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Sorben im Fernsehen. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.

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Sorben im Fernsehen.

Diskursanalytische Betrachtung von deutschsprachigen, öffentlich-rechtlichen Fernsehsendungen zu den Sorben

unter Bezugnahme auf Produktionskontexte und ihre Korrelationen zu sorbischen Selbst- und

Fremdwahrnehmungen.

Inaugural-Dissertation zur

Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität

Freiburg i. Br.

vorgelegt von

Franziska Maria Kiedaisch aus München

SoSe 2017

(2)

Erstgutachter: Prof. Dr. Werner Mezger

Zweitgutachter: Prof. Dr. Michael Prosser-Schell

Vorsitzender des Promotionsausschusses der Gemeinsamen Kommission

der Philologischen und

der Philosophischen Fakultät: Prof. Dr. Joachim Grage

Datum der Fachprüfung im Promotionsfach: 26.09.2018

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Für Lieselotte

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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung S. 1

2 Die Sorben: Thema der Berichterstattung S. 9

2.1 Begriffsklärungen: Minderheit, Nation, Ethnizität und Identität S. 9 2.2 Was macht die Sorben zu einer nationalen Minderheit?

Juristische, institutionelle und politische Aspekte S. 18

2.3 Die Definitionsfrage: Wer ist Sorbe? S. 24

2.4 Geschichte. Grundlage für sorbische Selbst- und Fremdwahrnehmungen S. 33 2.5 Weitere Bezugspunkte für Selbst- und Fremdwahrnehmungen S. 59

2.5.1 Sorbische Sprache(n) S. 59

2.5.2 Die Lausitz – Sorbische Heimat? S. 70

2.5.3 Traditionelle Aspekte S. 75

2.5.3.1 Religiöses Leben S. 78

2.5.3.2 Tracht(en) S. 82

3 Theoretischer und methodischer Hintergrund für die Analyse S. 89

3.1 Warum Fernsehsendungen? S. 89

3.2 Zur Untersuchung audiovisueller Kommunikationsinhalte S. 94 3.2.1 Wort, Ton und Bild als audiovisuelle Kommunikationsebenen S. 99

3.2.1.1 Das (bewegte) Bild S. 99

3.2.1.2 Das (gesprochene) Wort S. 103

3.2.1.3 Der Ton: Geräusche und Musik S. 104

3.2.2 Medienkommunikation als Austausch von Zeichen:

Die symbolhafte Vermittlung von Bedeutungen S. 107 3.2.3 Diskurse. Oder: „Es gibt keinen Unterschied zwischen dem,

was getan, und dem, was gesagt wird.“ S. 113

3.2.4 Kollektiv-Symbole, Normalismus und Gattungen

als diskursive Gestaltungsmittel und ihr Bezug zur Realität S. 120 3.3 Methodische Vorüberlegungen für die Analyse von

Fernsehsendungen zu den Sorben S. 129

3.3.1 Die Kritische Diskursanalyse nach Jäger S. 131 3.3.2 Die Qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring S. 137

(5)

3.3.4 Die Soziologische Film- und Fernsehanalyse nach Keppler S. 148 3.3.5 Zur konkreten Analyse von Fernsehsendungen zu den Sorben S. 154

3.4 Zu den empirischen Methoden S. 157

3.4.1 Die Teilnehmende Beobachtung und ihre forschungsspezifische

Umsetzung S. 158

3.4.2 Das Qualitative Interview und seine forschungsspezifische

Umsetzung S. 163

4 Analyse S. 168

4.1 Zur Beschaffenheit des Korpus` und seiner Aufbereitung S. 168

4.2 Quantitativ-statistische Kategorien S. 172

4.2.1 Strukturanalyse I: Quantitativ-statistische Kategorien S. 177 4.2.2 Feinanalyse I: Quantitativ-statistische Kategorien S. 184

4.3 Quantitativ-inhaltliche Kategorien S. 200

4.3.1 Strukturanalyse II: Quantitativ-inhaltliche Kategorien S. 206 4.3.2 Feinanalyse II: Quantitativ-inhaltliche Kategorien S. 222 4.4 Qualitative Kategorien: Kollektiv-Symbole, narrative Strategien

und Inszenierungsarten S. 236

4.4.1 Struktur- und Feinanalyse der `Nicht-Inszenierung´ S.242 4.4.2 Struktur- und Feinanalyse von Beiträgen ohne Ereignis S. 259 4.4.3 Struktur- und Feinanalyse von ereignisbezogenen Beiträgen S. 279 4.4.4 Struktur- und Feinanalyse von langen Diskursfragmenten S. 307

4.4.5 Struktur- und Feinanalyse von NIF S. 324

4.4.6 Struktur- und Feinanalyse eines systemimmanenten

Diskursfragments S. 332

5 Fazit: Kulturelle Differenz zwischen Exotik, ´regionaler Besonderheit`

und `Nicht-Normalität´ S. 335

6 Literaturverzeichnis S. 342

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1 Einleitung

„Sorben im Fernsehen? Wie bitte?“ Das war eine der üblichen Reaktion, wenn ich fernab der Lausitz von meiner Dissertationsschrift erzählte. Schon während meiner Magisterarbeit bemerkte die weit verbreitete Unkenntnis zu den Sorben. Den meisten Gesprächspartnern war es unangenehm oder gar peinlich, dass sie bisher noch nichts von dieser anerkannten nationalen Minderheit Deutschlands gehört hatten. Häufig schloss sich hier die Frage an, ob im Fernsehen überhaupt zu den Sorben berichtet wird: „Wie kann es sein, dass man noch nie etwas von den Sorben gehört hat?“, wurde dabei gefragt.

Anders die Situation in Sachsen, wo ich seit geraumer Zeit lebe: Erzählte ich hier von meinem Forschungsschwerpunkt, so waren die Reaktionen gespalten. Einerseits bekam ich von nicht-sorbischen Gesprächspartnern viel Interesse bekundet, andererseits zweifelten auch einige den Sinn meiner Arbeit an. Häufig schloss sich hier die Frage an, wie viele Sorben es überhaupt noch gäbe und ob sich eine sorbische Kultur nicht auf die Ausübung von Folklore beschränke. „Das sieht man doch im Fernsehen“, wurde dabei oft begründet.

Gänzlich verschieden dazu die Reaktionen unter Sorben: Hier bekam ich ausschließlich Zuspruch für mein Dissertationsprojekt. Die Gesprächspartner merkten oft an, dass Berichterstattungen häufig mit einer Reduzierung ihrer Kultur auf wenige, auffällige Elemente einherginge, dass sie sich nicht hinreichend präsentiert sähen und eine kultur- wissenschaftlich vorgehende Untersuchung von Fernsehsendungen zum Sorbischen aus diesem Grund längst überfällig sei. „Warum werden wir in der Berichterstattung immer wieder als Trachten tragendes, Eier malendes Volk dargestellt?“, wurde dabei oft von sorbischer Seite gefragt.

Auch die wissenschaftliche Begründung einer Untersuchung von Fernsehsendungen unter kulturanalytischen Gesichtspunkten stand zur Disposition: „Warum untersucht du als Kulturwissenschaftlerin Fernsehsendungen? Sind dafür nicht Medienwissenschaftler zuständig?“, wurde beispielsweise kritisch angemerkt. Eine Korrelation zwischen ethnischen Gesichtspunkten und wissenschaftlichem Interesse schien in meinem Bekanntenkreis zudem nicht ausgeschlossen: „Bist du Sorbin oder warum interessierst du dich für die Sorben?“, fragten vor allem Personen aus den neuen Bundesländern, wenn ich ihnen von meiner Dissertation erzählte.

Diese Fragen und Bemerkungen meiner Bekannten machen bereits das Spektrum deutlich, wie Fernsehsendungen zu den Sorben und die wissenschaftliche Beschäftigung damit

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wahrgenommen werden können. Als Kulturwissenschaftlerin interessiere ich mich für die Grundlage jener Wahrnehmungen, weshalb ich im Folgenden untersuchen möchte, wie Sorbisches im Fernsehen repräsentiert und verhandelt wird und welche Begründungen dafür in Frage kommen.

