Ein kanaanäisches Alphabet in Keilschrift.
Von H. Bauer.
(Siehe hierzu Tafel 8.)
Indem ich für die Entzifferung der von F. A. Schaeffke
und G. Chenet im Mai 1929 entdeckten, von Ch. Vieolleaud
im April dieses Jahres veröffentlichten Keilschrifttexte auf
mein vor kurzem erschienenes Buch*) sowie auf die ergänzende
Notiz in der Orient. Lit.-Ztg. 1930, Sp. 1062 f. verweisen muß,
möchte ich hier, einem mehrfach geäußerten Wunsch ent¬
sprechend, die erste Interpretation eines dieser Texte ver¬
suchen. Zuvor seien mir noch ein paar Bemerkungen über
die von mir befolgte Methode der Entzifferung gestattet. Wenn
man die hauptsächlichsten bis jetzt erfolgten Schriftentziffe¬
rungen durchmustert, so ergibt sich, daß dabei entweder eine
verwandte Schrift zum Vergleich diente (für das Palmyrenische
und Phönikische war es die hebräische und samaritanische,
für das Safaitische die südarabische, für das Meroitische die
ägyptische Schrift), oder daß bestimmte Eligennamen eine sichere
Handhabe boten: für die Hieroglyphen der Name Ptolemäus
der griechischen, für die kyprische Silbenschrift der Name
jn''3'?D der phönikischen Übersetzung, für die alttürkische
ßunenschrift der Name Kültegin in chinesischer Fassung und
für die Keilschrift die Namen Darius, Xerxes und Hystaspes
auf Grund der äußeren Umstände*). Beide Wege waren im
vorliegenden i^all verschlossen, und so kam als einzige Hand¬
habe für ein methodisches Vorgehen nur der Sprachbau in
Betracht. Unter der (keineswegs sicheren, aber wahrschein¬
lichen) Voraussetzung, daß wir es mit einer westsemitischen
Sprache zu tun haben, handelte es sich zunächst darum,
1) Entzifferung der Keilsehrifttexte von Ras Sehamra. Halle, Verlag -Vlax Niemeyer.
2) Wenn wir die Namen der Beherrscher von Karkemisch so gut
kennen würden wie die der Achämeniden, so wäre es ein Leichtes, die
sog. hethitischen Hieroglyphen nach Art der Keilschrift zu entziffern.
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252 H. Baübr, Ein kanaanäisches Aphabet in Keilschrift
mit Hilfe des Worttrenners diejenigen Zeichen des fraglichen
Alphabets, die als Flexionselemente dienten, herauszufinden
und mit den uns bekannten westsemitischen Flexionselementen
in Beziehung zu setzen. Auf diese Weise ließen sich aus der
übergroßen Zahl der Möglichkeiten einige Wahrscheinlichkeits¬
werte gewinnen, mit denen man weiteroperieren konnte. Voraus¬
setzung dabei war, daß der Worttrenner, wenn er auch häufig
fehlt und einigemale falsch gesetzt ist, doch in den entscheiden¬
den Fällen richtig dasteht. Das ist nun leider, wie sich nach¬
träglich zeigt, nicht der Fall. Vielmehr hat der Schreiber
das einbuchstabige Wort ^ (Zeichen Nr. 17), das doch wohl
wie in der ZZmw-Inschrift, Z. 8 u. 11, als to „Schaf" zu lesen
sein wird, mehrfach ohne Trenner, als wäre es ein Suffix, an
das vorausgehende Wort {hy2 u. a.) angehängt. Man mußte
daher auch, wenn man in der angegebenen Weise streng
methodisch vorging, diesen Buchstaben für ein Suffix halten
und so beim ersten Anlauf notwendig in die Irre geführt
werden, aber nicht nur in Bezug auf dieses Zeichen, sondem
auch einige andere, die durch den Gang der Entzifferung
zufällig mit ihm verkettet waren. Dazu kam noch als be¬
sondere Tücke des Materials der Umstand, daß sich mit den
unrichtig angesetzten Buchstaben zum Teil sehr befriedigende
Lesungen ergaben, die beim richtigen Ansatz verloren gehen ^).
