• Keine Ergebnisse gefunden

Kriegstechnische Innovationen in den mittelalterlichen Deutschordenslanden Preußen und Livland

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Kriegstechnische Innovationen in den mittelalterlichen Deutschordenslanden Preußen und Livland "

Copied!
18
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Dieter Heckmann

Kriegstechnische Innovationen in den mittelalterlichen Deutschordenslanden Preußen und Livland

»Sie betasteten die Waffe an verschiedenen Stellen, endlich aber löste einer mit seinem Finger den Drücker aus, und die Sehne der Armbrust schnitt den Hals des Samländers vorn durch, so daß er nach kurzer Zeit starb. Deswegen fürchteten die Prußen Armbrüste seitdem sehr1

Mit diesen Worten beschreibt Peter von Dusburg im dritten Kapitel seiner Chronik des Preußenlandes die erste Untersuchung der ihnen nur in der Wirkung bekannten Fernwaffe durch die samländischen Prußen. Das Beispiel belegt nicht nur die Einführung der Armbrust durch den Deutschen Orden im Samland anlässlich der von den aufständischen Prußen belagerten Burg Königsberg im Jahre 1262. Es deutet vielmehr auch die rasche Bereitschaft des Kriegsgegners an, trotz Rück- schlägen technische Neuerungen zu übernehmen. Dies mag auf weitere Innovatio- nen, mit denen die Kreuzfahrer in Preußen und in Livland sich militärische Über- legenheit verschafften und langfristig zu sichern suchten, neugierig machen. Hiermit eng verknüpft ist die Frage nach Gegenmaßnahmen mit dem Zweck, diese Über- legenheit zu mindern, auszugleichen oder gar umzukehren. Antworten hierauf berühren die übergeordneten Bereiche der Taktik und der Strategie, die es in die folgende vergleichende Betrachtung östlich von Weichsel und Memel stets einzu- beziehen gilt.

Nach einer Skizze des Forschungsstandes soll von daher zunächst versucht werden, zumeist an Hand einschlägiger Quellen zu der Eroberungsphase Livlands und Preußens einige strategische und taktische Neuerungen in diesen beiden Deutschordenslanden vorzustellen oder wenigstens besser als bisher bekannt zu machen. Besondere Gegebenheiten oder Bedürfnisse wie feindliche Gegenmaß- nahmen führten freilich nicht selten dazu, dass solche Neuerungen Veränderungen erfahren oder gar zu eigenständigen Entwicklungen geführt haben. Deswegen gilt es im zweiten Schritt, Beispiele solcher Veränderungen aufzuzeigen. Im dritten Schritt soll der Frage nachgegangen werden, ob oder gegebenenfalls in welcher Weise die Ordenslande Innovationen nach außen vermittelt haben. Hierbei soll besonders die Vermittlung von Neuerungen von Osten nach Westen im Blickfeld stehen. In Rahmen dieser Untersuchung soll allerdings die Behandlung des Elitesoldatentums wegen seiner Vielschichtigkeit im strategischen und taktischen Bereich weitgehend ausgeklammert bleiben.

Peter von Dusburg, Chronik des Preussenlandes. Übers, und erl. von Klaus Scholz und Dieter Wojtecki, Darmstadt 1984, cap. III, 105, hier nach der Übersetzung auf S. 227.

Militärgeschichtliche Zeitschrift 65 (2006), S. 113-129 © Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam

(2)

114 MGZ 65 (2006)

Zum Forschungsstand

Dieter Heckmann

Die ältere Forschung hat bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges2 ihren Schwerpunkt auf die Ursachen, den Verlauf und die Auswirkungen der Schlacht von Tannenberg von 1410 gelegt. Diese gilt nämlich bis heute nicht nur als eine der bedeutendsten Kriegsereignisse des europäischen Spätmittelalters, sondern lieferte vor allem für Deutsche, Polen und Litauer national-ideologischen Sprengstoff. Seiner Entschär- fung hat nach dem Kriege der schwedische Mediävist Sven Ekdahl3 beinahe seine ganze Forscherkraft gewidmet. Die internationale Anerkennung von Ekdahls Ergeb- nissen beruht in hohem Maße auf der Sicherung und Verbreiterung der Quellen- grundlage insbesondere dank der Bestände des Hochmeisterarchivs, die er behut- sam auswertet, um so zu möglichst objektiven Urteilen zu gelangen. Richtungs- weisend wurden bislang vor allem seine drei Monographien »Die Banderia Prute- norum des Jan Dlugosz« von 1976, »Die Schlacht bei Tannenberg 1410« von 1982 und »Das Soldbuch des Deutschen Ordens 1410/1411« von 19884. Die Beschäftigung mit der Schlacht von Tannenberg erfordert freilich auch die Beantwortung vieler einzelner Fragen, wie zum Beispiel die nach der Rolle des Pferdes, dem Einsatz von Fernwaffen, der Aufnahme von Söldnern und der taktischen Flucht. Auch

2 Siehe dazu Ernst Wermke, Bibliographie der Geschichte von Ost und Westpreußen (bis 1929), Neudr. Aalen 1962; [T. 2:] Für die Jahre 1930-1938, Aalen 1964; [T. 3:] Für die Jahre 1939-1970, Bonn, Godesberg 1974; [T. 4:] Für die Jahre 1971-1974, Marburg/Lahn 1978;

für die Berichtsjahre 1977-1980 besteht eine Auswahlbibliographie von Bernhart Jähnig.

In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung (ZfO), 26 (1977), S. 157-172, 27 (1978), S. 175-190, 28 (1979), S. 229-343,29 (1980), S. 155-171; Henryk Baranowski und Werner Tannhof, Bibliographie zur Geschichte von Ost- und Westpreußens 1981-1986. Unter Mitarb. von Kolja Alecsander Lötz, Marburg 2003 (= Bibliographien zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas, 32); Heinrich Mrowka und Urszula Zaborska, Biblio- graphie der Geschichte von Ost- und Westpreußen 1994, Marburg 1996 (= Bibliographien zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas, 17); Eligiusz Janus und Urszula Zaborska, Bibliographie der Geschichte von Ost- und Westpreußen 1995, Marburg 1999 (= Bibliographien zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas, 23); Eligiusz Janus und Urszula Zaborska, Bibliographie der Geschichte von Ost- und Westpreußen 1996, Marburg 2002 (= Bibliographien zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas, 29); Csaba Jänos Kenez und Urszula Zaborska, Bibliographie der Geschichte von Ost- und Westpreußen 1997, Marburg 2004 (= Bibliographien zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas, 33); die Lücken sind über die bibliographischen Angaben in der Zeit- schrift »Zapiski Historyczne« zu schließen.

3 Eine knappe, aber sehr nützliche Bewertung der älteren Forschung vermittelt Sven Ekdahl, Die Schlacht von Tannenberg und ihre Bedeutung in der Geschichte des Ordensstaates, Deutsche Ostkunde. In: Vierteljahresschrift für Wissenschaft, Erziehung und Unterricht, 35 (1989), S. 63-80, hier: S. 71-75.

4 Sven Ekdahl, Die Banderia Prutenorum des Jan Dhigosz - eine Quelle zur Schlacht bei Tannenberg 1410. Untersuchungen zu Aufbau, Entstehung und Quellen wert der Handschrift. Mit einem Anhang: Farbige Abbildungen der 56 Banner, Transkription und Erläuterungen des Textes, Göttingen 1976 (= Α AG. Philologisch-Historische Klasse. Dritte Folge, 104); Sven Ekdahl, Die Schlacht bei Tannenberg 1410. Quellenkritische Untersuchungen. Bd 1: Einführung und Quellenlage, Berlin 1982 (= Berliner Historische Studien, Reihe 8,1); Das Soldbuch des Deutschen Ordens 1410/1411. Die Abrechnungen für die Soldtruppen, Τ. 1. Mit erg. Quellen bearb. und ed. von Sven Ekdahl, Köln, Wien 1988 (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz, 23/1).

