Wohin geht die Ökumene?
VERLAG FRIEDRICH PUSTET REGENSBURG
Wohin geht die Ökumene?
Rückblicke – Einblicke – Ausblicke
Kurt Kardinal Koch
in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2021 Verlag Friedrich Pustet, Regensburg Gutenbergstraße 8 | 93051 Regensburg
Tel. 0941/920220 | verlag@pustet.de ISBN 978-3-7917-3244-2
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Druck und Bindung: Friedrich Pustet, Regensburg Printed in Germany 2021
eISBN 978-3-7917-7340-7 (pdf)
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Einleitung . . . . 11
Erster Teil: „Unitatis redintegratio“ als ökumenische Magna Charta . . . . 15
I. Kurzer Rückblick in Dankbarkeit . . . . 16
II. Ekklesiologische Verpflichtung zur Ökumene . . . . 19
III. Bleibende Aktualität des Ökumenismusdekrets . . . . 22
1. Wachhalten der Frage nach der Einheit . . . . 23
2. Bekenntnis zur einen Kirche in ökumenischer Offenheit . . . . 27
3. Die wichtige Unterscheidung zwischen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften . . . . 30
4. Gestuftes Kirchenverständnis und baptismale Ökumene . . . 34
Zweiter Teil: Gebet, Mission und Umkehr als Dimensionen der Ökumenischen Bewegung . . . . 39
I. Ökumene als Gebetsbewegung . . . . 39
1. Zentralität einer spirituellen Ökumene . . . . 40
2. Ökumenischer Austausch von doxologischen Gaben . . . . 43
3. Ökumenische Bedeutung der Vita Consecrata . . . . 48
II. Ökumene als Missionsbewegung . . . . 52
1. Missionarische Herausforderung angesichts einer gespaltenen Christenheit . . . . 54
2. Symphonie von Mission und Ökumene . . . . 57
III. Ökumene als Umkehrbewegung . . . . 61
1. Keine Ökumene ohne Bekehrung . . . . 62
2. Umkehr zum gemeinsamen Glaubensfundament . . . . 64
Inhalt
Dritter Teil:
Das ökumenische Lehramt der Päpste nach dem Konzil . . . . 71 I. Der ökumenische Weg der Kirche im Dritten Jahrtausend
Die Leidenschaft von Papst Johannes Paul II. für die
Einheit der Christen . . . . 72 1. Erneuerung des Kirchenrechts im Dienst an der Einheit der Christen . . . . 73 a) Ekklesiologische Rechtsverpflichtung zur Ökumene . . . . . 74 b) Zeitliche Begrenzung der Gültigkeit des Rechts in
ökumenischer Sicht . . . . 78 2. Unumkehrbarer ökumenischer Weg der Kirche . . . . 82 a) Fundamente des ökumenischen Weges in
„Ut unum sint“ . . . . 82 b) Ökumenische Perspektiven für Gegenwart und Zukunft 85 (1) Martyrologische Dimension der Ökumene . . . . 86 (2) Petrinischer Dienst an der Einheit der Kirche . . . . 89 II. Dienst an der vollen und sichtbaren Einheit
Das Ökumeneverständnis von Joseph Ratzinger –
Benedikt XVI. . . . . 93 1. Ökumene als Glaubensbewegung . . . . 94 a) Eine Frage des Glaubens und nicht der Politik . . . . 95 b) Ökumenischer Glaubensrealismus im Leben des
Eschatologischen . . . . 97 2. Christliche Ökumene als Teilhabe am Beten Jesu . . . . 100 a) Charitologische Perspektive: Gebet um die Einheit . . . . 101 b) Trinitarische Perspektive: Einheit der Liebe des
Dreieinen Gottes . . . . 102 c) Missionarische Perspektive: Gemeinsames Zeugnis
der Gegenwart Gottes . . . . 105 d) Somatische Perspektive: Sichtbare Einheit des
Leibes Christi . . . . 107 3. Ekklesiologische Grundentscheidungen im
Ökumeneverständnis Benedikts XVI. . . . . 109 a) Ekklesiologische Verwurzelung der Ökumene . . . . 110 b) Ökumenische Überwindung der zwei großen
Kirchenspaltungen . . . . 111
7 Inhalt
c) Ökumenische Einheit im gemeinsamen Zeugnis
der Liebe . . . . 114 4. Durchgehende Präsenz des ökumenischen Themas . . . . 116 III. Ökumene auf dem Weg
Die Vision der ökumenischen Einheit bei Papst Franziskus 122 1. Ziel und Weg der Ökumene . . . . 122 2. Dimensionen des ökumenischen Bemühens . . . . 124 a) Ökumenismus der Liebe: geschwisterliche Begegnung in Wort und Zeichen . . . . 125 b) Ökumenismus der Wahrheit: Theologie „auf Knien“
und Austausch der Gaben . . . . 128 c) Praktischer Ökumenismus: Gemeinsames Handeln und ökumenische Evangelisierung . . . . 131 d) Spiritueller Ökumenismus: Gebet und Martyrium . . . . 133 3. Ökumene mit mutigen Initiativen . . . . 136
Vierter Teil:
Theologische Aufarbeitung von historischen Spaltungen . . . . 141 I. Die Bedeutung von Theologie und Geschichte für
die Ökumene . . . . 142 II. Erste Spaltungen nach dem Konzil von Chalkedon . . . . 146
1. Das Christusbekenntnis im Dialog mit den Orientalisch- Orthodoxen Kirchen . . . . 146 a) Christologische Streitigkeiten nach dem Konzil von
Chalkedon . . . . 147 b) Christologische Konsenserklärungen in den
ökumenischen Dialogen . . . . 151 c) Einheit im Glauben und Unterschied in der
Terminologie . . . . 156 2. Weitere ökumenische Dialoge mit den Kirchen des Ostens 160 III. Auf dem Weg zur Wiederherstellung der einen Kirche
in Ost und West
Der ökumenische Dialog mit den Orthodoxen Kirchen . . . . 163
1. Beginn der Wiederherstellung der Liebe mit Rechtskraft . . . 164
2. Vom Dialog der Liebe zum Dialog der Wahrheit . . . . 167
a) Einswerden im gemeinsamen Glauben und bleibendes Problem des Uniatismus . . . . 168
b) Geschichte und Theologie des Primats . . . . 171
3. Der Primat als entscheidende Frage . . . . 176
4. Ökumenische Wege in die Zukunft . . . . 179
a) Autokephalie oder universalkirchlicher Primat? . . . . 180
b) Synthese von Primat und Synodalität . . . . 183
c) Der Primat im Dienst der Wiederherstellung der einen Kirche . . . . 185
IV. Überwindung der Spaltungen in der Westkirche im 16. Jahrhundert . . . . 186
1. Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre als ökumenische Errungenschaft und als bleibende Herausforderung . . . . 188
a) Ökumenische Erfolgsgeschichte der Gemeinsamen Erklärung . . . . 188
(1) Ökumenischer Meilenstein mit langer Vorbereitung 189
(2) Differenzierender Konsens und ökumenische Einheit . . . . 192
(3) Ausgeweitete Gemeinschaft in der Rechtfertigungslehre . . . . 194
b) Neue Erschließung der Rechtfertigungsbotschaft . . . . 195
(1) Bleibender Text und veränderter Kontext der Rechtfertigungslehre . . . . 196
(2) Verschiedene Terminologien der einen Botschaft . . . . 200
c) Notwendige Klärungen . . . . 202
