• Keine Ergebnisse gefunden

Streitfragen!:

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Streitfragen!:"

Copied!
48
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

EIN HEFT ÜBER NACHHALTIGKEIT

STELLSCHRAUBEN FÜR NACH­

HALTIGEN GEWÄSSERSCHUTZ

Dr. Christian Hey will besseren Umgang mit der Ressource Wasser.

S.20 S.36

S.06

NACHDENKEN ÜBER NACHHALTIGKEIT

Autor Wolf Lotter plädiert für wirklich nachhaltiges Denken und Handeln.

RICHTIG ZU INVESTIEREN IST EINE KUNST

Hans-Günther Meier und Edgar Föniger diskutieren über zukunftssichere Verteilnetze.

Die Energie­ und Wasserwirtschaft im Dialog | Das Magazin 03|2014

Streitfragen!

(2)

liebe Leserin, lieber leser,

»nachhaltig« ist eines der »100 Wörter des 20. Jahrhunderts«, ausgewählt von der Gesellschaft für deutsche Sprache. Der Begriff hat nicht nur die deutsche Gesellschaft geprägt, nachhaltiges Handeln ist das globale Leitbild unserer Zeit geworden.

Es gilt, wirtschaftliche, ökologische und soziale Entwicklungen gemeinsam zu betrachten. Es wird keinen dauerhaften wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt ohne intakte Umwelt geben – aber auch keine intakte Umwelt ohne wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt.

Der Gedanke der Nachhaltigkeit ist durch die Energiewende präsenter denn je.

Deutschland will international zeigen, dass Wohlstand und sichere Energieversorgung auch mit drastisch sinkenden CO

2

-Emissionen möglich sind.

DIPL.­ING. JOHANNES KEMPMANN (l.) ist technischer Geschäftsführer der Städtischen Werke Magdeburg GmbH &

Co. KG. Seit Juni 2014 ist er Präsident des BDEW.

JÖRG SIMON

ist Vorstandsvorsitzender der Berliner Wasserbetriebe und seit Juni 2014 Vizepräsident des BDEW.

(3)

Wie kann das auf Unternehmensebene gelingen? Wie kann man Energienetze und Erzeugungsanlagen dauerhaft wirtschaftlich betreiben, ohne dass die Kosten unbeherrschbar werden? Darf Nachhaltigkeit profitabel sein, oder muss sie das nicht sogar?

Nachhaltigkeit bedeutet für die deutsche Energiewirtschaft auch, die Energiewende europäisch zu denken. Nationale Lösungen werden nur Bestand haben, wenn sie mit dem europäischen Energiebinnenmarkt vereinbar sind. Auch der Klimaschutz macht an keiner Grenze halt. Die deutsche Energie- und Wasserwirtschaft fordert seit Langem, den CO

2

-Ausstoß auf europäischer Ebene bis 2030 um mindestens 40 Prozent zu reduzieren. Bereits 2009 hatte sich der BDEW für eine CO

2

-neutrale Energieversorgung ab 2050 ausgesprochen.

Kernaufgabe der Wasserwirtschaft ist es, das konstant hohe Niveau der deutschen Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung sicherzustellen. Sie setzt sich dabei grundsätzlich für eine Stärkung des Verursacher- und Vorsorgeprinzips ein.

Wir müssen beispielsweise dafür sorgen, dass bestimmte Stoffe wie Medikamente oder Dünger gar nicht erst erst ins Grundwasser gelangen. Denn in der Umwelt unerwünschte Stoffe wieder zu entfernen, ist aufwendig und kostet nicht nur die Unternehmen Geld, sondern auch den Bürger.

Für die Energie- und Wasserwirtschaft bedeutet nachhaltiges Handeln auch, mit der Ressource Qualifikationen verantwortungsvoll umzugehen. Denn nur mit motivierten Mitarbeitern und sehr gut qualifizierten Nachwuchskräften kann die Branche ihrer Verantwortung für eine zukunftsfähige Energie- und Wasserver- sorgung gerecht werden und nachhaltig erfolgreich wirtschaften.

Die Verantwortung beginnt nicht morgen oder übermorgen, sondern jetzt und hier, bei uns und jedem Einzelnen. Gut, wer heute versteht, was übermorgen wichtig wird. Die Protagonisten in dieser Magazinausgabe geben hier interessante Einblicke.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen.

Dipl.-Ing. Johannes Kempmann Jörg Simon

01 STREITFRAGEN 03|2014

(4)

HOHE HÜRDEN AUF DEM WEG ZUM KLIMASCHUTZZIEL

Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth sieht gute Chancen für weniger CO2-Emissionen

Was bedeutet Nachhaltigkeit für die Erzeugung und den Verbrauch von Strom und Wärme? Marlehn Thieme vom Rat für Nachhaltige Entwicklung und Dr. Marie-Luise Wolff-Hertwig, HSE, skizzieren eine nachhaltige Energiewirtschaft

s.14

S.08

DIE ENERGIEBRANCHE HAT EINE BESONDERE VERANTWORTUNG

DER KAMPF UM DIE TALENTE BEGINNT IM HÖRSAAL

Wie kann man junge Talente gewinnen und halten?

Darüber sprechen Kerstin Abraham, Stadtwerke Krefeld, und der angehende Ingenieur Colin de Vrieze

s.40

STELLSCHRAUBEN FÜR NACH­

HALTIGEN GEWÄSSERSCHUTZ

Dr. Christian Hey vom Sachverständigenrat für Umweltfragen setzt sich für besseren Gewässerschutz ein

S.36

02 STREITFRAGEN 03|2014

(5)

S.06

S.08

S.14

S.18

S.20

S.24

S.26 S.30

S.32

S.36

S.40

S.44

S.45

KLIMA­ UND UMWELTSCHUTZ NACHDENKEN ÜBER NACHHALTIGKEIT Der Autor Wolf Lotter zeichnet die Karriere des Begriffs nach und plädiert für wirklich nachhaltiges Denken und Handeln

DIE ENERGIEBRANCHE HAT EINE BESONDERE VERANTWORTUNG

Marlehn Thieme, Nachhaltigkeitsrat, und Dr. Marie-Luise Wolff-Hertwig, HSE, pochen auf wirtschaftliche, soziale und ökologische Standards

HOHE HÜRDEN AUF DEM WEG ZUM KLIMASCHUTZZIEL

Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth sieht eine Chance, Deutschlands CO2-Emissionen bis 2020 wie geplant zu senken

INFRASTRUKTUR

20 000 KILOMETER ÜBER DAS MEER TenneT-Geschäftsführer Lex Hartman erläutert, warum eine Konverterplattform für die Nordsee in Dubai entstand

RICHTIG ZU INVESTIEREN IST EINE KUNST Die Stadtwerkemanager Edgar Föniger, Güstrow, und Hans-Günther Meier, Düsseldorf, über den Umbau der Verteilnetze

LÄRMSCHUTZWAND AUS LUFT

Dr. Georg Nehls, BioConsult SH, beschreibt, wie ein Blasenschleier Schweinswale vor dem Lärm der Bauarbeiten an Offshore-Windparks schützt

PRO & CONTRA KOHLE

Oliver Krischer, Grüne, hält den Ausstieg aus der Kohle für unvermeidlich. Dr. Rolf Martin Schmitz, RWE, hält dagegen NACHHALTIGE ENERGIEVERSORGUNG

WELTWEIT IST DIE ZUKUNFT

Tanja Gönner, GIZ, wirbt für den Ausbau der Erneuer- baren Energien in Entwicklungs- und Schwellenländern HEMMNISSE FÜR INVESTITIONEN

Versicherer würden gern in Netze und Kraftwerke investieren. Doch EU-Regeln machen das unattraktiv, erklärt Dr. Paul-Otto Faßbender von der ARAG

WASSERWIRTSCHAFT

STELLSCHRAUBEN FÜR NACH HALTIGEN GEWÄSSERSCHUTZ

Dr. Christian Hey setzt sich für besseren Gewässerschutz ein

NACHWUCHS

DER KAMPF UM DIE TALENTE BEGINNT IM HÖRSAAL

Kerstin Abraham, Stadtwerke Krefeld, und der angehende Ingenieur Colin de Vrieze analysieren die »Generation Y«

REGIONALE VERSORGER HABEN EINEN TRUMPF IN DER HAND

Moderne, zukunfts- und wertorientierte Unternehmen sind auch attraktive Arbeitgeber, meint DEW-Chef Dr. Frank Brinkmann

SCHULABBRECHER – DIE AZUBIS VON MORGEN?

Die dänische Produktionsschule bietet jungen Leuten ohne Abschluss Orientierung und Qualifizierung

HERAUSGEBER BDEW Bundesverband der

Energie- und Wasserwirtschaft e. V.

Reinhardtstraße 32 10117 Berlin

streitfragen@bdew.de www.bdew.de

REDAKTION Mathias Bucksteeg Sven Kulka Redaktionsschluss:

September 2014

BILDNACHWEIS

Malte Jäger: Editorial. Roland Horn:

Editorial, S. 08 – 12, S. 14, S. 20 – 23, S.

40 – 43. Sarah Esther Paulus: S. 06. Andreas Fechner: S. 32. ©iStock.com / Rouzes:

Umschlag, S. 19, S. 24. Torresol Energy Investments S.A.: S. 04. plainpicture / Maria Domer: S. 36

impressum

KONZEPT UND REALISIERUNG Kuhn, Kammann & Kuhn GmbH, unter redaktioneller Mitarbeit von Wolf Szameit. Birgit Heinrich (Bildwelt) und Ricarda Eberhardt, BDEW

DRUCK UND VERARBEITUNG Kirchner Print.Media GmbH & Co. KG, Kirchlengern

Print kompensiert

Id-Nr. 1439796 www.bvdm-online.de

03

(6)

2 650

Spiegel bündeln im Kraftwerk Gemasolar im Süden Spaniens das Sonnenlicht. Im Turm der andalusischen Anlage wird dadurch flüssiges Salz auf mehr als 500 Grad Celsius erhitzt.