(3)

hierzu hat Ekdahl den Löwenanteil der Beiträge geliefert5. Die herausragende Be- deutung, die die Schlacht von Tannenberg in der Forschung einnimmt, soll jedoch nicht den Blick auf andere Kriegsereignisse im Deutschordensland Preußen ver- stellen. Hierbei spielt die Beschäftigung mit dem Dreizehnjährigen Krieg, den der Abfall der preußischen Stände vom Orden im Jahre 1454 ausgelöst hatte, vor allem in der deutsch-polnischen Forschungsdiskussion eine große Rolle6. Insbesondere geht es dabei um die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit die schon in der Or- denschronistik als Verrat und Treuebruch gegeißelte Absage der Stände von Orden und Hochmeister und ihre Unterstellung unter die Krone Polens durch ein stän- disches Widerstandsrecht zu rechtfertigen seien. Teilweise auf der Grundlage neuer Quellenfunde aus dem Thorner Stadtarchiv7 hat aus polnischer Sicht Marian Biskup im Jahre 1967 eine umfangreiche Monographie vorgelegt8, der bis heute ihr deut- sches Pendant9 fehlt. In dieser Arbeit nehmen die Bewaffnung und die taktische Kriegführung mit der Schilderung von Belagerungen, des Verlaufs der Schlachten bei Könitz10 und Schwetzin sowie der vielen Scharmützel breiten Raum ein. Wie zur

5 Hier sei lediglich auf folgende Beiträge verwiesen: Sven Ekdahl, Das Pferd und seine Rolle im Kriegswesen des Deutschen Ordens. In: Das Kriegswesen der Ritterorden im Mittelalter. Hrsg. von Zenon H. Nowak, Toruii 1991 (= Ordines militares Colloquia Torunensia Historica, 6), S. 29-47; Sven Ekdahl, Die Armbrust im Deutschordensland Preussen zu Beginn des 15. Jahrhunderts. In: Fasciculi archaeologiae historicae V. Hrsg.

von Andrzej Nadolski, Lodz 1992, S. 17-48; Sven Ekdahl, Soldtruppen des Deutschen Ordens im Krieg gegen Polen 1409. In: Fasciculi archaeologiae historicae XV. Hrsg. von Tadeusz Poklewski-Kozieft, Lodz 2002-2003, S. 47-64; Sven Ekdahl, Die »Flucht der Litauer in der Schlacht bei Tannenberg«. In: Das Problem der Entmythologisierung der nationalen Geschichtsschreibung über die Schlacht bei Tannenenberg. Hrsg. von Vincas Bartusevicius, Lampertheim 1999, S. 147-180.

6 Eine gelungene Zusammenfassung der Kriegsursachen bietet Jürgen Sarnowsky, Die ständische Kritik am Deutschen Orden in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. In: Das Preußenland als Forschungsaufgabe. Festschrift für Udo Arnold zum 60. Geburtstag.

Hrsg. von Bernhart Jähnig und Georg Michels, Lüneburg 2000 (= Einzelschriften der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, 20), S. 403-422.

7 Ksiega dhigow miasta Torunia ζ okresu wojny trznastoletniej [Das Schuldbuch der Stadt Thorn aus der Zeit des Dreizehnjährigen Krieges]. Hrsg. von Karola Ciesielska und Irena Janosz-Biskupowa, Torun 1964 (= Towarzystwo Naukowe w Toruniu, Fontes 55); Ksiega zoldu zwi^zku pruskiego ζ okresu wojny trzynastoletniej 1454-1456 [Das Soldbuch des Preußischen Bundes aus der Zeit des Dreizehnjährigen Krieges]. Hrsg. von Antoni Czacha- rowski, Torun 1969 (= Towarzystwo Naukowe w Toruniu, Fontes, 61).

8 Marian Biskup, Trzynastoletnia wojna ζ Zakonem Krzyzackim 1454-1466 [Der Dreizehn- jährige Krieg mit dem Deutschen Orden 1454-1466], Warszawa 1967 (= Wojskowy Instytut History czny).

9 Es liegen lediglich Ansätze vor wie der von Cord Ulrich, Der 13jährige Krieg zwischen dem Deutschen Orden und dem preußischen Städtebund im Spiegel der »Geschichte von wegen eines Bundes« und anderer Chroniken. In: Krieg und Verbrechen nach spät- mittelalterlichen Chroniken. Hrsg. von Christoph Heiduk, Almut Höfert und Cord Ulrichs, Köln [u.a.] 1997 (= Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter, N.F., 4), S. 185-241; bereits die orthographische Wiedergabe des Titels »von wegen eines Bundes«

statt »von Wegen eines Bundes« lässt erkennen, dass der Verfasser die Intention des entsprechenden Chronisten nur teilweise verstanden hat, siehe: Marie-Luise Heckmann, Krieg und historische Erinnerung in landesherrlichen und städtischen Milieu des Hanseraumes. In: Das Bild und die Wahrnehmung der Stadt und der städtischen Gesellschaft im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Hrsg. von Roman Czaja, Torun 2004, S. 115-162, hier S. 143.

10 Siehe dazu auch Jan-Erik Beuttel, Zur Stellung der Stadt Könitz gegenüber dem Deutschen Orden in der Zeit des Dreizehnjährigen Krieges (1454-1466). In: Beiträge zur Geschichte Westpreußens, 14 (1991), S. 117-168.

(4)

116 MGZ 65 (2006) Dieter Heckmann Vorbereitung veröffentlichte Biskup bereits 1953 sein Bändchen über den Einsatz der Danziger Kaperflotte im Dreizehnjährigen Krieg11 und schärfte damit den Blick für den Seekrieg. Andere Kriegsereignisse wie die Schlachten an der Strebe von 134812 oder bei Rudau von 137013 fanden dagegen weit weniger Beachtung. Zu den besonderen Verdiensten von Friedrich Benninghoven gehört es hingegen, wieder deutscherseits zu strategischen Fragestellungen angeregt zu haben. Den Auftakt setzte er mit der Beschreibung der amphibischen Operationen gegen Gotland und der Besetzung der Ostseeinsel durch den Deutschen Orden zwischen 1398 und 1409. Es folgten in den Jahren 1970 und 1976 seine wegweisenden Aufsätze »Zur Technik spätmittelalterlicher Feldzüge im Ostbaltikum« und »Die Burgen als Grund- pfeiler des spätmittelalterlichen Wehrwesens im preußisch-livländischen Deutsch- ordensstaat«14, die zum großen Teil auf den Ergebnissen eigener Grundlagenfor- schung15 aufbauen konnten.

Die Einbeziehung Livlands16 in Benninghovens Untersuchungen beruht auf keinem Zufall, denn schon seine Hamburger Dissertation von 1961 mit dem unver- dächtigen Titel »Rigas Entstehung und der frühhansische Kaufmann« lässt sich - bedingt durch die Quellenlage - in weiten Teilen als kriegsgeschichtliche Abhand- lung auffassen. Zu endgültigem internationalen Durchbruch verhalf ihm seine 1965 erschienene Monographie über den Orden der Schwertbrüder. Sie ist bis heute unbestrittener Standard geblieben. Erst ihr lateinischer Untertitel »Fratres milicie Christi de Livonia« lässt durchscheinen, dass es sich bei diesem Werk um eine Kriegsgeschichte Altlivlands von den Anfängen bis zur Verschmelzung des Schwert- brüderordens mit dem Deutschen Orden im Jahre 1237 handelt17. Insofern hat

11 Marian Biskup, Gdanska flota kaperska w okresie wojny trznastoletniej [Die Danziger Kaperflotte während des Dreizehnjährigen Krieges], Gdansk 1953 (= Bibliotheka Gdanska, seria monografii, 3).

12 Bernhart Jähnig, Die Schlacht an der Strebe zu Mariä Lichtmess 1348. In: Ostdeutsche Gedenktage, 1998 (1997), S. 304-310.

13 Zenonas Ivinskis, Rüdava [Rudau]. In: Lietuviy Enciklopedija, 26 (1961), S. 56-58.

14 Friedrich Benninghoven, Die Gotlandfeldzüge des Deutschen Ordens 1398-1409. In: ZfO, 13 (1964), S. 421-477; Friedrich Benninghoven, Zur Technik spätmittelalterlicher Feldzüge im Ostbaltikum. In: ZfO, 19 (1970), S. 631-651; Friedrich Benninghoven, Die Burgen als Grundpfeiler des spätmittelalterlichen Wehrwesens im preußisch-livländischen Deutsch- ordendsstaat. In: Die Burgen im deutschen Sprachraum. Ihre rechts- und verfassungs- geschichtliche Bedeutung. Hrsg. von Hans Patze, Sigmaringen 1976 (= Vorträge und For- schungen, 19), S. 565-601.

15 Als Pars pro Toto hier nur Friedrich Benninghoven, Die Kriegsdienste der Komturei Danzig um 1400. In: Acht Jahrhunderte Deutscher Orden. Festschrift für P. Marian Turnier.

Hrsg. von Klemens Wieser, Bad Godesberg 1967 (= Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 1), S. 191-222.

16 Zum Schrifttum siehe Eduard Winkelmann, Bibliotheca Livoniae historica, 2. Aufl., Berlin 1878 (Ndr. Hildesheim 1969); Evald Blumfeldt und Nigolas Loone, Bibliotheca Estoniae historica 1877-1917, Köln 1987 (unter Berücksichtigung der livländischen Literatur); für die Berichtsjahre 1918-1940 liegt das ungedruckte Material in Manuskriptform in Dorpat/Tartu vor; die Berichtszeit von 1945 bis 1977 hat Hellmuth Weiss in der »Baltischen Bibliographie« in der ZfO erfasst, die Paul Kaegbein in derselben Zeitschrift bis zum Berichtsjahr 1993 fortgeführt hat. Derselbe führt seitdem die »Baltische Bibliographie« in monographischer Gestalt in der vom Herder-Institut herausgegebenen und verlegten Reihe »Bibliographien zur Geschichte und Landeskunde Ostmitteleuropas« weiter.

