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FORUM

Hannes Scheutz

Umlaut im Deutschen als autosuggestive Beschreibungsharmonie

Anmerkungen zu einem Beitrag von Richard Wiese

Kaum eine andere Erscheinung der deutschen Sprachgeschichte hat so viele Interpretationsversuche herausgefordert wie der Umlaut. Zum einen ist es die Rekonstruktion des historischen Ablaufes selbst, seine genaue Beschreibung und Erklärung als Assimilationsprozeß mit nachfolgender Phonologisierung und Morphologisierung, die lange Zeit die linguistische Phantasie beflügelt hat, zum anderen sind es die Verhältnisse im heutigen Deutschen, die einen hohen Grad an Systematizität erkennen lassen. Während sich die ältere strukturalisti- sche Forschung mit der Erhellung des historischen Ablaufes begnügte, war es gerade die Systematik der heutigen Umlautverhältnisse, die alle an der Formu- j lierung möglichst genereller „Regeln" interessierten neueren - hauptsächlich j generativen - Ansätze herausforderte. Bei aller Unterschiedlichkeit im Detail bestand eine Übereinstimmung darin, daß der Umlaut im heutigen Deutschen an morphologische Kategorien bebunden sei -jene Kategorien nämlich, die im j Ahd. ein i- odery-Segraent enthielten und damit auch dann noch mit „Umlaut"

j assoziiert wurden, als längst der phonetische Assimilationsauslöser durch die j Abschwächung der unbetonten Endvokale im Mhd. beseitigt war.

·· Nun hat neuerdings Wiese (1987) wiederum eine „phonologische" Deutung , des Umlauts vorgelegt, der zufolge auch im Nhd. der Umlaut aufgrund seiner : phonologischen Regelmäßigkeit und Ausnahmslosigkeit als eint„genuin phono- Jogischer Prozeß (229) anzusehen sei. Gleichzeitig bemüht sich der Autor auch zu zeigen, daß sein im Paradigma der autosegmentalen Phonologic vorgetrage-

1 ner Erklärungsversuch allen bisherigen Darstellungen überlegen sei, da er alle Fakten erfasse, dabei jedoch die Schwierigkeiten bisherigen Deutungen umgehe.

. Dieser Ansicht kann man sich bei einer gründlicheren Auseinandersetzung mit seinem Lösungsvorschlag und den Fakten und Daten des Umlauts im Deut-

* sehen nicht anschließen.1

l Für Diskussion und Hinweise danke ich Thomas Becker und Wolf Thümmel.

» Zeitschrift für Sprachwissenschaft 8, l (1989), 133-143 i CC' Vaodenhoeck & Ruprecht, 1989

i ISSN 0721-9067

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1. Der Umlaut im Althochdeutschen

Wiese interpretiert den Umlaut im Ahd. als Vokalhannonieprozeß, als „Prozeß der Vokalassimilation im Althochdeutschen, wonach ein /-Suffix oder ein /-Laut im Stamm [...] die Frontierung des vorangehenden Vokals bewirkt" und schlägt als adäquate Darstcllungsform die autosegmentale Repräsentation eines Harmonicmcrkmals [+vorn] vor. Diese Lösung sei schon allein deshalb gunsti- ger als die bisherige lineare Deutung als „Assimilation", weil „der Umlaut zwar eine Assimilation zu bilden [scheint], aber eine über dazwischenstehende Kon- sonanten hinweg, eine Fernassimilation, die phonetisch nicht motiviert werden kann" (232). Nun ist man tatsächlich etwas ratlos: Ungeachtet aller Auffassungsunterschiede ist wohl kaum zu leugnen, daß es sich beim Umlaut um eine „Ähnlichkeitsanpassung" handelt. Es ist ein artikulationsphonetischer Gemeinplatz, daß sich in einer Lautkette die einzelnen artikulatorischen targets gegenseitig beeinflussen und daß dieser Einfluß weit über das unmittelbar be- nachbarte „Segment" hinausgeht - warum also sollte eine „Fernassimilation"

phonetisch nicht motivierbar sein? Außerdem: Inwiefern änderte die Darstel- lung mit Hilfe eines autosegmentalen Harmoniemerkmals etwas an der pho- netischen Substanz bzw. Motiviertheit dieses Vorgangs, und wie wäre diese phonetische Substanz zu explizieren? Und schließlich: Sind es nicht gerade auch dazwischenliegende Konsonanten, die - vor allem bei /a/ - den Umlautprozeß beeinflussen und damit auch in der Darstellung nipht völlig außer Acht gelassen werden sollten?

Den zweiten Vorteil seiner Lösung gegenüber bisherigen (generativen) Inter- pretationen sieht Wiese darin, daß eine herkömmliche Regel nicht Wörter mit mehreren umgelauteten Vokalen erfasse: „Auch eine iterative Anwendung der Regel von rechts nach links kann nicht alle Fälle erfassen, weil ein /i/ eben nur am Ende der Wörter liegt." Als Beispiel eines solchen Falles fuhrt Wiese - an- geblich nach Braune (1967: 67f.) - zahar : zeheri, zehiri Träne : Tränen' an;

gerade dies ist nun kein gutes Beispiel, da an der angegebenen Stelle Braune ausdrücklich vermerkt, daß zwar u. U. zahari mit zaheri variieren kann, keines- falls aber wird der erste Vokal vom Umlaut erfaßt. Überhaupt scheint es W. mit den sprachlichen Fakten nicht gar so genau nehmen zu wollen2: Auch sein nächstes Beispiel, tag - tegelih Tag - täglich' paßt zwar nicht schlecht ins vor- strukturierte Datenbild, ist aber bloß ein Artefakt: In der zitierten Stelle bei Braune, zwei Anmerkungen später, heißt es ausdrücklich: „Die Bildungen mit -nissiy -nissa und ~tih haben im Ahd. keinen Umlaut, z. B— tagalth". Die von Wiese für sich reklamierten Belege erweisen sich somit als trojanische Pferde -

2 Dieser Vorwurf trifft übrigens auch Lodge (l 986), dessen von Wiese zitiertes Beispiel für einen typischen Umlaut im Ahd. ebenfalls bemerkenswert ist: mehti kommt im Ahd. - bis auf einen einzigen Beleg bei Otfrid - nicht vor; mahti ist eines der am häufigsten genannten Beispiele für Umlauthinderung bei nachfolgendem /ht/.

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Umlaut im Deutschen 135 seine Beschreibung vermag nicht auszudrücken, was die aus älteren datenorien- tierten Arbeiten herrührende „traditionelle" Umlautregel beinhaltet: Daß näm- lieh ein /-Lautin der folgenden Silbe einen wortakzenttragenden Stammsilben- vokal umlauten konnte, wogegen bei einem /-Laut in der übernächsten Silbe (wie in den genannten Beispielen) kein Umlaut eintrat. Wenngleich auch zu dieser Regel Ausnahmen existieren, erfaßt sie doch die weitaus größte Zahl der dreisil- ben Wörter; die Wieseschen Beispiele suggerieren kontrafaktisch das Gegenteil.

