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Portrait of a Period / Juden in der Welt von gestern

Publikationen:

Portrait of a Period, in: The Menorah Journal 31 (1943), 307-314.

Juden in der Welt von gestern, in: Sechs Essays, 112-127.

Juden in der Welt von gestern in: Die verborgene Tradition. Acht Essays, 74-87.

Wie aus Hannah Arendts Briefwechsel mit Henry Hurwitz hervorgeht, war dieser Essay eine Auftragsarbeit. Im Mai 1942 hatte sie zum Herausgeber des

Menorah Journals Kontakt aufgenommen und mehrere Artikel mit ihm ver-

abredet. Knapp ein Jahr später bat Hurwitz sie in einem nicht überlieferten Brief um eine Buchbesprechung. »I shall be very glad to review Stefan Zweig’s autobiography for your journal or rather write a small article,« so Arendts Antwort vom 18. April 1943. Drei Wochen später ist der Artikel fertig: »I wrote the article about Zweig in German because a friend of mine promised me to do the translating. During the weekend she became ill — and there I am. I could do the translating next week, but I am afraid of your deadline and, therefore, send it to you, in case you prefer to have it translated through your office.« (10. Mai 1943)

Offenbar fand Hurwitz jemanden, der sich gleich an die Übersetzung

machte, denn am 23. Mai 1943 schrieb Arendt: »many thanks for the trans-

lation which I return […]. I hope my corrections — and I made quite a few

though I think the translation was fairly good — will be clear.« Ende 1943

erschien der gekürzte Aufsatz – die deutsche Fassung ist mehr als eine Seite

länger – im Menorah Journal; er wurde mit großer Zustimmung gelesen,

wie drei Briefe an Hurwitz im Archiv der Zeitschrift zeigen: »I must tell you

how much I relished the review by Hannah Arendt in the last issue. If she

can do others as well, I hope to read her often in The Menorah,« so Charles

Reznikoff am 29. Februar 1944. Am 16. März 1944 bekam Johannes Urzidil,

von dem im selben Heft ein Essay über Kafka erschienen war, einen Brief von

Thomas Mann, von dem er Hurwitz postwendend Mitteilung machte: »At

this occasion«, so wird aus Manns Brief zitiert, »you have acquainted me

with a well-made, high class magazine, which, as far as I remember, I had

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never seen before. Beside your contribution there are many excellent things in this issue, for example the book-review by Hannah Ahrendt about the autobiography of Stefan Zweig: a very wise and correct judgement of the book and the author. The article expresses exactly my own opinion.« Ein paar Tage später, am 29. März 1944, schrieb William Zukerman: »May I tell you somewhat belatedly what a fine issue the last one of the Menorah was. I think that Mrs. Arendt’s article deserves the prize.« »Thank you very much for the copies of the letters of Thomas Mann and Zukerman. I must confess that I was as surprised as pleased by the former,« so Arendts Antwort an Hurwitz vom 20. Mai 1944.

Eine Kritik an Arendts Essay kam wohl eher unerwartet: »Neither Mrs. Hurwitz nor I have forgotten you. In fact, if you can believe in telepathy, we spoke of you this morning at breakfast. But, of course, it was apropos of your review of the Stefan Zweig in this issue of the Journal. Mrs. Hurwitz wondered whether you weren’t a bit too harsh with him,« so Henry Hur- witz am 15. Februar 1944. »Please tell Mrs. Hurwitz that I feel she is right about my harshness with Zweig — if one considers him as an indiviudal,«

antwortete Arendt am 3. März 1944: »The trouble with him is that he was so very symptomatic and that he, almost innocently, brought it all out into the open«.

1

In Deutschland scheint Arendts Artikel dagegen wenig Resonanz gefunden zu haben, was wohl auch daran liegt, dass er nicht in der Wandlung, sondern gleich in den Sechs Essays erschien. Im Archiv der Wandlung finden sich keine Zuschriften, die auf den Aufsatz antworten; in den Rezensionen des Buches wird ihm kaum Aufmerksamkeit zuteil. In der Welt und der Allge-

meinen Wochenschrift der Juden in Deutschland wird er gar nicht erwähnt;

Erich Müller-Gangloff nennt nur Zweigs Namen.