Doch wie komme ich überhaupt darauf, öffentlich-rechtliche Fernsehsendungen zu untersuchen? Öffentlich-rechtliches Fernsehen ist deshalb ein bedeutender Bestandteil gegenwärtiger (Alltags-) Kultur1, weil es eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung von Wissen einnimmt. Als gesetzlich legitimierte Anbieter von Informationen müssen öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten gemäß ihrer Programmgrundsätze und -aufträge eine sogenannte `Grundversorgung´ mit gesellschaftlich relevanten Informationen für die Öffentlichkeit bereitstellen. Fernsehsendungen öffentlich-rechtlicher Prägung bieten damit Wissensbestände an, denen eine gesellschaftliche Relevanz zugewiesen wird, indem sie von medialen Kommunikatoren aufgegriffen und durch die Übermittlung von bedeutungs- tragenden Zeichen beschrieben werden. Auch wenn sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr in jedem Wohnzimmer ein Fernsehgerät finden lässt, ist öffentlich-rechtliches Fernsehen, das auf den unterschiedlichsten Empfangsgeräten auch losgelöst von einer zeitlich gebundenen Programmstruktur rezipiert werden kann, für viele Menschen nach wie vor ein integraler Bestandteil der alltäglichen Lebenswelt.2

Diese Forschungsarbeit wird sich in der Folge deshalb mit öffentlich-rechtlichen Fernseh- sendungen zum Sorbischen beschäftigen, weil sie darüber Aufschluss geben können, wie über eine nationale Minderheit Deutschlands gesprochen und nachgedacht wird.

1 Ich möchte `Kultur´ als einen Komplex von sinnhaften Weltbezügen definieren, mit denen sich handelnde Subjekte ihre Wirklichkeit erklären, indem sie ihr auf Grundlage von verfestigten Wissensbeständen Sinn zuweisen. Dieser Kulturbegriff geht demnach mit der Annahme einer auf Praxis basierenden Bedeutungszuschreibung und Welterschließung einher, weshalb Kultur weder als universell gültig noch als überzeitlich konstant betrachtet werden kann. Doch ist Kultur historisch bedingt, indem sie auf tradierten Mustern und Ideen, Werten und Normen basiert und damit auch an eine bestimmte Zeit, einen bestimmten Ort und eine bestimmte Gesellschaft gebunden ist. Kultur ist demnach immer sowohl von Kontinuität als auch Wandel bestimmt und kann dabei mit Repräsentativzwecken oder einer alltagskulturellen Verankerung einhergehen. Somit meint Alltagskultur in dieser Arbeit diejenige Kultur, die von den Subjekten `gelebt´ wird, die demnach eine identitätsstiftende Funktion beinhaltet, wohingegen unter `Repräsentativkultur´ die `gezeigte´ Kultur zu verstehen ist, die nicht unmittelbar mit einer kulturellen Identität korreliert, sondern im Sinne eines „strategischen Essentialismus“ („strategic essentialism“) auch mit politischen oder ökonomischen Zwecken einhergehen kann. Vgl. zum Konzept des „strategischen Essentialismus“: Spivak, Gayatri C.: More on Power/Knowledge. In: Landry, Donna;

MacLean, Gerald (Hg.): The Spivak Reader. Selected Works of Gayatri Chakravorty Spivak. London / New York 1996, S. 142-174, hier: S. 159

2 Vgl. dazu beispielsweise die konstant hohen Einschaltquoten öffentlich-rechtlicher Sendungen.

Abzurufen unter: >https://www.agf.de<. Zudem waren Fernsehgeräte im Untersuchungszeitraum (1992 bis einschließlich 2012) noch weiter verbreitet.

(8)

Fernsehsendungen zum Sorbischen begreife ich dabei als Elemente eines gesamt- gesellschaftlichen Wissenshintergrunds, den ich in Anlehnung an den französischen Soziologen Michel Foucault einen Diskurs nenne. Sein Diskursbegriff basiert auf der Idee einer durch Machtstrukturen aufrechterhaltenen Ordnung der Welt mittels Praxis.

Weil Wissen, das als Voraussetzung für Handlung zu verstehen ist, in und durch Diskurse vermittelt wird, können sie als das jeweils `Sagbare´ oder `Denkbare´ zu bestimmten Themen zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort gelten. Diskurse können auch als „Fluss von Wissen bzw. sozialen Wissensvorräten durch die Zeit“3 definiert werden, wobei das in den Diskursen befindliche Wissen nie gänzlich abbricht. Ein Wissensfluss kann sich zwar verzweigen und eventuell versickern, doch hinterlässt er stets Spuren und nimmt damit Einfluss auf weitere Diskurse. Jedes Individuum ist demnach in Diskurse verstrickt, gleichzeitig aber auch daran beteiligt, indem es dem Fluss tröpfchen- weise Wissen hinzufügt. Die vordergründige Funktion von Diskursen besteht dabei darin, in normativer Weise Komplexität zu reduzieren.

Entsprechend ihrer gesellschaftlichen Reichweite können öffentlich-rechtliche Fernseh- sendungen einerseits als Zeugnisse vergangenen Denkens und Handelns und als Quellen für zukünftiges Denken und Handeln gelten. Fernsehsendungen werden damit zu „[...]

Quellen für kulturspezifische Wirklichkeitsentwürfe.“4 Als „Generatoren einer gesellschaftlichen Wirklichkeit“5 bieten die Rundfunkanstalten und ihre Sendungen somit auch immer Realitätsdeutungen und kulturelle Orientierungen an, die den Rezipienten als Grundlage für Interpretationen zur Verfügung stehen. Öffentlich-rechtliche Fernsehsendungen werden auf diese Weise zu Verständigungsmitteln einer Gesellschaft über sich selbst. Eine solche `Selbstverständigung´ korreliert dabei stets mit Abgrenzungen, weil das `Eigene´ sich erst durch die dichotomisch aufgebaute Definition des `Anderen´, des `Fremden´ konkretisiert, weshalb „Fremdheit [...] keine Eigenschaft, auch kein objektives Verhältnis zweier Personen oder Gruppen, sondern die Definition einer Beziehung [ist].“6

3 Jäger, Siegfried: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. 7., vollständig überarbeitete Auflage.

Münster 2015 [1993], S. 121 f. (Abkürzung i. O.).

4 Köck, Christoph: Kulturanalyse popularer Medientexte. In: Göttsch, Silke; Lehmann, Albrecht (Hg.):

Methoden der Volkskunde. Positionen, Quellen, Arbeitsweisen der Europäischen Ethnologie. Berlin 2001, S. 301-320, hier: S. 312.

5 Keppler, Angela: Mediale Kommunikation und kulturelle Orientierung. Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Medienforschung. In: Historical Social Research 30/1 (2005), S. 215-226, hier:

S. 218. (Hervorhebung i.O.).

6 Hahn, Alois: `Die soziale Konstruktion des Fremden.´ In: Sprondel, Walter (Hg.): Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion. Frankfurt a.M. 1994, S. 140-163, hier: S. 140.

(9)

Wie Elka Tschernokoshewa durch eine Analyse von deutschsprachigen Zeitungsartikeln deutlich macht, nehmen die Sorben7 in der Berichterstattung die Rolle einer „Art Gegenwelt“ ein, indem ihre kulturelle Differenz medial betont wird.8 Innerhalb meiner Magisterarbeit konnte ich diesen Befund bereits für die audiovisuelle Berichterstattung zu den Sorben, die in den Jahren 1992 bis einschließlich 2009 erfolgte, validieren.9

Obwohl die Sorben eine mit der deutschen Ethnizität „assoziierte“10, nationale Minderheit sind, deren Weltaneignung und -deutung dementsprechend auf ähnlichen Mustern beruht wie jene der Mehrheitsbevölkerung, werden sie in der Berichterstattung als `Andere´

inszeniert. Damit kann eine Diskursanalyse öffentlich-rechtlicher Fernsehsendungen zum Sorbischen auch Aufschluss darüber geben, wie kulturelle Differenz im Kontext einer nationalen Minderheit verhandelt wird.11 Anhand von Berichterstattungen zu einer nationalen Minderheit wie den Sorben, die als Teil Deutschlands nur wenige kulturelle Differenzen zur Mehrheitsbevölkerung aufweist, kann meiner Ansicht nach dabei

7 Es sei darauf hingewiesen, dass selbstredend Frauen in die Rede von `den Sorben´ mit eingeschlossen sind und es natürlich auch nicht `die´ Sorben gibt – eine griffige Bezeichnung schien mir aber eine unzulässige Reduzierung auf eine kurze, dafür sinnhafte und bedeutungstragende Aussage zu rechtfertigen. Durchaus ist mir bewusst, dass mir damit die willentliche Bedienung eines Herrschaftsdiskurses zu Geschlechtern und Minderheiten vorgeworfen werden kann. Die bessere Lesbarkeit rechtfertigt jedoch meiner Meinung nach die Rede von `den Sorben´ und den Verzicht auf die gesonderte Angabe des weiblichen Geschlechts.