Mit zweien solcher Ausnahmen haben wir es in den beiden nächsten Bei-

spielen Wieses zu tun (apful-epfili, nagal-negili); auch sie jedoch belegen nicht unbedingt, was Wiese zeigen möchte: Wenn man hier eine „Umlautausdeh- nung" vom wortfinalen i über den mittleren bis zum ersten Vokal konstatiert,

wäre ^ese auc^ durch eme interaktive Anwendung der segmental formulierten (generativen) Umlautregel zu erfassen. Zu erklären bleibt in jedem Fäll, warum die ursprünglichen Mittelsilbenvokale / a, u / nicht regelmäßig zu / e, y /, sondern ungewöhnlicherweise zu /i/ geworden sind (und zumeist nur dann der Stamm- vokal umlautet). Eine zur „Umlautausdehnung" alternative Sicht bestünde da- rin, andere Assimilationsbeziehungen für die genannten Formen verantwortlich zu machen. Dafür scheint es in der Tat Hinweise zu geben: Die unbetonten Mittelsilbenvokale werden häufig an den Endvokal (z.T. auch an den Stammvo- kal) angeglichen, vgl. segan - segonön; keisar - keiseres; sibun - sibini; mihhil- mihhala; nagal-nagultun (!) etc. - Es ist also durchaus plausibel, daß auch hier zunächst eine Angleichung des Mittelsilbenvokals stattfand, die Umlautbildung j in negüi, ephili wäre demnach „regelgemäß" durch den auf den wortakzenttra- i·· j genden Stammvokal folgenden /-Laut der Mittelsilbe verursacht.

c: Die Überprüfung der einschlägigen Fakten kann also nur schwerlich den

*, j Anspruch Wieses stützen, eine „bessere" Interpretation des Umlauts zu leisten,

£· im Gegenteil: Während die autosegmentale Darstellung keine „alten" Probleme v. löst - die von Wiese genannten erwiesen sich ja lediglich als Scheinprobleme -, ffi:. \ bringt sie ihrerseits eine Reihe von Problemen mit sich. Eines dieser Probleme

iL f besteht bereits in der strikten Festlegung des „Harmoniemerkmals" als :·; [H-vorn]. Dies mag zwar im Einklang mit einigen generativen Umlautdarstel- sL. i Jungen stehen, erweist sich aber im Hinblick auf die Hebung von /a/ > /e/ als U;k ; inadäquat, wenn man nicht die Augen von jeglicher phonetischen Substanz ';· ! verschließen will. Wiese geht zwar auch auf diese Hebung ein, behauptet jedoch,

^'tt l daß sie unabhängig vom Umlaut existiere; irgendwelche Evidenzen für diese ,-2;;!i behauptete Unabhängigkeit liefert Wiese jedoch nicht.

· fv Wiederum „unabhängige Faktoren*' sind dafür verantwortlich, „daß Primär- .>:·;· u umlaut über bestimmte Konsonantencluster (/ht/, /hs/) hinweg nicht oder i» nicht immer erfolgte, und daß die Hebung von / / zu / e/ beim Sekundärumlaut ausblieb" (231). Auch hier sagt Wiese nicht, welcher Art diese unabhängigen

~ Faktoren sein könnten. In einer stärker „traditionellen" Sicht, die den Umlaut '" \ als eine je spezifische Ähnlichkeitsanpassung von hinteren und unteren Vokalen 5 an /i, j/ begreift, sind diese „unabhängigen" konsonantischen Umlauthinde-

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136 Hannes Scheutz

rungsfaktorcn weniger problematisch: Sieht man sich etwas in der Sprachhisto- ric um, dann fallt auf, daß es auch bei der ahd. Monophthongierung nur einige wenige Konsonantcngruppen waren, die zu einer Senkung des zweiten Di- phthongteils führten - ebenfalls eine Art von assimilatorischem Prozeß, bei dem sich /i/ rcsp. /u/ an die folgenden „niederen" Konsonanten (Konsonanten mit relativ niedrigerer Zungenlage; vgj, Vcnnemann 1972) anglichen. Was dort als

„Senkung" zu Buche schlägt, ist hier als Grund für die Blockierung einer He- bung anzusehen; die simple Erkenntnis lautet also: /a/ wird an folgendes /i, j/

auch im Hinblick auf die Vokalhöhe angenähert, diese Hebung unterbleibt in besonders hcbungsungünstigen phonologischen Umgebungen. Es sollte nicht übersehen werden, daß dieser „Sekundärumlaut" auch heute noch in den deut- schen Dialekten vielfach vom „Primärumlaut" geschieden wird; besonders deutlich ist dies in den oberdeutschen Dialekten zu sehen, in denen drei unter- schiedliche c-Höhen nach wie vor die Unterschiede zwischen Primärumlaut,

„altem" (germanischem) /e/ und Sekundärumlaut abbilden; vgl. z. B. Schweiz, [sek - rext - next], mittelbair. [sek - rext - naxt] 'Säcke - Recht - Nächte'.

Umlauthindernde Konsonanten sind wohl auch die Ursache dafür, daß in mit- teldeutschen Dialekten ahd. /iu/ trotz Umlautposition nicht (wie ansonsten üblich) mit dem Umlaut von ahd. /u: / zusammenfiel, wenn /w/ dazwischen :

vorkam. In diesen Fällen wurde /iu/ zu /u: / (später vielfach zu /au/ diphthon- giert) und unterscheidet sich damit von der sonstigen Entwicklung des /iu/, vgl.

md. nau (auch in Ortsnamen wie Naumburg, Nauendorf) < ahd. niuwi 'neu';

au(x) < ahd. iuwih 'euch' etc. Diese Fakten sind gerade für eine autosegmentale Darstellung mehr als unbequem: Wenn man von einer eigenen „Vokalharmonie- schicht" ausgeht, sollten die zwischen den Vokalen liegenden Konsonanten ja i gerade keinen Einfluß auf die Qualität der vokalischen Veränderungen haben.

Noch weitere Fakten stören die Wiesesche Beschreibungsharmonie: Schwieri- ger als die eben besprochenen Ausnahmen sind all jene Fälle zu deuten, in denen keine solchen offenkundigen Umlauthinderungsfaktoren auftreten. Dabei scheinen die bereits zitierten Ausnahmefalle mit /-Laut in der übernächsten Silbe noch am ehesten erfaßbar - der Einfluß bestimmter artikulatorischer targets nimmt naturgemäß ab, je weiter diese entfernt sind. Wesentlich schwieriger ist i, demgegenüber die Frage zu beantworten, warum bei vielen Suffixen mit langem :

/i: / (-lih, -Im, -#, - , -t) trotz „richtiger" Position ebenfalls kein Umlaut aufge- j treten ist - eine mögliche Ursache dafür könnte in dem noch deutlich ausgepräg- j ten „Eigengewicht" der Suffixe liegen, die sich hinsichtlich des Umlautes noch l wie ein Grundwort in einem Kompositum verhalten; Erstbestandteile von Köm- posita wurden ja vom Umlaut nicht erfaßt. ;

Die extrem „homogenisierende" Umlautdarstellung Wieses berücksichtigt l diesen großen Datenbereich mit verschiedenen Ausnahmen nicht und erweist!

sich somit strenggenommen nicht einmal als „beobachtungsadäquat"; es wird ! zudem nicht erkennbar, in welcher Weise diese neue autosegmentale Darstellung j den sprachlichen Daten besser gerecht zu werden vermöchte als bisherige Lö- f

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Umlaut im Deutschen 137 sungen. Dazu kommt, daß trotz des vorgetragenen Generalitätsanspruchs kei- nerlei Versuche unternommen werden, neben den einschlägig bekannten Proble- men auch bislang weniger berücksichtigte Datenbereiche in die Behandlung des Umlauts miteinzubeziehen. So etwa schiene es interessant, Zusammenhängen zwischen dem i-Umlaut und den anderen Harmonieprozessen in vorahd. und ahd. Zeit nachzugehen, die gemeinhin als M-, -Umlaut, Brechung, Hebung u.

