Textkritische Bemerkungen zur 'Apologie' des
Aristides von Athen*
Von Hans-Joachim Oestbele, Gießen
Als Kaiser Hadrian Ende des Jahres 125 Athen besuchte^, wurde ihm,
so berichtet Eusebius in seiner Chronik^, von einem Athener namens
Aristides eine Schrift überreicht, die eine Apologie des Christentums zum
Inhalt hatte. Eusebius nennt das Werk, als dessen tatsächlicher Adressat
freihch nicht Hadrian, sondern Antoninus Pius gelten muß, in seiner Kir-
chengeschichte^ eine uTiep ty)? mazeac, «TroXoyta, ihren Verfasser einen
avTjp irj(; xa9-'Y)fi,ä(; opfxwfxevo? sucreßeta?. Außer diesen recht dürftigen
Angaben haben wir über den Verfasser der ältesten erhaltenen Apologie
des Christentums* keine weitere Nachricht^.
So wenig wie über den Verfasser wußte man auch über sein Werk, jene
angeblich an Hadrian gerichtete Apologie, die, von wenigen Fragmenten
abgesehen*, als verschollen gelten mußte, bis es im Jahre 1889 dem eng¬
lischen Gelehrten Rendel Habbis durch einen Zufallsfund gelang, im
Katharinenkloster am Sinai eine syrische Übersetzung der Apologie zu
entdecken'. Daraufhin stellte J. A. Robinson fest, daß man tatsächhch
* Aus der ungedruckten Festschrift, Gerhard Müller zum 70. Geburtstag
von Kollegen und Schülern dargebracht. Giessen 1977.
^ Vgl. J. DÜKE: Die Reisen Hadrians. Wien 1881. (Abh. d. arch. Sem. d.
Univ. Wien. 2.), S. 42ff.
« Ad an Abr. 2140 (Ed. A. Schoene. Bd 2. Berlm 1866, S. 166).
^ IV,3,3, (Ed. E. Schwartz. Leipzig 1908, S. 126—27). Vgl. allgemem
D. S. Wallace-Hadrill : Eusebius of Caesarea. London 1960, S. 55fr.
* Die Apologie des wahrscheinlich älteren Quadratus ist verloren; über
ihn vgl. O. Bardenhewer: Geschichte der altchristlichen Literatur. Bd 1.
Freiburg i.B. 1913, Ndr. Darmstadt 1962, S. 183—87; B. Altaner/
A. Sttjiber: Patrologie. 7. Aufl. Freiburg i.B. 1966, S. 61 f.
* Von einer Erwäimung bei Hieronymus : De viris illustribus, c. 20 abge¬
sehen, der aber auf Eusebius fußt. — Zu den griech. Apologeten des 2. Jhs.
allgemein vgl. Bardenhewer, Bd 1, S. 171—83; Altaner-Stuiber, S. 61—
79; A.Adam: Dogmengeschichte. Bd 1. 2. Aufl. Gütersloh 1970, S. 136—41.
« S. Anm. 14.
' R. Harris: The Apology of Aristides on behalf of the Christians, from a
Syriac Ms. preserved on Mount Sinai edited unth an introduction and trans¬
lation, unth an Appendix containing the main portion of the original greek text
by J. A. Robinson. Cambridge 1891, 2. Aufl. 1893. (Texts and Studies,
auch vor Harris' Fund emen Text der 'Apologie' schon besessen hatte,
griechisch, und zwar in der Form einer in die Erzählung von ,, Barlaam
und Joasaph" eingelegten Rede. Die Abfassungszeit dieser Erzählung
wird um 630 angesetzt, man schreibt sie einem Mönch des Klosters St.
Saba bei Jerusalem zu*. Zuerst veröffentheht wurde sie 1832 von J. Pp.
BoissoNADE im 4. Band seiner Anecdota Graeca,^ (6 ßio? BapX«a(x xal
'Ic!)a(ja9,). Es handelt sich um die christhche Version einer indischen
Buddha-Legende^". Durch den christlichen Mönch Barlaam wird Joa¬
saph, ein hidischer Prinz, zum Christentum bekehrt. Ein heidnischer
Grcgenspieler Barlaams, Nachor, ihm an Aussehen und Gestalt zum Ver¬
wechseln ähnlich, versucht, Joasaph durch eine öffenthche Rede, die er
als vermeinthcher Barlaam hält, vom Christentum wieder abzubringen.
