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Archiv "Biografie: Nähe zum Porträtierten" (20.10.2006)

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A2812 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 42⏐⏐20. Oktober 2006

K U LT U R

I

n Johann Sebastian Bachs Nach- lass fand sich ein großes, unvoll- endetes Werk aus Kontrapunkten, Kanons und Fugen. Größtes „Man- ko“ aus heutiger Sicht: Nirgendwo findet sich ein autografer Hinweis auf die Instrumentenbesetzung. Das überwiegend vierstimmig gehaltene Riesenwerk nannten die posthumen Publizisten „Die Kunst der Fuge“

und schrieben es zur Subskription für Klavierspieler aus. Die Kompo- sition galt als „unspielbar“, bis ihre Orchesterfassung durch Wolfgang Graeser 1927 einen Diskurs um die werkgerechte Aufführung startete.

Den Gegenpol zu Graeser markiert Helmut Walcha, der das Werk unbe- arbeitet in den 50er-Jahren auf der Orgel einspielte. Abseits dieser au- thentischen Wiedergaben wurden zahlreiche bearbeitende Zurechtfei- lungen des Werkes aufgeführt.

In die Kategorie „nicht bearbei- tend“ fällt Dentlers innovative Idee einer Ausführung durch Violine, Bratsche, Violoncello, Fagott und

Kontrabass. Die beiden Letztge- nannten werden zeitweise unisono (oktavierend) geführt. Die Basslas- tigkeit der Besetzung fällt auf. Sie zwingt das Cello, teilweise auch im Sopranschlüssel mit dem Kontra- bass zu konzertieren – eine hörbar ungemütliche Situation, nach Dent- ler (Cello) aber die einzig richtige.

Wer diesen Anspruch erhebt, wird naheliegende Erklärungen, warum

Bach keine Besetzung vorschrieb, nicht würdigen, die da lauten: Der Komponist war zum Ende seines Schaffens fast erblindet und konnte das Manuskript weder selbst ordnen noch abschließend bearbeiten.

Dentler holt rund 2 500 Jahre aus, um seine Besetzungsidee zu unter- mauern. Bach war Mitglied der Leipziger Sozietät der musikali- schen Wissenschaften unter Vorsitz seines Schülers Mizler, der sich auch mit der Zahlen- und Tonwelt des Py- thagoras beschäftigte. Dentler deutet die offene Besetzungsfrage in Bachs letztem Werk als bewusst gestelltes pythagoreisches Rätsel. Zum Beleg seiner These steigt Dentler in die Vorsokratiker ein, lässt es an griechi- schen Originaltexten nicht fehlen und bietet einen lesenswerten Ex- kurs. Ob Bach das Buch verstanden hätte, muss offenbleiben. Sein Sohn Carl Philipp Emanuel schreibt im Nekrolog: „Unser seel. Bach ließ sich zwar nicht in tiefe theoretische Betrachtungen der Musik ein, war aber desto stärcker in der Aus- übung.“ Dentlers Besetzungsvor- schlag dürfte daher wohl ein weite- rer inter pares sein. I Ludger Beyerle

JOHANN SEBASTIAN BACH

Innovative Besetzungsidee

Hans-Eberhard Dentler:

Johann Sebastian Bachs

„Kunst der Fuge“.

Ein pythagoreisches Werk und seine Verwirklichung.

Schott Musik International, Mainz u. a., 2004, 220 Seiten, kartoniert, 39,95A

BIOGRAFIE

Nähe zum Porträtierten

A

nlässlich von Gottfried Benns 50. Todestag hat der Philo- soph Gunnar Decker eine Biografie des Dichters und Facharztes für Haut- und Geschlechtskrankheiten vorgelegt. Auf Widersprüchliches weist er im Prolog hin: Warum soll- te man über den Alltag eines Dich- ters reden, den der in seinen Gedich- ten gerade hinter sich lassen will?

Doch Benns Urteile über den bio- grafischen Zugang zur Dichtung sind zwiespältig. Bloßer Biografis- mus ist ihm zuwider, andererseits interessiert ihn selbst an einem Au- tor durchaus das Biologisch-Fami- liäre. Benns Skepsis gegenüber je- der Synthese folgend, lässt Decker das Widersprüchliche stehen und

betont das Zugleich: Das Genie ist auch Barbar, der Künstler auch Spießer, der Wortmagier auch Scharlatan. Das birgt Potenzial für Erhöhung und Erniedrigung, etwa wenn Benn sich 1933 zunächst den

Nationalsozialisten andient. Decker fasst Benn im Bild des ewigen Flüchtlings, der am Ende davon träumt, sich gar nicht mehr bewe- gen zu müssen, und seine „Stati- schen Gedichte“ schreibt. Der All- tag des Dichters kommt dabei je- doch nicht zu kurz. So erfahren wir, dass Benn nach eigener Auskunft fast alle Einkünfte aus seiner Dich- tung für Eau de Cologne ausgibt (in 15 Jahren 90 Mark, wie er 1926 berechnet!), 20 „Juno“-Zigaretten und mehr am Tag raucht, am Mor- gen unbedingt die Zeitung und abends einen Kriminalroman braucht („wöchentlich sechs, Ra- diergummi für’s Gehirn“). Das ist lebendig erzählt und unterhält.

Decker schreibt aber auch frag- mentarisch und dialogisch und nä- hert sich so stilistisch immer wie- der dem Porträtierten. I Christof Goddemeier G

Guunnnnaarr DDeecckkeerr::

G

Goottttffrriieedd BBeennnn..

Genie und Barbar.

Biographie. Aufbau-Verlag, Berlin, 2006, 544 Seiten, gebunden, 26,90 A

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