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Wolfgang Petter

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Rezensionen Bernhard Law Viscount Montgomery of Alamein: Kriegsgeschichte. Weltgeschichte der Schlachten und Kriegszüge. Ubersetzt von Hans Jürgen Baron von Koskull. Frankfurt a.M.: Bernard & Graefe 1972. 582 S.

Eine Weltgeschichte der Schlachten und Kriegszüge quasi im Alleingang schreiben zu wollen, mutet heute als phantastisches und undurchführbares Unternehmen an: Zu groß ist die Fülle der Fakten, zu unterschiedlich sind die bisherigen Beiträge der Militärgeschichte, zu umfangreich die konzeptions- und wissenschaftstheoretischen Aspekte.

Man kann aber auch, und dies ist hier der Fall, diese Problematik großzügig vernachlässigen, sich allein auf seine Erfahrung als Truppenführer in zwei Weltkriegen und den Ertrag regen For- schens zweier studierter Twens als Assistenten verlassen und unter dem Leitmotiv: »Der Krieg fasziniert die Menschen, denn er ist erregend und kann sogar unterhaltend sein« (S. 31) Kriegs- geschichte schreiben, die die schlimmsten Vorurteile gegen diesen Zweig der Geschichte a priori gerechtfertigt erscheinen läßt.

Bei Montgomerys 1968 in der Originalausgabe erschienenem Buch handelt es sich um eine unre- flektiert heroisierende und legendenbildende Darstellung von Kriegen, Feldzügen und Schlach- ten, die den Autor als naiv-schneidigen Militaristen ausweist (S. 31): »Im Krieg kann man leicht Beute machen. Das Leben wird romantisch und farbenfroh, es erfordert Disziplin, es entwik- keln sich Riten, man opfert sich auf, erlebt Kameradschaft, gewinnt Ansehen und wird von den Frauen bewundert.« Angesichts derartiger Verlockungen muß es den Leser schon traurig stim- men, in den letzten Jahren nicht in Vietnam, Angola oder dem Libanon gelebt zu haben.

In (unbewußt) historistischer Perspektive steht bei Montgomery die »Feldherrnkunst« im Mit- telpunkt allen Geschehens; der Krieg reduziert sich auf ein Duell zwischen »Künstlern« (S. 16):

»Eine Schlacht ist eigentlich ein Zweikampf zwischen dem Willen des Befehlshabers und dem seines Gegners.« Kriegsgeschichte degeneriert hier zu einer Sammlung der Höhe- und Tief- punkte illustren Feldherrndaseins von der Antike bis heute; alles andere - technologische, wirt- schaftliche, gesellschaftliche und politische Phänomene - ist Beiwerk, schemenhafter Hinter- grund. So bilden den Abschluß der wichtigsten Kapitel »Beurteilungen« der Qualifikation der agierenden Feldherren, die diese in »grands chefs« oder »bons generaux ordinaires« einteilen, aus Montgomerys Feder, nachdem die beiden Assistenten vorher das notwendige Faktengerüst erstellt und mit einigen Farbtafeln und Abbildungen dekoriert haben. Die Truppen der Befehls- haber partizipieren als »Rohmaterial des Feldherrn« (S. 17, 22) am Feldherrnruhm.

Mit diesen Prämissen geht Montgomery daran, zu entscheiden, wer die bedeutendsten Feld- herrn der Geschichte waren, allerdings mit der bedeutsamen Einschränkung (S. 16): »Generäle lassen sich jedoch nur bei der Ausübung ihres Metiers im militärischen Bereich fair beurteilen.«

Konsequent verurteilt er so auch die Männer des 20. Juli (S. 520): »Nach meiner Ansicht haben sie falsch gehandelt. Es ist nicht Sache der Generäle, politische Führer zu beseitigen.«

Die Darstellung der Kriegsgeschichte der meso- und neolithischen Zeit im Alten Orient kann - unter den konzeptionsimmanenten Voraussetzungen des Autors - als gelungen gelten; hier wie in den Kapiteln über die chinesische, indische, japanische und spanische Kriegskunst fehlen noch die allzu apodiktischen Urteile, die peinlichen Anspielungen auf eigene Meriten und den eigenen »Platz in der Geschichte«; Bildmaterial und Text vermitteln hier ein farbiges und infor- matives Bild.

Bei der griechischen Geschichte wird die Entwicklung aus dem dorischen Erbe nicht erwähnt;

Begriffe wie Hopliten und Hypaspisten werden unzureichend erklärt und bei Bildunterschrif- ten (S. 80) miteinander verwechselt; Ausbruch und Verlauf des peloponnesischen Krieges blei- ben im dunkeln; Herodot wird in Übernahme eines ebenso alten wie falschen Urteils als »Anek- dotenerzähler« (S. 67) abgetan. Alexander der Große, der sich als erster großer Herrscher der abendländischen Geschichte als Gott anbeten ließ und seinen Freund und Feldzugshistoriker Kallisthenes töten ließ, als dieser ihm die Proskynese verweigerte, wird als militärisches Genie, vor allem aber als humaner und toleranter Herrscher gefeiert (S. 81): »Nie verletzte er die reli- giösen Gefühle seiner Untertanen.«1

Der römischen Geschichte geht es nicht viel besser. Der erste Punische Krieg wird nur in einem Nebensatz erwähnt; der Aufbau der römischen Flotte und die Revolutionierung des Seekrieges durch die Taktik der Enterbrücken bleiben unerwähnt. Cannae wird breit und ausführlich be- 215 M G M 1/77 handelt, indessen bleiben die Charakteristika dieser Schlacht verborgen - was nicht wundert,

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wenn Schlieffen und Engels in der fast rein englisch-sprachigen Bibliographie fehlen. Auch beim Bild- und Kartenmaterial unterlaufen einige leicht zu vermeidende Fehler. So wird zum Beispiel die Ausdehnung des römischen Reiches zur Zeit Caesars übertrieben gezeichnet: Ägypten war abhängig, aber nicht Teil des Reiches (S. 98). Der bekannte Reiterstein von Hornhausen, der Ende des 7. Jahrhunderts datiert wird, ist ohne seinen wichtigen unteren Teil, die Schlangen des Totenreiches, abgebildet; der Stein, der wahrscheinlich Wotan darstellt2, wird als hunnischer Reiter, der das römische Imperium überrennt, vorgestellt (S. 131). Mit den unregelmäßig einge- streuten Quellenzitaten wird nicht sorgfältiger verfahren; im folgenden Kapitel über das frühe Mittelalter werden Schreiben Karls des Großen an Leo III. und an den Abt Fulrad von Altaich unvollständig und falsch aus dem Lateinischen übersetzt und mit falscher Jahreszahl wiederge- geben (S. 146, 149)3. Dies sind nur einige typische Fehler und Schnitzer des Buches, die die of- fensichtliche Überforderung des Autors bezeugen; zum Teil finden sich in sechs Zeilen drei gra- vierende Fehler (Moritz von Sachsen, S. 322).

Immer ärgerlicher werden mit zunehmender Lektüre (auf alle Kapitel einzugehen würde zu weit führen) die einseitige Bevorzugung der englischen Geschichte und die nach esoterischen Krite- rien erfolgende Gewichtung verschiedener Epochen und Entwicklungen.

Marathon, Issos, Actium finden in einem Satz Erwähnung, Masada ist drei Zeilen wert, Stalin- grad immerhin zwei Sätze (S. 508). Daß die Schiachtum die Brücke von Arnheim, bei der die Al- liierten größere Verluste hatten als bei der eigentlichen Invasion in der Normandie, auch nur in einem Satz abgehandelt wird, liegt wahrscheinlich an der hier vornehm verschwiegenen ent- scheidenden Beteiligung Montgomerys, über die Prinz Bernhard der Niederlande damals sagte:

»Den Luxus eines weiteren Erfolges von Montgomery kann mein Land sich nicht noch einmal leisten.«4

Ausführlich dagegen wird die Schlacht von Hastings 1066 auf sieben Seiten dargestellt - schließ- lich sind die Normannen, »die hervorragendsten Soldaten dieser Periode« (S. 157), direkte Vor- fahren des Verfassers (S. 157). Marlborough wird ein eigenes Kapitel mit 24 Seiten gewidmet, er wird als »größter Feldherr seiner Zeit« (S. 310) gefeiert. Über Prinz Eugen indes heißt es lapidar (S. 301): »Da es ihm an Wendigkeit mangelte, war er gern bereit, sich der Genialität Marl- boroughs unterzuordnen.« Offensichtlich war er nur ein »general ordinaire« wie Caesar (S.

106), Wallenstein (S. 276), Washington (S. 321) und Moltke (S. 435). Wo von den großen Hel- den der englischen Geschichte die Rede ist, gelingt es Montgomery immer auf die eine oder an- dere Art, auch seine Leistungen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen (S. 157, 305, 363, 364, 367, 415, 420); Montgomery und Alamein stehen auf einer Höhe mit Nelson und Trafalgar.

Auch wie diese Ruhmesgipfel erreicht werden, wird kundgetan: durch Enthaltsamkeit im Rau- chen und Trinken (S. 22) und Vermeiden »amouröser Abenteuer« (S. 322).

Geradezu hymnisch würdigt Montgomery auch den englischen Soldaten sui generis (»mit sol- chen Männern ist alles möglich« S. 25) als den besten der Welt; andererseits »wird der französi- sche Soldat von keinem übertroffen« (S. 493); den Widerspruch klärt er gleich auf: er ist »Capo- ral d'Honneur« der französischen Armee und Träger der seltenen »Medaille Militaire« (S. 493).

Die abschließenden Kapitel über den Ersten und Zweiten Weltkrieg verraten neben der Litera- turunkenntnis ihres Verfassers seine naive Kriegsapologetik.

Uber den Ausbruch des Ersten Weltkrieges heißt es schlicht (S. 462): »Kein Staatsmann und kein Volk in Europa hatten den Krieg gewünscht. Niemand hatte ihn absichtlich herbeige- führt.« Der Zweite Weltkrieg brach »ebenso wie 1914 aus, weil alle Beteiligten sich verrechnet hatten« (S. 499).