Doch wie durch ein Wunder werden ihm, entgegen seiner Absicht, das
Christentum verteidigende und preisende Worte in den Mund gelegt.
Diese Rede, die Nachor als vermeinthchem Barlaam wider Willen zu
einer Apologie des Christentums gerät, ist Aristides' 'Apologie', deren
Text^i der Verfasser jener Erzählung an dieser Stelle in sein Werk ein¬
gelegt hat.
Außer diesem griechischen Text^^ (G) und der syrischen Ubersetzung
(S) waren auch vor Harris' Fund schon einige Fragmente bskannt^*.
Eines hatten die Mechitaristen 1878 veröfFentlichti*, später wurden zwei
weitere armenische Fragmente entdeckt'^ (AI ^—• A3). Daneben existie¬
ren zwei griechische Papyri-Fragmente, aus Beständen des Britischen
contributions to biblical and patristic literature. Bd 1.) Vgl. A. Baumstabk:
Oeschichte der syrischen Literatur. Bonn 1922; Ndr. Berlin 1968, S. 76
m.Anm. 5.
* Vgl. E. Bbaunholtz: Die erste nichtchristliche Parabel des Barlaam und
Joasaph. Ihre Herkunft und Verbreitung. Halle 1884; A. d'Aläs: L'Apologie
d'Aristide et le roman de Barlaam et Joasaph. In: Rev. des Questions Histo¬
riques 100 (1924), S. 354—59; Babdenhbweb, Bd. 1, S. 189.
8 Paris 1832; Ndr. Hildesheim 1962, S. 1—365, die fragliche Rede S. 239—
55. Nach dieser Ausgabe druckte Migne den Text unter den Werken des
Johannes von Damaskus (PG 96, Paris 1860, Ndr. Turnhout 1976, Sp.
859—1240).
^° Zum Folgenden vgl. auch die in Anm. 8 genannte Lit.
Es handelt sich um eine gegenüber der syr. Ubersetzung erheblich kür¬
zere Fassung. Eine kritische Ausgabe der 'Vita Barlaam et Joasaph' fehlt.
Über die bekannten Hss. informiert J. Gbffken: Zwei griechische Apolo¬
geten. Leipzig 1907; Ndr. Darmstadt 1970, S. XXXVII f. Vgl. auch Anm. 20.
12 Dazu vgl. noch C. Vona: L' Apologia di Aristide. Introduzione, versione dal siriaco e commento. In: Lateranum 16 (1950), bes. S. 7—15.
" Vgl. Anm. 6.
S. Aristidis philosophi Atheniensis sermones duo. Venedig 1878.
" Vgl. Gbffken, S. XXXIV Anm.
Zur 'Apologie' des Aristides 17
Museums veröffentlicht (Pap. Lond. 2486)i«, und schließhch noch Pap.
Ox. 1778".
Die Herstellung eines kritischen Textes der 'Apologie' kann erst dann
in Angriff genommen werden, wenn mit einer kritischen Edition der
'Vita Barlaam et Joasaph' der Grund dazu gelegt sein \vird. Eine solche
Edition hätte auch deren arabische und äthiopische Versionen zu be¬
rücksichtigen. Insofern waren die Versuche von Geffken'^ und See-
bebg'*, den Text zu rekonstruieren, verfrüht. Beide Gelehrte haben aber
ausführliche Kommentare zu Aristides' 'Apologie' geschrieben, von de¬
nen jeder Versuch, in der Kritik dieses Textes weiterzukommen, aus¬
gehen muß. Die Kommentare von Geffken und Seebeeo zeigen aber
zugleich, wie kontrovers viele und gerade wichtige Fragen der Text¬
kritik dieser Schrift sind^". Ohne eine kritische Edition der 'Vita Bar¬
laam und Joasaph' kann ich daher nur Vorschläge und Beobachtungen
zu einzelnen Stellen bieten^^.
