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Archiv "Handke-Lesung: Umstrittener Serbien-Reisebericht" (15.03.1996)

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M

ir kam es vor, als hätte er den Text das erste Mal gesehen.“ Diese Reaktion eines Besuchers war fast die einzige hörbare Kritik an der ersten Lesung von Peter Handke aus seinem Buch „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morava und Drina oder Ge- rechtigkeit für Serbien“, das zuvor in den Medien heiß dis- kutiert worden war. Einige Autoren hatten Handke vor- geworfen, unkritisch die Seite der Serben zu vertreten, an- dere seinen Reisebericht als notwendigerweise einseitige Eindrücke eines Schriftstel- lers verteidigt. Zwei junge Männer ärgerten sich bei der Lesung im Hamburger Tha- lia-Theater noch über die

„grenzenlose Naivität“ des bei Paris lebenden Schrift- stellers, und auf den Rängen gab es zwei im gesetzten Bei- fall untergehende Buh-Rufe.

Vor dem Theater verteilte ein junger Mann ein mehrsei- tiges Flugblatt, das mit dem Paragraphen 131 Strafgesetz- buch begann: „Wer Schriften verbreitet, die unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Men- schen in einer Art schildern, die eine Verharmlosung sol- cher Gewalttätigkeiten aus- drückt, wird mit Freiheits- strafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bestraft.“ Handke wurde auf dem Flugblatt be- schuldigt, er verschleiere und verharmlose, „daß auf Befehl der serbischen Führung ganze Völker teils vertrieben, teils ermordet werden“. Er setze in seinem Buch Täter und Opfer gleich, vergesse rund 300 000 Tote und Millio- nen Flüchtlinge.

Der so Gescholtene wirkte auf dem Podium äußerlich ge- lassen, phasenweise fast teil- nahmslos. Wie ein roter Faden zog sich Kritik an den Medien durch die Lesung, sprach Handke von „Haß-Leitar- tiklern“ bei westdeutschen Zeitungen. Die westeuropäi-

schen und amerikanischen Journalisten seien mit vorge- fertigten Meinungen an den Kriegsschauplatz im ehemali- gen Jugoslawien gereist, hät- ten sich nicht um Hintergrün- de, nicht um die Geschichte gekümmert. Er nannte die von ihm kritisierten Journali- sten Scharfrichter, die den Serbenführer Radovan Ka- rad`´zi´c absichtlich fortgesetzt mit Psychiater und Doktor ti- tulierten. Sie spekulierten da- bei seiner Meinung nach auf die verbreitete Meinung, wo- nach jeder Psychiater für sich ein eigener Fall sei.

Handke gestand zu, daß die Berichterstattung über den Krieg auf dem Balkan verwickelt sei. „Was weiß man, wenn man nur Wissens- besitz hat, ohne jenes tatsäch- liche Wissen, welches allein durch Schauen und Lernen entstehen kann? Warum der geile Fakten-Verkauf?“ zi- tierte der Schriftsteller aus seinem umstrittenen Buch.

Er habe zwar schon vor Aus- bruch der Kämpfe Serbien besuchen wollen, sei aber

nach Lektüre der Tageszei- tungen in seinem Wunsch eher noch bekräftigt worden.

Handke bedauerte die grausamen Ereignisse in Sa-

rajevo, in Srebenica und im Kosovo. Auch zitierte er den Aufschrei eines Serben und dessen Kritik an der serbi- schen Führung, fügte aber gleichzeitig hinzu: „Und doch wollte ich das nicht glauben.“

Vielmehr habe er wissen wol- len, warum es zu Greueltaten und wie es zur Zerschlagung Jugoslawiens kommen konn-

te. Auch erinnerte er daran, daß er „nie Bilder von Ser- ben-Opfern zu Gesicht be- kommen“ habe.

Auf dem Flugblatt war vom Gegenteil die Rede. Die Ver- fasser verwiesen auf den Ein- marsch des inzwischen in Deutschland verhafteten Ser- ben-Aktivisten Arkan und sei- ner Gefolgsleute am 2. April 1992 in den Ort Bijeljina. Sie zi- tierten einen an- schließend nach Deutschland ge- flohenen Mos- lem. Dieser ha- be nach dem Massaker an der moslemi- schen Bevöl- kerung seine schwerverwun- dete Mutter und seine toten Schwestern auf dem Hof ih- res Hauses gefunden; „den Schwestern hingen die Ge- därme raus“. Er habe sich vor den serbischen Nachbarn ver- stecken müssen, habe keine Hilfe für seine Mutter holen können. Kurz darauf habe ein serbischer Sender dann an- gebliche „serbische Opfer des Angriffs der Mudjahedin auf Bijeljina“ gezeigt. afp

A-707 Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 11, 15. März 1996 (77)

V A R I A FEUILLETON

Umstrittener

Serbien-Reisebericht

Handke-Lesung

Am 2. Januar 1816 wurde der Ärztliche Verein in Ham- burg gegründet und damit auch eine eigene Bibliothek.

Es handelte sich um eine me- dizinische Handbibliothek, die in einem Lesezimmer bei der Patriotischen Gesell- schaft den Mitgliedern des Vereins zur Verfügung stand.

Der Bestand wuchs schnell an, allerdings gingen viele wertvolle Bände beim großen Brand in Hamburg im Mai 1842 in Flammen auf.

Der Verein bat danach in ganz Deutschland und im eu- ropäischen Ausland um Buchspenden zum Wieder- aufbau der Bibliothek. Die

Folge war, daß mehr als 30 000 medizinische Bücher und Zeitschriften schnell zu- sammenkamen, so daß die Hamburger Bibliothek sofort wieder über einen aktuellen Bestand verfügen konnte. Bis zur Jahrhundertwende stan- den bereits 50 000 Bände in den Regalen, darunter viele Erstausgaben.

Heute wird dieser „Altbe- stand“ in Hamburg weltweit hochgeschätzt, weil die mei- sten anderen deutschen medi- zinischen Fachbibliotheken durch Zerstörungen im Zwei- ten Weltkrieg verlorengegan- gen sind. Der Hamburger Neu- rologe Prof. Max Nonne hatte

die gesamte Bibliothek des Ärztlichen Vereins schon vor Beginn der Bombenangriffe auf Hamburg in sein Ferien- haus in Schleswig-Holstein auslagern lassen, so daß gleich nach Kriegsende der so geret- tete Bestand wieder in Ham- burg benutzt werden konnte.

Heute enthält die Biblio- thek des Ärztlichen Vereins im Gebäude der Staats- und Universitäts-Bibliothek „Carl von Ossietzky“ mehr als 120 000 Bände medizinischer Fachliteratur, dazu fast alle Fachzeitschriften und die Ab- teilung „Arzt und Poet“. Die Bibliothek ist öffentlich. Im April 1996 wird zum 180jähri- gen Bestehen des Ärztlichen Vereins und seiner Bibliothek eine Ausstellung in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg gezeigt. EB

180 Jahre Ärztliche Bibliothek

Vor Zerstörungen gerettet

Der österreichische Schriftsteller Peter Handke kurz nach sei- ner Lesung aus seinem neuen Buch „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morava und Drina oder Gerechtig- keit für Serbien“ im Hamburger Thalia-Theater Foto: dpa

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