17 Friedrich Benninghoven, Rigas Entstehung und der frühhansische Kaufmann, Hamburg 1961; Friedrich Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder. Fratres militiae Christi de Livonia, Köln, Graz 1965 (= Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart, 9).

(5)

Benninghoven für die Erforschung des livländischen Kriegswesens eine mindestens ebenso herausragende Bedeutung wie Ekdahl für die preußische. Jenem kam aller- dings zustatten, dass die kriegsgeschichtliche Forschung Altlivlands in geringerem Maße als die preußische durch ideologischen Ballast behindert war18.

Strategische Neuerungen

Der Kampf gegen die heidnischen Völker an der nördlichen und östlichen Ostsee fand im Rahmen der allgemeinen europäischen Kreuzzugsbewegung statt. Dabei spielten allerdings Handels- und ma^htpolitische Beweggründe von Anfang an eine nicht zu unterschätzende Rolle. Erstes Ziel der christlichen Angreifer aus dem Westen war die Gewinnung von operationellen Stützpunkten in geschützter und verkehrgünstiger Lage. Deshalb setzte der Deutsche Orden in Preußen im unteren Weichseltal in der Nähe der späteren Stadt Thorn an. In Livland erfüllte die Gegend an der unteren Düna um das nachmalige Riga für die Kaufleute und bewaffneten Pilger, aus deren Mitte im Jahre 1202 der Schwertbrüderorden hervorgehen sollte, ähnliche Bedingungen19. Zu den Voraussetzungen für eine dauerhafte Festsetzung gehörten allerdings eine mehr oder weniger sichere und regelmäßige Versorgung sowie der Bau von Befestigungen, die die Verteidiger in den Stand setzten, sich sogar gegen eine große Überzahl von Angreifern zu behaupten. Um diese Voraus- setzungen umzusetzen, kamen technische Neuerungen zum Einsatz, wie zum Beispiel der Koggen als neu entwickelter Schiffstyp20. Koggen waren nicht nur als Transport-, sondern auch als Kampfschiffe den einheimischen Seefahrzeugen wie den kurischen und estnischen vom Typ »Pyratica« derart überlegen, dass die Christen mit ihrer Hilfe allmählich die Seeherrschaft auf der östlichen Ostsee21

erlangten. Der zeitnah schreibende livländische Chronist Heinrich von Lettland berichtet in seinem Werk von einer Reihe von Ereignissen, die den nutzbringenden Einsatz von Koggen vor Augen führen. So soll es im Herbst 1204 der Besatzung eines einzigen Koggen gelungen sein, den Angriff einer estnischen Flotte aus zehn

»Pyraticae« und zwölf anderen Schiffen erfolgreich abzuwehren22. Und im Jahre

18 Carl August Lückerath, Säule/Schaulen. Schlacht vom 22. Sept. 1236. In: LMA, Bd 7, München, Zürich 1995, Sp. 1405; Audrius Radzevicius, Karines organizacijos vieta ikikrikScioniSkoje Lietuvos visuomeneje [Militärorganisation in der vorchristlichen Gesellschaft Litauens]. In: Kultüros istorijos tyrinejimai, 3 (1997), S. 64-89; Darius Baronas, Apie Lietuvos Didziosios KunigaikStystes karini potencial^ artilerijos poziüriu [Der Artilleriepark des Großherzogtums Litauen in der des Mitte 16. Jhs.]. In: Lietuvos istorijos metraStis, 1997 (1998), S. 51-75; Zigmantas Kiaupa, Worskla (von 1399). In: LMA, Bd 9, . München, Zürich 1998, Sp. 338.

19 Hartmut Boockmann, Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte, München 1981, S. 93; Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 17), S. 51.

20 Paul Heinsius, Das Schiff der hansischen Frühzeit, 2. Aufl., Weimar 1986 (= Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, N.F., 12), S. 75.

21 Ebd., S. 53.

22 Heinrici chronicon Livoniae. Bearb. von Leonid Arbusow und Albert Bauer, 2. Aufl., Hannover 1955 (= MGH. SRG in us. schol., 31), cap. VIII, 3: Quorum res et vitam Estones auferre volentes cum decern pyraticis et duodecim aliis navibus in eos invehuntur.

(6)

1 1 8 M G Z 6 5 ( 2 0 0 6 ) Dieter Heckmann

Der Deutsche Orden in Preußen und Livland

Finnland

Alands- Inseln

Harrier*

Stockholm

Arwsburg

Isborsk Gotland

.1398-1407/08 D.O.

Memel1252i

1322LauenbutgV\

r~ Danzig 10. Jh.

j Bütow.1329 (

• Pommerelien|

1309/13 A Mewe 1283 I Maqenwerder 1233A

Krewo

<ζ\ Angerburg * \ Lyck 1398 ^

Nakel

horn 1231 ; Dobrini

\..(1405):. Masowien

Leslai

KGR. POLEN Warschau

GRFSM.

Kiemow O. Bayerbwg.1337-Hp V 0

enhurn' ·' Kauen (KaunasK

y/ / 1383-1404 z.D.O\J

\ '' α

ο

Darkehmen..J \ Troki

LITAUEN

D. = Bm. Dorbat Ö. = Bm. Ösel-Wiek Ε. = Bm. Ermland P. = Bm. Pomesanien K. = Bm. Kurland R. = Erzbm. Riga Km. = Bm. Kulm S. = Bm. Samland

Gebiet des Deutschen Ordens bis 1309 Gebiet der Bischöfe 1309 und spätere Erwerbungen Grenze des Ordensstaates 1398

• Marienburg (1309-1457 Hochmeister) Jahreszahlen bei Orten bezeichnen die Gründung

Spätere Erwerbungen des Deutschen Ordens Stadtmark von Riga (bis 1330 zu Ebm. Riga, 1330 zum Deutschen Orden)

Grenze des Ordensstaates 1422 Zeitweise beherrschtes Gebiet

Quelle: Peter Moraw, Von offenerVerfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250

bis 1490, Berlin 1985 (= Propyläen Geschichte Deutschlands, Bd 3), S. 199. © MGFA 05187-05

(7)

1206 habe der Priester Daniel zwei bis zum Rand mit Getreide und anderen notwen- digen Dingen beladene Koggen von Gotland nach Riga geführt, um die ausgezehr- ten Stadtbewohner zu versorgen23. Auch bei der Eroberung von Preußen leisteten Schiffe wertvolle Dienste. Peter von Dusburg berichtet, dass Markgraf Heinrich von Meißen im Jahre 1234 an der Spitze eines 500 Kämpfer zählenden Kreuzfahrer- heeres in Preußen eingetroffen sei und dort unverzüglich mit dem Bau von duas naves bellicas, also von zwei Kriegsschiffen, mit den Namen Pilgerim und Vridelant begonnen habe. Mit ihrer Hilfe habe der Deutsche Orden nicht nur seine Burgen Elbing und Balga erbaut, sondern die Schiffe seien auch dazu genutzt worden, um das Frische Haff nachhaltig von den Angriffen der Ungläubigen zu säubern. Erst nach vielen Jahren seien die beiden Fahrzeuge außer Dienst gestellt und im Drausen- see versenkt worden24. Die letzte Bemerkung lässt besonders aufhorchen. Der Chro- nist scheint hier nämlich anzudeuten, dass der Orden großen Wert auf die Hütung eines technologischen Vorsprungs legte.

Ein nicht minder wichtiger Vorsprung bestand in der Kunst, Befestigungen aus Stein aufzuführen. So versprach bereits im Jahre 1185 der Segeberger Kaufmanns- priester und Missionar Meinhard den Liven aus Üxküll, eine steinerne Burg errich- ten zu lassen, wenn sie sich dafür taufen ließen. Nachdem die Liven sich zunächst darauf eingelassen hatten, führte Meinhard im Sommer des darauffolgenden Jahres Steinmetze aus Gotland herbei, die die erste Üxküller Steinburg errichteten25. Die Sensation, die dieses Bauwerk damals auslöste, lässt sich an einer Anekdote ermes- sen, von der Heinrich von Lettland im Anschluss an den Burgenbau erzählt. Als nämlich die benachbarten Semgaller Letten von der neuen Burg erfahren hätten, seien sie mit einer großen Anzahl von Schiffen vor Üxküll erschienen und hätten mit langen Tauen vergeblich versucht, die Befestigung in die Düna zu ziehen. Nach- dem viele von ihnen von Armbrustschützen verwundet worden seien, hätten sie sich schließlich unter großen Verlusten zurückgezogen26. Der Verzicht auf steinerne Befestigungen, der in der Anfangsphase der Eroberung Preußens üblich war27, barg dagegen große Gefahrenquellen in sich. Er zwang die Besatzung, sichere Rückzugs- oder Fluchtmöglichkeiten einzuplanen. Das Beispiel von Alt Thorn mag dies veran- schaulichen. Nach Peter von Dusburg hat der erste Landmeister des Deutschen Ordens in Preußen, Hermann Balk, im Jahre 1231 mit Hilfe Herzog Konrads von Masowien die Burg Alt Thorn am östlichen Weichselufer gegenüber von Nessau an der Stelle einer prußischen Befestigung angelegt. Kern der Burg war eine mächtige Eiche, die durch Schutzwehren und sonstige Befestigungen vor Angriffen gesichert

23 Ebd. cap. X, 9: Erat eodem tempore fames et penuria cibariorum in civitate magna, et misit Deus sacerdotem quendam episcopi Danielem de Gothlandia cum duobus coggoni- bus, impletis usque ad summum annona et similibus, que necessaria erant. Weitere Bei- spiele bei Heinsius, Das Schiff (wie Anm. 20), S. 91.

