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Der Weihnachtsfrieden 1914 und das Gefangenendilemma - Ein Modell der Spieltheorie als Erklärung für Fraternisierung

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Academic year: 2022

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Der Weihnachtsfrieden 1914 und das „Gefangenendilemma“

Ein Modell der Spieltheorie als Erklärung für Fraternisierung im Ersten Weltkrieg

Nach einer Idee von Dr. Christoph Kunz, Rastatt

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Britische und deutsche Soldaten während des Weihnachtsfriedens 1914.

Das Bild erschien im Januar 1915 in einer englischen Zeitung.

Klassenstufe:ab 9. Klasse Dauer: 4 Stunden

Aus dem Inhalt:Stellungskampf im Ersten Weltkrieg, Kooperation feindlicher Soldaten im Weihnachtsfrieden 1914, militärische Technik der Stoßtrupp-Angriffe

Kompetenzen:

– das Zustandekommen des „Weihnachts- friedens“ 1914 erklären können,

– Fraternisierungs- und Kooperationshand- lungen feindlicher Soldaten im Stellungs- kampf des Ersten Weltkriegs erläutern, – verbale und nonverbale Kommunikation

und Kooperation mithilfe des sogenann- ten Gefangenendilemmas modellieren und analysieren,

– verstehen, wie Kooperation in Gang kom- men und aufrechterhalten werden kann.

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n den Weihnachtstagen 1914 kam es zu Fraternisierung und Kooperation, wo man sie kaum erwarten würde: auf den Schlachtfeldern des Ersten Welt- kriegs. Nach dem Motto „leben und le- ben lassen“ stellte sich Ende 1914 für kurze Zeit ein inoffizieller Waffenstill- stand an der Westfront ein, der als

„Weihnachtsfrieden“ in die Geschichte einging. Wie es dazu kam und warum die Kooperation zwischen den verfein- deten Soldaten wieder endete, erarbei- ten Ihre Schülerinnen und Schüler mit diesen Materialien. Dabei lernen sie das

„Gefangenendilemma“ der Spieltheo- rie als einen überraschenden Erklä- rungsansatz kennen und überprüfen, inwieweit dieses Kooperationsmodell geeignet ist, die historischen Vorgänge zu erhellen.

Foto: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

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Die Wahl des Themas

Beschäftigt man sich mit dem Ersten Weltkrieg, so stellt der sogenannte „Weihnachtsfrie- den“ lediglich eine flüchtige Episode, eine Fußnote der Geschichte dar. Und doch lohnt sich eine nähere Beschäftigung mit den ungewöhnlichen Vorgängen Ende Dezember 1914: In ei- ner Art „Fallstudie“ können die Schülerinnen und Schüler die Ereignisse als ein Beispiel für Kooperation in den Stellungskämpfen des Ersten Weltkriegs untersuchen. Im Zuge dieser Reihe lernen sie weitere Beispiele kooperativen Verhaltens aus dem Ersten Weltkrieg ken- nen und gehen mithilfe der Spieltheorie und des „Gefangenendilemmas“ der Frage nach, wie in Konfrontations- und Entscheidungssituationen spontane Kooperation entstehen und unter welchen Bedingungen sie aufrechterhalten werden kann.

Fachwissenschaftliche Orientierung

Der Weihnachtsfrieden 1914

Ende 1914 hatte sich das Kriegsgeschehen an der Westfront bereits in jenem Stellungs- kampf festgefahren, der den weiteren Verlauf des Ersten Weltkriegs wesentlich prägen soll- te: In Schützengräben lagen sich die feindlichen Lager gegenüber. Viele Soldaten, die aben- teuerlustig und siegesgewiss in den Krieg gezogen waren, mussten erkennen, dass ihre Hoffnung, bis Weihnachten wieder zu Hause zu sein, illusorisch war. Ein Ende der Kämpfe, der Mühen und Entbehrungen des Krieges schien für die Soldaten nicht in Sicht.