Freilich ergaben sich auch fremdartige Worte, aber solche
Fremdartigkeiten werden zunächst bleiben, auch wenn (was
gewiß bald der Fall sein wird) der Lautwert jedes Zeichens
absolut gesichert ist. Weitere Momente der Unsicherheit waren
das phonetisch unverständliche Vorkommen mehrerer Zeichen
für S (und d), die anscheinende Verwechslung von t und d
(vgl. 22,11 mit 23, lo) und der sonderbare aramäische Einschlag.
Man ersieht aus all dem, daß sich die Texte des Jahres 1929
— ganz abgesehen von ihren bruchstückhaften Charakter —
1) Eine Tücke des Materials ist es auch, daß das vierbuchstabige
Wort auf der Axt, das auf n ausgeht und an dritter Stelle ein r hat,
nicht zu dem bekannteu ^pa zu ergänzen ist, sondern firsn lautet, viel¬
leicht liarfin zu lesen , entsprechend aram. Jiaffinä < akk. Jutfinnu (vgl.
Zimmern, Akkadische Fremdwörter, S. 12).
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H. Badbr, Ein kanaanäisches Alphabet in Keilschrift 253
für eine Entzifferung wenig eigneten und daß die Chance für
das Gelingen derselben nicht sehr groß war. Trotzdem dürfte
das obige Alphabet bis auf ein paar Kleinigkeiten richtig sein.
Ich wähle für die Interpretation die Tafel Nr. 12, die
aus dreimal je sechs Zeilen besteht, welche, mit allerlei Vari¬
anten von der 2. bzw. 3. Zeile ab, im Wesentlichen den gleichen
Text aufweisen. Es handelt sich darin um eine Aufzählung
von Spezereien und anderen Produkten, wie sie wohl für den
Tempel erforderlich waren. Daß uns einige dieser Wörter
unbekannt sind, ist nicht verwunderlich.
1. dd I gdl I SS | dd | s'rm
2. -'/hn \ w \ 3lp \ kd \ nbt \ Jed \ smn \ mr
3. -3rb' (I) m3t \ hswn \ Ith \ 3qhr
A. [s^bbyn \ lt}), \ ssmn \ lt}). \ s}),lt
5. [^]mqm \ [s\s \ m3t \ n? \ slsm \ ' sr
6. [}i]ms[m I }).m]r \ skvi
7. d d I gdl | ss | dd \ s'rm
8. [-'/hn I w I 3lp] I kd \ nbt \ kd \ smn | mr
9. I kmn | Ith | sbb yn
10. ' t I Ith ( ssmn
11. I hswn I s[s] I m31 \ ns
12. l/z I hms m | [m] r \ [s]km
13. [dd \] gdl | ss \ dd \ s'rm
14. p (\) 3rb' \ m3t \ ty{?)t
15. [I kd I s]mn | mr
16. sb[by]n | Itfy | ss[mn\
17. bjdlt I Ith, I smqm
18. [I }im]sm I hmr | skm
Z. 1. Im Anfang fehlt wohl der Name eines Produktes.
dd I gdl — bia l^r „ein großer Topf" (bzw. Korb oder ein
anderes Gefäß), s s \ dd \ s'rm möchte man gern als toiü
nnyia 11 „6 Schüssel Gerste" verstehen, aber die hebräische
Grammatik würde wn nÜW verlangen, und wir wissen noch
nicht, ob die Sprache dieser Inschriften eine andere Konstruk¬
tion erlaubt; die Erklärung ist also nicht ganz sicher.
254 H. Bauer, Ein kanaanaisches Alphabet in Keilschrift
Z. 2. Mißlich ist das Fehlen des ersten Buchstabens, nahe¬
liegend die Ergänzung = „Schaf und Rind", aber
fl3J 12 V\bii „1000 Krüge w & i" ist sprachlich ebenfalls wohl
möglich, sachlich allerdings weniger wahrscheinlich ; nbt ist
im Arabischen „Pflanze", hier unklar, etwa = nsj „Honig¬
seim"? ID ]m 12 = „ein Krug Myrrhenöl".
Z. 3. ]iDn nüT2 pns = 400 jiDn{?). nn"? sieht dem hebr.
T^rib sehr ähnlich, das Hosea 3,2 als Getreidemaß vorliegt und
die Hälfte eines Kor sein soll. Der Wechsel von 3 mit n
wäre sehr bemerkenswert, doch kann das Wort fremder Her¬
kunft sein. Sqhr unklar.