Das Salz speichert die Wärme – so kann das 19,9-Megawatt-Kraftwerk 15 Stunden lang ohne direkte Sonneneinstrahlung Strom produzieren.

(7)
(8)

NACHDENKEN ÜBER NACHHALTIGKEIT

Nachhaltigkeit findet heute jeder gut. Aber worüber begeistern wir uns eigentlich genau? Und hilft das wirklich weiter?

06 STREITFRAGEN 03|2014 KLIMA- UND UMWELTSCHUTZ

(9)

Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man ’nen Arbeits- kreis. Über diese schöne wie zeitlose deutsche Volksweisheit kann man lachen – oder sich mal fragen, wohin das führt. Die Logik dahinter ist ganz simpel. Wenn die Lösung eines Prob- lems zu kompliziert ist, dann vergemeinschaftet man das Prob- lem. Dann wird es nicht gelöst, sondern verwaltet. Das schafft es nicht aus der Welt, aber vielleicht ein paar Arbeitsplätze.

Dazu muss zunächst das Kind, also unser Problem, einen Namen haben, der sich zum Schlagwort vermarkten lässt. Alle Interessengruppen füttern das Schlagwort mit jeweils anderen Bedeutungen. So wird unser Problem dick und unbeweglich.

Man erkennt solche verwalteten Probleme daran, dass es kaum noch jemanden gibt, der sagen kann, wo das Problem anfängt und wo es aufhört.

Das ist das Schicksal des Wortes Nachhaltigkeit. Was wäre denn heute nicht mehr nachhaltig? Im Jahr 1992 verkündete die norwe- gische Politikerin Gro Harlem Brundtland auf dem UN-Entwick- lungsgipfel in Rio de Janeiro ihre Definition von Nachhaltigkeit:

»Nachhaltigkeit ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation abdeckt, ohne die Möglichkeiten der zukünftigen Generation zu beeinträchtigen.«

Das ist flexibel genug, um alles damit anstellen zu können, was sich politisch so ergeben könnte. Folgerichtig wusste fast ein Jahrzehnt nachdem das große Wort die politische Weltbühne betrat kaum ein Bundesbürger etwas damit anzufangen: Neun von zehn Deutschen im Jahr 2001 wussten nicht, was Nachhal- tigkeit eigentlich sein soll. Damals gründete die Bundesregie- rung den »Rat für Nachhaltige Entwicklung«. Das ist eine Grup- pe kluger Menschen, die über Nachhaltigkeit nachdenken und Empfehlungen aussprechen. Unterdessen ist draußen, in der Wirtschaft und Gesellschaft, ohnehin alles nachhaltig gewor- den. Bier, Limo, Autoreifen, Managementmeetings und Hotel- zimmer. Das ist so wie mit den bunten Farben zum Ende der Sechzigerjahre. Auf einmal war alles orange und knallgrün, und das war modern, und modern war gut. Warum? Blöde Frage.

In einer Aufmerksamkeitsgesellschaft werden Werte dadurch zerstört, dass man die Begriffe, die sie repräsentie- ren, so inflationär nutzt, bis ihnen die Luft ausgegangen ist.

Das entspricht der alten Weisheit: Viel reden, aber nichts sa- gen. Nachhaltigkeit ist omnipräsent, allgegenwärtig. Dabei ist das Wort wichtig.

Der Stuttgarter Soziologe Ortwin Renn hat eine eigene Definition gefunden: »Nachhaltigkeit heißt rechtzeitig nachdenken«. Nach- denken ist so was wie eine geistige Inventur machen. Was haben wir, was können wir? Mit dieser Zwischensumme menschlichen Geistes kann man dann überlegen, wie man aktuelle Probleme – wie die demografische Entwicklung, die Ressourcenverknap- pung, die Frage nach Klimawandel – bewältigen kann.

Es geht um Gestaltung, um Vordenken. Es geht nicht darum, Nachhaltigkeit mit Rückbau, Reduzierung und Minus- wachstum zu verbinden. Der ganze negative Schwall, der sich

mit Nachhaltigkeit auf die Menschen ergießt, ist kontraproduk- tiv. Er nervt, und er löst kein Problem. In der Softwareindustrie nennt man so was »Scareware«, Programme, die keiner braucht und die eigentlich keinen Nutzen haben, die man aber trotzdem kauft, weil sie einen Schaden verhindern, den uns die Marketing- abteilung des Herstellers vorher eingeredet hat.

Nachhaltiges Denken bedeutet vielleicht ganz simpel:

Überhaupt mal denken.

Sind wir das echt noch gewohnt? Fragen wir uns, was wir tun, mit welchen Mitteln? Sind wir bereit, Innovationen an die Stelle des Gewohnten zu stellen? Machen wir unseren Job so, dass wir irgendwann mal die Welt besser verlassen, als wir sie vorgefun- den haben? Oder denken jetzt einige so: Manager bleiben heute eh höchstens vier Jahre. Politiker auch nicht länger. Also kommt uns bloß nicht mit: auf Vorrat denken. Vordenken und Verän- dern hat schlechte Karten heute.

Dabei bedeutet Nachhaltigkeit nicht, die Zukunft »in den Griff« zu kriegen, zu planen oder heute schon zu wissen, wie die Erde sich in 50 oder 100 Jahren anfühlt. Wir müssen lernen, uns schnell zu verändern – dynamische Anpassung, dazulernen, neues Wissen und neue Erkenntnisse akzeptieren, auch dann, wenn sie unsere gewohnten Kreise stören. Nachhaltigkeit er- scheint oft als »Weg zurück zur Natur«. Nur: Was soll das sein?

Zurück zum Schicksal, einer Welt, in der jedem sein Weg vorge- zeichnet ist – und den kein Mensch verändern darf? Das brau- chen wir nicht. Nachhaltigkeit ist, wenn wir anfangen, mit un- serer Welt was zu unternehmen, Probleme nicht zu verwalten, sondern lösen zu wollen. Nachhaltigkeit ist ein dynamischer Prozess, kein Schicksal.

Nachhaltigkeit ist, wenn wir anfangen, Fortschritt, Tech- nik, menschliche Neugier und das daraus entstehende Wissen zur Verbesserung der Welt anzuwenden. Eben nicht dazu, damit alles so bleibt, wie es ist. Maurice Strong, einer der führenden Denker des Rio-Prozesses, bei dem der Nachhaltigkeitsbegriff populär wurde, hat dafür einen guten Rat gegeben. Man möge

»die Erde und ihre Ressourcen so behandeln, als ob sie ein Un- ternehmen wären«.

Dazu braucht man keinen Arbeitskreis. Aber etwas per- sönlichen Mut und Aufrichtigkeit und vor allem die Einsicht, dass man selbst – als Person – was besser machen kann. Diese Kultur müssen wir lernen und verbreiten, fördern und nutzen.

Dann klappt’s auch mit der Nachhaltigkeit. Ehrlich währt halt am längsten.

WOLF LOTTER

Der Journalist und Autor Wolf Lotter ist Mitbegründer und Leitartikler des Wirtschaftsmagazins Brand eins. In seinen Essays widmet er sich regelmäßig aktuell wichtigen wirt- schaftlichen Prozessen und stellt diese in den gesellschaftlichen und politischen Gesamtzusammenhang.

07 KLIMA- UND UMWELTSCHUTZ STREITFRAGEN 03|2014

(10)

Was bedeutet Nachhaltigkeit für die Erzeugung und den Verbrauch von Strom und Wärme? Marlehn Thieme, Vorsitzende des Rates für Nachhaltige Entwicklung, und Dr. Marie-Luise Wolff-Hertwig vom regionalen Versorgungsunternehmen HSE skizzieren eine Energiewirtschaft, die

unter wirtschaftlichen, sozialen und öko- logischen Aspekten überzeugt.

(11)
(12)

Betrachtet man das Verhalten von Unternehmen: Wo fängt Nachhaltigkeit an, wo hört Greenwashing auf?

MARLEHN THIEME Entscheidend ist, dass ein Unternehmen tatsächlich seine geschäftliche Strategie verändert. Nachhaltig- keit fängt an, wenn der Produktionsprozess und das Geschäfts- modell auf Nachhaltigkeit ausgerichtet werden und daraus eine langfristige Erfolgsperspektive für das Unternehmen entsteht.

Frau Dr. Wolff-Hertwig, was verstehen Sie unter Nachhaltig- keit in der Energiewirtschaft?

DR. MARIE­LUISE WOLFF­HERTWIG Die Energiewirtschaft steht als einer der größten Emittenten von CO2 in einer besonde- ren Verantwortung. In einem Satz würde ich sagen: Eine nach- haltige Energieversorgung muss mit immer weniger Emissio- nen auskommen, technisch auf der Höhe der Zeit und volkswirtschaftlich vernünftig sein.

Frau Thieme, können Sie Ihre Vorstellungen ähnlich knapp formulieren?

THIEME Nachhaltigkeit in der Energieversorgung heißt auch für mich, dass die Umwelt durch die Erzeugung möglichst we- nig geschädigt wird. Zusätzlich würde ich die Verbraucher ein- beziehen: Die Gesellschaft muss die erzeugte Energie möglichst effizient einsetzen.

Frau Dr. Wolff-Hertwig, Sie haben eben die Emissionen an- gesprochen. Wo würden Sie ansetzen, um beispielsweise den CO2-Ausstoß zu senken?

WOLFF­HERTWIG Die zentralen Handlungsfelder sehe ich in der Produktion. Denn das Ziel der Energiewende ist die Umstel- lung auf einen Erzeugungspark, der sich auf Erneuerbare Ener- gien stützt. Wir brauchen aber nicht nur eine Erzeugungswende – vor uns liegt ein Systemumbau, eine große Transformation.

Hier geht es auch um Wärmeversorgung und Energiesparen.

Frau Thieme, Sie gelten als Hüterin der Nachhaltigkeit in Deutschland. Unterschreiben Sie diese Prioritätensetzung?

