ange Zeit war die offizielle Haltung von Bundesgesund- heitsministerin Andrea Fi- scher (Bündnis 90/ Die Grünen) ein- deutig: Am Entwurf zur Gesund- heitsstrukturreform 2000 wird nichts geändert. Seit rund drei Wochen wird jedoch öffentlich über Korrek- turen debattiert. In der vergangenen Woche trafen sich hierfür zum zwei- ten Mal Fachleute des Bundesge- sundheitsministeriums, der Regie- rungskoalition und zum ersten Mal auch der SPD-geführten Bundeslän- der in Berlin.
Ob die Ministerin lange Zeit nur aus taktischen Gründen auf dem ersten Entwurf beharrte, ob die Ge- sundheitspolitiker aus der SPD zu Korrekturen drängten, ob mancher Einwand aus den mehrtägigen Ex- pertenanhörungen Langzeitwirkung entfaltete – darüber läßt sich speku- lieren. Konkret sind mehrere Ände- rungen im Gespräch.
5 Milliarden DM mehr
c Das Globalbudget soll in Zu- kunft so berechnet werden, daß es die GKV-Einnahmen realistischer abbildet. Für das Jahr 2000 geht die Regierungskoalition davon aus, daß etwa fünf Milliarden DM mehr als bislang geschätzt zur Verfügung ste- hen. Fischer und andere Gesund- heitspolitiker der Koalition betonen aber, am Globalbudget als solchem werde nicht gerüttelt. Demgegen- über hat Wolfgang Schmeinck, Vor- standsvorsitzender des Bundesver-
bandes der Betriebskrankenkassen, im Interview mit der „Welt“ erklärt:
„Wenn spätestens im Bundesrat Ge- meinsamkeiten mit der CDU/CSU gesucht werden, dann ist es das Glo- balbudget, das als erstes kippt.“
c In Zukunft könnte das Glo- balbudget erhöht werden, wenn dies ein Sachverständigenrat aufgrund des medizinischen Fortschritts oder der Bevölkerungsstruktur befürwor- tet. Das Gremium würde erstmals 2001 ein Gutachten vorlegen und dies im Zwei-Jahres-Rhythmus fort- schreiben. Selbst bei bestem politi- schen Willen kämen die erforderli- chen Anpassungen also immer erst mit großer Zeitverzögerung zustan- de – zumal nicht klar ist, wie ein zu- sätzlicher medizinischer Bedarf zu finanzieren wäre.
c Zum Thema „Arznei- und Heilmittelbudgets“ gibt es unter- schiedliche Äußerungen. Die Bun- desgesundheitsministerin erläuterte Anfang Oktober im Interview mit der „Frankfurter Rundschau“: „Wir wollen stärker mit dem Instrument der individuellen Richtgrößen pro Arzt arbeiten.“ Dieser Ansatz geht wohl auf einen Vorschlag von Ru- dolf Dreßler zurück. Der Gesund- heitspolitiker der SPD hat demnach angeregt, die regionalen Arzneibud- gets und die Kollektivhaftung der Ärztinnen und Ärzte abzuschaffen.
Statt dessen sollen facharztspezifi- sche Richtgrößen für die Verord- nung gelten. Ein Arzt dürfte seine Richtgröße aufgrund bestimmter Praxisbesonderheiten um 15 Pro- zent überschreiten. Darüber hinaus
wäre er zu prüfen und gegebe- nenfalls regreßpflichtig. Geltende Richtgrößen will Dreßler aber um zehn Prozent gesenkt haben.
Fischer: Individual- und Kollektivhaftung
Fischer hat dagegen betont, daß es zwar Richtgrößen geben soll, daneben jedoch die Kollektivhaf- tung bestehenbleibe. Dr. med. Win- fried Schorre, Vorsitzender der Kas- senärztlichen Bundesvereinigung (KBV), hat sie deswegen kritisiert.
Man übernehme zwar ein teilweise von der KBV konzipiertes Modell, aber: „Die Richtgrößen fordern wir als budgetablösende Maßnahme und nicht als budgetbegleitendes In- strument. Wenn Richtgrößen richtig eingesetzt werden, machen sie die Budgets überflüssig.“
c Im Gespräch ist weiter, das vielfach kritisierte „Benchmarking“
bei den Arzneimittelbudgets zu ent- schärfen. Bisher war vorgesehen, daß sich die Vertragspartner bei den Verhandlungen um die regionalen Budgets an den drei Regionen mit den niedrigsten Pro-Kopf-Ausga- ben orientieren. Nun ist statt dessen vom „unteren Ausgaben-Drittel“
die Rede.
c Die Kritik der Datenschützer soll aufgegriffen werden. Ziel ist die sogenannte Pseudonymisierung von Daten, das heißt die Trennung von Falldaten und persönlichen Daten.
c Änderungen sind auch für den Bereich Krankenhaus zu erwar- A-2563
P O L I T I K LEITARTIKEL
Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 41, 15. Oktober 1999 (19)
Gesundheitsreform
Größeres Budget, aber keine größere Zustimmung
Die Regierungskoalition hat begonnen, den Entwurf zur Gesundheitsreform zu verändern. Wirkliche Verbesserungen sehen die Ärzte für sich nicht.