8 Dazu formuliert sie: „Meine These ist, dass Anderssein als eine Art Gegenwelt gedacht und so auch gestaltet wird. Bei diesem Diskurs bekommen die Sorben einen festen Platz zugewiesen. Es ist eine Zuschreibung, eine konträre Limitierung, die Presse fungiert mit diesem Bild als Platzanweiserin im Raum der Gemeinschaft. Das Etikett, der `label´ heißt Gegenwelt […].“ Tschernokoshewa, Elka: Das Reine und das Vermischte. Die deutschsprachige Presse über Andere und Anderssein am Beispiel der Sorben (= Hybride Welten, Bd. 1). Münster 2000, S. 59.

9 Vgl. dazu: Kiedaisch, Franziska: Die Sorben auf dem Bildschirm. Von der gesellschaftlichen Imagination einer nationalen Minderheit anhand von öffentlich-rechtlichen Fernsehsendungen zu den Sorben.

Magisterarbeit, 2011.

10 Elle, Ludwig: Sorbische Kultur und ihre Rezipienten. Ergebnisse einer ethnosoziologischen Befragung (= Schriften des Sorbischen Instituts, Bd. 1). Bautzen 1992, S. 9.

11 Dabei ist zu betonen, dass die Darstellung von kultureller Differenz in Bezug auf nationale Minderheiten nicht auf diejenige von kultureller Differenz im Allgemeinen übertragen werden kann, denn sie basiert auf einer spezifischen gesellschaftlichen Konstellation, die sich aus dem Status als Minderheit ergibt und dementsprechend nicht – einer Blaupause gleich – auf die Inszenierung aller kulturell differenten Ethnien übertragen werden kann. So wird beispielsweise `Französisches´ anders dargestellt als `Sorbisches´; die Inszenierung von italienischer Kultur unterscheidet sich aber auch von der Darstellung russischer Kultur.

Die einzelnen Darstellungen beziehen sich aber alle auf den Diskurs zu kultureller Differenz. Einen Diskurs zu den Sorben, der in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht wirkmächtig würde, gibt es meiner Meinung nach aufgrund der Unkenntnis zum Sorbischen in weiten Teilen Deutschlands nicht. Dabei ist hervorzuheben, dass meine Perspektive auf den Diskurs einerseits aus einer Vorannahme resultiert (der Befund, dass bei der Berichterstattung zu den Sorben die kulturelle Differenz betont wird), andererseits sich aus einer prinzipiellen Unvoreingenommenheit gegenüber dem Diskurs ergibt. Diese Unvoreingenommenheit führte dazu, dass im Zuge der Sichtung von Fernsehsendungen zu den Sorben stets die Wirkmächtigkeit meines Diskursverständnisses geprüft wurde. Es bleibt aber zu betonen: Meine Perspektive auf den Diskurs ergibt sich aus meinen Wahrnehmungen – andere Forscher könnten eine andere Perspektive auf die Fernsehsendungen einnehmen, beispielsweise indem sie diese als Teil eines Minderheitendiskurses oder unter dem Blickwinkel eines Diskurses zu den Sorben betrachteten. Vgl. zu meinem Diskursverständnis: Kapitel 3.2.3 und 3.2.4.

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besonders gut die bewusste mediale Inszenierung von kultureller Differenz nachgezeichnet werden.

Aber woher kommen die tröpfchenweise in den Wissensfluss, in den Diskurs zum Sorbischen und zu kultureller Differenz im Kontext einer nationalen Minderheit einge- brachten Wissensbestände? Wie ist das Wissen und damit der Diskurs bedingt?

Meiner Meinung nach muss dabei sowohl die strukturelle als auch die soziokulturelle Ebene reflektiert werden. So wird in dieser Arbeit neben einer diskursanalytischen Betrachtung von Fernsehsendungen zum Sorbischen als Aspekt des Nachdenkens und Sprechens über kulturelle Differenz auch eine kulturwissenschaftliche Reflexion ihrer Produktionskontexte und ihrer Verschränkungen mit sorbischen Fremd- und Selbstwahrnehmungen erfolgen. Durch die Einbindung von empirisch gewonnenen Erkenntnissen12 wird das diskursanalytische Vorgehen dieser Untersuchung auf ein kulturwissenschaftliches Fundament gestellt.

Ausgehend von der Annahme, dass die Diskursteilnehmer ihre Wissensbestände in den Diskurs einbringen, besitzen die Produktionsbedingungen von Fernsehsendungen, die sich insbesondere auf ein rezipientenorientiertes Selbstverständnis der Rundfunkanstalten beziehen, unmitttelbaren Einfluss auf die darin befindlichen Wissensbestände.

Demzufolge korrelieren die in den Fernsehsendungen kommunizierten Informationen auch immer mit den soziokulturell verankerten Wissensbeständen, die in Form von Fremd- und Selbstwahrnehmungen der Sorben wirkmächtig werden.13 Mediale Kommunikatoren14 als historisch und kulturell geprägte Subjekte kommen dabei nicht umhin, bei der

12 Diese Erkenntnisse rekurrieren auf einer einwöchigen Teilnehmenden Beobachtung und fünf halbstandardisierten Experten-Interviews mit zwei Journalistinnen, einem Kameramann, einem Redaktionsleiter und einem ehemaligen Rundfunkratsmitglied. Dabei lag mein Forschungsschwerpunkt beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) und im Gebiet der Oberlausitz, sodass die empirisch gewonnenen Erkenntnisse nur bedingt auf den Rundfunk Berlin Brandenburg (RBB) und die Niederlausitz übertragbar sind. Vgl. dazu umfassend: Kapitel 3.4.1 und 3.4.2.

13 `Fremdwahrnehmungen´ möchte ich in dieser Arbeit als heterostereotype Vorstellungen definieren, die sowohl auf persönlichen Erfahrungen als auch auf tradierten Vorurteilen basieren können.

Mit `Stereotyp´ ist – in Anlehnung an Luckmann und Schütz – ein „Gewohnheitswissen“ gemeint, das als mentale Struktur in verschiedenen Formen objektiviert werden kann (beispielsweise im öffentlich- rechtlichen Fernsehen). Vgl. dazu: Schütz, Alfred; Luckmann, Thomas: Strukturen der Lebenswelt, Bd. 1.

Frankfurt a.M. 1979, S. 172 f.

`Selbstwahrnehmungen´ verstehe ich in dieser Arbeit als reflektierte kollektive Identität. Dabei liegt der Unterschied zu einer kollektiven Identität meiner Ansicht nach darin begründet, dass Selbstwahrnehmungen neben einem ethnischen Bewusstsein auch die Fremdwahrnehmungen zur Voraussetzung haben, indem sich Selbstwahrnehmungen auf Grundlage ihrer Reflexion ausbilden und verfestigen.

14 Mit `Kommunikatoren´ sind im Folgenden alle Inhalt generierenden Personen gemeint, sodass Journalisten/ Redakteure, Programmplaner, Regisseure, Kameraleute, Tonassistenten, Cutter und so weiter als `Kommunikatoren´ bezeichnet werden.

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Berichterstattung zu den Sorben auf diese persönlichen und mitunter stereotypisierenden Wissensbestände zurückzugreifen.

So wird im Folgenden eine zweiteilige Fragestellung verfolgt: Das `Wie´ einer öffentlich- rechtlichen Inszenierung der Sorben wird dadurch ergänzt, dass nach seinem `Woher´ auf struktureller und soziokultureller Ebene gefragt wird. Die leitenden Forschungsfragen dieser Untersuchung lauten demnach: Wie wird kulturelle Differenz in Bezug auf die Sorben innerhalb deutschsprachiger, öffentlich-rechtlicher Fernsehsendungen der Jahre 1992 bis einschließlich 2012 verhandelt? Auf welche Produktionskontexte gehen diese Inszenierungen zurück, welche institutionellen Felder werden dabei berührt und welche Korrelationen bestehen dabei zu sorbischen Selbstwahrnehmungen und zu gesellschaftlich verankerten Fremdwahrnehmungen der Sorben als nationale Minderheit Deutschlands?