2

Die Besprechung von Helmut Kuhn in Chicago Books fasst beschreibend zusammen: »In ›Juden in der Welt von gestern‹ the precarious glory of the artistically or intellectually successful Jew in pre-war Europe is examined.« Ernst Herbert Lucas spricht von einem »ebenso scharfsinnigen wie einsichtstiefen Aufsatz […], in dem nun allerdings tatsächlich Grundsätzliches gesagt wird.«

Bevor der Aufsatz in Deutschland erschien, gab es Pläne, die Original- fassung in den

USA

zu veröffentlichen. »Haben Sie den Menorah-Aufsatz bekommen?«, schrieb Arendt am 12. Mai 1944 an Karl Otto Paetel, den sie wohl aus dem Pariser Exil kannte. »Ich frage deshalb, weil ich inzwischen ein Angebot fuer deutsche Veroeffentlichung aus Argentinien bekommen

1 American Jewish Archive. Henry Hurwitz Papers. Series A. Box 1, Folder 16.

2 Vgl. 451.

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habe und gerne wissen moechte, ob Sie es fuer die Deutschen Blaetter haben wollen. Ich muss ja in jedem Fall noch erst den Editor von Menorah fragen.«

3

Ein paar Tage später, am 22. Mai, wandte sie sich in dieser Angelegenheit an Henry Hurwitz: »One of the representatives of the ›Deutsche Blaetter‹, Chile, an anti-fascist Magazine, has asked me for the permission to reprint the article on Stefan Zweig in its German version.« Diese Publikation ist nicht zustande gekommen; warum, war nicht zu ermitteln.

Zwischen den Sprachen

Hannah Arendt schrieb über eine Autobiographie, die ihr nicht im deutschen Original, sondern in englischer Übersetzung vorlag. Sie verfasste ihren Auf- satz auf Deutsch, doch erscheinen sollte er auf Englisch. Stefan Zweigs Buch war 1942 unter dem Titel Die Welt von gestern. Erinnerungen eines Euro-

päers bei Berman Fischer in Stockholm erschienen; 1943 brachte die Viking

Press in New York die englische Version heraus.

4

Mitten im Krieg waren in den

USA

keine Bücher aus Europa zu bekommen, und so blieb Arendt nur, Zweigs Autobiographie in einer Mischung aus Paraphrase und wenigen eng- lischen Zitaten vorzustellen. An einigen Stellen übersetzte sie den englischen Text zurück ins Deutsche. In dieser Wanderung zwischen den Sprachen ent- standen Wendungen, die – manchmal poetisch aufgeladen – durchaus neben dem Original bestehen können. »Der schönste Duft auf Erden, süßer als die Rose von Schirach, der Geruch der Druckertinte«, übersetzte Arendt. Das Original liest sich etwas prosaischer: »der süßeste Geruch auf Erden, süßer als das Öl der Rosen von Schiras« sei »jener der Druckerschwärze« gewesen.

5

Kein Duft, nur Geruch.

Damit Arendts Umgang mit dem übersetzten Buch deutlich wird, stehen auch in den Anmerkungen zur deutschen Fassung die Passagen aus The

World of Yesterday, die Arendt rückübersetzte, an erster Stelle; dem folgen

die Zitate aus dem Original.

Für den englischen Erstdruck wurde der Essay gekürzt; es fehlen das Motto sowie ein weiterer Vers aus Hugo von Hofmannsthals »Lebenslied«

(1896). Gleichzeitig finden sich Erweiterungen und drei Zitate, die in der deutschen Originalfassung fehlen. Es ist anzunehmen, dass Arendt sie im

3 M. E. Grenander Department of Special Collections and Archives, University Libraries,

University at Albany, State University of New York. Karl Otto Paetel Papers, 1907- 1984. General Correspondence. Box 3, Folder 8.

4 In Arendts Bibliothek ist das Buch nicht überliefert.

5 Vgl. die Passage aus der englischen Übersetzung; 403.

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Korrekturdurchgang einfügte, von dem im zitierten Brief an Hurwitz die Rede war. Bevor sie das Original drei Jahre später nach Deutschland schick- te – Sternberger bekam es im Oktober 1946, wie aus einem Brief an Jaspers hervorgeht (

J

a

PU

,

658) –, wurde der Text nicht noch einmal bearbeitet,

weshalb die Erweiterungen für die englische Fassung in der deutschen fehlen.

Der Titel macht deutlich, dass Arendt im Exil über ein übersetztes Buch ge- schrieben hat: »Juden in der Welt von gestern. Anläßlich Stefan Zweig, The World of Yesterday, an Autobiography«.

Damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. In der deutschen Fassung von 1976, die Arendt nicht mehr durchsehen konnte, fehlen das Motto und ebenso zwei weitere kürzere Passagen zu Hofmannsthal, wobei die Kürzun- gen denen in der englischen Fassung ähneln.

6

Hofmannsthal war 1943 in den

USA

sicher kein »household name«, was die Kürzungen in Menorah Journal erklären würde. Warum diese Streichungen in die zweite deutsche Fassung übernommen wurden, bleibt eine offene Frage.

BH

Anmerkungen / Annotations

86 1 Juden in der Welt von Gestern ]»Anläßlich Stefan Zweig, The World of Yesterday, Vi- king Press, New York 1943, an Autobiography.« Anmerkungen zum Titel im Text.

86 6-9 Ihm bietet jede … Hofmannsthal) ] »Er geht wie den kein Walten / Vom Rücken her bedroht. / Er lächelt, wenn die Falten / Des Lebens flüstern: Tod! / Ihm bietet jede Stelle / Geheimnisvoll die Schwelle; / Es gibt sich jeder Welle / Der Heimatlose hin.« Das Gedicht war 1922 im Band Gedichte erschienen. In Arendts Bibliothek finden sich mehrere Bände von Hofmannsthals Texten; dieser ist nicht darunter.

Hofmannsthal: Lebenslied, 15-16.

86 12-25 Rahel Varnhagen in … erwachte. ] Diesen Traum hatte Hannah Arendt im Kapitel

»Tag und Nacht« ihrer Biographie Rahel Varnhagens zitiert. Als sie den Essay schrieb, stand ihr kein Exemplar dieser Studie zur Verfügung, Arendt referiert ihn aus dem Ge- dächtnis. Dabei entstand eine interessante Umschrift: Statt der »Mutter Gottes« taucht nun Caroline von Humboldt auf. Der Traum lautet in der Fassung in dem von Karl Au- gust Varnhagen bearbeiteten Buch des Andenkens, auf das Arendt sich stützte: »In diesem lag ich auf einem breiten Lager mit einer grauen Decke zugedeckt, auf demselben Lager mir gegenüber, ohne mich zu berühren, die Füße auch unter der Decke, mir etwas rechts, lag Bettina Brentano, und in Bettinens Richtung, ihr rechts, mir aber links, die Mutter Gottes, deren Gesicht ich jedoch gar nicht deutlich sehen konnte; wie über alles zu Sehen- de eine äußerst feine, ganz dünn-graue Wolke zu sein schien, die aber am Sehen nicht hin-

6 Gestrichen wurden »damit das profane Volk nicht stört bei der Betrachtung – »und ein Bologneserhündchen bellt verwundert einen Pfau an«; 88. Und »(der einzige dieser Generation, der nicht nur gebildet war, sondern, wie seine Spätwerke zeigen, beinahe ein wirklicher Dichter geworden wäre)«, 91.

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derte, nur auch – wie eine Luftart – gesehen ward. Dabei war es mir, als hätte die Mutter Gottes der Schleiermacher ihr Antlitz. Wir waren am Rande der Welt. Dicht rechts neben dem Lager war ein großer Streif Erde ziemlich tief unter uns zu sehen, etwa wie eine sehr große Chaussee; darauf liefen kleingesehene Menschen hin und her, und trieben der Welt Gewerbe; nur flüchtig, und als nach einer sehr bekannten Sache, sah ich dahin. Wir drei waren die Mägde der Erde, und lebten nicht mehr, oder vielmehr, wir waren vom Leben geschieden, – auch ohne Verwunderung für mich, noch Schauer, noch Gedanken an den Tod, – und sollten, nach meinem dunklen Wissen, nach einem Ort; unser Geschäft aber auf diesem Lager, nämlich unsre Beschäftigung, war, uns abzufragen, was wir gelitten hatten, – eine andere Art Beichte! – ›Kennst du Kränkung?‹ fragten wir uns, zum Beispiel;

und wenn man nun diesen Schmerz im Leben empfunden hatte, so sagten wir: ›Ja! die kenne ich‹, mit einem lauten Schmerzensschrei, und dieser Schmerz eben, wovon die Rede war, riß sich hundertfach schmerzhaft aus dem Herzen: man war ihn aber los auf ewig, und fühlte sich ganz heil und leicht. So hatten wir schon viel gefragt; die Mutter Gottes war immer still, sagte nur ja! und weinte auch; Bettina fragt: ›Kennst Du Liebesschmerz?‹