(1) Rechtfertigungslehre als Kriterium der Glaubenslehre . . . . 202
(2) Anthropologische Implikationen der Rechtfertigungslehre . . . . 204
(3) Die entscheidende Frage der Mitwirkung des Menschen . . . . 207
(4) Ekklesiologische Konsequenzen der Gemeinsamen Erklärung . . . . 210
9 Inhalt
d) Konzentration auf die Themen von Kirche, Eucharistie
und Amt . . . . 212
e) Bleibende Aktualität der Gemeinsamen Erklärung . . . . 215
2. Die Katholische Kirche und die Confessio Augustana . . . . . 218
a) Rückblick auf Augsburg 1530 und Vorausblick auf Augsburg 2030 . . . . 219
b) Die ökumenische Intention der Confessio Augustana . . . 221
c) Anerkennung der Confessio Augustana als katholisches Bekenntnis? . . . . 224
(1) Inhaltliche Probleme . . . . 226
(2) Formale Fragestellungen . . . . 228
d) Bekenntnis der Einheit oder Dokument der Spaltung? . . . 231
e) Die Confessio Augustana im Licht der ökumenischen Entwicklungen . . . . 234
f) Anerkennung von Kirchengemeinschaft als Ziel . . . . 236
V. Ökumenische Begegnung mit evangelikalen und pentekostalen Bewegungen . . . . 238
1. Pentekostalisierung der ökumenischen Situation . . . . 238
2. Ökumenische Herausforderungen durch die neuen Gemeinschaften . . . . 240
a) Große Pluralität von neuen Bewegungen . . . . 240
b) Notwendige Unterscheidung der Geister . . . . 242
c) Evangelisierung in glaubwürdiger Ökumene . . . . 243
VI. Versöhnung nach der Ur-Spaltung zwischen Kirche und Synagoge . . . . 245
Fünfter Teil: Bleibende und neue Herausforderungen in der ökumenischen Situation heute . . . . 251
I. Ausweitung der ökumenischen Partner . . . . 251
II. Mangelnder Konsens über das Ziel der Ökumene . . . . 255
1. Strittigkeit des Ziels der Ökumenischen Bewegung . . . . 256
2. Kriterien bei der Suche nach einem gemeinsamen Ziel
der Ökumene . . . . 259 3. Mangelnde Klärung des Kirchen- und Einheits-
verständnisses . . . . 262 4. Ökumenische Klärung des Verhältnisses zwischen
Christus und Kirche . . . . 266 III. Neue Kontroversen in der Ethik und in der Anthropologie 269 1. Herausforderung einer gemeinchristlichen Anthropologie 270 2. Transzendente Fundierung von Anthropologie und
Menschenrechten . . . . 273 IV. Ökumene im Vorzeichen der Religionsfreiheit . . . . 276
1. Religionsfreiheit als Voraussetzung für den ökumenischen Dialog . . . . 277 2. Ökumene ohne Proselytismus . . . . 280 3. Die Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat als
ökumenisches Desiderat . . . . 284 4. Ökumenische Verantwortung für die Religionsfreiheit
heute . . . . 287
Epilog
Ökumenischer Weg zur Einheit . . . . 291 Namenregister . . . . 295
Einleitung
W
o steht die Ökumene heute? Hinter dieser auf den ersten Blick un- verfänglichen Frage verbirgt sich zumeist der wenn auch unausge- sprochene Verdacht, dass die Ökumene heute eben, wie in der Frage an- getönt, steht und nicht, wie zu hoffen wäre, geht. Es ist deshalb heute viel vom Stillstand oder gar von einem Winter in der Ökumene die Rede.Ich teile diese Diagnose nicht, sondern bin überzeugt, dass die Ökumene auch heute geht, weil sie lebt. Dies gilt zumal, wenn man auf die welt- weite Ökumene blickt. Dabei handelt es sich freilich um einen Pleonas- mus. Denn „Ökumene“ heißt dem ursprünglichen Wortsinn nach den ganzen Erdkreis umfassend. Die Ökumene findet gewiss in erster Linie am konkreten Lebensort statt und vollzieht sich als Gespräch mit den jeweiligen ökumenischen Partnern. Auf der anderen Seite kann die kon- krete Ökumene am Ort nur gewinnen, wenn sie ihre Aufmerksamkeit auch den umfassenderen ökumenischen Prozessen zuwendet. Denn die Ökumene ist seit ihrem Beginn eine weltweite Bewegung.
Diese erfreuliche Erfahrung kann ich in meiner Verantwortung als Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Chris- ten immer wieder machen. In vielen Begegnungen und Diskussionen höre ich freilich auch Klagen, das ökumenische Engagement habe in vielen Bereichen an Kraft und Vitalität verloren oder zumindest einge- büßt. Vor allem bei Ad Limina-Besuchen berichten Bischöfe, das Inter- esse an der Ökumene sei, zumal bei der jungen Generation und auch bei jüngeren Priestern, schwächer geworden. Dies muss zu denken ge- ben, da das Zweite Vatikanische Konzil in seinem Dekret über den Ökumenismus „Unitatis redintegratio“ die Teilnahme an der Ökume- nischen Bewegung als eine vordringliche Verpflichtung für die ganze Kirche eindringlich betont hat.
Um das Interesse an der Ökumene zu fördern und zu vertiefen, muss der ökumenischen Bildung besondere Aufmerksamkeit ge-
schenkt werden. Ihre Notwendigkeit wird in dem vom Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen im Jahre 1993 veröffent- lichten „Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus“ bereits dadurch stark hervorgehoben, dass das ganze Kapitel III der „ökumenischen Bildung in der katholischen Kirche“ gewidmet ist. Dabei geht es in erster Linie um die ökumeni- sche Bildung aller Getauften: „Die Sorge für die Einheit gehört we- sentlich zum Verständnis der Kirche. Die ökumenische Bildung zielt darauf ab, dass alle Christen vom ökumenischen Geist beseelt wer- den, was immer ihre besondere Sendung und Aufgabe in der Welt und Gesellschaft auch sein mögen.“1
Damit die Kirche dieser Pflicht nachkommen kann, legt das Öku- menische Direktorium einen besonderen Akzent auf die ökumenische Bildung der künftigen Mitarbeitenden in der Pastoral. Um diese Pflicht nochmals zu unterstreichen, hat der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen im Jahre 1998 ein eigenes Dokument mit dem Titel
„Die ökumenische Dimension in der Ausbildung/Bildung derer, die in der Pastoral tätig sind“ veröffentlicht. Und da die Förderung des öku- menischen Anliegens in erster Linie in der Verantwortung des Diözes- anbischofs liegt, hat der Päpstliche Rat zur Förderung der Einheit der Christen im Jahre 2020 anlässlich des sechzigjährigen Jubiläums seiner Gründung durch Papst Johannes XXIII. am 5. Juni 1960 eine Hand- reichung für die Bischöfe mit dem Titel „Ökumenisches Vademecum“
veröffentlicht.