Ich beschränke mieh dabei auf das Prooemium der Apologie, weil
einerseits eine kritische Bearbeitung des ganzen Textes aus den genannten
Gründen auch nur ein vorläufiges Ergebnis erbringen könnte, anderer¬
seits den Rahmen eines Aufsatzes weit überschreiten würde. Die sach¬
liche Bedeutung des Prooemiums als des zum Verständnis der Theolo¬
gie des Aristides vielleicht wichtigsten Stückes, das zudem trotz aller
Einschränkungen in zahlreichen Fällen von den bisherigen abweichende
textkritische Diagnosen erlaubt, läßt eine gesonderte Behandlung ge¬
rechtfertigt erscheinen.
^' H. J. MiLNB: A new fragment of the Apology of Aristides. In: The
Journal of Theological Studies 25 (1923), S. 73—77. Umfaßt Apol. 15,5 —
16.1.
1' B. Gbenfell/A. Hunt: Oxyrhynchus Papyri. Bd. XV (London 1922), n.
1778. Umfaßt Apol. 5,3—6,1.
18 Vgl. Anm. 11.
1' K. Seebebg: Die Apologie des Aristides. Erlangen 1893. (Forschungen
zur Geschichte des nti. Kanons. Bd VI,2.) Ferner sind lieranzuziehen der
kürzere Kommentar von C. Vona (s. Anm. 12) und E. Hennecke: Die Apo¬
logie des Aristides. Rezension ii/nd. Rekonstruktion des Textes. Lei]3zig 1893.
2o Wichtigste Vorarbeit für eine Edition hat geleistet M. H. Zotenbbbg :
Notice sur le texte et sur les versions orientales du livre de Barlaam et Joasaph.
Paris 1887. (Notices et extraits dos mss. de la bibliotheque nationale . . .
Bd 28.), S. 1—166. Leider ist die Naohor-Bede unter den Stücken von Z's
Teiledition (S. 96—126) nicht enthalten. — Eine vorläufige Edition auf
schmaler hs.licher Basis bietet Robinson bei Habbis, S. 100 —112. S. Anm. 7.
^1 Ich zitiere den syr. Text nach der Ausgabe von Habeis mit Seiten-
und Zeilenzahl, den griech. Text nach Robinson (s. Anm. 7. u. 20), die
Kommentare von Sebbebo, Geffken und Vona mit Verfassernamen und
Seitenzahl.
2 ZDUG 130/1
Die Aufschrift der Apologie : aristidis
töb mappaq brühä da'bad aristidis filäsöfä
sed hadriänüs malkä ^al appai dehlat alähä ahid koi:
dautoqrator) qesar titus hadriänüs antönlnüs
sgidä {w) mrahhmänä. men marqiänüs aristidis filäsöfä
datenäye
Die nur in A und S — naturgemäß nicht in G — überlieferte Aufschrift
der Apologie gehört zu deren textkritisch problematischsten Stücken.
Die Übersetzung des syr. Textes lautet (nach Seebebg, S. 253): „Ari¬
stides. Darauf: Apologie, welche gemacht hat Aristides der Philosoph vor
Hadrianus dem König für die Furcht Gottes. Imperator Cäsar Titus
Hadrianus Antoninus, die verehrten und barmherzigen, von Marcianus
Aristides, Philosoph der Athener".
Offensichtlich korrupt ist der Plural „die verehrten und barmherzigen' '.
Seebebg, S. 258 will den Singular herstellen — was ohne wesenthchen
Eingriff in den paläograpliischen Bestand durch bloße Streichung der
syäme möghch ist — ■, weil seiner Ansicht nach der Übersetzer „die beiden
Überschriften als eine Doppeladresse" aufgefaßt habe. Vorausgesetzt, in
der (unbekannten) griech. Vorlage von S. hätte ein Äquivalent der
ganzen syr. Aufschrift schon gestanden — also einschheßlich der doppel¬
ten Erwähnung des Verfassernamens —, wäre diese Vermutung plausibel,
aber das ist unwahrscheinhch. Die Annahme der doppelten Setzung des
Verfassernamens schon in der griech. Vorlage läßt sich nicht plausibel
machen. Wahrscheinhcher ist die Erklärung, daß nicht der Übersetzer
die Korruptel verantwortet, sondern ein späterer Kopist und zwar etwa
auf folgende Weise : wie Seebebg wird er von der Annahme ausgegangen
sein, in der syr. Aufschrift als ganzer die Übersetzung einer griech. Vor¬
lage vor sich zu haben; dann hat er die zweimalige Erwähnung des
Kaisernamens als Erwähnung der Namen zweier Kaiser verstanden und
deshalb bei sgidä (venerabilis) und mrahhmänä (misericors) den Plural
hergestellt, womit er einem Zirkelschluß zum Opfer gefallen wäre. Der
texthche Befund legt folgende Deutung nahe : Der Text von töb (porro)
bis ahid koi (omnipotens) (Begründung der Abtrennung s. u.) ist ein
Kopfregest, das nicht aus der griech. Vorlage stammt, sondern erst der
syr. Übersetzung vorangestellt wurde. Der Rest repräsentiert die ur¬
sprünghche Überschrift der Apologie. Besagter Kopist hat diesen Zu¬
sammenhang nicht mehr durchschaut und irrtümlich den Singular in
den Plural geändert. Stilistisch sind beide Teile deutlich unterschieden :
töb bis ahid koi ist freie syr. Formuherung, das Übrige offenkundig Über¬
setzung.