Wimmernd, und wie heulend rief ich unter rinnenden Thränen, mein Schnupftuch vor dem Gesicht, ein langes langes Ja! – ›Kennst du Kränkung?‹ Ja! wieder so. ›Kennst du Un- recht dulden, Ungerechtigkeit?‹ Ja! ›Kennst du gemordete Jugend?‹ Ja! wimmre ich wieder in langem Ton, in Thränen zergehend. Wir waren fertig, die Herzen rein; meines aber noch mit schwerer Erdenlast gefüllt; ich richte mich auf; sehe die Weiber ernst an, und will meine letzte Last mir entnehmen lassen; mit schwer gesprochenen Worten, überdeutlich, um auch ja hierauf die Antwort Ja zu erhalten, frag’ ich: ›Kennt ihr – Schande?‹ Beide rücken vor mir zurück, wie in Entsetzen, noch etwas Mitleid in der Gebärde, sie sehen ei- nander flüchtig an, und bemühen sich, trotz des engen Raumes, sich von mir zu entfernen.

In einem an Unsinnigkeit gränzenden Zustand schrei’ ich: ›Ich habe nichts gethan! Gethan hab’ ich nichts. Ich habe nichts gethan. Ich bin unschuldig!‹ Die Weiber glauben mir, das seh’ ich an dem starren, nicht mehr unwilligen Liegenbleiben, aber sie verstehen mich nicht mehr. ›Wehe!‹ schreie ich unter Thränen, die mir das Herz wegzuschmelzen drohen;

›die verstehen mich auch nicht. Also niemals! Diese Last muß ich behalten; das wußte ich.

Ewig! Gnädiger Gott! Wehe!‹ Außer mir wie ich war, beschleunigte ich das Erwachen. –«

Arendt: RVd, 135-136.

Varnhagen: Buch des Andenkens II, 426.

87 18-19 dankte er Richard … akzeptierte; ] Die schweigsame Frau, eine Bearbeitung von Ben Jonsons Kömodie Epicene, or The Silent Woman (1609). Die Oper wurde 1934 in Dresden uraufgeführt und vor der zweiten Vorstellung abgesetzt.

Zweig: Die Welt von gestern, 418-428.

87 24-25 daß sein Name … wurde, ] »I grew up in Vienna … and was forced to leave it like a criminal before it was degraded to a German provincial city.«

Zweig: The World of Yesterday, vi.

»Ich bin aufgewachsen in Wien, der zweitausendjährigen übernationalen Metropole, und habe sie wie ein Verbrecher verlassen müssen, ehe sie degradiert wurde zu einer deutschen Provinzstadt.«

Zweig: Die Welt von gestern, 10.

88 10-16 »frühgereift und zart … an«. ] »Eine Laube statt der Bühne, / Sommersonne statt der Lampen, / Also spielen wir Theater, / Spielen uns’re eig’nen Stücke, / Frühgereift und zart und traurig. / Die Komödie uns’rer Seele, / Uns’res Fühlen’s Heut’ und Gestern, / Böser Dinge hübsche Formel. / Glatte Worte, bunte Bilder. / Halbes, heimliches Empfin-

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den, / Agonien, Episoden … / Manche hören zu, nicht alle … / Manche träumen, manche lachen. / Manche essen Eis … und manche / Sprechen sehr galante Dinge … / … Nelken wiegen sich im Winde, / Hochgestielte weiße Nelken, / Wie ein Schwarm von weißen Fal- tern, / Und ein Bologneserhündchen / Bellt verwundert einen Pfau an.«

Hofmannsthal: Einleitung Anatol, 864-865 (v. 55-74).

88 17-18 »wirkliche Leben« ] »for my faith in the competence of my Gymnasium class had received a heavy blow with my first glimpse of real life.«

Zweig: The World of Yesterday, 118.

»denn mein Glaube an die Kompetenz meiner Gymnasialklasse hatte einen harten Stoß bekommen mit diesem ersten Blick ins wirkliche Leben.«

Zweig: Die Welt von gestern, 144.

89 11 »das goldene Zeitalter der Sicherheit« ] »When I attempt to find a simple formula for the period in which I grew up, prior to the First World War, I hope that I convey its fullness by calling it the Golden Age of Security.«

Zweig: The World of Yesterday, 1.

»Wenn ich versuche, für die Zeit vor dem ersten Weltkriege, in der ich aufgewachsen bin, eine handliche Formel zu finden, so hoffe ich am prägnantesten zu sein, wenn ich sage: es war das goldene Zeitalter der Sicherheit.«

Zweig: Die Welt von gestern, 14.