Dem Anliegen der ökumenischen Bildung und damit der Ermuti- gung ist auch das vorliegende Buch verpflichtet. Es will erneut die öku- menischen Überzeugungen der Katholischen Kirche präsentieren und vertiefen; es will einen Überblick über die bisher geleistete Arbeit und die vielfältigen Früchte der ökumenischen Dialoge geben; es will auf jene Herausforderungen und Aufgaben hinweisen, die noch vor uns liegen und der weiteren Arbeit aufgegeben sind; und es will damit in die heutige ökumenische Situation einführen. Von daher versteht sich das vorliegende Buch als Hinführung zur Wahrnehmung der ökume- nischen Verpflichtung aller Glieder der Kirche und besonders derjeni- gen, die zu einem Dienst in der Kirche berufen sind.
1 Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus, Nr. 58.
13 Einleitung
Das Buch ist von der Überzeugung getragen, dass es zur Ökumene keine Alternative gibt. Sie ist um der Glaubwürdigkeit des christlichen Glaubens und der Sendung der Kirche in der heutigen Welt notwendig, sie entspricht dem Willen des Herrn und ist eine Frucht des Heiligen Geistes, dessen Einwirkung das Zweite Vatikanische Konzil die „sich von Tag zu Tag ausbreitende Bewegung zur Wiederherstellung der Einheit der Christen“ verdankend zuschreibt.2 Es wäre deshalb Klein- glaube, würde man dem Heiligen Geist nicht zutrauen, dass er das, was er verheißungsvoll initiiert hat, auch zu Ende führen wird – frei- lich so und zu jener Zeit, wie er will. Auf ihn zu hören, ist das bleibende Gebot der ökumenischen Stunde auch heute.
Rom, im Sommer 2020 Kurt Kardinal Koch
2 Unitatis redintegratio, Nr. 1.
Erster Teil
„Unitatis redintegratio“ als ökumenische Magna Charta
A
m Ende der Weltgebetsoktav für die Einheit der Christen 1959 kündigte Papst Johannes XXIII. in St. Paul vor den Mauern in einer kurzen Ansprache vor einer kleinen Gruppe von Kardinälen eine Diö- zesansynode für die Stadt Rom und ein Ökumenisches Konzil für die Universalkirche an.3 Dieses Ereignis, das keine drei Monate nach sei- ner Wahl als Nachfolger von Papst Pius XII. stattfand, war ebenso un- erwartet wie überraschend. Es war gewiss auch evident, dass das an- gekündigte „Ökumenische Konzil“ kein Konzil der ganzen Christen- heit, sondern ein innerkatholisches Ereignis sein würde. Dennoch stand die ökumenische Frage im umfassenden Sinn am Horizont und war nicht mehr wegzudenken. Auch wenn das angekündigte Konzil kein „Ökumenisches Konzil“ der Gesamtchristenheit sein wird, so wird es auf jeden Fall ein „Konzil für ein ökumenisches Zeitalter“sein.4 Die Erinnerung an die Konzilsankündigung vor über sechzig Jahren ist ein willkommener Anlass, auf die offiziellen Anfänge der Ökumenischen Bewegung in der Katholischen Kirche zurückzubli- cken und genauer zu fragen, wovon sie angetrieben wurde, um wei- tere Ermutigung auf dem heutigen Weg zur Wiederherstellung der Einheit der Christen zu schöpfen.
3 Johannes XXIII., Sollemnis Allocutio ad Emos Fratres Cardinales in Urbe prae- senta habita, Die XXV Ianuarii Anno MCMLIX, in: AAS 51 (1959) 65–69.
4 W. Thönissen, Ein Konzil für ein ökumenisches Zeitalter. Schlüsselthemen des Zweiten Vaticanums, Paderborn – Leipzig 2013.
I. Kurzer Rückblick in Dankbarkeit
„Er führte mich hinaus ins Weite, er befreite mich, denn er hatte an mir Gefallen“ (Psalm 18, 20). Dieses Wort aus Psalm 18, das ein Wort tiefer Dankbarkeit ist, kommt einem spontan in den Sinn, wenn man auf die vergangene Zeit seit dem 21. November 1964 zurückblickt, an dem das Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über den Ökumenismus
„Unitatis redintegratio“ von den Konzilsvätern mit überwältigender Mehrheit, nämlich mit 2137 Ja- Stimmen gegen 11 Nein-Stimmen, ange- nommen und von Papst Paul VI. promulgiert worden ist. Mit diesem Ereignis hat sich die Katholische Kirche die Grundanliegen der Öku- menischen Bewegung zu eigen gemacht und ist in diese weltweite Be- wegung in offizieller und endgültiger Weise eingetreten. Wie sehr die- ses Urteil zutrifft, zeigt die Feststellung, dass im promulgierten Text nicht mehr, wie noch im Schema „De Oecumenismo“ aus dem Jahre 1963, von einem „katholischen Ökumenismus“ die Rede ist, sondern von „katholischen Prinzipien des Ökumenismus“. Mit dieser Sprachre- gelung ist zum Ausdruck gebracht, dass das Konzil der Ökumenischen Bewegung, die innerhalb der nicht-katholischen Christenheit entstan- den ist, nicht einen eigenen Ökumenismus, gleichsam einen katholi- schen Sonderweg zur Seite oder gar entgegenstellen wollte, sondern überzeugt gewesen ist, dass es nur einen Ökumenismus geben kann, und dass das Konzil sich deshalb in den Prozess der Ökumenischen Bewegung einfügen wollte, den es ausdrücklich auf die „Einwirkung des Heiligen Geistes“ zurückführte5.
Das Dekret über den Ökumenismus „Unitatis redintegratio“ stellt ohne Zweifel einen Neubeginn der Katholischen Kirche in ihren Bezie- hungen zu den nicht-katholischen Kirchen und kirchlichen Gemein- schaften dar. Dieser Neubeginn impliziert aber keinen Bruch mit der Tradition. In den Anfängen der Ökumenischen Bewegung ist diese zwar innerhalb der Katholischen Kirche nicht selten des „Panchristis- mus“ verdächtigt worden, weshalb Papst Pius XI. mit seiner Enzyklika
„Mortalium animos“ aus dem Jahre 1928 die katholischen Christen überzeugen wollte, sich an der Ökumenischen Bewegung nicht zu be-
5 Unitatis redintegratio, Nr. 1, vgl. auch Nr. 4.
17 Kurzer Rückblick in Dankbarkeit
teiligen.6 Doch auch der ökumenische Neuaufbruch der Katholischen Kirche, der mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil stattgefunden hat, steht in einer durchaus vorhandenen Kontinuität mit der Tradition.