Zur Analyse der Bedingtheit von Wissensbeständen wird neben dem Rückgriff auf die empirisch gewonnenen Erkenntnisse auch auf Sekundärliteratur Bezug genommen, die in Form von Untersuchungen zu identitätsstiftenden Aspekten sorbischer Kultur, zu Fremd- und Selbstwahrnehmungen der Sorben und zu narrativen Strategien im Kontext des Sorbischen vorliegen. Dabei formulieren insbesondere Sorben (kultur)wissenschaftliche Untersuchungen zu sorbischen Themen; häufig entstehen diese am Sorbischen Institut (Serbski institut)15 mit dem Hauptsitz in Bautzen (Budyšin) und einer Arbeitsstelle in Cottbus (Chóśebuz) oder innerhalb des Instituts für Sorabistik (Institut za sorabistiku) der Universität Leipzig.16

Forschungen zu sorbischen Themen beziehen sich insbesondere auf linguistische, sprach- soziologische, historische und kulturwissenschaftliche Fragestellungen. Untersuchungen zu Medieninhalten finden sich jedoch kaum. Die Analyse von Elka Tschernokoshewa (die als langjährige Leiterin der Abteilung Empirische Kulturforschung/ Volkskunde/ Kultur-

15 In dieser Arbeit werden die sorbischen Bezeichnungen (je nach Eigenbezeichnung respektive regionaler Verankerung: obersorbisch, niedersorbisch oder beides) für Institutionen, Orte, Vereine oder dergleichen bei ihrer ersten Nennung in Klammern hinter dem deutschen Namen angegeben. Im folgenden Text wird dann aufgrund einer besseren Lesbarkeit auf die Doppelbezeichnung verzichtet. Bei Eigennamen wird hingegen nur dann der sorbische Name angegeben, wenn dieser durch die entsprechende Person als Eigenbezeichnung genutzt wird. Bei Personen wird sowohl der deutsche als auch der sorbische Name im weiteren Text angegeben, um damit die spezifische Identität (die als hybrid beschrieben werden kann) kenntlich zu machen. Namen von sorbischen Autoren werden in den Literaturangaben, entsprechend der verwendeten Form, zitiert.

16 Einhergehend mit der eingeschränkten Möglichkeit, in sorbischer Sprache wissenschaftliche Texte zu verfassen, werden Texte, die im Sorbischen Institut oder in der Sorabistik formuliert werden, häufig auch auf Sorbisch verfasst, was für mich zu einer eingeschränkten Rezeption jener Untersuchungsergebnisse führt. Demnach wäre es möglich, dass ich den bestehenden Forschungsstand aufgrund mangelnder Sorbischkenntnisse nicht hinlänglich beachtet habe.

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wissenschaften am Sorbischen Institut in Bautzen tätig war) von deutschsprachigen Presseartikeln kann als seltenes Beispiel einer umfassenden Studie zur Berichterstattung zu den Sorben gelten.17

Als Forschungsdesiderat soll die vorliegende Diskursanalyse deutschsprachiger Fernseh- sendungen zu den Sorben unter Bezugnahme auf ihre strukturellen und soziokulturellen Rahmenbedingungen demnach zu einer Erweiterung des Forschungsstandes zum Thema Minderheiten und Medien, insbesondere zu ihrer Inszenierung im Fernsehen, beitragen.

Entsprechend der interdisziplinären Ausrichtung der Volkskunde/ Europäischen Ethnologie/ Kulturanthropologie/ Empirischen Kulturwissenschaft und ihrem damit einher- gehenden Paradigma der grundsätzlichen Offenheit und Flexibilität gegenüber dem Forschungsgegenstand, wird in dieser Arbeit eine als unkonventionell zu bezeichnende Gliederung wirkmächtig: So muss im Anschluss an diese Einleitung zunächst der Wissenshintergrund für die folgende Untersuchung von Fernsehsendungen gegeben werden, weshalb eine kulturwissenschaftliche Betrachtung der Sorben erfolgt. Weil die Berichterstattungen danach befragt werden, wie kulturelle Differenz im Kontext einer nationalen Minderheit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verhandelt wird, soll im Folgenden die sorbische Ethnizität unter Bezugnahme auf ihre kulturellen Differenzen zur deutschen Mehrheitsbevölkerung dargestellt werden – gleichwohl mit Nachdruck darauf hinzuweisen ist, dass die soziokulturellen Überschneidungen zwischen Mehr- und Minderheit überwiegen.

Das folgende Kapitel ist somit nicht nur als Wissenshintergrund und Bewertungsgrundlage für die Analyse von Fernsehsendungen zu betrachten, sondern erörtert auch Bedingungen für mögliche Selbstwahrnehmungen (und damit einhergehenden Fremdwahrnehmungen).

Dabei orientiert sich diese Betrachtung sorbischer Ethnizität auch an den ex- und implizit häufig thematisierten Inhalten von Fernsehsendungen zu den Sorben.18

17 Daneben betrachtet die sorbische Kulturwissenschaftlerin Katharina Elle, die sich in ihrer Dissertationsschrift mit Auto- und Heterostereotypen zum Sorbischen beschäftigt, in einem Exkurs auch die deutschsprachige Presse-Berichterstattung zur Wahl Stanislaw Tillichs zum Ministerpräsidenten Sachsens. Vgl. dazu: Elle, Katharina: Von Geiz bis Gastfreundschaft. Analyse eines Stereotypensystems am Beispiel der Oberlausitzer Sorben. Eine empirische Untersuchung. Diss., 2011 (elektronisch publizierte Hochschulschrift), S.138 ff.

Abzurufen unter: <http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/9878/elle_diss_korr.pdf>

(abgerufen am 23.02.2014, 11:00 Uhr).

Ferner habe ich bereits in meiner Magisterarbeit die Fernseh-Berichterstattung zu den Sorben beleuchtet.

Diese rein deskriptiv gewonnenen Ergebnisse sollen in der folgenden Untersuchung näher differenziert werden, indem sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Erweiterung der Fragestellung vorgenommen wird.

18 Vgl. dazu: Transkripte der Fernsehsendungen. Diese Transkripte und andere, selbst erschlossene Quellen, wie eine Übersicht der Fernsehsendungen, Transkripte von Interviews und ein Feldforschungstagebuch

(13)

Nachdem in politisch-juristischer, historischer, räumlicher, sprachlicher und sozio- kultureller Hinsicht ein Eindruck davon gegeben wird, was Sorbisch-Sein bedeuten kann, soll daran anschließend die Frage geklärt werden, warum Fernsehsendungen unter einem dezidiert kulturwissenschaftlichen Fokus von Interesse sind. Dabei werden diskurs- theoretische, soziologische, kommunikationstheoretische und semiotische Überlegungen reflektiert. Innerhalb dieses Kapitels wird das Ziel verfolgt, theoretische Grundlagen der Interpretation von audiovisuellen Kommunikationsinhalten abzustecken.

Danach wird gefragt, wie Fernsehsendungen auf kulturwissenschaftliche Weise untersucht werden können. Neben der Begründung des methodischen Vorgehens bei der Diskurs- analyse werden hier auch qualitative Methoden für den empirischen Teil dieser Arbeit vorgestellt und hinsichtlich ihrer konkreten Umsetzung dargelegt.

Daran anschließend werden im Analyseteil die diskursanalytischen Ergebnisse mit den empirischen Erkenntnissen und unter Bezugnahme auf Sekundärliteratur verknüpft, indem die aus teilstandardisierten Interviews und einer Teilnehmenden Beobachtung resultieren- den Erkenntnisse die deskriptiv und interpretativ gewonnenen Befunde kontextualisieren.

Innerhalb von drei Kategorien-Arten werden sowohl quantitative als auch qualitative Ergebnisse diskutiert: Dabei werden zunächst die Kategorien-Einteilungen erörtert, daran anschließend die diskursanalytischen Befunde vorgestellt und schließlich durch die empirischen Erkenntnisse auf ihren strukturellen respektive soziokulturellen Hintergrund hin befragt.

Ein abschließendes Fazit soll neben der Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit auch auf mögliche Anschlussprojekte hinweisen und Verbesserungs- vorschläge zur Vermeidung kritisierter Befunde geben. Ein Verzeichnis mit verwendeter Literatur findet sich am Ende dieser Arbeit.

sind im Archiv des Sorbischen Instituts in Bautzen zur Einsicht hinterlegt. Der Umfang dieser Arbeit wäre durch einen entsprechenden Anhang um mehrere Hundert Seiten erhöht worden, ein tatsächlicher Zugewinn an Erkenntnis durch einen solchen Anhang dürfte jedoch auf wenige Personen beschränkt bleiben, sodass das Anfügen der Quellen unverhältnismäßig scheint. / Kapitel 4.3.1 und Kapitel 4.4 ff.

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2 Die Sorben: Thema der Berichterstattung

2. 1 Begriffsklärungen: Minderheit, Nation, Ethnizität und Identität

Welche Nationalität haben eigentlich Sorben? Sind sie eine Minderheit? Ein eigenes Volk?

Wie lässt sich ihre kulturelle Differenz beschreiben, ohne nationalstaatliches Denken und homogenisierende Phrasen zu bedienen?

In den folgenden Kapiteln wird der Versuch unternommen, sorbische Ethnizität unter einer kulturwissenschaftlichen Perspektive näherungsweise zu bestimmen, um damit einen theo- retischen Rahmen für die Betrachtung öffentlich-rechtlicher Fernsehsendungen zu den Sorben herzustellen.

