Er rechnet in West- deutschland mit anhaltender wirt- schaftlicher Stagnation und mit ei- nem Aufschwung erst 1995. Sowohl die Institute als auch der Sachver- ständigenrat erwarten in Ostdeutsch- land ein etwas höheres Wachstum als in diesem Jahr.

Der Rat hat die Öffentlichkeit mit der Ankündigung geschockt, daß die Zahl der Arbeitslosen in Gesamt- deutschland im nächsten Jahr auf über vier Millionen steigen wird.

Die Ökonomie-Professoren sind sich ihrer Konjunktureinschätzung aber keineswegs sicher. Dennoch scheint klar: Bislang gibt es keine eindeutigen Zeichen für eine kon- junkturelle Wende. Deutschland bleibt vorerst in einer tiefen Rezessi- on. Die Professoren formulieren das wie folgt: „Die deutsche Wirtschaft ist zwar allem Anschein nach auf der konjunkturellen Talsohle angelangt, aber zum Aufstieg fehlt ihr die Kraft." Die Lasten, die ihr in den letzten Jahren aufgebürdet worden seien, wögen schwer.

Seit zwei Jahren knüpfen sich die Erwartungen auf einen Auf- schwung vor allem daran, daß im Ausland die Konjunktur an Fahrt ge- winnt und die deutsche Industrie da- von profitiert. Solche Hoffnungen haben sich bislang nicht erfüllt. Zwar

entwickelt sich die Konjunktur in Amerika, Großbritannien und Kana- da günstig. In den westeuropäischen Nachbarländern ist die Lage jedoch ähnlich wie in Westdeutschland. Der Rat erwartet nicht, daß diese Länder zum Zugpferd für die deutsche Kon- junktur werden. „Die deutsche Wirt- schaft muß sich schon selbst helfen", heißt es in dem Jahresgutachten, das nach Ansicht von Wirtschaftsmini- ster Rexrodt eher zu pessimistisch ausgefallen ist.

Der Absturz in die Rezession ist vor allem durch den starken Rück- gang der Unternehmens-Investitio- nen ausgelöst worden. „Der Anstieg bei den Lohnkosten, Steuern und So- zialabgaben, die Flaute beim Export- geschäft, aber auch die Unzufrieden- heit mit der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik, die, statt gradlinig ihre Ziele anzusteuern, einen Schlin- gerkurs fährt, das alles hat zu Enttäu- schungen geführt, die möglicherwei- se noch länger nachwirken", sagen die Sachverständigen an die Adresse der Bundesregierung. Ihnen ist zuzu- stimmen, daß die konjunkturelle Er- holung von den Investitionen ausge- hen muß.

Als positive Fakten werden das Absinken der Zinsen und die Abfla- chung des Lohnanstiegs gewertet.

Die Bundesregierung gehe die Haus- haltskonsolidierung an. Die Unter- nehmen rationalisierten. Aber für die Zunahme der Investitionen gebe es Bedingungen, die erst noch zu erfül- len seien: Die auf Konsolidierung ge- richtete Finanzpolitik müsse ver- stärkt und eine die Beschäftigung si- chernde Lohnpolitik durchgesetzt werden.

Nach den Beschlüssen des Haus- haltsausschusses, die der Rat noch nicht kannte, soll die Neuverschul- dung des Bundes 1994 unter 70 Milli-

arden Mark gehalten werden. Das ist eine unrealistische Zahl. Schon jetzt ist abzusehen, daß das Defizit des Bundes auf die Rekordsumme von mehr als 80 Milliarden Mark steigen wird. Diese Zahl nennt auch der Sachverständigenrat. Das Gesamtde- fizit des öffentlichen Bereichs, also einschließlich Treuhandanstalt, Sozi- alversicherung und Post, wird für 1994 auf fast 230 Milliarden Mark ge- schätzt. Der Staat absorbiert fast das gesamte inländische Sparaufkom- men; der deutsche Kapitalmarkt ist damit auf Kapitalzuflüsse aus dem Ausland angewiesen. Der Rat ist skeptisch, ob es der Politik gelingt, glaubwürdig auf eine mittelfristige Konsolidierungsstrategie einzu- schwenken.