Denn ein solcher Neuaufbruch wäre wohl kaum möglich gewesen, wenn nicht bereits in der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil das ökumenische Anliegen auch in der Katholischen Kirche präsent gewesen wäre. Zu erinnern ist dabei nicht nur an die sogenannten Me- chelner Gespräche mit den Anglikanern, die in den Jahren 1921 bis 1926 stattgefunden haben und die von Papst Pius XI. unterstützt wor- den sind. Zu denken ist vielmehr auch daran, dass am Beginn des ver- gangenen Jahrhunderts vor allem die Päpste Leo XIII. und Benedikt XV.
das Gebet für die Einheit der Christen sehr unterstützt haben, das spä- ter im Ökumenismusdekret als „Seele der ganzen ökumenischen Be- wegung“ bezeichnet worden ist.7 Einen wichtigen Schritt über diese ökumenischen Ansätze hinaus hat Papst Pius XII. getan, indem er in seiner Instruktion „De motione ‚oecumenica‘“ aus dem Jahre 1949 die Ökumenische Bewegung begrüßt und auf den Einfluss des Heiligen Geistes zurückgeführt hat.8
In dieser Tradition stehen auch die beiden großen Päpste des Zwei- ten Vatikanischen Konzils. Der Glanz des Neubeginns in bleibender Kontinuität mit der Tradition ist zweifellos am deutlichsten greifbar bei Papst Johannes XXIII. und seiner Vision, die er für das Zweite Vati- kanische Konzil gehabt hat und die ihm bezeichnenderweise während der Gebetswoche für die Einheit der Christen zuteil geworden ist.
Denn die beiden Hauptanliegen, die ihn bewogen haben, ein Konzil einzuberufen, sind bei ihm sehr eng miteinander verbunden gewesen, nämlich die Erneuerung der Katholischen Kirche und die Wiederher- stellung der Einheit der Christen. Der Papst ist überzeugt gewesen, dass sich die Katholische Kirche nur erneuern lässt, wenn dem ökume- nischen Anliegen ein prioritärer Stellenwert gegeben wird. Diesen hatte er bereits dadurch zum Tragen gebracht, dass er zwei Jahre vor der Eröffnung des Konzils das Sekretariat für die Einheit der Christen
6 Pius XI., Mortalium animos, in: A. Rohrbasser (Hrsg.), Heilslehre der Kirche.
Dokumente von Pius XI. bis Pius XII., Fribourg 1953, Nr. 669–689.
7 Unitatis redintegratio, Nr. 8.
8 Pius XII., De motione ‚oecumenica‘“, in: A. Rohrbasser, Heilslehre der Kirche (Anm. 6), Nr. 690–701.
mit dem Motu proprio „Superno Dei Nutu“ gründete,9 in dem er als Motiv angab: „um in spezifischer Weise Unsere Liebe und Unser Wohl- wollen gegenüber jenen zu zeigen, die den Namen von Christen tragen, aber von diesem Apostolischen Stuhl getrennt sind“; und mit der Lei- tung dieses Sekretariats hat der Papst den deutschen Jesuitenkardinal Augustin Bea beauftragt, dem man später mit Recht den Ehrentitel
„Kardinal der Einheit“10 gegeben hat.
Vom unlösbaren Zusammenhang der beiden Hauptanliegen ist auch der große Konzilspapst Paul VI. überzeugt gewesen. Das ökume- nische Anliegen war für ihn ein wichtiges Leitmotiv auch und gerade bei der konziliaren Erneuerung der Katholischen Kirche und ihres Selbstverständnisses, und zwar so sehr, dass man von einer eigentli- chen Wechselwirkung zwischen der ökumenischen Öffnung der Ka- tholischen Kirche und der Erneuerung ihrer Ekklesiologie sprechen muss.11 In dieser Sinnrichtung hob Paul VI. bereits zu Beginn der zwei- ten Sitzungsperiode des Konzils in seiner grundsätzlichen Eröffnungs- rede, der der damalige Konzilsperitus Joseph Ratzinger einen „wahr- haft ökumenischen Charakter“ attestiert hat12, hervor, die ökumeni- sche Annäherung zwischen den getrennten Christen und Kirchen sei eines der zentralen Ziele, gleichsam das geistige Drama gewesen, um dessentwillen das Zweite Vatikanische Konzil einberufen worden sei.13 Und bei der Promulgation des Dekrets über den Ökumenismus „Unita- tis redintegratio“ hielt Papst Paul VI. fest, dieses Dekret erläutere und vervollständige die Dogmatische Konstitution über die Kirche: „ea doctrina explicationibus completa“14. Mit dieser Formulierung ist
9 Vgl. Pontificio Consiglio per la promozione dell’Unità dei Cristiani, Unità dei Cristiani: Dovere e speranza. Per il 50° Anniversario dell’Istituzione del Pon- tificio Consiglio per la promozione dell’Unità dei Cristiani (1960–2010), Città del Vaticano 2010.
10 S. Schmidt, Augustin Bea. Der Kardinal der Einheit, Graz 1989.
11 Vgl. H. J. Pottmeyer, Die Öffnung der römisch-katholischen Kirche und die ekklesiologische Reform des 2. Vatikanums. Ein wechselseitiger Einfluss, in:
Paolo VI e l’Ecumenismo. Colloquio Internazionale di Studio Brescia 1998, Brescia – Roma 2001, 98–117.
12 J. Ratzinger, Das Konzil auf dem Weg. Rückblick auf die zweite Sitzungspe- riode des Zweiten Vatikanischen Konzils, Köln 1964, 21.
13 Ench. Vat. Vol 1, Documenti del Concilio Vaticano II, 104 f.
14 Ebd.
19 Ekklesiologische Verpflichtung zur Ökumene
unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass Papst Paul VI. das Ökumenismusdekret in keiner Weise theologisch minder gewertet, sondern es vielmehr in seiner theologischen Bedeutung der Dogmati- schen Konstitution über die Kirche „Lumen gentium“ beigeordnet hat.
II. Ekklesiologische Verpflichtung zur Ökumene
Im Licht der Aussagen der Konzilspäpste drängt sich heute eine Klä- rung der im Blick auf die Rezeption des Konzils wichtigen Frage der theologischen Verbindlichkeit des Dekrets über den Ökumenismus auf,15 zumal dieses Dekret eine klare und vordringliche Pflicht der gan- zen Kirche zur Teilnahme an der Ökumenischen Bewegung formu- liert: „Die Sorge um die Wiederherstellung der Einheit ist Sache der ganzen Kirche, sowohl der Gläubigen wie auch der Hirten, und geht einen jeden an, je nach seiner Fähigkeit, sowohl in seinem täglichen christlichen Leben wie auch bei historischen und theologischen Unter- suchungen.“16 Die Frage nach der Verbindlichkeit dieser ökumenischen Verpflichtung hat heute vor allem deshalb eine besondere Aktualität erhalten, weil in der jüngeren Zeit verschiedene Tendenzen festgestellt werden müssen, die theologische Verbindlichkeit des Ökumenismus- dekrets in Frage zu stellen oder jedenfalls zu minimalisieren.