90 13-14 Treitschke machte, seinem … »salonfähig«. ] In seinem Aufsatz »Unserer Aussich- ten« hatte Treitschke unter anderem geschrieben: »Bis in die Kreise der höchsten Bildung hinauf, unter Männern, die jeden Gedanken kirchlicher Unduldsamkeit oder nationalen Hochmuths mit Abscheu von sich weisen würden, ertönt es wie aus einem Munde: die Juden sind unser Unglück!«

Treitschke: Unserer Aussichten, 575.

90 17-19 Lueger erwähnt, schildert … blieb. ] Zweig: The World of Yesterday, 63.

»Karl Lueger, mit seinem weichen blonden Vollbart eine imposante Erscheinung – der

›schöne Karl‹ im Wiener Volksmund genannt – hatte akademische Bildung und war nicht vergebens in einem Zeitalter, das geistige Kultur über alles stellte, zur Schule gegangen.

Er konnte populär sprechen, war vehement und witzig, aber selbst in den heftigsten Re- den – oder solchen, die man zu jenen Zeiten als heftig empfand – überschritt er nie den Anstand […]. Gegen seine Gegner bewahrte er […] immer eine gewisse Noblesse, und sein offizieller Antisemitismus hat ihn nie gehindert, seinen früheren jüdischen Freunden wohlgesinnt und gefällig zu bleiben.«

Zweig: Die Welt von gestern, 83-84.

90 19-21 mit der Ausnahme … Herzl ] Zweig: The World of Yesterday, 101 and 103.

Zweig hatte Herzl 1901 kennengelernt; er »war der erste Mann welthistorischen Formats, dem ich in meinem Leben gegenüberstand«. Über die Reaktionen auf Herzls Der Judenstaat heißt es: »ich kann mich aber der Verblüffung und Verärgerung der Wiener bürgerlich- jüdischen Kreise wohl erinnern. Was ist, sagten sie unwirsch, in diesen sonst so gescheiten, witzigen und kultivierten Schriftsteller gefahren? Was treibt und schreibt er für Narrheiten?

Warum sollen wir nach Palästina? Unsere Sprache ist deutsch und nicht hebräisch«.

Zweig: Die Welt von gestern, 125 und 127.

90 27 Wie antisemitisch die »bessere Gesellschaft« war ] Zweig: The World of Yesterday, 17 und 111.

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In einer Passage, in der Zweig Wien als »wunderbar orchestrierte Stadt« beschreibt, wird die »gute Gesellschaft« definiert: »bestehend aus dem kleineren Adel, der hohen Beamten- schaft, der Industrie und den ›alten Familien‹«. Im Abschnitt über sein Studium in Berlin heißt es: »ich war müde der sogenannten ›guten‹ Gesellschaft«.

Zweig: Die Welt von gestern, 34 und 136.

91 27-29 wie der Tod … versetzte. ] Zweig: The World of Yesterday, 16.

»Ich erinnere mich zum Beispiel aus meiner frühesten Jugend, daß unsere Köchin eines Tages mit Tränen in den Augen in das Zimmer stürzte – eben habe man ihr erzählt, Charlotte Wolter – die berühmteste Schauspielerin des Burgtheaters – sei gestorben.

Das Groteske dieser wilden Trauer bestand selbstverständlich darin, daß diese alte, halb an alphabetische Köchin nicht ein einziges Mal selbst im vornehmen Burgtheater gewesen war und die Wolter nie auf der Bühne oder im Leben gesehen hatte; aber eine große na- tionale Schauspielerin gehörte in Wien sosehr zum Kollektivbesitz der ganzen Stadt, daß selbst der Unbeteiligte ihren Tod als eine Katastrophe empfand.«

Zweig: Die Welt von gestern, 32.

92 16-18 »that nine-tenth of … Jewry«. ] Zweig: The World of Yesterday, 22.

»neun Zehntel von dem, was die Welt als Wiener Kultur des neunzehnten Jahrhunderts feierte, war eine vom Wiener Judentum geförderte, genährte, oder sogar schon selbstge- schaffene Kultur.«

Zweig: Die Welt von gestern, 39.

92 20-21 »Dem Mimen flicht die Nachwelt keine Kränze« ] Friedrich Schiller. Wallenstein. Prolog.