Einfluß auf die

Gesundheits-Budgets Bei den Einkommen wird fak- tisch eine Null-Runde erwartet. Der Anstieg der Brutto-Einkommen aus unselbständiger Arbeit wird auf 0,5 Prozent geschätzt, der Zuwachs bei den Brutto-Einkommen je Beschäf- tigten dürfte etwas darüber liegen.

Dies wird dann auch auf die Budgets nach dem Gesundheitsstrukturgesetz durchschlagen. Solche Zuwachsraten bedeuten angesichts der bevorste- henden Steuer- und Sozialabgaben- erhöhungen ein Minus von durch- schnittlich etwa zwei Prozent bei den Netto-Einkommen und unter Be- rücksichtigung der prognostizierten Preisrate von etwa drei Prozent einen erheblichen realen Einkommensver- lust, der faktisch alle Bürger treffen wird. Im Jahr 1995 könnte es zum er- sten Mal seit der Rentenreform von 1957 zu einer Kürzung der Renten kommen, da die Renten seit 1992 an Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 47, 26. November 1993 (17) A1-3109

(2)

Westdeutschland in Preisen von 1991

1993 1994

Ostdeutschland in Preisen von 1991

1993 1994 Bruttoinlandsprodukt - 2 0 + 6,5 + 7,5 - privater Verbrauch - - 1,5 + 1,5 + 2,5 - Staatsverbrauch - 1 -

- Ausriistungs-

investitionen - 15,5 - 2 + 12,5 + 12 - Bauinvestitionen - 0,5

- Ausfuhr l A - 8,5 + 2,5 - Einfuhr l f) - 10,5 + 0,5 Bruttolohn- und

Gehaltssumme Unternehmer- einkommen')

+ 1 + 0,5

- 3,5 + 4,5

Verbraucherpreise + 4 + 3 + 9 + 4

Arbeitslose in Mio. 4) 2,3 2,8 1,2 Kurzarbeiter

in Mio. 4)

Beschäftigte in Ar- beitsbeschäftigungs- maßnahmen in Mio. 4)

0,8 0,7 0,2 0,21

0,05 0,06 0,26 0,31

gnose der Sachverständigen (in Prozent gegenüber dem en Vorjahr)

Die Pro jeweilig

1) Waren und Dienstleistungen;

2) Güterverkehr mit den neuen Bundesländern und Ostberlin ent- halten;

3) Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen;

4) Jahresdurchschnitt.

POLITIK

die Entwicklung der Netto-Einkom- men des jeweiligen Vorjahres gekop- pelt sind.

Es überrascht, daß der Sachver- ständigenrat nicht wie in früheren Jahren auch zu wichtigen und aktuel- len sozialpolitischen Fragen, die Ar- beitsmarktpolitik ausgenommen, Stellung bezieht. Dies mag damit zu erklären sein, daß die konjunkturel- len und strukturellen Probleme der Wirtschaftspolitik sowie die schwer- wiegenden Konsequenzen der öffent- lichen Defizite alle anderen Fragen überlagern.

Die Dramatik am Arbeitsmarkt zeigt sich vor allem daran, daß allein in den alten Bundesländern die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer von 1992 bis 1994 um mehr als eine Milli- on zurückgehen dürfte. Die Zahl der Arbeitslosen wird für 1994 auf 4,02 Millionen in ganz Deutschland ge- schätzt. Die Arbeitslosenquote, be- zogen auf die Arbeitneh-

mer, steigt damit auf 11,5 Prozent. Sie wäre noch deutlich höher, wenn man jene Arbeitnehmer hinzu- zählte, die von der den Arbeitsmarkt entlasten- den Politik profitieren;

das sind mehr als 1,5 Mil- lionen.