In dieser Situation kommt es in den Weihnachtstagen 1914 an verschiedenen Frontab- schnitten zu inoffiziellen Waffenruhen und einer Verbrüderung zwischen Soldaten feind- licher Lager. Insbesondere kommen Kontakte zwischen britischen und deutschen Soldaten zustande, aber auch mit französischen und belgischen Soldaten sind Fraternisierungen be- legt. Berichte über diese spontanen Ereignisse finden sich in Feldpostbriefen und in der zeit- genössischen Presse, die Anfang 1915 Schilderungen und Fotos druckte.

Den Berichten zufolge trafen sich die Soldaten auf verabredete Zeichen hin zwischen den Fronten, bargen gemeinsam die dort verstreut liegenden Leichen, tauschten Schnaps, Ta- bak, Lebensmittel und Geschenke und sangen gemeinsam Weihnachtslieder. Einige Solda- ten berichteten auch von einem Fußballspiel, das im Niemandsland zwischen den Gräben ausgetragen worden sei. Von vielen militärischen Vorgesetzten wurde die Verbrüderung zeitweise toleriert, es gibt jedoch auch Berichte, dass einzelne Offiziere in ihrem Frontab- schnitt keine Fraternisierung duldeten und sofort das Feuer eröffneten. Spätestens zu Be- ginn des Jahres 1915 kehrte man an allen Frontabschnitten zur militärischen Tagesordnung zurück. In den Folgejahren hat sich ein ähnliches Ereignis nicht wiederholt.

Die Spieltheorie und das „Gefangenendilemma“

Das Gefangenendilemma wurde in den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts entwickelt und seitdem auf viele Lebensbereiche übertragen, in denen zwei Parteien bzw. „Spieler“

gegeneinander antreten. Der Grundgedanke ist, dass individuelle rationale Entscheidungen zu einem Ergebnis führen, das schlechter ist, als wenn beide Parteien sich abgesprochen und kooperiert hätten. Das Dilemma ergibt sich daraus, dass die individuell rationale Ent- scheidung der Gefangenen (nämlich die Tat zu gestehen) und die gemeinschaftlich rationa- le Entscheidung (nämlich zu schweigen) auseinanderfallen.

Das Gefangenendilemma wurde im Zusammenhang mit der Spieltheorie entwickelt. Die Spieltheorie ist eine Entscheidungstheorie, die Situationen analysiert, in denen das Ergebnis nicht von einem Entscheider allein abhängt, sondern von mehreren. Die Lehrkraft kann diesen Hintergrund kurz als Information in den Unterricht einfließen lassen. Der Sozialwis- senschaftler Robert Axelrod hält übrigens die Strategie „tit for tat“ (wie du mir, so ich dir) für die Strategie, die am besten geeignet ist für Situationen, die sich durch das Gefangenen -

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Didaktisch-methodische Überlegungen

Das Thema wird in drei Schritten im Unterricht behandelt. Jedem Schritt entspricht eine Einzel- oder Doppelstunde (siehe Materialübersicht): Zunächst erarbeiten die Schülerinnen und Schüler aus Quellen und Sachtexten die Ereignisse des Winters 1914. Dann lernen sie die Überlegungen des amerikanischen Sozialwissenschaftlers Robert Axelrod zu der Frage kennen, wie in einer so konfliktgeladenen Situation wie dem Grabenkrieg des Ersten Welt- kriegs Kooperation entstehen konnte. Im dritten – und anspruchsvollsten – Schritt befassen sich die Lernenden dann anhand weiterer Texte von Paul Watzlawick und Robert Axelrod mit dem „Gefangenendilemma“ der Spieltheorie und untersuchen, inwieweit dieses Ent- scheidungs- und Kommunikationsmodell dabei helfen kann, die historischen Ereignisse zu verstehen: Sie prüfen die These, dass der Stellungskrieg an der Westfront als „iteriertes Ge- fangenendilemma“ ohne festgelegtes Ende aufgefasst werden kann, sodass auf diese Weise Kooperation zwischen den verfeindeten Soldatengruppen möglich wurde.