dgl. bezeichnet werden.3 Gerade für eine theoretisch orientierte Arbeit wie die vorliegende sollten auch die Verhältnisse in den unmittelbar benachbarten Dialekten/Sprachen besondere Berücksichtigung finden. Es zeigt sich nämlich, daß hier durchaus vergleichbare Konstellationen (und Komplikationen) auftre- ten; Im Altengl. erfahrt /a/ teilweise eine Frontierung zu /ae/, teilweise eine Hebung zu /e/ — und wiederum sind offenkundig die zwischen den Vokalen liegenden Konsonanten an dieser unterschiedlichen Entwicklung beteiligt: He- bungsvorgänge im Umlautprozeß finden wir darüber hinaus beim Umlaut von ae. /ea/ > /ie/; /io/ > /ie, i, y/.4· Auch die Erscheinungsformen des Umlauts im Niederdeutschen sind nicht ohne Brisanz: In vielen Ortsmundarten hat sich westgerm. /ai/ >* mnd. /e:/ unterschiedlich entwickelt je nachdem, ob es in Umlautumgebung auftrat oder nicht.5 Diese Befunde weisen darauf hin, daß entgegen der Wieseschen Auffassung doch auch vordere Vokale in den Umlaut- prozeß involviert gewesen sein könnten - in einigen Dalekten zeigt sogar /i/ in Umlautumgebung eigenständige Entwicklungen.6

2. Die neuhochdeutsche Umlautregel

Auch für das Neuhochdeutsche sieht Wiese den Umlaut als „einen genuin pho- nologischen Prozeß*4 an, „da es sich um einen ganz regulären und einfachen Prozeß handelt. Umlaut ist immer die Frontierung eines nicht-vorderen Vokals"

(229). So einfach und regulär scheint allerdings dieser Prozeß bei genauerer Betrachtung doch nicht zu sein: Das erste Problem stellt sich im Bereich der / a /:

/e/-Alternation. Selbst wenn wir für das Deutsche drei e-Laute (/e:, :, /) ansetzen, ergibt sich zumindest im Bereich des Kurzvokals das.Problem, daß / /

3 Könnte etwa nicht bereits die „germanische" Angleichung des /e/ an nachfolgendes /i/ ein erstes Stadium eines generellen Harmonieprozesses darstellen, dessen historische Kontinuität durch die Aufspaltung in germanische vs. frühahd. Lautveränderungen ver- deckt wird? Auch der /-Umlaut ist ja im Grunde eine allen westgermanischen Dialekten gemeinsame Lautveränderung mit regional unterschiedlichen Ausprägungen - wie übri- gens auch „das Althochdeutsche*' (als Konglomerat verschiedener Dialekte) selbst be- trächtliche regionale Umlautdifferenzierungen aufweist.

4 Vgl. Brunner (1965; 72ff.).

5 Vgl. Panzer/Thümmel (1971: 51).

6 Vgl. z.B. Vetsch (1910: 63) für Appenzeller Mundarten.

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138 Hannes Scheut z

einerseits als reguläres Gegenstück zu /e: / fungiert (und damit eindeutig als [•niedr] zu klassifizieren ist), andererseits aus einer Frontierung von /a/ herrüh- ren soll (damit also [+niedr] sein müßte). Wurzel (1981) löst dieses Problem „ad hoc", indem er vier (!) c-Laute für das Deutsche ansetzt - für Wiese gibt es hier offenbar gar kein Problem.

Auch der Umlaut von /au/ liefert Wiese nur eine Bestätigung für seine Theo- rie: Der Gleitlaut /u/ wird zum vorderen Gegenstück /y/; /a/ macht eine Run- dungsassimilation durch, es entsteht [oy] - „damit ist gezeigt, daß die Umlautal- ternation selbst völlig regulär ist" (230). Auch hier darf man allerdings fragen, warum eine solche Rundungsassimilation auf diesen einen Fall beschränkt bleibt und nicht auch /au/ zu /ou/ assimiliert. Die Antwort daraufscheint nicht besonders schwierig: Offenkundig ist der Umlaut im Neuhochdeutschen doch nicht in jedem Fall nur mit einer simplen Frontierung gleichzusetzen. Gerade bei der [au] : [sy] - Alternation wird deutlich, daß auch ursprünglich „reguläre"

Entsprechungen (vgl. mhd. ou - öü) nach Wegfall der phonologischen Motiva- tion in ihrer Weiterentwicklung getrennte Wege gehen (können) und damit eben nicht mehr regulär phonologisch voneinander abzuleiten sind.

Ungeachtet solcher Probleme postuliert Wiese im Sinne seiner strikten Fron- tierungshypothese ein eigenes autosegmentales Merkmal [-l· vorn], das alle um- lautenden Stämme aufweisen; die generelle Regel für Umlaut lautet demnach:

„Assoziiere [+vorn] von rechts nach links mit dem ersten passenden Segment, wenn das Wort morphologisch komplex ist" (236). Diese Regel ist zweifellos schon allein deshalb zu stark, weil es ja durchaus auch Suffixe gibt, die in verän- derbaren Stämmen niemals Umlaut auslösen; vgl. etwa Derivationen mit -bar, -haß, -heil, ung: tragen - tragbar (aber: trägt, erträglich), krankt - krankhaft (aber: kränklich, kränkeln) etc.

Ein weiteres Problem liegt in der ausdrücklichen Zuweisung des Merkmals [+vorn] an den jeweils letzten Vokal im Wortstamm. Dies wird mit der Analyse von Wörtern wie Kloster, Bruder, Vater als zugrundeliegende /kloistr/ etc. ge- rechtfertigt, in die nach der Umlautung jeweils Schwa-Einfugung vorgenommen wird (vgl. Klöster) (239 f.). Abgesehen davon, daß auch Wieses Analyse des Schwa im Deutschen nicht unbesehen übernommen werden sollte7, ist zu be- zweifeln, daß diese ausschließlich topologisch orientierte Regelformulierung überhaupt den Kern der Sache trifft: Es ist ja immerhin auffällig, daß Umlautfor- men dann als besonders „schlecht" bewertet werden, wenn der rechteste umlaut- fahige Stammvokal unbetont ist - Diminutiva wie Foto - *Fotöchen, Papa -

*Papächen scheinen absolut verpönt, dagegen sind Formen wie Balkon - Bal- könchen, Altar - Altar chen durchaus korrekt. Wenngleich eingeräumt werden soll, daß die Heranziehung von nicht-nativen Wörtern problematisch ist, bestä- tigt sich doch auch an diesen Beispielen, daß die Lage des Wortakzents eine wichtige Rolle spielt: Es werden jeweils die akzenttragenden Stammvokale um-

7 Eine einschlägige Kritik findet sich in Becker (1987).

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Umlaut im Deutschen 139 gelautet, wenn sich zwischen dem akzentuierten Vokal und dem Suffix kein weiterer umlautfahiger Vokal findet. Die im Wortstamm als letzte stehenden Vokale können nur dann umgelautet werden, wenn sie wortakzenttragend sind.8

Eine Regelformulierung, die neben Stellungseigenschaften des Umlautvokals auch seine prosodischen Eigenschaften berücksichtigte, ist somit in jedem Falle vorzuziehen: Sie beschreibt alle bisher erfaßten Fälle ohne die Zusatzannahme des leeren Schwa und erfaßt darüber hinaus auch die genannten Tendenzen bei Wörtern, deren letzter Stammvokal zwar umlautfähig, aber unbetont ist.

Gleichzeitig wäre damit für jene Fälle vorgesorgt, in denen auf ein Suffix ein umlautbewirkendes Suffix folgt, ohne einen Umlaut auslösen zu können (vgl.

glaub + liaft + ig).

Wiese trägt diesem letzten Punkt durch strikte Lokalitätsbeschränkungen des Umlauts Rechnung, denen zufolge „Umlaut über ein Suffix hinweg [...] ebenso- wenig möglich [ist] wie Umlautung durch ein Präfix" (240). Diskutiert wird in diesem Zusammenhang auch das von Strauss (1982:135) genannte Beispielpaar unblutig vs. vollblütig, vollblütig, das nur scheinbar auf eine präfixspezifische Umlautung (un- vs. voll-) hinweise: Im einen Fall sei das komplexe Wort Vollblut Basis für die Suffigierung mit -ig (mit regulärer Umlautbildung), wogegen bei unblutig das Suffix -ig an Blut tritt (mit exzeptioneller Umlauthinderung) (240).