THIEME Natürlich ist der Rat für Nachhaltige Entwicklung einmütig dafür, die Erneuerbaren Energien weiter auszubauen.

Aber wir halten es nicht für vordringlich, hier Ziele vorzugeben.

Die Steigerung der Energieeffizienz finden wir derzeit mindes- tens so wichtig. Deutschland hat noch keinen Weg gefunden, den absoluten Energieverbrauch zu senken. Das muss aber unser eigentliches Anliegen sein. Die Politik muss sehr schnell einen Markt gestalten, der Anreize setzt, weniger Energie zu verbrau- chen und so Emissionen zu vermeiden.

10 STREITFRAGEN 03|2014 KLIMA- UND UMWELTSCHUTZ

(13)

DR. MARIE­LUISE WOLFF­HERTWIG ist Vorstandsvorsitzende der HSE AG. Der Energieversorger mit Sitz in Darmstadt erhielt 2013 den Deutschen Nachhaltigkeitspreis.

(14)

Im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit reden wir sehr oft übers Sparen und über Einschränkungen. Übersehen wir die Chancen?

WOLFF­HERTWIG Nachhaltigkeit eröffnet ein ganzes Spekt- rum vom neuen Handlungsmöglichkeiten und auch Wachs- tumschancen für Energieversorger. Gewerbekunden verlangen in ihren Ausschreibungen zunehmend CO2-neutrale Energie.

HSE bietet Unternehmen spezielle Effizienzprodukte an. Bei- spielsweise können wir anhand unserer Datenbank die Energie- effizienz von Produktionsprozessen bewerten. Auch das an-

nähernd CO2-neutrale, aber trotzdem bezahlbare Wohnen ist ein Feld mit Zukunft. Hier ist der Ausgleich zwischen Ökologie und sozialen Belangen besonders wichtig.

THIEME In der Kooperation von Energieversorgern und Woh- nungsunternehmen steckt noch viel Potenzial. Deshalb arbei- ten wir mit beiden Branchen zusammen. Unter dem Dach der Energiewende ergeben sich beim Wohnen ganz neue Möglich- keiten, zum Beispiel für die intelligente und bequeme Steue- rung der Haustechnik über Apps. Ich kenne Modellprojekte, bei denen die Nutzer regelrecht begeistert sind vom Gewinn an Lebensqualität. Da denkt niemand mehr an negativ besetzte Begriffe wie Sparen und Einschränken.

MARLEHN THIEME

führt seit 2012 als Vorsitzende den von der Bundesregierung eingesetzten Rat für Nachhaltige Entwicklung.

12 STREITFRAGEN 03|2014 KLIMA- UND UMWELTSCHUTZ

(15)

Frau Dr. Wolff-Hertwig hat gerade den Ausgleich von ökolo- gischen und sozialen Belangen erwähnt. Das dritte Kriteri- um für nachhaltiges Handeln ist die Wirtschaftlichkeit.

In welchem Rahmen sind innerhalb dieses Zieldreiecks Tauschgeschäfte zulässig?

THIEME Es darf keine Tauschgeschäfte geben. Bei solchen Vor- schlägen wird meistens versucht, die heutige Generation gegen künftige Generationen auszuspielen. Genau dagegen wendet sich aber der Nachhaltigkeitsgedanke.

Ist das Umsteuern leichter für ein Unternehmen, das sich in kommunaler Hand befindet?

WOLFF­HERTWIG Leichter nicht – aber es liegt näher. Denn ein kommunaler Eigentümer denkt immer langfristiger als ein Kapitalgeber, der jeden Tag den Aktienkurs im Blick hat. Eine Kommune spürt die Effekte von Investitionen, die auf Nachhal- tigkeit zielen, unmittelbar. Zum Beispiel verbessert sich dadurch die Gebäudestruktur in der Stadt. Außerdem hat so gut wie jede Stadt in Deutschland ein Klimakonzept. Dessen Ziele kann die Kommune mit dem eigenen Energieversorger leichter umsetzen.

Naturschützer kritisieren einige Projekte im Rahmen der Energiewende. So stößt der Ausbau der Übertragungsnetze auf Widerstand, Windräder gelten als Gefahr für Vögel und Fledermäuse.

THIEME Das ist ein bisschen die »Not in my backyard«- Betrachtung. Wir sehen ja nicht, welche Umweltschäden bei- spielsweise der Kohleabbau in Kolumbien verursacht. Die Ein- griffe in die Natur, mit denen wir es zu tun haben, liegen uns zwar näher, fallen aber oft vergleichsweise klein aus.

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung fordert, die Rahmen- bedingungen des Marktes an die Energiewende anzupassen, nicht umgekehrt. Die Energiebranche ruft aber ständig nach einem stabilen Rahmen. Wie stark wollen Sie eingreifen?

THIEME Wir sollten nicht davor zurückschrecken, Teile des Energiemarkts politisch anders zu gestalten. Beispielsweise haben wir die Emissionsfrage, da bringt der Handel derzeit nicht die gewünschten Ergebnisse. Aber wir brauchen diese Anreize für die Reduzierung von Emissionen. Das sind Gestaltungsauf- gaben für die Politik.

Könnte HSE mit anderen Rahmenbedingungen leben?

WOLFF­HERTWIG Wir befinden uns im Umbau, also werden die Rahmenbedingungen sich weiter verändern. Wir brauchen aber eine bessere Folgenabschätzung und eine bessere volks- wirtschaftliche Steuerung. Momentan stehen hochmoderne Gaskraftwerke still, die mit dem Geld der Bürger gebaut worden sind, und alte Kohlekraftwerke mit hohem CO2-Ausstoß laufen.

Das ist weder wirtschaftlich noch ökologisch nachhaltig. Dar- um müssen wir uns jetzt kümmern.

Stichwort Kohle: Qualmende Schlote von Kohlemeilern sind geradezu ein Sinnbild für das wenig umweltfreundliche Wirtschaften. Sehen Sie für die Kohle überhaupt einen Platz in einem nachhaltigen Energiesystem?

THIEME Nein. Ich weiß zwar nicht, wann wir das letzte Kohle- kraftwerk abschalten können, aber ich sage: je mehr , desto bes- ser. Wir wissen, dass auch die Verfügbarkeit von Kohle endlich ist, jedenfalls bezogen auf den Abbau zu erträglichen Kosten. Ir- gendwann brauchen wir andere Energieträger, darauf sollten wir uns in der Forschung konzentrieren. Mit der Absage an die Kohle stehen wir nicht allein. Aufgrund der immensen Emissionspro- bleme ist beispielsweise auch in China ein Umbauprogramm ge- startet, um auf erneuerbare Energieträger umzusteigen.

WOLFF­HERTWIG Ich kann mir eine nachhaltige Erzeugung auf Kohlebasis nicht vorstellen. Dazu ist der Brennstoff zu prob- lematisch bei der Verbrennung und beim Abbau. Es gibt zwar Initiativen für »Better Coal«, aber zu »Good Coal« wird es nie reichen.

Ein anderes Reizthema ist Fracking. Was spricht aus der Nachhaltigkeitsperspektive für diesen Weg der Gasförde- rung, was spricht dagegen?

WOLFF­HERTWIG Dafür spricht, dass wir uns eine gewisse Technologieoffenheit erhalten sollten. Gegen Fracking ist einzu- wenden, dass es mit enormen Eingriffen in die Natur verbunden ist. Ich frage mich, ob wir diese Technologie angesichts der Ziel- setzung der Energiewende überhaupt brauchen. Wenn wir uns eines Tages zu 80 Prozent aus Erneuerbaren Energien versorgen, wenn wir nach und nach auch im Gebäudebestand effiziente Technologien eingeführt haben, wie viel Gas benötigen wir noch? Und lohnt es sich dann, eine Technologie wie Fracking in Deutschland anzuwenden?

THIEME Fracking stellt gegenüber Kohle eine noch mal poten- zierte Umweltgefährdung dar. Das dabei geförderte Gas hilft uns dann auch nicht, eine emissionsneutrale Energieerzeugung aufzubauen. Wir sollten uns die Technik vielleicht als Reserve für den Notfall erhalten, aber grundsätzlich halte ich das nicht für zukunftsweisend.

Sehen Sie sich die Video-Statements der Protagonistinnen an – jetzt in der App-Version dieser Ausgabe.

Jetzt im App Store

13 KLIMA- UND UMWELTSCHUTZ STREITFRAGEN 03|2014

(16)

JOCHEN FLASBARTH

ist Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Von 2009 bis 2013 leitete er das Umweltbundesamt.

(17)

Herr Flasbarth, die Bundesregierung geht davon aus, dass Deutschland seinen CO2-Ausstoß bis 2020 ohne zusätzliche Anstrengungen nicht wie geplant um 40 Prozent reduzieren kann. Wie viel schaffen wir denn?

JOCHEN FLASBARTH Wir haben die Emissionen bereits sehr stark gesenkt – um etwa ein Viertel gegenüber 1990. Das genügt aber nicht, um das Ziel von 40 Prozent bis 2020 zu erreichen.

Wenn wir weitermachen wie bisher, kommen wir auf etwa 33 Prozent.

Warum sinken die Emissionen langsamer als geplant?

FLASBARTH Es liegt schlicht und einfach daran, dass in der Vergangenheit zu wenig getan worden ist. Seit Ende der Neunzi- gerjahre spielt Klimaschutz eine zentrale Rolle in der deutschen Politik – aber die jeweils verantwortlichen Bundesregierungen haben zu wenig auf den Weg gebracht, um die 40-Prozent-Marke zu erreichen.

Im Jahr 2020 soll Deutschland 40 Prozent weniger Treib- hausgase ausstoßen als 1990. Das geht über die Zielvorgabe der EU hinaus – und ist vielleicht zu ambitioniert. Denn nach aktuellen Schätzungen wird die Bundesrepublik das selbst gesteckte Ziel verfehlen. Was ist zu tun? Fragen an Umweltstaatssekretär Jochen Flasbarth.