Zur 'Apologie' des Aristides 19
Nun zur Begründung der Abtrennung hinter ahid koi. Seebebg, S. 253
will ahid koi mit ,,imperator" wiedergeben und auf qesar beziehen, sieht
darin also einen Bestandteil der Titulatur. Er beruft sich darauf, daß
ahid koi als Glosse für aidoqrator (auToxpaxtop) vorkommt^^. Was den
Übersetzer allerdings dazu veranlaßt haben sollte, den von der Vorlage
geforderten terminus technicus zu verschmähen und statt dessen eine
Glosse zu wählen, erklärt Seebebg nicht. In der Übersetzung einer offi¬
ziellen Titulatur ist eine Glosse nieht eben an ihrem Platze. Man sollte
daher von der Annahme, es handle sich um die Übersetzung eines Teils
der kaiserhchen Titulatur abgehen und ahid koi als Apposition auf alähä
beziehen.
ahid koi mit aMhä zu verbinden, ist durch den Zusammenhang mit
dehlat (tünor) geboten und ergibt einen schönen Sinn^^. Zu erklären
bleibt dann allerdings das Fehlen des Elements 'Imperator' im Titel. Nun
beobachtet man, daß die armen. Versionen, die für von S unabhängig gel¬
ten (Gefeken, S. XXXIV), in der griech. Vorlage ein auTOxparopi, also
natürlicherweise den Dativ voraussetzen (Gbffken, S. 28). In S fehlt aber
sowohl bei qesar (caesar) als auch bei ahid koi — gesetzt, man faßte es als
Bestandteil der Titulatur auf — die nota dativi l, was grammatisch un¬
möglich ist^*. Daraus folgt: 1. Das Pehlen der nota dativi bei ahid koi
beweist, daß dieses nicht zum Titel gehört. 2. Da ahid koi Glosse zu auto-
qrator sein kann, wird der Ausfall dieses Elements mitsamt der nota da¬
tivi der Nachlässigkeit eines Kopisten zuzuschreiben sein, der autoqrator
neben ahid koi für eine überflüssige Dublette angesehen hat, weil er über
den autoqrator als festen Bestandteil der Kaisertitulatur in Unkenntnis
war. Hinter ahid koi schlage ieh daher vor zu ergänzen : dauloqratory .
Nachdem bei sgidä und mrahhmänä der Singular hergestellt ist, bleibt
noch zu diskutieren die Übersetzung des Euaeßyj? im offiziellen Titel
durch mrahhmänä, was in der Grundbedeutung ,, misericors" heißt. ,,Nun
G. Hoffmann: Syrisch-arabische Glossen. Bd 1. Kiel 1874, S. 16: aufe-
qräför (sie) h. ahid koi / al-waziru lladi biyadihi l-kullu, maliku l-mulüki.