Der Erste Weltkrieg endete, weil 1918 die Matrosen »aus purer Langeweile« (S. 479) meuterten;

im Zweiten Weltkrieg waren »das Verbrennen von Schulkindern bei lebendigem Leibe . . . all- tägliche Auswüchse der deutschen Grausamkeit« (S. 567).

So lassen sich Geschichten schreiben, allerdings keine »Kriegsgeschichte«.

Im letzten Kapitel resümiert der Verfasser die vielen glänzenden Schlachten und erhebenden Siege mit der bedauernden Erkenntnis, »daß es trotz der Bemühung, den Krieg humaner zu ge- stalten, immer wieder grausame Rückfälle in die Barbarei gegeben hat« (S. 550), »daß die Moral im Krieg durch den totalen Krieg so tief gesunken ist wie nie zuvor« (S. 552). Ja, es wird nie wie- der so schön werden im Krieg, wie es einmal war . . .

216 Bei diesen trüben Aussichten endet das Buch nach 560 Seiten spannendster Schlachten unter ge-

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nialen »grands chefs« im »Epilog - das Ideal des Friedens« mit den rührenden Worten (S. 569):

»Es ist die Hoffnung eines Soldaten, daß es eines Tages einen goldenen Sonnenuntergang geben mag, bei dem der große Zapfenstreich für alle Feindschaft und allen Streit geblasen wird, und daß ihm ein strahlender Sonnenaufgang folgt, bei dem das Signal ertönt, das alle Nationen zu ei- nem neuen Zeitalter des guten Willens und des Friedens aufruft.«

An den Beginn des Buches stellte der Autor ein Thukydides-Zitat (Vorwort): »Wenn irgend jemand meine Schriften für nützlich erklären sollte, dann werde ich zufrieden sein.«

Irgend jemand findet sich sicherlich. Burkhard Schäfer

1 Vgl. hierzu J . Seibert: Alexander der Große. Erträge der Forschung. Darmstadt 1972, S. 192-206.

2 K . Böhner u . a . : Das frühe Mittelalter. Führer durch das Römisch-Germanische Zentralmuseum in Mainz. Mainz 1972, S. 134.

3 Vgl. A. Brackmann: Die Anfänge der Slavenmission und die Renovatio Imperii des Jahres 800. Berlin 1931, S. 5, und H . D . Schmid: Fragen an die Geschichte. Frankfurt a . M . 1974, S. 208.

4 Zitiert nach C . Ryan: Die Brücke von Arnheim. Frankfurt a . M . 1975, S. 433.

Emil Usteri: Marignano. Die Schicksalsjahre 1515/1516 im Blickfeld der historischen Quellen. Zürich: Komitee zur Würdigung der Schlacht von Marignano und ihrer Konse- quenzen 1974 . 602 S.

Die Schlacht von Marignano markiert in der Geschichte der Schweizer Eidgenossenschaft eine tiefgreifende Zäsur. Die schwere Niederlage, die König Franz I. von Frankreich am 13. und 14.

September 1515 einem Schweizer Heer unweit Mailand zufügte, zerstörte den in zwei Jahrhun- derten begründeten, zuletzt 1513 in Novara bekräftigten Nimbus der Unbesiegbarkeit der Schweizer Söldner; sie hatte das jähe Ende des seit 1512 bestehenden eidgenössischen Protekto- rates über das Herzogtum Mailand zur Folge, den Verlust von Domodossola und des Eschenta- les, die zeitweilige Bedrohung der eidgenössischen Herrschaft in den ennetbirgischen Vogteien.

Im Frieden von Freiburg (Schweiz) (1516) mit Franz I. zogen die Eidgenossen die Konsequenz aus dem Scheitern ihrer oberitalienischen Großmachtpolitik, legten sie den Grundstein zu ihrer seitherigen relativen Abstinenz vom europäischen Mächtekonzert, eine Wende, die durch den Abschluß der Soldallianz mit Frankreich 1521 besiegelt wurde.

Die Epoche der Mailänderkriege ist, was den Anteil der Eidgenossen anbetrifft, bislang nur lük- kenhaft aufgearbeitet worden. Das grundlegende Werk von E. Gagliardi (Der Anteil der Schweizer an den italienischen Kriegen 1494-1516) ist nur bis 1509 gediehen, für den Zeitraum 1509-1516 sind zwar Einzelstudien erschienen, es fehlt jedoch eine zusammenfassende Darstel- lung (vgl. Handbuch der Schweizer Geschichte. Bd 1. Zürich 1972, S. 348 ff.). Diese Lücke soll durch die vom »Komitee zur Würdigung der Schlacht von Marignano und ihrer Konsequenzen«

in Auftrag gegebene Arbeit des Zürcher Historikers Usteri zumindest für 1515/16 geschlossen werden. Was speziell die Schlacht von Marignano anbetrifft, so wurde die 1909 erschienene Göttinger Dissertation von H. Harkensee (Die Schlacht von Marignano, 13. und 14. Sept. 1515) bereits von H. Delbrück in dessen Geschichte der Kriegskunst. T.4. Berlin 1920, S. 100 Anm.

1 als unzureichend beurteilt. Eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende jüngere Mono- graphie über Marignano liegt nicht vor (zum Stand derForschung vgl. Handbuch der Schweizer Geschichte. Bd 1, S. 356f. Anm. 577).

Der Verfasser behandelt in der umfänglichen Untersuchung im Anschluß an eine knapp gehal- tene Einleitung, in der die Thematik erläutert wird und die wichtigsten politischen Handlungs- träger vorgestellt werden, in elf Kapiteln (auf fast 450 Seiten!) die Ereignisse zwischen dem Re- gierungsantritt Franz' I. (1. 1. 1515) und dem Vorabend der Schlacht von Marignano, in einem zwölften Kapitel die Schlacht selbst (mit Unterkapiteln über die Auslösung der Schlacht, das Schlachtfeld, den ersten und den zweiten Schlachttag, die Berichte Giovios, Gefallenenzahlen 217 und -listen, Lieder über die Schlacht, verfrühte Siegesmeldungen); in einem Schlußkapitel stellt

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er die Auswirkungen der Schlacht bis zum Frieden von Freiburg dar; es schließt sich ein Quel- len· und Literaturverzeichnis an.

Der Ehrgeiz des Verfassers zielt auf eine erschöpfende Auswertung der reichhaltigen, jedoch verstreut überlieferten, nur in geringem Umfang publizierten Quellen, zielt auf eine minuziöse Schilderung der Geschehnisse in ihrem chronologischen Ablauf. Die Fülle und Vielfalt der er- schlossenen Materialien ist außerordentlich, die Dichte der bisweilen Tag für Tag, ja Stunde für Stunde den Geschehnissen nachgehenden Schilderung beeindruckend. Man vermißt freilich die Einbeziehung des in großer Zahl überkommenen ikonographischen Materials (auch zu Mari- gnano, vgl. Storia di Milano. Vol.8: Tra Francia e Spagna, 1500-1535. Milano 1957, S. 133 ff.), man vermißt kartographische Veranschaulichung, Schlachtenskizzen. Im übrigen ermangelt die Untersuchung philologisch-kritischer Vorüberlegungen über Art, Umfang, Verläßlichkeit, Verwertbarkeit der Quellen. Im ganzen stellt die Arbeit dessenungeachtet in ihrer Materialfülle und ihrer narrativen Geschlossenheit eine solide Forschungsleistung dar.

Es ist zu bedauern, daß der Verfasser kaum je den Versuch macht, die dargestellten Gescheh- nisse in einen mehr als nur ablaufmäßigen Zusammenhang zu bringen, geht doch das Scheitern der Schweizer Norditalienpolitik fraglos auf strukturelle Schwächen ihrer politisch-militäri- schen Verfassung zurück; diese hätten verdeutlicht werden müssen. In dem politischen Len- kungsgremium der Eidgenossen, der Tagsatzung, konnten divergierende Interessen der Kan- tone leicht zu einer Schwächung des politischen Gesamtwillens führen - dies war 1515 der Fall, als die westlichen Kantone den Krieg gegen Frankreich nur widerstrebend mittrugen. Da sich die eidgenössischen Truppen aus den Kontingenten der Kantone zusammensetzten, konnten Divergenzen zwischen Kantonen leicht zur Uneinigkeit im Kriegsrat der Hauptleute, dem Len- kungsgremium im Felde, führen. Dies geschah 1515, nachdem es Franz I. überraschend gelun- gen war, die Alpen zu überqueren und als im übrigen versiegende Geldmittel und Proviantman- gel die Soldateska kriegsunwillig machten. Es trat eine Spaltung ein, die Anführer der Westorte schlossen mit dem französischen König den Frieden von Gallarate (8. September 1515) und zo- gen mit ihren Truppen in die Heimat zurück. Die Truppen der östlichen und inneren Orte unter der politischen Führung des Kardinals von Sitten, Schiner, suchten einigermaßen überstürzt und ohne den Zuzug von Verstärkungen aus der Heimat abzuwarten, die Schlacht, nicht nur, um die Verwirklichung des Friedens von Gallarate, der der Schweiz u. a. den Verlust des Tessin gebracht hätte, zu durchkreuzen, sondern auch, um mittels eines militärischen Kraftaktes die Westorte wieder in die Front der Franzosenfeinde zurückzunötigen. Aus dem Gesagten erhellt:

Die ungünstige Ausgangslage der Schweizer vor der Schlacht von Marignano entsprang wesent- lich den inneren Schwächen einer locker gefaßten spätmittelalterlichen Einung, die der ver- gleichsweise straff organisierten frühmodernen Monarchie Franz' I. strukturell unterlegen war.