Z. 4. In sbbyn ist der erste Buchstabe, da er jedesmal
an einer Bruchstelle steht, unsicher; yn könnte „Wein"
sein, pm = Sesam, vgl. in der Mischna i'^ni^DIty. nbnto
ist ein Ex. 30,34 und auch in der Mischna genanntes Aroma :
Räucherklaue (unguis odoratus).
Z. 5. smqm = □p'as „Rosinen"; beachte Z. 17: nrf?
opas. f: nsa = 6OO (Wein-)Blüten. qi^Sk^ = 30. nsj;
ist unklar, kommt im Singular nur hier vor, an drei Stellen
tyjs'? dit;.
Z. 6. D2Vf IDU DUDn = fünfzig Homer ODD. Darf man
D2'^ mit DpV ,.Sykomoren" gleichsetzen? Jedenfalls wechselt,
wie ich demnächst zu zeigen gedenke, 2 häufig mit p (des¬
gleichen n mit D. D mit s), wenn im selben Wort eine Labi¬
alis steht.
Im Folgenden kommen nur noch zwei neue Wörter vor,
Z. 9 kmn=p2 „Kümmel", Z. 14 {Srb' \ mst \) ty{?)t,
das man nach dem Kontext gut als „400 Feigen" (akk. tittu,
syr. tstä) deuten könnte, wobei aber die Piene-Schreibung
(mit sehr auffällig wäre. —
Ähnlich wie Tafel 12 dreimal, enthält Tafel 2 viermal
einen nur wenig veränderten 1 ext. Der Wechsel der Pronomina
-km und -kn scheint hier darauf hinzudeuten, daß das Ganze
von einem Wechselchor rezitiert wurde und zwar der (größten¬
teils zerstörte) erste und dritte Teil von Frauen, der zweite
und vierte von Männern.
Ahmed Pascha Taimur.
Ein Nachruf.
Von Joseph Schacht.
Am 26. April 1930 verschied in seiner Bibliothek in Kairo-
Zamalek Ahmed Pascha*) Taimür. In ihm hat die Orientalistik
einen hervorragenden Kenner der arabischen Literatur, den
Schöpfer der bedeutendsten Privatbibliothek des Orients und
einen selbstlosen Förderer europäischer Forschung verloren.
Ahmed Taimür wurde am 5. November 1871 in Kairo
geboren. Er entstammt einer Familie, die sich, aus dem
kurdischen Volke und der türkischen Kultur hervorgegangen,
in Ägypten vollkommen arabisiert und der arabischen Moderne
drei bekannte Vertreter geschenkt hat: die Schwester des
Verstorbenen 'Ä'ischa at-Taimürija (1840—1902)«) und seine
Söhne Muhammed und Mahmüd Bey Taimür^). Sein Großvater
Muhammed Bey Taimür (st. 1848) bekleidete unter Muhammed
'Ali und Ibrähim Pascha hohe Ämter*), sein Vater Ismä'il
Pascha Taimür stand an der Spitze des Diwän des Khediwen
Ismä'il Pascha; er starb 1872, dreizehneinhalb Monate nach der
Geburt seines Sohnes Ahmed. Früh zeigte dieser ein starkes
Interesse für die arabische Sprache und Literatur; nach Ab¬
solvierung einer französischen Privatschule begann er, anstatt
in den Staatsdienst einzutreten, das Studium der arabischen
Wissenschaften, besonders bei den Scheichen Hasan at-Tawil
und asch-Schinqiti, und bald wurde sein Haus der Mittelpunkt
eines Kreises von Gleichgesinnten und die Stätte von litera¬
rischen und wissenschaftlichen Diskussionen, an denen neben
den Genannten zahlreiche bedeutende Männer wie der Dichter
1) Seit dem 8. Olitober 1919.
2) Vgl. Rossi, Oriente Moderne 1925, 11,611.
3) Vgl. Nallino, Oriente Moderno 1927, 8,391; Schaade, Hamburger Fremdenblatt, 27. 10. 1928.
4) Vgl. Deny, Sommaire des Archives turques du Caire 221.
ZeiUchrift d. D. M. G., Nene Folge Bd. XX (Bd. t>4). 17