^3 ahul koi als Epitheton zu alähä ist vielfach zu belegen: lob. 5, 17; 8, 5;
11, 7; Zach. 1, 3; 1, 6; Mal. 1, 4; Sap. 7, 4. Bei Assemanus: Bibliotheca
Orientalis Glementino-Vaticana. Bd 2: De Scr. Syr. Monophysitis. Rom 1721,
S. 155 flndet sich die Wendung: alähä ahid koi wmäre koi.
^* Einen Beleg für die Verwendung der Präposition / in der Inskription eines Briefprotokolls bietet der sog. 'Abgar-Brief '. Der fiktive Brief Abgars V.
von Edessa an Jesus ist als Dokument eingelegt in die 'Lehre des Apostels
Addai' {mcdlpänütä daddai Slihä), dio syr. Version der edessenischen Missions¬
legende. Vgl. Baumstark, S. 27f. Der Text ist hrsg. v. G. Philipps. London
1876, am leichtesten zugänglich jedoch bei C. Brockelmann: Syr. Oram¬
matik. 11. Aufl. Leipzig 1968, S. 12'*—21'* (danach hier zitiert). In der In¬
skription des Abgar-Briefes heißt es : abgar ukkämä lyeSü' äsyä (äbä . . . (Ab¬
gar der Schwarze an Jesus, den guten Arzt ... Brockelmann, S. 14'*).
2*
ist die authentische Reilienfolge der Zunamen des Antoninus Pius ... 2e-
ßaoTO? Euaeßr)?. Es scheint also ein unumgänglicher Schluß zu sein, daß
man hier, wo die Namen des Pius bisher korrekt aufgezählt waren, 'und,'
streicht und das letzte Wort mrahhmänä für eine, freilich wenig ent¬
sprechende Übersetzung von Euoeßv]!; ansieht" (Seebebg, S. 259). Das
w (et) zwischen sgidä und mrahhmänä ist in der Tat störend und mit
Seebebg zu streichen. Daß es bei S im Text steht, erhärtet die Vermu¬
tung, daß hier ein Kopist am Werke war, der den Sinn der Titulatur nicht
verstanden hat, aus Unkenntnis jenes w einfügte und auch lautoqrator
als vermeintliche Dublette zu ahid koi tilgte. So weit ist Seeberg zuzu¬
stimmen, mrahhmänä ist freilich durchaus nicht eine ,, wenig entsprechen¬
de Übersetzung' ' für Euaeßy)?, wenn die Datierung von S ins 6. oder 7. Jh.
(Geffken, S. 29) zu Recht besteht. Denn die Bedeutung eua^ßeia =
misericordia ist bei Epiphanius von Konstantinopel (1. Hälfte 6. Jh.)
belegt (PG. LXXXVI/1, Sp. 76D). Auch gegen Geffken, S. 29.
Die Diagnose über die Aufschrift in der syr. Fassung sieht demnach
so aus : Sie besteht aus zwei Teilen, von töb bis ahid koi und von dauto-
qratory bis atenäye ('AQ^moli). Der erste Teil ist ein Kopfregest, das erst
der syr. Übersetzung beigegeben worden ist, der zweite repräsentiert den
ursprünghchen Titel der Apologie. Das Element <lautoqrator> im Titel ist
durch Verwechslung mit ahid koi ausgefallen und wiederherzustellen, das
w zwischen sgidä und mrahhmänä (Singular!) zu streichen.
Z. 1^^ —• Für TTpovota hat S btaibüteh (benignitate sua). Seeberg, S. 317
hält das stoisierende Trpovoia für ursprünglich, die Lesung von S für eine
AbmUderung aus dogmatischen Gründen. In der Tat hat G stoisierende
Tendenzen und neigt dazu, gerade solche Passagen auszulassen, die hier¬
zu nicht passen würden, vgl. u. zu Z. 5. Daraus aber und aus dem Um¬
stand, daß btaibüteh gut in das auch sonst viel weniger stoisch geprägte
Büd der Theologie des Aristides, das S vermittelt, hineinpaßt, kann man
umgekehrt schheßen, daß S auch hier das Ursprüngliche bewahrt hat.
taibütä ist Übersetzung der PSittä für x*?^? (Act. 11, 23), das ich für
Tcpovoia einzusetzen vorschlage.
Z. 2 — Hinter ty]v ö-aXacytrav (yamme) hat S noch ein Verbum hzä, vidit
das auch in G sehr erwünscht ist; denn anstelle einer bloßen Aufzählung
erhielte der Satz damit eine wohlüberlegte gedankliche Gliederung. ■9-eco-
pYjaa? meint das prüfende Betrachten, also ein eigentlich ,, theoretisches"
Verhalten. Das syr. Verbum etbaqqi (contemplatus est) bringt das treffend
zum Ausdruck (vgl. die nominale Bildung beqyänä, examinatio). In S be¬
steht nun zwischen etbaqqit (contemplatus sum) und hzet (vidi) ein lo-
*5 Die Zeilenangaben beziehen sich auf G (Ed. Robinson, s. Anm. 7 u. 2ü).