Eines der Hauptargumente, die in diesem Zusammenhang vorge- bracht werden, besagt, dass es sich beim Ökumenismusdekret nicht um eine Konstitution, sondern eben „nur“ um ein Dekret handle, dem vor allem eine pastorale und disziplinäre Bedeutung zukomme und das folglich nur eine geringe lehrmäßige Verbindlichkeit aufweise. An dieser Argumentation ist zweifellos richtig, dass das Zweite Vatikani- sche Konzil zwischen Konstitutionen und Dekreten unterscheidet.
Damit ist freilich die Frage nach dem Grad der lehrmäßigen Verbind- lichkeit nur gestellt, jedoch noch nicht beantwortet. Dies lässt sich be-
15 Vgl. W. Kasper, Die bleibende theologische Verbindlichkeit des Ökumenis- musdekrets, in: Ders., Wege zur Einheit der Christen. Schriften zur Ökumene I = Gesammelte Schriften. Band 14, Freiburg i. Br. 2012, 168–177.
16 Unitatis redintegratio, Nr. 5.
reits mit der historischen Feststellung verdeutlichen, dass das Konzil von Trient nur Dekrete, mit diesen aber theologisch durchaus sehr be- deutsame und verbindliche Lehrtexte verabschiedet hat. Mit der Un- terscheidung zwischen Konstitutionen und Dekreten und insofern mit dem in der Geschichte greifbaren unterschiedlichen Sprachgebrauch beim Konzil von Trient und beim Zweiten Vatikanischen Konzil kann die Frage nach der theologischen Verbindlichkeit des Ökumenismus- dekrets offensichtlich keine befriedigende Antwort finden.
Auch die nicht selten bemühte Unterscheidung zwischen lehrmäßi- ger Verbindlichkeit und pastoraler Bedeutsamkeit hilft nicht weiter.
Wenn man nämlich unter „Pastoral“ das „Geltendmachen der bleiben- den Aktualität des Dogmas“ versteht, und zwar in dem Sinne, dass das Dogma, gerade weil es wahr ist, „immer wieder neu lebendig zur Wirksamkeit gebracht“ und insofern pastoral ausgelegt werden muss,17 dann kann es keine Pastoral, die diesen Namen wirklich verdient, ohne klare Grundlage in der Lehre der Kirche geben wie es ebenso wenig eine bloße Lehre ohne pastorale Zielsetzung geben kann.18
Für die Beantwortung der Frage nach der theologischen Verbind- lichkeit des Ökumenismusdekrets wird man vielmehr davon ausgehen müssen, dass die Unterscheidung zwischen Konstitutionen und De- kreten beim Zweiten Vatikanischen Konzil dahingehend auszulegen ist, dass Dekrete zumeist Konkretisierungen von Fragestellungen einer Konstitution für das praktische Leben der Kirche darstellen. In dieser Sinnrichtung ist das Ökumenismusdekret auf dem Hintergrund vor allem der Dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen gen- tium“ zu verstehen und darf nicht ohne sie und schon gar nicht gegen sie ausgelegt werden. Diese Feststellung bedeutet, dass hinsichtlich dessen, was die Verbindlichkeit betrifft, zwischen der Dogmatischen Konstitution über die Kirche und dem Ökumenismusdekret höchstens in formaler Hinsicht unterschieden werden kann, nicht hingegen in
17 K. Kardinal Lehmann, Das II. Vatikanum – ein Wegweiser. Verständnis – Re- zeption – Bedeutung, in: P. Hünermann (Hrsg.), Das Zweite Vatikanische Konzil und die Zeichen der Zeit heute, Freiburg i. Br. 2006, 11–26, zit. 18.
18 Vgl. F. Kolfhaus, Pastorale Lehrverkündigung – Grundmotiv des Zweiten Vatikanischen Konzils. Untersuchungen zu „Unitatis Redintegratio“, „Digni- tatis Humanae“ und „Nostra Aetate“ = Theologia mundi ex urbe. Band 2, Berlin 2010.
21 Ekklesiologische Verpflichtung zur Ökumene
inhaltlicher Hinsicht, insofern die dogmatischen Vorentscheidungen und Grundlagen des Ökumenismusdekrets in der Kirchenkonstitution zu finden sind und der mit dem Konzil eingeschlagene ökumenische Weg im theologischen Wesen der Kirche selbst begründet ist.
Diese Konzilshermeneutik ist von Papst Johannes Paul II. in seiner wegweisenden Enzyklika über den Einsatz für die Ökumene „Ut unum sint“ mit der grundsätzlichen Erklärung bestätigt worden, das Öku- menismusdekret halte sich an die „Lehre der Kirche, wie sie in der Konstitution Lumen gentium, und zwar in dem Kapitel über das Volk Gottes niedergelegt ist“19. In diesem Sinn hat Papst Johannes Paul II.
auch hervorgehoben, der ökumenische Weg sei der Weg der Kirche und gehöre „organisch zu ihrem Leben und Wirken“20 und die Ent- scheidung für die Ökumene sei unwiderruflich, weil sich die Katholi- sche Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil „unumkehrbar dazu verpflichtet“ habe, „den Weg der Suche nach der Ökumene ein- zuschlagen und damit auf den Geist des Herrn zu hören, der uns lehrt, aufmerksam die ‚Zeichen der Zeit‘ zu lesen“21. Von daher kann es nicht erstaunen, dass es Papst Johannes Paul II. auch ein wichtiges Anliegen gewesen ist, die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils in die kanonistische Sprache zu übersetzen, den Konnex zwischen konzi- liarer Ekklesiologie und Kodifikation des universalkirchlichen Rechts auch im Blick auf die ökumenische Verantwortung der Kirche zum Tragen zu bringen und im Kirchenrecht eine explizite Verpflichtung zur Teilnahme an der Ökumenischen Bewegung zu verankern.22 Auf diese legislatorische Tätigkeit von Papst Johannes Paul II. im Blick auf die ökumenische Verantwortung wird später zurückzukommen sein.
An dieser Stelle drängt sich eine Vergewisserung über die wesentli- chen Aussagen des Ökumenismusdekrets auf.
19 Johannes Paul II., Ut unum sint, Nr. 8.
20 Ebd., Nr. 20.
21 Ebd., Nr. 3.
22 Vgl. K. Kardinal Koch, Die Gesetzgebungstätigkeit Johannes Pauls II. und die Förderung der Einheit der Christen, in: L. Müller / L. Gerosa (Hrsg.), Johan- nes Paul II. – Gesetzgeber der Kirche, Paderborn 2017, 151–167.