Dabei sei vorangestellt, dass eine typologische Betrachtungsweise einer Minderheit/

Ethnie/ eines Volks stets ein gewisses Risiko der unzulässigen Verallgemeinerung, einer damit einhergehenden generalisierenden Simplifizierung komplexer Zusammenhänge und einer stereotypisierenden Konzeption von kultureller Differenz birgt, denn: „Jeder Versuch, Gruppen oder Individuen zu definieren, beinhaltet Identitätszuschreibungen. Jedes Mal, wenn wir über Gruppen sprechen, bilden wir ein Konstrukt.“19

Die Sorben – auch Wenden20 genannt – gelten in Deutschland als anerkannte nationale Minderheit, womit ihr (politischer) Status, der sich auf die deutsche Nation als adminis- trative Rahmung ihrer gesellschaftlichen Mitbestimmungsoptionen bezieht, hervorgehoben wird. Die völkerrechtliche Anerkennung der Sorben als nationale Minderheit Deutschlands geht dabei mit der Ratifizierung des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten21 durch Deutschland am 10. September 1997 einher.

Der Begriff `Minderheit´ ist jedoch mehrdeutig, weshalb er sich einer einfachen Definition entzieht. Doch lassen sich drei grundlegende Differenzierungen ausmachen: Entweder meint Minderheit eine politische (Abstimmungs-) Minderheit, eine in sozialer Hinsicht zur Mehrheit differenzierte Minderheit oder eine in ethnischer, religiöser oder sprachlicher Weise minderheitliche Gruppierung.

19 Toivanen, Reetta: Das Paradox der Minderheitenrechte in Europa. In: SWS-Rundschau 45/2 (2005), S.

185-207, hier: S. 201.

20 Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit auf die doppelte und politisch korrekte Bezeichnung `Sorben / Wenden´ verzichtet, außer sie wird in Gesetzestexten oder dergleichen wirkmächtig. Im Folgenden ist dementsprechend in generalisierender Form von `Sorben´ die Rede, was sowohl Ober- als auch Niedersorben meint.

21 Vgl. dazu: Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten vom 9. Oktober 1993 (in Deutschland am 1. Februar 1998 in Kraft getreten).

Abzurufen unter: <http://conventions.coe.int/Treaty/ger/Treaties/Html/157.htm> (abgerufen am 23.05.2013, 11:05 Uhr).

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Aus kulturwissenschaftlicher Sicht sind besonders die beiden letzteren Definitionen von Interesse. Dabei muss das wechselseitige Verhältnis zwischen Mehr- und Minderheit hervorgehoben und eine homogenisierende Perspektive überwunden werden, denn bei allen Definitionsversuchen darf die Heterogenität innerhalb einer Minderheit nicht über- sehen werden. Grundsätzlich muss auch kritisch reflektiert werden, ob bereits die Bezeichnung einer Ethnie als Minderheit zur Aufrechterhaltung und Verhärtung ihres Minderheitenstatus` beiträgt.

Der Soziologe Emerich Francis definiert eine Minderheit anhand von vier Kriterien, die sich aus der gesellschaftlichen Gesamtheit, charakteristischen Merkmalen, den typischen Merkmalen der Mehrheit und dem spezifischen Verhältnis der Minder- zur Mehrheit zusammensetzen.22

Mit einer „gesellschaftlichen Gesamtheit“ meint Francis die staatlich-administrative Rahmung der Minderheit, die beispielsweise in Form einer Nation bestehen kann. Mit

„charakteristischen Merkmalen“ bezeichnet er die Kultur, die Sprache, Traditionen, aber auch die (teils different erfahrene) nationale Zugehörigkeit einer Minderheit.

Unter den Aspekt „typische Merkmale der Mehrheit“ fasst Francis die zahlenmäßige Über- legenheit und eine machtvolle und Herrschaft ausübende Position innerhalb der Gesellschaft zusammen. Das Verhältnis zwischen Minder- und Mehrheit zeichnet sich für ihn dabei durch eine strukturelle Unterordnung der Minder- unter die Mehrheit aus, die Herrschaft, Herabsetzung oder gar Feindschaft inkludieren kann.

Dazu stellt der Soziologe Rolf Klima fest:

Minderheiten werden von denjenigen, für die die herrschende Majorität die Bezugs- oder Identifikationsgruppe [...] darstellt, als Fremdgruppen gewählt und entsprechend diskriminiert. Da in den modernen Gesellschaften die

`Nation´ [...] besonders gern als Identifikationsgruppe gewählt wird, werden nationale, ethnische und rassische Minderheiten besonders intensiv diskri- miniert.23

Die gesellschaftliche Konzeption einer Minderheit basiert dementsprechend immer auch auf den Werten und Normen, die die Mehrheit für sich beansprucht, indem sie als

„Fremdgruppe“ gewählt wird.

22 Die folgenden Ausführungen basieren auf: Francis, Emerich K.: Ethnos und Demos. Soziologische Beiträge zur Volkstheorie. Berlin 1965, S. 147 f.

23 Klima, Rolf: Minorität. In: Fuchs-Heinritz, Werner; Lautmann, Rüdiger; Rammstedt, Otthein; Wienold, Hanns (Hg.): Lexikon zur Soziologie, 4., grundlegend überarbeitete Auflage. Wiesbaden 2007 [1973], S.

434-435, hier: S. 434 f. Von dem Ausdruck „rassische Minderheit“ möchte ich mich unter Verweis auf die Begriffsgeschichte selbstredend distanzieren.

(16)

Für eine Konzeption als „Fremdgruppe“ ist gerade die Erkennbarkeit als Minderheit entscheidend: Die meisten Minderheiten differenzieren sich anhand von äußeren Merkmalen zur Mehrheitsgesellschaft. Beispielsweise erkennt man sie durch eine andere Sprache, am Aussehen oder anhand bestimmter Traditionen, die ihre kulturelle Differenz sicht- und hörbar werden lassen. Des weiteren orientiert sich die Definition einer Minderheit häufig an ihrem numerischen Anteil an der Gesamtbevölkerung, doch ist dies keineswegs das ausschlaggebende Kriterium einer Definition als Minderheit.24 Neben dem Merkmal der Größe kommt bei der Konzeption als Minderheit auch der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rolle einer Gruppe in Abhängigkeit zu einer oder mehreren weiteren Gruppen in Form einer möglichen Beeinflussung der Gesamtgesellschaft ein besonderes Augenmerk zu.

Somit handelt es sich bei Mehr- und Minderheiten stets um „relationale Kategorien“25, wobei der entscheidende Unterschied zwischen einer Minder- und einer Mehrheitsgruppe in einem „[...] unterschiedlichen Zugang zu ökonomischen, sozialen und den sog. eigenen kulturellen Ressourcen“26 besteht.

Der sorbische Historiker Hartmut Zwahr unterscheidet drei Gruppen von nationalen oder ethnischen Minderheiten27: Solche, die sich einer Staatsnation, obwohl sie ihr nicht ange- hören, stark verbunden und teilweise zugehörig fühlen28; diejenigen, die eigene Traditionen und eine eigene Sprache, aber keinen Bezug zu einem Staat besitzen und damit als „Völker ohne Staat und ohne jede grenzüberschreitende identifikatorische Staatsanbindung“29 bezeichnet werden und solche Minderheiten, die zwar eine regional geprägte, kollektive

24 In diesem Kontext sei beispielsweise an die Machtausübung im Zuge des kolonialen Imperialismus erinnert, bei der die numerische Mehrheit in der politischen Minderheit war.

25 Kraus, Peter A.: Minderheiten. In: Nohlen, Dieter; Waldmann, Peter; Ziemer, Klaus (Hg.): Lexikon der Politik, Bd. 4: Die östlichen und südlichen Länder. München 1997, S. 369 – 279, hier: S. 371.

26 Toivanen, Reetta: Minderheitenrechte als Identitätsressource? Die Sorben in Deutschland und die Saamen in Finnland (= Zeithorizonte. Perspektiven Europäischer Ethnologie, Bd. 6). Hamburg 2001, S. 4.

(Abkürzung i. O.).

27 Die folgenden Ausführungen basieren auf: Zwahr, Hartmut: Die Sorben: ihre neuere Geschichte vergleichend betrachtet. In: Scholze, Dietrich (Hg.): Im Wettstreit der Werte. Sorbische Sprache, Kultur und Identität auf dem Weg ins 21. Jahrhundert (= Schriften des Sorbischen Instituts, Bd. 33). Bautzen 2003, S. 23-60.

28 Dies träfe laut Zwahr beispielsweise auf die Bewohner der Autonomen Provinz Südtirol im Norden Italiens zu. Vgl. dazu: Zwahr, 2003, S.26.