HOHE HÜRDEN AUF DEM WEG ZUM KLIMA­

SCHUTZZIEL

15 KLIMA- UND UMWELTSCHUTZ STREITFRAGEN 03|2014

(18)

Seit wann ist klar, dass Deutschland sein nationales Klima-Ziel ohne weitere Anstrengungen verfehlen wird?

FLASBARTH Das Umweltbundesamt hat darauf schon vor fünf Jahren hingewiesen. Wir haben der Bundesregierung empfoh- len, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Damals waren wir rech- nerisch ein Stück näher am Ziel als heute.

In der letzten Legislaturperiode ist viel zu viel ohne Ergeb- nis gestritten worden, zum Beispiel über den Emissionshandel.

Über lange Zeit hat hier Sprachlosigkeit geherrscht, Deutsch- land war nicht handlungsfähig. Im Klimaschutz gab es Still- stand. Das rächt sich jetzt.

Sie sprechen den Emissionshandel an. Der gilt als zentrales Instrument, um den CO2-Ausstoß in der EU zu verringern … FLASBARTH … kann aber diese Wirkung momentan nicht ent- falten, weil zu viele Zertifikate auf dem Markt sind und der Aus- stoß von CO2 dadurch zu billig ist. Grundsätzlich ist der Emissi- onshandel ein sehr gutes Instrument. Aber das Ziel ist falsch gesetzt und man hat zu viele Schlupflöcher eingebaut. Die feh- lerhafte Ausgestaltung auf europäischer Ebene bringt das Inst- rument insgesamt in Misskredit – das ist schade.

Was müsste passieren, damit das System die beabsichtigte Wirkung entfaltet?

FLASBARTH Das in der EU beschlossene sogenannte Backloa- ding wird dem Markt vorübergehend 900 Millionen CO2-Zertifi- kate entziehen. Die Bundesregierung hat in Brüssel vorgeschla- gen, diese Menge dauerhaft in eine Marktstabilitätsreserve zu überführen. Damit würden die Zertifikate faktisch stillgelegt.

Das wäre ein relevanter Schritt. Wir arbeiten intensiv daran, da- für genügend Verbündete in der EU zu finden. Realistisch be- trachtet glaube ich nicht, dass wir darüber hinaus bis 2020 wei- tere Korrekturen vornehmen können.

Würde ein novellierter europäischer Emissionshandel aus- reichen, damit Deutschland sein nationales Klimaschutz- ziel noch erreichen kann?

FLASBARTH Der Emissionshandel ist jedenfalls ein wichtiger Baustein unserer Strategie, mit der wir die 40 Prozent doch noch schaffen wollen. Außerdem brauchen wir ihn, um die europäi- schen Klimaschutzziele für die mittlere und die längere Frist zu erreichen. Wenn wir den Emissionshandel nicht wieder flott- machen können, wird das ungleich schwieriger.

Industrievertreter lehnen die Reformpläne ab und fordern verlässliche Rahmenbedingungen. Was entgegnen Sie?

FLASBARTH Die Industrielobby hat bei der Einführung des Emissionshandels bis zuletzt Aufweichungen durchgesetzt.

Jetzt werden die Folgen sichtbar – das System wirkt nicht. Und

nun sagt die Industrie: Der Staat darf seine Fehler von damals nicht korrigieren, er muss doch verlässlich bleiben. Ich finde diese Argumentation etwas bizarr.

Die Bundesregierung will ein Aktionsprogramm Klima- schutz 2020 vorlegen, um die 40-prozentige Emissionssen- kung noch zu schaffen. Können Sie schon sagen, wo das Pro- gramm ansetzen wird?

FLASBARTH Wir befinden uns noch in der Abstimmung mit den anderen Ministerien. Unsere Vorschläge werden selbstver- ständlich alle Sektoren einschließen, auch den Verkehr und die Landwirtschaft. Wir werden neben CO2 die übrigen Treibhaus- gase in den Blick nehmen. Bei Methan und Fluorkohlenwasser- stoffen können wir wegen ihrer höheren Klimarelevanz mit ver- gleichsweise geringen Einsparungen beachtliche Beiträge leisten.

Welche Rolle spielt der Energiesektor in Ihren Überlegungen?

FLASBARTH Der Großteil der Treibhausgasemissionen ist energiebezogen. Deshalb werden wir auch in diesem Sektor fün- dig werden, wenn es um weitere Einsparungen geht.

In Deutschland laufen Millionen von Heizungsanlagen, die nicht auf dem Stand der Technik sind. Wie wichtig nehmen Sie die Emissionen aus dem Wohnungssektor?

FLASBARTH Wir werden auch die Wärme in den Blick nehmen.

Schließlich sind die Kosten für Warmwasser und Heizung für die Verbraucher relevanter als alles, was bisher unter dem Schlagwort Strompreisbremse diskutiert wurde. Die bestehen- den Gebäudesanierungsprogramme tragen dazu bei, Heizkos- ten zu begrenzen. Durch die Erneuerung der Heizungsanlage kann aber auch derjenige, der keinen großen Betrag in die Hand nehmen will, in die Modernisierung einsteigen.

Stichwort Gebäudesanierung: Bund und Länder konnten sich bisher nicht über die steuerliche Förderung einigen.

Welche Perspektive sehen Sie?

FLASBARTH Wir wollen zunächst schauen, was wir mit dem verfügbaren Geld und dem vorhandenen Förderinstrumentari- um erreichen können. Vor dem Hintergrund der Bemühungen um Haushaltskonsolidierung halte ich das für den richtigen Ansatz. Es kann zwar sein, dass wir am Ende zusätzliche Maß- nahmen brauchen, aber beim Finanzminister wollen wir erst ganz zum Schluss anklopfen.

16 STREITFRAGEN 03|2014 KLIMA- UND UMWELTSCHUTZ

(19)

Derweil geht die Sanierung des Gebäudebestands zu lang- sam weiter. Was ist hier bis 2020 überhaupt noch möglich?

FLASBARTH Wir wissen, dass wir die Sanierungsquote min- destens verdoppeln müssen, um bis 2050 das Ziel eines weitge- hend klimaneutralen Gebäudebestands zu erreichen. Die Frage ist aber, welcher Beitrag bis 2020 erbracht werden muss. Wir werden in den nächsten Dekaden in anderen Sektoren Schwie- rigkeiten bekommen, noch die nötigen Emissionssenkungen zu erzielen. Im Gebäudebereich wird das noch lange funktionieren – deshalb sehe ich das als Aufgabe für den gesamten Zeitraum bis 2050 und nicht nur für die nächsten Jahre.

Welchen Beitrag werden Sie vom Verkehrssektor verlangen?

Erdgasfahrzeuge senken heute schon den CO2-Ausstoß, trotzdem läuft die steuerliche Begünstigung voraussichtlich in vier Jahren aus.

FLASBARTH Ohne dem Verkehrsminister vorzugreifen – auch in diesem Sektor steckt noch Potenzial. Wir werden bei der Flot- tenerneuerung weiterkommen müssen, auch Elektromobilität spielt eine Rolle. Auch die Verkehrswegeplanung hat einen gro- ßen Einfluss auf die Emissionen.

Ich glaube, dass vor allem synthetisches Gas auf der Basis von Erneuerbaren Energien mittel- und langfristig im Verkehrs- sektor eine wichtige Rolle spielen können. Das hat also eher strategische Bedeutung – außerdem bietet Gas die Möglichkeit, Strom, Wärme und Mobilität zu integrieren.

Die deutschen Klimaschutzziele gehen über die Vorgaben der EU hinaus. Kann dieses Engagement den Verhandlungen über ein internationales Klimaschutzabkommen neue Dy- namik verleihen?

FLASBARTH Einerseits dürfen wir uns nicht überschätzen.

Andererseits hat Deutschland in der Welt ökonomisch und tech- nisch einen Ruf wie Donnerhall. Wenn wir beweisen, dass ein prosperierendes Industrieland erfolgreich engagierten Klima- schutz betreiben kann, werden sich andere sicherlich daran ori- entieren. Aber vor allem ist Klimaschutz ein Modernisierungs- motor für unsere Volkswirtschaft. Die Fähigkeit, sich klimaneutral wirtschaftlich weiterzuentwickeln, wird in Zu- kunft zum wesentlichen Wettbewerbsfaktor zwischen Volks- wirtschaften.

Trotzdem warnen Industrievertreter vor einer Abwande- rung von Unternehmen in Regionen mit niedrigeren Ener- giekosten.

FLASBARTH Die Debatte kenne ich seit mehr als 30 Jahren.

Natürlich geben wir beim Einsatz unserer umwelt- und ener- giepolitischen Instrumente auf die abwanderungsgefährdeten Unternehmen Acht. Und kein vernünftiger Umweltschützer ist zufrieden, wenn eine Produktion hier dicht gemacht und an- derswo wieder aufgebaut wird. Wir müssen unterscheiden, welche Klagen der Industrie berechtigt sind – und wo die Larmoyanz anfängt. Je mehr Larmoyanz im Spiel ist, desto schwieriger wird es, diese Grenze zuverlässig zu erkennen.

KLIMANEUTRALE WIRT-

SCHAFTLICHE ENTWICKLUNG WIRD EIN WESENTLICHER

WETTBEWERBSFAKTOR.

17 KLIMA- UND UMWELTSCHUTZ STREITFRAGEN 03|2014

(20)

TenneT hat eine der weltweit größten Offshore- Konverterplattformen bauen lassen. Solche Pro- jekte sind auf sehr lange Zeiträume angelegt. In welchen Zyklen denken Sie bei einer solchen Investition? Sind die Rahmenbedingungen für die Offshore-Windkraft verlässlich genug, um das durchzuhalten?