Nun ist zwar keineswegs klar, ob die Umlauthinderung bei -ig tatsächlich „ex- zeptionell" oder eher der Regelfall ist, aber auch die - reguläre oder exzeptionel- le - Umlautung in vollblütig ist mit dem Hinweis auf eine Ableitung aus Vollblut nicht befriedigend zu erklären. Mag ein Basiswort Vollblut noch angehen, so muten *Heiß-, Kalt-, Blaublut als deutsche Basiswärter für heißblütig, kaltblütig, blaublütig doch etwas seltsam an. Gleiches tritt auf bei Fällen wie kaltschnäuzig (* Kaltschnauze, * schnäuzig), deutschstänvnig (* Deutschstamm, * stämmig), blau- äugig (* Blauauge, *äugig) etc. Offenkundig können in allen diesen Fällen Kom- position, Derivation und Umlaut nur gekoppelt auftreten; die Interpretation als simple „reguläre" Umlautung durch -ig allein greift wohl zu kurz. - Auch aus historisch diskontinuierlichen Affixen resultierende Präfigierungen wie Ge- sträuch, Gebüsch, Geäst, Gebälk etc. sind in der Wieseschen Regelformulerung nicht unterzubringen (sofern man nicht mit umlautverursachenden „Nullsuffi-

8 Dies gilt natürlich jeweils nur für das Simplex; bei der Flexion/Derivation von De- terminativkomposita liegt der Wortakzent klarerweise auf dem Determinans; vgl. Faß - Fässer vs. Bierfaß - Bierfässer. Daraus erklären sich - zumindest historisch - auch die wenigen Ausnahmen zu dieser Regel, die in Ableitungen mit -turn (vgl. Herzogtum: Her- zogtümer) zu finden sind. Abgesehen davon, daß diese Beispiele genauso gegen eine we- sentliche Generalisierung Wieses - Suffixe sind niemals mit dem autosegmentalen Merk- mal [+vorn] versehen -verstoßen, scheint es so zu sein, daß das noch im Mhd. selbständi- ge - und damit auch regulär umlautfahige - Wort tuom (vgl. des Herzogs tuom) und der damit gegebene ursprüngliche Kompositumscharakter für dieses Verhalten verantwortlich zu machen sind; Herzogtum: Herzogtümer verhält sich somit analog zu Bierfaß: Bierfäs- ser. Andere singuläre Beispiele wie Bischof: Bischöfe und Herzog: Herzöge sind ähnlich zu interpretieren.

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140 Hannes Scheutz

xcn" operiert); da gerade diese dcsubstantivischen Kollcktivbildungcn noch weitgehend transparent scheinen (vgl. dagegen dcverbalc „Resultatsnomina"

wie Gebräu, Geräusch. Gesöff), ist auch eine „Abschiebung ins Lexikon" wenig plausibel.

Größeren Raum widmet Wiese schließlich noch der Differenzierung des Lexi- kons in drei unterschiedliche morphologische Ebenen und deren möglicher In- teraktion mit phonologischen Regeln; so lösen etwa Prozesse auf den Ebenen l (irreguläre Flexion und Derivation der Klasse f) und 2 (Derivation der Klasse und Komposition) Umlaut aus, wogegen „der Umlaut offenbar niemals auf Ebene 3 [der regulären Flexion, H.S.] ausgelöst [wird]. [...] Dadurch ergibt sich der Kontrast zwischen dem starken Verb laufen (läuft) und dem schwachen Verb kaufen (kauft) (238). Nun will nicht recht einleuchten, daß sich der Kon- trast zwischen läuft und kauft dadurch ergeben soll, daß diese beiden Verben unabhängig vom Umlaut unterschiedlichen Ebenen zugeordnet werden; es gibt ja genauso auch den Kontrast zwischen den starken Verben laufen - läuft vs.

rufen - ruß, ohne daß dies mit den von Wiese postulierten Ebenen in Verbindung zu bringen ist. Überhaupt bleibt ziemlich unklar, welcher Erkenntniswert diesen Ebenen hinsichtlich des Umlauts zukommt: Abgesehen von dem (erwarteten) Ergebnis, daß sich die reguläre. Flexion als „vorhersagbar" erweist, da sie (auf- grund spezifischer historischer Voraussetzungen) keine umlautverursachenden morphologischen Operationen enthält, tragen sie zur Analyse des Umlauts nichts bei - die Ebenen l und 2 verhalten sich unspezifisch, in ihnen finden sich' sowohl umlautverursachende als auch umlautfreie Operationen.

3. Die Ausnahmen

Das Hauptproblem für jede Behandlung des Umlauts im Nhd. sind bekannter- maßen die vielfältigen Ausnahmen - sie erst machen den Umlaut zu einem ge- suchten Experimentierfeld für diverse Regelformulierungsversuche. Auch Wie- · se wendet sich nach der Darstellung der „generellen Umlautregularität" den Ausnahmen zu: »

(i) Jene Stämme, die (trotz umlautfahigem Vokal) niemals umlauten, erhalten ! einfach im Lexikon kein autosegmentales Merkmal [-{-vorn]. i

(ii) Bei umlautfähigen Stämmen, die nur in spezifischen Wortbildungsprozes- l sen den Umlaut blockieren, werden genau jene „Ausnahmefälle4' als exzeptio- nelle Wörter in das Lexikon aufgenommen; die „elsewhere-Bedingung" für die i Anwendung von lexikalischen Regeln schließt eine falsche Regelanwendung aus (241). Eine orthodox-generative Lösung wie die von Wurzel (1970) sieht hier

„diakritische Merkmale" vor, mit denen umlautfa'hige Stämme bzw. Suffixe markiert werden. Wiese vermeidet ein „diakritisches (d. h. phonetisch arbiträres, inhaltsleeres) Merkmal [+Umlaut]** (242) und ersetzt es durch das autoseg-

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Umlaut im Deutschen \ 41

! mentale Merkmal [-Hvorn]. Dieses Merkmal besitzt zwar phonetische Sub-

; stanz, liefert aber nicht für jede Alternation die richtigen Voraussagen - es sei

! denn, es wäre doch auch nur ein „Deckmerkmal", das für die Umlautung von

• /u, o/ - /a/ - /au/jeweils Verschiedenes bedeutet. Wurzel (1970) spezifiziert in

|,! einem weiteren Schritt alle umlautverursachenden Suffixe, die er -je nach dem i Anteil von Ausnahmsfallen — in umlauterzwingende vs. umlautbewirkende un- terteilt. Wollte man die Wurzeische Analyse etwas weniger „abstrakt44 ausfallen i lassen, hieße dies, nur an seinen „umlauterzwingenden" Suffixen als morpholo-

s'; gische Umlaut-Bedingung festzuhalten, die durch die umlautbewirkenden Suffi-

*; xe hervorgerufenen Alternationen hingegen im Lexikon suppletiv aufzulisten.

,; Wiese geht demgegenüber einen entgegengesetzten Weg: Er unterschlägt die ', Unterscheidung von umlauterzwingenden (in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle Umlaut auslösenden) und nur schwach wirksamen bzw. weitgehend um- laut-unproduktiv gewordenen Prozessen und sieht alle morphologischen Opera- , | tionen einheitlich als umlautverursachende Vorgänge an, deren umlautbewir- ., kende Kraft nur dann blockiert wird, wenn sich im Lexikon ausdrücklich ande- res findet. Dies zeitigt die fatale Konsequenz, daß der Umlaut ausnahmslos . produktiv sein müßte, da sich ja bei „neuen44 Wörtern noch keine „ Ausnahme-

: lalle*4 im Lexikon notiert finden können. Dies jedoch ist nicht nur kontraintui- . tiv, sondern - wie einschlägige Untersuchungen zeigen (z. B. Äugst 1971) - empi- .', risen falsch.