29 Zwahr, 2003, S. 26. (Hervorhebungen i.O.). Beispiele hierfür seien nach Zwahr: Die Galicier, Basken und Katalanen in Spanien, die Rätoromanen in der Schweiz, die Bretonen, Basken und Provenzalen/

Okzitaner in Frankreich, die Färinger auf den Faröer-Inseln, die Westfriesen in den Niederlanden, Kaschuben an der südlichen Ostseeküste, Masuren in Polen, die Russinen in der Westukraine, Südostpolen und der Ostslowakei, in Deutschland: die Insel-Friesen auf Sylt, Föhr, Amrum und Helgoland, die Saterland-Friesen und die Sorben/Wenden. Daneben sind die Sinti und Roma im gesamten Europa, insbesondere aber in südosteuropäischen Staaten, zu nennen. Vgl. dazu: Zwahr, 2003, S. 26 f.

(17)

Identität, jedoch keine eigene Sprache aufweisen.30 Die Sorben können dabei als ein „Volk ohne Staat“ gelten, womit in dieser Arbeit eine fehlende Nationalität oder Staatlichkeit in den Fokus der Betrachtung von Minderheitenidentitäten rückt.

Grundsätzlich ist mit dem Politikwissenschaftler Klaus Roth dabei zu postulieren, dass

„[e]rst die Schaffung der Nationalstaaten [...] Gruppen zu nationalen Mehrheiten und ethni- schen Minderheiten [machte] und [...] neue Identitäten [brachte] [...].“31

Das territoriale Prinzip wurde nun für eine ethnische Zugehörigkeit wirkmächtig, indem die ethnisch-kulturellen Identitätsbegründungen einen nationalen Bezug erhielten.

Das dabei zugrunde liegende Konzept von Nation orientierte sich in Ost- und Mitteleuropa an den romantischen Schriften Herders, in denen ein gemeinsamer `Nationalgeist´ betont wurde, der auf einer gemeinsamen Sprache und (Volks-)Kultur basiere.32 Lieder, Märchen, Sagen, Bräuche und Rituale dienten in der Folge bei Beschreibungen von Kulturen als Beweise für einen solchen `Nationalgeist´.

Auf diese ideengeschichtliche Kohärenz zwischen Nationalstaat, Sprache und Kultur – auf diesen Nation-Diskurs – lassen sich dementsprechend sowohl Assimilierungsbestrebungen einer deutschen Mehrheit, als auch minderheitenpolitische Autonomiebestrebungen33 von sorbischer Seite zurückführen.

Aufgrund dieser mentalitätsgeschichtlichen Verzahnung von Nationalstaat, Kultur und Sprache und resultierend aus ihrer rechtlichen Definition werden die Sorben, obwohl sie zu einem „Volk ohne Staat“ gehören, in der hier vorliegenden Arbeit als Mitglieder einer

`nationalen Minderheit´ bezeichnet – gleichwohl auch einige Argumente für eine Definition als `ethnische´ oder `autochthone´ Minderheit sprächen.34

30 Dies beträfe laut Zwahr beispielsweise die Korsen in Frankreich und die Sarden in Italien. Vgl. dazu:

Zwahr, 2003, S. 29.

31 Roth, Klaus: `Bilder in den Köpfen´. Stereotypen, Mythen, Identitäten aus ethnologischer Sicht. In:

Herberger, Valeria; Suppan, Arnold; Vyslonzil, Elisabeth (Hg.): Das Bild vom Anderen. Identitäten, Mentalitäten, Mythen und Stereotypen in multiethnischen europäischen Regionen. Frankfurt a.M. et al.

1998, S. 21-43, hier: S. 36.

32 Vgl. zur Herder´schen Konzeption von Nation ausführlich: Moser, Hugo: Volk, Volksgeist, Volkskultur.

Die Auffassungen Johann Gottfried Herders in heutiger Sicht. In: Zeitschrift für Volkskunde 53 (1956/57), S. 127-140.

33 Zu nennen wären hierbei die sogenannte `nationale Wiedergeburt´ im neunzehnten Jahrhundert, das Streben nach einem eigenen Staat oder der Angliederung an einen slawischen Staat nach den beiden Weltkriegen. Vgl. dazu ausführlich: Kapitel 2.4.

34 Die Definition als `ethnische Minderheit´ fokussiert dabei stärker auf den ethnisch-kulturellen Differenzierungen zur Mehrheitsbevölkerung. Der Fokus bei der Betrachtung einer als `ethnisch´

bezeichneten Minderheit kann aber zur Überbetonung ethnischer Differenzen führen. Gleichzeitig trägt die Bezeichnung nicht der spezifischen Konzeption von Nation im hier untersuchten Gebiet Rechnung, die Überschneidungen von Nationalstaatlichkeit, Sprache und Kultur zur Voraussetzung hat. So kann mit der Bezeichnung `ethnische Minderheit´ zwar stärker eine supra-ethnische Ebene betont werden, gleichzeitig geraten aber die nach dem zweiten Weltkrieg einsetzenden, territorial-geopolitisch argumentierenden Identitätsbegründungen – Ost gegen West – aus dem Blick.

Die Definition als `autochthone Minderheit´ kann zwar zur Kenntlichmachung einer Erstbesiedelung

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Durch die Wahl des Begriffs `nationale Minderheit´ soll ferner der national-politische Bezugspunkt für die Minorisierung der Sorben kenntlich gemacht werden. Außerdem ist der Begriff dazu geeignet, auf die spezifischen Verschränkungen von sorbischer kollektiver Identität, deutschem Nationalstaat und den daraus resultierenden Selbst- und Fremdwahrnehmungen hinzuweisen.

Ihrer soziokulturellen Struktur nach können Sorben, entsprechend einer Definition des sorbischen Kulturwissenschaftlers Ludwig Elle/ Ela beschrieben werden als

[...] eine mit der deutschen Nation assoziierte nationale Gemeinschaft [...], [die] [...] über einen historisch langen Zeitraum vielfältige und existentielle Wechselbeziehungen mit dem deutschen Volk eingegangen [und] […] mit den sozialen und politischen Strukturen der deutschen Nation unlösbar verbunden (assoziiert) […] [ist].35

Die kulturelle Differenz der Sorben ist deshalb nicht ohne weiteres erkennbar: Sie sind als deutsche Staatsbürger sowohl sprachlich (wenn Deutsch gesprochen wird) als auch sozio- kulturell mit der Mehrheitsgesellschaft assoziiert.

Für den Minderheitenschutz wird in den entsprechenden Gesetzestexten deshalb die Betonung einer spezifisch sorbischen Identität auf kollektiver und individueller Basis nötig. So ist im brandenburgischen Sorben/Wenden-Gesetz beispielsweise formuliert:

Das sorbische/wendische Volk und jeder Sorbe/Wende haben das Recht, ihre ethnische, kulturelle und sprachliche Identität frei zum Ausdruck zu bringen, zu bewahren und weiterzuentwickeln [...]. Das sorbische/wendische Volk und jeder Sorbe/Wende haben das Recht auf Schutz, Erhaltung und Pflege ihrer nationalen Identität.36

Bereits die Adjektive machen deutlich: Sorbische Identität ist schwer zu definieren, was in dem oben zitierten Gesetzestext zu identitätsspezifischen Differenzierungen wie

„ethnisch“, „kulturell“, „sprachlich“ oder „national“ führt. Sie ist wie jede Identität keines- falls homogen strukturiert, bezieht sich sowohl auf kollektive als auch individuelle Motive und kann damit die unterschiedlichsten Ausprägungen annehmen.

durch Sorben in den entsprechenden Kerngebieten genutzt werden, ist jedoch nicht dazu geeignet, die gegenwärtige gesellschaftspolitische Rolle der sorbischen Minderheit – welche maßgeblich auf einer nationalstaatlichen Rahmung basiert – begrifflich zu verdeutlichen.

35 Elle, 1992a, S. 9.

36 Gesetz über die Ausgestaltung der Rechte der Sorben/Wenden im Land Brandenburg (Sorben/Wenden- Gesetz – SWG) vom 7. Juli 1994, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 11. Februar 2014, § 1 (2), § 1 (3). Abzurufen unter: <http://bravors.brandenburg.de/gesetze/swg_2014> (abgerufen am 20.06.2017, 13:00 Uhr).