L
ten. Fischer hatte Anfang Oktober angekündigt, hier sei man zu neuen Ansätzen in Abstimmung mit den Ländern bereit. Etwas anderes bleibt ihr angesichts der Mehrheitsverhält- nisse im Bundesrat allerdings auch nicht übrig. In dem Interview mit der
„Frankfurter Rundschau“ erklärte die Ministerin: „Die Finanzierung und die laufende Steuerung der Kranken- hauskapazitäten gehen auf die Kassen über. Die Länder und die Kassen – da werden wir jetzt auch noch die Kran- kenhausgesellschaften einfügen – sol- len in Abständen entscheiden, was der Rahmenplan ist.“
Ärzte bleiben bei ihren Bedenken
Außer Schorre hat bislang Dr.
med. Frank Ulrich Montgomery seine Bedenken geäußert. „Für uns bleibt das Globalbudget der entscheidende Knackpunkt“, erklärte der Vorsitzen- de des Marburger Bundes angesichts der angekündigten Korrekturen. Fünf Milliarden DM mehr für die GKV im Jahr 2000 – und wieder nur Gemurre bei den Ärzten? Gewiß, fünf Milliar- den DM sind eine stattliche Summe, die an der grundsätzlichen Kritik von Montgomery und anderen nichts än- dert. Die Ausstattung der GKV wird immer schärfer nach ökonomischen Größen ausgerichtet. Umgekehrt ist aber auch zutreffend, daß mehr Geld allein die strukturellen Probleme der GKV nicht löst.
Die bislang bekanntgewordenen Korrekturen am Gesetz werden nicht die letzten sein – wenn es überhaupt noch in Kraft tritt. Der Bundesrat hat erklärt, man teile zwar die Zielsetzung des Entwurfs, nämlich eine gute Ver- sorgung auf hohem Niveau zu zumut- baren Beiträgen. Wichtige Inhalte müßten jedoch noch „vertieft erör- tert“ werden. Zudem haben die Vor- sitzenden von CDU und CSU, Wolf- gang Schäuble und Edmund Stoiber, angekündigt, die Opposition werde ei- nen eigenen Vorschlag für eine Ge- sundheitsreform vorlegen. Die FDP lehnt das Reformvorhaben ab. Sosehr der Gesetzentwurf innerhalb der Ärz- teschaft kritisiert wird: Kommt kein Gesetz zustande, gelten die derzeitigen Restriktionen weiter. Sabine Rieser A-2564
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ie Gesundheitspolitik verwei- gert sich den grundlegenden Problemen des Gesundheits- wesens. Diese sind gekennzeichnet durch die schwindende Finanzierungs- basis und eine ungebrochene Wachs- tumsdynamik. Statt dessen bleibt es im Kern erneut bei einem weiteren Ko- stendämpfungsgesetz“, sagte Patrick Schwarz-Schütte, Vorstandsvorsitzen- der des Verbandes Forschender Arz- neimittelhersteller (VFA), bei einem Pressegespräch in Berlin. Der von der Bundesregierung gewählte Kosten- dämpfungsansatz sei um so gefährli- cher, als die geplanten Regelungen im Arzneimittelbereich – wie Positivliste, Budgetierung mit Benchmarking und Wiedereinführung der Reimportför- derklausel – vor allem die forschenden Arzneimittelhersteller treffen würden.
Innovationen werden zum Roulettespiel
Insbesondere die Überprüfung bereits zugelassener innovativer Arz- neimittel vor Aufnahme in die Posi- tivliste ist dem VFA ein Dorn im Au- ge: „Zu Beginn der Entwicklung eines Medikaments ist für die Firmen nicht vorhersehbar, ob das Medikament auf die Positivliste kommt und damit Zu- gang zum GKV-Markt erhält oder nicht“, erklärte der stellvertretende VFA-Vorstandsvorsitzende Dr. Thor- lef Spickschen. Nur bei langfristig überschaubaren Rahmenbedingun- gen seien die Unternehmen jedoch bereit, in die Forschung zu investie- ren. Darüber hinaus gehe durch die zusätzliche Prüfungszeit und dem da-
mit verbundenen Zeitverlust wertvol- le Restlaufzeit des Patentschutzes verloren: „Unter diesen Bedingungen die hohen Investitionen zu erwirt- schaften wird zum Roulettespiel.“
Der VFA wertet den Gesetzent- wurf zur Gesundheitsreform 2000 als einen „herben Rückschlag“ bei den Bemühungen der deutschen forschen- den Arzneimittelhersteller, sich im weltweit schärfer werdenden Wettbe- werb dauerhaft zu positionieren. Die geplanten Regelungen setzten negati- ve Signale für potentielle Investoren im In- und Ausland. „Während andere Länder – Mitbewerber im Standort- wettbewerb – internationale Arznei- mittelunternehmen sogar mit staatli- chen Förderungen locken, verprellt sie die Bundesregierung“, sagte Schwarz- Schütte. Eine solche Politik führe zu einem Abbau von Arbeitsplätzen oder behindere zumindest die Schaffung neuer Stellen auf einem weiter wach- senden Gesundheitsmarkt, ergänzte Cornelia Yzer, Hauptgeschäftsführe- rin des VFA: „Der vorliegende Ent- wurf zur Gesundheitsreform ist ein Bündnis gegen Arbeit – jedenfalls in Deutschland.“
Die VFA-Spitze fordert, auf die zusätzliche Überprüfung bereits zuge- lassener Arzneimittel vor Aufnahme in die Positivliste zu verzichten. Dar- über hinaus müsse die „unsägliche“
Budgetierung endlich durch „intelli- gentere“ Regelungen ersetzt werden, etwa durch indikationsorientierte, arztbezogene Richtgrößen. In jedem Fall aber sei es notwendig, die geplan- te Verschärfung der Budgetregelung, das „Maßnehmen am Billigsten“, zu
streichen. JF