Was den Verlauf der Schlacht anbetrifft, so bestätigt die Lektüre von Usteris Arbeit die von H . Kurz (Schweizer Schlachten. Bern 1962, S. 196 ff.) und anderen aufgestellte These, daß in Mari- gnano eine veraltete Schweizer auf eine moderne französische Taktik gestoßen sei. Die Schwei- zer griffen in der überkommenen Weise mit drei tiefgestaffelten Gevierthaufen aus Fußsoldaten, nur schwach artilleristisch unterstützt und ohne nennenswerte Reiterei, die Franzosen an. Die- se, durch Wassergräben und Verschanzungen abgeschirmt, setzten koordiniert drei Waffengat- tungen ein: Artillerie, Fußtruppen, Reiterei. Die seitlich und erhöht aufgestellte Artillerie de- zimierte die dicht gedrängt heranstürmenden Schweizer. Immer dann, wenn deren Haufen die Stellungen des französischen Fußvolkes erreicht hatten oder die Artillerie bedrohten, ritt die französische Kavallerie Attacken, ermöglichte die Zurücknahme der Geschütze auf gesicherte Positionen, trennte die Schweizer von dem französischen Fußvolk, eröffnete der Artillerie ein erneutes Eingreifen.

Dieses (grob vereinfachende) Schema des Schlachtenablaufes läßt die taktische Überlegenheit der Franzosen klar hervortreten. Den Schweizern war und blieb die Kombination der drei ge- nannten Waffengattungen verwehrt, da ihre Sozialverfassung nicht mit einer (rittermäßigen) Kavallerie vereinbar war, ihre lockere Zentralgewalt nicht den organisatorischen und finanziel- len Erfordernissen einer Artillerie gewachsen.

Der Verfasser der vorliegenden Arbeit geht solchen strukturgeschichtlichen Fragen nicht nach.

Er begnügt sich mit Materialerschließung und narrativer Materialreihung. Als solche ist die Ar- 218 beit fraglos beachtenswert. Wolfgang Mager

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Der Deutsche Bauernkrieg 1524-1526. Hrsg. von Hans-Ulrich Wehler. Göttingen:

Vandenhoeck & Ruprecht 1975. 356 S. (= Geschichte und Gesellschaft. Sonderh. 1.)

Die in der älteren Forschung dominierenden wirtschaftsexogenen Ursachen und Ziele der deut- schen Bauernaufstände sind in jüngeren Veröffentlichungen durch agrarwirtschaftliche, so- zialpsychologische, konjunkturstatistische und konfliktanalytische Deutungen ergänzt wor- den. Nicht zuletzt die Herausforderung der sogenannten Steinmetzthesen und die sich in der D D R anschließende Diskussion haben die Notwendigkeit einer Fortsetzung und Neuinterpre- tation der auch heute noch grundlegenden Forschungen von Günter Franz bewußtgemacht. Die

»Bemerkungen zur Sozialgeschichte der Reformation und des Bauernkrieges« von Franklin Kopitzsch (In: Bauernkrieg 1524-26. Hrsg. von R. Wohlfeil. München 1975, S. 117-218), der Literaturüberblick der Veröffentlichungen des Gedenkjahres 1975 von Rainer Wohlfeil und F.

Kopitzsch in dem vorliegenden Sonderheft und die Vorträge auf den Symposien von Memmin- gen und Göttingen geben von der Weite der von der jüngeren Generation diskutierten Aspekte ein eindrucksvolles Bild.

Die thematischen Intentionen der hier zu besprechenden Aufsätze stehen in einem engen Zu- sammenhang mit dieser neu aufgebrochenen Problemfront. Der »Weg zu einer sozialgeschicht- lichen Interpretation des Bauernkrieges«, wie John C. Stalnaker ihn noch unter Hinweis auf die Monographie von David Sabien (S. 60) empfiehlt, ist bereits ein beachtliches Stück zurückgelegt worden, wie u. a. die Beiträge von H . Wunder, R. Endres, R. Postel, J. Bücking, H . Schilling, O . Rammstedt und W. Schulze zeigen. Bereits in mehreren Veröffentlichungen hat R. Endres die rechtliche und sozialökonomische Lage der fränkischen Bevölkerung zur Zeit des Bauern- krieges herausgearbeitet. In dem vorliegenden Aufsatz würdigt er die ansteigenden Abgaben- und Steuerforderungen bei einer abnehmenden Schutzfähigkeit der Grundherrn infolge der vordringenden »staatlichen« Obrigkeiten als die wesentlichen Hintergründe für den offenen Haß der Aufständischen. - Nach seiner Abhandlung über das Verhältnis von Adel und Bauern in Schleswig-Holstein untersucht R. Postel nunmehr Niedersachsen als eine nur am Rande von Unruhen berührte, sonst aber kriegsfreie Region. Die Gründe dafür findet er in der geringen Städtedichte, in der landesherrlichen Bauemschutzpolitik, in den noch in den Anfängen stek- kenden Institutionen des frühmodernen Staates, schließlich in der Tatsache, daß auch die Auflö- sung der älteren bäuerlichen Abhängigkeitsverhältnisse wegen der regionalen Zersplitterung nicht zu einem nennenswerten Aufstandspotential führte und die stimulierende Wirkung re- formatorischer Gedanken nur in einigen Städten eine Rolle spielte.

Neue Wege zur Bestimmung des Rebellionspotentials wollen Heide Wunder und Jürgen Bük- king beschreiten. Beiden Autoren gilt die Insuffizienz der »traditionellen« Lösungsansätze als erwiesen; sie suchen mit Hilfe ethnographisch-anthropologischer und konfliktsoziologischer Ansätze einen Zusammenhang zwischen den aufständischen Mentalitäten und den jeweiligen Sozialstrukturen herzustellen. Die Anwendung der Kategorien der »peasant society« nach Eric R. Wolf auf den Samländischen Bauernaufstand (Ostpreußen) erlaubt H . Wunder für die bisher nicht plausibel erklärte Solidarisierung der verschiedenen, am Aufstand beteiligten Bauern- gruppen eine Integrierung der Ansätze. Im Zusammenhang mit der geschwächten landesherrli- chen Position des Deutschen Ordens führte nach Wunders Deutung der Druck des aus einge- wanderten deutschen Söldnerführern entstandenen Neuadels zu einer Nivellierung der verfas- sungssoziologisch und sozialpsychologisch verschiedenen Gruppen, ein verständlicherweise konfliktgeladener Vorgang. - J. Bücking präzisierte die sozial- und verfassungsgeschichtlichen Voraussetzungen der Aufstände in den habsburgischen Ländern, indem er jene nicht in einer statisch-verfassungstypologischen Beschreibung der bekannten »versteinerten Grundherr- schaft« aufzeigte, sondern eine sozialdynamische Faktorenanalyse nach der Modellinterpreta- tion von Barrington Moore vorlegte.

Der Herausgeber hatte ursprünglich die Absicht, in dem vorliegenden Sonderheft die Paralleli- tät von Bauernkrieg und Bürgerunruhen ausführlicher darstellen zu lassen. Von dieser Absicht zeugen die eindringende Monographie von Heinz Schilling über die Vorgeschichte des Münste- raner Täuferreichs und die anregende Studie über den Zusammenhang von »Stadtrebellion und Bauernkrieg« von Otthein Rammstedt. Vielleicht verdeutlichen diese Beiträge nicht nur, wie 219 Hans-Ulrich Wehler in der Vorbemerkung formuliert, »die Grenzen, bis zu denen die histori-

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sehe Forschung inzwischen vorgestoßen ist«, sondern mehr noch die Wege zu neuen Erkennt- nismöglichkeiten. Es ist schade, daß militärgeschichtliche Fragen dabei kaum eine Rolle spielen.

Ludwig Deike

Henning Eichberg: Militär und Technik. Schwedenfestungen des 17. Jahrhunderts in den Herzogtümern Bremen und Verden. Düsseldorf: Schwann 1976 . 331 S. (= Geschichte und Gesellschaft. 7.)

Erstaunlicherweise gibt es bisher kaum fundierte Untersuchungen, die sich - sieht man von for- tifikatorischen oder waffenkundlichen Monographien einmal ab - mit den wechselseitigen Be- ziehungen zwischen militärtechnischen Entwicklungen und allgemeinem technischen Fort- schritt befassen, obwohl an militärgeschichtlichen Arbeiten doch kein Mangel herrscht. Ebenso fehlt es an verläßlichen Studien über die Ingenieure als Wegbereiter dieses Fortschritts, wenn- gleich generell wohl zutreffen dürfte, daß die Militäringenieure der frühen Neuzeit, jene viel- fach aus den Ingenieur- und Genieschulen hervorgegangenen »technischen Offiziere«, durch ihren Einsatz bei zivilen Projekten zur Verbreitung und Anwendung des neuen technischen Wissens in maßgebender Weise beitrugen.

Mit seiner von Albrecht Timm, Bochum, betreuten Dissertation hat sich Eichberg zum Ziel ge- setzt, anhand eines überschaubaren territorialen Bereichs und der rund zwei Generationen von 1648 bis 1712/19 dauernden schwedischen Herrschaft in den Fürstentümern Bremen und Ver- den das »Wechselspiel von Militär, Technik und Gesellschaft« (S. 10) zu erforschen und die viel- fach in der Literatur vertretene These von der Kriegstechnik als dem Schwungrad technischen Fortschritts zu überprüfen. Durch diesen Ansatz hat sich Eichberg zweifellos einem gleicher- maßen stiefmütterlich behandelten wie schwierigen Forschungsfeld zugewandt, wobei der Au- tor um die Schwierigkeiten seines Vorhabens durchaus weiß, die vor allem darin liegen, daß Technikgeschichte im modernen Sinn in vielfältiger Weise die Ergebnisse und Einsichten ande- rer historischer Teildisziplinen einbeziehen muß. Deshalb waren für die vorliegende Untersu- chung neben den Erkenntnissen der Militärgeschichte u. a. baugeschichtliche, wirtschafts- und sozialgeschichtliche, verfassungs- und landesgeschichtliche Fragestellungen sowie Probleme der historischen Raumforschung zu berücksichtigen. Stellte einerseits das Fehlen entsprechen- der Vorarbeiten für den Verfasser ein Hemmnis dar, so wurde seine Arbeit andererseits durch die gute Quellenlage begünstigt, da die Bestände der Stockholmer und Stader Archive offenbar über die schwedische Epoche in Deutschland in beinahe erschöpfender Weise zu unterrichten vermögen. Darüber hinaus erwies sich die Wahl des Untersuchungsraumes als glücklich, weil der Autor am Beispiel dieses schwedischen Außenpostens zugleich den sich im Zeitalter des mi- les perpetuus abzeichnenden Wandel im Befestigungswesen darstellen konnte.