LEX HARTMAN Wir denken in Generationen. Das Übertragungsnetz, egal ob an Land oder auf See, ist ausgelegt, damit es jahrzehntelang sicher und zuver- lässig Strom überträgt. Was die Errichtung von An- bindungskapazität betrifft, passen die Rahmenbe- dingungen, seit sie der Gesetzgeber Ende 2012 angepasst hat. Nun gibt es nicht nur eine langfristige Planung für die Entwicklung der Offshore-Wind- energie, sondern auch eine gesetzlich geregelte Haf- tung. Wir sind auf dem besten Weg, die Ziele der

Bundesregierung schon ein Jahr früher zu erfüllen;

bis 2019 werden wir über 7 100 Megawatt Anbin- dungskapazität in der Nordsee haben. Ich hoffe aber, dass dann tatsächlich auch entsprechend viel Off- shore-Wind installiert ist. Bislang kann man realis- tisch jedenfalls nur von rund 3 000 Megawatt Wind-Kapazität ausgehen.

Was ist das Besondere und das Innovative dieser neuen Offshore-Konverterplattform? Wieso wur- de sie eigentlich in Dubai gebaut – zig Tausend Seemeilen von ihrem Einsatzort in der Nordsee entfernt?

HARTMAN Für mich ist so eine Offshore-Plattform und die gesamte Netzanbindung einfach ein impo- santes technisches Meisterwerk. Die Plattform Dol- Win beta ist das Herzstück der Netzanbindung, die 2015 etwa 900 Megawatt Windstrom aus der Nordsee vor Niedersachsen an Land bringen wird. Für sie wur- den insgesamt 23 000 Tonnen Stahl verbaut und sie hat mit 90 Meter Höhe, 101 Meter Breite und 74 Meter Länge fast die Ausmaße eines Fußballfeldes. In ihrem Inneren befindet sich innovative Elektrotechnik, die den von den Windparks erzeugten Drehstrom in Gleichstrom umwandelt. Durch die Übertragung mithilfe von Gleichstrom reduzieren wir Leitungs- verluste über die 135 Kilometer lange Verbindung zur Konverterstation an Land, wo der Gleichstrom wieder

Eine Werft in Dubai baute für den Übertragungsnetzbetreiber

TenneT eine der weltweit größten Konverterplattformen für Off- shore-Windstrom. Lex Hartman erklärt die Hintergründe.

20 000 KILOMETER ÜBER DAS MEER

18 STREITFRAGEN 03|2014 INFRASTRUKTUR

(21)

in Drehstrom umgewandelt wird und dann über das Stromnetz an Land Haushalte und Wirtschaftsunter- nehmen versorgen kann. Die Auswahl der Werft, in der eine Konverterplattform gebaut wird, trifft das mit der Errichtung der Anbindung beauftragte Un- ternehmen. Da kann die Entscheidung für eine Werft auch davon abhängen, ob die wenigen deutschen Werften, die überhaupt so eine große Plattform bauen können, bereits ausgelastet sind.

Die Netzanbindung von Offshore-Windparks war in der Vergangenheit vielfach mit Problemen be- haftet. Sind jetzt alle Schwierigkeiten beseitigt?

Oder muss der Bau von Windparks und Netzan- schlüssen weiterhin besser koordiniert werden?

Wie kann das gelingen?

HARTMAN Die Entwicklung von Wind- und Aus- baukapazitäten kann zukünftig viel besser aufeinan- der abgestimmt werden. Dafür haben die neuen ge- setzlichen Rahmenbedingungen gesorgt, die unter anderem zum allerersten Mal eine Offshore-Planung vorsehen. Das war eine entscheidende Veränderung.

Denn damit ist die Hauptursache für die Verzöge- rungen, wie wir sie in einigen älteren Anbindungs- projekten sehen, beseitigt. Die alten Rahmenbedin- gungen haben dafür gesorgt, dass die Entwicklung von Offshore-Windenergie und Steckdosen auf See eben nicht parallel verlaufen ist. Deshalb gab es manchmal Anbindungen, aber eben öfter auch Windparks mit Verzögerungen.

Was unsere Anbindungsprojekte betrifft, haben wir große Fortschritte gemacht. Wir haben allein seit Sommer 2013 fünf Steckdosen in der Nordsee installiert und werden 2015 über 4 000 Megawatt Windstrom von der See ans Land bringen können.

LEX HARTMAN

ist Geschäftsführer bei TenneT. Das Unternehmen betreibt das Hoch- und Höchstspannungsnetz in den Niederlanden und in großen Teilen Deutschlands.

Nach rund zwei Jahren Bauzeit hat die Konverterplattform am 10. Juni dieses Jahres von Dubai aus ihre Reise nach Europa angetreten. Für die rund 20 000 Kilometer über das Meer benötigte die Plattform, die fast die Ausmaße eines Fußballfeldes einnimmt, rund zwei Monate. Bevor der Konverter in der Nordsee vor der nieder- sächsischen Küste installiert wird, wird er im norwegischen Haugesund endgültig fertiggestellt. Die Netzanbindung wird die Windparks Nordsee One, Gode Wind 1 und Gode Wind 2 an das Stromnetz an Land anschließen.

Eine animierte Grafik zur Seeroute der Platt- form finden Sie in der aktuellen App-Version dieser Ausgabe.

Jetzt im App Store

19 INFRASTRUKTUR STREITFRAGEN 03|2014

(22)

HANS-GÜNTHER MEIER ist Vorstandsmitglied der Stadtwerke Düsseldorf.

Kunst statt Tristesse: Die Trafostation am Kurfürsten- damm in Berlin hat Architekt Julius Baasner in Zusammenarbeit mit IONDESIGN kunstvoll verkleidet mit Stahlrohrrahmen und Paneelen aus poliertem Edelstahl – auch, um die Hemmschwelle für Vandalis- mus heraufzusetzen. Den hatten die Protagonisten selbstverständlich nicht im Sinn: der Schriftzug wurde im Nachhinein am Computer ins Bild eingefügt.

2 STREITFRAGEN 03|2014 INFRASTRUKTUR

(23)

Güstrow in Mecklenburg- Vorpommern hat circa 30 000 Ein wohner – Tendenz sinkend.

In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt Düsseldorf leben fast 20-mal so viele Men- schen – Tendenz steigend.

Beide Kommunen brauchen zukunftssichere Verteilnetze.

Was heißt das im Ballungsraum?

Vor welchen Herausforderun- gen stehen ländliche Gebiete?

Fragen an die Stadtwerke- Manager.

Herr Meier, viele Finanzexperten betrachten eine Betei- ligung an der Energieinfrastruktur mittlerweile als riskan- tes Geschäft. Düsseldorf investiert trotzdem in Netze.

Wie passt das zusammen?

HANS-GÜNTHER MEIER Gerade das Netzgeschäft ist eine wesentliche Säule unseres Unternehmenserfolgs und unserer Finanzkraft. Deshalb investieren wir in unsere Netze für Strom, Gas, Fernwärme und Wasser. Wir werden hier in den nächsten fünf Jahren mehr als 200 Millionen Euro ausgeben. Der größte Teil davon entfällt auf Fernwärme und Strom. Außerdem bauen wir ein hocheffizientes Gaskraftwerk. Da findet eine erhebliche Modernisierung des Energiesystems statt.

Herr Föniger, die Stadtwerke Güstrow investieren pro Jahr bis zu drei Millionen Euro in die Netze. Wie kommt dieser Betrag zustande?

EDGAR FÖNIGER In unserer Region gibt es einen massiven Ausbau von EEG-Einspeisungsanlagen, besonders von Freiflä- chen-Photovoltaikanlagen in unserem Verteilnetz. Durch den erforderlichen Netzausbau entstehen hohe Kosten. Bis zum Jah- resende werden wir in unserem Netz voraussichtlich Photovol- taik-Anlagen mit einer installierten Leistung von mehr als 20 Megawatt haben. Das ist mehr, als Güstrow in der Spitze ver- braucht. An sonnenreichen Tagen speisen wir Strom ins vorgela- gerte 110-Kilovolt-Netz zurück.

EDGAR FÖNIGER leitet als Geschäftsführer die Stadtwerke Güstrow.

3 INFRASTRUKTUR STREITFRAGEN 03|2014

(24)

» ES WIRD IMMER AUFWENDIGER,

VERSORGUNGSSICHERHEIT UND SYSTEM- STABILITÄT ZU GEWÄHRLEISTEN.«

Welche Risiken schafft das?

FÖNIGER Es wird immer aufwendiger, Versorgungssicherheit und Systemstabilität im Verteilnetz zu gewährleisten. Zugleich schrumpft die Bevölkerung unserer Region im Zuge des demo- grafischen Wandels. Beides fordert uns massiv. Wir müssen sehr darauf achten, an den richtigen Stellen zu investieren.

Auch in Düsseldorf ändern sich die Strukturen: Der Dienst- leistungssektor wächst, produzierende Betriebe werden we- niger, auf Gewerbeflächen entstehen Wohngebiete. Was heißt das für die Netze?

MEIER In Düsseldorf befinden sich 13 Prozent der ehemals in- dustriell genutzten Flächen in der Umwandlung in Gewerbe- und Wohngebiete. Dieser Strukturwandel spielt eine massive Rolle für die Netze: Lastschwerpunkte verändern sich, wir müs- sen sie entsprechend umbauen und erneuern – das bedeutet neue Umspanneinrichtungen und kleinteilige Hausanschlüsse sowie den Ausbau der Fernwärme. All das spiegelt sich in unse- ren Investitionen wider.

So ein Umbau macht die von der Kommune betriebene Stadt- entwicklung erst möglich. Herr Föniger, welchen Beitrag zur Umsetzung lokalpolitischer Pläne erwartet man von Ihnen?

FÖNIGER Die Kommune und wir haben gemeinsame Ziele.

Das betrifft zum Beispiel den Klimaschutz. Da realisieren wir Quartiersprojekte zusammen mit Wohnungsgesellschaften.

Wir sorgen für eine effiziente dezentrale Energieversorgung auf

der Basis von Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen, die zum Teil mit Biomethan betrieben werden. Über die Hälfte der Einwoh- ner Güstrows bezieht Wärme aus KWK-Anlagen der Stadtwerke Güstrow GmbH. Und natürlich hat die Kommune verständli- cherweise auch eine Renditeerwartung. Da müssen wir schon mal um Verständnis werben, damit genügend übrig bleibt für unsere Investitionen.