Die Materialien können als kleine Unterrichtsreihe in interessierten Lerngruppen der Mittel- und Oberstufe durchgeführt werden und bieten sich insbesondere für fächerverbindende Projekte anlässlich der Gedenkjahre zu „100 Jahre Erster Weltkrieg“ an. Im Hinblick auf Pro- jekt- und Gruppenarbeiten enthalten die Materialien auch weiterführende Hinweise zu künstlerischen Rezeptionszeugnissen in Literatur, Film und Populärkultur.

Das „Fallbeispiel“ des Weihnachtsfriedens eignet sich insofern auch für eine Untersuchung der medialen Rezeption eines historisch eher marginalen Ereignisses, das jedoch als Bei- spiel unverhoffter Kooperation einem Bedürfnis nach Identifikation, Menschlichkeit und Hoffnung in einem grausamen und anonymen Kriegsgeschehen Rechnung trägt. Im De- zember 2014 nutzte gar eine britische Supermarktkette die Episode des Weihnachtsfriedens in einem Werbespot für Schokolade (siehe Literaturhinweise, S. 19).

Materialübersicht

Stunde 1 Der Weihnachtsfrieden – was geschah im Winter 1914?

M 1 (Ab) Dezember 1914 – Kooperation auf dem Schlachtfeld

M 2 (Ab) Der Weihnachtsfrieden 1914 – ein Waffenstillstand „von unten“

Stunde 2 Kooperation feindlicher Soldaten – wie kam es dazu?

M 3 (Ab) Kooperation trotz Feindschaft? – Eine sozialwissenschaftliche Studie M 4 (Ab) Kooperation im Stellungskrieg – wie sie entstand und erhalten wurde M 5 (Ab) Leben und leben lassen – der „vorgetäuschte“ Krieg

Stunden 3/4 Analyse des Stellungskriegs – das Gefangenendilemma M 6 (Ab) Das „Gefangenendilemma“ – ein Modell zur Analyse von

Kommunikations- und Entscheidungssituationen

M 7 (Ab) „Wir schießen nicht, wenn ihr auch nicht schießt“ – der Stellungskrieg und das „Gefangenendilemma“

M 8 (Ab) Das Ende der Kooperation – der Krieg geht weiter

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M 1 Dezember 1914 – Kooperation auf dem Schlachtfeld

Ende 1914 herrschte Krieg in Europa. Doch in den Weihnachtstagen kam es an der West- front zu kurzen Waffenruhen zwischen deutschen Soldaten und ihren Gegnern.

Der Erste Weltkrieg – die Situation Ende 1914

Am 3. August 1914 erklärte das Deutsche Reich Frankreich den Krieg. Der deutsche Plan: Über Belgien und Luxemburg, zwei neutrale Staaten, sollten die französischen Verteidigungsstellungen umgangen werden, um in Nordfrankreich einzufallen und auf Paris vorzurücken. Die Realität nach wenigen Wochen: Deutsche Soldaten kamen bis zur Marne, 50 km von Paris entfernt, dann blieb der Vormarsch stecken und endete ab Mitte September im Stellungskrieg. In den folgenden Jahren gab es dann nur noch kleinere Veränderungen im Frontverlauf. Im Niemandsland zwischen den Fronten kam es zu Vorstößen und Gegenvorstößen und man bekämpfte sich von den Gräben aus, die teilweise nur Dutzende Meter voneinander entfernt waren.

Text: Dr. Christoph Kunz

Brief eines Soldaten an seine Eltern (28. Dezember 1914) Es klingt kaum glaubhaft, was ich euch jetzt be-

richte, ist aber pure Wahrheit. Kaum fing es an, Tag zu werden, erschienen schon die Engländer und winkten uns zu, was unsere Leute erwider- ten. Allmählich gingen sie ganz heraus aus den Gräben, unsere Leute zündeten einen mitge- brachten Christbaum an, stellten ihn auf den Wall und läuteten mit Glocken. Alles bewegte sich frei aus den Gräben, und es wäre nicht ei- nem in den Sinn gekommen zu schießen. Was ich vor ein paar Stunden noch für Wahnsinn hielt, konnte ich jetzt mit eigenen Augen sehen […].