Als die Fürstentümer Bremen und Verden an die Krone Schweden fielen, übernahm die Monar- chie in ihren neuen Besitzungen eine Reihe recht unterschiedlicher Festungsanlagen, die bisher in erster Linie dem Schutz des Landes bei nachbarlichen Streitigkeiten gedient und die wichtigen Pässe gesperrt hatten. Zu diesen Fortifikationen zählten feste Häuser oder Amtsschlösser, befe- stigte Städte oder Orte, Stadtfestungen und Schanzen. Allerdings wurden manche der alten Amtsschlösser schon bald, einige der befestigten Städte, etwa Buxtehude und Verden, dann ein paar Jahrzehnte später aufgegeben, denn zum einen konnten diese Anlagen ohne kostspielige Umbauten ihre Schutzfunktion nicht mehr erfüllen, und zum anderen hatte eine neue Verteidi- gungskonzeption diese Plätze inzwischen überflüssig gemacht. Eine zahlenmäßige Verringe- rung der Befestigungsanlagen war damit indes nur bedingt verbunden; statt dessen errichtete man nämlich wenig später eine größere Anzahl zusätzlicher Schanzen, für deren Lage haupt- sächlich operative Erwägungen ausschlaggebend waren, wie die Werke an der Elbe und der We- ser belegen. Die am Elbufer gelegenen Schanzen bildeten beinahe eine durchgehende Linie, ver- gleichbar den Oberrheinlinien im Spanischen Erbfolgekrieg, ohne daß ein derartiges Konzept- etwa für den Kampf gegen Dänemark - aber nachweisbar wäre. Im übrigen handelte es sich bei diesen Schanzen zumeist um im Kriegs- oder Krisenfall provisorisch aufgeworfene oder rasch verstärkte Werke nach Art gewöhnlicher Feldschanzen, die angesichts einer Besatzung von 300 oder 400 Mann und geringer artilleristischer Bestückung militärisch nur von untergeordneter Bedeutung waren. Deutlich erkennbar ist freilich, daß es den Schweden vor allem auf die Siche- 220 rung der beiden Wasserwege Elbe und Weser ankam, stand und fiel die Behauptung dieses Terri-

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torialbesitzes doch mit dem freien Zugang zum Meer und war die Verfügung über die Wasser- straßen auch aus kommerziellen Gründen wichtig.

Hauptbollwerk des Landes sollte jedoch die Stadt Stade werden, deren Befestigung von Schwe- den nach 1680 forciert ausgebaut wurde; das ist allein schon auf Grund der Jahr für Jahr verbau- ten Gelder eindrucksvoll zu belegen. Somit wurde aus der fast noch spätmittelalterlich befestig- ten Stadt eines protestantisch-geistlichen Territoriums jetzt innerhalb weniger Dezennien die moderne Landesfestung der nordischen Großmacht Schweden mit Bastionen, Ravelins, Con- trescarpen und Außenwerken. Allerdings ist damit nur die eine Seite des Vorgangs angespro- chen, wie der Autor mit Recht hervorhebt, denn seit 1648 hatte sich die politische Szene ent- scheidend verändert: die Krone war Bauherr geworden, bei der Finanzierung der Fortifika- tionsbauten wurden neue Wege beschritten, bei den umfassenden Baumaßnahmen war eine an- dere Arbeitsorganisation eingeführt worden, die Stadt hatte eine beständige Garnison aufneh- men müssen und die Festung hatte eine andere Funktion erhalten, seit sie nicht mehr in erster Linie dem Schutz der Stadtbevölkerung diente, sondern der Verteidigung des schwedischen Territoriums an Weser und Elbe Rückhalt geben mußte. Aus dem bürgerlichen Gemeinwesen in einem Fürstentum, das eher Sekundogenitur und Sinekure für nachgeborene Söhne mächtiger Dynastien als moderner Territorialstaat war, war nunmehr eine königliche Stadt geworden, in welcher der Generalgouverneur und der Kommandant die Entscheidungen fällten, denen sich die Bürgerschaft zu beugen hatte.

Im Zusammenhang mit dem Ausbau Stades zur Festung hat Eichberg ferner das Tätigkeitsfeld der hier stationierten Militäringenieure untersucht. Anhand zahlreicher Beispiele kann er dabei nachweisen, daß deren Arbeit sich keineswegs nur auf den Entwurf und die Bauleitung solcher Objekte beschränkte, die im engeren Sinne zur architectura militaris gezählt wurden, sondern in gleicher Weise zivile Aufgaben einschloß; nach heutigem Verständnis würde man diese Tätig- keiten sowohl dem Tiefbau und dem Wasserbau als auch dem Hochbau oder dem Vermes- sungswesen zurechnen. Zum Arbeitsgebiet der Militäringenieure gehörte demnach der Bau von Schleusen und Dämmen, von Stadttoren, Brücken und Straßen; sie wurden beim Deichbau, bei der Stadtplanung und in der Landesvermessung eingesetzt und hatten selbstverständlich Kaser- nen, Wacht- und Zeughäuser und Magazine zu errichten, wobei sich diese Hochbauten eigent- lich aber nur in der Zweckbestimmung von gewöhnlichen Gebäuden abhoben und folglich eine Unterscheiduhg zwischen Zivil- und Militärarchitektur recht willkürlich anmutet. Bemerkens- wert ist, daß der Verfasser für manche der Bauten detaillierte Kostenvoranschläge und Abrech- nungen gefunden hat, so daß auch von dieser Seite her ein umfassender Einblick in das Bauge- schehen geboten wird, zumal hier nicht selten die städtischen Handwerker und die »technischen Offiziere« mit verschiedenen Entwürfen konkurrierten.

Eingangs wurde bereits betont, daß Eichberg seine Dissertation einem bisher kaum erforschten Gebiet gewidmet hat, und nach der Lektüre der Studie muß man dem Verfasser bestätigen, daß er mit einer Reihe wertvoller Erkenntnisse über den Zusammenhang von militärischer, techni- scher und gesellschaftlicher Entwicklung aufwarten kann. Kritisch ist allerdings anzumerken, daß die drucktechnische Wiedergabe eines Teils der beigegebenen Abbildungen unzureichend ist und die zugehörigen Erläuterungen mehr als dürftig sind. Leider ist auch noch keine ab- schließende Würdigung der Arbeit möglich, vielmehr hinterläßt die Untersuchung einen frag- mentarischen Eindruck, denn mit dieser Publikation hat Eichberg erst einen Teil seiner Ergeb- nisse vorgelegt, zugleich aber wichtige Aspekte unter Hinweis auf den zweiten, noch zu veröf- fentlichenden Teil der Arbeit kurzerhand ausgespart. Mit einer solchen Lösung, durch die eine in sich geschlossene Studie zerrissen wird und bei der nicht einmal abzusehen ist, wann die Un- tersuchung vollständig gedruckt sein wird, ist indes weder dem Autor noch dem Verlag und erst recht nicht dem Leser gedient; deshalb bleibt nur zu hoffen, daß der zweite Teil als notwendige Ergänzung bald erscheint. Bernhard Sicken

Der Dreißigjährige Krieg. Beiträge zu seiner Geschichte. Wien: österreichischer Bun- desverlag für Unterricht, Wissenschaft und Kunst 1976. 232 S. (= Schriften des Heeres- geschichtlichen Museums (Militärwissenschaftliches Institut) Wien. 7.)

Anders als die Mehrzahl der Sammelbände, in denen ein gemeinsamer Titel nur recht lose die verschiedenen Beiträge verbindet, weist diese Sammlung einen bestimmten Schwerpunkt auf -

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die Entwicklung des kaiserlichen Heeres während und den Aufbau eines stehenden österreichi- schen Heeres am Ende des Dreißigjährigen Krieges. Vier von den fünf Arbeiten sind diesem Thema gewidmet, während sich der Aufsatz von H u g o Schneider über die Schweizer Pike, ei- gentlich den Langspieß, sich mit einer Waffe befaßt, die zwar zu dieser Zeit nicht mehr eine Hauptwaffe des Fußvolkes, aber doch noch immer von Bedeutung auf den Schlachtfeldern die- ses Krieges war.

Dr. Schneider, Direktor des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich, beschreibt Herkunft, Entwicklung, Fabrikation und Verbreitung dieser Stangenwaffe, ihre Verkürzung als Pike, aber er gibt nur wenige Angaben über ihre taktische Verwendung im Dreißigjährigen Krieg.

Die nächste Arbeit eröffnet die Reihe der dem Dreißigjährigen Krieg direkt gewidmeten Beiträ- ge. Dr. Peter Broucek, Kriegsarchiv Wien, beschreibt die Tätigkeit des Feldmarschalls Bucquoy im Kampf gegen den Böhmischen Aufstand. Er kommt zu dem Ergebnis, daß dieser spanische Offizier, ein Schüler Farneses, sich zwar als Festungskommandant und als Reiterführer be- währt, jedoch als Armeekommandant versagt habe. Neben der Schwäche des kaiserlichen Hee- res haben Ressentiments anderer Generäle, aber auch die von Bucquoy gepflegte Ermattungs- strategie, in der Broucek den Ansatz der in der späteren österreichischen Kriegführung so be- deutenden defensiven Strategie sieht, eine wichtige Rolle gespielt.