(iii) Schließlich werden alle jene Wörter, die obligat umgelautete Vokale enthalten, mit einer Art „obligatorischen Umlautassoziation*4 versehen. Dies j bedeutet, daß Wörter wie för, schön, läuten lexikalisch als für, schon, lauten

• anzusetzen sind und (ebenfalls bereits lexikalisch) mit dem Umlautmerkmal [+vorn] assoziiert werden; wie man sich das genau vorzustellen hat, erläutert Wiese nicht.

Es ist nicht zu sehen, worin die Überlegenheit dieser- trotz aller vorgeblichen , „Einfachheit" ziemlich aufwendigen und umständlichen - neuen Lösung liegen könnte. Um korrekte Umlautfonnen zu produzieren, muß eine Sprecherin des Deutschen nämlich lernen, (i) welche Wörter obligatorisch nicht mit [+vorn]

! zu assoziieren sind; (ii) welche Wörter obligatorisch mit [ + vorn] assoziiert sind und schließlich (iii) alle einzelnen Ausnahmen der Umlautregel. Dafür erspart

| sie sich vermutlich (Wiese äußert sich dazu nicht) gerundete Vordervokale im Vokalsystem, da diese erst durch die Assoziation hinterer Vokale mit autoseg- mentalem [+vorn] erzeugt werden. Der Abstraktheitsgrad dieser Analyse erin- : nert fatal an generative Versuche vor Kiparskys „Alternation Condition44: Es

; fallt jedenfalls schwer, die Intuition aufzugeben, daß etwa Wörter v/ießir, schön, : lauten etc. auch segmental „zugrundeligend" runde Vordervokale aufweisen und nicht erst aus /für, schon, lauten/ per Merkmalassoziation entstehen. Von hier aus wäre es dann in der Tat nur mehr ein kleiner Schritt zu einer Lösung a la { King (1969), in allen umlautverursachenden Suffixen zugrundeliegendes /i/ an- : zusetzen und eine „klassische" Harmonieregel zu postulieren. Dazu kommt, daß

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J42 Hannes Scheuiz

absolut unklar bleibt, wie die „Herleitungsproblematik" bei den nicht-alternie- renden a- und öw-Umlauten zu lösen wäre: Sind nur jene [ , ay], die auch ortho- graphisch als <ä, äu> repräsentiert sind, lexikalisch als /a, au/ darzustellen oder gilt diese Regelung auch für Wörter wie stellen, setzen, fest, Fels, Leute, Heu etc.? \ Da orthographische Gegebenheiten für eine phonologische Analyse im allge- <

mein keine Relevanz besitzen (dürften), ist nicht vorstellbar, wie im heutigen \ Deutschen unterschieden werden könnte zwischen einem „regulären" Umlaut (wie in [ ] 'hätten'), einem „historisch zugrundeliegenden" nicht-alternie- >

renden Umaut (wie in [zstsn] 'setzen') und einem Nicht-Umlaut (wie in [fet]

'fett').

Ein zentrales Problem scheint darin zu liegen, daß die „historische Natur" des Umlauts grundsätzlich nicht gesehen bzw. geleugnet wird. Es ist offenkundig, daß der Umlaut im Ahd. trotz verschiedener Ausnahmen ein sehr regulärer Prozeß war, im Zuge seiner zunehmenden Morphologisierung und Lexikalisie- j rung jedoch viel von seiner ursprünglichen Regelhaftigkeit verloren hat und j noch weiter verliert: \ (i) Selbst wenn man Wieses Auffassung akzeptierte, daß der Umlaut im Ahd. j ein reiner Fronting-Prozeß gewesen sei, lassen sich die entsprechenden Vokalal- | ternationen im Nhd. nicht mehr unter ein generelles Merkmal [+vorn] subsu- mieren, da die einzelnen Vokale zusätzliche Veränderungen durchgemacht ha-1 ben (s. o.).

(ii) General! ist der Umlaut im Bereich der Wortbildung im Rückgang begrif- } fen; so erweisen sich beispielsweise einige der bei Wurzel (1970) für das Nhd. als

„umlauterzwingend" klassifizierten Suffixe bei genauerer Analyse lediglich als '

„umlautbewirkend", wogegen viele dieser umlautbewirkenden Suffixe im Mhd. i noch „umlauterzwingend" waren. Die einzige ausnahmslos „umlauterzwingen-:

de" Kategorie - die Bildung von Adjektivabstrakta auf -e (vgl. gut - Güte) - ist seit langer Zeit unproduktiv.

(iii) Die weitaus überwiegende Mehrzahl von Wortneubildungen in den letz · i ten Jahrhunderten weist keine Umlaute mehr aus; ursprünglich mit Umlau:

verbundene Prozesse wie Adjektivkomparation bauen ihre Umlautassoziation zunehmend ab - so etwa zeigt die Untersuchung von Äugst, daß die umlautlosert | Formen „absolut eindeutig" überwiegen und „der Sprachteilhaber bei den ein- * silbigen Adjektiven auf a, o, u, au in bezug auf den Umlaut bei der Steigerung | keine Regel anwendet" (Äugst 1971: 430). In-vielen Fällen existieren zu umge- lauteten Formen auch Doubletten ohne Umlaut; hier hält sich der Umlaut meist j nur dann, wenn solche Doppelformen wortsemantisch funktionalisiert werden l (vgl. bauchig - bäuchig). j Was wir also kpnstatieren können, ist ein mit vielen morphologischen Katego- rien ganz unterschiedlich eng assoziiertes Merkmal 'Umlaut', das - nicht radikal zwar, aber immerhin erkennbar - zunehmend weiter ausgedünnt wird. Gerade dafür nun aber ein eigenes phonologisches Autosegment [+vorn] anzusetzen, das ebenso generell bei komplexen Wörtern mit dem letzten Stammvokal asso-

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Umlaut im Deutschen 143 ziiert werden muß, verkennt u.E. die essentiellen Bedingungen des Umlauts im Deutschen. So sehr die autosegmentale Phonologic zu einem angemesseneren Verständnis von produktiven Vokalharmonieprozessen (z. B. im Ungarischen) beigetragen hat, so wenig .hilfreich erweist sie sich - zumindest in der hier darge- botenen Weise - bei der Behandlung des Umlauts; es ist nicht zu sehen, in wel- eher Weise die vorliegende Analyse eine auch nur einigermaßen adäquate Be- Schreibung des Umlauts oder gar einen Erkenntnisfortschritt gegenüber bisheri- gen „segmentalen" Arbeiten darstellen könnte.

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l Eingereicht am 6.2.1989. Neu eingereicht am 8.6.1989

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Richard Wiese

Umlaut im Deutschen

Richtigstellungen zu den Anmerkungen von Hannes Scheutz \

L Einleitung : Daß die Beschreibung des Umlauts im Deutschen Gegenstand einer Forums- ; : Debatte in dieser Zeitschrift sein könnte, war vor einigen Jahren vielleicht \.

schwer vorzustellen. Positiv an der neuen Situation ist daher, daß Fragen der i : phonologischen und morphologischen Analyse wieder zu Diskussionen in der j deutschen Sprachwissenschaft führen können. In seiner Auseinandersetzung j , mit der Umlautanalyse in Wiese (1987) kommt Scheutz zu einem rundweg ab- j lehnenden Urteil. In dieser Entgegnung werde ich aufzuzeigen versuchen, wo die !:

Kritik von falschen oder nicht explizierten alternativen Voraussetzungen aus- ·: geht, Unterstellungen vornimmt oder einfach irrig ist. Ich folge in meiner Ent- : · gegnung in etwa der Reihenfolge der Kritikpunkte von Scheutz, ohne auf alle , ; eingehen zu können. j

2. Charakter des Umlauts

Nicht gelungen ist mir, die von Scheutz unterstellte Häufigkeit eindeutiger Fern- assimilationsphänomene zu belegen. Vielmehr stellt sich die Diskussionslage in Phonetik und Phonologic so dar: Die Abhängigkeit eines Segments von einem anderen, nicht-adjazenten Segment wird grundsätzlich in der Phonologic als ein Argument für autosegmentale Anordnung der beteiligten Merkmale gesehen.