Die Engländer stimmten ein Lied an, wir sangen hierauf „Stille Nacht, heilige Nacht“. Es war dies etwas Ergreifendes: Zwischen den Schützengrä- ben stehen die verhassten und erbittertsten Geg-

ner um den Christbaum und singen Weihnachtslieder. Diesen Anblick werde ich mein Leben lang nicht vergessen. […] Weihnachten 1914 wird mir unvergesslich sein.

Brief von Joseph Wenzl. Zit. nach Jürgs, Michael: Der kleine Frieden im Großen Krieg. Westfront 1914: Als Deut- sche, Franzosen und Briten gemeinsam Weihnachten feierten. München: C. Bertelsmann Verlag 2003. S. 86 f.

Aufgaben

1. Beschreibe in wenigen Sätzen den Verlauf der militärischen Aktionen im Ersten Welt- krieg. Verwende dabei die Begriffe „Bewegungskrieg“ und „Stellungskrieg“.

2. Gib wieder, was Joseph Wenzl seinen Eltern berichtet. Warum bezeichnet er Weihnach- ten 1914 als „unvergesslich“?

Zusatzaufgabe

Der „Weihnachtsfrieden“ 1914 ist vielfach auch künstlerisch verarbeitet worden.

Wähle ein Beispiel und informiere dich darüber im Internet:

• „Pipes of Peace“ von Paul McCartney (Lied und Video 1984)

• „Merry Christmas“ von Christian Carion (Spielfilm 2005)

• „Niemandsland“ von Ralf Marczinczik (Comic 2013)

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Foto: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Britische und deutsche Soldaten während des Weihn- achtsfriedens 1914. Das Bild erschien im Januar 1915 in einer englischen Zeitung.

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plizen zutrauen können, sich im entscheidenden Moment der Gerichtsverhandlung an die- se Vereinbarung zu halten. […]

In seiner einfachsten Form lässt sich das Gefangenendilemma als vierzellige Matrix dar- stellen [vgl. Abb. 1], die auf der Annahme beruht, dass zwei Partner, A und B, je zwei Alter- nativen haben, nämlich a1 und a2 für Aund b1 und b2 für B. […] Wenn Aa1 und Bb1 wählt, so gewinnen beide je fünf Punkte. Wenn Baber b2 wählt und Abei Alternative a1 bleibt, ver- liert Afünf Punkte und Bgewinnt acht. Das Umgekehrte ist der Fall, wenn sie a2 und b1 wäh- len.

Wenn ihre Entscheidung dagegen a2/b2 ist, verlieren beide je drei Punkte. Wie in der Ge- schichte vom Staatsanwalt und den beiden Räubern sind diese Resultate beiden Spielern bekannt. Da aber auch sie ihre Wahl gleichzeitig und ohne die Möglichkeit einer Absprache treffen müssen, spiegelt dieses einfache mathematische Modell das Wesen und die Aus- weglosigkeit des Gefangenendilemmas wider, wovon sich der Leser leicht dadurch über- zeugen kann, dass er es mit einer anderen Person – vorzugsweise aber nicht mit einem Freund – spielt. […]

Abbildung 1

Watzlawick, Paul: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn, Täuschung, Verstehen. 14. Aufl. München: Piper 2005. S.

104–106.

Aufgaben

1. Erläutere, warum die im Text beschriebene Situation als „Dilemma“ bezeichnet wird.

2. Trage in die Abbildung ein, was die einzelnen Möglichkeiten (a1 usw.) und Folgen (+5 usw.) in dem Gefangenendilemma, das Watzlawick beschreibt, konkret bedeuten.

3. Watzlawick fordert seine Leser auf, das Gefangenendilemma einmal mit einer anderen Person zu spielen. Stelle Vermutungen an, warum diese Person kein Freund sein sollte.

4. Überlege, ob man die Situation der Soldaten in den Stellungskämpfen des Ersten Welt- kriegs mithilfe des Gefangenendilemmas analysieren kann.