24 Dusburg, Chronik (wie Anm. 1), cap. III, 14, hier nach der Übersetzung auf S. 117.

25 Heinrici chronicon Livoniae (wie Anm. 22), cap. 1,5: Quibus castra fieri pollicetur, si filii Dei censeri et esse decreverint. Placet et promittitur et, ut baptismum recipiant, iuramento firmatur; cap. 1,6: Igitur estate proxima a Gothlandia lapicide adducuntur [...] Ergo muri a fundamentis exsurgunt.

26 Ebd., cap. 1,6: Eo tempore Semigalli, pagani vicini, audita lapidum constructione, ignoran- tes eos cemento mediante firmari, cum magnis funibuis navium venientes, putabant se stulta sua opinione Castrum in Dunam trahere, sed a balistariis vulnerati dampna reportan- tes abierunt.

27 Benninghoven, Die Burgen als Grundpfeiler (wie Anm. 14), S. 572.

(8)

120 MGZ 65 (2006) Dieter Heckmann wurde. Überdies hielten die sieben Ordensbrüder der Burgmannschaft ständig Boote in Bereitschaft, um sich in höchster Gefahr über die Weichsel nach Nessau retten zu können. Die Eichenburg blieb freilich vor ihrer Bewährungsprobe ver- schont. Den Ordensbrüdern gelang es nämlich ziemlich rasch, die untereinander uneins gebliebenen Prußen aus den benachbarten Befestigungen zu besiegen28. Nichtsdestoweniger behauptete die Baumburg in der Selbstdarstellung des Deut- schen Ordens ihren festen Platz, wie es das um 1600 entstandene Gemälde im Stadt- museum zu Sterzing in Tirol nahelegt29.

Die Kreuzfahrerheere, die mit Unterstützung von Hansekaufleuten unter Füh- rung des Deutschen Ordens Preußen eroberten, gingen planmäßig vor. Entlang der östlichen Wasserwege von der unteren Weichsel über das Weichselmündungs- gebiet bis zur Pregelmündung reihten sie befestigte Stützpunkte wie Perlen an eine Schnur. So folgte auf die Gründung von Thorn im Jahre 1231 die von Kulm, Marien- werder, Elbing, Balga und Königsberg in den Jahren 1232,1233,1237,1238 und 125530. Von diesen Stützpunkten stießen sie in den darauf folgenden Jahrzehnten entlang der Verkehrswege ins Landesinnere vor, die sie sogleich durch die Anlage von weiteren Befestigungen zu sichern suchten31. Freilich drohten die Gewinne im Verlauf mehrerer Prußenaufstände zwischen 1242 und 1283 beinahe gänzlich verloren zu gehen. Die Aufständischen, die von Pommerellen und besonders von den benachbarten heidnischen Litauern tatkräftige Unterstützung erhielten, warfen nämlich den Orden zeitweilig bis in seine Ausgangsstellungen zurück32. Hier rächte sich der Mangel an Steinburgen33, den der Orden erst im Zuge der Rückeroberung von 1260 an nach und nach behob34.

Auch in Livland folgte der Burgenbau den großen Verkehrswegen. Bis zum Jahr 1210 entstanden so entlang der Düna die Burgen zu Dünamünde, Riga, Holme, Üxküll, Lennewarden und Kokenhusen und an der Livländischen Aa im selben Zeitraum die Burgenkette von Segewold-Treiden-Wenden35. Sowohl in Livland als auch in Preußen war der Burgenbau mit Besiedlungsvorgängen verbunden. Bei jeder Burg entstanden Städte oder stadtähnliche Siedlungen, in die zumeist Zuzügler aus dem Deutschen Reich zusammenströmten, wobei die Niederdeutschen Livland und die küstennahe Orte in Preußen und die Hochdeutschen das preußische

28 Dusburg, Chronik (wie Anm. 1), cap. III, 1 und III, 7.

29 800 Jahre Deutscher Orden. Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg in Zusammenarbeit mit der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens, Gütersloh 1990, Abb. III.4.4 und S. 156 f.

30 Gerard Labuda, Entstehung und Entwicklung des Deutschordensstaates in Preussen. In:

Die Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen. Hrsg. von Marian Biskup und Gerard Labuda, Osnabrück 2000 (= Deutsches Historisches Institut Warschau; Klio in Polen, 6), S. 161-185, hier: S. 163-166.

31 Benninghoven, Die Burgen als Grundpfeiler (wie Anm. 14), S. 569.

32 Labuda, Entstehung und Entwicklung (wie Anm. 30), S. 166-209.

33 Eine der wenigen Ausnahmen bildet die im Jahre 1255 errichtete Burg Königsberg, die nach Dusburg, Chronik (wie Anm. 1), cap. III, 72, mit neun Steintürmen bewehrt und von einem doppelten Mauerkranz umgeben war.

34 Benninghoven, Die Burgen als Grundpfeiler (wie Änm. 14), S. 572.

35 Ebd., S. 567.

(9)

Binnenland bevorzugten36. Allerdings entstanden nur in Livland Städte mit beson- derem Befestigungscharakter, nämlich die so genannten »Städte auf dem Schilde«

Kokenhusen, Wolmar und Fellin. Damit sind Siedlungen gemeint, die sich trapez- förmig an eine Burg anschließen und ihre Vorbilder in den Anlagen von Lippstadt, Wolfhagen, Trendelburg und anderen Städten aus dem von Soest bis nach Kassel reichenden Herkunftsgebiet der Schwertbrüder haben. Die Planungen lassen sich - wie Benninghoven glaubhaft machen kann - auf das Zusammenwirken der Schwertbrüder und des ehemaligen Feldherrn Heinrichs des Löwen und späteren Abts von Dünamünde, Bernhard II. zur Lippe, zurückführen37. Kokenhusen, Wolmar und Fellin wurden später ausgebaut und gehörten zum livländischen Ver- teidigungssystem, das in seinem Kern sogar den Russenstürmen während des großen livländischen Krieges von 1559 bis 156138 standhalten konnte.

Bei der Absicherung der ländlichen Gebiete durch Siedlungsmaßnahmen be- schritten die Landesherren in Livland und Preußen allerdings verschiedene Wege.

Während die preußischen Landesteile unterschiedlich stark von deutschen Bauern- siedlern durchdrungen wurden39, fehlte die deutsche Bauernsiedlung in Livland fast völlig. Stattdessen setzten sich in den dortigen ländlichen Gebieten zumeist Ritterbürtige aus dem Verwandten- und Freundeskreis der Ordensbrüder und der anderen geistlichen Herren als Lehensleute fest40. Mit den einheimischen Groß- bauerngeschlechtern verschmolzen sie allmählich zum deutsch-baltischen Adel.

Die Beantwortung der Frage, ob oder inwieweit den von ihnen errichteten festen Wohnsitzen Aufgaben bei der Landesverteidigung zugewiesen waren, ist freilich noch offen.

Taktische Neuerungen

Zu den taktischen Innovationen der Kreuzfahrer gehörten neuartige, in ihrer Wir- kung bisher unbekannte Fernwaffen ebenso wie neue oder verbesserte Schutz- waffen. Die eingangs erwähnte Furcht der Prußen vor der Armbrust hatte ihren Grund nicht nur in der Durchschlagkraft der Bolzen, die im Vergleich zu der von

36 Zur Besiedlung Preußens und Livlands siehe: Zur Siedlungs-, Bevölkerungs- und Kirchen- geschichte Preußens, Lüneburg 1999 (= Tagungsberichte der Historischen Kommission für ost- und westpreußische Landesforschung, 12); und Heinz von zur Mühlen, Livland von der Christianisierung bis zum Ende seiner Selbständigkeit (etwa 1180-1561). In:

Deutsche Geschichte im Osten Europas. Baltische Länder. Hrsg. von Gert von Pistohlkors, Berlin 1994, S. 101-129, mit jeweils weiterführender Literatur.

37 Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 17), S. 29-33 und S. 50 f.

38 Karl von Löwis of Menar, Burgenlexikon für Alt-Livland, Riga 1922, S. 71 f. (Kokenhusen), S. 126 f. (Wolmar) und S. 57 f. (Fellin).

39 Dazu siehe: Karl Kasiske, Die Siedlungstätigkeit des Deutschen Ordens im östlichen Preußen bis zum Jahre 1410, Königsberg 1934 (= Einzelschriften der Historischen Kom- mission für ost- und westpreußische Landesforschung, 5).