Assimilation an adjazente Segmente kann dagegen auch im linearen Modell problemlos dargestellt werden, ist sozusagen theorieneutral. Auf der phoneti- schen Ebene wird Assimilation prinzipiell als Koartikulationseffekt, d.h. als lokales Kontaktphänomen, betrachtet. Diese Koartikulation kann sich natür- lich über mehr als ein Segment erstrecken, kann aber keine relevanten Segmente

„überspringen". Keating (1988) erklärt KoartikulationsefFekte über intermediä- re, nicht betroffene Segmente hinweg gerade dadurch, daß letztere selbst auf der phonetischen Ebene nicht für die relevanten Merkmale spezifiziert sind. Eben da Assimilation aus phonetischen und phonologischen Gründen als ein

„Kontakte-Phänomen betrachtet wird, werden Modelle der nichtlinearen Merkmalsrepräsentation wesentlich danach bewertet, ob sie scheinbar nichtio-

Zeitschrift für Sprachwissenschaft 8, l (1989), 144-152

© Vandenhoeck & Ruprecht, 1989 ISSN 0721-9067

(13)

s*

J

"

Umlaut im Deutschen. Richtigstellungen \ 45 kale Merkmalsausbreitung als lokalen Prozeß behandeln können (siehe etwa Halle/Vergnaud (1987) für Betonung der Rolle der Lokalität). Angesichts der Bedeutung dieser Fragen ist es völlig unverständlich, daß Scheute hier auf die Nennung von Beispielen verzichtet.

3. Zum Althochdeutschen

Der nächste Vorwurf ist der der Verwendung falscher Daten in bezug auf das Althochdeutsche. Nun habe ich nicht behauptet, daß Beispiele wie epfili prototy- pisch für das in den Handbüchern dargestellte System sind. Festzuhalten ist aber, daß (bis auf eine) alle der von mir zitierten Formen und Beispiele belegbar sind. Es ist nicht so, wie Scheutz generell suggeriert, daß Daten falsch dargestellt oder gar erfunden sind. Die Form mehti wird in Braune (1967: §27) als bei Otfrid vorkommend bezeichnet. Wenn sie erfunden ist, dann nicht von Lodge oder mir, sondern' (im neunten Jahrhundert) von Otfrid. *zeheri scheint nur als zehere belegt zu sein (hier bin ich einer Quelle auf den Leim gegangen), und zwar wie tegelich und viele weitere Beispiele mit „Formen, in denen der Umlaut von der zweitfolgenden Silbe ausging" (Paul 1969: 42) für die mittelhochdeutsche Periode. Hier hängt einiges am präzisen Status von Schwa in der Phase des Übergangs vom Alt- zum Mittelhochdeutschen. Vielleicht ist der Vorschlag von

; Lodge (1986) richtig, daß in dieser Phase (aber nur dort) die Vokale in den ji Endsilben einerseits bereits zu Schwa reduziert waren, andererseits aber ein Merkmal [+ vorn] (oder etwas ähnliches) an die Stammvokale zuweisen konn- ten. Zugestehen möchte ich, daß die sprachhistorischen Unterschiede zwischen , dem Althochdeutschen des 9. Jahrhunderts, dem Übergangsfeld vom Althoch- i deutschen zum Mittelhochdeutschen (l O./l I.Jahrhundert) und dem folgenden

!' Mittelhochdeutschen differenzierter analysiert werden sollten, als ich es getan : Die grundsätzliche Frage ist aber, wie als „selten" klassifizierte Daten zu

! behandeln sind. Der Auffassung von Scheutz, daß sie überhaupt nicht analysiert kss & - , werden sollen, möchte ich entgegenhalten, daß auch (scheinbar).seltene Formen tö'küb'· '· prinzipiell der Analyse zugänglich sein müssen. Im Idealfall erklärt die Beschrei- s&cl i bung auch, warum manche Varianten häufig und andere selten sind, liefert also täüi-· i eine Beschreibung der Markiertheitsverhältnisse. Zweitens ist zu fragen, wie die fisit?4. ; Etikettierung als „selten" im Falle des Althochdeutschen denn zu werten ist.

Braune (1967: § 51) vermerkt, daß Umlaut wahrscheinlich häufig nicht geschrie-

> ben wurde, auch wenn er realisiert wurde. Da wir im Falle des Althochdeutschen l aber nur die schriftlichen Quellen haben, liegt der Schluß nahe, daß auch die . sogenannten seltenen Exemplare eine viel größere Verbreitung hatten. Insofern ist der einzige Beleg für mehti nicht einfach nur als ein Schreibfehler zu werten, sondern als Datum ernst zu nehmen.

(14)

146 Richard Wiese

Daß intermittierende Konsonanten einen Harmonieprozeß blockieren kön- nen, will ich keinesfalls bestreiten. Scheutz unterstellt meiner Beschreibung eine

„Vokalharmonieschicht**. Weder der Ausdruck noch die Idee wird von mir ver- wendet. Es gibt nur eine separate Schicht für das phonologische Merkmal [vorn].

Daher können Konsonanten, die durch dieses Merkmal ebenfalls charakterisiert sind, Harmonieprozesse zwischen Vokalen sehr wohl blockieren. (Bevor Scheutz oder der Leser auf vordere Konsonanten verweist, die den Umlaut aber nicht blockieren, verweise ich auf die Rolle der Unterspezifikation, dazu unten mehr.) Scheutz fahrt zahlreiche Phänomene an, die ich nicht untersucht habe. Sie mögen sehr wohl in einem zu explizierenden Zusammenhang zum Umlaut sie- hen. Unter die gleiche Regel fallen können sie jedoch nach der von mir vorausge- setzten Konzeption nur dann, wenn mindestens die gleiche Merkmalsalterna- tion beteiligt ist. Nebenbei gesagt erweckt Scheutz den Eindruck, daß ich außer dem Umlaut keine anderen Prozesse behandelt habe. Der Leser mag sich über- zeugen, daß sich auch eine Regel für die totale Vokalassimilation, etwa in epfili, im inkriminierten Text findet (S. 234).

4.- Zum Neuhochdeutschen \ Eine der zweifelsfreien Generalisierungen über den neuhochdeutschen Umlaut l scheint mir darin zu liegen, daß der alternierende Umlautvokal durch die Wort- struktur mitbedingt ist, in dem Sinne, daß nur unter der Voraussetzung, daß ein \ Wortbildungsprozeß vorliegt, auch eine Umlautalternation auftritt. In meiner Analyse von 1987 habe ich dies durch die Konfiguration der Form JX]' (zwei Morphemgrenzen und phonetisches Material, das auch leer sein kann) in der Umlautregel beschrieben. Die bessere Alternative ist wahrscheinlich, Umlaut als zyklische Regel zu behandeln, die schon von daher nur auf abgeleitete Struktu- ren anzuwenden ist. Die Regel wird einfacher; gleichzeitig ist ausgeschlossen, daß Simplexwörter wie für von *fur abgeleitet werden können.

Die Position von Scheutz in diesem Zusammenhang ist mir unklar. Er möchte | anscheinend auch die faktische Voraussetzung bestreiten. Mir scheinen dagegen j Kaltblut, Heißblut und Blaublut potentielle Wörter des Deutschen zu sein; min- ! destens das erste davon ist auch ein existierendes Wort. (Recht hat Scheutz mit der Anmerkung, daß es irrelevant ist, ob in der Ableitung ein Präfix vorhanden } ist; mit anderen Worten, für einen Stamm kann in [Z[Y Umlaut erscheinen, und zwar unabhängig davon, ob Z ein Präfix oder leer ist. Auch deshalb ist es besser, in der Umlautregel auf einen morphologischen Kontext zu verzichten und sich auf die Zyklizität zu verlassen.)

