Kurt Schwitters gehört zu den Universalkünstlern seiner Zeit. Als Maler, Grafiker, Ty- pograph und Schriftsteller verdiente er sein Ansehen und seinen Lebensunterhalt. 1917 entstanden seine frühen Dichtungen. In Berlin nahm er ersten Kontakt zur Dada- Bewegung auf. Kurz darauf schrieb er sein bekanntestes Gedicht, aus dem nur die er- sten Zeilen zitiert werden:
„An Anna Blume O du, Geliebte meiner siebenundzwanzig Sinne, ich liebe dir! –
Du deiner dich dir, ich dir, du mir.“
In der Ausstellung sind bekannte Werke, aber auch
frühe Skizzen und Zeichnun- gen zu sehen. 1919 ent- wickelte Schwitters sein er- stes Merzbild aus Papier- stücken, die er in der Colla- getechnik zusammenklebte.
Das Wort Merz entnahm er aus Commerz- und Handels- bank; er fasste ab diesem Zeitpunkt alle seine künstle- rischen Aktivitäten unter dem Begriff Merz zusam- men. „Merz bedeutet, Bezie-
hungen schaffen, am liebsten zwischen allen Dingen der Welt“, schrieb Schwitters 1924.
In den Merz-Bildern ver- wendete er zufällig gefunde- nes Material aus Abfällen, wie zum Beispiel abgefahre-
ne Fahrscheine, Haare, Nä- gel, Draht, Stoff, Blech, alte Zeitungen und ähnliche
„Materialien“. Diese Assem- blagen, diese dreidimensio- nalen Hochreliefs, die aus der Kombination verschie- dener Materialien und Ob- jekten bestehen, klebte, na- gelte, nähte, druckte und be- malte er. Sämtliche Werke tragen autobiografische Zü- ge, da Schwitters Dinge aus seinem Leben verklebte, wie zum Beispiel seine Ein- trittskarten zu Veranstaltun- gen oder Straßenbahnkar- ten. Das Spielzeug seines Sohnes, einige Holzkegel und Bauklötze, gelangten auch so in das Merzbild 46a – Das Kegelbild.
Eine Rekonstruktion sei- nes Gesamtkunstwerkes, des Merzbaus, mit dem er die Trennung zwischen Kunst und Leben auflösen wollte, befindet sich am Anfang der Ausstellung. Diese begehba- re Installation in kühlem Weiß, die ursprünglich ab 1920 in seiner Wohnung in Hannover wuchs, geht von der so genannten Schwitters- säule, einer abstrakten Gips- plastik, aus. Viele der einge- arbeiteten Grotten widmete er Freunden und Künstler- kollegen. Von diesen Perso- nen sammelte er dafür per- sönliche Dinge, zum Bei- spiel Haare, ein zerrissenes Schuhband, Fotos, aber auch Collagen, Plastiken und an- dere Objekte. Fotos doku- mentierten den Wachstums- prozess dieses Merzbaus.
1937 emigrierte der „ent- artete“ Schwitters nach Nor-
wegen, drei Jahre später rei- ste er weiter nach England.
In beiden Ländern konnte er mit seinen Merzarbeiten kein Geld verdienen und stieg wieder um auf die Öl- malerei mit Landschaften und Porträts, von denen eini- ge Werke in der Ausstellung zu besichtigen sind.
Die Arbeiten der zeit- genössischen Künstler, die im Dialog dazu stehen, sind speziell für die Ausstellung zum Themenbereich Atelier, Höhle und Zelle entwickelt.
Einige witzige, nachdenkli- che und ideenreiche Werke sind darunter. Auch sie ar- beiteten teilweise Abfallpro- dukte mit in die Assembla- gen ein. Besonders beein- druckend ist die Bar-Instal- lation, in der es an nichts fehlt, von Edward Kienholz:
The Beanery. Die Musik läuft, das Stimmengewirr lautstark, die Gäste haben Gesichter aus unterschiedli- chen alten Uhren, die Gläser sind noch gefüllt, aber alles wirkt skurril und doch inter- essant. Christiane Paul V A R I A
A
A3106 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 97½½½½Heft 46½½½½17. November 2000
Aller Anfang ist Merz
Von Kurt Schwitters bis heute
Eine umfangreiche Zusammenstellung mit Arbeiten von Künstlern aus verschiedenen Ländern
Die Ausstellung ist Diens- tag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, Freitag bis 20 Uhr geöffnet und zu sehen, vom 25. November 2000 bis 18.
Februar 2001 Kunstsamm- lung Nordrhein-Westfalen, Grubbeplatz 5, 40213 Düs- seldorf, Telefon: 02 11/
8 38 10, vom 9. März 2001 bis 20. Mai 2001 Haus der Kunst, München.
Lois Renner: „Wimm”, 1997 Foto:
Lois Renner
Kurt Schwitters, Mz 426 Zahlen, 1922. Diese Merz- Collage von 1922 ist nur 13,1 x 10,4 cm groß.
Feuilleton