Die dezentrale Erzeugung macht die Energieversorgung zu- nehmend zum kommunalen Thema. In Güstrow entstehen Freiflächen-Solarkraftwerke – was passiert in Düsseldorf?

MEIER Das neue Gaskraftwerk ist ein wesentlicher Baustein unseres dezentralen Systems, denn es dient unter anderem zur regionalen Netzstützung. Die Netze folgen der Erzeugung, vor allem der Ausbau der Fernwärme rankt sich um die neue Anlage herum. Unsere CO2-neutrale Fernwärme hilft der Stadt, ihr Kli- maziel zu erreichen. Darüber hinaus sehen wir außerhalb der Fernwärmegebiete einen wachsenden Bedarf, im Zuge von Quar- tiersentwicklungen Nahwärmenetze, Erneuerbare-Energien- Anlagen sowie Blockheizkraftwerke zu berücksichtigen.

Manche Stadtwerke haben ihr Netz verkauft. Sehen Sie in Ihren jeweiligen Kommunen Begehrlichkeiten, die Energie- infrastruktur abzustoßen und mit dem Erlös den kommu- nalen Haushalt zu stützen?

FÖNIGER Das kann ich klar verneinen. In Güstrow ist man froh, dass die Netze in kommunaler Hand sind, das gehört zur Daseinsvorsorge. Es fragt sich ja auch, wo ein Käufer herkom- men soll. Als die Kommune zuletzt die Konzessionen für das Gas- und Stromnetz öffentlich ausgeschrieben hat, waren die Stadtwerke der einzige Bewerber.

MEIER Wir haben in diesem Jahr mit der Landeshauptstadt Düsseldorf unsere Wasserkonzession erneuert auf 20 Jahre. Bei Strom und Gas steht die Vergabe an. Wir arbeiten mit Hoch- druck daran, auch für diese Sparten den Zuschlag zu erhalten.

Die Finanzierung des Stromnetzes erfolgt über Netzent- gelte. Die liegen im Osten Deutschlands wesentlich höher als im Westen. Wieso?

FÖNIGER Niemand hat erwartet, dass so schnell so viele Er- neuerbare-Energien-Anlagen ans Netz kommen. Da mussten die Netzbetreiber handeln, um die Stabilität zu sichern. Das kostet

4 STREITFRAGEN 03|2014 INFRASTRUKTUR

(25)

» ICH BIN GEGEN EIN SYSTEM, DAS DIE NETZ- ENTGELTE BUNDESWEIT GLEICH MACHT.«

Geld und schlägt sich in den Netzentgelten nieder. Im Nordosten Deutschlands sind diese Entgelte am höchsten, das ist eine Un- gerechtigkeit den Verbrauchern gegenüber.

Was wäre zu tun?

FÖNIGER Es sollte zu einer Wälzung kommen, also einer solidarischen Verteilung der Kosten. Bei uns betragen die Netz- entgelte fast 7 Cent pro Kilowattstunde bei SLP-Kunden, in Düsseldorf sind es 4 Cent. Das ist kaum noch zumutbar.

Herr Meier, sollten wir die finanzielle Belastung durch den Ausbau der Verteilnetze auf mehr Schultern verteilen?

MEIER Von mir kommt ein klares Nein. Das System der Netz- entgelte soll Anreize und Freiräume für unternehmerisches Handeln schaffen. Ich bin gegen ein System, das alles gleich macht. Netzentgelte sind ein klassisches Fixkostenthema: Wo es wenig Menschen gibt, wird es für den Einzelnen teurer. Außer- dem überzeugt mich der isolierte Vergleich der Netzentgelte nicht. Wenn Sie in Güstrow pro Kilowattstunde zwei Cent mehr bezahlen, macht das für den Durchschnittshaushalt 80 Euro im Jahr. Dafür sind sicherlich die Wohnungsmieten deutlich nied- riger als in Düsseldorf. Die jährlichen Mehrkosten für Strom ho- len Sie durch die niedrigere Miete rasch auf.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, durch Kostensenkungen die Netzentgelte zu verringern?

FÖNIGER Als Mehrsparten-Unternehmen nutzen wir jetzt schon jede Gelegenheit, um durch die Koordination der Bau- maßnahmen Kosten zu reduzieren. Wenn eine Straße saniert wird, erneuern wir bei Bedarf gleichzeitig die Netze.

MEIER Dasselbe gilt für Düsseldorf. Durch gute Abstimmung müssen wir den Graben nur einmal aufmachen, das spart viel Geld. Außerdem schaffen unsere Investitionen in sichere Technik die Voraussetzung für einen kostengünstigen Netzbetrieb. Dazu findet eine gute Koordination mit der Stadt Düsseldorf zur Sen- kung der finanziellen und verkehrstechnischen Belastung statt.

Brauchen Sie für eine kostengünstige, nachhaltig tragfähige Netzplanung den intelligenten Zähler? Oder bleibt der ein technisches Spielzeug?

FÖNIGER Unsere Erfahrung sagt: Der Kunde benötigt ledig- lich ein Gerät, das neben der Verbrauchsmessung zusätzlich den momentanen Verbrauch anzeigt. Innerhalb von 14 Tagen hat er dann die Stromfresser abgeschaltet oder ersetzt. Danach wird der Smart Meter kaum wieder angeguckt.

Welche Möglichkeiten für einen kostengünstigen Netz- betrieb bieten Kooperationen?

MEIER Wir sehen da großes Potenzial. Denn: Die Netzbetrei- ber stehen nicht im Wettbewerb, ihre Gebiete grenzen aneinan- der, sie erfüllen dieselben Aufgaben und folgen derselben Orga- nisationslogik. Wir haben mit den Versorgungsunternehmen aus Köln und Duisburg das Projekt »Rheinschiene« aufgesetzt.

Dort suchen wir nach Möglichkeiten, Prozesse und Materialien zu standardisieren. Einheitliche Abläufe bieten die Chance, qualifizierte Mitarbeiter flexibel einzusetzen. Standardisierte Materialien könnten wir gemeinsam einkaufen und durch Bün- delung des Volumens Preisvorteile erzielen.

FÖNIGER Wir kooperieren bereits beim Energie-Einkauf mit acht anderen kommunalen Stadtwerken. Weitere Möglichkeiten sehe ich bei gemeinsamen Projekten für kommunale Wind- parks. Denn Mecklenburg-Vorpommern ist eine Windkraftregi- on, zwei Prozent der Landesfläche sollen als geeignete Standorte für Windräder ausgewiesen werden. Neue Anlagen stoßen aber in den Tourismusregionen zunehmend auf Akzeptanzproble- me. Die Landesregierung traut der kommunalen Ebene eher zu, weitere Windparks zu realisieren. Auch dabei könnten Stadt- werke zusammenarbeiten. Netzkooperationen mit angrenzen- den Netzbetreibern sind für uns ebenfalls vorstellbar und in unserem Flächenland durchaus sinnvoll und kostensparend.

5 INFRASTRUKTUR STREITFRAGEN 03|2014

(26)

LÄRMSCHUTZWAND AUS LUFT

Um Offshore-Windräder sicher zu verankern, werden Funda- mente in den Meeresboden gerammt. Das erzeugt Lärm, der das Gehör von Schweinswalen schädigen kann. Die Blasenschleier- Technik schützt die Meeressäuger: Der Vorhang aus Luftblasen schluckt mehr als 90 Prozent des Ramm-Krachs.

DAS VERLEGESCHIFF platziert den Schlauch rund um die Baustelle auf dem Meeresboden. Der Kompressor an Bord liefert die nötige Pressluft.

DER BLASENSCHLEIER bremst die Ausbreitung des Unter- wasserlärms. Bei Bedarf können auch mehrere »Vorhänge« um eine Baustelle gezogen werden.

DIE SCHALLWELLEN

werden vom Blasenschleier absorbiert und gestreut.

DER DÜSENSCHLAUCH lässt den Blasenschleier aufsteigen.

SCHWEINSWALE

stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Starker Lärm kann ihr Leben bedrohen:

Er schädigt ihr Gehör so schwer, dass sie es nicht mehr zur Orientierung und zur Nahrungssuche einsetzen können.

DIE RAMMPLATTFORM verankert die Fundamente der Windräder im Meeresboden.

(27)

DR. GEORG NEHLS

führt die BioConsult SH. Das Husumer Unternehmen hat sich auf Umwelt- verträglichkeitsstudien und ökologische Forschung spezialisiert.

HERR DR. NEHLS, MÜSSEN WIR UNS BEI DER OFFSHORE­

WINDKRAFT ZWISCHEN KLIMASCHUTZ UND NATUR­

SCHUTZ ENTSCHEIDEN?

UNTERWASSER­SCHALL­SCHUTZ DURCH DIE BLASENSCHLEIER­

TECHNOLOGIE BIETET EINE LÖSUNG DES PROBLEMS. WIE ARBEITET DAS SYSTEM?

IST DAS LÄRMPROBLEM UNTER WASSER DAMIT GELÖST?

Es gibt sicherlich keine Form der Energie- erzeugung in Deutschland, für die ein derart enges Regelwerk aufgestellt wurde wie für die Offshore-Windenergie. Erheb- liche Eingriffe in die Meeresumwelt wer- den dadurch ausgeschlossen. Meeres- schutzgebiete sichern in einem Drittel der deutschen Meeresgewässer die ökolo- gisch wertvollsten Bereiche. Außerhalb dieser Gebiete erfolgt die Genehmigung von Offshore-Windparks auf der Grundla- ge sehr umfangreicher Voruntersuchun- gen und strenger Prüfungskriterien.

Gleichzeitig ist dem Naturschutz jedoch nicht vorzuhalten, dass er den Ausbau der Offshore-Windenergienutzung verhin- dert hat. Dieser wird sicherlich eher durch die Ausbauziele der Bundesregierung und durch fehlende Kapazitäten der Netzanbindung gebremst. Die Frage, wel- chem Anliegen der Vorrang zu gewähren ist, stellt sich im Großen daher nicht. Im Einzelfall, also bei der Planung einzelner Vorhaben, hätte der Naturschutz Vorrang:

Wenn ein beantragtes Vorhaben zu erheb- lichen Auswirkungen auf die Meeresum- welt führt, ist es nicht zulässig.