Ein wichtiger Punkt ist die Frage, ob Umlaut im Nhd. tatsächlich ein phone- i tisch-phonologisch einheitlich zu charakterisierender Prozeß ist. Wenn Scheutz i mit seiner gegenteiligen Behauptung recht hätte, wäre der Versuch, für den Um- :

(15)

Umlaut im Deutschen. Richtigstellungen 147 laut im Nhd. genau eine phonologische Regel anzunehmen, von vorneherein verfehlt. Während wohl Einigkeit darin besteht, daß die Umlautung von /o:/ zu /0:/, von /o/ zu /OB/, von /u:/ zu /y:/ und von /u/ zu /Y/ einheitlich als Frontierung beschrieben werden kann;1 bestreitet Scheutz die Richtigkeit dieser Analyse für das Verhältnis von /a:/ zu / :/, von /a/ zu / / und, vor allem, von /au/ zu /OY/.

Betrachten wir zunächst die -Laute. (Von der Längendistinktion abstrahiere ich im folgenden, da sie für die Diskussion irrelevant ist.) Die Behauptung, daß /a/ weiter hinten artikuliert wird als / /, wird nicht bestritten. Da ich außerdem das Merkmal [vorn] und nicht [hinten] postuliert habe, kann kaum ein Einwand dagegen erhoben werden, die /a/-Laute als [— vorn] zu charakterisieren, / / ist natürlich [-h vom]. Scheutz bemerkt nun zu Recht, daß sich / / durch weitere Eigenschaften von /a/ unterscheidet, insbesondere durch das Merkmal [nied- rig]-2 Präziser ausgedrückt: wenn einzig der Wert für das Merkmal [vorn] ver- schieden wäre, läge eine Distinktion zwischen /a/ und /ae/ vor. Dies ist aber nicht der Fall.

Wird die vorgeschlagene Umlautanalyse dadurch falsch? Bei genauerem Hin- sehen erweist sich das Gegenteil, /a/ ist der einzige niedrige Vokal im Vokalsy- stem des Deutschen, gleichzeitig ist nur /a/ nicht-vorn und nicht-rund. Daher reicht es aus, die Werte des Merkmals [niedrig] als redundante zu behandeln, also von unterspezifizierten, nicht-redundanten Segmentrepräsentationen auszuge- hen. Setzen wir eine der gängigen Varianten der Unterspezifikationstheorie für Segmente voraus (Kiparsky 1985, Archangeli 1984), gibt es dann die folgenden Default-Regeln:

b. [0 niedrig] -» [— niedrig]

| Regeln wie diese charakterisieren das Segmentinventar einer Sprache, (l a) be- I schreibt die Tatsache, daß es keinen vorderen oder runden niedrigen Vokal gibt,

! (l b) stellt sicher, daß alle Vokale außer /a/ eben [— niedrig] sind. Wie in der Lexikalischen Phonologic allgemein angenommen, werden nicht-distinktive

; Merkmale erst postlexikalisch eingeführt. Da [niedrig] nicht-distinktiv ist, ist

; schon durch dieses Prinzip sichergestellt, daß nur /a/, nicht aber / /, den Wert : [+ niedrig] erhält. Das Gesamtergebnis ist, daß /a/ durch Umlaut von [- vorn]

j (oder [0 vorn], das ist zu klären) zu [4- vorn] werden kann und dadurch die

! Zuweisung von [+ niedrig] durch Regel (l a) „umgeht".

| Die Verhältnisse in bezug auf das umlautende Paar /au/ - /OY/ sind etwas schwieriger, da selbst die präzise Natur der Diphthong-Segmente umstritten ist

1 ich kann nur hoffen, daß diese Einigkeit besteht, weil Scheutz sich zu positiven Aussa- gen dieser Art nicht verleiten läßt.

2 Das Merkmal niedrig kann ich gefahrlos verwenden, da es das einzige ist, das auch Scheutz zustimmend benutzt.

(16)

148 Richard Wiese

(man vgl. Wurzel 1981, Moulton 1962, Vennemann 1982 und viele andere). Un- ter der Voraussetzung jedoch, daß die hier gegebene phonemische Transkription die phonetischen Verhältnisse korrekt beschreibt, läßt sich zunächst konstatie- ren, daß die im Diphthongpaar jeweils rechten Segmente mit dem umlautenden Paar silbischer Vokale in dumm - dümmer identisch sind. Das ist das erste Argu- ment dafür, eine phonologisch einheitliche Beschreibung anzusetzen. Der näch- ste Schritt besteht nun darin, den Wechsel von /a/ zu /c/ im Erstglied als eine Rundungsassimilation zu analysieren. Kloeke (1982: 17, 221), von dem diese Analyse stammt, gibt ein Argument dafür: Abgesehen davon, daß die Run- dungsassimilationsregel eine einheitliche Formulierung der Umlautung gestat- tet, ergibt sich ein weiterer Vorteil: Ramers/Vater (1988:138 if.) machen darauf aufmerksam, daß es möglich wird, eine sehr klare Beschreibung der drei Di- phthonge des Deutschen vorzunehmen: Ein Diphthong besteht aus einem tiefen Vokal (also /a/) gefolgt von einem hohen Vokal (also /!/, /Y/ oder /u/). Aus /a/

wird durch die Rundungsassimilation /OY/. (Für [niedrig] im Kontrast /a/ - /o/

gilt hier das oben Gesagte!) Schon aus Gründen der Sonoritätshierarchie sind die drei zugrundeliegenden Vokalsequenzen genau die im unmarkierten Fall zu erwartenden. Auch hier wird also die These von der phonologischen Einheitlich- keit der Umlautung bestätigt.

Nun fragt Scheutz, warum die Rundungsassimilation nicht auf /au/ ange- wandt wird, mit /ou/ als Ergebnis. Die Frage ist berechtigt, aber auch hier gilt, daß nicht schon entschieden ist, ob die vorgeschlagene Analyse falsch ist. Kloeke (1982:221) ordnet die Assimilationsregel der Umlautregel nach; die Unterspezi- fikationsanalyse mag eine bessere Antwort geben: Ein hinterer Vokal wie /u/

wird durch eine Default-Regel [-f rund]; /y/ ist wegen des Kontrastes zu /i/

dagegen zugrundeliegend [+ rund]. Aus diesem System ergibt sich unmittelbar, daß /y/ den vorangehenden Vokal runden kann, /u/ dagegen nicht.

Sicherlich ist die hier skizzierte Analyse des deutschen Vokalsystems in Wiese (1987) nicht enthalten. Zu betonen ist aber, daß die dort gemachte Umlautanaly- se durch die obigen Überlegungen nur ergänzt und in einen größeren Kontext eingebettet wird; sie wird in keinem Detail verändert. Das Entscheidende ist, daß sich die kritischen Fragen von Scheutz auf eine prinzipielle Weise beantworten lassen, ohne so problematische Konstrukte wie die der vier e-Laute (Wurzel 1981) zu verwenden.