92 30-32 nachdem man diese … betrachtete«. ] Von der »Größe« ist bei Zweig häufig die Rede:

Ein »an sich unbedeutender Literat« gewinnt »eine plötzliche Größe«. In Wien wurden Künstler »zur Größe« erzogen. Über Walter Rathenau heißt es: »Und er schuf sich die Größe, die seinem Genie eingeboren war, durch den Einsatz seines Lebens an eine einzige Idee«.

Zweig: Die Welt von gestern, 310, 35, 214.

93 2-3 trotz aller »connoisseurship« ] “But culturally this exaggeration of artistic events brought something unique to maturity — first of all, an uncommon respect for every artis- tic presentation, then, through centuries of practice, a connoisseurship without equal, and finally, thanks to that connoisseurship, a predominant high level in all cultural fields.”

Zweig: The World of Yesterday, 18.

»Aber kulturell hat diese Überwertung der künstlerischen Geschehnisse etwas Einzigarti- ges gezeitigt – eine ungemeine Ehrfurcht vorerst vor jeder künstlerischen Leistung, dann in ihrer jahrhundertelangen Übung ein Kennertum ohnegleichen und dank dieses Ken- nertums wiederum schließlich ein überragendes Niveau auf allen kulturellen Gebieten.«

Zweig: Die Welt von gestern, 35.

93 7-9 »Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, … Stifter.« ] Zweig: The World of Yesterday, 23.

»Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Beer-Hofmann, Peter Altenberg gaben der Wiener Literatur einen europäischen Rang, wie sie ihn nicht einmal unter Grillparzer und Stifter besessen, Sonnenthal, Max Reinhardt erneuten den Ruhm der Theaterstadt über die gan- ze Erde, Freud und die großen Kapazitäten der Wissenschaft lenkten die Blicke auf die altberühmte Universität«.

Zweig: Die Welt von gestern, 40.

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93 19-20 Zweig in seinem … Leidenschaft, ] “I regarded it more as an honor than a disgrace to be permitted to share this fate of the complete destruction of literary existence in Germany with such eminent contemporaries as Thomas Mann, Heinrich Mann, Werfel, Freud, Einstein, and many others …”

Zweig: The World of Yesterday, 367.

»Dieses Schicksal völliger literarischer Existenzvernichtung in Deutschland mit so emi- nenten Zeitgenossen wie Thomas Mann, Heinrich Mann, Werfel, Freud und Einstein und manchen anderen, deren Werk ich ungleich wichtiger nehme als das meine, teilen zu dür- fen, habe ich eher als Ehre empfunden denn als Schmach«.

Zweig: Die Welt von gestern, 417.

93 26 nach dem »geborenen Genie« ] “‘I had the feeling,’ Schnitzler said, ‘of having encoun- tered a born genius for the first time in my life, and never again during my entire lifetime was I so overwhelmed.’”

Zweig: The World of Yesterday, 48.

»›Ich hatte‹, sagte mir Schnitzler, ›das Gefühl, zum erstenmal in meinem Leben einem geborenen Genie begegnet zu sein, und ich habe es in meinem ganzen Leben nie mehr so überwältigend empfunden.‹« Die Rede ist von Hugo von Hofmannsthal.

Zweig: Die Welt von gestern, 67.

93 26 dem »Fleisch gewordenen Dichter« ] “For what can be more intoxicating for a young generation than to realize that the born, the pure, the sublime poet was in their midst in the flesh”.

Zweig: The World of Yesterday, 49.

»Denn was kann einer jungen Generation Berauschenderes geschehen, als neben sich, un- ter sich den geborenen, den reinen, den sublimen Dichter leibhaft nahe zu wissen«. Auch hier ist von Hofmannsthal die Rede.

Zweig: Die Welt von gestern, 68.

94 5 Zweigs »strahlende Macht des Ruhms« ] “The radiant power of fame”.

Zweig: The World of Yesterday, 42.

»So stark war für uns die strahlende Kraft des Ruhms, daß er, selbst durch siebenfaches Medium gebrochen, uns noch Ehrfurcht abzwang«.

Zweig: Die Welt von gestern, 61.

94 7 Herrn Haushofer ] Zweig hatte Karl Haushofer 1908 auf einer viermonatigen Reise durch Asien kennengelernt: »Unter den Männern, denen ich auf meiner Indienreise be- gegnete, hat einer auf die Geschichte unserer Zeit unabsehbaren, wenn auch nicht offen sichtbaren Einfluß gewonnen. Von Kalkutta aus nach Hinterindien und auf einem Fluß- boot den Irawadi hinaufsteuernd, war ich täglich stundenlang mit Karl Haushofer und seiner Frau zusammen, der als deutscher Militärattaché nach Japan kommandiert war.