III. Bleibende Aktualität des Ökumenismusdekrets
Wenn wir das Proömium und das erste Kapitel des Ökumenismusde- krets zusammennehmen, dann geht es bei der Darstellung der „katho- lischen Prinzipien des Ökumenismus“ im Kern um den Aufweis der im Geheimnis der göttlichen Trinität begründeten und für den christ- lichen Glauben konstitutiven Einheit der Kirche und damit um das Be- kenntnisfundament des christlichen Glaubens. Denn im Apostolischen Credo bekennen wir Christen die „heilige katholische Kirche“. Im Gro- ßen Glaubensbekenntnis von Nizäa und Konstantinopel – und auch in anderen griechischen Bekenntnisformeln im vierten Jahrhundert – wird das Bekenntnis der Einheit der Kirche nicht nur hinzugefügt, sondern besonders hervorgehoben und vor allem an die erste Stelle gesetzt, und zwar in der Überzeugung, dass die Heiligkeit der Kirche des einen Gottes und des einen Herrn Jesus Christus unabdingbar ihre eigene Einheit fordert. Denn die Einheit aller Christen in der einen Kir- che ist nicht einfach ein an sich wünschenswertes Ziel, das man ohne Schaden für den christlichen Glauben unter Umständen auch vernach- lässigen könnte. Mit dem evangelischen Ökumeniker Wolfhart Pan- nenberg muss man vielmehr das klare Urteil fällen: „Ohne die Einheit aller Christen ist Kirche im Vollsinn gar nicht realisiert.“23 Wenn aber mit der Einheit die Kirche Jesu Christi selbst steht oder fällt, dann wird in der heutigen Situation der Christenheit ein ärgerlicher Zwiespalt sichtbar: Auf der einen Seite stimmen alle Christen in dem Großen Glaubenssymbol überein, mit dem sie „die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ bekennen; auf der anderen Seite aber leben die Christen, die sich zur einen Kirche bekennen, in nach wie vor ver- schiedenen voneinander getrennten Kirchen und kirchlichen Gemein- schaften. Von daher stellt sich die bedrängende und unabweisbare Frage, wo denn die von Christus gewollte und begründete eine Kirche konkret zu finden ist.24
23 W. Pannenberg, Das Glaubensbekenntnis. Ausgelegt und verantwortet vor den Fragen der Gegenwart, Hamburg 1972, 153.
24 Vgl. K. Koch, „Die einige und einzige Kirche“. Ökumenische Perspektiven der Kircheneinheit, in: Communio. Internationale katholische Zeitschrift 43 (2014) 112–125.
23 Bleibende Aktualität des Ökumenismusdekrets
1. Wachhalten der Frage nach der Einheit
Dieser elementare Widerspruch wird vom Ökumenismusdekret sensi- bel wahrgenommen. Denn es geht von der theologischen Fundamental- überzeugung aus, dass Christus „eine einige und einzige Kirche“ be- gründet hat. Diese Glaubensüberzeugung wird sodann mit der ge- schichtlich gewordenen und auch heute empirisch greifbaren Tatsache konfrontiert, dass es de facto eine Vielzahl von Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften gibt, die zudem alle vor den Menschen den Anspruch erheben, „das wahre Erbe Jesu Christi“ darzustellen. Von daher kann der fatale Eindruck entstehen, „als ob Christus selbst geteilt wäre“. Dem Konzil drängt sich deshalb das Urteil auf, dass die Spaltung in der Kir- che „ganz offenbar dem Willen Christi“ widerspricht, ein „Ärgernis für die Welt“ darstellt und ein „Schaden für die heilige Sache der Verkün- digung des Evangeliums vor allen Geschöpfen“ ist. Das Ökumenismus- dekret hält deshalb bereits in seinem ersten Satz nicht nur als sein Ziel, sondern auch als Ziel des ganzen Konzils fest: „Die Einheit aller Chris- ten wiederherstellen zu helfen, ist eine der Hauptaufgaben des Heiligen Ökumenischen II. Vatikanischen Konzils.“25
Mit dieser Grundsatzerklärung nimmt das Konzil die zutiefst anor- male Situation der Christenheit wahr, die darin besteht, dass Christen, die in den einen Leib Christi hineingetauft sind, weiterhin in vonein- ander getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften leben. Das Konzil fällt damit auch das theologische Urteil, dass die Kirchenspal- tungen als Zertrennungen dessen identifiziert werden müssen, was wesenhaft unzertrennbar ist, nämlich die Einheit des Leibes Christi.
Angesichts dieser unmissverständlich klaren Diagnose der gespalte- nen Christenheit stellt sich im Rückblick auf die Promulgation des Ökumenismusdekrets vor mehr als einem halben Jahrhundert die be- sorgte Frage, wie es um diese theologischen Grundüberzeugungen heute steht und ob die beim Konzil vorhandene Emphase für die Ein- heit des Leibes Christi heute noch lebendig ist. Diese Rückfrage wird vor allem durch zwei Feststellungen hervorgerufen, die einen deutli- chen Unterschied zur Konzilszeit markieren.
25 Unitatis redintegratio, Nr. 1.
Die ökumenische Suche nach der Wiedergewinnung der Einheit der Kirche, die im Mittelpunkt des Ökumenismusdekrets steht, ist erstens im heute weithin selbstverständlich gewordenen pluralistischen und relativistischen Zeitgeist einem starken Gegenwind ausgesetzt. Im Un- terschied zur christlichen Tradition, in der gemäß dem theologischen Axiom „ens et unum convertuntur“ die Einheit als Sinn und Grund des Seins überhaupt betrachtet worden ist, ist dem gegenüber heute der Pluralismus zum entscheidenden Grundbegriff bei der Wahrnehmung der sogenannten postmodernen Wirklichkeitserfahrung geworden.
Postmoderne bedeutet dabei nach dem berühmt gewordenen Aufsatz von Jean-Francois Lyotard das prinzipielle Zulassen von Mehrzahl und das Verdächtigen von jedem Singular. Die Grundüberzeugung der postmodernen Mentalität besagt, dass man hinter die Pluralität der Wirklichkeit denkerisch nicht zurückgehen könne und auch nicht dürfe, wenn man sich nicht dem Verdacht eines totalitären Denkens aussetzen wolle, dass vielmehr die Pluralität die einzige Weise sei, in der uns das Ganze der Wirklichkeit, wenn überhaupt, gegeben sei.26 Die prinzipielle Verabschiedung des Einheitsdenkens ist charakteris- tisch für den Postmodernismus, der „nicht nur die Akzeptanz und To- leranz von Pluralität“ ist, „sondern die grundlegende Option für den Pluralismus“27. In dieser postmodernen Mentalität erscheint jede Suche nach Einheit als vormodern und antiquiert.
Hinzu kommt zweitens, dass die postmoderne Mentalität auch im ökumenischen Denken der Gegenwart als wirksam festgestellt wer- den muss, und zwar in einem weithin plausibel gewordenen ekklesio- logischen Pluralismus, dem gemäß gerade die Vielzahl und Vielfalt von Kirchen als positive Realität betrachtet wird und jede Suche nach der Wiedergewinnung der Einheit der Kirche als verdächtig erscheint.
Es macht den Anschein, dass man sich mit dem geschichtlich gewor- denen und vorhandenen Pluralismus von Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften nicht nur abgefunden hat, sondern ihn auch grund- sätzlich begrüßt, so dass die ökumenische Suche nach der Einheit der
26 Vgl. W. Welsch, Unsere postmoderne Moderne, Weinheim 1987.
27 W. Kasper, Die Kirche angesichts der Herausforderungen der Postmoderne, in: Ders., Theologie und Kirche. Band 2, Mainz 1999, 249–264, bes. 252–255:
Absage an das Einheitspostulat: Der pluralistische Grundzug der Postmo- derne, zit 253.