40 Kennzeichnend ist z.B. die Forderung des Hochmeisters an den neuen Meister in Livland von 1413, nicht mehr so viele Verwandte und Freunde, sondern auch Zuzügler nichtwest- fälischer Zunge ins Land zu lassen, siehe: Dieter Heckmann, Zum Leben und Wirken des livländischen Ordensmeisters Dietrich Torek (1413-1415). In: BDLG, 133 (1997), S. 169-198, hier S. 180-183.

(10)

122 MGZ 65 (2006) Dieter Heckmann

Pfeilen aus den bis dahin üblichen Reflexbögen gewaltig war. In Schwärmen abge- schossen, konnten die Bolzen unter den Gegnern und ihren Pferden vor allem dann leicht Verwirrung stiften, wenn sich unter den Geschossen eine erkleckliche Anzahl von Heulbolzen befand. Sven Ekdahl hat deshalb vor diesem Hintergrund die bis- her noch unbeantwortet gebliebene Frage stellen können, ob im Heidenkampf in Preußen und Livland die Armbrust sogar eine größere Bedeutung gehabt habe als Schwert und Lanze41.

Im Gegensatz zur Armbrust waren die ebenfalls eingeführten Schleuder- maschinen Geräte, die von mehreren Personen zu bedienen waren. Ihre Anzahl war von Größe und Art der Maschine abhängig. Bereits im Jahre 1206 kamen in Livland Patherellen genannte Wurfgeschütze anlässlich der Belagerung der Liven- burg Treiden zum Einsatz. Mit ihrer Hilfe schleuderten die angreifenden Kreuzfahrer Steine und Feuer in die Burg und konnten so die Besatzung zur Übergabe zwingen42. Die sonst als petrariae bekannten Patherellen gingen auf antike Vorbilder zurück.

Unter diesen Bilden sind verhältnismäßig kleine Maschinen zu verstehen, mit denen sich üblicherweise Steine von 20 kg bis 30 kg Gewicht bis zu 225 m weit verschießen lassen43. Die Einführung der Gegengewichtsblide kam dagegen einem Quanten- sprung in der Entwicklung gleich. Dieser aus dem westlichen Mittelmeergebiet stammende Werfer fand besonders als Mauerbrecher Verwendung. In Livland hat der Kreuzfahrer Herzog Albrecht von Sachsen die lateinisch als trabucium/trebuchium und mittelhochdeutsch als »dribok« bezeichnete Waffe bei der Belagerung der Burg Mesoten im südöstlichen Semgallen im Winter 1220 zum ersten Mal eingesetzt.

Die technische Neuerung bestand darin, dass der Werfer mit einem großen Ge- wichtskasten am kurzen Hebelarm ausgerüstet war. Sonst war der Schleuderbalken wie der der Patherellen in einem Gerüst drehbar gelagert. Gegengewichtsbliden wurden in der Regel von rund fünfzig Mann bedient. Sie konnten je nach Größe Steine von 100 kg bis 1400 kg verschleudern44. Heinrich von Lettland beschreibt anschaulich die Wirkung der Geschosseinschläge, die das von Herzog Albrecht in Gang gesetzte Geschütz verursachte. Mit dem ersten Stein, den Albrecht schleuderte, zerschmetterte er einen Erker der Burg, die Wucht des zweiten Aufschlages ließ Balken und Planken einstürzten und mit dem dritten Geschoss zerfetzte der Herzog drei große Bäume der Befestigung. Danach hätten die Belagerten umgehend um Frieden gebeten45.

41 Ekdahl, Die Armbrust im Deutschordensland (wie Anm. 5), S. 18 f.

42 Heinrici chronicon Livoniae (wie Anm. 22), cap. X, 9: [...] christiani [...] patherellis ignem et lapides in Castrum proiciunt, balistarii quam plures in munitione vulnerant, unde post occisionem tantorum iam se defendere non sufficiunt.

43 Philippe Contamine, War in the Middle Ages, Oxford 1986, S. 103.

44 Ebd., S. 103, und Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 17), S. 161.

45 Heinrici chronicon Livoniae (wie Anm. 22), cap. 23,8: Fit ipse dux rector machine, proiecit lapidem primum et erkerum ipsorum et viros in eo comminuit; proiecit secundum et plancas cum lignis munitionis in terram deiecit; proiecit tertium et arbores tres magnas munitionis perforando constringit hominesque ledendo concutit. Quo viso castrenses de munitione fugiunt, loca tutiora adire querunt, sed refugium non habentes veniam petunt, ut ad episcopum descendunt, supplicant.

(11)

Kriegsmaschinen fanden auch in Preußen Verwendung. Der erste nachweisbare Einsatz von solchen Maschinen ist zum Jahr 1243 belegt. Dabei gilt es hervorzu- heben, dass es nicht der Deutsche Orden war, der sie zuerst gebraucht hat, sondern einer seiner Gegner. Nach Peter von Dusburg habe nämlich Herzog Swantopolk von Pommerellen unter anderem cum instrumentis bellicis versucht, seine kurz vorher von Ordenstruppen mittels Leitern eingenommene Burg Sartowitz auf dem westlichen Weichselufer zurückzuerobern. Peter von Dusburg schweigt sich freilich über die Art der Kriegsgeräte aus46. Genauer unterrichtet dagegen sein Bericht von der Belagerung der ermländischen Bischofsburg Heilsberg durch aufständische Prußen im Jahre 1261. Die Aufständischen hätten cum tribus exercitibus et tribus machinis et instrumentis aliis bellicis, also mit drei Heeren, drei Kriegsmaschinen und anderem Gerät, die Belagerung der Burg aufgenommen. Die Einnahme der Burg sei ihnen aber erst geglückt, nachdem sich die ausgehungerte Besatzung heimlich davongemacht habe47. Demnach scheinen in Preußen damals Gegengewichtsbilden noch ungebräuchlich gewesen zu sein, obwohl seit ihrem Ersteinsatz in Livland bereits über vierzig Jahre vergangen waren.

Feuerwaffen hingegen dürften in Livland und in Preußen in etwa zeitgleich aufgekommen sein. Bereits im Jahre 1360 befanden sich sechs (Lot-)Büchsen im Besitz der Stadt Reval48. Die früheste Nachricht vom Feuerwaffeneinsatz durch preußische Truppen ist dem Ordenschronisten Johann von Posilge zu verdanken.

Zum Jahr 1362 berichtet er, ein durch europäische Kreuzfahrer verstärktes Ordens- heer habe die litauische Burg Kauen zwischen dem 29. März und dem 16. April sowohl mit Bilden und anderen Schleudergeräten als auch mit Lotbüchsen Tag und Nacht derart beschossen, dass eine große Bresche entstand, durch die die Angreifer in die Burg eindringen und sie erobern konnten49. Da der Chronist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auch Steinbüchsen, die das Ordensheer aber nicht mit sich geführt habe, erwähnt, belegt er zumindest Kenntnis von mehreren Arten von Feuerwaffen, die der Orden schon damals im Gebrauch hatte.

Was die Schutzmöglichkeiten angeht, so haben die nach Livland und Preußen gezogenen Kreuzfahrer neben Befestigungen aus Stein vor allem Verbesserungen des Körperschutzes mitgebracht. Auch sie verfehlten ihre Wirkung nicht. Beispiels- weise berichtet Heinrich von Lettland zum Jahr 1205, dass der Kreuzfahrer Konrad von Meiendorf aus dem Magdeburgischen und die wenigen Deutschen in seiner Begleitung schon allein durch die Wirkung ihrer und ihrer Pferde Panzerung den feindlichen Letten Furcht eingeflößt hätten50. In Preußen legte die Kulmer Handfeste

46 Dusburg, Chronik (wie Anm. 1), cap. III, 37.

47 Ebd., cap. III, 94.

48 Libri de diversis articulis 1333-1374. Hrsg. von Paul Johansen, Tallinn 1935 (= Publika- tionen aus dem Stadtarchiv Tallinn, 8), S. 71, Nr. 536 zu 1360: It. 2 panser et 1 craghen heft Henne, des stades bode, dat höret der stat to. Et 6 boisse.

49 Johanns von Posilge, Chronik des Landes Preussen (1360-1410). In: Scriptores rerum Prussicarum, Bd 3. Hrsg. von Theodor Hirsch, Max Toppen und Ernst Strehlke, Leipzig 1866, S. 79-388, hier S. 81 f.; Volker Schmidtchen, Die Feuerwaffen des Deutschen Ritterordens bis zur Schlacht bei Tannenberg 1410, Lüneburg 1977 (= Schriftenreihe Nord- ost-Archiv, 10), S. 24 f.