Blüms

”Maßnahmen- Paket"

Die bedrückende La- ge am Arbeitsmarkt, die nach Ansicht des Sachver- ständigenrates nur mittel- fristig bei einer Rückkehr auf den Wachstumspfad zu verbessern ist, läßt die Politiker nicht ruhen. Sie suchen nach Strategien, um wenigstens die Sorgen der Betroffenen mildern zu können. Bundesar- beitsminister Blüm hat dafür ein Maßnahmen- Paket vorgelegt, mit dem die Wirtschaftspolitik flankiert werden soll.

Blüm will keine Anreize setzen, die dazu führen könnten, reguläre Ar- r-

LEITARTIKEL LEITARTIKEL

beitsverhältnisse durch Arbeitsver- hältnisse zu ersetzen, die ausschließ- lich sozialrechtlich geprägt sind und die im Ergebnis darauf hinauslaufen, den Arbeitsplatz durch Subventionen zu verbilligen. Solche Pläne gibt es weithin in der Union. Blüm hält da- gegen. Ihm geht es darum, die legale und illegale Zuwanderung, die den Arbeitsmarkt belastet, einzuschrän- ken. Die Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose sollen strikt angewendet werden; Arbeitslose sollen also ver- pflichtet sein, auch schlechter be- zahlte Arbeit zu übernehmen. Emp- fänger von Arbeitslosenhilfe sollen auch zu Saisonarbeiten herangezo- gen werden können, für die heute vielfach Ausländer angeworben wer- den. In Gebieten mit überdurch- schnittlich hoher Arbeitslosigkeit will Blüm drei Jahre lang Lohnkostenzu- schüsse bei Projekten zahlen, die den Strukturwandel fördern. Auch sollen

finanzielle Anreize gegeben werden, wenn Arbeitnehmer von der Voll- zeit- zur Teilzeitarbeit übergehen.

Nachdrücklich setzt sich Blüm dafür ein, im Rahmen von Tarifvereinba- rungen Härteklauseln für notleiden- de Betriebe und tarifvertragliche Op- tionen für betriebliche Sonderverein- barungen einzuführen. Die meisten Vorschläge haben den Charakter von Notlösungen. Problematisch ist je- denfalls alles, was auf eine Lohnsub- vention hinausläuft.

Der Sachverständigenrat bietet keine neue wirtschaftspolitische The- rapie an. Er bleibt bei seiner Ableh- nung von Konjunktur-Programmen, die die Nachfrage stimulieren. Auch würde eine Geldpolitik, die sich stär- ker an der Konjunkturbelebung statt am Stabilitätsziel orientierte, die In- flationserwartungen schüren. Noch weniger könnte eine expansive Lohn- politik den Weg zum Aufschwung eb- nen, heißt es im Gutach- ten. Aufgabe der Wirt- schafts- und Finanzpolitik sei es, die Unternehmen zu motivieren, auf künfti- ge Nachfrage und Gewin- ne zu setzen und zu inve- stieren. Die Finanzpolitik müsse daher auf dem Konsolidierungspfad blei- ben, um Befürchtungen über weitere Steuererhö- hungen zu zerstreuen und Perspektiven für eine Minderung der Steuerlast zu eröffnen. Die Sozial- politik soll auf den Aus- bau einer kaum kontrol- lierbaren Ausgabendyna- mik verzichten; dieser Rat scheint auf die Pflegever- sicherung zu zielen. Die Geldpolitik soll Inflati- onserwartungen dämpfen.

Die Lohnpolitik soll Raum für rentable Inve- stitionen lassen.

Die Grenzen der Be- lastbarkeit von Unterneh- men und privaten Haus- halten seien zu beachten, sagt der Sachverständi- genrat. Ihm bleibt freilich nur die vage Hoffnung, daß sich die Politik da- nach richtet. wst

A1-3110 (18) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 47, 26. November 1993

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