25 Bleibende Aktualität des Ökumenismusdekrets
Kirche als unrealistisch erscheint und als nicht wünschenswert einge- schätzt wird.
Nicht selten wird dabei versucht, den Verzicht auf die Suche nach der Einheit der Kirche mit der Heiligen Schrift zu begründen, indem beispielsweise darauf hingewiesen wird, dass bereits der irdische Je- sus es im damaligen Gottesvolk mit sehr verschiedenen Strömungen und Gruppierungen zu tun gehabt habe, nämlich mit Pharisäern und Sadduzäern, mit Essenern und Zeloten, mit Samaritanern und andern.
Dieser an sich richtigen Feststellung ist freilich entgegenzuhalten, dass sich Jesus mit dem damaligen verwundeten und zerrissenen Gottes- volk gerade nicht abgefunden, sondern seine Sendung darin gesehen hat, das Gottesvolk aus seinen Spaltungen heraus- und zur Einheit zu- sammenzuführen. Das grundlegende Geschehen im ganzen Auftreten des irdischen Jesus muss man mit dem katholischen Neutestamentler Gerhard Lohfink in der „Sammlung des Gottesvolkes“ sehen, für die die Berufung und Konstituierung der Zwölf das deutlichste Zeichen gewesen ist: „Die Jünger sollen Jesus nicht nur bei seiner Sammlung des Gottesvolkes helfen, sondern sie sollen selber ein schon realisiertes Stück der Sammlung und Einigung Israels sein. Sie sind die Mitte, gleichsam das Nervenzentrum des zu erneuernden Gottesvolkes.“28
Ein ähnliches Fragezeichen ist auch hinter die immer wiederholte These des evangelischen Neutestamentlers Ernst Käsemann zu setzen, mit der er die großen Kirchenspaltungen zu legitimieren versucht hat, dass nämlich der neutestamentliche Kanon nicht die Einheit der Kir- che, sondern die Vielfalt der Konfessionen begründe.29 Gegen diese These ist zunächst geltend zu machen, dass es einem anachronisti- schen Unterfangen gleichkommt, wenn man die heutige, in der Ge- schichte gewordene Situation von getrennten und nebeneinander le- benden konfessionell geprägten Kirchen und kirchlichen Gemein- schaften ins Neue Testament zurück trägt, wie Walter Kardinal Kasper mit Recht im Blick auf die These Ernst Käsemanns urteilt: „Für Paulus
28 G. Lohfink, Jesus und das zerrissene Gottesvolk, in: Ders., Gegen die Ver- harmlosung Jesu. Reden über Jesus und die Kirche, Freiburg i. Br. 2013, 156–
177, zit. 167.
29 E. Käsemann, Begründet der neutestamentliche Kanon die Einheit der Kir- che? in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen. Erster und zweiter Band, Göttingen 1970, 214–223.
wären ein solches Nebeneinander und ein Pluralismus von verschiede- nen und unterschiedlichen Konfessionskirchen eine ganz und gar un- erträgliche Vorstellung.“30 Nicht die Kanonisierung des Pluralismus von Kirchen bis hin zu den Trennungen, sondern die Suche nach der Einheit findet in der Heiligen Schrift ihr Fundament. Trotz dieser theo- logischen Bedenken wird die These Ernst Käsemanns auch heute wie- der aufgegriffen, wenn sich beispielsweise der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland in seinem Grundlagentext zum Reformations- gedenken im Jahre 2017 auf sie beruft, um die reformatorischen Kir- chen als „Teil der legitimen, weil schrift-konformen Pluralisierung der christlichen Kirchen“ zu verstehen und sie als willkommene Fern- wirkung der Reformation im 16. Jahrhundert zu rühmen.31
Auch die wissenschaftlichen Leitenden des Ökumenischen Arbeits- kreises evangelischer und katholischer Theologen, Volker Leppin und Dorothea Sattler, bekennen offen, dass in der gegenwärtigen Zusam- mensetzung dieses Ökumenischen Arbeitskreises die Zahl der Theolo- gen und Theologinnen gewachsen ist, „die die Pluralität der Kirchen eher als Anlass zur Wertschätzung denn als Grund zur Besorgnis wahrnehmen“32. Diese Beispiele dokumentieren, dass die ökumeni- sche Suche nach der Einheit der Kirche heute in einem sehr gewandel- ten theologischen Denkkontext stattfindet, genauer dahingehend, dass die Vielheit und Vielfalt der Kirchen nicht mehr, jedenfalls nicht mehr primär, im Blick auf die geschichtlichen Spaltungen und die wieder zu gewinnende Einheit der Kirche, sondern als geschichtlich gewachsene Bereicherung des Kircheseins betrachtet werden.33 Von daher werden grundlegende Bedenken gegenüber einem Einheitsverständnis ange- meldet, in dem die Vielgestalt von Kirchen, auch wenn sie durch Spal-
30 W. Kardinal Kasper, Katholische Kirche. Wesen – Wirklichkeit – Sendung, Freiburg i. Br. 2011, 226.
31 Rechtfertigung und Freiheit. 500 Jahre Reformation 2017. Ein Grundlagentext des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Gütersloh 2014, 99.
32 V. Leppin / D. Sattler (Hrsg.), Reformation 1517–2017. Ökumenische Per- spektiven, Freiburg i. Br. – Göttingen 2014, 20.
33 Vgl. D. Sattler, Einheit und Spaltung der Kirche(n). Thesen zur Ökumene aus (einer) römisch-katholischen Sicht, in: U. Swarat / Th. Söding (Hrsg.), Heillos gespalten? Segensreich erneuert? 500 Jahre Reformation in der Vielfalt öku- menischer Perspektiven, Freiburg i. Br. 2016, 77–92.
27 Bleibende Aktualität des Ökumenismusdekrets
tungen geworden ist, nicht in erster Linie als Reichtum wahrgenom- men wird.
In der ökumenischen Situation heute sind wir von daher gleichsam auf die Anfänge des Verstehens zurück geworfen. Wenn wir den im Ökumenismusdekret enthaltenen Grundüberzeugungen treu bleiben wollen, müssen wir heute in liebenswürdiger Hartnäckigkeit die Frage nach der Einheit der Kirche erneut wach halten. Denn ohne Suche nach Einheit würde sich der christliche Glaube von selbst aufgeben, wie dies der Brief des Apostels Paulus an die Epheser mit wünschenswerter Klarheit zum Ausdruck bringt: „Ein Leib und ein Geist, wie euch durch eure Berufung auch eine gemeinsame Hoffnung gegeben ist: ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der über allem und durch alle und in allem ist“ (Eph 4,4–6).34 Eine erneute Lektüre des Ökumenismusdekrets verpflichtet uns deshalb, um einen neuen öku- menischen Konsens darüber zu ringen, dass Einheit eine Grundkate- gorie des christlichen Glaubens ist und bleibt.