50 Heinrici chronicon Livoniae (wie Anm. 22), cap. 9, 3: Qui [d.i. Konrad von Meiendorf]

more militari tarn in equo quam in se ipso bene loricatus cum paucis qui aderant Theuto- nicis Lethones aggreditur. Sed ipsi nitorem armorum istorum abhorrentes. Deo eciam timorem immittente, ab eis ex omni parte declinant

(12)

124 MGZ 65 (2006) Dieter Heckmann von 1233 fest, dass derjenige, der mit einem Dienstgut von über vierzig Hufen be- gabt war, den so genannten Rossdienst mit gedecktem Pferd und schwerer Rüstung zu leisten hatte. Die mit Brust- und Rückenharnisch, den »Platen«, sowie mit Helm, Schild und Speer ausgestatteten leichten Reiter der preußischen Ordensaufgebote entwickelten sich unter anderem mit der zunehmenden Bedeutung der Armbrust zu mittelschweren Einheiten. Der zunächst von deutschen Freien zu leistende Pla- tendienst war in der Regel mit einem Einkommen aus zehn bis vierzig Hufen ver- bunden51. Ähnliche Verhältnisse sind auch für Livlarid anzunehmen. So versuchte der Deutsche Orden, im Jahre 1261 in Lübeck Neusiedler gegen die Zusage anzu- werben, vierzig Hufen für einen Rossdienst und zehn Hufen für einen Platendienst auszugeben52.

Abgesehen von den Körperwaffen zum Angriff oder zum Schutz, lassen die angeführten Beispiele aus Livland und Preußen keinen einheitlichen Stand in der Ausrüstung und in der Umsetzung von Neuerungen erkennen. Sowohl im Burgen- bau als auch beim Einsatz von Kriegsmaschinen scheinen in der Anfangsphase der Eroberungen die livländischen Kreuzfahrer den preußischen um Jahrzehnte voraus gewesen zu sein. Der ungefähre Gleichstand lässt sich erst für das 14. Jahrhundert, beobachten. Immerhin gestatten es die Quellen, die maßgeblichen Gründe für die anfängliche Rückständigkeit, nämlich Geldmangel und unsicheren Nachschub, herauszuschälen. Für den Deutschen Orden war die Eroberung Preußens wenigs- tens bis zum Fall Akkons im Jahre 1291 Nebenkriegsschauplatz53. Bis dahin floss der größte Teil der Ressourcen des Ordens nach Palästina. Dieser Befund lässt sich beispielsweise am Bau der Königsberger Burg im Jahre 1255 nach vollziehen. Für einen Steinbau54 reichten offensichtlich die Eigenmittel des Ordens nicht aus, sodass nach Peter von Dusburg der Kreuzfahrer König Ottokar II. von Böhmen die wesent- lichen Kosten übernommen habe, weshalb auch die Burg ihm zu Ehren Königsberg genannt worden sei55.

Schwierigkeiten mit dem Nachschub bereiteten besonders die dem Orden feind- lich gesonnenen Herzöge von Pommerellen. Sie beherrschten nämlich die westlichen Ufergebiete der unteren Weichsel sowie das Mündungsgebiet des Flusses. Mit ihren Burgen Sartowitz, Schwetz und Zantir und der Hafenstadt Danzig überwachten sie die Anbindung an die Ostsee, die sie so wirkungsvoll abschneiden konnten.

Hierüber führt Peter von Dusburg häufig Klagen. Insoweit war der Orden auf die Versorgung zumeist auf den Landweg über Großpolen und über die mittlere Weichsel angewiesen56, was besonders die Heranschaffung von schwerem Gerät

51 Sven Ekdahl, Über die Kriegsdienste der Freien im Kulmerland zu Anfang des 15. Jahr- hunderts. In: Preußenland, 2 (1964), S. 1-14, hier S. 2-5.

52 Ebd., S. 3.

53 So sinngemäß Klaus Militzer, Von Akkon zur Marienburg. Verfassung, Verwaltung und Sozialstruktur des Deutschen Ordens 1190-1309, Marburg 1999 (= Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens, 56 = Veröffentlichungen der Internationalen Historischen Kommission zur Erforschung des Deutschen Ordens, 9), S. 474.

54 In der polnischen Forschung, siehe Labuda, Grundlagen der Ordensverfassung. In: Die Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen (wie Anm. 30) S. 184 f., gelten auch die Befestigungen von Kreuzburg, Wiesenburg und Bartenstein als Steinburgen, was aber der Überprüfung anhand der Quellen nicht standhält.

55 Dusburg, Chronik (wie Anm-. 1), cap. III, 71-72.

56 Belege bei Dusburg, Chronik (wie Anm. 1), cap. III, 32, 36-37 und 45-51 (Sperrstellung der pommerellischen Burgen) und ebd., III, 52 (Versorgung über die Weichsel).

(13)

erheblich behindern musste. Die so bedingte großtechnische Rückständigkeit des Ordens in Preußen musste zur Verminderung seiner Machtdemonstration führen, was er durch vermehrten Einsatz von Menschen auszugleichen suchte. Dies ver- längerte nicht nur das Ringen der Gegner, sondern verlangte den Beteiligten einen wesentlich höheren Blutzoll ab als bei einer Auseinandersetzung, bei der eine Seite ihre überwältigende Überlegenheit von Anfang an unter Beweis zu stellen vermoch- te. Der hohe Verlust an Menschen, der sich bei den teilweise erbittert geführten Kämpfen zwangsläufig einstellte, bot indes besonders der ideologisch geprägten Geschichtsforschung Ansätze, dem Orden in Preußen im Nachhinein Völkermord vorzuwerfen57.

Daneben stellte sich die dauerhafte Feindschaft zum Königreich Polen ein, die aus dem Bedürfnis des Ordens erwuchs, die Verbindung zur Ostsee herzustellen.

Nach den jahrzehntelangen Erfahrungen mit dem pommerellischen Herzogshaus, das nach anfänglicher Zurückhaltung im Rücken der Kreuzfahrer gegen diese kriegerisch vorging, die unterworfenen Prußen zum Aufstand anstachelte und sogar Bündnisse mit den heidnischen Litauern gegen den Orden einging, ergriff der Orden nach dem Aussterben des Herzoghauses im Jahre 1294 - nicht ohne Zögern - die Gelegenheit, um sich im Jahre 1308 den ungestörten Zugang zur Ostsee zu sichern. Als sich nämlich die um die Nachfolge in der Landesherrschaft streitenden Brandenburger und Polen in Danzig gegenüberstanden, rief die von brandenbur- gischen und pommerellischen Kräften aus der Stadt und dem Land belagerte pol- nische Burgbesatzung den Orden zur Hilfe. Nachdem dieser die Brandenburger und ihre pommerellischen Verbündeten geschlagen hatte, vertrieb er die polnische Burgbesatzung und bemächtigte sich der Stadt und mit ihr des Nordteils von Pommerellen. Während sich der Orden mit der brandenburgischen Seite rasch ver- gleichen konnte, haben die polnischen Könige ihre Ansprüche auf Danzig und Pom- merellen trotz des Vertrags von Kaiisch aus dem Jahre 1343 nie aufgegeben58. Der Eroberung von Danzig ging die Inbesitznahme von Zantir und Mewe im 13. Jahr- hundert durch den Deutschen Orden voraus, wie Maksymilian Grzegorz an Hand von aufwendigen Quellenstudien nachweisen kann. Grzegorz betrachtet diesen Erwerb freilich durch eine nationalistisch gefärbte Brille59, sodass die militärstra- tegischen Hintergründe dieser Maßnahme unscharf geblieben sind. Für Labuda steht der Gewinn von Landverbindungen im Vordergrund der Eroberung des Ordens. Nach der Befriedung des Preußenlandes im Jahre 1283 habe sich der Orden sowohl nach Westen als auch nach Osten gewandt, um die Verbindungen mit Brandenburg und Livland herzustellen60.

57 Wolfgang Wippermann, Der Ordensstaat als Ideologie. Das Bild des Deutschen Ordens in der deutschen Geschichtsschreibung und Publizistik, Berlin 1979 (= Einzel Veröffent- lichung der Historischen Kommision zu Berlin, 24 = Publikationen zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen, 2), S. 307 und S. 318.

58 Labuda, Entstehung und Entwicklung (wie Anm. 30), S. 282 f. und S. 378-382.

59 Maksymilian Grzegorz, Pomorze Gdariskie pod rz^dami Zakonu krzyzackiego w latach 1308-1466 [Pommerellen unter der Herrschaft des Deutschen Ordens zwischen 1308 und 1466], Bydgoszcz 1997, S. 321-323.