Sehr strenge Maßstäbe werden in Deutschland beim Unterwasserschall an- gelegt, da man bei schallintensiven Rammarbeiten eine Gefährdung von Schweinswalen befürchtet. Die Windin- dustrie wurde daher verpflichtet, bei den Rammarbeiten sehr aufwendige Schall- minderungsmaßnahmen anzuwenden.

Ein Blasenschleier funktioniert so, dass durch ein auf dem Meeresboden verlegtes Düsenrohr Druckluft gepumpt wird, die aus vorgefertigten Poren austritt und in der Wassersäule aufsteigt. Bei kreisför- miger Verlegung des Düsenrohrs entsteht ein Blasenschleier, der die Rammbaustel- le umschließt. Aufgrund der sehr hohen Dichteunterschiede zwischen Luft und Wasser wird die Schallausbreitung ge- stört: Die Blasen absorbieren und streuen den Schall. Besonders stark werden die hohen Frequenzen gedämpft, die für Schweinswale gut hörbar sind. Blasen- schleier wurden in den letzten Jahren bei mehreren Bauvorhaben getestet und schließlich erfolgreich bei den Rammun- gen eingesetzt. Dabei konnten Schallmin- derungen von zwölf Dezibel und mehr erzielt werden. Dies entspricht einer Ver- ringerung der Schallenergie um mehr als 90 Prozent. Untersuchungen an Schweinswalen zeigen sehr deutlich, dass die Störung dieser Tiere dadurch wesent- lich verringert werden kann.

Der Einsatz von Blasenschleiern und wei- teren Schallschutzmaßnahmen hat sich als sehr erfolgreich erwiesen. Schwierig- keiten bereitet der Schallschutz aber bei Vorhaben in größeren Wassertiefen. Ob und mit welchem Aufwand es hier gelin- gen kann, die hohen Anforderungen zu erfüllen, lässt sich noch nicht abschlie- ßend beurteilen. Da Deutschland bisher weltweit das einzige Land ist, in dem Offshore-Rammarbeiten durch Schall- schutzmaßnahmen begleitet werden, lässt sich nicht auf Erfahrungen von an- derer Seite zurückgreifen. Die Weiterent- wicklung und Verbesserung des Schall- schutzes ist ein noch laufender Prozess.

Ob weitere Maßnahmen notwendig sind oder ob man den beträchtlichen Auf- wand reduzieren kann, sollte anhand der Erfahrungen aus den ersten Projekten be- antwortet werden. Wie stark der verblei- bende Lärm die Schweinswale stört, wird man in den nächsten Monaten anhand dieser Daten diskutieren können.

25 INFRASTRUKTUR STREITFRAGEN 03|2014

(28)

Was verstehen Sie unter einer nachhaltigen Energieversorgung?

DR. ROLF MARTIN SCHMITZ Sicher, klimafreund- lich und bezahlbar – so muss eine nachhaltige Ener- gieversorgung sein. Klar, diese Kriterien geraten bis- weilen in Konkurrenz zueinander. Dann müssen wir vernünftig abwägen und keines der Ziele aus den Au- gen verlieren – wir müssen die Balance halten.

Der Anteil von Braun- und Steinkohle an der deut- schen Stromerzeugung kletterte 2013 auf rund 45 Prozent. Wie passt das zu einer nachhaltigen Stromversorgung?

SCHMITZ Das ist nur vordergründig ein Wider- spruch. Im Sinne einer nachhaltigen Stromerzeu- gung leisten Kohlekraftwerke durchaus ihren Bei- trag, denn sie sorgen vor allem für Sicherheit und Bezahlbarkeit. Nach dem beschleunigten Ausstieg aus der Kernenergie wurde die Grundlast vermehrt durch Kohlekraftwerke bereitgestellt – das war ab-

sehbar. Dieser Effekt ist aber temporär und gegen- wärtig durch den weiteren Ausbau der Erneuerbaren rückläufig. Davon unabhängig: Für das Klima ist es irrelevant, ob in Deutschland mehr Kohlekraftwerke laufen, denn durch die Deckelung der Zertifikate im EU-Emissionshandel steigt dadurch der CO2-Aus- stoß insgesamt nicht.

Kohleverstromung setzt CO2 frei. Der europäische Emissionshandel soll Anreize zur CO2-Vermei- dung setzen. Allerdings kann das Instrument im Moment durch einen Überschuss an Zertifikaten im Markt und einen entsprechenden Verfall des CO2-Preises diese Wirkung nicht entfalten. Wie sollte eine Reform des Emissionshandels Ihrer Meinung nach konkret aussehen?

SCHMITZ Der EU-Emissionshandel funktioniert und er sollte das zentrale Klimaschutzinstrument in der EU bleiben! Das System soll dafür sorgen, dass CO2-Reduktionsziele für den Kraftwerks- und Indus- triesektor zielgenau erreicht werden – und genau das

Dem Klima kann es egal sein, ob deutsche Kohlekraftwerke laufen, meint Dr. Rolf Martin Schmitz, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der RWE AG. Denn: Die vom EU- Emissionshandel gesetzte Obergrenze für den CO 2 -Ausstoß wird eingehalten.

KOHLEKRAFTWERKE

SORGEN FÜR SICHERHEIT UND BEZAHLBARKEIT.

pro

26 STREITFRAGEN 03|2014 INFRASTRUKTUR

(29)

Was ist die Lösung für eine nachhaltige Energieversorgung?

OLIVER KRISCHER Es muss Schluss sein damit, dass wir weiter Energie auf Kosten folgender Generationen, anderer Regionen in der Welt und auf Kosten von Natur und Umwelt produzieren. Er- neuerbare Energien, Effizienz und Einsparung sind deshalb die Lösung für eine nachhaltige Energieversorgung in allen Sektoren.

Wie passt der hohe Anteil der konventionellen Stromerzeu- gung zu einer nachhaltigen Stromversorgung?

KRISCHER Gar nicht. Wenn wir die Klimaschutzziele Deutsch- lands ernst nehmen und spätestens Mitte des Jahrhunderts eine nahezu CO2-freie Wirtschaft haben wollen, dann ist der Kohle- ausstieg nicht eine Frage des Ob, sondern nur noch des Wie. Es geht darum, den ohnehin anstehenden Strukturwandel im fos- silen Kraftwerk so zu steuern, dass die ineffizienten und unflexi- blen Methusalem-Kohlekraftwerke aus den 50er und 60er Jahren des vorherigen Jahrhunderts zuerst aus dem Markt gehen.

Das bietet den vorhandenen modernen und flexiblen Anlagen eine wirtschaftliche Perspektive bis zur Vollversorgung mit Er- neuerbaren Energien. Es kann doch nicht sein, dass hocheffizien-

te Gaskraftwerke eingemottet werden, Uralt-Kohlekraftwerke aber rund um die Uhr laufen. Abgesehen davon ist es alles andere als zukunftsfähig und nachhaltig, ganze Landschaften inklusive der dort lebenden Menschen abzubaggern für eine Kohle, die zu 60 Prozent aus Wasser besteht und bei deren Verbrennung nicht nur Unmengen CO2, sondern auch noch Quecksilber, Feinstaub und andere Schadstoffe in die Umwelt geblasen werden.

Brauchen wir eine Reform des Emissionshandels?

KRISCHER Eine Reform des Emissionshandels ist dringend nö- tig, um den Ausstoß von CO2 zu mindern. Dazu reicht es nicht aus – wie von Union und SPD im Koalitionsvertrag vereinbart –, 900 Millionen. Emissionszertifikate vorübergehend vom Markt zu nehmen, sondern es müssen dauerhaft 2 Milliarden Zertifikate herausgenommen werden. Die Marktstabilitätsreserve muss spä- testens zum Jahr 2016 eingeführt werden, um parallel zu einer Stabilisierung des Zertifikatepreises zu sorgen.

In einigen Jahrzehnten soll die deutsche Wirtschaft nahezu CO 2 -frei arbeiten. Aus der Sicht von Oliver Krischer, dem stellvertretenden Fraktionschef der Grünen im Bundestag, ist dann kein Platz für mehr Kohlekraftwerke.

BEIM AUSSTIEG AUS

DER KOHLE GEHT ES NUR NOCH UM DAS WIE.

contra

27 INFRASTRUKTUR STREITFRAGEN 03|2014

(30)

tut der Emissionshandel auch. Dass die Preise derzeit relativ gering sind, hat einerseits mit der geringen Nachfrage in der teilweise kriselnden europäischen Wirtschaft zu tun, aber auch mit dem parallelen Aus- bau der Erneuerbaren Energien. Das Instrument an sich funktioniert und reduziert die CO2-Emissionen auf die kostengünstigste Weise.

Bis 2020 will die Bundesregierung den CO2-Aus- stoß gegenüber 1990 um 40 Prozent vermindern.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat das gerade noch einmal bekräftigt. Kann Deutsch- land dieses Ziel erreichen ohne einen Kohle- ausstieg?

SCHMITZ Die Schließung deutscher Kohlekraft- werke bedeutet lediglich, dass meist weniger effizi- ente Kraftwerke in den Nachbarländern die Strom- produktion übernehmen; es würde deswegen noch lange kein Gaskraftwerk in Deutschland laufen. So verlagert sich der CO2-Ausstoß ins Ausland – was an der Gesamtbilanz nichts ändert. Aber die Wert- schöpfung ist dann ebenfalls ins Ausland verlagert.

Das wäre industriepolitischer Nonsens, schädlich für die Versorgungssicherheit und ohne Nutzen für das Klima – also alles andere als nachhaltig. Um die nationalen CO2-Ziele zu erreichen, sollten Maßnah- men außerhalb des Emissionshandelssektors ergrif- fen werden, etwa bei Gebäuden oder im Verkehr. Aber um es von meiner Seite klar zu sagen: Ich halte natio- nale CO2-Ziele ohne europäische Harmonisierung für wenig hilfreich.