Dieser aufrechte, hagere Mann mit seinem knochigen Gesicht und seiner scharfen Adler- nase gab mir die erste Einsicht in die außerordentlichen Qualitäten und die innere Zucht eines deutschen Generalstabsoffiziers. […] Haushofer […] kam aus einer kultivierten, gutbürgerlichen Familie – sein Vater hatte ziemlich viele Gedichte veröffentlicht und war, glaube ich, Professor an der Universität gewesen – und seine Bildung war auch jenseits des Militärischen universal.« Recht ausführlich schildert Zweig, wie er von Haushofers

»Geopolitik« erfuhr und wie der von Haushofer geprägte Begriff »vom ›Lebensraum‹ der Völker« in die Sprache der Nazis aufgenommen wurde: »Aber einer der Schüler Hausho- fers war Rudolf Hess gewesen, und er hatte die Verbindung zustande gebracht; Hitler, an sich fremden Ideen wenig zugänglich, besaß nun von Anfang an den Instinkt, sich alles

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anzueignen, was seinen persönlichen Zielen von Nutzen sein konnte; darum mündete und erschöpfte sich die ›Geopolitik‹ für ihn vollkommen in nationalsozialistischer Politik, und er machte sich so vieles von ihr dienstbar, als einen Zwecken dienen konnte. […] So ist mein alter Reisebekannter […] ein ebenso sinnfälliges Beispiel, daß eine einzige Formu- lierung durch die immanente Kraft des Wortes sich in Tat und Verhängnis umsetzen kann […]. Persönlich hat Haushofer in der Partei, so weit ich weiß, nie eine sichtbare Stellung eingenommen, ist vielleicht sogar nie Parteimitglied gewesen«.

Zweig: Die Welt von gestern, 217-220.

94 34-35 »der schönste Duft … Druckertinte« ] “… the sweetest smell on earth, sweeter than the oil of the Rose of Shiraz, was the smell of printer’s ink.”

Zweig: The World of Yesterday, 97.

»Das erste, was ich begann, war, meine Gedichte in einer – wie ich meinte: unerbitt- lichen – Auslese zu sammeln. Ich schäme mich nicht zu bekennen, daß mir eben absolvier- tem neunzehnjährigem Gymnasiasten als der süßeste Geruch auf Erden, süßer als das Öl der Rosen von Schiras, damals jener der Druckerschwärze erschien«.

Zweig: Die Welt von gestern, 121.

95 22-23 Gestohlen die Sammlungen … Salzburg ] Zweig: The World of Yesterday, 323 und 348-354.

Im Kapitel »Wieder in der Welt« schreibt Zweig davon, was ihm der Erfolg seiner Bücher ermöglichte: »Ich hatte in den Jahren des Anfangs nie zu denken gewagt, je mit meinen Büchern Geld zu verdienen oder gar auf ihren Ertrag eine Existenz aufbauen zu können.

Nun brachten sie plötzlich stattliche und immer steigende Summen, die mich für immer – wer konnte an unsere Zeiten denken? – jeder Sorge zu entheben schienen. Ich konnte großzügig der alten Leidenschaft meiner Jugend frönen, Autographen zu sammeln, und manche der schönsten, der kostbarsten dieser wunderbaren Reliquien fanden bei mir zärt- lich behütete Unterkunft. Für die im höheren Sinne doch ziemlich ephemeren Werke, die ich geschrieben, konnte ich Handschriften unvergänglicher Werke erwerben, Handschrif- ten von Mozart und Bach und Beethoven, Goethe und Balzac.« Im Kapitel »Sonnenunter- gang« wird dann ausführlich beschrieben, wie sich die Sammlung weiterentwickelte und was aus ihr wurde, als Zweig nach England emigrierte.

Zweig: Die Welt von gestern, 369 und 396-403.

95 29-30 von dem Erwerb … ließ. ] “The fall of Austria brought with it a change in my personal life which at first I believed to be a quite unimportant formality: my Austrian passport became void and I had to request an emergency white paper from the English authorities, a passport for the stateless. […] I only understood what this exchange of my passport for an alien’s certificate meant in the moment when I was admitted to the English officials after a long wait on the petitioners’ bench in an anteroom. An Austrian passport was a symbol of my rights. Every Austrian consul or officer or police officer was in duty bound to issue one to me on demand as a citizen in good standing. But I had to solicit the English certificate. It was a favor that I had to ask for, and what is more, a favor that could be withdrawn at any moment. Overnight I found myself one rung lower. Only yesterday still a visitor from abroad and, so to speak, a gentleman who was spending his international income and paying his taxes, now I had become an immigrant, a ‘refugee.’”