60 Labuda, Entstehung und Entwicklung (wie Anm. 30), S. 209.

(14)

126 MGZ 65 (2006)

Weiterentwicklung von Innovationen

Dieter Heckmann

Bei ihrer Ankunft in Livland und Preußen lernten die westlichen Kreuzfahrer die schnelle Kriegführung der ostbaltischen Völker und ihrer russischen und tatarischen Verbündeten kennen. Vor allem die Litauer waren wegen ihrer blitzartigen Vorstöße, die sie oft tief bis ins Hinterland führten, gefürchtet. Diese so genannten Verheerungsreisen fanden bevorzugt während des Sommers oder des Winters statt, wenn weite Landstriche entweder über die ausgetrockneten Sümpfe und Moräste oder über das Eis der Flüsse und Seen zugänglich wurden61. Eines der auffälligsten Beispiele führt Friedrich Benninghoven mit dem Feldzug im Winter von 1218 auf 1219 an, den ein litauisches Heer über die gefrorene Ostsee gegen Estland unter- nommen hatte und dabei eine Durchschnittsgeschwindigkeit von rund vierzig km pro Tag erreichte62. Ziel derartiger Verheerungszüge war die Zerstörung oder Lähmung der wirtschaftlichen Grundlagen des Gegners und seines Widerstands- willens63. Der Deutsche Orden hatte diese Art der Kriegführung nicht nur rasch übernommen, sondern auch weiterentwickelt. Mit seinen Weichselschiffen machte er sich nämlich die Wasserwege zu Nutze, um schweres Belagerungsgerät und große Mengen von Versorgungsgütern möglichst nahe an die Einsatzgebiete zu bringen und auf denselben Wegen Beute und Gefangene schnell und sicher abzufüh- ren. Ein Einblick in die Organisation eines derartigen Kriegszuges gewährt das Danziger Komtureibuch64, das Benninghoven mit Blick auf den Feldzug des Ordens gegen die litauische Landschaft Samaiten im Jahre 1405 ausgewertet hat65. Die Kanalisierung der Deime zwischen Tapiau und Labiau vor dem Jahr 1376 und der geplante Durchstich zwischen unterer Deime und dem Wiepe genannten südlichen Mündungsarm der Memel, der erst 1697 als »Großer Friedrichsgraben« vollendet wurde66, unterstreichen die Bedeutung der Wasserwege für die Kriegführung des Ordens.

Übernahmen und Weiterentwicklungen sind besonders bei den Waffen vielfältig belegt. Heinrich von Lettland beschreibt sehr anschaulich, wie und in welchem verblüffend engen Zeitrahmen der Transfer von Technologie und ihre Weiterent- wicklung vonstatten gehen konnten. So hätten im Sommer 1222 die in der Schiffs- zimmerei erfahrenen Oseler Esten von ihren festländischen Nachbarn eine Patherelle in Empfang genommen, die von Dänen zurückgelassen worden sei. Die Öseler hätten diese Blide nicht nur nachgebaut, sondern auch andere in der Herstellung gleichartiger Geschütze unterwiesen67. Nur zwei Jahre später besaßen die russischen

61 Friedrich Benninghoven, Zur Technik spätmittelalterlicher Feldzüge im Ostbaltikum. In:

ZfO, 19 (1970), S. 631-651, hier S. 635.

62 Ebd., S. 640 f.

63 Ebd., S. 633. ,

64 Ediert von Karola Ciesielska und Irena Janosz-Biskupowa, Ksiega komturstwa Gdans- kiego, Toruri 1985 (= Towarzystwo Naukowe w Toruniu, Fontes, 70).

65 Benninghoven, Die Kriegsdienste der Komturei Danzig (wie Anm. 15), S. 213-216.

66 Sabine Graf, Der Große Friedrichsgraben im Kreis Labiau. In: Preußenland, 36 (1998), S. 8-27, hier S. 9 f. und S. 14.

67 Heinrici chronicon Livoniae (wie Anm. 22), cap. 26, 3: Et reversi in Osiliam ceperunt edificare patherellos et machinas et docebant alios; Benninghoven, Der Orden der Schwert- brüder (wie Anm. 17), S. 179.

(15)

Verbündeten der aufständischen Esten solche Steinwerfer. Im Sommer 1224 hat nämlich, wie Heinrich an anderer Stelle mitteilt, der russische Kleinkönig Vjacko von Kukenois die Burg Dorpat mit Patherellen bestückt, die er nach Art der Öseler, secundum artem Osilianorum, fertigen ließ68. Eine gewisse Parallele in der Übernahme westlicher Technik scheint auch in Preußen vorzuliegen. Vermutlich hatten die auf- ständischen Prußen, die im Jahre 1261 die Burg Heilsberg mit Maschinen und ande- rem Kriegsgerät belagerten, ihre diesbezüglichen Kenntnisse wenigstens mittelbar dem pommerellischen Kriegsvolk zu verdanken, das mit prußischer Hilfe im Winter 1242/43 die von Ordenstruppen eingenommene Burg Sartowitz berannte und dabei Kriegsmaschinen eingesetzt hat69.

Zu den bekanntesten Übernahmen und Fortentwicklungen bei den Körper- waffen gehört die Pickelhaube. Dieser vorher im westlichen Europa unbekannte Helm mit auffallender Spitze ist vermutlich ebenso baltischer Herkunft wie der konisch gearbeitete »Prusche heim«70. Preußische Fußsoldaten pflegten den preußischen oder litauischen Schild mit sich zu führen. Darunter ist ein rechteckiger Ganzkörperschutz zu verstehen, der entlang der Mittelachse konvex gebogen war.

Diesen Schild, den auch polnische, russische und böhmische Kriegsvölker benutzten, vermittelten übrigens die Hussiten in die restlichen Teile Europas71.

Die Hussiten waren es auch, die die von Wagenburgen gestützte Kriegführung ins Preußenland einführten. Diese Art der Kampfesweise ging, wie Volker Schmidt- chen anschaulich beschreibt und illustriert72, auf eine Schöpfung des kriegserfah- renen südböhmischen Landedelmanns und Hussitenführers Jan Zizka zurück. Dem Hussitenhauptmann gelang es nämlich, landwirtschaftlich genutzte Wagen und Geräte so umzugestalten, auszurüsten und vor allem mit Feuerwaffen zu bestücken, dass seine bäuerlichen Rekruten nicht nur den Angriffen von Ritterheeren glänzend trotzten, sondern auch als Angreifer jahrzehntelang Furcht und Schrecken verbreiten konnten. Bei dem Feldzug, den hussitische Truppen in den Jahren 1432 und 1433 gegen den Deutschen Orden in Preußen unternahmen und dabei vor allem die Neumark, die damals noch zum Ordensstaat gehörte, und Pommerellen verheer- ten73, verschaffte sich der Orden umgehend Kenntnis von der neuen Kampfesweise.

Dies legt die Anleitung für die Bemannung und die Ausstattung der für diese Art der Kriegführung tauglichen Kampfwagen mit Büchsen und anderen Waffen im Archiv der Hochmeister nahe74.

Das Ausspähen von Neuerungen im Feindesland war ein anderer Weg, den eigenen Entwicklungsstand anzugleichen oder gar zu verbessern. Peter von Dus-

68 Heinrici chronicon Livoniae (wie Anm. 22), cap. 28,3; Benninghoven, Der Orden der Schwertbrüder (wie Anm. 17), S. 190.

69 Dusburg, Chronik (wie Anm. 1), cap. III, 37.

70 Andrzej Nowakowski, Some Remarks about Weapons stored in the Arsenals of the Teutonic Orders's Castles in Prussia by the End of the 14th and early 15th Centuries. In:

Das Kriegswesen der Ritterorden im Mittelalter (wie Anm. 5), S. 75-88, hier S. 76-78.

71 Ebd., S. 82.

72 Volker Schmidtchen, Kriegswesen im späten Mittelalter. Technik, Taktik, Theorie, Weinheim 1990, S. 212-220.

73 Zu den Hintergründen siehe Dieter Heckmann, Der Übergang der Neumark an Branden- burg im Jahre 1455 im Spiegel der zollernschen Unterwanderung des preußischen Zweigs des deutschen Ordens. In: Preußenland, 43 (2005), S. 2-19, hier S. 17.

74 Ediert von Dieter Heckmann im Virtuellen Preußischen Urkundenbuch unter der Netzanschrift http://www.rrz.uni-hamburg.de/Landesforschung/pub/dh/dh207.htm.

(16)

128 MGZ 65 (2006) Dieter Heckmann burg deutet ihn im Verhalten von Heinrich Monte, des späteren Führers der aufstän- dischen Prußen aus Natangen, an. Monte, der von Ordensbrüdern erzogen worden war und dabei die deutsche Sprache so gut erlernt hatte, dass er damit geflohene Christen aus ihren Verstecken in ihr Verderben locken konnte, hatte sich nämlich eine Zeitlang in Magdeburg aufgehalten. Dort schloss er auch Bekanntschaft mit dem reichen Bürger Hitzhals, den Monte später in Preußen allerdings nicht vor der Hinrichtung durch seine Stammesgenossen bewahren konnte75.

Aus den Quellen tropfen nur gelegentlich Aussagen zur Wahrung und Sicherung des Innovationsstandes. Zudem sind viele der diesbezüglichen Mitteilungen nur mittelbar oder an versteckter Stelle zu finden. Die oben erwähnte Versenkung der beiden Schiffe Pilgerim und Vridelant im Drausensee gehört ebenso zu den wenigen Beispielen wie der gescheiterte Versuch Heinrich Montes, während der Belagerung von Königsberg im Jahre 1262 eine Armbrust zu erbeuten76. Am häufigsten begeg- nen noch Nachrichten im Zusammenhang mit der Sterilisierung von Schlachtrossen.