Wie Scheutz es mit deskriptiven Generalisierungen hält, habe ich nicht ver- :

standen. Einerseits möchte er sagen, daß Wortakzent auf dem umlautenden j Vokal eine der Bedingungen für Umlaut ist, andererseits nennt er Bischof 'und j Herzog und erklärt sie -für das Neuhochdeutsche! - zu morphologisch komple- r

xen Wörtern. Diese Interpretation historischer Verhältnisse als synchrone Ana- '·

lyse würde man jedem generativen Phonologen (zu Recht) ankreiden.3

3 Scheutz zitiert in diesem Zusammenhang eine Kritik meiner Schwa-Analyse, ohne i diese selbst zu nennen. Ich hole dies hiermit nach: Es handelt sich um Wiese (1986; 1988: i Kap. 11,2). i

(17)

Umlaut im Deutschen. Richtigstellungen 149 Die Behandlung vorderer, runder Vokale wie in ßir oder schön wird von Scheute völlig mißverstanden, unterstützt allerdings durch einen Druckfehler in (15b, S. 243). Eine Ableitung dieser nicht-alternierenden Vokale durch die Um- lautregel und damit eine'unzulässig abstrakte Analyse ist weder beabsichtigt noch im Text behauptet worden. Auch ein genaues Lesen meiner Umlautregel (10) macht ivegen der Wortstrukturangaben im Kontext sofort klar, daß die Regel auf unabgeleitete Formen niemals anzuwenden ist. Stattdessen habe ich ,k-.,;4. daraufhingewiesen, daß zwischen umlautfahigem /a/ in Dampfund zugrunde-

^ :'j. liegendem / / in dämpfen nur der in (2a) bzw. (2b) dargestellte Unterschied r^:i''* l besteht.4 Die Vokale infiir und schön sind natürlich ebenfalls mit [ 4- vorn] verse- v,^:"! hen· Dabei handelt es sich einfach um das distinktive Merkmal [vorn], das, z. B., /•i.*" ·' l schon und schön unterscheiden kann. Die autosegmentale Repräsentation gilt k." i ' * j für alle Merkmale und ist keine Verkomplizierung (für die traditionelle Darstel- ,.v lung des Segments als ungeordnetes Merkmalsbündel müssen ja auch die not- _ wendigen Strukturen bereitgestellt werden); sie ermöglicht aber die Assoziie-

·'-1 rung als Option und in anderen Fällen die Ausbreitung auf mehrere Positionen.

. _· .·' l (2) a. [+ vorn] b. [+ vorn]

• dampf dampf

5. Die Ausnahmen

Daß beim neuhochdeutschen Umlaut fast immer auch Ausnahmen existieren, tut mir leid. Die klassische Antwort auf Scheutzens Widerstand gegen die For- mulierung einer Regel haben Chomsky/Halle (1968: IX) gegeben: „We see no reason to give up rules of great generality because they are not of even greater generality, to sacrifice generality where it can be attained."

Ein weiterer Einwand von Scheutz besagt, daß ich die „historische Natur" des Umlauts nicht ernst nehme. Da sich der inkriminierte Artikel aber gerade darum bemüht, Umlaut im Althochdeutschen und im Neuhochdeutschen zu charakte- risieren und anzudeuten (sicher kann hier noch mehr gesagt werden), worin die Unterschiede und Gemeinsamkeiten bestehen, bleibt mir die Begründung für diesen Vorwurf unverständlich. Vielleicht die wesentliche theoretische Motiva- tion hinter meinem Versuch der verbesserten Beschreibung des Umlauts im Deutschen war (und ist) die Absicht, auf arbiträre Merkmale der Art [± Umlaut] zu verzichten. Wenn man nun fragt, welche konstruktiven Vorschlä- ge zur Behandlung des Umlautphänomens Scheutz macht, stellt man fest, daß - j 4 (2) wiederholt (15) aus Wiese (1987), da dort ein Druckfehler vorliegt. Die richtige f·^:.'.. .'{ Interpretation konnte man allerdings aus (16) schließen. Die von Scheutz als Zitat sugge- - j rierte „obligatorische Umlautassoziation" findet sich in meinem Text übrigens nicht.

(18)

150 Richard Wiese

der einzige erkennbare Vorschlag eben darin besteht, dieses abstrakte Merkmal wiedereinzuführen. Daß es sich wirklich nur um ein abstraktes, phonologisch arbiträres Merkmal handelt, sieht man z.B. daran, daß die phonologische Ein- heitlichkeit der Umlautung ausdrücklich bestritten wird. Andere theoretische und/oder empirische Vorteile dieser „Analyse" sind für mich gleichfalls nicht erkennbar. Letztlich läuft Scheutzens Position darauf hinaus, den Umlaut im Deutschen nach wie vor als „Umlaut" zu bezeichnen. Ich stimme ihm gerne zu.

Die Lernbarkeit meines Vorschlags wird von Scheutz völlig verzerrt darge- stellt. Ein Lerner des Deutschen muß natürlich nur ein „freischwebendes"

[ -f- vorn] lernen, wenn er ein alternierendes Wort erwirbt, sonst niemals. Neue Wörter haben kein solches Merkmal; sie können es höchstens durch Reanalyse erwerben. Irrig ist weiterhin die Vorstellung, daß autosegmentale Analysen von Harmonie-Prozessen nur für ausnahmsfreie Phänomene gemacht werden und von Vorteil sind. Erstens ist es völlig falsch, daß die Vokalharmonie in Sprachen wie Ungarisch keine Ausnahmen aufweist. Zweitens ergeben sich durch die Ana- lyse der verschiedenartigen Irregularitäten (transparente Vokale, blockierende Vokale, disharmonische Stämme) gerade die interessanten Argumente für oder gegen bestimmte Lösungen; vgl. etwa van der Hülst (1985), Ringen (1988). An- zufügen ist auch, daß die Annahme, daß Merkmale zugrundeliegend „freischwe- bend", d. h. nicht an ein Segment, sondern nur an ein Morphem gebunden sein können, in der Zwischenzeit noch mehrfach vertreten wurde, so von McCarthy (1986: 214f.) für Umlaut (!) im Rotuman (Austro-Thai-Sprache), von Pulley- blank (1988) für die Vokalmerkmale des Tiv (Niger-Kongo-Sprache) und von Vago (1988) für das Merkmal [hoch] im Vokalsystem des Pasiego (spanischer Dialekt).

6. Fazit

Ganz sicher ist, daß an den in einigen neueren Arbeiten gemachten Vorschlägen (wie z. B. an meiner Umlaut-Analyse) vieles zu verbessern, auszubauen und auch zu kritisieren ist. Wesentlicher für Scheutzens Unbehagen scheinen mir aber grundsätzliche Auffassungsunterschiede, die hier eine Rolle spielen. Der Hinter- grund zu Scheutzens Ablehnung meiner Überlegungen ist sicherlich eine andere Grundauffassung über die Natur der Phonologic. Der wichtigste Einzelaspekt \ scheint mir (neben der Rolle phonologischer Merkmale) die unterschiedliche;

Auflassung des Verhältnisses der Phonologic zur Morphologie zu sein: Sind;

diese beiden Bereiche strikt zu trennen oder können sie miteinander verzahnt · sein, so daß etwa auch morphologisch bedingte Alternationen durch phonologi- j sehe Regeln zu beschreiben sind? Insbesondere die „Lexikalische Phonologic" | nimmt die letztere Position ein; nur dann ist meiner Meinung nach eine Umlaut-:

beschreibung möglich, die die morphologischen und die phonologischen Fakten t gleichermaßen ernst nimmt und in einen systematischen Zusammenhang bringt.

(19)

'· Umlaut im Deutschen. Richtigstellungen 151

, l

; j Solche prinzipiellen Meinungsunterschiede werden die Diskussion in der Pho-

* j nologie weiter prägen. Ich hoffe aber gezeigt zu haben, daß sowohl die von einer Seite aus vorgeschlagenen generellen Modelle (etwa Nichtüneare Phonologie, Lexikalische PhonologiCi Unterspezifikationsmodelle) als auch die spezifischen Beschreibungsvorschläge nicht so leicht beiseitegelegt werden können, wie Scheutz es nahelegen mochte. Nicht erwehren kann ich mich schließlich des Eindrucks, daß die Kritik auch der Einstellung entspringt, Sprachwissenschaft- ler bestimmter Provenienz sollten gefalligst die Finger von der deutschen Spra- che (besonders in ihren älteren Formen) lassen und sich stattdessen (wenn über- haupt mit Daten) mit den exotischen Sprachen beschäftigen. Über diese Attitü- de läßt sich nicht mehr diskutieren.

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Eingereicht am 16.8.1989

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