Zur 'Apologie' des Aristides 21
gischer Zusammenhang. Theoretisch bestimmt ist die Hinwendung zmn
Allgemeinen (oupav6(;, y^, ■fraXacrcra). Das Besondere (>-Xto?, aeX-i^vT), tA-
XoiTta) wird auch als das, was es für sich genommen ist, erst aus der Ein¬
ordnung in das Allgemeine wahrgenommen. Weil also die Aufzählung
bis ^aXaoaa ein anderes Prinzip hat als die folgende bis xa Xoma, ist
die Herstellung eines besonderen Verbums (S entsprechend) sehr er-
wnänscht. Ich schlage cdaQ-öiitwc, vor.
Z. 3 — aeXrjM-f] fehlt in S. Aus den zu Z. 2 angeführten Gründen (Isokolon)
ist hier wohl eher mit G zu gehen. In S wäre dann etwa dsahdä) herzu¬
stellen. Stax6a[i.r)CTiv toÜtwv gibt S wieder mit taahüeh d'almä (ornatus
raundi). Daß tasbitä für S'ax6CT[i,7;CTiv nicht genau ist, rechtfertigt den
Zusatz d'almä (mundi) und gibt keinen Anlaß, mit Seebebg, S. 318 statt
TouTwv ein ursprüngliches toutou toü x6(T[xou zu konjizieren. Gefpkens,
S. 34, Bedenken bestehen zu Recht. Auch gegen Vona, S. 134, der sich
Seebebg anschließt.
Z. S — Nach (Tuv^xa tÖv xivoüvra xat StaxpaxoOvTa sTvai &e6v fährt S
fort : dalcse bhön wagniz menhön (der verborgen in ihnen und verborgen
vor ihnen ist). Seebebg, S. 319 hält dies für eine schon in die Vorlage
von S eingedrungene Glosse, Geffken, S. 34 sieht darin zwar mit Recht
einen ,, integrierenden Bestandteil", begründet dies aber mit der angeb¬
lich stoisierenden Tendenz des ganzen Prooemiums (bei S!). Aristides
argumentiere vom stoischen Gedanken der ,, Immanenz Gottes in der
Welt" her. Nim ist aber auch die Erkennbarkeit dos weltimmanenten
Logos aufgrund seiner Identität mit dem individuellen Logos stoische
These^*. Von diesem Gedanken findet sich bei Aristides aber nicht die
geringste Spur. Am Ende des theologischen Entwurfs, den das Prooe¬
mium gibt, steht das Bekenntnis, alles sei unter der Einschränkung ge¬
sagt: kmä deSkhat tarHtan detmallal 'lau (wie unser Verstand über ihn
[Gott] sprechen kann. Haebis, S. 3, Z. 1). G hat an dieser Stelle: xaö-ai?
Sfie e)(c!)pTr)(7e ttsoI auToü) Xiyety (Z. 14f.). Es stellt sich also die Frage,
ob s(i.e oder tarHtan (aweaic, 7)[i.(öv) ursprünglicher ist. Seebebg, S. 325
möchte beides kombinieren, Geffken, S. 49 sieht tarHtan als Zusatz an.
Efis excopYiCTE ist mit Geffken, S. 49 und gegen Seebebg, S. 325 ohne
Zweifel unpersönlich zu konstruieren. Nun drückt kmä deSkhat tarHtan
eine prinzipiellere Deutung und Begründung der nur inkomprehensiv
möglichen Gotteserkenntnis aus als die Lesung von G, was dem geisti¬
gen Duktus von S durchaus entspricht. So lesen wir bei S (Haebis, S. 1,
Z. nf.): lä ger näS meSkah damäamlyäHt nadrkih (niemand vermag sie
Windblband/Hbimsoeth: Lehrbuch der Oeschichte der Philosophie.