Zweig: The World of Yesterday, 408-409.

»Der Fall Österreichs brachte in meiner privaten Existenz eine Veränderung mit sich, die ich zuerst als eine gänzlich belanglose und bloß formelle ansah: ich verlor damit meinen österreichischen Paß und mußte von den englischen Behörden ein weißes Ersatzpapier,

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einen Staatenlosenpaß erbitten. […] Ebenso verstand ich erst in der Minute, da ich nach längerem Warten auf der Bittstellerbank des Vorraums in die englische Amtsstube einge- lassen wurde, was dieser Umtausch meines Passes gegen ein Fremdenpapier bedeutete.

Denn auf meinen österreichischen Paß hatte ich ein Anrecht gehabt. Jeder österreichische Konsulatsbeamte oder Polizeioffizier war verpflichtet gewesen, ihn mir als vollberech- tigten Bürger sofort auszustellen. Das englische Fremdenpapier dagegen, das ich erhielt, mußte ich erbitten. Es war eine erbetene Gefälligkeit und eine Gefälligkeit überdies, die mir jeden Augenblick entzogen werden konnte. Über Nacht war ich abermals eine Stufe hinuntergeglitten. Gestern noch ausländischer Gast und gewissermaßen Gentleman, der hier sein internationales Einkommen verausgabte und seine Steuern bezahlte, war ich Emigrant geworden, ein ›Refugee‹.«

Zweig: Die Welt von gestern, 462-463.

95 35 »The Great Silence« ] »ONA, March 9, 1942«. Anmerkung im Text.

Der Aufsatz war unter demselben Titel in der Neuen Volkszeitung [New York] vom 22. Juni 1940, 2, erschienen. Eine englische Übersetzung dieser Fassung, »The Great Si- lence«, übersetzt von William G. Phelps, erschien in: The Shreveport Times [Shreveport], 30. Juni 1940, 5. Die von Arendt genannte Fassung des Aufsatzes (ONA, March 9, 1942), die fast zwei Jahre später erschien, konnte nicht nachgewiesen werden.

Zweig: Das große Schweigen (Neue Volkszeitung).

95 35-36 kurz vor seinem Tode ] Stefan Zweig hatte am 22. Februar 1942 Selbstmord began- gen.

96 4-6 »als sei ein … worden«, ] Stefan Zweigs Essay »Das große Schweigen« beginnt mit den Worten: »Ich glaube, dass die erste Pflicht aller, die die Freiheit des Redens haben, heute die ist, im Namen der Millionen und Abermillionen zu sprechen, die es selber nicht mehr können, weil dieses unentwendbare Recht ihnen entwendet worden ist.« Für »vier- zig oder fünfzig Millionen Opfer« will der Schreiber sprechen, »deren Stimmen in Mittel- europa erstickt, erdrosselt ist«. Die zitierte Passage lautet: »Die ganze Welt war schreck- lich betroffen. Es war, als ob ein Mensch unter der Wirkung eines heftigen Schocks aus grosser Höhe niedergestürzt sei und als ob er nun sich wieder erhöbe, um sich blickte und sich fragte: ›Wo bin ich? Sind wir wirklich im zwanzigsten Jahrhundert der Menschheit?‹«

Zweig: Das große Schweigen, 424.

96 6-8 jenes »Jahrhundert, dessen … waren«. ] »Was ein einzelner Mensch berichten kann, ist nur ein Tropfen in diesem Ozean von Elend, der ein Viertel Europas überschwemmt hat. Später einmal, wenn man seinen ganzen Umfang kennen wird, wenn man um die Mil- lionen und Millionen glücklicher Existenzen, die er verschlungen hat, wissen wird, später einmal wir die Menschheit sich derer schämen, die durch Akte nutzloser Grausamkeit ein Jahrhundert besudelt haben, dessen Fortschritt, dessen Wissenschaften, dessen Künste, dessen großartige Erfindungen unser aller Stolz und unser aller Glaube waren.«

Zweig: Das große Schweigen, 426.

Portrait of a Period

A rather complicated story: Arendt wrote a review of a German book that — in

the middle of the war — was available to her only in English translation. She

wrote her review in German, and an unknown translator rendered the text

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