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Partner A

a2 a1

b 1 b 2

Partner B

-5

+8

-3

-3 +5

+5

-5

+8

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Dieselbe Logik gilt natürlich auch für den anderen Spieler. Darum sollte der andere Spieler defektieren, unabhängig davon, was er von Ihnen erwartet. Dann aber erhalten Sie beide P = 1, ein schlechteres Ergebnis als R= 3 bei beiderseitiger Kooperation. Individuelle Ratio- nalität führt für beide zu einem schlechteren Ergebnis als nötig. Das ist das Grundproblem des Gefangenendilemmas. [...]

Zwei Egoisten, die das Spiel einmalspielen, werden also beide ihre dominante Strategie, nämlich Defektion, wählen und jeder wird als Ergebnis weniger bekommen als das, was bei- de bei wechselseitiger Kooperation hätten erhalten können. Wenn das Spiel über eine be- kannte endliche Anzahl von Durchgängen gespielt wird, haben die Spieler immer noch kei- nen Anreiz zu kooperieren. [...]

Unter realistischen Umständen können die Spieler aber tatsächlich meistens nicht sicher sein, wann die letzte Interaktion zwischen ihnen stattfinden wird. Wie später gezeigt wird, kann bei einer unbestimmten Anzahl von Interaktionen Kooperation entstehen. Die Aufga- be besteht dann darin, die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für die Entste- hung von Kooperation ausfindig zu machen. [...]

[Es] lässt sich die historische Situation in den ruhigen Frontabschnitten als iteriertes [= sich wiederholendes] Gefangenendilemma erfassen. In jeder Zeiteinheit muss gewählt werden zwischen „gezielt schießen, um zu töten“ und „vorsätzlich so schießen, dass Verletzungen vermieden werden“. Für beide Seiten ist die Schwächung des Feindes von großem Wert, weil sie das eigene Überleben erleichtert, wenn es im betreffenden Abschnitt zu einer grö- ßeren Schlacht kommt.

Es ist daher kurzfristig günstiger, Schaden anzurichten, unabhängig davon, ob der Feind zu- rückschießt oder nicht. Auf diese Weise lässt sich begründen, dass wechselseitige Defek- tion gegenüber eigener einseitiger Zurückhaltung vorgezogen wird (P> S) und dass einsei- tige Zurückhaltung der anderen Seite noch besser ist als wechselseitige Kooperation (T> R).

Zusätzlich ziehen die örtlichen Einheiten die Belohnung für wechselseitige Zurückhaltung dem Ergebnis bei wechselseitiger Bestrafung vor (R> P), denn wechselseitige Bestrafung hat zur Folge, dass beide Einheiten Verluste erleiden und dafür nur geringe oder gar keine relativen Vorteile erlangen. Insgesamt ergeben sich daraus die wesentlichen Ungleichun- gen T> R> P> S. Darüber hinaus würden beide Seiten wechselseitige Zurückhaltung einer Zufallsfolge jeweils einseitiger ernster Feindseligkeiten vorziehen, sodass R> (T+S)/2. Die Situation erfüllt also die Bedingungen für ein Gefangenendilemma zwischen einander gegenüberliegenden kleinen Einheiten in einem ruhigen Frontabschnitt.

Axelrod, Robert: Die Evolution der Kooperation. 7. Aufl. München: Oldenbourg 2009. S. 7–9, S. 68 f.

Aufgaben

1. Vergleiche diesen Text über das „Gefangenendilemma“ mit dem von Watzlawick: Wel- cher Text ist schwieriger zu lesen und warum? Was bedeutet der Begriff „Defektion“?

2. Welche Unterschiede kannst du darüber hinaus zwischen beiden Texten ausmachen?

3. Das Gefangenendilemma kann über mehrere Runden „gespielt“ werden: Worin unter- scheidet sich ein einmaliges Spielen von einem mehrmaligen Spielen, wobei den Spielern ein bestimmtes Ende gesetzt wird? Was passiert bei sich wiederholenden Durchgängen ohne festes Ende, also bei einem iterierten Gefangenendilemma mit unbestimmtem Ende?

4. Erstelle eine Matrix für die Situation des Stellungskampfes im Ersten Weltkrieg: Zeichne eine Tabelle nach dem Muster im Text und ersetze T, P, R, S, die Ziffern sowie die Begriffe

„Kooperation“/„Defektion“ durch konkrete Entscheidungen und die Folgen für die Sol- daten.