Brigitte Holl, Heeresgeschichtliches Museum, untersucht in ihrem Beitrag Provenienz und Be- deutung eines Dokumentes, »Wallensteins angebliche Skizze für die Schlacht bei Lützen«. Auf Grund einer ausgiebigen Analyse der Wallenstein-Literatur und einer Erörterung von früheren Untersuchungen über dieses Stück kommt Frau Dr. Holl zu dem Schluß, daß es zwar unmög- lich bleibt, die Verbindung dieser Skizze, einschließlich der auf ihr aufgezeichneten Schlacht- ordnung, mit der Schlacht bei Lützen zu beweisen, aber daß es sich doch hier um ein »unicum von hohem militärischen Wert« handelt, das bedeutende Aufschlüsse über Gliederung und Dis- positionen der kaiserlichen Armee im November 1632 liefert. Ebenso wie Schneider in seinem Aufsatz bringt Frau Holl hier ein Mosaik von musealer, archivalischer und historischer For- schung, das anerkennenswert ist.

Friedrich Hausmann, Universität Graz, behandelt die Geschichte des kaiserlichen Infanteriere- giments Graf Hardegg. Es ist selten, daß wir Einzelheiten über den internen Dienstbetrieb eines Regiments für diesen Zeitraum finden. Professor Hausmann untersucht die Zusammenhänge zwischen der Person und der Kompetenz des Regimentsinhabers, der in diesem Falle kein Be- rufsmilitär war, und dem eigentlichen Kommandanten, stellt Ausrüstung, Uniformierung und Verpflegung der Einheit vor, und erörtert Fragen der Rekrutierung, der Organisation, der Be- setzung von Offizierstellen und die Probleme der Fahnen und Feldzeichen. Der Aufsatz be- leuchtet auch die Schwierigkeiten, die sich aus der Abwesenheit des Regimentsinhabers und aus der dadurch erwachsenden Dualität der Führung ergaben. Ein Mikrokosmos der Kaiserlichen Armee in der Zeit 1630-1636, erleuchtet dieser Beitrag die Hintergründe, die am Ende des Krie- ges die Europäischen Mächte zum Ubergang vom geworbenen Soldaten zu dem stehenden Heer veranlaßten.

Diese Entwicklung schildert Philip Hoyos in seinem Beitrag Die kaiserliche Armee 1648-1650, ein umgearbeiteter Teil seiner Wiener Dissertation über Ernst von Traun und die Abdankung der kaiserlichen Armee nach dem Westfälischen Frieden. Dieser Aufsatz, der mit nicht weniger als 579 Fußnoten belegt ist, ist vielleicht der aufschlußreichste Beitrag in dieser Sammlung.

Hoyos gibt Einzelheiten und Daten, die das ältere Buch von Ernst Heischmann: Die Anfänge des stehenden Heeres in Österreich. Wien 1925 nicht darbietet. Allerdings ist der Rahmen dort enger gezogen. Hoyos beschränkt sich auf die Schwierigkeiten, Truppen nach geschlossenen Friedensverträgen, aber noch unklarer militärpolitischer Lage, zusammenzuhalten, die Versu- che, Einheiten ohne die ihnen zustehenden Zahlungen zu demobilisieren, in spanische Dienste überzuführen oder an die ungarische Grenze zu versetzen. Generalkriegskommissar Ernst v.

Traun, unterstützt von Generälen wie Piccolomini, war für die langsame, aber im großen und ganzen ordentliche Reduzierung und Abdankung von Offizieren und Mannschaften sowie auch für die Erhaltung eines kleinen, aber schlagkräftigen Heeres, die »essenz von einer guten arma- da« verantwortlich. Sein Verdienst ist es, den Grundstock für das alt-österreichische Heer gelegt zu haben.

Alles in allem zeigt dieser Band das hohe Niveau, das die früheren Bände in dieser Folge aus-

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zeichnet. Jeder Beilrag ist gründlich belegt, die Auswertung von archivalischen Quellen mu- sterhaft, die redaktionelle Arbeit bemerkenswert und der Druck fehlerlos. Ohne Zweifel bietet dieser Sammelband eine wertvolle Bereicherung des Materials zur Erforschung des Dreißigjäh- rigen Krieges und der Entstehung des österreichischen Heeres.

Günther E. Rothenberg

Lois G. Schwoerer: No standing armies. The antiarmy ideology in Seventeenth-Century England. Baltimore, London: The Johns Hopkins University Press 1974. X , 210 S.

Fragt man nach den Gründen und grundsätzlichen Streitfragen jener Auseinandersetzung der englischen Geschichte des 17. Jahrhunderts, deren entscheidenden Aspekt Wallace Notestein im Gewinn der Initiative des Unterhauses1 verankert sah, so ist zweifellos die Bedeutung der Kontrolle über die Streitkräfte nicht hoch genug einzuschätzen. Denn hierin lag in der Tat der eigentliche Explosivstoff der innerenglischen Querelen des Jahrhunderts, die in die Revolution des Jahres 1649 und den schließlichen, endgültigen Sieg der »landed gentry« und ihrer Verbün- deten in der Glorreichen Revolution des Jahres 1689 einmünden sollten, womit die Frage nach der Potenz der königlichen Prärogative2 durch deren faktische Annullierung gelöst war. Die an der George Washington-Universität lehrende Historikerin Lois G. Schwoerer, eine Schülerin von Caroline Robbins3, hat sich daher ein lohnendes Thema ausgesucht, das sie anhand der zahlreichen Pamphlet- und Traktatliteratur der Zeit auszuleuchten und zu beantworten sucht.

Bereits in den vorliegenden Äußerungen der Tudor-, vornehmlich der elisabethanischen Zeit sieht sie determinierende Zeichen einer den Engländern immanenten antimilitaristischen Hal- tung, welche ihre Herkunft im wesentlichen aus der Insellage, der Existenz des Milizsystems4

und den dieses bedingenden, teils daraus resultierenden Besonderheiten des englischen Gesell- schaftssystems (Rolle lokaler Eliten) bezogen habe. Vor allem der erste Punkt habe hervorra- gende Bedeutung, da durch die Insellage ein allgemeines Sicherheitsgefühl im Lande vorge- herrscht habe; in den Worten eines Pamphletisten aus dem Jahre 1579, wäre das Land nicht eine Insel, »men would know and value the soldier and lick the dust off the feete of an army« (S. 10).

Mit der Zuspitzung des Konflikts zwischen Krone und Parlament gewann die Frage einer ste- henden Armee an Zündstoff und wurde im Zuge der Ereignisse der frühen 1640er Jahre über- deutlich, wie die Debatte um die »Militia Bill« des Jahres 1641 zeigte: einflußreiche Gruppen der parlamentarischen Opposition um Pym, Cromwell und Hazelridge befürworteten die völlige Uberführung der Gewalt über das Militär in den Zuständigkeitsbereich des Parlaments. Charles I. sollte hierzu später feststellen, hier habe es sich in der Tat um »the fittest subject for a King's quarrel« gehandelt (S. 38). Der Sieg des Parlaments bzw. seiner »New Model Army« unter Fair- fax und Cromwell aber brachte nicht etwa ein Ende dieses Streites, sondern nur einen Austausch der Antagonisten. Das Heer, der presbyterianisch-konservativen Mehrheit der Parlamentarier nach erkämpftem Sieg über den König nur mehr ein lästiger Kostenfaktor, entwickelte sich auf- grund der Versuche des Parlaments, es möglichst »billig«, d. h. ohne Begleichung der Soldrück- stände, zu entlassen, zu einer eigenständigen politischen Kraft, und aus dem Bürgerkrieg mit begrenzten Zielen wurde, was auch vielen Zeitgenossen als Revolution erscheinen sollte. Das Ergebnis dieses, im sogenannten zweiten Bürgerkrieg 1648 und der Exekution des Königs kul- minierenden Prozesses, war die faktische Übernahme der Macht im Lande durch die Militärs, welche sich optisch in den ersten Jahren des nun etablierten »Commonwealth« nur dadurch mi- nimal ausnahm, daß die neuen Machthaber in London vornehmlich mit der Sicherung ihrer Po- sition gegen die Royalisten zur See sowie mit der Niederwerfung Irlands und Schottlands befaßt waren. Nach der Schlacht bei Worcester Ende 1651 aber nahm der effektive politische Einfluß des Heeres zu und »entlud« sich schließlich in der Verjagung des Parlaments im April 1653. Es folgten zahlreiche, doch letztlich erfolglose Verfassungsexperimente5, die am Unwillen oder 223 auch Unvermögen der Heeresgranden scheiterten, den, allerdings gleichfalls bzw. noch wesent-

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lieh eindeutiger kompromißlosen, Parlamenten der Zeit innenpolitischen Spielraum zu überlas- sen.

Dies trug, zusammen mit der inhärenten, enormen Kostenbelastung durch das stehende Heer und die aufgerüstete Flotte dazu bei, daß die Entlassung und Auflösung der Armee zu den ersten und wohl populärsten Maßnahmen der Restaurationsregierung des zweiten Charles gehörte. Es blieb als permanentes Erbe das Trauma »der« Engländer von der Willkürherrschaft des Militärs,

»a rooted aversion to Standing armies and an abiding dread of military rule« (S. 51). Das mit der Restauration inaugurierte Milizsystem unter Kontrolle des Königs erwies sich als nicht weniger konfliktträchtig »and laid the groundwork for future confrontations« (S. 4), indem es der ent- stehenden Oppositionspartei der Whigs reichlich Munition gegen die Monarchie lieferte. Die schließliche Lösung fand sich in der totalen Kapitulation der Monarchie. Der Artikel VI der

»Bill of Rights« von 1689 bestimmte, daß in Friedenszeiten ohne Zustimmung des Parlaments kein stehendes Heer existieren dürfe.

Zwar mag die Bedeutung, die die Autorin der Traktatliteratur vor allem des ausgehenden 17.