(19)

Grundsätzlich basiert Identität auf Selbstreflexion, Selbstbewusstsein und Selbstbild37; sie ist durch Tendenzen der Abgrenzung nach außen und der Integration nach innen (Wir- Gefühl) gekennzeichnet. Damit verleiht sie „[...] durch die zumindest prinzipielle Kongruenz der Normen und Werte Verhaltenssicherheit und schützt damit vor Unsicherheit und irritierender Fremdheit.“38

Jede Identifikation beruht auf der Vorstellung eines gemeinsam geteilten Wissenshorizonts, der sich in Werten und Normen, Traditionen, Symbolen und Bildern in Form von Stereoty- pen materialisiert. Identitäten unterliegen dabei kulturellen Prozessen, weshalb sie als dynamisch gelten können:

Identität ist ein Konstrukt, das wesentlich über gruppenstiftende stereotype Merkmale definiert wird, die für die Gruppe und ihr Selbstbild als konstitutiv betrachtet werden. Die Relevanz dieser Merkmale – Ethnos, Sprache, Religion, Kultur usw. – ist jedoch keinesfalls naturgegeben, sondern konventionell, also im Prinzip beliebig – und sie kann sich durchaus verändern […]. Identität ist somit zugleich der durch den historischen Kontext geprägte Ausdruck der Übereinstimmung mit sich und der jeweils relevanten Bezugsgruppe und historischen Situation.39

Bezugnehmend auf Arutjunian und Drobishewa, benennt Elle/ Ela für eine auf ethnischen Kategorien begründete Identität, neben der Identifikation mit einer Nation – verstanden als ein praktiziertes Bekennen des einzelnen Individuums zu einer größeren Einheit – folgende Kriterien40: Die Gemeinschaft der sich auf diese Weise zueinander bekennenden Individuen strebt nach innerer Homogenität, wobei Kenntnisse über die gemeinsame Herkunft und bestimmte typische Merkmale (wie Symbole, alltägliche Lebensweisen und dergleichen) bedeutend werden, die zu praktizierten und erwarteten Verhaltensmustern führen.

Ferner ist für die Ausbildung einer ethnischen Zugehörigkeit Wissen um die eigene Geschichte und um Traditionen unerlässlich. Vorstellungen über bestimmte geistig- kulturelle Werte, die sowohl die Volkskultur als auch Folklore41 beinhalten und die

37 Vgl. dazu: Kiliánová, Gabriela: Ethnische Identität in kollektiver und individueller Dimension: Am Beispiel von Forschungen an einer ethnischen Grenze. In: Scholze, Dietrich (Hg.), 2003, S. 281-289, hier:

S. 281.

38 Roth, 1998, S. 36.

39 Ebd.

40 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf: Elle, 1992, S. 11 f. Bezugnehmend auf die ethnosoziologische Untersuchung von ethnischen Minderheiten der UDSSR: Arutjunian, Jury;

Drobishewa, Leokadia: Mnogoobrazije kulturnoj shizni narodow. Moskau 1987, S. 257 ff.

41 `Folklore´ meint in dieser Arbeit in Anlehnung an den Folklorismusbegriff Mosers die bewusste Inszenierung und die wert-attribuierte Konzeption von ritualisierter Volkskultur als `gezeigte Repräsentativkultur´. Folklorismus darf dabei nicht in Abgrenzung zu einer `echten´ Folklore im Kontext einer `ursprünglichen Volkskultur´ verstanden werden, sondern findet sich immer dann, wenn Folklore als eigenständiger Wert entdeckt und im Anschluss als Inszenierung von Volkskultur auch unter fremdenverkehrsrelevanten Gesichtspunkten zur Aufführung gebracht wird.

Vgl. dazu: Bausinger, Hermann: Da capo: Folklorismus. In: Lehmann, Albrecht; Kuntz, Andreas (Hg.):

(20)

Wertschätzung der Sprache inkludieren, werden dabei ebenso bedeutend wie die aktive Rezeption der eigenen Kultur. Daneben werden Vorstellungen über Differenzen in Bezug auf andere Gruppen wirkmächtig, die zu einer Abgrenzung der eigenen Gruppe gegenüber anderen führen. Schließlich sind Ideen über die Perspektiven der eigenen Gruppe zu nennen, die zu weiteren Handlungsoptionen modifiziert werden.

Für die Ausbildung und Tradierung einer kollektiven Minderheitenidentität gibt es demnach bestimmte Aspekte, die „[...] auch in den […] Minderheitenschutzinstrumenten kodifiziert sind […]“42 und auf der Annahme beruhen, dass (Minderheiten-)Kulturen „[...]

kompakte, homogene und gleichgesinnte Gemeinschaften formen.“43 Diese Aspekte des Minderheitenschutzes macht Toivanen im Recht auf eine eigene Geschichte, in der Betonung eigener Traditionen, in einer territorialen Verbundenheit mit einem Heimat- gebiet44, in einer ethnischen Kontinuität und der eigenen Sprache aus.45

Eine ethnische Gemeinschaft, die auf Basis einer nationalen Zugehörigkeit definiert wird, kann dabei stets insofern als „erfunden“46 gelten, als dass sie ihre Mitglieder anhand eines in erster Linie imaginären und kognitiv hergestellten Zusammengehörigkeitsgefühls zu einer Gruppe sprachlich und kulturell sich verbunden fühlender Individuen macht. Doch stellt Ethnizität die Grundlage für die Ausbildung und Tradierung von kollektiven Identitäten, von Fremd- und Selbstwahrnehmungen dar.

Sichtweisen der Volkskunde. Zur Geschichte und Forschungspraxis einer Disziplin (= Lebensformen, Bd.

3). Berlin / Hamburg 1988, S. 321-328, insbesondere S. 324 ff. / Moser, Hans: Vom Folklorismus in unserer Zeit. In: Zeitschrift für Volkskunde 58 (1962), S. 177-209. / Moser, Hans: Der Folklorismus als Forschungsproblem der Volkskunde. In: Hessische Blätter für Volkskunde 55 (1964), S. 9-58.

42 Toivanen, 2005, S. 194.

43 Toivanen, 2005. S. 186. Dazu führt sie aus: „Um als schutzberechtigte Minderheit anerkannt zu werden, müssen sich die Mitglieder der Minderheiten so verhalten, als ob sie eine einheitliche Gruppe bildeten.“

Ebd.

44 `Heimat´ wird in dieser Arbeit verstanden als der räumliche Bezugspunkt von regionaler Identität und damit als sozial hergestellte, symbolisch vermittelte Ortsbezogenheit des Individuums auf Basis seiner Gruppenzugehörigkeit. Dabei bildet sich eine Konzeption von Heimat, die auf individueller Ebene maßgeblich auf sozial-psychologischen Raumvorstellungen fußt, immer auch in Abgrenzung zu den Bedingungen der Postmoderne aus: In einer globalen Welt, die sich durch große Mobilität, einen sich konstant steigernden Zugang zu Wissensbeständen und damit einer nahezu unendlich erscheinenden Menge an möglichen Spielarten von Identität für den Einzelnen auszeichnet, bietet ein Rückbezug auf

`die eine´ Heimat einfache Antworten auf die immer komplexer werdenden Bedingungen gegenwärtiger Identitätskonstruktionen. Die Volkskunde war an einer solchen, auf Eindeutigkeit fußenden Konzeption von Heimat maßgeblich beteiligt. Eine kritische Zusammenfassung ihres Einflusses findet sich beispielsweise bei: Köstlin, Konrad: Die Regionalisierung von Kultur. In: Ders.; Bausinger, Hermann (Hg.): Heimat und Identität. Probleme regionaler Kultur. Tagungsband des Volkskunde-Kongress` in Kiel 1979. Neumünster 1980, S. 25-38, insbesondere S. 29 f.

45 Vgl. dazu: Toivanen, 2005, S. 194 ff. In den folgenden Kapiteln werden diese Aspekte näher beleuchtet.

46 Vgl. dazu: Anderson, Benedict: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines erfolgreichen Konzepts.

Frankfurt / New York 1996.

(21)

Eine ethnische Gruppierung lässt sich nach einer Definition des britischen Soziologen Anthony Smith als „a type of cultural collectivity“47 fassen, die sich sowohl durch eine gemeinsame Kultur als auch einer oder mehrerer kultureller Differenz(en), beispielsweise Religion, Bräuche, Kleidung oder Institutionen, von anderen Gruppen unterscheidet.

Für eine nationale Minderheit ist dabei kritisch anzumerken, dass sie auch durch das „[...]