Eine nachhaltige Energieversorgung muss lang- fristig belastbar und funktionsfähig bleiben.

Dafür brauchen wir auch konventionelle Kraft- werke als Reserve. Was bedeutet das für Ihre Bewertung der konventionellen Erzeugung und insbesondere der Kohlekraftwerke?

SCHMITZ Konventionelle Kraftwerke werden in der Tat noch lange gebraucht. Wie lange das genau sein wird, ist heute noch nicht absehbar. Es hängt davon ab, wann zuverlässige und wirtschaftliche Alternati- ven zur Verfügung stehen, um jederzeit gesicherte Leistung zur Verfügung zu stellen. Aber lassen wir das doch den Markt entscheiden. Der BDEW hat den Vorschlag eines dezentralen Marktes für gesicherte Leistung gemacht, der gewährleistet, dass jederzeit genügend Leistung zur Verfügung steht. Hier kann jede Erzeugungs-, Speicher- und Laststeuerungstech- nologie in Wettbewerb treten – die kostengünstigsten werden sich auch vor dem Hintergrund der europäi- schen CO2-Ziele durchsetzen.

Die Deutschen treiben den Ausbau der Stromer- zeugung aus Erneuerbaren Energien mit Milliar- denbeträgen voran, während die Stabilität der Net- ze und die Versorgungssicherheit zunehmend in Frage gestellt werden. Was ist daran nachhaltig?

SCHMITZ Der Schwenk zu umweltfreundlichen Er- neuerbaren Energien ist richtig, doch er muss ge- steuert werden. Sonst laufen wir Gefahr, die Ziele Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit aus den Augen zu verlieren. Das ist dann nicht mehr nach- haltig. Bei den Erneuerbaren hat Deutschland bis- lang alle Ausbauprognosen übertroffen. Jetzt gilt es, darauf zu achten, dass die Kosten nicht weiter aus dem Ruder laufen und durch Netzausbau und ein er- gänztes Strommarktdesign Versorgungssicherheit gewahrt bleibt.

Die Energiewirtschaft ist viel mehr als Strom.

Energieeffizienz ist ein großes Thema. Das müssen wir angehen. Aber bitte nicht wieder mit ausufern- den Markteingriffen.

» NATIONALE CO 2 ­ZIELE OHNE EUROPÄISCHE HARMONISIERUNG SIND WENIG HILFREICH.«

DR. ROLF MARTIN SCHMITZ ist stellvertretender Vorstands- vorsitzender der RWE AG.

28 STREITFRAGEN 03|2014 INFRASTRUKTUR

(31)

Kann Deutschland sein CO2-Einsparzielerreichen ohne einen Kohleausstieg?

KRISCHER Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2050 die CO2-Emissionen um 80 bis 95 Prozent senken. Doch in den letz- ten Jahren ist der CO2-Ausstoß sogar noch gestiegen und wenn wir nicht gegensteuern, werden wir selbst das 2020-Ziel kra- chend verfehlen. Leider hat Frau Hendricks bisher keine konkre- ten Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes genannt geschweige denn angepackt. Natürlich müssen auch der Wär- me- und der Verkehrssektor ihren Beitrag bringen. Aber klar ist auch: Das Klimaschutzziel ist nur mit sinkenden und (nicht stei- genden) CO2-Emissionen zu erreichen sowie mit einer Stromer- zeugung, die perspektivisch auch klimaneutral ist.

Eine nachhaltige Energieversorgung muss langfristig be- lastbar und funktionsfähig bleiben. Das heißt: Für die

»dunkle Flaute« werden konventionelle Kraftwerke als Re- serve gebraucht. Was bedeutet das für Ihre Bewertung der konventionellen Erzeugung und insbesondere der Kohle- kraftwerke?

KRISCHER Der Ausbau der Erneuerbaren Energien führt logi- scherweise dazu, dass konventionelle Kraftwerke immer weni- ger Betriebsstunden erreichen und über den Energy-only-Markt alleine nicht mehr wirtschaftlich betrieben werden können. Wir brauchen allerdings noch auf absehbare Zeit Kapazitäten, die je nach Bedarf rasch zu- oder abgeschaltet werden können, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint. Ein neues Strom- marktdesign muss sicherstellen, dass flexible Kraftwerke, Kraft-Wärme-Kopplung, Lastmanagement und Speicher die Versorgungssicherheit garantieren können. Wir schlagen des- halb das Instrument des »ökologischen Flexibilitätsmarkts«

vor, das die Bereitstellung gesicherter Leistung mit dem anste- henden Strukturwandel im fossilen Kraftwerkspark verbindet.

Unverständlicherweise schiebt die Große Koalition trotz an- derslauten der Ankündigungen die Schaffung eines mit dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien kompatiblen

Strommarktdesigns auf die lange Bank. Damit wird sie ihrer Verantwortung für eine sichere und klimafreundliche Energie- versorgung auch in diesem Bereich nicht gerecht.

Tun wir insgesamt genug, um das Gesamtsystem auf eine neue, nachhaltig tragfähige Basis zu stellen?

KRISCHER Ein Anteil von 28 Prozent Erneuerbarer Energien im Stromsektor mit kWh-Preisen für Wind und Sonne zum Teil deutlich unter 10 Cent, wie wir ihn heute haben, ist vor ein paar Jahren von vielen »Experten« noch für völlig unmöglich gehal- ten worden. Dabei hat sich die Versorgungssicherheit, wie die Zahlen der Bundesnetzagentur zeigen, sogar noch verbessert und weltweit ein Spitzenniveau erreicht. Natürlich bringt der Transformationsprozess – zumal wenn er von der Bundesregie- rung miserabel gemanagt wird – Schwierigkeiten und Probleme für die Energiewirtschaft mit sich. Die Alternative zu dieser Entwicklung hieße aber, wir bauen neue Atom- und Kohlekraft- werke. Das aber ist nicht nachhaltig, erhöht unsere Abhängig- keit von Energierohstoffimporten und ist darüber hinaus kei- neswegs billiger. Im Gegenteil: Die kWh-Preise von neuen (!) Kohle- und Atomkraftwerken übertreffen die von Wind und Sonne deutlich, wie z.B. die Ausschreibung für neue AKW in Großbritannien gezeigt hat, von den nicht eingerechneten Fol- gekosten einmal ganz abgesehen. Richtig ist, dass wir uns auch vielmehr um den Klimaschutz und die Energiewende im Wär- me- und Stromsektor kümmern müssen.

» WENN WIR NICHT GEGENSTEUERN, WERDEN WIR UNSER CO 2 ­ZIEL FÜR 2020 VERFEHLEN.«

OLIVER KRISCHER

ist stellvertretender Fraktionschef der Grünen im Bundestag.

Vergleichen Sie die Veränderungen der Emissionen und Wirkungsgrade von Braun- und Stein kohle sowie Erdgas in der App-Version dieser Ausgabe.

Jetzt im App Store

29 INFRASTRUKTUR STREITFRAGEN 03|2014

(32)

aufgrund der häufig weniger effizienten Produktionsverfahren – einen deutlich höheren spezifischen Energieeinsatz. Und auch die Bevölkerungsentwicklung insgesamt trägt zur Erhöhung des Energiebedarfs bei. Nach Angaben der Internationalen Ener- gieagentur (IEA) wird der weltweite Energieverbrauch im Jahr 2035 um ein Drittel höher liegen als noch zwei Dekaden zuvor.

Die Wirtschaft wächst – weltweit im vergangenen Jahr um drei Prozent. Und damit wächst auch der Bedarf an Energie. Dies macht sich insbesondere in Schwellenländern wie Indien und China bemerkbar. Sie haben den größten »Energiehunger«.

Denn im Vergleich zu den Industrieländern haben sie ein höhe- res Wachstum, eine zahlenmäßig größere Bevölkerung und –

» NACHHALTIGE ENERGIE­

VERSORGUNG WELTWEIT –

DAS IST DIE ZUKUNFT!«

Auch Schwellen- und Entwicklungsländer können von mehr Energieeffizienz und der Nutzung Erneuerbarer Energien profitieren, meint Tanja Gönner von der Deutschen

Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit.

30 STREITFRAGEN 03|2014 INFRASTRUKTUR

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Um eine Chance, die geplanten Ziele (persönliche Ziele und global geplanten Ziele, Senkung der CO2 Emissionen bis 2030 zu halbieren… ) auch umzusetzen, ist es oft besser Änderungen

Somit kann in dem vollständig klimatisierten Ge- bäude das ganze Jahr über eine gleiche Temperatur gewährleistet werden, die so für optimale Arbeits- bedingungen sorgt..

Zum anderen haben sich durch verschärfte Ent- flechtungsvorschriften, die Weiterentwicklung des Bilanzierungsregimes und die Zusammenlegung von Marktgebieten die Spielregeln für

Aber das muss so nicht bleiben: ein verstärkter Ausbau von Erneuerbaren Energien oder mehr Energieeffizienz im Gebäudesektor und in der Industrie sind sicherlich langfristig

Diese Versicherungspolicen decken die entsprechenden Risiken auf Gruppenstufe für alle rechtlichen Einheiten der COLTENE Gruppe ab.. Das zentrale Risikomanagement ist im Kapitel

Was wir wie viele andere auch nicht erwartet hatten, war, dass die regenerativen Energiequellen so dynamisch zulegen würden wie sie es in den vergangenen Jahren getan haben und

Und dann wird man sich die Kosten näher anschauen: Die Vermeidungskosten für eine Tonne CO 2 liegen für Photovoltaik bei 307 Euro, bei der Umrüstung eines alten Gaskessels

fuchs Wenn es einen Konsens über alle großen Parteien hin- weg für einen Ausstieg gibt und dieser Konsens zugleich verbun- den wird mit dem Hinweis, dass das nur mit einem Ausbau der