Jahrhunderts in bezug auf deren intellektuelle Auswirkung auch auf die amerikanischen Kolo- nien und darüber hinaus die USA bis in die heutige Zeit beimißt, angezweifelt werden6. Den- noch liefert sie mit der vorliegenden Studie einen wertvollen Beitrag zum Verständnis nicht nur der englischen Geschichte des 17. Jahrhunderts, sondern arbeitet in überzeugender Weise die grundsätzliche Problematik der Frage der Kontrolle über Streitkräfte im allgemeinen und um- gekehrt die Gefahr heraus, daß der militärische Apparat sich verselbständigen kann oder gar dominierend wird; dies allerdings hat als Axiom demokratischer Verfassungen zu gelten. Ver- merkt werden sollte zudem, daß der vorliegende Beitrag sich in angenehmer Weise von den üb- lich gewordenen »geschichtslosen«, im Räume reiner Theorie schwebenden Arbeiten der Poli-

tologie abhebt7. Η ans-Christoph Junge

1 W. Notestein: The winning of the initiative by the House of Commons. L o n d o n ' 1 9 7 1 (= Proceedings of the British Academy. 9.)

2 G. A. Ritter: »Divine Right und Prärogative der englischen Könige 1603-1640«. In: H Z 196 (1963) 584-625.

3 Die Verpflichtung der vorliegenden Studie gegenüber Ansatz und Fragestellung der grundlegenden Ar- beit von C. Robbins: The eighteenth-century commonwealthman. Studies in the transmission, devel- opment, and circumstances of English liberal thought from the Restoration of Charles Π until the war with the thirteen colonies. Cambridge, Mass. 1959 ist offensichtlich.

4 C. G. Cruickshank: Elizabeth's army. London 21966.

5 Siehe hierzu als nach wie vor beste Einführung C h . H . Firth: The House of Lords during the Civil War.

Totowa, N e w Jersey, London 21974 wie auch B. Worden: The Rump Parliament 1648-1653. London 1974.

6 Vgl. etwa V. K. Dibble: Die Kasernen-Gesellschaft. In: Militarismus. Hrsg. von V. R. Berghahn.

(= Neue Wissenschaftliche Bibliothek. 83. Geschichte.) Köln 1975, S. 335-346 und den Sammelband Military force and American society. E d . : Β. M. Russe« and A. Stephan. N e w York, San Francisco, London 1973.

7 Wie etwa J. A. W. G u n n : Politics and the public interest in the seventeenth century. London, Toronto 1969; vgl. aber dagegen E. Schulin: Handelsstaat England. Das politische Interesse der Nation am Au- ßenhandel vom 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert. Wiesbaden 1969 als Beispiel einer historischen Be- trachtungsweise politischer bzw. wirtschafdicher Ideen.

Udo Sautter: Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. Stuttgart: Kröner 1976.

592 S. (= Kröners Taschenausgabe. 443.)

HansR. Guggisberg: Geschichte der USA. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz: Kohlhammer 1975. 323 S.

Alistair Cooke: Amerika. Geschichte der Vereinigten Staaten. Aus d. Engl, übertr. von Ruprecht Skasa-Weiß und Gerd Betz. Stuttgart, Zürich: Belser 1975. 399 S.

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Die Vereinigten Staaten von Amerika. Geschichte, Probleme, Perspektiven. Würzburg:

Ploetz 1976. 256 S.

Franz Herre: Die amerikanische Revolution. Geburt einer Weltmacht. Köln: Kiepen- heuer Sc Witsch 1976. 303 S.

R. E. Evans: The war of American independence. Maps by Reg Piggott. Cambridge, London, New York, Melbourne: Cambridge University Press 1976. 48 S. Η 21 cm Br20 cm ( = Cambridge introduction to the history of mankind. Topic book.)

Renee Lemaitre: La guerre de secession en photos avec un choix de textes de temoins frangais. Avant-propos de Claude Fohlen. Paris, Bruxelles: Elsevier Sequoia 1975.192 S.

( = Collection »Documents-Temoins-Photos«.)

Maldwyn A. Jones: Destination America. London: Weidenfeld & Nicolson 1976. 256 S.

Franz Hermann Huberti: Die Bedeutung der Seemacht in der Geschichte der USA. In:

Schiff und Zeit. 4. Herford: Koehler 1976, S. 63-73.

Die Zweihundertjahrfeier der amerikanischen Unabhängigkeit hat auch in der Bundesrepublik Deutschland zu vielfältigen Aktivitäten Anlaß gegeben. Daß dabei historische Themen und Aspekte im Vordergrund standen, kann der Natur der Sache nach nicht überraschen, wobei na- heliegenderweise - insbesondere bei den Ausstellungsveranstaltungen - die deutsch-amerikani- schen Beziehungen und die Auswanderung bevorzugt dargestellt und abgehandelt wurden.

Doch geriet darüber hinaus auch der Gesamtbereich der Geschichte der USA wieder stärker ins Blickfeld, es erschienen Aufsätze, Essays, Spezialmonographien und Gesamtdarstellungen, sowohl Originalbeiträge als auch Ubersetzungen. Bei den im folgenden rezensierten Titeln han- delt es sich nur um einen kleinen Teil der im Umfeld des Bicentennial herausgekommenen Neu- erscheinungen, zu dem noch einige ausländische Titel hinzugenommen wurden.

Mit Gesamtdarstellungen der Geschichte der Vereinigten Staaten, die die Prädikate umfassend, gründlich, wissenschaftlich fundiert und gut lesbar auf sich vereinigt hätten, ist der Leser im deutschsprachigen Raum bislang nicht gerade verwöhnt worden. Gewiß, dem seit 1949/50 auch in deutscher Ubersetzung vorliegenden zweibändigen Werk von Samuel Eliot Morison und Henry Steele Commager (Das Werden der amerikanischen Republik) wird man die ersten drei dieser Prädikate nicht verweigern wollen. Aber abgesehen davon, daß es nur bis zum Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg reicht, erweckt es über weite Strecken den Eindruck einer gewis- sen Umständlichkeit, Farblosigkeit und Unschärfe. Von ihm dürfte kaum Breitenwirkung aus- gegangen sein. Als im Sinne der obengenannten Kriterien empfehlenswert bleibt nur die bereits 1953 erschienene Darstellung von Hellmuth Günther Dahms zu nennen, denn die im Umfang etwa vergleichbaren Werke von Ernst Samhaber (1954) und Otto Zierer (1956/57) geben sach- lich zu mancherlei Bedenken und Einwänden Anlaß, die Arbeiten von Otto Graf zu Stolberg- Wernigerode (1956, 21973), Werner Richter (1954), Paul Leverkuehn (1947), Friedrich Lenz (1946) und Adolf Rock (1947), samt und sonders übersichtlich und gut lesbar, tragen anderer- seits zu sehr den Charakter der Kurzübersicht, um - in unterschiedlicher Qualität und Akzent- setzung - mehr zu bieten als Grundzüge und Haupttendenzen.

Angesichts dieser Umstände kann es nur begrüßt werden, daß nunmehr gleich zwei Werke an- zuzeigen sind, die die eben umschriebene Lücke ausfüllen. Udo Sautter von der University of Windsor (Kanada) und Hans Rudolf Guggisberg (Universität Basel) legen zwei in Umfang, Gliederung und Schwerpunktsetzung unterschiedliche Darstellungen vor, die aber beide in ih- rer straffen und konzisen Diktion, in mustergültiger Beherrschung und Durchformung des im- mensen Stoffes weit über das hinausgehen, was beide bescheiden zu liefern beanspruchen: eine bloße Einführung. Man wird hier, auch wenn neue Quellen nicht herangezogen, neue Deutun- gen kaum geboten werden, von einer wissenschaftlichen Leistung sprechen dürfen.

Wenn die im Umfang knappere Darstellung von Guggisberg die großen Zäsuren in den Schrit- ten »Unabhängigkeit« - »Kontinentale Macht« - »Weltmacht« setzt, so werden in diesem »au- ßenpolitisch« geprägten Rahmen doch die inneren Probleme, die sozialen und wirtschaftlichen Faktoren keineswegs vernachlässigt. Die allmähliche Entstehung der innenpolitischen Grup- pen, der erste Durchbruch zur Massendemokratie in der Ära Jackson, das Sklavereiproblem und der Bürgerkrieg, die Industrialisierung, die Wirtschaftskrise und der New Deal, aus all dem formt sich das Bild einer Gesellschaft, die ungeachtet ihrer Krisen, Schwächen und Gefahren doch die Kraft in sich barg, zu einer der beiden Supermächte unserer Zeit zu werden.

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Sautters Darstellung ist breiter angelegt. So vermag sie mehr Fakten und Facetten zu liefern, ohne doch die große Linie aus dem Blick zu verlieren oder an Prägnanz einzubüßen. Die Schwerpunkte der Stoffgliederung entnimmt sie der inneren Entwicklung, indem sie in Ab- schnitten zusammenfaßt »Revolution und frühe Republik« (bis 1829), »Demokratie in Ameri- ka« (bis 1869), »Die Zeit des Laissez faire« (bis 1933) und »Die Anerkennung der Interdepen- denz«. Werden hier die Akzente anders, eigenwilliger gesetzt als bei Guggisberg, so kommt da- bei die Außen- und Weltpolitik doch keineswegs zu kurz, wird vielmehr ihre Abhängigkeit von den gesellschaftlichen Strömungen und wirtschaftlichen Tendenzen besonders deutlich. Auch das geistige und kulturelle Leben erhält seinen Platz in der Darstellung Sautters, und erwähnt zu werden verdient schließlich, daß er an den Schluß der Großabschnitte jeweils eine Skizze ihrer Interpretation durch die Richtungen und Hauptvertreter der amerikanischen Geschichtsschrei- bung stellt. Beides fehlt bei Guggisberg zwar nicht, doch ist es bei ihm knapper, stichwortarti- ger. Beide Werke weisen eine vorzügliche Bibliographie, instruktive Tabellen und Statistiken und ein gutes Register auf - alles in allem sind sie zwei würdige Beiträge deutscher Geschichts- schreibung zum Bicentennial, ausgewogen im Urteil, dabei keineswegs unkritisch, und tragen zugleich auch bei zum Verständnis unserer europäischen Welt von heute, aus der der Einfluß der in zwei Jahrhunderten geformten amerikanischen Politik und Gesellschaft - mag man ihn nun akzeptieren oder leidenschaftlich ablehnen - nicht wegzudenken ist.