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Zu 3:Freunde kennen sich schon seit vielen Jahren, vertrauen sich oft „blind“ bzw. ohne miteinander zu sprechen. Hier würde die Entscheidungsqual der Dilemma-Situation mögli- cherweise durch das Vertrauen zwischen den beiden Parteien von Anfang an außer Kraft gesetzt werden.

Zu 4:Hier überlegen die Lernenden, ob das Modell des Gefangenendilemmas auf den Stel- lungskrieg und die Situation der verfeindeten Soldaten angewendet werden kann. In M 7 wird das Modell dann von Axelrod selbst auf den Stellungskrieg übertragen.

Erläuterung (M 7)

Zu 1:Der Text von Robert Axelrod ist schwieriger; dies liegt zum einen am hohen Abstrak- tionsgrad (Watzlawick erklärt das Gefangenendilemma anschaulich am Beispiel zweier An- geklagter), zum anderen am höheren Fremdwortgebrauch. Beispielsweise wird der Vor- gang der Nicht-Kooperation – „Kooperation“ selbst ist natürlich auch ein Fremdwort, aber den Schülerinnen und Schülern wesentlich geläufiger – als „Defektion“ bezeichnet.

Zu 2:Ein weiterer Unterschied besteht in der Gestaltung der Matrix. Watzlawick teilt die ein- zelnen Felder durch eine Diagonale in je zwei Hälften, oben steht dann die Belohnung oder Strafe für B, unten die Belohnung oder Strafe für A. Axelrod dagegen setzt Belohnung bzw.

Strafe in eine Zeile, die vordere Zahl gilt für A, die hintere Zahl für B.

Zu 3:Wenn ein Ende festgesetzt ist, weiß derjenige (z. B. A), der als Zweitletzter am Zug ist, nicht, wie der andere Spieler (B) sich im letzten Zug – auf den A dann nicht mehr antworten kann – verhalten wird. Ginge das Spiel weiter, hat es also kein festgelegtes Ende, dann müs- ste B, wenn er das Kooperationsangebot von A nicht aufgreift, damit rechnen, dass A sich an ihm rächen wird. Der Stellungskrieg ist nur dann ein iteriertes Gefangenendilemma, so- lange die einzelnen Soldaten, die sich im Graben gegenüberliegen, nicht wissen, wann sie z. B. abgelöst werden.

Zu 4:Zur Vereinfachung können einzelne Felder der Matrix vorgegeben werden. Die ausge- füllte Matrix kann folgendermaßen aussehen:

Erläuterung (M 8)

Zu 1:Ein Stoßtrupp kennt nur zwei Möglichkeiten: Entweder kehrt der Stoßtrupp mit eige- nen Verlusten zurück und weist damit nach, dass er aktiv vor dem Feind war, oder er bringt einen Gefangenen nach Hause und weist so Kampfhandlungen nach – so die Argumenta- tion von Axelrod.

Zu 2:Eigentlich sollte der Einsatz des Stoßtrupps die Kampfmoral erhöhen und die Kräfte des Gegners abnutzen. Er erreichte aber vor allem die Beendigung der Kooperation. Dies kann man als Ironie bezeichnen, weil Absicht – also das Gesagte – und Wirkung – das tat- sächlich Gemeinte/Ausgedrückte – voneinander abweichen.

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Kooperation

= nicht schießen bzw. gezielt daneben schießen

Defektion

= gezielt schießen Kooperation

= nicht schießen bzw.

gezielt daneben schießen

Zeilenspieler überlebt, Spal- tenspieler auch, wenn auch mit gewissem Zukunftsrisiko (für beide = 3)

Spaltenspieler überlebt und schaltet Gegner zunächst aus (= 5), Zeilenspieler tot (= 0)

Defektion

= gezielt schießen

Zeilenspieler überlebt und schaltet Gegner zunächst aus ( = 5), Spaltenspieler tot (= 0)

beide leben mit dem hohen Risiko, dass sie getötet werden (für beide = 1) Spaltenspieler

Zeilen- spieler

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