15. Aufl. Tübingen 1957, S. I76f.
[die Festigkeit der Weltordnung] vollkommen zu begreifen), was in G
keinerlei Parallele hat. tarHtan scheint daher das Richtige zu sein. Für
die Beurteüung der Stoizismusthese Gbffkens ergibt sich daraus aber
die wesentliche Einschränkung, daß Aristides jedenfalls nicht stoischer
war als Paulus (vgl. Röm. 1, 20). Aristides' Formuherung, daß die Ord¬
nung des Kosmos zur Erkenntnis Gottes als des Schöpfers dieser Ord¬
nung führe, der in sehier Schöpfung gleichwohl verborgen ist^', kann
gut als Auslegung von Röm. 1, 20 in Verbindung mit 1. Kor. 13, 12 ge¬
lesen werden. Die in beiden Fällen doppelte Verschlüsselung der Gottes¬
erkenntnis (Sl 'scTOTTTpou, ev a'viyixaTi. — foe, gniz) ist sachlich sogar
eine eindrucksvolle Parallele. Der Satz über die Verborgenheit Gottes
{kmä ..., Harris, S. 1, Z. 11), der Satz über die inkomprehensive Gottes¬
erkenntnis (lä ger näS ..., Harris, S. 1, Z. 17f.) und die fragliche Les¬
art tarHtan (Harris, S. 3, Z. 1) stützen sich gegenseitig. Obwohl nichts
davon in G eine Parallele hat, spricht aus diesem Grunde Adel für die
Überlieferung von S.
Z. 7 — Zwischen ... 8taxpaT0u[i.evou ecttiv und auxiv o5v X^y*^ • • .
fehlt bei G Text im Umfang von 8,5 Zeilen der syr. Version. In diese
Lücke fällt die oben besprochene Bemerkung über die Grenzen theolo¬
gischer Theorie. Aber nicht nur deshalb ist G gründliche Entstellung des
theologischen Gedankens vorzuwerfen. Das Prooemium nach G enthält
keinerlei Aussage über Gott als Schöpfer. Es heißt zwar Z. 8: tov aucfTTj-
crajievov Ta TcavTa xal SiaxpaTOÜvTa, aber das Verbum auvi(TTrj[i,i legt
keineswegs die Deutung der damit beschriebenen Tätigkeit als Schöp¬
fungsakt im biblischen Smne nahe. Der zugrundehegende Gottesbegriff
scheint eher aristotelische als bibhsche Züge zu tragen. So fehlt in G
denn auch bezeichnenderweise eine theologisch nun wirklich zentrale
Stelle, an der Aristides aller Spekulation in der Theologie widerrät : ämar- nä den '^al hau mzV'äneh d'almä : ditau alähä dkol. da'bad koi mettol dbarnä-
sä. umiethazyä li dhäde päqhä. dnäs nedhal lalähä. IbarnMä den lä nHq
(Ich sage aber über jenen Lenker der Welt, daß er Gott über alles ist,
der die Welt [S : alles] erschaffen hat um des Menschen willen. Und ganz
deutlich ist mir, daß dies besser ist: Gott zu fürchten und den Mit¬
menschen nicht zu quälen. Harris, S. 1, Z. 18 — S. 2, Z. 2).
fäqhä (oäer päqqähä) bedeutet: mehor, melius (vgl. C. Brockelmann:
Lexicon Syriacum. Ed. 2. Halle 1928, S. 589b) und es geht nicht an, mit
" Als griech. Wiedergabe der syr. Formulierung wäre zu erwägen: xpuTi- TÖv k\i auTOt? xal ä7roxe>cpu(i(XEvov : Einerseits wohl erkermbar als verborgen
in der Schöpfung, andererseits als in der Schöpfung verborgen unerkeim-
bar.
Zur 'Apologie' des Aristides 23
K. JuLiTTS^^ ZU Übersetzen : „was allein von Wert ist". Denn das verdirbt
die theologische Pointe. „Besser" muß natürhch im Blick auf das Vor¬
hergehende heißen: besser als theologische Spekulation. Dann ist daa
„ich sage" [ämar-nä) eben als Aussage Nachsage dessen, was von Gott
im Zeugnis der Offenbarung vorgesagt ist.
Man möchte Aristides in seiner Absage an scholastische Theologie in
die Nähe Tertulhans rücken : Nobis curiositate opus non est post Christum
lesum nec inquisitione post evangelium (De praescriptione haereticorum,
7, 12).