Hingegen sind es eher gemischte Gefühle, mit denen man ein Werk liest, das im Untertitel eben- falls eine Geschichte der Vereinigten Staaten zu sein beansprucht. Das Buch des britischen Jour- nalisten Alistair Cooke, basierend auf den Materialien und Recherchen zu einer weitverbreiteten Fernsehserie gleichen Titels, sollte freilich nicht mit wissenschaftlichen Maßstäben gemessen werden. Aber selbst wenn man es als »Sachbuch« beurteilt, das möglichst farbig, möglichst konkret und wenn nötig auch vereinfacht eine breite Leserschaft ansprechen will, ist der Ein- druck nicht durchgängig positiv. Unbestreitbar ist Cooke ein guter Kenner der amerikanischen Gegenwart und jüngeren Vergangenheit, und es gelingen ihm hier mit Quer- und Längsschnit- ten, Personenporträts (etwa Woodrow Wilson), persönlichen Reminiszenzen, Szenen, Zitaten, Anekdoten lebendige und farbige Abschnitte (etwa Prohibition, Weltwirtschaftskrise, N e w Deal). Doch je weiter er in die Vergangenheit zurückgeht, desto mehr mißlingt diese Methode, versagt sie insbesondere bei der Darstellung spröderer, komplexerer, abstrakterer und heutigem Denken fremderer Phänomene. Ein Beispiel dafür ist das Kapitel Die Gründungsväter, das die Entstehung der Verfassungsprinzipien und Staatsstruktur zu schildern versucht. Da wird man- cher Übergang und Zusammenhang geradezu unbeholfen, ja unverständlich. Der Band ist auf- wendig ausgestattet und illustriert; hervorragend sind großenteils die Fotos, von den ersten Schwarzweißaufnahmen aus der Frühzeit der Fotografie - Porträt Präsident Jacksons von 1845, Bilder vom Goldrausch in Kalifornien 1850, aus dem Sezessionskrieg - bis hin zu modernen Farbaufnahmen. Für die Illustration werden im übrigen bevorzugt Gemälde und kolorierte Zeichnungen herangezogen, (wohl um den Eindruck des Aufwendigen zu unterstreichen) wo- bei Auswahl und Plazierung der Genre- und Schlachtendarstellungen, oft solche in dilettan- tisch-naiver Manier, nicht immer überzeugen können; die Beschriftung ist gelegentlich unpräzi- se, in zwei Fällen (S. 163/64, 360/61) fehlt sie sogar ganz. Insgesamt ein verdienstvoller, aber nur bedingt geglückter Versuch, mit den Mitteln des modernen Sachbuchs amerikanische Ge- schichte lebendig zu machen.

Der sogenannte »USA-Ploetz« (Die Vereinigten Staaten von Amerika) geht diese Aufgabe in ganz anderer Weise an. Sein Kernstück bildet eine von der Fachredaktion des Verlages erarbei- tete knappe geschichtliche Darstellung (S. 33-119), die dem sogenannten »Ploetz-Prinzip«

folgt, d. h. der - hier freilich sehr ausführlichen - Ausfüllung eines chronikartigen Datengerü- stes im Präsens. Dies in vielen Veröffentlichungen des Verlages bewährte Prinzip wirkt im vor- liegenden Fall allerdings manchmal etwas gewaltsam, da sich an relativ wenige, allerdings zen- trale herausgehobene Daten immer wieder längere Abschnitte anschließen, in denen ganze Peri- oden und Sachbereiche ohne solche Hervorhebungen dargestellt werden. Da der Text jedoch in seiner präzisen, informativen Knappheit weithin mustergültig ist, wiegt dies nicht schwer. U m den Kernteil gruppieren sich dann namentlich gezeichnete Beiträge zu Spezialthemen amerika- nischer Entwicklung und Politik. Einleitend werden die geographischen und klimatischen Vor- 226 aussetzungen skizziert (B. Hofmeister), Kultur, Geschichte und Probleme der Indianer darge-

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stellt (W. Lindig), und ein Überblick über Entdeckung und Kolonisierung gegeben (G.G. Kin- zel), der sich allerdings in seinem letzten Teil mit dem Anfang der geschichtlichen Kerndarstel- lung überschneidet, was unschwer hätte vermieden werden können. Auf diese Darstellung fol- gen dann Kapitel über das politische System (W. Kaltefleiter), Außenpolitik (M. Knapp), Streitkräfte und Politik (G. de Groot), das Rechtswesen (D. Gerber), die Wirtschaft (J. Klein) und die Technologie (U. Becker). Unter dem Oberbegriff Die Gesellschaft werden schließlich Überblicke über deren Selbstverständnis und Krise (W. Kaltefleiter), die Rassenfrage (E. Bölte), die soziale Frage (H. G. Koblitz), das Bildungswesen (H. Vogt) und die Kirchen (R. G. Hei- mick und H. Vogt) zusammengefaßt. Jeder dieser Beiträge greift aus der Kerndarstellung ein- zelne Fakten, Probleme, Entwicklungsstränge heraus, präzisiert, ergänzt und erweitert sie, ana- lysiert den gegenwärtigen Zustand und deutet mögliche Zukunftsperspektiven an. Der Leser hat so die Möglichkeit, von der Basis der Kerndarstellung aus sein Wissen über ihn besonders inter- essierende Teilbereiche abzurunden und zu vertiefen. Eine Fülle von Illusionen, Schaubil- dern, Tabellen und Karten tun das Ihrige dazu. Wenn der Verlag im Klappentext erklärt, ihm sei es um ein Nachschlagewerk gegangen, nicht »um ein Textbuch, das man liest«, so betreibt er damit ein understatement. Das hohe Niveau der Beiträge läßt sehr wohl eine Lektüre im Zu- sammenhang zu, die - um es mit den Worten von US-Botschafter Martin Hillenbrand im Geleitwort auszudrücken - »ein klares Bild vom Werden und Sein der Vereinigten Staaten«

vermittelt.

Neben den gesamten 200 Jahren seit 1776 ist es natürlich vor allem die Periode der Unabhängig- keitserklärung und des Unabhängigkeitskrieges selbst, die im Jahr des Bicentennial interessiert.

Zwei Werke zu diesem Themenkreis seien hier vorgestellt. Franz Herre, Historiker und Journa- list, ist Autor des umfassendsten von ihnen, eines zugleich lebendigen und korrekt-präzisen Sachbuches, das das Phänomen »amerikanische Revolution« von seinen Wurzeln in der Kolo- nialzeit bis zu seinem Ergebnis, der jungen Republik unter ihrem ersten Präsidenten George Washington, schildert. Dabei wird den kriegerischen Ereignissen breiter Raum eingeräumt, ohne die politischen Aspekte, ihre sozialen und persönlichen Hintergründe zu vernachlässigen;

auch die vielfältigen Verbindungen zum alten Kontinent fehlen in der Darstellung nicht, deren Qualität deutlich wird, wenn man etwa die Abschnitte über die Vorgeschichte der Unabhängig- keitserklärung und der Verfassung mit denjenigen im Buch von Alistair Cooke vergleicht; das gilt übrigens auch bei einem Vergleich der im Fall des vorliegenden Werkes hervorragend aus- gewählten und piazierten Illustrationen, obwohl - oder weil? - keine aufwendigen Farbrepro- duktionen dabei sind, mit denjenigen in Cookes Buch. Wenn auch Herre gelegentlich Fehlbeur- teilungen unterlaufen sind, wie etwa seine Behauptung, die zeitgenössischen deutschen Zeitun- gen hätten die Unabhängigkeitserklärung »kaum erwähnt, geschweige denn gewürdigt oder gar in ihrer Bedeutung erkannt« (S. 172) - eine Ausstellung der Abteilung Deutsche Pressefor- schung an der Universitätsbibliothek Bremen (»Vorboten der Freiheit«) hat jüngst eindrucks- voll das Gegenteil bewiesen - so kann sein Buch doch als empfehlenswerte Einführung in die Vor- und Frühgeschichte der Vereinigten Staaten von Amerika gelten.

Einer außerordentlich farbigen, bei aller Knappheit sehr um Übersichtlichkeit und Verständ- lichkeit bemühten Darstellung vor allem der Feldzüge und Schlachten des Unabhängigkeits- krieges begegnen wir in dem Werk von/?. E. Evans. Einleitend skizziert er die politisch-soziale Vorgeschichte des Krieges seit dem Sieg der von den amerikanischen Kolonisten unterstützten Engländer über Frankreich 1763 und schildert dann den Kriegsverlauf, seine strategischen, tak- tischen, waffentechnischen, logistischen und psychologischen Aspekte, mit kurzen Ausblicken auch auf die politische Szene. Der didaktische Zweck dieses »topic book«, der sich im Text gele- gentlich allzu direkt in Form von Fragen und Anweisungen an den Leser ausdrückt, wird unter- stützt durch eine Fülle von aussagekräftigen und anschaulichen Illustrationen, Zeichnungen und Karten. Den Abschluß bilden kurze Biographien der wichtigsten Truppenführer beider Sei- ten.