Mit dieser Maßnahme versuchte vornehmlich der Orden, die Nachzucht dieser für die Panzerreiterei so ungeheuer wichtigen Tiere insbesondere über Beutepferde so weit wie möglich zu unterbinden77. Vor diesem Hintergrund dürfte es kaum über- raschen, wenn in den Ordensgebieten herausragende Kenntnisse von der Pferde- heilkunst vorhanden waren. So ist zum Beispiel die älteste deutsche veterinärmedi- zinische Enzyklopädie des Pferdes, der Uber de cura equorum, als Widmungsschrift für den Hochmeister Ulrich von Jungingen im Jahre 1408 entstanden78.

Vermittlung von Innovationen von Osten nach Westen

Die ausgesuchten Beispiele belegen im Wesentlichen einen Transfer technischer Neuerungen von Westen nach Osten durch die Kreuzfahrer in der Anfangs- und Konsolidierungsphase der Eroberung Livlands und Preußens im 13. und 14. Jahr- hundert. Für die Zeit danach mehren sich die Hinweise, dass Neuerungen auch den umgekehrten Weg gegangen sind. Von der Verbreitung der Pickelhaube und anderer Schutzwaffen im westlichen Europa war bereits die Rede. Was die Fort- entwicklung der Feuerwaffen angeht, so haben Wilhelm Hassenstein und besonders Volker Schmidtchen auf den Anteil des Ordensstaates daran aufmerksam gemacht79. In strategischer Hinsicht hat sicherlich der burgundische Herzog Karl der Kühne mit seinen Kriegen gegen Lüttich, Neuß, Lothringen und die Schweizer an die Win- terfeldzüge östlicher Völker angeknüpft. Ein weitgehend unbearbeitetes Forschungs-

75 Dusburg, Chronik (wie Anm. 1), cap. III, 167, und III, 91.

76 Ebd., III, 104.

77 Sven Ekdahl, Horses and Crossbows. Two Important Warfare Advantages of the Teutonic Order in Prussia. In: The Military Orders, vol. 2: Welfare and Warfare. Ed. by Helen Nicholson, Aldershot 1998, S. 119-151, hier S. 128 f.

78 Ekdahl, Das Pferd und seine Rolle im Kriegswesen (wie Anm. 5), S. 39.

79 Wilhelm Hassenstein, Der Anteil des Ordensstaates in Preußen an der Entwicklung der Pulverwaffen in Deutschland. In: Zeitschrift für die Geschichte des Schieß- und Spreng- stoff-Wesens, 3 (1939), S. 77-80, und Schmidtchen, Die Feuerwaffen (wie Anm. 49), S. 48, wo die Ehefrau des Marienburger Glocken- und Geschützgießers Heynrich Dumechen als Expertin für Pulvermischungen vorgestellt wird, und S. 62.

(17)

gebiet stellt die Ost-West-Vermittlung von sowohl militärisch als auch zivil nutz- baren Neuerungen dar, wie etwa der Fähigkeit zur raschen Bildung von Schicksals- gemeinschaften, der Entwicklung schwerlastiger Seeschiffe durch die Getreide- und Holzverfrachter80, der Vermessung von Grundstücken nach der. Geometria CulmensisSi und der Ziehung linearer Grenzen82 oder der Bedeutung der unter eige- nem Banner und Kommando stehenden Witinge in einigen Ordenshäusern als ständige zivile und militärische Einsatzkräfte83 für die Entwicklung des stehenden Heeres. Als Wissensvermittler sind in erster Linie die vielen Kreuzfahrer, die besonders Preußen bis zum Beginn des 15. Jahrhundert fast alljährlich aufsuchten84, in Betracht zu ziehen. Daneben spielten Kaufleute und Spezialhandwerker, wie die Glocken- und Kanonengießer, eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Einzel- untersuchungen könnten auch hier zu einer beachtlichen Vertiefung des Kenntnis- standes beitragen.

Abstract

There is a fundamental difference between the conquest and conversion of Livonia and Prussia, both of which later became states of the order of the Teutonic Knights, by armed Christian pilgrims under the Livonian Order and the Teutonic Knights in the 13th century. Whereas merchants initiated the undertaking in Livonia, power and land gains took center stage in Prussia. In order to lower the transaction costs in the Baltic trade market as soon as possible, the merchants provided their mercenaries and allies with the latest warfare technology from the very beginning.

The Livonian Order, however, soon became independent. The Teutonic Knights, on the other hand, were called to Prussia to help and came at first as an independent force. They were later able to prevail with insufficient means in a secondary theater of war involving several fronts. The Teutonic Knights (like their pagan and Christian adversaries) achieved this at the cost of many lives, which has resulted in the charge of genocide by ideological historians. During the conflicts in the Baltic region, all sides adopted innovations, made modifications and pursued independent develop- ments in the fields of both tactics and strategy. Examples of this include castle construction, horse-breeding, the spiked helmet, and the blitzkrieg.

80 Walther Vogel, Geschichte der deutschen Seeschiffahrt, Bd 1, Berlin 1915, S. 470 und 495.

81 Geometria Culmensis. Ein agronomisches Tractat aus der Zeit des Hochmeisters Conrad von Jungingen (1393-1407). Hrsg. von Hans Mendthai, Leipzig 1886.

82 Siehe dazu Hans-Jürgen Karp, Grenzen in Ostmitteleuropa während des Mittelalters.

Ein Beitrag zur Entstehung der Grenzlinie aus dem Grenzsaum, Köln, Wien 1972 (= For- schungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands, 9).

83 Zu 1414 befanden sich auf dem Königsberger Schloss acht Witingswaffenröcke und zum Inventar des Ordenshauses zu Ragnit gehörten zu 1416 vier Witingsbanner, siehe: Das Grosse Ämterbuch des Deutschen Ordens. Hrsg. von Walther Ziesemer, Ndr. Wiesbaden 1968, S. 15, 80,262 und 273.

84 Siehe dazu Werner Paravicini, Die Preussenreisen des europäischen Adels, Τ. 1, Sigma- ringen 1989, T. 2, Sigmaringen 1995 (= Beihefte der Francia, 17/1 und 17/2).

(18)

oldenbourg.de Geschichte Zeitgeschichte Soziologie Philosophie Politik

Oldenbourg

Karl-Heinz Frieser

Blitzkrieg-Legende

Der Westfeldzug 1940

3. Auflage 2005.

XXII, 474 S., 61 Abb., gb.

€ 29,80

ISBN 3-486-57824-3 Operationen des Zweiten Weltkrieges, Band 2

aus der Presse »Eine vorzügliche Studie, die wohl für lange Zeit das Standardwerk zum deutschen Westfeldzug von 1940 bleiben dürfte«

Enrico Syring in MGM 1/1996

Die französische Übersetzung des Buches wurde 2004 mit dem Prix Edmond Freville der Academie des sciences morales et politiques im Institut de France ausgezeichnet.

zum Autor Oberst Dr. Karl-Heinz Frieser ist Leiter des Forschungsbereiches »Zeitalter der Weltkriege«

im Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam.

Beatrice Heuser ca°28o s., br.

Clausewitz lesen!

€ 19 80 ISBN 3-486-57743-3

Eine Einführung

zum Inhalt Beatrice Heuser erschließt auf knappem Raum die wichtigsten Inhalte von Clausewitz' »Vom Kriege«. Der Klassiker der Kriegskunst - viel zitiert, wenig gelesen, noch weniger verstanden - wird so endlich greifbar; und das sowohl in seinen Inhalten als auch in der Geschichte seiner Rezeption.

zur Autorin Professor Beatrice Heuser ist Leiterin der Abteilung Forschung des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes in Potsdam.

Ihre BestellungVichten Sie bitte an Ihren Fachbuchhändler oder direkt an: verkauf-f@oldenbourg.de

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Es werden al l e Kurse i n Engl i sch angebot en, außer urban Desi gn und scul pture composion... Besonderhei ten

richs II., daß in diesem Lande keine weltlichen Fürsten herrschen sollten, war in tatsächlicher Geltung geblieben. Jetzt zerfloß die bischöfliche Gewalt fast

Für alle aber hat der Gebrauch der französischen Sprache noch eine zweite, im Grunde wichtigere Bedeutung: diese sich demokratisch dünkenden Bourgeois fühlen sich dadurch mit

Das Geschütz hat eine Spreizlafette mit einem Seitenrichtbereich von 50°, eine Feuerhöhe von 630 mm und eine Elevâtionsmöglichkeit von —10 bis +50°, so daß auch mit ganz

Doch giebt es weniger Arten, welche uns Finnland oder Petersburg noch herabsenden (wie Argynnis Frigga, Agrotis Hyperborea, Depressaria Ciniflonella) als solcher,

namhaften Fernsehsendungen wie „Der blaue Bock&#34; oder „Einer wird gewinnen&#34; war Gerhardt Ahl bei musikalischen Arrangements mit von der Par- tie, ebenso bei Kulturfilmen

dom własny na terenie ruin zamku w Morsku, u stóp wzgórza zamkowego (1929—1933); projekt konkursowy na typy mieszkań o 4 kondygnacjach przy zabudowie nowych dzielnic miasta;

Beim Passieren des Einganges war der Mörder abgesprungen, hatte mit wenigen Sätzen die in die Schankstube führende Tür erreicht, selbige auf- gerissen und von