Z. 7—-13 — Auf vier Zeilen drängt G den Text einer guten Seite in S zu¬
sammen; Z. 11—13 liegt dann wieder fast wörthche Entsprechung vor.
Daß G gekürzt hat, ist mithin offenkundig, ebenso, daß dabei auch theo¬
logisch zentrale Passagen in Wegfall gekommen sind.
Die ,, Dogmatik" des Prooemiums ist als Darlegung von Offenbarungs¬
wahrheiten, nicht von Vernunfteinsichten gemeint. Entschieden Sto¬
isches hat Aristides gar nicht viel. Für die Tendenz von G ist die Ände¬
rung von x*P"; (taibütä) (Z. 1) in Trpovoia bezeichnend (vgl. o. zu Z. 1).
Bibliothek der Kirchenväter. Eine Atiswahl patristischer Werke in deutscher
Übersetzung. Hg. v.O. Babdbnheweb, Th. Schebmann, K.Weyman. Bd 12,1:
Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten. Die Apologie des Philosophen
Aristides von Athen. Übers, v. K. Julius. Kempten u. München 1913, S.
1—54, hier S. 25.
Verwendung formal akkusativischer pronominaler
Objekte in dativischer Funktion im Äthiopischen
(Ge'ez)i
Von Chbistoph CoBBBii, Bernried
I
Es ist eine bekannte Tatsache, daß die semitischen^ Sprachen das pro¬
nominale Akkusativobjekt (genauer: den Akkusativ des Personalpro¬
nomens) in der Regel durch eine Reihe von Suffixen bezeichnen, die un¬
mittelbar ans Verb treten und für die jeweUige Person charakteristisch sind. Z.B. arab. qatala ,,er tötete" -)- -ni, -ka, -ki, -hü usw. ,,... mich, dich (m. f.), ihn usw.".
Soll ein Personalpronomen jedoch nicht als direktes, sondern als in¬
direktes Objekt fungieren (d.h. als Dativ), so stehen nur einer einzigen
^ Weitestgehend Wortlaut des am 5. 2. 1977 im Rahmen der Habilitations-
handlimgen gehaltenen Kolloquiumsvortrags; eine gewisse vortragsgemäße
Breite ließ sich auch in dieser Fassung nicht ausmerzen, sie sollte immerhin
der Klarheit der Darstellimg zu gute kommen ; Bibliographisches wurde auf
das Nötigste besohränkt. Die Textbeispiele entstammen den einschlä¬
gigen Grammatiken, sowie A. Dillmann: Lexicon linguae aethiopicae. Leip¬
zig 1866 (New York 1955); wo möglich, wurden sie selbstverständlicli veri¬
fiziert. Es sei gleich an dieser Stelle pauschal auf die eventuell hier beizu¬
ziehenden Paragraphen der beiden wichtigsten GrammatUten des Ge'ez ver¬
wiesen; Einzelverweise ersoheinen im Folgenden nur, wo unumgänglich: A.
Dillmann: Grammatik der äthiopischen Sprache. Leipzig 1899^ (Graz 1959),
§§ 151; 172; 178; 179; F. Pbaetobius: Aethiopische Grammatik. Karlsruhe,
Leipzig 1886 (New York 1955), §§ 38; 85; 133; 134. Die Grammatiken von
M. ChaIne: Grammaire ethiopienne. Beyrouth 1907, 1938''' und C. Conti
Rossini: Grammatica elementare della lingua etiopica. Rom 1941 bieten nichts
über die vorgenannten hinaus. Unberücksichtigt bleiben konnten aus glei¬
chem Gnmde ferner S. Mebceb: Ethiopic grammar, unth chrestomathy and
glossary. Oxford 1920, sowie die älteren Werke.
^ Es ist von den sozusagen ,, klassischen", älteren semitischen Sprachen,
zu deren Kreis ja auch das Äthiopische gehört, die Rede, auch werm in der
Folge dies gewöhnlich nicht mehr gesondert vermerkt wird. Diese Einschrän¬
kimg ermöglichte es, neuere und neueste Entwicklungen innerhalb des Se¬
mitischen bei den verschiedenen allgemeineren Formulierungen auszuklam¬
mern. Zu solchen Entwicklungen s. aber immerhin den Exkurs am Ende,
S. 33 f.