2. Bekenntnis zur einen Kirche in ökumenischer Offenheit Die Faktizität von vielfältigen Spaltungen in der Geschichte und die heutige emphatische Suche nach der Wiedergewinnung der Einheit der Kirche können nicht bedeuten, dass es die vom Ökumenismusdekret bekannte „einige und einzige Kirche“ gar nicht mehr oder noch nicht gibt. Das Zweite Vatikanische Konzil ist vielmehr überzeugt, dass sie in Wirklichkeit existiert, durch die verschiedenen Spaltungen jedoch ver- wundet ist. In ökumenischer Hinsicht stand das Konzil deshalb vor der elementaren Herausforderung, sowohl die Einzigkeit als auch die ge- schichtliche Konkretheit der „einigen und einzigen Kirche“ theologisch zu verantworten. Dass sich diese Aufgabe unabdingbar stellt, zeigt sich, wenn man die Gegenprobe macht: Würde man die Überzeugung von der Einzigkeit der Kirche zur Disposition stellen, wäre ein „ekklesialer Relativismus“ in dem Sinne die Konsequenz, dass es „Kirche“ nur im
34 Vgl. K. Kardinal Koch, „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller“ (Eph 4, 5). Ein geistlicher Appell zur Einheit, in: St. Kopp / J. Werz (Hrsg.), Gebaute Ökumene. Botschaft und Auftrag für das 21. Jahrhundert, Freiburg i. Br. 2018, 17–38.
Plural geben könnte. Würde man demgegenüber die Überzeugung von der geschichtlichen Konkretheit der einen Kirche aufgeben, wäre ein
„ekklesialer Mystizismus“ in dem Sinne die Folge, dass die eine Kirche nur mehr eine gleichsam platonische Idee wäre.35
Um beide Extreme zu vermeiden, hat das Konzil diese schwierige ökumenische Frage mit der berühmten „subsistit“-Formel zum Aus- druck gebracht und zu beantworten versucht, in der gemäß dem Urteil von Joseph Kardinal Ratzinger „das ganze ökumenische Problem“ ver- borgen ist36 und im Blick auf welche Gérard Philips, der Redaktor der Dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen gentium“, voraus- gesagt hat, dass über die Bedeutung dieser Formel noch viel Tinte flie- ßen werde.37 Diese Formel besagt in ihrem elementaren Kern, dass die
„einige und einzige“ Kirche Jesu Christi in der Katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird, „subsistiert“, dies heißt konkret anwesend und antreff- bar ist.38 Gemäß dieser ekklesiologischen Grundüberzeugung des Kon- zils ist die eine Kirche Jesu Christi nicht als eine hinter den verschiede- nen Kirchentümern verborgen bleibende Größe zu verstehen, die sich dann in verschiedenen ekklesialen Realitäten in unterschiedlicher Weise verwirklichen würde. Die eine Kirche Jesu Christi ist vielmehr eine bereits existierende Wirklichkeit und hat einen konkret angebba- ren Ort in der Geschichte, an dem sie bleibend identifizierbar ist. Die ekklesiologische Formel „subsistit“ bringt insofern „das Besondere und nicht Multiplizierbare der katholischen Kirche“ zum Ausdruck:
„Es gibt die Kirche als Subjekt in der geschichtlichen Wirklichkeit.“39
35 W. Thönissen, Katholizität als Strukturform des Glaubens. Joseph Ratzingers Vorschläge für die Wiedergewinnung der sichtbaren Einheit der Kirche, in:
Ch. Schaller (Hrsg.), Kirche – Sakrament und Gemeinschaft. Zur Ekklesiolo- gie und Ökumene bei Joseph Ratzinger = Ratzinger-Studien. Band 4, Regens- burg 2011, 254–275, zit. 263–264.
36 J. Cardinal Ratzinger, Die Ekklesiologie der Konstitution Lumen gentium, in:
Ders., Weggemeinschaft des Glaubens. Kirche als Communio, Augsburg 2002, 107–131, zit. 127.
37 G. Philips, L’Église et son mystère au deuxième Concile du Vatican. Tome I, Paris 1967, 119.
38 Lumen gentium, Nr. 8 und Unitatis redintegratio, Nr. 4.
39 J. Cardinal Ratzinger, Die Ekklesiologie der Konstitution Lumen gentium, in:
Ders., Weggemeinschaft des Glaubens (Anm. 36), zit. 127.
29 Bleibende Aktualität des Ökumenismusdekrets
Mit der ekklesiologischen Basalformel „subsistit“ wollte das Konzil genauer zwei theologische Überzeugungen zusammenhalten und mit- einander versöhnen: Es wollte auf der einen Seite den in der Tradition vorgegebenen Anspruch bestätigen und erneuern, dass die eine und wahre Kirche Jesu Christi in der Katholischen Kirche unverlierbar exis- tiert. Das Konzil wollte auf der anderen Seite aber auch Raum schaffen für die Anerkennung von Elementen der wahren Kirche Jesu Christi in anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, und zwar in der Überzeugung, dass außerhalb der Katholischen Kirche „kein kirchli- ches Vakuum“ besteht, wie Papst Johannes Paul II. in seiner Enzyklika über den Einsatz für die Ökumene „Ut unum sint“ festhält: „Viele und bedeutende (eximia) Elemente, die in der katholischen Kirche zur Fülle der Heilsmittel und der Gnadengaben gehören, die die Kirche ausma- chen, finden sich auch in den anderen christlichen Gemeinschaften.“40
Mit diesen Aussagen wird freilich nicht eine frühere sogenannte
„Elementen-Ekklesiologie“ repristiniert, die in der Tat einen stark quantitativen Eindruck hinterlässt und bereits während der Konzils- zeit kritisiert worden war. Denn das Konzil versteht die nichtkatholi- schen Gemeinschaften nicht als Wirklichkeiten, die einen quantitativ bestimmbaren Restbestand von Elementen des Glaubens bewahrt ha- ben, sondern als Ganzheiten, die diese Elemente innerhalb ihres ekkle- siologischen Gesamtverständnisses leben. Indem das Konzil im Blick auf das Verhältnis zwischen der einen Kirche Jesu Christi und der Ka- tholischen Kirche das frühere „est“ durch das „subsistit in“ ersetzt hat und indem sich diese Formel somit als ökumenische „Öffnungsformel“
verstehen lässt,41 wird der ökumenische Neuansatz sichtbar, den das Konzil ermöglicht hat. Während die Zeit vor dem Konzil weitgehend von einem extensiven Anspruch auf exklusive Identifikation der einen Kirche Jesu Christi mit der Katholischen Kirche geprägt war, hat dem- gegenüber das Konzil das ekklesiologische Selbstverständnis der Ka- tholischen Kirche dahingehend neu formuliert, dass das ökumenische Anliegen in ihm selbst inbegriffen ist, und zwar vor allem dadurch, dass die nichtkatholischen Gemeinschaften in einer – freilich noch nicht vollen – Gemeinschaft mit der Katholischen Kirche leben.
40 Johannes Paul II., Ut unum sint, Nr. 13.
41 W. Kardinal Kasper, Katholische Kirche (Anm. 30), 235.