Dem zweiten großen Krieg in der Geschichte der USA, dem blutigen Bürgerkrieg zwischen Nord und Süd 1861-1865, gilt die Veröffentlichung von Renie Lemaitre. Daß mit diesem Krieg eine neue Etappe in der Kriegsgeschichte begann, daß er in mancherlei Weise - anders als die etwa gleichzeitigen deutschen »Einigungskriege« von 1864, 1866 und 1870/71 - der erste »mo- 227 derne« Krieg war, darauf wird oft verwiesen. Die ausschlaggebende Rolle des Industrie- und

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Wirtschaftspotentials, mit dessen totaler Mobilisierung der Norden schließlich siegte, die Be- deutung der Eisenbahnen und des Telegraphen für die Kriegführung, die Strategie der Massen- heere, erste Vorläufer moderner Waffen (Repetiergewehr, Maschinengewehr, superschwere Geschütze, Panzerschiffe), »Lufterkundung« durch Ballons - das sind einige Stichworte zu die- sem ersten zumindest ansatzweise »totalen« Krieg. Aber noch auf einem anderen Gebiet ist die- ser Krieg »modern« gewesen: in der erstmals in großem Stil angewandten Berichterstattung und Dokumentation durch Fotos. Den Schwierigkeiten und Tücken einer noch unpraktischen und unbeweglichen technischen Apparatur zum Trotz sind Tausende von Fotos entstanden, die das Antlitz dieses Krieges ungeschminkt und in erschütternder Weise widerspiegeln. Aus ihnen, die in der Kongreßbibliothek und im Nationalarchiv zu Washington verwahrt werden, sind im vor- liegenden Band etwa 120 ausgewählt, die vor allem von den drei Fotographen Matthew Brady, Timothy O'Sullivan und Alexander Gardner stammen. Kommentiert durch Abschnitte aus den Erinnerungsbüchern französischer Kriegsteilnehmer oder -beobachter (Prince de Joinville, Comte de Paris, Regis de Trobriand, Duvergier de Hauranne), gruppieren sie sich einmal um die wichtigsten Kriegsetappen (Schlachten von Bull Runn, Antietam, Gettysburg, Cold Harbor;

Shermans Vormarsch durch Georgia, Schlacht von Richmond-Petersburg, Kapitulation Lees), andererseits um seine sachlichen Aspekte, wobei seiner »Modernität« der gebührende Platz ein- geräumt wird (Transport, Waffen, Gerät, Kriegsschiffe etc.), aber auch Leben und Leiden des einzelnen Soldaten eindrucksvoll lebendig werden (Lagerleben, Uniformen, Verpflegung, Un- terkunft, Zerstreuungen, Verwundete, Gefangene); am erschütterndsten sind die Bilder des tau- sendfachen Todes auf den Schlachtfeldern und die der grausamen Zerstörung im geschlagenen Süden (Atlanta, Charleston). Eine Chronologie der Ereignisse, ein (etwas dürftiges) Register und bibliographische Angaben runden einen Band ab, an dem man Einzelheiten monieren kann (so das etwas unübersichtliche und verwirrende Layout der Seiten, die gelegentlich unklaren Bildunterschriften) der aber unstreitig ein ergreifendes - zugleich historisches und zeitloses - Dokument des Krieges in unserer Zeit ist.

Wie eingangs erwähnt, war auch die große Wanderungsbewegung über den Atlantik, die schon im 17. und 18. Jahrhundert einsetzte, bis in unsere Zeit reicht, aber vor allem in den 100 Jahren zwischen dem Wiener Kongreß und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges viele Millionen von Menschen aus allen Regionen und Nationen Europas in die Vereinigten Staaten von Amerika führte, im Jubiläumsjahr ein vielbehandeltes Thema. Parallel zu einer Fernsehserie und einer Ausstellung in London mit dem gleichen Titel zeichnet der Band von Maldwyn A. Jones ein ebenso präzises wie farbiges Bild dieses in seiner Art einmaligen Phänomens europäischer und amerikanischer Sozialgeschichte. Der Autor, Professor an der Universität London, vereinigt profunde Sachkenntnis mit der Fähigkeit, komplexe Sachverhalte differenziert, genau und an- schaulich, aufgelockert durch geschickt ausgewählte Quellenzitate (Briefe, amtliche Berichte, Gedichte, Romanszenen) einem breiteren Publikum nahezubringen. Dabei beschränkt sich seine Darstellung nicht nur auf den eigentlichen Vorgang der Auswanderung mit ihren zeitlich wie regional breitgefächerten und wechselnden Motivationen und ihrem oft dramatischen und beklagenswerten Ablauf vor allem während der Schiffsreise. (Hier hätte man sich übrigens eine etwas stärkere Berücksichtigung der kontinentalen Häfen gewünscht; der Autor schildert hauptsächlich die Zustände in Liverpool und erwähnt von deutschen Häfen wohl gelegentlich Hamburg, kaum aber Bremen/Bremerhaven, was deren Bedeutung nicht gerecht wird). Viel- mehr bemüht er sich, den weiteren Schicksalen der Einwanderer in ihrer neuen Heimat nachzu- gehen, ihren Problemen, Nöten und Erfolgen, aber auch ihrer - positiven wie negativen - Be- deutung für Sozialstruktur, Wirtschaft und Politik der Vereinigten Staaten. So beginnt er etwa mit dem Exodus von Millionen Iren aus ihrer von sozialen Erschütterungen und grauenvollen Hungersnöten bedrohten Heimat, zeigt ihre anfängliche sozial und religiös bedingte Diskrimi- nierung, die positive Wirkung ihrer engagierten Beteiligung am Bürgerkrieg auf Seiten des Nor- dens und schließlich ihren starken politischen Einfluß als geschlossene Wählergruppe. In ähnli- cher Weise widmet er eigene Kapitel den angelsächsischen Einwanderern (Cousins and stran- gers), den Deutschen und Nordeuropäern (wobei der verheerende Einfluß des Ersten Weltkrie- ges auf die kulturelle und ethnische Identität der Deutschamerikaner gebührend gewürdigt wird), den Juden und den Italienern. Ob und inwieweit es gelang, so disparate ethnische Grup- 228 pen (nicht vergessen werden die slawischen Einwanderer des 19. Jahrhunderts und der Bogen

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spannt sich bis zu den displaced persons nach 1945, den Ungarnflüchtlingen, den Kubanern und Vietnamvertriebenen unserer Tage) im »Schmelztiegel« zu einer Nation zu formen, ist eine der zentralen Fragestellungen, die das Buch durchziehen. Von Gewalttaten und vielerlei Ressenti- ments ist die Rede, von der Angst um den sozialen Status und die Arbeitsplätze, vor »rassischer«

Überfremdung und revolutionärer Gefährdung - bis hin zu den Tagen des Senators McCarthy.

Motive dieser Art führten zu den Einwanderungsbeschränkungen durch das Quotensystem der 20er Jahre. Daß solcher Widrigkeiten und Rückschläge ungeachtet die Tradition einer Zuflucht für die Verfolgten und einer Vision der Hoffnung für die Enttäuschten und Notleidenden nicht gebrochen werden konnte, wird aber gleichermaßen deutlich. Eine Vielzahl von anschaulichen und aussagekräftigen Illustrationen rundet den Eindruck eines hervorragend gelungenen Sach- buches ab.

Den Stellenwert der See für die Geschichte der USA nicht als Brücke für Handelsgüter und ein- wandernde Menschen, sondern als Raum, in dem antagonistische, strategische und machtpoliti- sche Interessen sich kreuzen und die es daher zu beherrschen gilt, analysiert der Aufsatz von Huberti. Waren es 1781 in der Seeschlacht von Kap Henry noch die Seestreitkräfte des mit den aufständischen Amerikanern verbündeten Frankreich, die die britische Flotte am Entsatz der in Yorktown eingeschlossenen Truppen des Generals Cornwallis hinderten und damit dem Krieg die entscheidende Wende gaben, und konnte die Politik der Monroe-Doktrin nur durchgeführt werden, weil sie nicht gegen die Interessen des seebeherrschenden England gerichtet war, son- dern wesentlich mit ihnen in Einklang stand, so setzte sich Ende des vorigen Jahrhunderts unter dem Einfluß der Theorien des Admirals Mahan eine Politik offensiv-imperialistischer Seegel- tung durch, die eigener maritimer Initiativen fähig war und dies mit dem Sieg über Spanien 1898 erstmals unter Beweis stellte. Der so geschaffene Machtfaktor wurde der britischen Seemacht ebenbürtig und entschied zusammen mit ihr schon den Ersten Weltkrieg.

Mit dem Sieg im Zweiten Weltkrieg - auch und vor allem ein schwer errungener Seesieg über den großen pazifischen Konkurrenten Japan - wurden die USA zur Seemacht Nr. 1, im Vergleich zu der Großbritannien rasch zu einer Macht minderen Ranges herabsank. Wesentlich auch hier- auf gestützt, vermochten sie in der Folgezeit erfolgreich ihre weltweite Rolle als Widerpart so- wjetischer Expansionsbestrebungen zu spielen und in Europa und im Mittelmeer, von Korea bis Kuba Bedrohungen ihrer Macht- und Wirtschaftsinteressen zurückzuweisen, die aus ihrer Sicht auch Bedrohungen der Freiheit und Demokratie in der Welt waren.

Der Autor bietet nicht nur eine präzise Skizze amerikanischer Seegeltung in den 200 Jahren seit der Unabhängigkeit (die heute durch die forcierte sowjetische Flottenrüstung neutralisiert zu werden beginnt), sondern auch einen Ausblick auf künftige Konstellationen - inneramerika- nisch bestimmt durch den Zwiespalt zwischen Machtdurchsetzung und moralischem An- spruch, zwischen Weltengagement und Isolationismus, weltpolitisch durch den Stellenwert künftiger maritimer Stärke der USA im Kräftefeld des West-Ost-Gegensatzes und im Verhältnis zur Dritten Welt. Ein lesens- und nachdenkenswerter Beitrag zum Jubiläumsjahr.

Reinhard Patemann

Roger Parkinson: Moore of Corunna. (Introduction by John Terrainne.) London:

Hart-Davis & MacGibbon 1976. VIII, 245 S. (= Captains of history.)

Unter den britischen Heerführern zur Zeit der napoleonischen Kriege ragen zwei Generäle mit ganz unterschiedlichem familiären Hintergrund und ganz unterschiedlicher Fortune weit über das übliche Mittelmaß heraus. Der eine, Arthur Wellesley (1769-1852), als jüngerer Sohn eines Earls der Hocharistokratie entstammend, ist als Sieger über Napoleons Marschälle in Spanien und über Napoleon bei Waterloo unter seinem späteren Namen Herzog von Wellington jedem gebildeten Laien auch in Deutschland ein Begriff. Wenn auch nicht Marschallstab und Herzogswürde schon bei der Geburt voraussehbar waren, so waren ihm jedoch angesichts sei- 229 nes familiären Hintergrunds im England des 18. und 19. Jahrhunderts auch bei mäßiger Bega-

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