Denken in den Kategorien des Ethnischen […] konstruiert [wird].“48 Bei der folgenden Betrachtung von Aspekten sorbischer Selbst- und Fremdwahrnehmung muss dabei reflektiert werden, dass mit der Wahl einer ethnischen Perspektive die sozialen Zugehörig- keiten von Sorben aus dem Blick geraten. Die Wahrnehmung der Sorben unter ethnischen Gesichtspunkten, die heute auch durch einen auf ethnischen Aspekten beruhenden Minder- heitenstatus` in etischer wie auch emischer Weise bedeutend wird49, läuft dabei Gefahr, Sorbisches aus einem gesamtgesellschaftlichen Kontext zu isolieren, indem durch den Fokus auf die kulturelle Differenz der Sorben die sozialen Zugehörigkeiten auf der Ebene der individuellen Identität ignoriert werden.50

Doch ist die Betrachtung der Sorben unter einer reflektierten ethnischen Perspektive meiner Meinung nach aufgrund einer auf ethnischen Kategorien basierenden Darstellung der Sorben innerhalb von öffentlich-rechtlichen Fernsehsendungen in dieser Arbeit zulässig, wenn nicht gar nötig. Dabei korreliert eine solche Berichterstattung unter Bezug- nahme auf ethnische Kategorien auch mit einer sorbischen Selbst- und Fremdwahr- nehmung, die sich aus dem gesellschaftspolitischen Status als `assoziierte´ nationale Minderheit und damit einhergehenden gesetzlichen Regelungen ergibt. Demnach werden durch die sorbische Verschränkung mit der Mehrheitsgesellschaft zur Benennung und Betonung einer sorbischen Identität (auf individueller und kollektiver Ebene) ethnische Abgrenzungen wirkmächtig. Somit können kulturelle Differenzen zur Mehrheit für die sorbische Selbstwahrnehmung insofern als identitätsstiftend gelten, da hierin das vermeint- lich `Eigene´, das `typisch Sorbische´ liegt.

So wird auch im sorbischen Sprachgebrauch kaum der Begriff der `Nation´ (narod) zur Eigenbezeichnung genutzt, sondern durch einen auf kulturelle Differenzierungen abheben- den Volksbegriff ersetzt (Volk = os: lud, ns: ludnosć).51

47 Smith, Anthony D.: National Identity. London 1991, S. 20.

48 Köstlin, Konrad: Lust aufs Sorbischsein. In. Scholze (Hg.), 2003, S. 427-445, hier: S. 435.

49 Vgl. dazu: Toivanen, 2001, S. 256.

50 Vgl. dazu: Köstlin, 2003, S. 436 f.

51 Obwohl es sich hierbei um eine Eigenbezeichnung handelt, möchte ich den Volksbegriff aufgrund seiner pejorativen historischen Verankerung und seiner gegenwärtigen Konjunktur in nationalistisch- patriotischen Kreisen in der weiteren Untersuchung durch den Begriff der Ethnizität ersetzen. Dabei wird Ethnizität entgegen anderslautender Definitionen als Grundlage für eine kollektive Identität – auf Basis

(22)

Es scheint wahrscheinlich, dass dabei insbesondere die Nationalstaatlichkeit und die damit einhergehende Rollenzuweisung als nationale Minderheit für die Ablehnung einer Eigen- bezeichnung im Kontext des Nationalen verantwortlich zeichnet. Ferner wird durch diese Eigenbezeichnung der ethnische Bezugspunkt sorbischer Identität betont, der auch die Selbstwahrnehmung als eine zur Mehrheitsgesellschaft kulturell differenzierte Gruppierung begründet. Stark vereinfacht und unter Ausklammerung individueller Befindlichkeiten kann formuliert werden: Eine sorbische Selbstwahrnehmung fußt sowohl auf ethnischen Kategorien (die als Bezugspunkte für kulturelle Differenzierungen bedeutend werden) und dem Minderheitenstatus (der die gesellschaftlichen Relationen strukturiert und dabei auf ethnische Kategorien Bezug nimmt).

Smith macht dabei deutlich, dass besonders nationale Minderheiten im Zuge eines

„demotic ethno-nationalism“52 ihr kulturelles Erbe politisierten. Und auch Toivanen macht auf dieses Paradoxon aufmerksam, wenn sie formuliert:

Nationale Minderheiten fordern Rechte mit der Begründung, sie hätten eine spezielle Kultur, die geschützt werden müsse. Um Schutz und Rechte genießen zu dürfen, muss die Minderheitenkultur definiert und von anderen, womöglich ähnlichen Kulturen abgegrenzt werden. Sie wird so politisiert und instrumen- talisiert.53

So korreliert die Anwendung von Minderheitenrechten und ihre Aufrechterhaltung für die entsprechende Minderheit nicht nur mit einer Politisierung ihrer Kultur auf Basis einer ethnisch begründeten Fremd- und Selbstwahrnehmung, sondern auch mit einem gewissen Grad an kultureller Isolation und der Verfestigung des gesellschaftlichen Status` als Minderheit. Während für ethnische Minderheiten wie Migranten eine soziokulturelle Inte- gration in die Mehrheitsgesellschaft als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe konstitutiv ist, wird für nationale Minderheiten die ethnische Abgrenzung von der Mehr- heitsgesellschaft zur Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe als Minderheit an derselben.

Gründe genug, um in dieser Arbeit die gesetzlichen Rahmenbedingungen für den sorbischen Minderheitenstatus näher zu betrachten.

derer sich auch individuelle Zugehörigkeiten konstituieren – verstanden, die sich auf kulturelle Elemente bezieht.

52 Smith, 1991, S. 127.

53 Toivanen, 2001, S. 3.

(23)

2. 2 Was macht die Sorben zu einer nationalen Minderheit?

Juristische, institutionelle und politische Aspekte

Aus politischer Sicht sind die Sorben heute neben den Dänen in Deutschland, den Sinti und Roma und den Friesen eine von vier anerkannten nationalen Minderheiten der Bundes- republik Deutschland – in juristischer Sicht werden ihre Rechte aber an ein sogenanntes

`sorbisches Siedlungsgebiet´ gekoppelt, das im Land Brandenburg und dem Freistaat Sachsen – genauer: in der Ober- und Niederlausitz – liegt. Diese politischen und juristischen Bedingungen werden auch im öffentlich-rechtlichen Fernsehen häufig thematisiert.54

Heute sind die Rechte der sorbischen Minderheit in den Verfassungen des Freistaates Sachsen und des Landes Brandenburg, in der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen und dem Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten verankert.55

Vor allem Gesetze auf der Landesebene regeln die spezifischen Rechte der Sorben: Im brandenburgischen Gesetz zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben/Wenden im Land Brandenburg (kurz: Sorben/Wenden-Gesetz) und im Sächsischen Sorbengesetz56 werden neben dem Schutz der Identität, des sogenannten `sorbischen Siedlungsgebiets´ und der Sprache(n) und Kultur57 auch weiterführende Bestimmungen bedeutend, die beispielsweise

54 Vgl. dazu: Kapitel 4.3.1.

55 Vgl. dazu folgende Verträge, Verfassungen und Gesetze:

Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag, EinigVtr), Protokoll I, Ziffer 14 zu Artikel 35 und Anlage I, Kapitel III, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr. 1 (r). Abzurufen unter: <http://www.gesetze-im- internet.de/einigvtr/> (abgerufen am 24.06.2017, 14:30 Uhr).

Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. Mai 1992, die durch das Gesetz vom 11. Juli 2013 geändert worden ist, Art. 2 (4), Art. 5 (1), (2), (3), Art. 6 (1), (2), (3). Abzurufen unter: <https://www.revosax.

sachsen.de/vorschrift/3975-Saechsische-Verfassung> (abgerufen am 20.06.2017, 15:30 Uhr).

Verfassung des Landes Brandenburg vom 20. August 1992, zuletzt geändert durch Gesetz vom 5.

Dezember, Art. 25 (1), (2), (3), (4), (5). Abzurufen unter: <https://bravors.brandenburg.de/de/gesetze- 212792> (abgerufen am 20.06.2017, 07:15 Uhr).

Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen, 1998 von Deutschland ratifiziert, am 01.

Januar 1999 in Kraft getreten. Abzurufen unter: <http://www.coe.int/en/web/conventions/full-list/-/

conventions/treaty/148> (abgerufen am 26.06.2017, 10:30 Uhr).

Zum Rahmenübereinkommen vgl. insbesondere Art. 15: „Die Vertragsparteien schaffen die notwendigen Voraussetzungen für die wirksame Teilnahme von Angehörigen nationaler Minderheiten am kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben und an öffentlichen Angelegenheiten, insbesondere denjenigen, die sie betreffen.“

56 Sächsisches Sorbengesetz vom 31. März 1999, das zuletzt durch Artikel 59a des Gesetzes vom 27. Januar 2012 geändert worden ist. Abzurufen unter: <https://www.revosax.sachsen.de/vorschrift/3019-Saechs isches-Sorbengesetz> (abgerufen am 21.06.2017, 11:00 Uhr).

57 Dabei ist aus kulturwissenschaftlicher Perspektive die in den Gesetzestexten vorgenommene Unterscheidung von Identität, Sprache und Kultur kritisch zu hinterfragen. Wie aus dem bisher Gesagten deutlich wird, deckt sich mein Kulturverständnis nicht mit einem solchen, den Gesetzestexten zugrunde gelegten, Kulturbegriff.

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